Читать книгу: «Juana - Vom Pech verfolgt», страница 3

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Albträume


»Hallo? Ist hier jemand?«

»Molly?«

Rachel folgte der Blutspur eine gefühlte Ewigkeit, ehe sie in der Ferne einen Körper liegen sah. Sie atmete tief durch. Das Schlimmste ahnend, schritt sie auf den leblosen Körper zu und tatsächlich lag Molly vor ihr. Blutüberströmt, mit einem ganz verdrehten Körper. Rachel sank vor dem leblosen Körper ihrer Schwester auf die Knie und weinte.

»Deine Schuld…«

»Deine Schuld…«

»Molly, es tut mir so leid!«

»Wäre ich nie mit dir gegangen, würde ich noch leben…«

»Es tut mir leid!«

Doch ihre Schwester reagierte nicht. Sie zerrte Rachel nur noch weiter zu sich. Blut lief ihr aus dem Mundwinkel. Rachels Herz schlug immer schneller.

»Lass mich los! Bitte Molly!«

»Deine Schuld…«

»Molly, es tut mir so leid!«

»Molly!«, kreischte sie panisch, während ihre Sicht verschwamm.

Ein Klopfen an der Tür ließ sie hochschrecken.

»Rachel? Darf ich reinkommen?«

Es war Isabellas Stimme. Leise murrte Rachel.

»Tu, was du nicht lassen kannst.«

Kurz darauf öffnete sich die Tür und die Köchin betrat mit einem Teller in der Hand das Zimmer. Diesen stellte sie auf Rachels Nachttisch ab. Missmutig blickte Rachel auf den Teller. Pfannkuchen mit Sirup und dazu ein Fruchtjoghurt. Es sah, wie alles, was Isabella kochte, sehr lecker aus. Aber sie wollte nichts essen.

»Du hast seit zwei Tagen nichts mehr gegessen. Iss wenigstens den Früchtejoghurt.«

Wütend drehte sich Rachel zu der Köchin.

»Ist alles okay bei dir?«

»Ja, natürlich«, antwortete Isabella bemüht entspannt. Doch sie war nicht sehr gut darin, ihre Gereiztheit zu überspielen.

»Und Rachel isst immer noch nicht?«

Darauf gab es eine kurze Pause.

»Nein. Vielleicht hat sie ja heute Mittag Hunger.«

Der Sarkasmus in Isabellas Stimme war nicht zu überhören, auch wenn sie versuchte, ruhig und heiter zu klingen.

Traurig musterte Rachel das Armband, das sie an ihrem rechten Handgelenk trug. Vor etlichen Jahren hatte sie zwei davon an einem Strand gefunden. In einer Holzkiste waren sie einfach vom Meer angespült worden. Für Rachel war das ein klares Zeichen des Schicksals gewesen. Sie hatte die goldenen Armbänder mit den eingeprägten Kraken so schön gefunden, dass sie sie eingepackt und das zweite davon Molly geschenkt hatte. Irgendwann hatte es sich ergeben, dass beide ihr Armband stets trugen, und es wurde für Rachel ein Zeichen dafür, dass sie immer miteinander verbunden waren.

»Deine Schuld…«


Rachel hielt sich die Ohren zu, doch Mollys Stimme drang immer noch zu ihr durch. Ihr Herz begann zu rasen und sie schnappte panisch nach Luft. Sie konnte nicht richtig atmen.

Es war beinahe so, als wäre sie wieder in ihrem Traum.

»Es tut mir Leid... Bitte…«

Niemand hörte sie. Niemand nahm sie in den Arm. Sie war alleine mit ihren Gefühlen und Träumen. Lange Zeit lag sie zusammengerollt im Bett und rammte sich ihre Fingernägel in die Oberarme, während sie versuchte, ihren Atem zu beruhigen. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Selbst danach zitterte sie noch am ganzen Körper. Ihre Hände taten weh, ihr Kopf fühlte sich an, als würde er gleich platzen und sie hatte so einen Hunger. Doch das war ihr egal.

»Es tut mir so leid….«

In ihren eigenen Schuldgefühlen versunken starrte sie das Bild an. Es war beinahe so, als würde Molly ihr direkt in die Augen sehen. Ihr Ausdruck war auch nicht mehr so glücklich wie zuvor. Irritiert sah Rachel sich das Bild genauer an und musste entsetzt feststellen, dass Mollys Kleidung sich rot färbte. Verängstigt zuckte Rachel zusammen und ließ dabei das Bild aus ihren Händen gleiten, welches klirrend zu Boden fiel. Mit aufgerissenen Augen blickte sie zum Foto. Die Scheibe vom Rahmen war durch den Sturz zerbrochen. Molly saß wieder mit Timothy auf dem Arm da und lächelte.

»Ich werde wahnsinnig…«

»Isabella hat Steak mit Brokkoli und Kartoffeln gemacht. Das ist doch dein Lieblingsessen«, sagte sie leise und setzte sich neben Rachel aufs Bett und reichte ihr einen der Teller. Die Ältere wendete den Blick ab und schüttelte den Kopf.

»Ich habe wirklich keinen Hunger.«

»Bitte, Rachel. Ich will nicht schon wieder alleine essen.«

»Gut, ich esse etwas.«

»Weißt du, Mama fehlt mir. Aber sie hätte sicher nicht gewollt, dass wir traurig sind. Sie hat doch immer alles gemacht, um uns glücklich zu machen«, erklärte Laetitia, kurz nachdem sie den letzten Bissen von dem Steak gegessen hatte. Rachel nickte, auch wenn es ihr schwerfiel, nicht an ihren Albtraum zu denken.

»Ja.«

Sie legten beide ihre Teller weg und Laetitia lehnte sich an Rachel.

»Fehlt Mama dir auch?«

»Ja. Sie fehlt mir sehr.«

Für einen kurzen Moment herrschte wieder Stille, doch diese wurde schon bald von Laetitia unterbrochen.

»Rachel? Erzählst du mir eine Geschichte von Mama?«

»Gerne.«

***

Auf dem Deck schien Almyra die Sonne direkt ins Gesicht und blendete sie. Es war offenbar schon lange Mittagszeit. Die Mechanikerin hatte ihr Zeitgefühl in den letzten Tagen komplett verloren. Sie bekam kaum mit, wann es Nacht oder Tag war und sie wusste auch nicht, wie viele Tage sie schon in ihrer Kajüte gesessen hatte. Aber wenn sie so empfindlich auf die Sonne reagierte, war es definitiv zu lange gewesen. Glücklicherweise musste sie ohnehin zu Clairs Kajüte. Dort würde es hoffentlich nicht so schrecklich hell sein. Almyra klopfte an und bekam sofort eine Antwort. Als sie die Kajüte betrat, war sie angenehm überrascht. Clair saß an ihrem Schreibtisch und hatte irgendwelche Abbildungen vor sich liegen. Doch als Almyra die Tür hinter sich schloss und sich auf Clairs Bett setzte, hatte sie die volle Aufmerksamkeit der Amazone. Eigentlich hatte Almyra damit gerechnet, dass Clair, wie sonst, wenn sie gestresst war, unzählige Liegestütze machen würde, um auf andere Gedanken zu kommen.

»Was schaust du dir an?«, fragte Almyra neugierig und schaute der Amazone über die Schulter.

»Das sind die Konstruktionen von den Gurten. Du weißt schon…«

»Die Gurte hätten Mollys Leben retten können«, murmelte Clair betrübt und senkte dabei den Blick.

»Es war dumm von ihr, sich nicht mehr abzusichern. Aber beim Kampf gegen die Marine hätte es uns wertvolle Sekunden gekostet.«

»Wir sollten das aber wieder machen. Das Absichern.«

»Ja.«

Mit den Plänen in der Hand setzte Almyra sich wieder auf das Bett.

»Clair, wir müssen über etwas reden, was dir nicht gefallen wird«, wechselte Almyra das Thema und bekam nun die volle Aufmerksamkeit der Amazone.

»Ach, ja?«

Almyra nahm sich einen Moment, um zu überlegen, wie sie das Folgende sagen sollte.

»Im letzten Jahr haben wir drei Crewmitglieder verloren. Wir haben jetzt zwar Hope in der Crew und auch die Geschützmannschaft ist wieder vollzählig, aber... naja…«

»Clair, wir brauchen jemanden, der den Ballon reparieren kann.«

Genervt rollte Almyra mit den Augen.

Resigniert lehnte Clair sich an ihren Stuhl an und sah Almyra an.

»Und wie hast du dir das vorgestellt? Du weißt selbst, wie schwer es ist, jemanden zu finden, der so spezialisiert ist und dann auch noch bei einer Piratencrew anheuern will. Selbst Molly hat Jahre gebraucht, um genau zu wissen, was sie tun muss.«

»Was willst du also machen, Käpt’n?«

»Wir fliegen nach England«, erwiderte sie knapp. Man konnte Clair ansehen, dass sie diese Antwort nicht erwartet hatte. Die Amazone fiel vor Schreck beinahe vom Stuhl.

»Was?! Weißt du, was du da gerade sagst? Wir werden in England gesucht!«

Erzürnt sah Clair Almyra an.

Schmunzelnd erwiderte Almyra den Blick.

»Natürlich. Ich weiß sogar schon ihren Namen.«

Perplex weitete Clair die Augen und legte den Kopf schief.

»Was?«

Es dauerte einen Moment, bis sie eine Antwort bekam. Clair dachte angestrengt nach, schien sich dann aber tatsächlich erinnern zu können.

»Natürlich. Die Kleine kam jeden Tag vorbei und wollte Molly unbedingt helfen. Aber sie war damals doch noch so jung.«

Skeptisch hob Clair eine Augenbraue.

Ungläubig schüttelte Clair den Kopf.

»Das ist etwas zu viel des Guten. Du willst mir also gerade erzählen, dass ein Mädchen, das vor sechs Jahren bei uns mitmachen wollte, plötzlich vor Owens Tür stand und jetzt darauf wartet, dass wir sie abholen? Du hast doch völlig den Verstand verloren!«

»Und wenn du so überzeugt davon bist, warum musst du das dann noch mit mir besprechen?«, wollte Clair auf einmal wissen. Ertappt wendete Almyra den Blick ab und schwieg einige Minuten. Irgendwann wurde es Clair wohl zu blöd.

»Ich habe nicht vor, Spanien als Käpt’n zu verlassen. Es ist einfach zu anstrengend, wenn man außerdem noch andere Aufgaben zu erfüllen hat. Mir wäre es lieber, wenn du den Befehl geben würdest, nach England zu fliegen.«

»Was?«

Von ihren eigenen Gedanken genervt schüttelte Almyra den Kopf. Es ging sie überhaupt nichts an, was zwischen Becky und Charlotte lief und solange die Kanonierin glücklich war, war es ohnehin völlig egal. Die Mechanikerin sollte sich eher auf ihre eigene Beziehung konzentrieren. Auch wenn sie sich wieder vertragen hatten, hatte Hope sich kaum bei Almyra blicken lassen. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass sie Almyra etwas Ruhe gönnen wollte.

Als die Mechanikerin bemerkte, dass die Sonne unterging, lief sie zurück zu Johns Grundstück. Bevor sie aufbrachen, wollte sie unbedingt noch einmal zu Mollys Grab. Es war wirklich schön hergerichtet. Überall lagen Blumensträuße und Kerzen erleuchteten alles. Es hätte Molly sicherlich gefallen.

»Keine Sorge Molly, wir passen auf deine Schwester auf.«

»Hey.«

Überrascht blickte die Navigatorin sie an, lächelte dann aber auch.

»Hey. Geht es dir besser?«

»Ja, ich denke schon.«

Almyra nahm Hopes Hand und drückte sie etwas. Die Navigatorin hatte ihr unglaublich gefehlt.

John sah zu Clair und reichte ihr die Hand.

»Ihr seid immer herzlich willkommen.«

»Wir sehen uns bald wieder.«

»Wo soll es hingehen, Käpt’n?«

Almyra war erleichtert, dass die Nachricht, dass Clair nun wieder das Kommando hatte, wohl bis zu Clara durchgedrungen war. Das ersparte viel Arbeit. Neugierig beobachtete die Mechanikerin, wie Clair nachdachte. Dabei sah die Amazone irgendwann entschlossen zu Almyra.

»Wir fliegen nach England. Nach Plymouth um genau zu sein. Wir haben Owen lange nicht mehr besucht.«

Clara und Amelia blickten den Käpt’n sehr überrascht an, nickten dann aber. Die Asiatin zog Hope zu sich.

»Du kümmerst dich um eine Route.«

»Klar.«

Owen


Vorgängerin schlau zu werden. Doch mittlerweile verstand sie, wie sie die Karten zu lesen hatte. Sie gab die Route an Amelia weiter und blickte dann fragend zu Clair.

Aber warum wollten sie denn jetzt auf einmal zu diesem Owen? Clair blickte Hope an und schmunzelte.

»Owen ist Felicias Vater«, war ihre knappe Antwort.

»Felicias Vater? Achso…«

Sie wusste nicht wieso, aber Hope war immer davon ausgegangen, dass niemand außer Molly noch irgendwo Familie hatte. Die Crew war für die Meisten die einzige Familie, hatte Sarah ihr gesagt. Wenn Hope so darüber nachdachte, wusste sie von den meisten so gut wie nichts.

»Soll ich dann direkt eine Route einzeichnen?«

»Nein. Wir gehen trainieren.«

Verwirrt folgte Hope der Amazone unter Deck.

»In den Trainingsraum.«

Verwirrt folgte die Navigatorin ihrem Käpt’n und sah sich dabei in den Gängen um, als wäre es ihr erster Tag auf dem Schiff.

»Wusstest du das nicht?«

»Wow.«

Einige Crewmitglieder waren hier und hantierten mit den Geräten. Es war schon beeindruckend, zu sehen, wie viel Becky stemmen konnte. Andererseits schüchterte es Hope auch ein. Bestimmt würde sie sich jetzt hier blamieren.

»Wie viele Liegestütze schaffst du?«

»Was? Ich weiß nicht…«, wisperte Hope verlegen und sah peinlich berührt zu Boden. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals Liegestütze gemacht zu haben. Clair drehte sich zu ihr um und nickte.

»Okay, dann mach einfach mal so viele, wie du schaffst«, sagte sie in ruhigem Ton und einem amüsierten Lächeln auf den Lippen. Hope kniete sich unsicher auf den Boden und blickte sich um. Sie wollte sichergehen, dass außer Clair wirklich niemand zusah.

»Damit kann man doch arbeiten. Mach kurz eine Pause und mach dann die nächsten.«

»Du hast ja doch endlich mal hier her gefunden«, bemerkte Almyra in einem amüsierten Tonfall.

»Ja. Warum hast du mir nie von dem Raum erzählt?«

Doch Almyra zuckte nur die Schultern und antwortete, »Habe ich doch. Ist doch nicht meine Schuld, wenn du mir nicht zuhörst.«

Clair kam zu den beiden und blickte zu Hope.

»Du solltest langsam weitermachen.«

»Ja, natürlich.«

»Das sieht doch schon ganz gut aus.«

Hope atmete erleichtert durch, doch dann hörte sie Almyras Stimme.

»Soll das dein Ernst sein? Komm schon Hope, du schaffst doch wohl mindestens zehn Liegestütze.«

Erschrocken sah Hope ihre Geliebte an.

»Du hast mich schon gehört. Nochmal zehn Liegestütze!«

»Almyra, es reicht doch wohl, wenn sie so viel macht, wie sie schafft.«

»Ich sagte doch, dass du das kannst. Man darf bei sowas nicht schon aufhören, sobald es etwas schwieriger wird.«

Hope antwortete nicht, sondern schnappte nur weiter nach Luft. Wer hätte gedacht, dass Almyra beim Training so eine Tyrannin sein konnte? Clair machte währenddessen unbeirrt weiter Liegestütze. Sicherlich hatte sie jetzt schon fünfzig oder sechzig geschafft. Almyra folgte Hopes Blick.

»Ach, das ist doch gar nichts. Sie trainiert ja auch schon seit sie ein Kind ist. Ihr eigenes Gewicht ist kein Problem. Aber pass mal auf.«

Mit diesen Worten stand Almyra auf und setzte sich einfach auf Clairs Rücken. Diese wurde augenblicklich wackeliger.

»Almyra, verdammt!«, fluchte Clair laut, »geh sofort runter von mir!«


»Du wiegst sicher `ne Tonne! Wie soll man mit dir auf dem Rücken Liegestütze machen?!«

»Du bist einfach nur zu schwach. Komm Hope, du hast genug gemacht.«

Irritiert sah Hope die Mechanikerin an.

»Komm schon.«

Hope trocknete sich ab und verließ mit dem umgewickelten Handtuch das Bad. In ihrer Kajüte zog sie sich etwas über und ließ sich auf ihr Bett fallen. Wie oft würde sie sich an dem Tag denn noch blamieren?

Kurz nach ihr betrat Almyra den Raum und setzte sich zu Hope ans Bett.

»Ist bei dir alles in Ordnung?«

Murrend drehte Hope ihr den Rücken zu.

»Das war einfach nur peinlich«, murmelte sie leise und schlug sich die Hände vors Gesicht. Sie spürte, wie Almyra ihr durchs Haar strich.

»Ist doch halb so schlimm.«

Almyra legte sich hinter sie und legte einen Arm um Hope.

»Mach dir nicht immer gleich so viele Gedanken. Wir sind doch alle erwachsen.«

Als Hope darauf nicht antwortete, drehte Almyra sie mit einem Ruck auf den Rücken und setzte sich auf ihren Schoß. Überrascht sah Hope die Ältere an, die ihr Handtuch löste und zur Seite fallen ließ.

»Jetzt sind wir ja alleine. Wenn du also schauen magst…«

»Du bist so wunderschön.«

Doch es gab auch noch etwas anderes, was sie bedrückte, wenn sie, wie jetzt, erschöpft in den Armen ihrer Geliebten lag.

»Almyra?«, wisperte sie leise.

»Ja?«

»Willst du nicht auch mal… ich meine… Also… du warst bisher immer oben und es ist auch toll, aber willst du nicht…«

Hope schaffte es nicht, den Satz vernünftig auszusprechen, doch Almyra schien zu verstehen. Sie küsste Hopes Stirn und sah ihr dann in die Augen.

»Wann immer du dazu bereit bist, Hope.«

»Du willst das aber nicht jetzt sofort ausprobieren, oder?«

»Nein… doch… ich weiß nicht.«

Hope fühlte sich richtig dämlich. Dass Almyra lachte, machte es nicht besser.

Neugierig blickte Hope ihre Geliebte an.

»Warum denn? Ich habe immer gehört, dass es in England toll ist.«

»In England gibt es keinen Krieg. Frauen und Männer sind gleichberechtigt und außerdem gibt es für jeden Arbeit.«

»Das klingt wirklich toll. Was weißt du über die Regierung?«

»Das meinte ich eigentlich nicht«, unterbrach Almyra sie, »weißt du, was das für Menschen sind, der König und die Minister?«

Hope schüttelte verwirrt ihren Kopf.

»Nein, ich kenne sie doch gar nicht.«

»Wie ist es in England denn so? Worauf muss ich mich einstellen?«

Hope sah ihre Geliebte fragend an.

»Was? Warum denn nicht?«

Die Mechanikerin seufzte leise.

Hope konnte erst gar nicht glauben, was sie da hörte.

»Aber es ist doch gar keine Geisteskrankheit, oder?«, fragte Hope geschockt. Sie war doch nicht krank, nur weil sie Almyra liebte! Die Mechanikerin lächelte leicht.

»Natürlich nicht.«

»Ich verstehe das nicht. Wieso sollte man es als krank werten, wenn es doch gar nicht stimmt?«

Hope ließ Almyra nicht weiter sprechen.

»Er setzt sein Volk unter Drogen?!«, platzte es aus ihr heraus. Almyra sah sie daraufhin perplex an.

»Du wusstest das nicht?«

»Nein, woher soll ich das denn wissen?«

»Willst du wirklich wissen, was genau passiert ist?«

»Ja.«

Wieder herrschte für einen Moment Stille, bis Almyra tief durchatmete.

Erschrocken sah Hope die Mechanikerin an.

»Wie bitte?!«

Skeptisch hob Hope eine Augenbraue.

»Und dann wollten sie, dass du das Volk unter Drogen setzt und du hast es gemacht, oder wie?«

Almyra seufzte schwer.

»Ich hätte der Regierung nie vertrauen sollen. Direkt nachdem ich meine Ergebnisse abgeschickt hatte, habe ich mich auf ein anderes Themengebiet spezialisiert. Die Psychologie… es war nichts für mich… Im Normalfall dauert es Jahre, bis ein Medikament auf den Markt kommt. Meines war nach wenigen Wochen schon in der Dauerproduktion. Natürlich hat mich das stutzig gemacht, aber meine Schwester meinte nur, dass Dinge eben schneller ihren Lauf nehmen, wenn man mit der Regierung zusammenarbeitet.«

Hope legte ihren Kopf schief und sah Almyra erwartungsvoll an. Bisher hatte Almyra doch noch nichts Schlimmes gemacht.

»Woher weißt du das?«

Während Almyra erzählte, legte sie sich eine Hand auf die Wunde zwischen ihren Brüsten. Hope brauchte einen Moment, um die Information zu verarbeiten. Es ratterte in ihrem Kopf, bis endlich zu ihr durchgedrungen war, was ihre Geliebte ihr gerade berichtet hatte.

»Deine Schwester? Sie hat…«, schaffte Hope es nicht einmal, auszusprechen, was gerade in ihrem Kopf vorging.

»Wie du siehst habe ich überlebt«, sprach Almyra weiter, »aber darum geht es gerade auch gar nicht. Ich habe das Medikament hergestellt, das die Regierung jetzt benutzt, um das Volk zu manipulieren.«

Hope streichelte Almyras Wange.

»Du wurdest hintergangen.«

»Ich war naiv genug, ihnen zu glauben.«

»Du bist nicht schuld daran.«

Vom Flur konnte sie Claras Stimme hören, die sagte, dass sie bald landen würden. Warum ausgerechnet jetzt? Almyra drückte Hope sanft weg und stand auf.

»Wir sollten auf unsere Positionen.«

»Ja.«

Sie standen auf und zogen sich noch die restliche Kleidung über. Bevor Almyra die Kajüte verlassen konnte, küsste Hope die Ältere noch einmal innig und lächelte aufmunternd.

»Ich liebe dich.«

Almyra erwiderte das Lächeln.

»Ich liebe dich auch.«

»Ist dir die Luft hier noch nicht ungesund genug«, fragte sie die Rothaarige mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Clara blickte zu ihr, blies den Zigarettenrauch aus und zuckte mit den Schultern.

»So etwas wie ›ungesund genug‹ gibt es nicht«, antwortete sie in so einem ernsten und ruhigen Tonfall, dass jemand, der die Rothaarige nicht kannte, wohl den Sarkasmus gar nicht herausgehört hätte. Felicia grinste und sah wieder von der Reling. Die Sonne schaffte es ab und an durch die Wolkendecke und sorgte dann dafür, dass es warm wurde. Felicia merkte, wie jemand auf sie zukam und drehte sich erneut um. Vor ihr stand Sarah. Sie trug eines ihrer schönen blauen Kleider und darüber einen gewaltigen Schal als Überwurf. Molly hatte ihn vor ein paar Jahren für Sarah gestrickt. Obwohl Sarah sich, wie jeden Tag, geschminkt hatte, war ihre Nase rot von dem Schnupfen, den sie seit Russland mit sich herumschleppte. Doch das hinderte die blonde Frau nicht daran, wie jeden Tag atemberaubend schön zu sein. Sarah blickte Felicia an und seufzte.

»Felicia, du solltest dir etwas Wärmeres anziehen«, sagte sie mit leicht verschnupfter Stimme, »sonst wirst du wieder krank.«

Die Angesprochene wusste, dass Sarah damit auf die Blasenunterkühlung anspielte, die Felicia erst vor kurzem losgeworden war. Es war einfach schrecklich gewesen. Sie hatte die ganze Zeit auf Toilette gemusst und deswegen auf dem Deck und in Spanien im Haus bleiben müssen. Ganz besonders unangenehm war das bei Mollys Bestattung gewesen, als Felicia sich zweimal ins Haus hatte schleichen müssen, um auf Toilette zu gehen. Eine gefühlte Ewigkeit hatte sie lange Hosen und Oberteile getragen, was sie in ihren Bewegungen eingeengt hatte. Jetzt, wo es wärmer war, hatte sie sich endlich wieder etwas Normales angezogen. In ihrer kurzen Lederhose und dem bauchfreien Oberteil war ihr auch nicht kalt. Sie verschränkte die Arme.

»Ich brauch nichts Wärmeres. Mir geht es gut.«

»Aber du wirst nur wieder krank«, entgegnete die hübsche Frau.

Felicia schimpfte vor sich hin. Ganz kampflos wollte sie nicht aufgeben.

»Ich habe gar keine langen Klamotten und ich will jetzt auch nicht mehr nach Becky suchen.«

»Clair hat selbst nur ein einziges langes Hemd, aber eine Hose kann sie dir geben.«

»Sarah, ich…«, begann Felicia, doch als sie Sarah sah, wie sie ihr die Hose entgegenhielt und dabei bittend schaute, konnte sie gar nicht anders, als die Hose zu nehmen und sie sich seufzend über ihre eigene Kurze zu ziehen. Sarah lächelte zufrieden, doch sie schien sich immer noch an etwas zu stören.

»Du brauchst noch ein warmes Oberteil«, bemerkte sie besorgt. Sie schien einen Moment zu überlegen und begann dann auf einmal, zu Felicias Überraschung, sich des langen Schals zu entledigen. Als sie ihn ihr umlegen wollte, trat Felicia einen Schritt zurück.

»Bitte, ich hab Owen versprochen, dass ich auf dich aufpasse. Du musst den Schal ja nur für den Weg tragen.«

Und dann kam Sarah mit dem einen Satz, der Felicia komplett entwaffnete.

»Bitte, Felicia, für mich.«

Augenblicklich waren alle Einsprüche vergessen und Felicia nickte leicht.

»Na gut, aber nur, weil du es bist.«

Sarah legte Felicia den Schal um und lächelte glücklich.

»Danke. Dann hole ich mir noch eine Jacke.«


»Ich war noch nie in England,« begann sie, herumzudrucksen, »wäre… naja.. wäre es für dich in Ordnung, wenn ich mitkomme?«

Darum ging es also.

»Natürlich darfst du mitkommen.«

Hope strahlte und hastete dann, ein glückliches ›danke‹ sagend, unter Deck. Belustigt schaute Felicia zu Sarah, die amüsiert kicherte.

»Sie geht durch die Speisekammer von Bord.«

»Achso…«

Felicia hatte ganz vergessen, dass Hope Höhenangst hatte. Kaum war Hope unter Deck, kam Clair auf Felicia und Sarah zu.

»Die Crew wird nur dringendste Besorgungen machen und ansonsten hier auf euch warten. Ich weiß, du hast deinen Vater lange nicht gesehen, aber es ist wichtig, dass ihr spätestens heute Abend wieder hier seid. Wir können es uns nicht leisten, länger in England zu sein, als wir müssen.«

»In Ordnung.«

Jemand hielt ihr Handgelenk fest, was Felicia aus den Gedanken riss. Sie drehte sich zu der Person, bereit, zuzuschlagen, doch da war kein Angreifer. Es war Sarah, die sie festhielt und dabei besorgt schaute.

»Sarah, was ist?«, fragte sie, ehe sie sich umsah.

»Wir sind da. Felicia, ist alles…«, doch die Zahlmeisterin redete nicht weiter, sondern sah kurz zu Hope und versuchte dann, ihre Sorge hinter einem Lächeln zu verbergen.

»Die Häuser sehen sich alle so ähnlich. Aber wir sind schon bei Nummer 69.«

Felicia brauchte einen Moment, um sich wieder zu sammeln. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie beinahe an dem Haus, in dem ihr Vater eine Wohnung hatte, vorbeigegangen wäre.

»Oh… ja…. Stimmt«, stammelte Felicia. Sie klingelte bei ›O’Conner‹ und kurz darauf surrte es an der Tür und Felicia drückte sie auf. Sie hatte das Gefühl, dass das Treppenhaus jedes Mal, wenn sie hier war, enger wurde. Sie ging voran und hörte hinter sich Hopes enttäuschte Stimme.

»Das ist also England?«, fragte sie betrübt.

»Es ist nicht überall so. Wir können uns ja später mal etwas in der Stadt umsehen«, antwortete Sarah in dem Versuch, Hope etwas aufzuheitern.

»Gerne!«

Die Wohnungstür stand schon offen und als Felicia hineinging, sah sie direkt ihren Vater, der im Flur auf sie wartete und glücklich lächelte. Mit einem Mal waren alle ihre Sorgen vergessen und sie ging hastig zu ihrem Vater, um ihn zu umarmen. Ihr Vater drückte sie an sich.

»Ihr werdet beide ja immer hübscher! Habt ihr auch gut aufeinander aufgepasst?«

»Wir haben es zumindest versucht«, begann Sarah, »aber manchmal macht Felicia es einem echt schwer.«

»Ich bin Owen, Felicias und Sarahs Vater.«

Felicias Vater ignorierte das wie so oft und schloss die Tür hinter Hope.

»Kommt doch ins Wohnzimmer! Ich will euch ein paar Leute vorstellen.«

»Hallo, mein Name ist Kanika! Seid ihr hier, um mich abzuholen?«

Sie redete so schnell, dass es Felicia schwerfiel, sie zu verstehen.

»Genau«, antwortete Sarah ruhig, »ich weiß nicht, ob du dich noch an uns erinnerst. Mein Name ist Sarah, das ist Felicia und das«, dabei deutete sie auf die Navigatorin, »ist Hope. Sie war damals noch nicht in der Crew.«

Kanika nickte eifrig und strahlte so sehr, dass sie der Sonne Konkurrenz hätte machen können.

»Es freut mich so, dass ich endlich mitkommen kann!«

Felicias Vater räusperte sich und bekam so die Aufmerksamkeit der vier Frauen. Neben ihm stand der Mann, der nervös das Gewicht von einem auf das andere Bein verlagerte.

»Das ist Jeff, mein Freund.«

Ihr Vater wendete den Blick ab und brauchte einen Moment, bis er antwortete.

»Ich wollte nicht, dass du es über einen Brief erfährst. Du solltest ihn persönlich kennenlernen.«

Felicia nickte und musterte Jeff. Es trat eine lange Stille ein, die von Sarahs sanfter Stimme unterbrochen wurde.

»Ich würde mich mit Hope gerne etwas in der Stadt umsehen. Kanika, möchtest du uns begleiten?«

»Erzählt mir alles.«

956,63 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
321 стр. 52 иллюстрации
ISBN:
9783946127413
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
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