Читать книгу: «Anna Karenina | Krieg und Frieden», страница 56

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12

Anna und Wronski, die die kluge Gesprächigkeit ihres Freundes bedauerten, hatten schon lange miteinander Blicke gewechselt; endlich ging Wronski, ohne eine Aufforderung des Hausherrn abzuwarten, zu einem andern, kleinen Bilde hinüber.

»Ach, wie reizend, wie reizend! Wunderhübsch! Wie reizend!« riefen sie beide wie aus einem Munde.

›Was hat ihnen denn da so gefallen?‹ dachte Michailow. Er hatte dieses Bild, das er vor drei Jahren gemalt hatte, ganz vergessen. Vergessen hatte er all die Leiden und Freuden, die er mit diesem Bilde durchgekostet hatte, als es einige Monate lang ihn Tag und Nacht ausschließlich und unaufhörlich beschäftigt hatte, vergessen, wie er stets seine Bilder vergaß, wenn sie fertig waren. Er mochte es nicht einmal mehr ansehen und hatte es nur ausgestellt, weil er auf einen Engländer wartete, der Lust bekäme, es zu kaufen.

»Das ist weiter nichts Besonderes, eine ältere Studie«, sagte er.

»Wie schön!« rief, offenbar aufrichtig, Golenischtschew, der sich gleichfalls dem Reiz dieses Bildes nicht entziehen konnte.

Zwei Knaben angelten im Schatten einer Weide. Der eine, ältere, hatte gerade die Angel ausgeworfen und führte den Schwimmer behutsam aus dem Gebüsch heraus, eine Beschäftigung, die alle seine Gedanken in Anspruch nahm; der andere, jüngere, lag im Grase, stützte sich auf die Ellbogen, hielt den Kopf mit dem wirren, blonden Haar in beiden Händen und blickte mit den träumerischen blauen Augen auf das Wasser. Woran mochte er denken?

Das Entzücken der Besucher über dieses Bild ließ in Michailows Seele die ehemalige Erregung wieder aufleben; aber er hatte eine Art von Furcht und Widerwillen gegen solche zwecklosen Gefühle, die sich auf Vergangenes bezogen, und suchte daher, so angenehm ihm auch diese Lobeserhebungen waren, seine Besucher davon abzulenken und zu einem dritten Bilde zu führen.

Aber Wronski fragte ihn, ob das Bild nicht verkäuflich sei. Für Michailow, der durch die Gespräche mit seinen Besuchern erregt war, hatte es jetzt etwas sehr Peinliches, über ein Geldgeschäft zu reden.

»Es ist zum Verkauf ausgestellt«, erwiderte er mit mürrischer, verdrossener Miene.

Sobald die Besucher sich entfernt hatten, setzte Michailow sich vor sein Bild »Pilatus und Christus« hin und wiederholte in seinem Geiste, was diese Besucher gesagt und, ohne es auszusprechen, mit hinzugedacht hatten. Und merkwürdig: das, was ihm so gewichtig erschienen war, solange sie anwesend waren und er sich in Gedanken auf ihren Standpunkt versetzte, das hatte jetzt auf einmal für ihn alle Bedeutung verloren. Er prüfte nun sein Gemälde mit seiner ganzen, vollen künstlerischen Urteilskraft und gelangte zu jener Überzeugung von der Vollkommenheit und somit auch Bedeutsamkeit seines Bildes, deren er für die alle anderen Gedanken ausschließende geistige Spannung bedurfte, die bei ihm eine unerläßliche Voraussetzung erfolgreichen Arbeitens war.

Der eine Fuß Christi, der in Verkürzung gezeichnet war, wollte ihm immer noch nicht richtig erscheinen. Er griff zur Palette und machte sich an die Arbeit. Während er den Fuß verbesserte, betrachtete er unaufhörlich die Figur des Johannes im Hintergrunde, die die Besucher gar nicht beachtet hatten und die doch nach seiner Überzeugung den Gipfel der Vollkommenheit darstellte. Nachdem er mit dem Fuße fertig war, wollte er auch diese Figur noch vornehmen; aber er fühlte sich doch zu aufgeregt dazu. Er war gleichermaßen unfähig zu arbeiten, wenn er sich in kühler Stimmung befand und wenn er gar zu weich war und alles, was er sah, ihn zu sehr ergriff. Auf dieser Stufenleiter zwischen Kälte und Ekstase gab es nur eine einzige Stufe, auf der ihm das Arbeiten möglich war. Augenblicklich aber war er zu aufgeregt. Er wollte das Bild wieder verhüllen, hielt aber inne und betrachtete, das Laken in der Hand haltend, mit glückseligem Lächeln lange die Figur des Johannes. Endlich riß er sich, wie mit einem Gefühl der Trauer, von ihr los, ließ das Laken darüberfallen und ging müde, aber glücklich nach seiner Wohnung.

Wronski, Anna und Golenischtschew waren auf dem Heimweg besonders lebhaft und heiter. Sie sprachen von Michailow und seinen Bildern. Das Wort Talent, unter dem sie eine angeborene, beinahe körperliche, von Verstand und Herz unabhängige Fähigkeit verstanden und mit dem sie alles das bezeichnen wollten, was das geistige Leben eines Künstlers ausmacht, kam in ihrem Gespräch besonders häufig vor, da es ihnen unentbehrlich war zur Bezeichnung von etwas, wovon sie keinen Begriff hatten und doch reden wollten. Sie sagten, Talent lasse sich ihm nicht absprechen, aber sein Talent habe sich infolge des Mangels an Bildung nicht recht entwickeln können – das gemeinsame Unglück unserer russischen Künstler. Aber das Bild mit den Knaben war in ihrem Gedächtnis haftengeblieben, und immer wieder kamen sie im Gespräch darauf zurück. »Wie reizend! Wie gut ihm das gelungen ist, und wie schlicht und natürlich! Er hat selbst gar kein Verständnis dafür, wie schön es ist! Ja, das dürfen wir uns nicht entgehen lassen; das müssen wir kaufen«, sagte Wronski.

13

Michailow hatte sein Bild an Wronski verkauft und sich bereit erklärt, Annas Bildnis zu malen. Am festgesetzten Tage kam er und begann mit der Arbeit.

Das Bildnis überraschte von der fünften Sitzung an alle und namentlich Wronski nicht nur durch seine Ähnlichkeit, sondern auch durch die eigenartige Schönheit. Es war merkwürdig, wie Michailow jene eigenartige Schönheit Annas hatte herausfinden können. ›Eigentlich muß man sie so kennen und lieben, wie ich sie geliebt habe, um diesen so liebreizenden, seelischen Ausdruck an ihr zu entdecken‹, dachte Wronski, obgleich er erst aus diesem Bildnis diesen ihren liebreizenden, seelischen Ausdruck kennengelernt hatte. Aber dieser Ausdruck war so lebenswahr, daß Wronski und andere die Empfindung hatten, als hätten sie ihn schon längst an Anna selbst gekannt.

»Wie lange mühe ich mich schon ab und habe nichts zustande gebracht«, sagte er mit Bezug auf das von ihm selbst gemalte Bildnis, »und dieser Mensch sieht sie an und malt sie hin. Da sieht man den Wert der Technik!«

»Das kommt schon noch«, tröstete ihn Golenischtschew, nach dessen Vorstellung Wronski Talent und als besonders wichtiges Erfordernis den Bildungsgrad besaß, der allein eine Kunstanschauung von höherem Standpunkte aus ermöglicht. Golenischtschews Überzeugung von Wronskis Talent wurde dadurch noch verstärkt, daß er für seine Abhandlungen und Ideen Wronskis Anteilnahme und Lob nötig hatte und fühlte, daß Lob und Unterstützung gegenseitig sein müßten.

In einem fremden Hause und besonders in dem Palazzo bei Wronski war Michailow ein ganz anderer Mensch als bei sich in seinem Atelier. Er benahm sich mit einer Art von feindseliger Ehrerbietung, als fürchte er eine Annäherung an Leute, die er nicht achten könne. Er redete Wronski immer Euer Erlaucht an, blieb trotz aller Einladungen Annas und Wronskis nie zum Mittagessen da und kam nie außerhalb der Sitzungen zu ihnen. Anna zeigte sich ihm gegenüber noch freundlicher als gegen andere und war ihm für ihr Bildnis aufrichtig dankbar. Wronski behandelte ihn mit außerordentlicher Höflichkeit und hätte offenbar gern den Künstler dazu veranlaßt, über seine Dilettantenleistungen ein Urteil abzugeben. Golenischtschew ließ keine Gelegenheit vorübergehen, um Michailow zu richtigeren Anschauungen über die Kunst hinzuleiten. Aber Michailow blieb gegen alle drei gleich kühl. Anna fühlte an seinem Blick, daß er sie gern ansah; aber er vermied es, sich mit ihr in ein Gespräch einzulassen. Wenn Wronski von seinen Malversuchen zu reden anfing, so schwieg er hartnäckig, und ebenso hartnäckig schwieg er, wenn ihm ein von Wronski gemaltes Bild gezeigt wurde; Golenischtschews Auseinandersetzungen waren ihm offenbar lästig, und er erwiderte ihm nichts darauf.

Überhaupt mißfiel ihnen Michailow, als sie ihn näher kennenlernten, mit seinem zurückhaltenden, unfreundlichen, beinahe feindlichen Wesen recht sehr, und sie waren froh, als die Sitzungen zu Ende waren, das schöne Bildnis in ihren Händen blieb und er nicht mehr zu ihnen kam.

Golenischtschew war der erste, der einen Gedanken aussprach, der ihnen schon allen durch den Kopf gegangen war: nämlich, daß Michailow einfach auf Wronski neidisch sei.

»Und gesetzt auch, daß er dich nicht beneidet, da es ihm ja an Talent nicht mangelt, so ärgert er sich doch jedenfalls darüber, daß ein reicher, hoffähiger Mann, noch dazu ein Graf (auf die höheren Stände haben diese Leute ja alle einen Ingrimm), ohne besondere Mühe dasselbe, wenn nicht Besseres leiste wie er, der dieser Tätigkeit sein ganzes Leben gewidmet hat. Aber die Hauptsache bleibt doch immer die Bildung, und daran fehlt es ihm.«

Wronski nahm Michailow in Schutz; aber im Grunde seines Herzens glaubte er es selbst, weil nach seiner Anschauung jemand, der einer anderen, niedrigeren Schicht angehörte, notwendigerweise neidisch sein mußte.

Die beiden Bildnisse von Anna hätten, da es sich um ein und denselben Gegenstand handelte und dieser sowohl von ihm wie von Michailow nach der Natur gemalt war, ihm den Unterschied zeigen müssen, der zwischen seiner und Michailows Kunst bestand; aber er sah diesen Unterschied nicht. Nur nachdem Michailow Anna gemalt hatte, hörte er auf, an seinem eigenen Bildnis von Anna zu malen, indem er erklärte, das sei nun nicht mehr nötig. Aber an seinem Bilde aus dem mittelalterlichen Leben arbeitete er weiter. Und er selbst, auch Golenischtschew, namentlich aber Anna fanden, daß dieses Bild sehr gut wurde, weil es mit berühmten Kunstwerken weit mehr Ähnlichkeit hatte als jenes große Gemälde Michailows.

Inzwischen war Michailow, obwohl es ihm eine überaus reizvolle Aufgabe gewesen war, Anna zu malen, noch froher als seine Gönner, als die Sitzungen aufhörten und er Golenischtschews Gerede über Kunst nicht mehr anzuhören und an Wronskis Malerei nicht mehr zu denken brauchte. Er wußte, daß man Wronski nicht verbieten könne, zu seinem Vergnügen zu malen; er wußte, daß dieser und alle Kunstliebhaber berechtigt waren zu malen, was ihnen nur beliebte; aber trotzdem hatte er eine unangenehme Empfindung dabei. Man kann jemandem nicht verbieten, sich eine große Wachspuppe zu machen und sie zu küssen. Aber wenn dieser Mensch mit seiner Puppe ankäme und sich vor einen Verliebten hinsetzte und nun anfinge, seine Puppe so zu liebkosen, wie der Verliebte sein geliebtes Mädchen liebkost, so würde das dem Verliebten widerwärtig sein. Dieselbe unangenehme Empfindung hatte Michailow beim Anblick von Wronskis Malerei: es war ihm lächerlich, und er ärgerte sich, und er hatte Mitleid, und er fühlte sich verletzt.

Wronskis Begeisterung für die Malerei und das Mittelalter dauerte nicht lange. Er besaß doch so viel Geschmack für Malerei, daß er es nicht über sich brachte, sein Bild fertigzumalen. Es blieb unvollendet stehen. Er hatte die dunkle Empfindung, daß seine Mängel, die jetzt beim Anfang der Arbeit sich nur wenig spürbar machten, immer stärker hervortreten würden, wenn er in der Arbeit fortführe. Es ging ihm ähnlich wie Golenischtschew, der auch fühlte, daß er der Welt nichts Bedeutendes mitzuteilen habe, und sich beständig selbst vorredete, seine Idee sei noch nicht ausgereift, er müsse sie noch austragen, müsse Material sammeln. Aber während Golenischtschew im Gefühl seiner geringen Leistungsfähigkeit sich abquälte und verbittert wurde, war es bei Wronski nach seinem ganzen Wesen unmöglich, daß er sich selbst zu täuschen gesucht oder sich abgequält hätte oder gar verbittert worden wäre. Mit der ihm eigenen Entschiedenheit des Charakters hörte er ohne ein Wort der Erklärung oder der Rechtfertigung auf, sich mit der Malerei zu beschäftigen.

Aber ohne diese Beschäftigung erschien sowohl ihm wie auch Anna, die über seinen Verzicht erstaunt war, das Leben in dieser italienischen Stadt so langweilig, der Palazzo war auf einmal so augenfällig alt und schmutzig geworden, die Flecken auf den Gardinen, die Spalten in den Fußböden, die abgestoßenen Stellen im Stuck der Karniese sahen so widerwärtig aus, dieser ewige Golenischtschew, dieser ewige italienische Professor und diese ewigen deutschen Reisenden waren ihnen so langweilig geworden, daß eine Änderung ihrer Lebensweise ein Ding der Notwendigkeit wurde. Sie beschlossen nach Rußland zu fahren, aufs Land. In Petersburg beabsichtigte Wronski, die Erbteilung mit seinem Bruder vorzunehmen, und Anna, ihren Sohn wiederzusehen. Den Sommer aber wollten sie auf Wronskis großem Familiengut verleben.

14

Ljewin war nun fast drei Monate verheiratet. Er war glücklich, aber in ganz anderer Weise, als er es erwartet hatte. Auf Schritt und Tritt begegnete ihm bald eine Enttäuschung gegenüber seinen früheren Träumereien, bald ein neues, unerwartetes Entzücken. Er war glücklich; aber nachdem er jetzt in das Eheleben eingetreten war, sah er in all und jeder Hinsicht, wie ganz anders es beschaffen war, als er es sich vorgestellt hatte. Er hatte fortwährend die Empfindung wie jemand, der sich von weitem an dem Anblick eines sanft und glücklich dahinfahrenden Kahnes ergötzt hat, nun selbst in diesen Kahn eingestiegen ist. Da sieht er denn, daß es keineswegs genügt, still und ohne zu schaukeln dazusitzen, sondern daß er auch den Umständen gemäß selbst handeln muß, daß er keinen Augenblick des Zieles seiner Fahrt uneingedenk sein darf, und daß sich unter seinen Füßen Wasser befindet, und daß er rudern muß, und daß das ungewohnten Händen weh tut, und daß das zwar sehr leicht anzusehen, aber, wenn es auch sehr viel Freude macht, doch recht schwer zu tun ist.

Oft, wenn er als Junggeselle auf das Eheleben anderer Leute hingeblickt hatte, auf die kleinlichen Sorgen, die Streitigkeiten, die Eifersüchteleien, dann hatte er im stillen nur geringschätzig gelächelt. In seinem eigenen künftigen Eheleben konnte seiner festen Überzeugung nach nichts Derartiges vorkommen; ja er war der Meinung gewesen, auch die gesamten äußeren Formen des Ehelebens würden bei ihm mit Notwendigkeit in allen Stücken ganz anders sein. Und statt dessen gestaltete sich nun sein eigenes Zusammenleben mit seiner Frau zu seiner Überraschung ganz und gar nicht in irgendwelcher besonderen Weise; im Gegenteil, sein ganzes Eheleben setzte sich aus denselben nichtigen Kleinigkeiten zusammen, die er früher so geringgeschätzt hatte, die aber jetzt, ganz gegen seinen Willen, eine außerordentliche, unbestreitbare Bedeutung erlangt hatten. Und Ljewin sah, daß die richtige Erledigung aller dieser Kleinigkeiten durchaus nicht so leicht war, wie er sich das gedacht hatte. Obgleich er gemeint hatte, die zutreffendsten Begriffe vom Eheleben zu haben, hatte er sich, wie alle Männer, die Vorstellung gemacht, dieses bestehe lediglich darin, daß man sich dem Genusse seiner Liebe hingebe, den nichts beeinträchtigen dürfe und von dem man sich durch kleinliche Sorgen nicht dürfe ablenken lassen. Er würde, so hatte er sich das ausgemalt, zuerst seine Arbeit verrichten und sich dann in den Armen der Liebe davon erholen. Seine Gattin aber würde nur die eine Aufgabe haben, sich lieben zu lassen. Aber wie alle Männer hatte er vergessen, daß auch sie werde arbeiten müssen. Und er war ganz erstaunt, daß sie, diese poetische, reizende Kitty, gleich in den ersten Wochen, ja gleich in den ersten Tagen ihres Ehelebens es fertigbrachte, an Tischtücher, an Möbel, an Matratzen für die Fremdenstuben, an ein Präsentierbrett, an den Koch, an das Mittagessen und ähnliche Dinge zu denken und all so etwas zu überlegen und zu besorgen. Schon als er noch Bräutigam war, hatte ihn die Bestimmtheit überrascht, mit der sie eine Reise ins Ausland ablehnte und sich dafür aussprach, gleich nach dem Gute überzusiedeln, als wüßte sie schon Bescheid, was nötig sei; wie hatte sie nur außer an ihre Liebe auch noch an andere Dinge denken können! Das hatte ihn damals gekränkt, und auch jetzt verletzte sie ihn manchmal durch ihre kleinlichen Sorgen und Geschäfte. Aber er sah, daß ihr das ein Herzensbedürfnis war. Und obwohl er nicht recht verstand, wozu diese eifrige Tätigkeit nötig und nütze sei, und sich darüber lustig machte, so konnte er doch, da er seine Frau liebte, nicht umhin, auf ihre Tätigkeit mit Freude und Bewunderung zu blicken. Er machte sich darüber lustig, wie eifrig sie die aus Moskau mitgebrachten Möbel aufstellte, wie sie ihr Zimmer und das seinige neu einrichtete, wie sie die Gardinen aufhängte, wie sie die künftigen Fremdenzimmer und das Zimmer für Dolly zurechtmachte, wie sie für ihre Kammerjungfer eine Stube ausstattete, wie sie dem alten Koch Anweisungen für das Mittagessen gab und wie sie sich in längere Auseinandersetzungen mit Agafja Michailowna einließ, der sie die Verwaltung der Vorratskammer abnehmen wollte. Er sah, daß der alte Koch lächelte und sie mit Wohlgefallen betrachtete, während er ihre ungeschickten, unmöglichen Befehle anhörte; er sah, daß Agafja Michailowna über die neuen Anordnungen der jungen Herrin wegen der Vorratskammer bedenklich und freundlich den Kopf schüttelte; er sah, daß Kitty ganz allerliebst war, wenn sie lachend und weinend zu ihm kam, um sich darüber zu beklagen, daß die Kammerjungfer Mascha immer noch gewohnt sei, sie als das junge Fräulein zu betrachten, und ihr daher niemand recht folgen wolle. All das schien ihm so lieb und nett, aber doch wunderlich, und er meinte, daß es ohne diese materiellen Dinge schöner sein würde.

Er konnte ihr nicht recht nachfühlen, was sie bei dieser Veränderung ihrer Lebensstellung empfand: daß sie früher zu Hause manchmal Appetit auf Kohl mit Kwaß oder auf Konfekt gehabt hatte und sich weder das eine noch das andere hatte beschaffen können, jetzt aber in der Lage war, sich Konfekt haufenweise zu kaufen und Geld auszugeben, soviel sie wollte, und sich Pasteten, und was sie sonst nur von Speisen wünschte, machen zu lassen.

Sie dachte jetzt mit lebhafter Freude an die bevor stehende Ankunft Dollys mit den Kindern, namentlich weil sie jedem der Kinder seine Lieblingssorte Kuchen backen lassen wollte und weil sie hoffte, Dolly würde ihre ganze neue Hauseinrichtung bewundern. Sie wußte selbst nicht, woher es kam und wozu es nötig war, aber die Hauswirtschaft hatte für sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Da sie instinktiv das Herannahen des Frühlings fühlte und wußte, daß auch garstige Regentage nicht ausbleiben würden, so baute sie ihr Nest, so gut sie es verstand, und hatte es eilig, gleichzeitig zu bauen und zu lernen, wie sie es machen müßte.

Kittys Geschäftigkeit um solche kleinlichen Dinge, die zu Ljewins idealer Vorstellung von dem überirdischen Glück der ersten Ehezeit in so starkem Gegensatze stand, war eine der Enttäuschungen, die er erlebte; und zugleich gewährte ihm diese allerliebste Geschäftigkeit, deren Sinn und Zweck er nicht begriff, die er aber nicht umhinkonnte, mit herzlichem Vergnügen zu beobachten, eine neue entzückende Freude.

Eine andere Enttäuschung und Freude waren die Streitigkeiten. Ljewin hatte sich nie vorstellen können, daß zwischen ihm und seiner Frau ein anderer Ton des Verkehrs als ein durchaus zärtlicher, achtungsvoller, liebevoller möglich sei, und nun hatten sie sich gleich in den ersten Tagen so arg gezankt, daß sie ihm gesagt hatte, er liebe sie nicht, er liebe nur sich allein, und unter verzweifeltem Händeringen in Tränen ausgebrochen war.

Dieser erste Streit war daher entstanden, daß Ljewin nach dem neuen Vorwerk geritten und eine halbe Stunde länger vom Hause weggeblieben war; er hatte heimwärts einen näheren Weg reiten wollen und sich dabei verirrt. Auf dem Heimwege dachte er nur an sie, an ihre Liebe, an sein Glück, und je näher er seinem Hause kam, um so heißer wurde seine zärtliche Sehnsucht nach ihr. Er stürmte zu ihr ins Zimmer mit ebenso feuriger, ja mit noch feurigerer Empfindung als damals, da er in das Schtscherbazkische Haus gekommen war, um ihr einen Antrag zu machen. Und ganz unerwartet begegnete er einer finsteren Miene, wie er sie noch nie an ihr gesehen hatte. Er wollte sie küssen; aber sie stieß ihn zurück.

»Was hast du?«

»Du bist ja sehr vergnügt ...«, begann sie, indem sie sich Mühe gab, in ruhigem, bitterem Tone zu sprechen.

Aber kaum hatte sie den Mund geöffnet, als auch die Worte wie ein gehemmter Strom hervorbrachen: Vorwürfe sinnloser Eifersucht und all die törichten Gedanken, von denen sie diese halbe Stunde lang gepeinigt worden war, während sie ohne sich zu rühren am Fenster gesessen hatte. Erst jetzt verstand er zum ersten Male klar, was er damals noch nicht verstanden hatte, als er sie nach der Trauung aus der Kirche führte. Er verstand, daß sie ihm nicht nur nahestand, sondern daß er jetzt nicht mehr wußte, wo sie aufhörte und er anfing. Er erkannte dies an dem schmerzlichen Gefühl, das er in diesem Augenblick empfand, einem Gefühl, als ob er in zwei Teile geteilt würde. Im ersten Augenblick fühlte er sich gekränkt; aber in der gleichen Sekunde fühlte er auch, daß sie ihn gar nicht kränken könne, daß sie und er dieselbe Person seien. Er hatte im ersten Augenblick eine Empfindung, wie wenn jemand plötzlich von hinten einen heftigen Stoß erhält, sich zornig und rachbegierig umdreht, um den Schuldigen zu entdecken, und sich nun überzeugt, daß er sich selbst unversehens gestoßen hat, daß er auf niemand zornig zu sein Anlaß hat und den Schmerz eben ertragen und nach Möglichkeit lindern muß.

In späteren Jahren empfand er all das nie wieder mit solcher Stärke; aber dieses erstemal war der Schmerz so heftig, daß Ljewin lange Zeit seine Fassung nicht wiedergewinnen konnte. Ein natürliches Gefühl verlangte von ihm, daß er sich rechtfertige und ihr ihr Unrecht nachweise; aber er sagte sich, wenn er das täte, so würde er sie dadurch nur noch mehr reizen und den Riß, der die Ursache des ganzen Kummers war, nur noch vergrößern. Ein Gefühl, das ihm durch die Gewohnheit geläufig war, trieb ihn, die Schuld von sich abzuweisen und ihr zuzuschieben; aber ein anderes Gefühl, stärker als jenes, riet ihm, den eingetretenen Riß schnell, so schnell wie nur möglich, wieder auszubessern und ihm keine Zeit zu lassen, sich noch zu erweitern. Eine so ungerechte Beschuldigung auf sich sitzen zu lassen war ja schmerzlich; aber Kitty durch eine Rechtfertigung weh zu tun, das war noch schlimmer. Wie jemand, der im Halbschlaf einen quälenden Schmerz fühlt, so wollte er das, was den Schmerz verursachte, von sich losreißen und wegschleudern und merkte, zur Besinnung kommend, daß das, was den Schmerz verursachte, ein Teil seines eigenen Selbst war. Die Aufgabe konnte nur darin bestehen, dem kranken Teile beim Überstehen des Schmerzes behilflich zu sein, und er bemühte sich, dies zu tun.

Sie versöhnten sich. Kitty, die ihre Schuld eingesehen hatte, wenn sie sie auch nicht zugestand, wurde noch zärtlicher gegen ihn, und beide empfanden ihr Liebesglück doppelt. Aber das verhinderte nicht, daß sich derartige Zusammenstöße wiederholten, und sogar recht oft und bei den unerwartetsten und nichtigsten Anlässen. Diese Zusammenstöße kamen oft daher, daß sie beiderseits noch nicht wußten, was dem andern Herzenssache war, oft aber auch daher, daß sie beide in dieser ersten Zeit häufig schlechter Laune waren. War der eine von ihnen gut gelaunt und der andere schlecht gelaunt, so wurde der Friede nicht gestört; aber wenn zufällig beide mißgestimmt waren, so gingen Zusammenstöße aus so unbegreiflich nichtigen Ursachen hervor, daß sie sich nachher gar nicht mehr erinnern konnten, warum sie eigentlich miteinander gestritten hatten. Freilich war anderseits, wenn sich beide in guter Stimmung befanden, ihre Freude am Leben auch wieder doppelt. Aber doch war diese erste Zeit für sie beide recht schwer.

Während der ganzen ersten Zeit machte sich eine Art von Spannung lebhaft fühlbar, als ob die Kette, durch die sie verknüpft waren, bald nach der einen, bald nach der andern Seite gezogen würde. Überhaupt war dieser Honigmond, das heißt der erste Monat nach der Hochzeit, von dem auf Grund der überlieferten Anschauung Ljewin soviel erwartet hatte, keineswegs honigsüß, sondern er blieb in der Erinnerung der beiden Gatten als die schwerste, beschämendste Zeit ihres Lebens haften. Beide bemühten sich in gleicher Weise im späteren Leben, all die häßlichen, beschämenden Vorfälle dieser krankhaften Zeitspanne, in der sie beide sich selten in normaler Stimmung befunden hatten und selten sie selbst gewesen waren, aus ihrem Gedächtnisse auszulöschen.

Erst im dritten Monat ihrer Ehe, nach ihrer Rückkehr aus Moskau, wohin sie zu einmonatigem Aufenthalt gereist waren, gestaltete sich ihr Leben gleichmäßiger.

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