Читать книгу: «Juana - Vom Pech verfolgt», страница 4

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Plymouth


»Kanika?«

»Ja?«

»Deine Klamotten…«, begann Hope, wurde dann jedoch von Kanika unterbrochen.

»Gefallen sie dir? Ich habe mir extra einen meiner schönsten Sari herausgesucht!«

»Sari?«

»Ja, so nennt man das.«

»Verstehe…«, murmelte die Navigatorin leise, »es steht dir. Aber das sieht so teuer aus.«

»War er auch«, meinte Kanika schulterzuckend, »als ich weggerannt bin, konnte ich nicht viel mitnehmen. Zum Glück hat mir Kiran etwas Geld mitgegeben. Sonst hätte ich wohl so gut wie keine Kleider gehabt.«

Bei diesen Worten lachte sie herzlich. Hope beschleunigte ihr Tempo, um neben Kanika zu laufen.

»Du bist weggerannt? Wer ist denn dieser Kiran?«

»Kiran ist mein Verlobter – oder war mein Verlobter. Er hat mir geholfen, wegzurennen, weil ich ihn eigentlich nicht heiraten wollte. Ich wollte ja bei euch anheuern.«

Überrascht weitete Hope die Augen.

»Du wolltest ihn nicht heiraten? Warum wart ihr dann verlobt?«

»Na, weil meine Eltern wollten, dass ich ihn heirate. Und er ist ja auch ein netter Mensch, aber ich wollte ihn eben nicht heiraten.«

So wie Kanika das sagte, klang es wie eine Selbstverständlichkeit, dass man jemanden heiratet, den man nicht heiraten möchte.

»Warum hast du nicht mit deinen Eltern darüber geredet?«

»Naja…«, begann Kanika, schien dann jedoch noch einen Moment zu überlegen, ehe sie den Kopf schüttelte, »das ist eine lange Geschichte. Sie hätten es auf jeden Fall nicht hören wollen. Und Kiran hat mir seine Hilfe angeboten.«

»Brauchst du noch irgendetwas, bevor wir losfliegen?«

Hope war erleichtert, als der Neuzugang den Kopf schüttelte. Wenn Hope etwas noch weniger mochte als schwindelerregende Höhen, war in schwindelerregenden Höhen Stunden damit zu verbringen, Kleidung zu kaufen.

»Hier gibt es doch irgendwo diesen Aussichtsturm!«, bemerkte Kanika auf einmal ganz hektisch und begann, auf und ab zu wippen, »gehen wir doch dahin!«

Sofort spürte Hope, wie ihr Herz schneller schlug. Aussichtsturm bedeutete, dass das Gebäude sehr hoch sein musste. Und auf so etwas wollte Kanika hinauf? Sie spürte Sarahs unsichereren Blick auf sich ruhen.

»Ich weiß nicht. Wäre das denn für dich in Ordnung, Hope?«

»Klar, warum nicht«, murmelte sie in der Hoffnung, es würden jetzt tatsächlich Marinesoldaten hervorspringen, um sie davon abzuhalten. Stattdessen war es Kanika, die sprang – vor Freude.

»Super, ich kann uns hinführen!«

»Wir müssen noch höher.«

»Noch höher?«, fragte Hope verunsichert. Warum hatte sie nur zugestimmt? Für die wenigen Menschen, die ausstiegen, kamen sicherlich doppelt so viele hinein. Sie quetschten sich rücksichtslos in den Aufzug, sodass Hope an die Wand gedrückt wurde. Und wieder starrte jeder sie an, ehe die Blicke abgewendet und sie, wohl mit größter Mühe, ignoriert wurde. Sie war beinahe schon froh, als sie endlich ganz oben ankamen und Hope aus dem Aufzug steigen konnte. Doch die Erleichterung hielt nicht lange, als sie die große Scheibe mehrere Meter vor sich sah. Sie stand auf einer runden Plattform, die sich langsam zu drehen schien, damit man als Besucher die ganze Stadt im Überblick hatte. Kanika eilte sofort nach vorne, doch Hope blieb wie angewurzelt stehen. Sarah schien das zu bemerken und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Ich kann mit dir wieder runterfahren und wir warten dort auf Kanika, wenn du möchtest.«

Der Vorschlag klang schön, doch Hope schüttelte den Kopf. Jetzt, wo sie schon hier oben stand, wollte sie auch die Stadt sehen.

Auf der Toilette angekommen, suchte Hope sich die erstbeste Kabine und übergab sich. Sie bekam gar nicht mit, dass ihr jemand in die Kabine folgte, sondern nahm dies erst wahr, als jemand ihr über den Rücken streichelte. Sie erschrak so sehr, dass sie sich beinahe verschluckte.


»Ganz ruhig, ich bin es nur«, ertönte Sarahs ruhige Stimme, während ihr weiter über den Rücken gestreichelt wurde.

Nachdem Hope ihren gesamten Mageninhalt losgeworden war, betätigte sie die Spülung und lehnte sich erschöpft an die Kabinenwand. Dabei blickte sie zu Boden. Sie hatte sich vor Sarah übergeben. Das war so peinlich. Die Zahlmeisterin hockte sich zu ihr und streichelte ihre Wange.

»Wie geht es dir?«

»Ich will hier weg.«

»In Ordnung. Du kannst dich frisch machen und ich sage Kanika Bescheid.«

»Ist mit dir alles in Ordnung? Es tut mir so leid, hätte ich gewusst, dass es dir dann so schlecht geht, dann hätte ich das nie vorgeschlagen.«

Hope schüttelte den Kopf.

»Es geht schon wieder. Du konntest es ja nicht wissen.«

Der Aufzug nach unten war glücklicherweise leerer. Zu Hopes Entsetzen knurrte ihr Magen in genau dem Moment laut, in dem sie das Gebäude verließen. Wie konnte sie nur ausgerechnet jetzt Hunger haben? Sarah kicherte leise.

»Ich denke, wir sollten etwas essen gehen.«

»Sind du und Felicia wirklich die Kinder von Owen? Also seid ihr Schwestern?«, fragte sie neugierig, woraufhin Sarah lächelnd den Kopf schüttelte.

»Nicht direkt. Felicia wurde adoptiert, als sie noch ein Baby war. Ich kam erst viel später in die Familie, wurde aber von Owen wie eine Tochter behandelt.«

»Achso… und was ist mit Owens Frau?«

Sarah sah sich um und lehnte sich über den Tisch. Dann begann sie, sehr leise zu sprechen.

»Sie waren ein gleichgeschlechtliches Paar. Felicias anderer Vater hat sich das Leben genommen.«

Sarah sprach so leise, dass Hope sie kaum verstehen konnte. Doch das, was sie hörte, überraschte sie. Felicias Vater hatte sich umgebracht?

»Wie schrecklich.«

Es war das einzige, was ihr dazu einfiel.

Hope legte den Kopf schief.

»Das reicht!«

»Sarah, es tut mir leid.«

»Ist schon gut.«

Kurz nach dem Kellner kam auch Kanika wieder und setzte sich zu den beiden Frauen. Für den köstlichen Kuchen hatte sich die Wartezeit wirklich gelohnt. Sie aßen zum Großteil schweigend, nur ab und an wurde über Belangloses geredet. Wirklich lange blieben sie nach dem Essen nicht. Sarah zahlte direkt und schlug vor, zurück zu Owen zu gehen, mit der Begründung, der Weg sei weit. Doch man konnte ihr ansehen, dass sie sich schlichtweg unwohl fühlte. Auf dem Weg zurück wurde Kanika das Schweigen zu viel. Sie sah zu Hope und Sarah.

»Ist irgendetwas passiert, während ich auf Toilette war?«

Sarah schüttelte den Kopf.

»Nein, wie kommst du darauf?«

»Ihr habt was verpasst! Jeff hatte Torte dabei, er ist Konditor! Aber wir haben sie schon alleine gegessen«

Sarah lächelte lieb.

»Das ist nicht schlimm. Wir waren vorhin in einem Café. Ich würde aber Tee für alle machen. Hope, würdest du mir helfen?«

»Kannst du bitte die Tür schließen?«, bat Sarah in ruhigem Tonfall. Dabei sah sie Hope nicht an.

»Ähm… klar…«, antwortete Hope unsicher und schloss die Tür. Dann blickte sie nervös zu Sarah. Ihr war schon bewusst gewesen, dass die Zahlmeisterin wohl keine Hilfe beim Teekochen brauchte. Aber warum sollte Hope dann mitkommen? Und wieso sollte sie die Tür schließen?

Hope fühlte sich auf einmal so schuldig. Sie hatte doch die ganze Zeit gesehen, dass Sarah sich unwohl fühlte, und trotzdem hatte sie dann solche Fragen gestellt.

Sarah nickte leicht.

»Ich verstehe…«

»Sarah?«

»Ja?«

»Hat deine Familie dich wirklich rausgeschmissen, weil du doch kein Junge warst?«

»Du musst nicht antworten. Entschuldigung, ich…«

»Nein, ist schon gut.«

Sarah atmete durch und schien zu überlegen, was genau sie jetzt sagen sollte.

Verwirrt legte Hope den Kopf schief.

»Aber du bist doch gar nicht schwul?«

»Ich weiß… Aber das habe ich erst herausgefunden, als ich bei meiner Schwester gewohnt habe. Damals habe ich… naja…«

Sarah wendete peinlich berührt den Blick ab und begann, herumzudrucksen. Irgendwann strich sie sich ein paar Haare aus dem Gesicht und atmete erneut durch.

»John? Der John von Molly?«, fragte Hope fassungslos, »du hattest mit ihm eine Beziehung?«

»Wusste Molly davon?«, fragte Hope leise. Sarah seufzte und nickte leicht.

»J… ja… aber ich glaube, außer Felicia und ihr weiß es sonst niemand. Bitte sag es nicht weiter. Es war zwar vor Molly… aber… John ist ihr Mann… und sie haben Kinder… Ich will nicht, dass die Crew schlechter von ihm denkt …«, gestand Sarah leise.

Sarah seufzte leise.

Während sie sprach, wurde Sarahs Stimme immer zittriger.

»Zum Glück habe ich etwas später Felicia kennen gelernt. Sie und ihr Vater haben mich aufgenommen.«

Hope musterte Sarah.

»Und die Umwandlung? Wie hast du das gemacht?«

Sarah lächelte leicht und senkte den Kopf.

»Hope, ich glaube nicht, dass ›Umwandlung‹ das richtige Wort ist. Es klingt so, als hätte sich an mir etwas geändert. Aber eigentlich wurde mein Äußeres ja nur darauf angepasst, wie ich mich fühle…«

»Die Crew hat mir dabei geholfen. Almyra hat mich einem Arzt vorgestellt und… und Juana hat mich finanziell unterstützt.«

Neugierig lehnte Hope sich vor.

»Das Wasser!«

***

Seit ihrem letzten Aufenthalt in Spanien hatten alle drei Mädchen sich angewöhnt, Namensschilder zu tragen. Wahrscheinlich in der Hoffnung, dass Almyra sich ihre Namen irgendwann merken können würde, doch die Mechanikerin war sich nicht so sicher, ob dieser Tag irgendwann kommen würde. Vielleicht, wenn sie mehr mit ihnen zu tun haben würde, doch trotz der gemeinsamen Arbeit im Maschinenraum sprachen sie sehr selten miteinander. Und solange die Juana nicht in der Luft war und lediglich Licht brauchte, gab es nicht viel Arbeit.

»Scarlett?«

Kaum hatte Almyra nach ihr gefragt, stand die junge Frau mit dem vernarbten Gesicht auch schon vor ihr und wirkte ganz aufmerksam.

»Es reicht, wenn nur eine von euch hier unten ist und ihr euch abwechselt. Volle Besatzung brauchen wir erst wieder, wenn wir weiterfliegen.«

»Du bescherst mir fast einen Herzinfarkt und willst dafür jetzt auch noch gekuschelt werden? Mensch, bist du verwöhnt.«

»Isabella, ich wollte nur…«, Almyra verstummte, als sie sah, warum Isabella so fluchte. Sie saß an ihrem Nähtisch, eine Bürste in ihrer linken Hand und versuchte, ihren Pony zu bürsten. Verwirrt kam Almyra ein paar Schritte näher und musterte Bella.

»Was wird das?«

»Wonach sieht es denn aus? Ich versuche, mir die Haare zu bürsten«, antwortet ihre beste Freundin gereizt.

»Das sehe ich schon, aber warum denn? Keine Lust mehr auf die Dreadlocks?«

Isabella bürstete so hektisch, es wirkte beinahe, als schlüge sie einfach mit der Bürste auf ihre Haare ein. Viel hatte sie bisher nicht herausgebürstet; lediglich den Pony. Sie hatte das ja auch jahrelang nicht mehr machen müssen.

Almyra seufzte und setzte sich auf den Nähtisch.

»Sie hatte ja Recht«, seufzte Isabella leise, »eine Prinzessin hat kein verfilztes Haar. Und auch keine krumme Nase und keine Narben und… naja, du weißt ja.«

Almyra musterte Isabella und streichelte ihre Wange.

»Vielleicht nicht… aber genau das macht dich doch zu etwas Besonderem. Deine Nase wurde gebrochen und du hast Narben davongetragen. Du hast eben gelebt und gekämpft und gewonnen. Wie eine Königin.«

Almyra grinste.

»Und manchmal bist du eben auch ein Drache.«

Auf diese Worte lachten beide.

»Außerdem«, erhob Almyra noch einmal die Stimme, »hat Felicia sich mit deinen Haaren wirklich Mühe gegeben. Das hätte sie nicht gemacht, wenn sie gedacht hätte, dass sie kurz schöner sind.«

Almyra erinnerte sich noch genau daran, wie Isabella zu den Dreadlocks gekommen war. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, sich ihre Haare einfach abzurasieren. Die Schere hatte sie schon in der Hand. Aber Felicia hat sie abgehalten und vorgeschlagen, ihr eine Frisur zu machen. Wie viele Jahre war das mittlerweile schon her?

Isabella legte die Bürste weg und lehnte sich zurück.

»Woher weißt du nur immer, was du sagen musst?«, fragte die Köchin lächelnd.

»Das tue ich doch gar nicht.«

»Almyra?«

Die Angesprochene drehte sich wieder zu Bella.

»Ja?«

»Warum bist du überhaupt hergekommen?«

»Achso! Stimmt ja.«

Almyra griff in ihre Gürteltasche und holte ein kleines Fläschchen heraus, in dem sich Tabletten befanden. Auf der Aufschrift stand ›Litiotriptanat‹. Die Mechanikerin zögerte, ehe sie das Fläschchen Isabella reichte.

Isabella nahm das Fläschchen entgegen.

»Danke.«

»Denkst du, ich werde sie eines Tages nicht mehr nehmen müssen?«

Almyra zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß es nicht. Eigentlich sind sie unterstützend zu einer Behandlung gedacht.«

Die Köchin strich sich den Pony aus dem Gesicht und blickte betrübt auf ihre Nähmaschine.

»Das wird nicht passieren«, murmelte sie leise und Almyra befürchtete, dass sie damit Recht behalten würde. Isabella traute keinen Ärzten und obwohl Charlotte eine ihrer besten Freunde war, ging sie mit ihren gesundheitlichen Problemen zu Almyra. Doch es gab Probleme, bei denen auch Almyra ihrer besten Freundin nicht helfen konnte.

»Du kannst immer mit mir reden, das weißt du doch, oder?«, fragte Almyra und küsste Isabella auf die Stirn.

»Ich weiß. Danke.«

»Die schlechte Luft fängt tatsächlich an, einem zu fehlen, findest du nicht?«, fragte Clair, während sie sich mit den Armen auf die Reling stützte.

»Du hast Recht. Mit genug Zeit fängt alles an, einem zu fehlen«, lachte Almyra und Clair stimmte in das Lachen mit ein. Sie standen noch lange nebeneinander und genossen die Stille. Almyra schaute in die Ferne und erkannte irgendwann, wie vier Personen sich näherten. Sie deutete in die Richtung.

»Ich glaube, sie kommen wieder.«

»Ach, ja? Wo denn?«

Clair starrte in die Richtung, in die Almyra deutete, und schien nichts zu erkennen. Erst als Almyra schon wusste, dass es mit Sicherheit Sarah, Felicia, Hope und die Neue waren, schien auch Clair zu sehen, dass sich jemand näherte. Almyra lachte amüsiert.

»Ich glaube, du brauchst eine Brille, alte Frau!«

Als Hope, Sarah, Felicia und Kanika auf dem Oberdeck ankamen, wurde Kanika von vielen herzlich gegrüßt. Viele erkannten die junge Inderin wieder und freuten sich darüber, sie endlich unter sich aufnehmen zu können. Almyra hielt indes Ausschau nach Hope und ging sofort zu ihr, als sie sie sah. Die Mechanikerin drückte ihrer Geliebten einen Kuss auf die Wange.

»Hat dir England gefallen?«

Die Angesprochene zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht«, antwortete sie, »ich habe es mir schöner vorgestellt.«

»Ich… ich sollte mir vorher die Zähne putzen…«

Clara erhob die Stimme und schaffte es, alle anderen zu übertönen.

»Ruhe!«, brüllte sie und die Crew verstummte, »das ist Kanika. Sie wird ausgebildet, um unsere neue Segelflickerin zu sein. Rachel, sie wird in dein Zimmer ziehen.«

Erstaunt blickten die meisten zu Clara, andere starrten Rachel an. Diese stand ganz steif da ballte die Hände zu Fäusten.

»Einen Scheiß wird sie!«, brüllte Rachel wütend. Jetzt lagen alle Blicke auf ihr. Clara verschränkte die Arme und verdrehte genervt die Augen.

»Rachel, da gibt es keine Diskussion. Kanika wird bei dir im Zimmer wohnen.«

»Komm, ich zeige dir das Schiff.«

»Was? Ähm… ja… danke…«

Die beiden verließen das Oberdeck. Clair, die die ganze Situation beobachtet hatte, atmete tief durch und erhob die Stimme.

»Wir fliegen weiter. Hope, wir wollen zurück zur Handelsroute.«

»Was willst du hier, Almyra?«, schluchzte Rachel, »Du kannst meine Meinung nicht ändern.«

Die Mechanikerin legte eine Hand auf Rachels Schulter.

»Ich habe nicht vor, dich umzustimmen. Ich wollte nach dir sehen.«

Rachel lehnte sich zurück. Ihre Wangen liefen Tränen herab, doch ihr Gesicht war vor Wut verzogen.

»Was denkt Clara sich überhaupt?! Kanika wird neue Segelflickerin, okay. Aber ich lasse nicht zu, dass sie in Mollys Bett schläft!«

»Aber Kanika muss irgendwo hin.«

»Nicht in Mollys Zimmer!«, schrie Rachel.

Almyra seufzte.

Rachel lehnte sich zurück und fuhr sich durch ihre Haare.

»Ich kümmere mich darum.«

»Können wir kurz reden? Es geht um Kanika und Rachel.«

Clara murrte leise.

»Wenn es sein muss. Ich wollte gerade eigentlich zu Rachel gehen. Sarah hat Kanika vorerst bei sich aufgenommen. Aber Rachel kann Mollys Bett nicht für immer freihalten.«

»Das kann schon sein«, antwortete Clara genervt, »aber wir können nicht ewig Rücksicht auf sie nehmen.«

Almyra seufzte. Es ging Clara nicht um die Kajüte. Sie wollte Rachel dazu zwingen, über ihre Trauerphase hinwegzukommen.

Almyra wusste die Antwort schon und war sich sicher, dass Clara sie auch kannte. Die Rothaarige schwieg einen Moment. Dann seufzte sie und schüttelte leicht den Kopf.

Beziehungstipps


»Guten Morgen«, grüßte sie und bekam als Antwort ein müdes Nicken. Almyra musterte ihr Gegenüber, doch Isabella wich ihren Blicken aus und aß von ihrem Fruchtsalat. Im Normalfall saß Isabella zwar bei Almyra am Tisch, aß allerdings selbst nichts oder nur sehr wenig.

»Hast du verschlafen?«, fragte Almyra neugierig.

»Ein wenig«, war die knappe Antwort der Köchin und Almyra fragte nicht weiter nach. Es war nicht Isabellas Art, zu verschlafen, doch sie wollte die Köchin nicht bedrängen. Also aß sie schweigend ein paar ihrer Pilze. Sie beobachtete, wie Hope in die Kantine kam, sich ein Brötchen nahm und wieder verschwand. Hatte sie es so eilig, dass sie nicht in Ruhe frühstücken konnte? Vielleicht hätte Almyra sie wecken sollen. Hope verließ also den Raum und stattdessen kamen Sarah und Kanika hinein. Sarah führte das neue Crewmitglied direkt zu Isabella und Almyra. Dann setzte sie sich neben Almyra, während Kanika bei Isabella Platz nahm. Die Inderin wirkte etwas verloren, aber hatte trotzdem ein Lächeln auf den Lippen.

»Hast du gut geschlafen?«

»Ja, aber ich muss mich noch daran gewöhnen, dass das Schiff sich ständig bewegt«, gestand Kanika und blickte dabei peinlich berührt auf ihren Teller. Von Sarah erntete sie einen mitleidigen Blick.

»Warum denn?«, fragte Almyra neugierig, »was ist denn passiert?«

»Naja… ich bin sozusagen aus dem Bett gefallen. Hat ziemlich wehgetan.«

Bei diesen Worten spielte Kanika verlegen mit der Spitze ihres Flechtzopfes. Almyra musste sich verkneifen, laut loszulachen. Kanika war die Nacht aus dem Bett gefallen? Das passierte manchen anderen Crewmitgliedern zwar auch – aber erst nach einer halben Flasche Rum. Sie beherrschte sich, grinste stattdessen nur belustigt und biss von ihrem Toast ab. Isabella drehte sich zu dem Neuling.

»Gibt es etwas, was du nicht isst?«

Kanika überlegte kurz.

»Ich esse kein Fleisch, keinen Fisch und keine Eier. Ich hoffe, das macht dir nicht zu viele Umstände.«

Isabella schüttelte den Kopf.

»Ich mache für Charlotte sowieso immer auch etwas Vegetarisches. Das ist kein Problem.«

»Charlotte ist die Schiffsärztin, oder?«

»Warum isst du eigentlich kein Fleisch?«, fragte sie neugierig. Kanika trank einen Schluck von ihrem Tee und sah dann zu Almyra.

»Meine Eltern haben mir das so beigebracht, dass ich kein Fleisch essen soll.«

»Bist du irgendwie religiös?«

Kanika nickte und lächelte.

»Ich bin Hindu.«

»Hindu? Unterscheidet sich das sehr von Christen?«

Bei dieser Frage blickte Almyra abwechselnd zu Sarah und Kanika. Die beiden sahen sich kurz verwirrt an und begannen dann, zu lachen. Hatte Almyra etwas Falsches gesagt? Sarah drehte sich zu Almyra.

»Es gibt schon viele Unterschiede. Aber im Grunde will jede Religion einfach nur, dass man ein glückliches und friedliches Leben führt«, erklärte sie ruhig.

»Achso…«

Almyra trank ihren Tee aus und stand dann auf.

»Was ist los, ich habe dich schreien hören?«, fragte Yoona alarmiert. Genervt verdrehte die Mechanikerin die Augen.

»Ja, habe ich. Wer hat Macy in den Maschinenraum gelassen? Sie hat Chaos gemacht und sich unter den Motor verkrochen. Wie soll ich sie da denn jetzt wieder raus kriegen?«

Ihre Unterhaltung hatte wohl auch die Aufmerksamkeit der anderen beiden Mädchen im Maschinenraum auf sich gezogen. Das Mädchen mit den roten Haaren, laut ihrem Namensschild hieß sie Emily, sah betreten zu Boden.

Während sie sprach, wurde Emilys Stimme immer leiser. Genervt verschränkte Almyra die Arme.

»Ich Frau Lehrerin! Ich weiß es!«, sagte sie lachend, »die Türen auf diesem Deck werden immer geschlossen.«

Emily senkte den Kopf.

»Es tut mir leid.«

»Aye.«

»Du hältst Macy das Essen hin und ich fange sie.«

»Wehe, Macy kommt wieder rein!«, brüllte sie so laut, dass man es an der Tür sicher noch gut gehört hatte. Eine verdutzte Clair betrat den Maschinenraum und kam auf Almyra zu.

»Macy schläft in einer der Zellen. Sie hat eine Maus erlegt.«

Nun musste Almyra doch grinsen.

»Ich sagte doch, sie macht das.«

Als sie Macy vor ein paar Jahren in einem Laden an irgendeinem Piratenhafen gefunden hatte, hatte sie mit Clair darüber gestritten, ob sie das kleine Fellknäuel mitnehmen sollten. Almyra hatte sie damals darauf hingewiesen, dass ein Frettchen sicherlich die paar Mäuse erlegen würde, die sich auf einem Schiff ansiedelten. Sie hatten nie ein großes Mäuseproblem gehabt, doch jeder unerwünschter Nager war einer zu viel. Umgestimmt hatte sie Clair zwar mit etwas anderem, doch das ging wirklich nur die beiden etwas an. Bei dem Gedanken wurde Almyras Grinsen hoch breiter.

»Was ist?«, unterbrach Clair Almyras Gedanken. Diese schüttelte nur den Kopf und setzte sich an den endlich ordentlichen Schreibtisch.

»Ist egal. Warum bist du hier?«

Clair setzte sich zur Almyra.

»Ich wollte dir danken.«

»Danken? Wofür?«

Überrascht legte Almyra den Kopf schief. Das waren ja ganz schön viele Sachen, für die Clair dankte.

»Ich habe nur gemacht, was ich für das Beste hielt. Und ausnahmsweise war es auch mal das Richtige.«

»Es war ein glücklicher Zufall, dass Kanika ausgerechnet jetzt bei Owen aufgetaucht ist.«

Clair sagte nichts, nickte aber stumm. Sie schien zu verstehen, warum Almyra und Felicia die Information so lange für sich behalten hatten. Mit der Vermutung, das Gespräch sei damit beendet, wollte Almyra aufstehen, doch Clair blickte sie auf einmal nervös an.

»Hast du nicht irgendwelche Sachen an Deck zu tun?«

Clair seufzte und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

»Mädchen? Welchem Mädchen denn?«

»Du meinst du Kleine, die keinen geraden Satz herausbekommt, oder? Was ist denn mit ihr?«

Clair zögerte und massierte sich mit den Fingern die Schläfen.

Almyra überlegte kurz. Clair war ja einiges, aber im Normalfall nicht paranoid.

»Das Schiff ist klein. Vielleicht ist es nur Zufall?«

Daraufhin wurde sie skeptisch von ihrem Gegenüber angesehen.

»Kann sein, aber das ist wirklich nicht mehr normal! Sie sollte bei den Kanonen sein und ihre Arbeit machen und mich nicht immer beobachten.«

»Aber sie hat doch noch nie ein Wort mit mir gewechselt.«

»Sie ist bestimmt nur schüchtern. Vielleicht solltest du ihr einfach mal eine Chance geben.«

Dies schien die Amazone endlich zu beruhigen. Sie entspannte sich und stand auf.

»Danke. Dafür hast du etwas bei mir gut.«

Almyra schmollte gespielt und verschränkte die Arme.

***

»Was ist denn mit Estella los?«, fragte Hope besorgt, woraufhin Amelia genervt murrte und missmutig zur großen Glasfront vor sich blickte.

»Mary hätte sie vor zwei Stunden ablösen sollen. Die Arme konnte ihre Augen nicht mehr aufhalten, also habe ich sie vor einer halben Stunde abgelöst.«

Hope musterte Amelia. Wirklich fit sah die Asiatin auch nicht aus. Sie blinzelte verdächtig oft und gähnte immer wieder. Wahrscheinlich war sie auch schon lange auf der Brücke. Hope konnte sich nicht erinnern, Amelia jemals fern von der Brücke gesehen zu haben. Außer während der Zeit im Meer, als die Asiatin seekrank gewesen war und selbst zu diesem Zeitpunkt hatte sie versucht, zu arbeiten.

Hope sah sich die von ihr geplante Route und die Position des Schiffs an. Sie waren ein wenig vom Kurs abgekommen. Die Navigatorin blickte zu Amelia und räusperte sich.

»Was?«, fragte die Steuerfrau gähnend und zu Hopes Verblüffung nicht gereizt.

»Oh…«

Hope hob beschwichtigend die Hände.

»Nein, es ist schon in Ordnung. Du kannst ja nichts dafür.«

»Da kommt unsere Schlafmütze ja endlich«, grummelte Amelia irgendwann genervt und ein Blick zum Oberdeck verriet Hope, dass Mary gerade die Treppen hochgekommen war. Sie betrat die Brücke und lächelte müde. Ihre Haare waren nass und das Wasser tropfte auf ihre Schultern. Amelias Griff am Ruder wurde fester.

»Mh?«, fragend legte Mary den Kopf schief und lief zum Ruder.

»Du bist zu spät.«

»Ich habe ein wenig verschlafen und wollte eben noch duschen«, sagte sie beiläufig. Amelias Gesicht wurde ganz rot vor Wut.

»Kein Grund, zu schreien. Jeder kann mal verschlafen. Jetzt bin ich ja hier.«

»Hope? Ich muss unbedingt mit dir reden. Wäre es für dich in Ordnung, nach meiner Schicht kurz mit in meine Kajüte zu kommen? Es wäre mir wirklich wichtig.«

»Natürlich«, antwortete Hope verwirrt, »was ist denn los?«

Mary schüttelte den Kopf.

»Das erzähle ich dir später. Aber ich brauche deinen Rat bei etwas.«

»Okay.«

»Du bist die Navigatorin? Als ich die Crew das letzte Mal gesehen habe, war hier noch eine ältere Frau. Was ist mit ihr passiert?«

Hope war etwas überfordert mit der Frage und blickte unsicher zu Mary, die mit den Schultern zuckte.

»Die alte Schachtel ist gestorben.«

Im Nachhinein hätte Hope es wohl doch besser selbst sagen sollen. Amelia drehte sich augenblicklich zu Mary um und wirkte noch wütender als vor zwei Stunden.

»Henrietta war keine alte Schachtel!«

»Jaja, schon gut«, murmelte Mary, während sie genervt die Augen verdrehte, »unsere liebe Henrietta ist gestorben.«

Kanika ließ derweil die Information sacken und schaute betrübt zu Boden.

Kanika und Hope ignorierten den Kommentar von Mary, sowie Hope das Meiste ignorierte, was Mary sagte, und den Namen ›Almyra‹ beinhaltete.

»Kommst du dann?«, fragte sie in Kanikas Richtung. Die Angesprochene nickte eifrig und stand auf.

»Was macht ihr beiden denn?«, erkundigte Hope sich. Clara nahm eine Zigarette aus ihrer Gürteltasche und blickte zu Hope.

»Gerne!«

Clara brachte eine Zielscheibe an und wollte, dass die beiden darauf schossen. Kanika war die Erste. Sie nahm sich nicht viel Zeit, sondern schoss einfach drauf los. Dennoch traf sie die Zielscheibe. Es war zwar nicht in der Mitte, doch nah genug dran, damit Hope beeindruckt war und Clara zufrieden nickte.

»Das sieht doch gut aus. Nimm dir noch etwas mehr Zeit zum Zielen.«

»Okay.«

Clara sah zu Hope.

»Jetzt du.«


Nervös stellte sich Hope dahin, wo eben noch Kanika gestanden hatte.

Sie hob die Waffe. Warum waren Schusswaffen so unglaublich schwer? Das Ding war doch so klein! Hope atmete durch und zielte dann auf die Scheibe. Wenigstens war niemand in der Nähe, den sie treffen könnte. Sie drückte ab und spürte kurz darauf einen Schlag im Gesicht. Mit so einem starken Widerstand hatte sie beim Abdrücken nicht gerechnet. Hope war so überrascht gewesen, dass sie zu spät reagiert hatte und die Waffe ihr ins Gesicht schlug.

»Autsch«, murmelte sie leise. Wie hatte das passieren können? Bei den anderen sah es doch immer so leicht aus. Deprimiert sah sie zu Clara, die Zigarettenrauch ausblies.

»Du musst die Waffe schon festhalten, wenn du abdrückst.«

»Die Reling. Zielen musst du auch üben.«

»Das reicht für heute. Du hast Talent. Lass dir am besten von Almyra eine Waffe modifizieren. Sie kann auch mit dir schießen üben, wenn ich mal beschäftigt bin.«

Kanika nickte und lächelte glücklich.

»Kann Almyra auch so gut schießen wie du?«

Clara schüttelte den Kopf.

»Das wäre ja lächerlich. Sie ist die deutlich bessere Schützin.«

»Oh… Okay, ich werde sie fragen.«

Kanika drehte sich um und wollte gehen, doch Clara hielt sie auf.

»Kanika?«

»Ja?«

»Wir haben beschlossen, dass du bei Sarah in der Kajüte bleibst.«

Daraufhin strahlte Kanika und machte einen kleinen Hüpfer.

»Wirklich?«

Clara nickte.

»Einigt unter euch, wie ihr die Kajüte aufteilt.«

»Machen wir.«

»Ich verstehe…«

Hope war schon vorher aufgefallen, dass die Kajüten wohl nicht ganz willkürlich vergeben wurden. Isabella schlief direkt bei der Küche, Charlotte bei der Krankenstation und Clair bezog als Käpt’n das einzige Zimmer auf der Brücke. Doch dass die Crewmitglieder auch nach ihren Aufgaben in Räume zugeteilt wurden, war Hope neu. Sie persönlich war ja auch nicht davon betroffen. Almyra und sie hatten nicht wirklich ähnliche Aufgaben. Hope war so in Gedanken versunken, dass sie nicht mitbekam, wie Clara wegging und sich stattdessen jemand anderes zu ihr stellte. Erst als sie einen Schatten bemerkte, sah sie auf und erkannte Mary, die nervös wirkte.

»Ich bin fertig. Kommst du dann?«

»Ich brauche deinen Rat.«

»Okay? Wenn ich dir helfen kann dann…«

»Wie führt man eine Beziehung?«, fiel Mary ihr sofort ins Wort. Überrascht weitete Hope die Augen und starrte ihre beste Freundin an. Hatte sie das gerade wirklich gefragt?

»Warte, was?«

»Wie führt man eine Beziehung?«, wiederholte Mary mit unsicherer Stimme.

»Na, ganz einfach: Wie schafft man es, dass eine Beziehung funktioniert? Gibt es da irgendwelche Regeln? Was genau macht man in einer Beziehung überhaupt?«

»Ich weiß nicht, ob es da feste Regeln gibt«, gab Hope also schließlich zu.

Daraufhin konnte sie ein leises ›verdammt‹ hören, das Marys Lippen entwich.

»Warum willst du das denn überhaupt wissen?«

Hope wollte sie schon fragen, doch dann atmete die Rudergängerin durch und schien endlich etwas sagen zu wollen.

Hope brauchte einen Moment, um Marys Worte zu verarbeiten. Ihre Frage am Schluss verdrängt sie allerdings. Stattdessen blickte sie Mary mit großen neugierigen Augen an.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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321 стр. 52 иллюстрации
ISBN:
9783946127413
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