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Ein radikales Signal: Der positive Einfluss der freien Radikale

Nach diesem umfangreichen Exkurs können wir uns wieder der Antwort auf die ursprüngliche Frage zuwenden: Warum brauchen die Mitochondrien überhaupt noch Gene? Nehmen wir einmal an, in einer Zelle gäbe es 1 000 Mitochondrien. Jedes davon besäße rund 10 000 Elektronentransportketten. Nun hätte eines dieser Mitochondrien nicht genug Komplex IV, das letzte Transportmolekül in der Kette. Daraufhin wird in diesem speziellen Mitochondrium die oxidative Phosphorylierung langsamer, und die Elektronen in der Kette stauen sich. Nun entwischen die Elektronen und bilden freie Superoxidradikale. Damit besteht die Gefahr, dass dieses Mitochondrium irreparabel geschädigt wird. Die logische Lösung wäre, mehr Komplex IV zu codieren. Doch wie soll das Mitochondrium signalisieren, dass es mehr Komplex IV braucht? Das Signal scheinen die freien Radikale selbst zu sein. Sie können zwar großen Schaden anrichten, aber auch die Aktion der redox-sensitiven Transkriptionsfaktoren steuern, die aktiviert werden, sobald Oxidationen durch freie Radikale stattfinden. Diese Transkriptionsfaktoren gehen nun ihrerseits daran, die Genaktivität zu verändern, damit mehr Komplex IV codiert wird.

Nun stellen Sie sich vielleicht die Frage: „Woher weiß die Zelle, dass dieses freie Radikal das Signal ist, dass mehr Komplex IV gebildet werden sollte?“ Schließlich kann auch ein geringer Energiebedarf oder eine Sauerstoffunterversorgung zur Entstehung von freien Radikalen führen, und dann würde die Herstellung neuer Komplexe nicht weiterhelfen. Dieses Wissen gewinnt die Zelle, indem sie die Botschaft des freien Radikals in den entsprechenden Kontext setzt, so wie wir Menschen es in jedem Gespräch vornehmen. Wir können eine Botschaft nur dann richtig interpretieren, wenn noch weitere Informationen vorliegen, in diesem Fall zum Beispiel die ATP-Mengen. Wenn zu wenig Komplex-IV-Einheiten vorhanden sind, geht der ATP-Spiegel zurück (die Elektronentransportkette staut sich, weil die Elektronen zu langsam abfließen). Die erzeugten freien Radikale würden demnach im Einklang mit einem niedrigen ATP-Spiegel so interpretiert werden, dass die Transkriptionsfaktoren die Gene für die Komplex-IV-Produktion aktivieren. Entdeckt die Zelle hingegen einen hohen ATP-Spiegel, so würde der Zuwachs an freien Radikalen eher darauf hindeuten, dass der Protonengradient verringert werden sollte. Dann sollten vielleicht mehr Entkopplungsproteine erzeugt werden, wozu wir später noch kommen.

Nehmen wir nun an, alle Gene säßen im Zellkern. Die Botschaft, dass freie Radikale vorliegen, trifft ein, und der Zellkern bestellt mehr Komplex IV. Dann bindet er diese neuen Proteine an andere Proteine (als Adressaufkleber sozusagen), damit sie wieder in das Mitochondrium gelangen. Ein solches „Adressprotein“ kann den Proteinen jedoch nur mitteilen, dass sie in ein Mitochondrium gehören. Sie würden nicht erfahren, welches spezifische Mitochondrium den neuen Komplex IV benötigt.

Das ist, als ob ich jemandem in einer anderen Stadt ein Päckchen schicke. Ohne die genaue Adresse ist die Chance sehr gering, dass das Päckchen diese Person erreicht. Wenn wir nun berücksichtigen, dass die Mitochondrien sich ständig verändern (sie werden abgebaut, teilen sich durch Fission oder verschmelzen durch Fusion miteinander), wäre dieses System nicht sonderlich effizient – nicht einmal wenn der Kern das frisch konstruierte Protein mit einer konkreten Adresse versehen würde. Denn die Adresse wäre womöglich gar nicht mehr vorhanden.

Damit würden all diese neuen Komplex-IV-Einheiten gleichmäßig über alle 1 000 Mitochondrien in der Zelle verteilt werden. Das Mitochondrium, das sie braucht und welches das ursprüngliche Signal gesendet hat, bekommt nicht annähernd genug Komplex IV. Die übrigen hingegen erhalten zuviel davon (und schicken dem Kern ihrerseits die Botschaft, dass er aufhören soll, noch mehr Komplex IV zu erzeugen). Die Probleme liegen auf der Hand. Die zentrale Botschaft lautet: Wenn die Mitochondrien ihr Schicksal nicht selbst steuern können, hat irgendwann die gesamte Zelle Probleme mit der Energieproduktion.

Betrachten wir nun dasselbe Szenario; diesmal aber liegen die Gene für Komplex IV im Mitochondrium (was der Realität entspricht). Sobald das Signal „freies Radikal“ mehr Komplex IV verlangt, gelangt es ohne Umwege zur mtDNA, die praktischerweise in unmittelbarer Nachbarschaft zum Entstehungsort dieses Signals liegt. Damit kann auch die Reaktion sehr prompt erfolgen. Die lokal gespeicherten Gene weisen die Ribosomen im Mitochondrium an, mehr Komplex IV herzustellen, der dann sofort in die Elektronentransportkette eingepasst wird, den Elektronenstau auflöst und wieder eine effiziente oxidative Phosphorylierung ermöglicht. Umgekehrt bliebe auch die Botschaft, dass jetzt genug Komplex IV vorliegt, im Mitochondrium selbst und würde eine sofortige Reaktion auslösen.

Diese schnelle lokale Reaktion liefe in jedem der über 1 000 Mitochondrien der Zelle ab. Manche bräuchten mehr Komplex I, andere mehr Komplex III, wieder andere eine Entschärfung ihres Protonengradienten. Einerseits ist es also extrem aufwendig für die Zelle, die zehntausendfachen Kopien der mtDNA zu erhalten; andererseits wäre die Alternative (nur eine Kopie im Zellkern) am Ende weitaus kostspieliger und schädlicher.

Gestatten Sie mir einen letzten Abstecher in die Reaktionsketten: Die Atmungskomplexe bestehen aus einer Reihe separater Proteinuntereinheiten. Nicht jede dieser Untereinheiten wird von der mtDNA codiert. Von den insgesamt 74 verschiedenen Untereinheiten (46 in Komplex I, 4 in Komplex II, 11 in einem Komplex-III-Dimer und 13 in Komplex 4) werden ganze 13 von der mtDNA codiert. Der Rest stammt von den Genen im Zellkern. Die Komplexe der Elektronentransportkette setzen sich aus Proteinen zusammen, die von zwei verschiedenen Genomen codiert werden.

Wie aber kann dann ein Mitochondrium, das nur einen Bruchteil der erforderlichen Gene für den gesamten Komplex der Elektronentransportkette besitzt, selbstständig agieren? Offenbar bilden sich die Atmungskomplexe um einige entscheidende Untereinheiten herum. Sobald diese wichtigen Untereinheiten in der inneren Mitochondrienmembran eingebettet sind, ziehen sie die restlichen Untereinheiten geradezu magnetisch an, wobei sich diese wie von selbst passend zusammenfügen. Genau diese entscheidenden Untereinheiten werden glücklicherweise von den mt-Genen selbst codiert, und so behält das Mitochondrium die Oberhoheit über die Anzahl der neu gebildeten Komplexe.

Da eine Zelle ständig Hunderte bis Tausende an Mitochondrien besitzt, dürfte die Gesamtzahl dieser entscheidenden Untereinheiten in der inneren Mitochondrienmembran relativ konstant bleiben. Die nukleären Gene und die Gesamttranskriptionsrate sollten somit ebenfalls einigermaßen konstant bleiben. Damit können die individuellen Mitochondrien ihre jeweilige oxidative Phosphorylierung im eigenen Tempo betreiben, wohingegen der Zellkern die Gesamtrate der Energieproduktion in der Zelle aussteuert.

Interessanterweise werden alle Proteinuntereinheiten in Komplex II (der aus nur vier Untereinheiten besteht) von den nukleären Genen codiert. Das ist jedoch kein Gegenargument für die bisherigen Überlegungen, weil Komplex III von Komplex I und Komplex II Elektronen erhält. Wenn ein Mitochondrium nur die Produktion der Komplexe I, III und IV im eigenen Tempo steuert, kann es das Tempo der oxidativen Phosphorylierung dennoch weitgehend selber bestimmen. Bedenkt man ferner, dass Komplex II der einzige Komplex ist, der keine Protonen pumpt, so erscheint es wahrscheinlich, dass die Gene für alle vier Proteinuntereinheiten in Komplex II irgendwann im Verlauf der Milliarden Jahre unserer Evolution auf den Nukleus übertragen wurden, um die genetische Last ein wenig zu verringern und etwas mehr genetische Effizienz zu gewinnen.

Mitochondrienmutationen: Der Anfang vom Ende

Mit der Zeit sammeln sich auf der mtDNA immer mehr Mutationen an. Wenn nicht zufällig eine neue Mutation die alte Sequenz wiederherstellt oder diese durch eine Rekombination mit einem ursprünglichen DNA-Strang kopiert wird, geht die ursprüngliche Sequenz unwiederbringlich verloren. Fehlinformationen auf den Genen führen zu fehlerhaften Proteinen, die nicht so funktionieren, wie sie sollten.

Sobald die Mutationen Teile der vielen Proteineinheiten in der Elektronentransportkette der Mitochondrien betreffen, werden mehr Elektronen frei. Dadurch entstehen mehr freie Radikale, und die Situation kann schnell eskalieren. Es ist leider keineswegs unwahrscheinlich, dass die freien Radikale die Gene für die Transportmoleküle schädigen. Schließlich liegt die mtDNA unmittelbar neben dem Hauptentstehungsort der freien Radikale. Zudem fehlt der mtDNA die Proteinhülle, die sich schützend um die nDNA legt. Die mtDNA kann sich nur sehr eingeschränkt selbst reparieren und hat keine Junk-DNA, sondern die Gene sind dicht gepackt, sodass sich jegliche Mutation negativ auswirken dürfte. Damit ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Gene Schaden nehmen, der sich auf die Funktion der Transportkette und die oxidative Phosphorylierung auswirkt.

Ein radikales Todessignal

Rein intuitiv müsste die Entstehungsrate von freien Radikalen mengenmäßig mit dem Tempo der Zellatmung zusammenhängen. Das ist jedoch ein Trugschluss. Natürlich wirken diverse Faktoren auf die Leckagerate ein, die auch zur Zellatmungsrate beitragen, darunter Energiebedarf und -umsatz, Entkopplung und andere. Am Ende jedoch kommt es darauf an, ob Elektronen (und Sauerstoff) verfügbar sind.

Die Hauptursache für Schäden an den Mitochondrien sind freie Radikale, die in den Mitochondrien selbst entstehen. Laut aktuellen Forschungsergebnissen geht die Bildung von freien Radikalen mehrheitlich von den Komplexen I und III aus. Komplex I scheint freie Radikale zu produzieren, wenn der vorhandene Treibstoff den Bedarf überschreitet, und Komplex III scheint freie Radikale zu erzeugen, wenn ATP nicht schnell genug verbraucht wird.

Bei einer normalen oxidativen Phosphorylierung werden 0,4 bis 4,0 Prozent des Sauerstoffs in den Mitochondrien in freie Superoxidradikale umgewandelt. Dieses Superoxid wird durch Superoxid-Dismutase zu Wasserstoffperoxid (H2O2). Wasserstoffperoxid wiederum wird über Glutathion-Peroxidase (ein wichtiges antioxidierendes Enzym des Körpers) oder Peroxiredoxin III in Wasser verwandelt. Können diese Enzyme die freien Superoxidradikale jedoch nicht schnell genug zu Wasser abbauen oder steigt die Superoxiderzeugung aus dem einen oder anderen Grund stark an, kommt es vermehrt zu oxidativen Schäden in den Mitochondrien.

Im Laborversuch schädigt Superoxid das Eisen-Schwefel-Zentrum in der Einheit Aconitase. Dabei wird Eisen frei, das mit H2O2 zu Hydroxyl-Radikalen reagiert. Außerdem entsteht über die mitochondriale NO-Synthase Stickoxid (NO), das aus dem Zytosol ebenfalls frei in die Mitochondrien diffundiert. NO reagiert mit Sauerstoff zu Peroxynitrit, einem weiteren freien Radikal. Diese Radikale (und andere) können den Mitochondrien und anderen Zellkomponenten zusammen großen Schaden zufügen.

All dies geschieht jedoch nur, wenn sowohl Treibstoff als auch Sauerstoff vorhanden sind. Wie wäre das demnach bei einem Menschen in einem Entwicklungsland, in dem gerade eine Hungersnot herrscht? Dieser Mensch hätte mangels Nahrung kaum Elektronen, die die Elektronentransportkette passieren könnten. Selbst wenn reichlich Sauerstoff vorhanden ist, können kaum freie Radikale entstehen, weil zu wenig Elektronen vorliegen.

Und was wäre umgekehrt mit einem gut genährten, intensiv trainierenden Spitzensportler? Seine Muskeln bekämen reichlich Treibstoff, hätten aber auch einen hohen Energiebedarf. Die Elektronen fließen gleichmäßig über die Transportkette zum Sauerstoff, und da das ATP ständig verbraucht wird, treten kaum Elektronen aus.

Doch was ist mit einer gut genährten Person mit sitzender Lebensweise? In diesem Fall bekommen die Mitochondrien jede Menge Treibstoff, aber die Zellen verbrauchen das erzeugte ATP nicht. Der ATP-Spiegel bleibt hoch, der Umsatz gering. Bei einem derart niedrigen ATP-Bedarf stauen sich in den Transportketten überschüssige Elektronen an. Es ist viel Sauerstoff vorhanden, und es gibt viele reaktionsfreudige Elektronen, sodass sich viele freie Radikale bilden. Dieser Anstieg der freien Radikale übersteigt das natürliche Antioxidationssystem, worauf die Lipide in den Mitochondrienmembranen oxidieren. Diese Oxidation setzt Cytochrom c aus der inneren Membran frei (das eigentlich Elektronen von Komplex III an Komplex IV weiterreichen soll) und nun in den Intermembranraum gerät. An diesem Punkt kommt der Elektronenfluss entlang der Elektronentransportkette zum Stillstand. Stromaufwärts stauen sich die Elektronen an, treten aus der Kette aus und bilden noch mehr freie Radikale. Sobald eine bestimmte Schwelle überschritten wird, öffnen sich bestimmte Poren in der äußeren Mitochondrienmembran und leiten die ersten Schritte zum zellulären Suizid ein.

Tot oder lebendig: So entscheiden die Mitochondrien über Leben und Tod

Die wohl zweitwichtigste Funktion der Mitochondrien nach der Energieproduktion ist die Regulierung des Zelltods. Wenn Zellen verbraucht oder zu sehr beschädigt sind, müssen sie „Selbstmord“ begehen: Die Apoptose beginnt. Die Apoptose ist von zentraler Bedeutung für die Integrität und Organisation von Mehrzellern. Falls die Mechanismen, die sie regulieren, versagen, kommt es schlimmstenfalls zu Krebs. Diesen Prozess steuern die Mitochondrien.

Mehrzellige Organismen bestehen aus genetisch identischen Zellen, die zum Wohle des Gesamtorganismus‘ bestimmte Aufgaben erfüllen. Das ist ein einzigartiges Konzept, denn alles Leben hat den angeborenen Wunsch, um jeden Preis zu überleben. Warum und wie geraten Zellen in einem mehrzelligen Organismus somit an den Punkt, dass sie (in den meisten Fällen) zum Wohl des Ganzen gehorsam in den Tod gehen? Wahrscheinlich hat sich dieser Prozess über Jahrmillionen hinweg etabliert, in denen das Durchsetzen dieser altruistischen Verhaltensweise den Mitochondrien übertragen wurde. Sonst würden Mehrzeller überall jede Menge Tumore entwickeln und vermutlich schon in jungen Jahren an Krebs sterben.

Um in einer Gemeinschaft zu leben und von all ihren Vorteilen zu profitieren, muss jede und jeder Einzelne zum Gemeinwohl beitragen und dafür von gewissen selbstsüchtigen Interessen absehen. Krebs ist leider eine häufige Erkrankung, weil die selbstsüchtigen Zellen manchmal nicht rechtzeitig erkannt werden und ihrem Todesurteil entgehen. Solche Krebszellen teilen sich in fieberhaftem Tempo, ohne die Folgen auf den Gesamtorganismus zu beachten. Leider führt das Verhalten solcher Übeltäter am Ende zum Absterben der gesamten Gemeinschaft und damit auch zu ihrem eigenen Tod.

Um dieses Los zu verhindern, hat die Evolution den Mitochondrien eine zentrale Rolle für den zivilisierten Zelltod zugewiesen. Dazu müssen sie verschiedene Signale aus unterschiedlichen Quellen zusammenführen. Sobald das Gesamtbild dieser Signale anzeigt, dass die Zelle nicht mehr richtig funktioniert oder nicht mehr zum Wohl des Gesamtorganismus‘ beiträgt, leiten die Mitochondrien den programmierten Zelltod ein. Zunächst werden dafür bestimmte Membranrezeptoren und Signalwege aktiviert, die eine weitere Organelle, das endoplasmatische Retikulum, einbeziehen. Bei vielen Formen der Apoptose wird über bestimmte Reize der mitochondriale Apoptosekanal (mAC) aktiviert. Sobald dieser Kanal sich öffnet, steigt die Permeabilität der äußeren Membran des Mitochondriums stark an, wodurch sie ihre elektrische Ladung und den Protonengradienten verliert. Daraufhin entstehen plötzlich sehr viele freie Radikale, welche die verschiedenen Lipide der inneren Membran oxidieren. Wird dabei beispielsweise Cardiolipin oxidiert, so kann es sich an Komplex IV binden, der wiederum seinen Platz in der inneren Membran aufgibt und so die Elektronentransportkette absperrt.

Bei diesem Anstieg der freien Radikale wird unter anderem auch Cytochrom c frei, das sich mit anderen Bestandteilen des Zytoplasmas zum „Aptosom“ zusammenschließt, welches wiederum die Enzyme für den Zelltod aktiviert, die Caspasen. Sie erinnern sich? Cytochrom c sorgt dafür, dass Elektronen von Komplex III an Komplex IV weitergereicht werden. Unter normalen Umständen sitzt es fest in der Außenseite der inneren Mitochondrienmembran. Sobald es jedoch frei in der Zelle schwimmt, verbindet es sich mit anderen Molekülen zu einem Komplex, der die Caspasen auf den Plan ruft.

Die Freisetzung von Cytochrom c aus der inneren Membran scheint ein entscheidender Schritt für die Apoptose zu sein. Ab diesem Punkt gibt es in diesem Prozess kein Zurück mehr. Interessanterweise reicht es übrigens, einer gesunden Zelle Cytochrom c zu injizieren, damit sie abstirbt – ein gutes Beispiel für die „Gefährlichkeit von Halbwissen“. In der Elektronentransportkette gibt es zwei Komponenten, die keine Komplexe darstellen, Coenzym Q10 (CoQ10) und Cytochrom c. CoQ10 ist ein Naturheilmittel von verblüffender Wirkung, dessen Einnahme sich bei vielen Gesundheitsproblemen als hilfreich erwiesen hat. Wenn wir jedoch davon ausgehen würden, dass dies auch für Cytochrom c gilt (das ja schließlich Elektronen auf Komplex IV übertragen soll), so würden wir uns umbringen (weshalb es keine Nahrungsergänzungsmittel mit Cytochrom c gibt).

Sind die Caspase-Enzyme einmal aktiviert, bauen sie die Zelle gezielt ab. Solange die Zelle schrumpft und dann zerlegt wird, bleiben ihre Organellen noch einigermaßen intakt und von ihren Membranen umschlossen. Nachbarzellen oder Makrophagen verdauen die Einzelteile und bereiten ihre Wiederverwertung vor. Bei korrekter Durchführung ist die Apoptose ein Ablauf, bei dem die Zelle sich nach einem festen Programm selbst zerstört. Auf diese Weise baut der menschliche Körper Tag für Tag rund zehn Milliarden Zellen ab.

Die Regulierung der Apoptose ist komplex. Bis der Tötungsmechanismus in Gang kommt, sind viele Prüfstellen zu überwinden, und praktisch jedem Schritt stehen andere Proteine entgegen, die sich der Apoptose widersetzen, um falschen Alarm zu verhindern. Doch sobald die Caspasen aktiviert sind, ist der Prozess kaum mehr stoppen. Eine Zelle kann auf tausenderlei Weise erfahren, dass sie sterben muss. Zum Beispiel können aktivierte Immunzellen Signale senden, die eine Apoptose bei Krebszellen auslösen. UV-Strahlen, Umweltgifte und Schadstoffe, Viren und Bakterien, körperlicher Stress und diverse Traumata sowie Entzündungen können DNA-Mutationen bewirken. All diese Auslöser aktivieren am Ende die Caspase-Kaskade. Im Stadium der Caspasen laufen also alle diese Signale irgendwie zusammen, und die Caspasen wiederum werden durch einen Ansturm freier Radikale in Gang gesetzt, der nach der Depolarisierung der inneren Mitochondrienmembran und der Freisetzung von Cytochrom c erfolgt.

Zahlreiche Studien belegen den Wert der Apoptose über die Verhinderung unkontrollierten Wachstums und eine ausgewogene Zellteilung hinaus. Denn die Apoptose gibt es in der Natur überall. Während der menschlichen Embryonalentwicklung beispielsweise sterben in mehreren Wellen Unmengen an Neuronen ab. In bestimmten Gehirnarealen bilden sich über 80 Prozent der in frühen Entwicklungsphasen angelegten Nervenzellen zurück (ein ähnliches Verhältnis wie der Eizellverlust von der Embryonalentwicklung bis zur Geburt). Der Tod all dieser Neuronen gestattet dem Gehirn, sich sehr präzise zu verdrahten. Zwischen bestimmten Neuronen entstehen funktionelle Verbindungen, welche die Ausbildung neuronaler Netzwerke ermöglichen, wohingegen andere ausgemerzt werden. Werden bestimmte dieser Verbindungen nicht entfernt, so könnten ungewöhnliche Verbindungen zwischen Hirnarealen bestehen bleiben, die normalerweise nicht direkt miteinander kommunizieren. Das könnte erklären, weshalb manche Menschen Farben oder Oberflächenbeschaffenheiten wahrnehmen, wenn sie Zahlen sehen, oder warum bestimmte Ziffern mit bestimmten Emotionen verknüpft werden (sogenannte Synästhesie).

Ein Beispiel aus Lanes Werk beschreibt, wie wir zugunsten der Fingerbildung bestimmte Anlagen an unseren Händen nicht ausbilden. Denn nach der Handentwicklung setzt die Apoptose ein und entfernt die Zellen zwischen den Fingern. Misslingt dieser Versuch, so bekommt das Kind Schwimmhäute. Die Körperformung entsteht also nicht durch Hinzufügen, sondern durch Wegnehmen.

Beim nekrotischen Zelltod hingegen, der Nekrose, schwillt die Zelle an, bis sie reißt. Die Organellen zerfallen, und es kommt meist zu Entzündungen. Dieser Prozess kann auch mit der Öffnung eines Kanals in der inneren Mitochondrienmembran beginnen, dem Megakanal (auch als mitochondriale Permeabilitäts-Transitions-Pore oder mPTP bezeichnet). Hinzu kommt ein in jüngerer Zeit entdeckter dritter Mechanismus des Zelltods, der zwischen Apoptose und Nekrose einzuordnen ist, die Nekroptose (eine programmierte Form der Nekrose), an der die mPTP beteiligt sein kann.

Die Untersuchung des Zelltods ist eine komplexe Angelegenheit. Noch komplizierter wird sie angesichts von Studien, denen zufolge die Apoptose dicht von der Nekrose gefolgt ist und umgekehrt. Offenbar können all diese zellulären Prozesse also nahezu gleichzeitig ablaufen. Doch unabhängig davon, welcher Signalweg den Zelltod einleitet, spielen die Mitochondrien immer eine zentrale Rolle.

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9783954843961
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