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Weltschmerz


Irgendwann musste Hope das Wasser dann aber abdrehen und sich etwas anziehen. Danach beschloss sie, erst einmal etwas zu essen. Die letzten Tage kam sie kaum dazu, in Ruhe zu frühstücken, und so früh würde sie ja wohl nicht auf der Brücke gebraucht werden.

In der Kantine war es, wie sonst überall auch, leer. Die Tische waren noch nicht einmal gedeckt und Isabella saß alleine in einer Ecke und trank aus einer Tasse. Als sie Hope bemerkte, sah sie diese überrascht an.

»Guten Morgen.«

Hope nickte leicht und setzte sich zu der blonden Köchin. Diese stand auf.

»Was möchtest du Essen?«

»Das ist mir eigentlich egal.«

Isabella überlegte kurz.

»Wie wäre es mit Pfannkuchen?«

»Okay.«

Die Köchin verschwand für einige Minuten in der Küche und kam dann mit einem Teller voller Pfannkuchen in der einen und einer Tasse Tee in der anderen Hand wieder. Beides stellte sie vor Hope auf dem Tisch ab.

»Du bist früh. Die Ersten kommen sonst immer erst in ein oder zwei Stunden.«

Meistens verdeckte die Köchin diese Stelle, doch heute nicht. Außerdem hatten sich weitere Verletzungen dazu gesellt. Es waren mehrere dunkelrote Flecken, die Isabellas alten Wunde ähnelten.

»Hast du dich verbrannt?«, fragte Hope besorgt. Isabella nickte und trank einen Schluck Tee.

»Wie ist das denn passiert?«

»Clair hat mit einer Tasse Tee nach mir geworfen.«

Geschockt sah Hope die Köchin an.

»Was?!«

»Sie ist wegen Mollys Tod ziemlich überempfindlich. Sie hat ja auch Almyras Lippe blutig geschlagen.«

»Isabella? Darf ich dich etwas fragen?«

»Kommt auf die Frage an.«

Hope zögerte kurz.

»Wieso hat mir Almyra nie etwas von sich und dem Käpt’n erzählt?«

Die Köchin lehnte sich zurück und seufzte.

»Sie hat es dir nicht erzählt? War ja auch klar.«

»Was meinst du?«

»Almyra erzählt einem nie etwas. Mir würden ein paar Gründe einfallen, warum sie dir nichts gesagt hat, aber ich will mich da wirklich nicht einmischen. Wenn es da etwas zu klären gibt, dann mach das lieber mit ihr persönlich.«

Hope sah Isabella entmutigt an.

»Mary erzählt viel Scheiße. Almyra hing sehr an Clair, aber das ist schon lange vorbei,«, antwortete Isabella genervt stöhnend. Dann stand sie auf und nahm ihr Geschirr vom Tisch.

»Kannst du wieder arbeiten?«

»Ich denke schon.«

Eigentlich war Hope sich dabei nicht ganz sicher. Sie konnte immer noch an nichts anderes denken als den Streit mit Almyra. Doch Befehl war Befehl. Sie sollte zur Brücke kommen und war nun hier. Leise atmete sie durch und ging zu Amelia, welche gerade Kommandos an Mary weitergab. Man brauchte die Navigatorin im Moment eigentlich gar nicht. Sie würden in den nächsten 24 Stunden in Spanien ankommen.

»Was ist die letzten Tage passiert? Wie steht es um das Schiff?«

Clara, die gerade dabei war sich eine Zigarette zu drehen, überlegte kurz, ehe sie antwortete.

Bei der Aussage sah Clair betreten zu Boden und schwieg.

»Eine gute Idee. Wo ist Almyra? Ich bin ihr eine Entschuldigung schuldig.«

Als Clair nach Almyra fragte, spürte Hope, wie die Wut in ihr hochkochte. Sie sah die Amazone gereizt an.

»Es geht dich nichts an, wo sie ist.«

Daraufhin wurde sie sehr verwirrt von Clair angesehen.

»Was meinst du?«

»Ganz einfach, ich bin der Käpt’n und wir sind gute Freunde.«

»Meinetwegen.«

Sie wollte die Brücke verlassen und merkte, dass auch Clair aufstand. Wütend drehte sie sich noch einmal um.

»Ich gehe Almyra alleine suchen!«


»Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Weißt du, wo Almyra ist?«

Die Angesprochene schüttelte den Kopf.

»Hat sie gesagt, wann sie wieder hier sein wird?«

Erneut schüttelte die Frau mit der Narbe den Kopf. Hope seufzte. Sie war sich nicht sicher, ob es sich lohnen würde, sie zu suchen oder ob sie einfach hier warten sollte.

»Wie lange ist sie denn schon weg?«

Darauf sagte die Frau nichts, sondern wendete sich ab und schrieb irgendetwas.

»Wenn du es mir nicht sagen darfst, dann ist das ja okay. Aber ignoriere mich dann nicht einfach«, grummelte Hope beleidigt und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch darauf gab es keine Antwort. Hope wollte sich schon umdrehen und gehen, doch plötzlich drückte die Frau ihr den Zettel, auf den sie geschrieben hatte, in die Hand.

›Sie ist seit etwa 30 Minuten weg.‹

Verwirrt sah Hope die Frau an. Es dauerte einen Moment, bis ihr ein Verdacht kam.

»Du kannst gar nicht sprechen, oder?«

Die Frau sah betrübt zu Boden.

»Das wusste ich nicht. Ich dachte wirklich, dass du nicht mit mir sprechen willst. Ich… ich gehe dann Almyra suchen. Kannst du ihr ausrichten, dass ich hier war?«

»Danke.«

»Können wir reden? Bitte, ich gehe danach auch sofort wieder, wenn du mich nicht sehen willst.«

Hope nickte zögerlich.

»Seit wann bist du hier?«

»Ich weiß nicht… Vielleicht 20 oder 30 Minuten. Ich wollte dich nicht auf der Brücke stören.«

Die Navigatorin seufzte. Almyra hatte also, während Hope sie gesucht hatte, die ganze Zeit in der Kajüte auf sie gewartet.

»Okay. Dann reden wir.«

Hope nahm sich den Schreibtischstuhl und stellte ihn gegenüber von Almyra hin, bevor sie sich darauf setzte. Sie wollte der Mechanikerin in die Augen sehen können. Almyra wartete schweigend, bis Hope sich gesetzt hatte, und atmete tief durch.

»Es tut mir leid, dass ich dir das mit mir und Clair verschwiegen habe. Die ganze Sache war eine wahnsinnig anstrengende und verletzende Erfahrung und ich versuche, nicht darüber zu sprechen. Dass du ein Recht darauf hast, es zu wissen, habe ich dabei nicht beachtet. Ich habe einfach gehofft, dass es nie zur Sprache kommen wird.«

»Es war doch klar, dass es irgendwann zur Sprache kommt. Sie ist unser Käpt’n.«

»Ich weiß«, murmelte Almyra kaum hörbar.

»Ihr hattet mehrere Beziehungen?«

»Ja.«

»Hast du sie geliebt?«

Auf die Frage kam für einen Moment keine Antwort. Almyra biss sich auf die Unterlippe und schaute Hope schuldbewusst an.

»Ja.«

»Liebst du sie immer noch?«

Almyra erstarrte für einen Moment. Sie sah Hope entsetzt an, schüttelte dann aber den Kopf.

»Nein. Das Kapitel in meinem Leben ist schon lange abgeschlossen.«

»Das hast du dir doch sicher jedes Mal gedacht, oder?«

»Kann sein. Aber jetzt ist es etwas Anderes. Hope, ich liebe dich, was sollte ich von Clair wollen?«

Hope war skeptisch. Das hörte sich doch zu schön an, um wahr zu sein.

»Du wirst mich also nicht verlassen, sobald Clair dich wieder haben will?«

Almyra sah Hope zuversichtlich an.

Wie bitte? Clair war sogar schon wieder bei Almyra gewesen? Jetzt bereute Hope es erst recht, dass sie die Amazone nicht noch mehr zusammengestaucht hatte.

»Und was ist passiert?«

Hope setzte sich neben Almyra und nahm ihre Hand.

Die Mechanikerin schien einen Moment zu überlegen.

Es war Hope eigentlich schon fast klar gewesen, dass Almyra vor Clair schon einmal eine Beziehung hatte. Doch gerade der Name von Almyras alter Freundin machte Hope stutzig.

»Das Tattoo auf deinem Arm. Die Rose…«

»Es gibt noch etwas, das du wissen solltest. Du hast doch die Narben unter meinen Tattoos gesehen. Ich war sehr schwer verletzt und…«

»Almyra, es geht um Rachel!«


»Was ist passiert?«, fragte die Mechanikerin fassungslos.

»Sie hatte mich darum gebeten, ihr etwas zu Essen zu bringen. Ich habe mich auch wirklich beeilt. Sie war vielleicht zehn Minuten alleine. Es tut mir so leid, ich hätte einfach bei ihr bleiben sollen.«

»Jetzt atme einmal tief durch.«

Die Zahlmeisterin tat, was ihr gesagt wurde. Dabei schloss sie die Augen.

»Rachel hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ich habe sie zu Charlotte gebracht. Es tut mir so leid. Ich wollte doch auf sie aufpassen.«

Geschockt sah Almyra die größere Frau an.

»Rachel hat versucht, sich umzubringen?«

»Ja.«

Die Navigatorin stimmte wortlos zu.

»Kein Problem.«

»Sarah, ich will, dass du dich wäschst und dir dann von Isabella einen Tee machen lässt, ja?«

Die Angesprochene blickte weiterhin zu Boden und schwieg.

»Es ist nicht deine Schuld. Du musst dir deswegen keine Vorwürfe machen. Wirklich nicht. Jetzt ruh dich etwas aus.«

»Arme Rachel. Sie muss ihre Schwester wirklich sehr vermissen.«

»Sie hat ziemlich viel Blut verloren, oder?«

»Ja, sie braucht eine Bluttransfusion. Blutgruppe AB negativ. Wir brauchen das Blut direkt von einem Crewmitglied. Es gibt im Moment keine Reserven. Ich habe aber leider keine passende Blutgruppe.«

Es wäre Almyra ohnehin nicht recht gewesen, wenn Charlotte spenden würde. Die Ärztin war so dürr, wahrscheinlich würde sie dabei ohnmächtig werden.

»Welche Blutgruppe hat Becky?«

»Becky hat Blutgruppe B negativ. Das würde gehen.«

»Dann hol sie schnell her.«

»Sofort.«

»Was ist passiert?«

Es war eine gute Idee gewesen, nach Becky zu fragen. Sie hatte sicher mit einem Schäferstündchen mit der Ärztin gerechnet und sich deshalb extra beeilt. Manchmal hatte ihre Beziehung mit Charlotte auch etwas Gutes. Almyra sah sie an.

»Natürlich! Aber was ist denn passiert?«

»Kannst du dir doch sicher denken.«

»Ach, Rachel, was machst du nur für Sachen?«

Charlotte hatte in der Zeit, in der Almyra zurückdenken musste, alles zusammengesucht, was sie brauchte.

»Becky, ich fange dann an«, sagte die Ärztin ruhig.

»In Ordnung.«

Almyra sah zu Rachel.

»Tut mir den Gefallen und sagt niemandem etwas davon. Ich werde es denjenigen, die es wissen müssen, schon selbst berichten.«

Es würde die Situation für Rachel sonst noch schwerer machen, als sie ohnehin schon war. Einen missglückten Selbstmordversuch zu überstehen war so schon schlimm genug. Die Blicke derjenigen, die davon wussten, zu ertragen, würde es nicht leichter machen.

Becky und Charlotte stimmten beide zu. Almyra stand auf und ging zur Tür.

»Ja.«

»Gut.«

Wenigstens musste sie nicht lange nach Clara und Clair suchen. Die beiden standen am Oberdeck an der Reling. Man merkte, dass sie Spanien näherkamen; es war schon deutlich wärmer als am Vortag. Almyra wurde sofort von den beiden entdeckt. Clair wendete den Blick ab, doch Clara sah sie fragend an.

»Was gibt’s, Käpt’n?«

»Wir sollten das nicht hier besprechen. Clair, wir gehen in deine Kajüte.«

»Was ist passiert?«

Almyra seufzte.

»Rachel liegt auf der Krankenstation. Sie hat versucht, sich umzubringen.«

Clara sah sie ernst an.

»Du meinst eher, wir sollen sie gar nicht alleine lassen?«, hakte die Rothaarige nach. Aber Almyra musste ihr da widersprechen.

»Wenn ich es mir so überlege, schaffe ich das auch sicher alleine. Du kannst gehen, wenn du willst.«

»Nein, ist schon okay.«

Clair deutete auf Mollys Bett – es war das untere des Stockbettes. Das Laken war blutgetränkt.

»Rachel hat sich in Mollys Bett die Pulsadern aufgeschnitten?«

Almyra setzte sich auf das Bett und nahm das kleine Messer an sich, das darauf lag.

»Sieht ganz so aus. Sie wird noch mehr Messer irgendwo versteckt haben. Machen wir uns an die Arbeit. Wir müssen nur ihre Sachen durchsuchen. Ich denke nicht, dass sie etwas unter Mollys Klamotten versteckt hat.«

»In Ordnung.«

»Warum hat sie das alles hier versteckt?«, fragte sie entsetzt und starrte auf das Messer.

»Du meinst, Rachel macht das schon länger?«

»Du warst so oft mit ihr und Molly unterwegs. Hast wohl nur auf Molly geachtet, mh?«

Hatte sie das gerade laut gesagt? Almyra blickte zu Clair, die sie fassungslos anstarrte. Ja, sie hatte es laut gesagt. Vielleicht sollte Almyra irgendwann doch mal anfangen, zu denken, bevor sie sprach.

»Schon okay.«

»Ich denke, das war’s. Mollys Bett sollte aber auf jeden Fall neu bezogen werden.«

»Es tut mir so leid. Du wolltest nur helfen und ich danke es dir, indem ich dich schlage.«

Verwirrt sah Almyra die Größere an. Doch dann lächelte sie und drehte das Gesicht weg.

»Schon okay. Wahrscheinlich habe ich es mal verdient, für meine große Klappe eine reingehauen zu bekommen.«

Clair nahm die Hand runter und lächelte ebenfalls leicht.

»Vielleicht.«

»Wenn wir uns da einig sind, können wir ja jetzt endlich gehen.«

»Eine Sache noch.«

»Die wäre?«, fragte Almyra skeptisch.

Peinlich berührt sah Almyra Clair an.

»Sie hat herausgefunden, was mal zwischen uns war.«

Mehr musste sie auch gar nicht sagen, damit Clair verstand.

»Du kannst dich wieder zurückziehen, wenn du willst. Molly hat dir viel bedeutet – du hast ein Recht darauf, zu trauern.«

»Aye Käpt’n.«

»Rachel ist wach.«

Abschied


»Seit wann ist Rachel wach?«, erkundigte sie sich flüsternd. Rachel musste sie nicht unbedingt hören.

»Vor zehn Minuten ist sie zu sich gekommen.«

»Ist in der Zeit irgendetwas Auffälliges passiert?«

Charlotte schüttelte den Kopf.

»Nein. Sie sitzt seitdem in ihrem Bett und spricht nicht.«

»Verstehe«, murmelte die Mechanikern und sah zu Becky, die ihr in den Krankenraum gefolgt war, »kümmere dich darum, dass Mollys Bett neu bezogen wird. Mir egal, ob du es selbst machst oder jemanden findest, der es macht. Aber in fünf Minuten soll das Bett neu bezogen sein.«

»Aye.«

Becky verließ eilig die Krankenstation. Almyra überlegte derweil, wen sie jetzt dazu animieren konnte, auf Rachel aufzupassen. Sarah wollte sie nicht noch einmal darum bitten. Felicia wäre vielleicht noch eine Option. Doch diese hatte sich dank der Kälte die Blase unterkühlt und musste alle paar Minuten auf die Toilette. Außerdem sollte es eine von den Personen sein, die das Ganze schon mitbekommen hatten. Es wussten ohnehin schon zu viele davon. Almyra setzte sich an Rachels Bett und musterte sie.

»Rachel?«

»Ich bringe dich zurück in dein Zimmer, ja? Hier ist es doch ziemlich ungemütlich.«

Wieder gab es keine Antwort, aber immerhin stand Rachel auf. Sie taumelte etwas, sodass Almyra sie stützen musste.

»Ich hab dich. Und jetzt gehen wir in deine Kajüte.«

Almyra setzte Rachel auf Mollys Bett ab und setzte sich neben sie.

»Möchtest du darüber reden?«

Wieder nur Stille.

»Ich bin für dich da, wenn du reden willst, okay? Aber ich bin dir auch nicht böse, wenn du nichts sagst.«

Ihr Blick fiel auf die immer noch schweigende Rachel. Wie sollte sie das hier nur meistern?

Stunden vergingen, in denen sie einfach nur schweigend nebeneinandersaßen. Irgendwann merkte Almyra, dass Rachel die Augen zufielen. Es dauerte nicht mehr lange, bis die Blonde schließlich zur Seite auf die Matratze kippte und schlief. Almyra deckte sie zu und blieb am Bett sitzen. Sie selbst schien wohl wieder einmal keinen Schlaf zu bekommen. In Spanien würde sich aber sicher die Möglichkeit bieten. Nicht einmal einen vollen Tag musste sie noch durchhalten. Die Mechanikerin lehnte sich an die Leiter des Stockbettes und schloss die Augen. Noch ehe sie es merkte, war sie eingeschlafen. Es war einfach zu viel gewesen.

»Molly!«, riss Rachels panische Stimme Almyra gute zwei Stunden später aus dem Schlaf. Hektisch schaute die Mechanikerin sich um, bis ihr Blick an der blonden Frau hängen blieb, die kerzengerade und schweißgebadet in Mollys Bett saß. Rachel atmete ganz schnell, röchelte dabei leise. Almyra war so erschrocken, dass sie instinktiv handelte und Rachel in den Arm nahm und ihr über den Rücken streichelte. Rachel hatte eindeutig einen Albtraum von ihrer Schwester gehabt.

»Rachel, ich will, dass du ganz tief durchatmest.«

»Ich bin für dich da, Rachel. Dir kann nichts passieren.«

Es verging sicher eine halbe Stunde, in der Almyra Rachel im Arm hielt und ihr gut zuredete. Irgendwann atmete Rachel ruhiger und löste sich von der Mechanikerin. Noch immer liefen ihr Tränen die Wangen entlang, aber immerhin hatte sie sich etwas beruhigt.

»Mir ist so schwindelig.«

»Wir gehen dir etwas zu trinken holen, ja?«

»Ich bin nur schnell in der Küche und hole dir etwas Wasser, ja?«

Almyra verschwand in der Küche und suchte möglichst leise nach Wasser. Sie wollte nicht unnötig Isabella wecken, die nur einen Raum weiter schlief. Die Köchin hatte einen leichten Schlaf und die Wände waren nicht dick. Die Mechanikerin dachte daran zurück, wie noch vor fünf Tagen Molly an Rachels Bett gesessen und um ihr Leben gefürchtet hatte. Was für eine Ironie des Schicksals. Jetzt war es Molly, die nicht überlebt hatte. Es wäre beinahe zum Lachen, wäre es nicht so unglaublich bitter und traurig. Almyra nahm sich eine Wasserflasche und ein Glas und ging damit wieder zu Rachel. Sie schenkte der blonden Frau ein Glas ein und setzte sich zu ihr.

»Du hattest einen schlimmen Albtraum, oder?«

»Molly fehlt mir so sehr.«

Almyra nahm sie wieder in den Arm und seufzte. Sie sagte aber nichts, sondern wartete, bis Rachel sich wieder beruhigt hatte und half ihr dann ins Bett.

»Kann ich noch etwas für dich tun?«

»Guten Morgen. Hast du Hunger?«

Die Angesprochene schüttelte den Kopf und ging zum Schrank, um sich anzuziehen. Am liebsten hätte sich Almyra auch ihre Kleidung gewechselt – und duschen wäre wundervoll gewesen. Sie hatte noch immer die dreckigen Sachen vom Vortag an, als sie im Maschinenraum gearbeitet hatte.

Es klopfte an der Tür und Clara betrat den Raum.

»Wir sind gleich da.«

»Gut, alle sollen auf ihre Position.«

»Aye.«

Clara verließ die Kajüte wieder und gab lautstark den Befehl an alle weiter. Almyra stand auf und musste sich an der Leiter des Bettes festhalten, weil ihr kurz schwarz vor Augen wurde. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder sicher auf beiden Beinen stehen konnte.

»Bin nur zu schnell aufgestanden. Wir sollten auf das Oberdeck gehen.«

»Aye.«

»Was ist los?«, fragte er verunsichert und ließ seinen Blick suchend durch die Gruppe schweifen.

»Ist etwas mit Molly? Ist sie verletzt?«

Rachel fing wieder an zu weinen und fiel John in die Arme. Er schien zu verstehen. Sein Gesicht versteinerte zu einer entsetzten Miene und Almyra konnte ihm ansehen, dass etwas in ihm zerbrach. Mit geweiteten Augen sah er sie an. Die Mechanikerin schluckte.

»Es tut mir leid. Molly hat es nicht geschafft.«

Ungläubig schüttelte John den Kopf und sah zu Clair, welche den Blick abwendete. Dann brach auch er in Tränen aus. Almyra sah in die Gruppe.

»Ihr habt vorerst Zeit für euch, aber ich will euch alle beim Mittagessen sehen.«

»Die Kinder kommen bald von der Schule. Wie soll ich ihnen nur sagen, dass ihre Mutter tot ist?«, überlegte er mit gebrochener Stimme. Almyra seufzte.

»Ich weiß es nicht.«


»Es kam zu einem Gefecht mit der Marine. Molly hat den Ballon reparieren müssen. Sie wurde angeschossen und fiel vom Ballon; sie hat uns vorher aber noch das Leben gerettet.«

John sah mit Tränen in den Augen zu Boden.

»Doch, das können wir.«

John zwang sich zu einem Lächeln, doch es sah in seinem traurigen Gesicht viel mehr aus wie eine Grimasse.

»Gut, dann also im Hochzeitskleid. Sie ist in der Schatzkammer. Ich kann sie neu ankleiden, wenn du willst.«

Panisch sah Hope in die Runde.

»Was ist mit ihr?«

Clara trat näher und sah Hope an.

»Die letzten Tage waren für sie ziemlich viel Arbeit. Wir bringen sie am besten auf ihr Zimmer und lassen sie sich ausruhen.«

Zögerlich nickte Hope.

»Ist gut. Aber was ist mit Molly?«

»Schlaf gut.«

Sie verließ den Raum und wollte etwas frische Luft schnappen. In Spanien war es so viel wärmer als die letzten Tage auf dem Flugschiff. Hope musste nur eine dünne Jacke über ihrem Top tragen und in ihren Stiefeln wurden ihre Füße beim Gehen richtig warm. Lange lief sie am Strand entlang. Eigentlich würde sie gerne im Meer schwimmen, doch dafür war es dann doch zu kalt. Etwas weiter weg konnte sie Clair erkennen, die gerade Liegestütze machte. Schnellen Schrittes näherte Hope sich der Amazone. Die beiden mussten sich dringend unterhalten. Clair schien sie aber gar nicht zu bemerken. Sie machte weiter Liegestütze. Hope räusperte sich. Überrascht sah Clair sie an und richtete sich auf.

»Ja?«

»Wie wäre es mit einem Zweikampf?«

»Das letzte Mal war ich unvorbereitet. Oder hast du Angst, dass ich mich räche?«

Darauf grinste Clair und nahm ihren Säbel zur Hand.

»Sicher nicht.«

»Es tut mir leid.«

Dennoch musste Hope grinsen. Zum einen war sie stolz darauf, so einen Treffer gelandet zu haben, zum anderen hatte es unglaublich gutgetan, Clair eine zu verpassen. Die Amazone fasste sich kurz an die Augenbraue und schaute dann auf ihre blutverschmierte Hand. Dann schmunzelte sie.

»Gut gemacht. Dein Training hat sich gelohnt.«

Hope lächelte stolz. Der Kampf war damit wohl beendet. Clair nahm sich ein Taschentuch aus der Hosentasche und drückte es sich auf die Augenbraue.

»Am besten gehe ich zu Charlotte.«

»Gut, ich komme mit.«

»Entschuldigung!«, sagte Hope hektisch und schloss die Tür sofort wieder. Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Sie war sicherlich knallrot.

»Was ist?«, fragte Clair neugierig.

»Ich hätte anklopfen sollen.«

Die Amazone blickte Hope erst verwirrt, dann aber amüsiert, an.

»Sie ist beschäftigt, ja?«

»Was ist denn los?«

Die Amazone deutete auf ihre Stirn.

»Ich denke, das muss genäht werden.«

»Komm rein, ich sehe mir das an.«

»Ein paar Stiche, dann ist alles wieder gut. Aber was hast du denn angestellt?«

Clair zuckte gleichgültig mit den Schultern.

»Hope hat mich beim Training besiegt.«

»Ihr habt euch geschlagen?«

»Wir haben trainiert! Da gibt es einen Unterschied.«

Becky lachte und steckte sich eine Zigarre an.

»Was auch immer. Hope hat dich also verprügelt? Was hast du denn gemacht, um sie so wütend zu machen? Dich an Almyra rangemacht?«

»So ähnlich, stimmt’s?«

»Ja.«

»Dass wir das mit uns verschwiegen haben, tut mir leid.«

»Schon okay. Es war nicht deine Aufgabe, es mir zu sagen. Aber wenn du sie mir wegnimmst, dann breche ich dir das nächste Mal die Nase.«

Die Amazone grinste sie an, doch dann seufzte sie.

»Ja. Ich hoffe, Almyra ist schon fit.«

»Warum, was ist mit ihr?«

»Sie hatte die letzten Tage viel zu tun. Dann geh‘ und schau nach ihr.«

»Ja.«

»Was soll’s…«

Die Navigatorin drehte sich zu den anderen und setzte sich auf einen freien Stuhl. Mollys Kinder saßen neben John und weinten. Rachel hatte das Baby auf den Arm, welches friedlich schlief. Natürlich, Klein-Clair war noch viel zu jung, um zu verstehen, dass ihre Mutter tot war. Eine der Piratinnen stand auf. Es war Almyra. Sie sah nicht gut aus, war blass und schien kaum alleine stehen zu können. Dennoch schleppte sie sich zum Sarg und sah in die Runde. Doch auch schon von ihrer Kleidung her sah sie so anders aus als sonst. Sie trug ein langes schwarzes Kleid. Ihre Haare waren hochgesteckt und ein schwarzes Netz, befestigt an einem kleinen Hut, verdeckte ihr halbes Gesicht. Im Ganzen sah sie aus wie eine schöne, trauernde Witwe. Wenn Hope sich die anderen Crewmitglieder ansah, die sich ebenfalls alle wahnsinnig Mühe mit ihren Klamotten gegeben hatten, fühlte sich die Navigatorin auf einmal so unpassend. Doch jetzt hatte sie keine Zeit mehr, das zu ändern. Almyra begann, zu sprechen.

»Wir haben uns hier versammelt, um Abschied von einem wunderbaren Menschen zu nehmen. Molly Kittiwake war eine furchtlose Kämpferin, eine gute Freundin, eine fürsorgliche Schwester, liebende Ehefrau und Mutter. Sie kämpfte für unsere Freiheit und starb viel zu früh, als sie unser aller Leben gerettet hat. Wir sollten sie immer in Erinnerung behalten, als die gutherzige und starke Frau, die sie war. Molly Kittiwake wird für immer in unseren Herzen weiterleben. Sarah wird nun ein Gebet für sie sprechen.«

Nach dem Gebet sagten manche noch ein paar Worte, ehe Molly im Garten beerdigt wurde. Danach gingen sie in das Haus und aßen zusammen Kuchen, den Isabella wohl gebacken hatte. Nur Almyra und Rachel zogen sich direkt nach der Bestattung zurück. Verständlich.

»Darf ich euch kurz etwas fragen?«

Amelia nickte.

»Klar. Was gibt’s?«

Sarah blickte auf ihr Weinglas und dachte kurz nach.

»Das hier ist vor allem für Mollys Familie. Für die meisten von uns ist die Crew die einzige Familie, die es noch gibt. Molly hat aber Kinder und einen Ehemann, die Abschied nehmen müssen.«

Die Navigatorin musste daran denken, wie schwach Almyra gewirkt hatte, als sie die Rede hielt.

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich sie nie wieder sehe. Ich habe schon so oft gedacht, dass ich sie verloren hätte. Als ihr das erste Mal in See gestochen seid und für Monate nicht mehr wieder kamt, dachte ich, die Juana sei versunken. Ich war so überglücklich, als ich das Schiff damals in der Ferne erkennen konnte.«

Clair trank einen Schluck und schaute dann zu John.

»Wir waren über ein Jahr auf dem Meer unterwegs gewesen.«

Darauf schüttelte John den Kopf.

»Verstehe.«

Alle sahen John daraufhin geschockt an. Hope hätte beinahe den Wein, den sie gerade getrunken hatte, wieder ausgespuckt. John blickte in die Runde.

»Ihr wusstet das nicht?«

Isabella setzte sich auf die Küchentheke und sah verwirrt zu John.

»Natürlich nicht. Warum hat sie das denn getan?«

Eigentlich erwartete Hope einen blöden Kommentar von Mary, doch dieser blieb aus. Die Rudergängerin trank ihren Wein in einem Zug aus und schenkte sich sofort nach. John sah Isabella traurig an.

Die Köchin legte den Kopf schief.

»Worum ging es dann?«

»Wir waren so lange voneinander getrennt. Da passieren nun einmal Ausrutscher. Eigentlich habe ich ja erwartet, dass sie mich irgendwann für Clair verlässt.«

»Mit wem hat sie dich denn betrogen?«, platzte es aus Hope heraus. Er schüttelte nur den Kopf.

John kamen Tränen.

»Danke, dass ihr sie nach Hause gebracht habt. So konnte ich wenigstens Abschied von ihr nehmen.«

Nach dem Gespräch herrschte Stille. Lange hielt Hope die gedrückte Stimmung nicht aus. Sie leerte ihr Glas und verließ die Küche. In Gedanken versunken ging sie in ihr Zimmer. Den Abend über hatte sie so viele tolle Geschichten über Molly gehört, doch nur eine war wirklich hängen geblieben.

»Habe ich etwas verpasst?«

Hope setzte sich zu Almyra ans Bett und seufzte.

»Wusstest du, dass Molly John mal betrogen hat?«

Dass Almyra sie entsetzt ansah, war eigentlich schon Antwort genug.

Almyra legte einen Arm um Hope und küsste ihre Wange.

»Ich weiß.«

Die Mechanikerin legte sich ins Bett und lächelte.

Hope grinste stolz.

»Das erzähle ich dir morgen. Jetzt schlaf erst einmal ein wenig.«

»Nur wenn du dich zu mir legst.«

»Gerne.«

956,63 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
321 стр. 52 иллюстрации
ISBN:
9783946127413
Издатель:
Правообладатель:
Автор
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