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Die maximale Lebenserwartung von Säugetieren verlängern

Jede Säugetierspezies hat eine theoretische maximale Lebenserwartung. Dank erheblicher Fortschritte in Medizin und Gesundheitswesen ist die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich angestiegen, doch an der maximalen menschlichen Lebenserwartung von etwa 120 Jahren hat sich nichts geändert. Dasselbe gilt für die Lebenserwartung anderer Säugetiere. Eine überzeugende Erhöhung lieferten nur Studien zur Kalorienrestriktion. Die höhere Lebenserwartung durch Kalorienbeschränkung und der Umstand, dass sparsam ernährte Tiere in jedem Alter biologisch jünger sind, legen nahe, dass Kalorienrestriktion zumindest bestimmte Alterungsprozesse verlangsamt.

Bisher konnte nur die Kalorienrestriktion bei fast allen untersuchten Spezies (darunter wirbellose Tiere, Fische und warmblütige Tiere, z. B. Säugetiere) die maximale Lebenserwartung verlängern. Die Studien zur Kalorienrestriktion haben die Mitochondrien-Theorie zur Alterung weiter bekräftigt. Warum? Denken Sie an das zuvor erwähnte Beispiel zurück: Ein Mensch in einem Entwicklungsland während einer Hungersnot, der zu wenig Nahrung bekommt und bei dem daher kaum noch Elektronen die Elektronentransportkette hinabfließen. Selbst wenn reichlich Sauerstoff vorhanden ist, können kaum freie Radikale entstehen, weil zu wenig Elektronen vorliegen. Bei einer Hungersnot kommt es aber auch zu Nährstoffmangel. Kalorienrestriktion ist etwas anderes, denn dabei bekommt ein Mensch zwar deutlich weniger Kalorien, doch die Lebensmittel, die er weiterhin zu sich nimmt, sind nährstoffreich. Wegen der reduzierten Elektronenmenge treten also nur noch sehr wenige freie Radikale aus.

Dieses Konzept erklärt zugleich das Gegenteil: Übermäßige Kalorienzufuhr versorgt den Körper mit zu viel Treibstoff, wodurch am Ende überschüssige Elektronen in die mitochondriale Atmungskette gelangen. Ein Überangebot an Elektronen sorgt für ein hohes Leckagetempo und könnte der Grund sein, warum Adipositas (bei der ein Mensch weit mehr Kalorien aufnimmt, als er braucht) mit diversen degenerativen Erkrankungen einhergeht.

Während eine Erhöhung der maximalen Lebenserwartung beim Menschen bisher nicht erreicht werden konnte, besteht auf der Basis dessen, was ich gerade geschildert habe, echte Hoffnung, dass es bald so weit sein wird. Wenn das Problem der Alterung tatsächlich in den Mitochondrien angesiedelt ist und wenn zugleich jeweils die besten Mitochondrien mit der besten mtDNA als Muster für spätere Mitochondriengenerationen dienen, die Zelle Schäden an der mtDNA besser reparieren kann, als wir bisher dachten, und die unbrauchbaren Mitochondrien ständig ausgemerzt werden, müsste die Zelle dies rein theoretisch endlos fortsetzen können.

Degenerative Erkrankungen und das definitive Ende

Das exakte Signal für die Apoptose kennen wir noch nicht genau. Wahrscheinlich sind zwei miteinander zusammenhängende Faktoren daran beteiligt, nämlich der prozentuale Anteil an schlecht funktionierenden Mitochondrien und der ATP-Spiegel in der Zelle insgesamt im Verhältnis zur Nachfrage. Was im Gewebe und womöglich in einem ganzen Organ abläuft, nachdem eine Zelle das Signal zur Apoptose erhält, hängt vom vorliegenden Zelltyp ab. Bei Zelltypen, die regelmäßig über Stammzellen ersetzt werden, in denen die Mitochondrien in unverbrauchtem Zustand vorliegen, treten keine negativen Auswirkungen auf. Handelt es sich jedoch um eine Zellform, die üblicherweise unersetzlich ist, zum Beispiel eine Nervenzelle, dann atrophiert mit jedem Zelltod das Gewebe, und die verbliebenen Zellen sind stärker gefordert, wenn sie den Anforderungen an die Organfunktion weiterhin gerecht werden wollen. Je mehr die überlebenden Zellen nun an ihre eigene Stoffwechselschwelle gelangen, desto leichter können zahllose externe Faktoren sie zusätzlich unter Stress setzen. Mit zunehmendem Alter beschleunigt sich dieser Prozess, weil immer weniger Zellen übrig sind, die die Arbeit von vielen übernehmen müssen. Das erklärt zugleich, warum wir (wie bereits erwähnt) keinen Nachweis dafür entdecken, dass die Mitochondrienmutationen außer Kontrolle geraten – defekte Mitochondrien und die Zellen, die sie enthalten, werden kontinuierlich abgebaut. Damit nimmt allerdings die Anzahl der funktionstüchtigen Zellen in jedem Organ allmählich ab, was als Atrophie (Geweberückgang) bezeichnet wird.

So können degenerative Krankheiten Einzug halten. Wenn die Qualität der Betazellen in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) zurückgeht, sinkt der Insulinspiegel. Wenn das Herz Muskelzellen einbüßt, werden die Kontraktionen weniger effizient. Wenn die Neuronen im Gehirn absterben, kommt es zu Demenz. Jedes Mal gibt es einen Schwellenwert. Solange nur wenige Zellen im Herzen verloren gehen, ist eine Herzinsuffizienz unwahrscheinlich. Ab einer gewissen Menge wird die Herzfunktion eingeschränkt.

Diese Überlegungen zur Entstehung degenerativer Erkrankungen klingt ganz ähnlich wie die Überlegungen zur Alterung? Stimmt. Der Prozess ist derselbe, und das zeigt, wie eng Alterung und degenerative Krankheiten zusammenhängen. Wichtig ist dabei: Wenn wir den Alterungsprozess beeinflussen könnten, der dahinter steckt, ließe sich die maximale Lebenserwartung womöglich ausdehnen, und man könnte alle altersbedingten degenerativen Erkrankungen hinauszögern.

Wichtig ist dabei, dass zwar die Austrittsrate der freien Radikale eng mit der Lebensspanne verknüpft ist – entscheidend ist jedoch, wie die Produktion freier Radikale den Schwellenwert für die Apoptose beeinflusst. Manche Spezies (z. B. Ratten) haben Zellen, die schnell große Mengen freier Radikale absondern. Diese Zellen sind näher an ihrem Schwellenwert, weshalb es nicht lange dauert, bis sie das Signal zur Apoptose erhalten. Beim Menschen erreichen die Zellen diese Schwelle erst viele, viele Jahre später. Schon wenn wir die Leckagerate für freie Radikale aus den Mitochondrien weiter herabsetzen könnten, ließe sich der Beginn degenerativer Erkrankungen signifikant verzögern oder womöglich ganz verhindern. Derzeit scheinen wir degenerative Erkrankungen und die Alterung am ehesten (und realistischsten) beeinflussen zu können, indem wir die Mitochondrienfunktion verbessern und ihren Verfall hinauszögern. Die Vorstellung, dass wir der Aussicht auf ein langes, gesundes Leben womöglich schon so nahe sind, ist unglaublich aufregend.

Die pharmazeutische Industrie gibt Jahr für Jahr Milliarden für die Forschung aus, kann aber immer nur Symptome in den Griff bekommen. Dabei ist der Grundsatz, auf dem diese Industrie fußt, vermutlich selbst ein Problem. Medikamente werden praktisch ausschließlich erst dann verordnet, wenn eine Krankheit sich bereits körperlich manifestiert hat. Selten oder nie dienen sie dazu, Krankheiten von vorneherein zu verhüten. Falls es stimmt, dass die Qualität der Mitochondrien der wichtigste Faktor für Alterung und degenerative Erkrankungen ist, und wenn wir die Uhr der Mitochondrien nicht zurückdrehen können, sollte die Prävention bereits im Kindesalter beginnen.

Wie bereits ausgeführt (siehe Seite 60, „Überholte Theorien zur Alterung“), sind selbst die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln mit all ihrem Marketing für Antioxidantien auf dem falschen Weg. Der Hype um die Antioxidantien stellt diese Mittel als Heilmittel für alle möglichen Krankheiten dar, und obwohl er allmählich weniger zieht, merken die Verbraucher bei dem Begriff „Antioxidantien“ nach wie vor hoffnungsvoll auf. Doch Antioxidantien können bestimmte Krankheiten zwar – wie ebenfalls bereits erwähnt – laut einigen Studien positiv beeinflussen, doch große Mengen können anderen Studien zufolge auch Schaden anrichten. Dass diese Substanzen als „natürlich“ und „gesund“ angepriesen werden, bedeutet nicht, dass man sie ungezielt oder in großen Mengen verwenden sollte. Wenn der Mensch wild an mitochondrialen Thermostaten herumschraubt, kann die Zelle ihre Stressreaktion nicht angemessen anpassen. Langfristig ist das keine gute Idee und unterminiert die Selbstschutzmechanismen der Natur. Dieser „Mitochondrienthermostat“ erklärt auch, warum Antioxidantien in einer kranken Population vielleicht das Leben verlängern können (im Vergleich zu ebenso kranken Menschen, die keine Antioxidantien einnehmen), aber nicht die maximale Lebenserwartung erhöhen. Vermutlich unterstützen Antioxidantien extrazelluläre Komponenten auf den Zellmembranen. Vielleicht wirken sie sogar im Zytoplasma. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie in der Lage wären, die freien Radikale zu stoppen, die in die Mitochondrienmatrix übertreten.

Andererseits schenkt uns dieses erweiterte Wissen über Mitochondrien neue Hoffnung und erhöht unser Verständnis für die Behandlung von Krankheiten. Wenn all die Gen- und Umweltfaktoren, die altersbedingte degenerative Erkrankungen auslösen, bei den Mitochondrien zusammenlaufen, müssen wir uns auf nur eine Organelle konzentrieren. Neuere Untersuchungen nehmen bereits die komplexen Interaktionen zwischen den Mitochondrien und anderen Organellen – wie den Peroxisomen und dem endoplasmatischen Reticulum – ins Visier, aber wir scheinen der Entdeckung des Mechanismus‘, der vielen Krankheiten gleichzeitig zugrunde liegt, doch einen großen Schritt näher zu kommen.

Es wird so heiß hier drin: Die Entkopplung des Protonengradienten

Keine Diskussion zu den Mitochondrien wäre letztlich komplett, wenn wir ihre Rolle für die Wärmeproduktion übergehen. Der Protonengradient dient nicht nur der Energieerzeugung. Manchmal wird er von der Energieproduktion abgekoppelt und entlädt sich in Form von Wärme. Dabei laufen Elektronenfluss und Protonenpumpen ganz normal weiter, aber die Protonen fließen nicht mehr über die ATPase zurück, sodass kein ATP entsteht. Stattdessen passieren die Protonen wieder durch andere Poren in der Membran (die Entkoppelungsproteine), wo die Energie, die im Protonengradient gespeichert ist, als Wärme frei wird.

Über diesen Prozess werden wir zu Warmblütern, und so entsteht die normale Thermogenese, also Wärmeentwicklung, ohne zu zittern. Sie verläuft in erster Linie über das braune Fettgewebe (man spricht vereinfacht von braunem Fett). Im Gegensatz zu kaltblütigen Tieren wie Reptilien können Vögel und Säugetiere als Warmblüter ihre Wärme selbst erzeugen. Dieser Prozess nennt sich Endothermie. Das ist die eigentliche Definition von „warmblütig“ – die Fähigkeit, innerlich Wärme zu erzeugen. Die tatsächliche Temperatur des Blutes kann bei warm- und kaltblütigen Tieren dabei ähnlich hoch sein.

Viele Lebewesen, unter ihnen Schlangen, Haie und sogar manche Insekten, sind endotherm. Normalerweise erzeugen sie Wärme bei körperlicher Aktivität über ihre Muskeln. Säugetiere (auch der Mensch) können die Endothermie durch Muskelarbeit ergänzen, indem wir bei starker Kälte zittern oder indem wir uns körperlich anstrengen. Vögel und Säugetiere können aber auch über die Aktivität ihrer inneren Organe wie Gehirn oder Herz Wärme erzeugen.

Wie es dazu kam, ist eine ganz andere interessante Diskussion, die Sie bei Lane nachlesen können. Jenseits der offensichtlichen Vorteile für die körperliche Leistungsfähigkeit (warme Muskeln reagieren zum Beispiel schneller) und die Anpassung an kalte Umgebungen schützt die Endothermie letztendlich die Mitochondrien, indem sie bei geringem Energiebedarf den Elektronenfluss aufrecht erhält.

Aber wie? Wird ATP nicht verwertet, weil zu wenig Energie verbraucht wird, wird ADP rar, und die ATPase-Aktivität kommt ins Stocken. An dieser Stelle neigen Elektronen innerhalb der Elektronentransportkette zum Ausbrechen, reagieren mit Sauerstoff und erzeugen die destruktiven freien Superoxid-Radikale. Kehren wir noch einmal zu unserer Analogie eines Wasserkraftwerks zurück, das von einem Fluss gespeist wird. In Zeiten geringen Energiebedarf fließt weniger Wasser (Protonen) durch die Turbinen (ATPase). Irgendwann droht der Stausee hinter dem Damm jedoch überzulaufen (Entstehung von freien Radikalen). Dieses Risiko sinkt, wenn die Überlaufventile (Entkoppelungsproteine) geöffnet werden.

Noch klarer werden die Mechanismen, wenn wir uns einen Sportler ansehen, der nach dem Training hungrig eine Mahlzeit vertilgt und sich dann zum Ausruhen hinsetzt. Beim Training wird viel Energie verbraucht, doch die Reserven werden durch Glykogen und Fett aus der Nahrung schnell wieder aufgefüllt. Es gibt keinen Grund, mehr Energie freizusetzen, und die Mitochondrien füllen sich mit Elektronen aus der Nahrung. Aus unseren vorherigen Überlegungen wissen wir, dass es nun schwierig werden kann. Wenn die Elektronentransportkette mit Elektronen vollläuft (weil jetzt kein hoher Energiebedarf mehr besteht, die Elektronen also langsamer abfließen), können die Elektronen leicht entkommen, reaktive Radikale bilden und so die Zelle schädigen.

Nun könnte der Sportler natürlich aufstehen und einen Teil der überschüssigen Energie wieder verbrauchen. Er könnte die Energie aber auch verpuffen lassen und so das System vor dem Überlauf bewahren. Das passiert über die Entkoppelungsproteine, die als Überlaufventile oder -kanäle dienen. Dadurch wird der Protonengradient entkoppelt, damit der Elektronenfluss nicht länger an die ATP-Produktion gebunden ist. Wenn die Protonen über diese Kanäle abfließen, wird die im Protonengradienten gespeicherte Energie als Wärme frei. Sobald der Protonengradient auf diese Weise entlastet wird, können die Elektronen wieder weiterfließen, weil die Protonenpumpe weitergeht, ohne dass der Gradient übermäßig ansteigt. Dadurch entstehen weniger freie Radikale.

Im Ruhestoffwechsel nutzen Säugetiere bis zu 25 Prozent des Protonengradienten in Form von Wärme. Kleine Säugetiere wie Ratten, aber auch menschliche Säuglinge müssen ihre normale Wärmeproduktion über das braune Fett ergänzen. Braunes Fett enthält viele Mitochondrien und viele Entkoppelungsproteine, und weil fast alle Protonen über diese Kanäle zur Wärmeentwicklung genutzt werden, ist dieses Fett umso wichtiger, je größer die Oberfläche eines Säugetieres im Vergleich zu seinem Volumen ist (kleinere Säugetiere oder Säuglinge verlieren viel schneller Wärme als größere Säugetiere oder Erwachsene).

Die Möglichkeit, auf das braune Fett, die Entkoppelungskanäle und die Stoffwechselrate einzuwirken und zugleich weniger freie Radikale zu erzeugen, hat große Bedeutung für die Prävention diverser Gesundheitsbeeinträchtigungen (siehe auch Kapitel 3, Seite 218, „Massage und Hydrotherapie“). Das braune Fett könnte zumindest gut dazu beitragen, Menschen vor Adipositas zu bewahren. Mich fasziniert jedoch vor allem die Vorstellung, dass sich ohne die Mitochondrien und ihre Entkopplung des Protonengradienten niemals Warmblüter entwickelt hätten. Dann würden wir alle vermutlich nach wie vor der Lebensweise von Reptilien nachgehen, die mit diversen Einschränkungen einherginge.

Interessanterweise überleben Tiere – zum Beispiel Eisbären oder Kamele – auf diese Weise unter extrem unterschiedlichen Umweltbedingungen (siehe auch Seite 33, „Wie eine heiße Kartoffel: Die Elektronentransportkette“). Eisbären gibt es nur im Bereich der nördlichen Arktis, wo sie einen Großteil ihres Lebens auf dem Eis verbringen. Sie leben unter extrem kalten Bedingungen bei bis zu –55 °C und Windgeschwindigkeiten von bis zu 50 Kilometern pro Stunde in Alaska, Kanada, Russland, Grönland und Norwegen.

Dank ihrer dicken Unterhautfettschicht, dem „Blubber“, sind die Bären nicht nur gute Schwimmer (denn sie nutzen ihr Fett und zwei Schichten dichten fetthaltigen, wasserabweisenden Pelz, um leichter oben zu bleiben), sondern reichlich braunes Fett ermöglicht ihnen auch, sehr viel Wärme zu erzeugen, um nicht zu erfrieren.

Angesichts solcher Mengen braunem Fett brauchen Eisbären rund die Hälfte ihrer Nahrung nur, um sich warmzuhalten. Je kälter es in der Arktis wird, desto mehr müssen sie fressen, um nicht zu erfrieren. Das angesammelte Fett, das verzehrte Fett (vor allem Robbenblubber) und die Fettverbrennung zur Wärmebildung bedeutet, dass Eisbären nur wenig Wasser trinken müssen, denn ihr Wasserbedarf wird über die Ernährung und die Fettverbrennung gedeckt, bei der letztlich Wasser entsteht (in Komplex IV wird im Rahmen der Elektronentransportkette Wasser erzeugt – ähnlich wie bei Kamelen). Sieht man einen Eisbären Wasser trinken, so ist dies Studien zufolge ein Hinweis auf extreme Erschöpfung und großen Hunger. Aufgrund der globalen Erwärmung und des Klimawandels geht im natürlichen Lebensraum der Eisbären nun aber das Eis zurück, sodass die Eisbären mehr Energie benötigen, um bei der Robbenjagd zwischen den Eisflächen zu schwimmen. So bleibt weniger Fett für die Wärmeproduktion. Hinzu kommt, dass sie Beobachtungen zufolge mangels Eisflächen mehr an Land auf Nahrungssuche gehen. Dort ist die Beutesuche so schwierig, dass sie Vogeleier fressen, die allerdings nicht annähernd genug Fett liefern, um einen Eisbären zu ernähren.

Laut Lane lassen sich anhand des braunen Fetts auch bestimmte unterschiedliche Gesundheitsrisiken in verschiedenen ethnischen Gruppen erklären. Wie bereits erläutert bilden Mitochondrien den Dreh- und Angelpunkt für degenerative Erkrankungen und Alterung. Der Entkoppelungsgrad hat sich bei unterschiedlichen Populationen unterschiedlich entwickelt. Bei den Inuit im hohen Norden beobachten wir beispielsweise einen relativen hohen Anteil an braunem Fett. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die ständige Kälte in ihrer Umgebung erforderte die Fähigkeit, wie Eisbären große Mengen Wärme zu produzieren, um warm zu bleiben. Dank des höheren Anteils an braunem Fett stoßen die Mitochondrien der Inuit nicht so viele freie Radikale aus. Deshalb sind degenerative Erkrankungen wie Herzinsuffizienz in dieser Population weniger verbreitet als zum Beispiel in westlichen Bevölkerungsgruppen.

Menschen afrikanischer Abstammung hingegen, deren Mitochondrien sich in der brütenden Hitze des Äquators entwickelt haben, würden von exzessiver Wärmeproduktion nicht profitieren. Deshalb besitzen sie vergleichsweise wenig braunes Fett. Ihre Mitochondrien sind „fest verschlossen“, und der Protonengradient dient eher zur Erzeugung von ATP und Energie, nicht von Wärme. Dabei entstehen leider auch mehr freie Radikale, und Studien zufolge haben Amerikaner afrikanischer Abstammung ein erheblich höheres Risiko für degenerative Erkrankungen als die meisten anderen Bevölkerungsgruppen. Menschen, deren Abstammung matrilinear auf Äquatorialkulturen zurückverfolgt werden kann (denn die Mitochondrien werden über die mütterliche Linie vererbt), sollten darauf achten, ihr ATP ständig zu verbrauchen, weil Sport und Bewegung für sie besonders wichtig sind. Natürlich sind die Mitochondrien nur ein Teil des Gesamtbilds, denn bei dieser Population tragen viele weitere physiologische, epigenetische und sozioökonomische Faktoren zu einem höheren Risiko für degenerative Erkrankungen bei. Dennoch eröffnet es einen neuen Blickwinkel, dass zumindest ein Teil dieser Daten sich über Unterschiede der Mitochondrialgenetik erklären ließe.

Ich kann nicht für andere sprechen, doch ich persönlich finde solche Zusammenhänge unglaublich faszinierend! Sie hoffentlich auch. Bisher haben wir uns mit der Geschichte, Evolution und Bedeutung der Mitochondrien auseinandergesetzt. Betrachten wir nun, inwiefern sie an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind.

* An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich damit nicht die Abermilliarden Bakterien meine, die in und auf dem menschlichen Körper leben und jüngsten Untersuchungen zufolge nicht nur von größter Bedeutung für unsere Gesundheit sind, sondern unverzichtbarer Teil unseres Menschseins.

KAPITEL 2

Krank durch mitochondriale Dysfunktion

In Kapitel 1 haben wir gesehen, was die Energieproduktion durch die Mitochondrien für Gesundheit und Wohlergehen bedeutet. Sie bildet die Grundlage für Körperkraft, Ausdauer und sogar für unser Bewusstsein. Wir wissen, dass schwer erkennbare Defizite der Mitochondrienfunktion zu Schwäche, Abgeschlagenheit und kognitiven Schwierigkeiten führen können. Wir wissen auch, dass bestimmte Chemikalien, welche die Mitochondrienfunktion beeinträchtigen, stark giftig sind. Inzwischen gilt eine eingeschränkte Mitochondrienfunktion als eine der führenden Ursachen für eine breite Palette scheinbar unzusammenhängender degenerativer Krankheiten sowie des Alterungsprozesses selbst.

In diesem Abschnitt werde ich weiter auf diese „dunkle Seite“ eingehen – die gesundheitlichen Folgen, die auf fehlerhafte oder funktionseingeschränkte Mitochondrien zurückgehen. Dabei möchte ich betonen, dass meine Darstellung in keiner Weise vollständig sein kann. In diesem Buch schildere ich nur einen Bruchteil meiner bisherigen Nachforschungen zu diesem Thema, die Spitze des Eisbergs sozusagen. Die breite Palette der Krankheiten, auf die ich dabei eingehe, vermittelt hoffentlich einen guten Eindruck, welche zentrale Rolle die Mitochondrien in unserem Leben spielen – für Gesundheit und Krankheit. Einige dieser Erkrankungen sind genetisch bedingt (sie gehören zu den sogenannten Mitochondriopathien), andere gehen auf epigenetische Faktoren zurück (zum Beispiel Virusinfektionen, Schadstoffe, übermäßige Kalorienzufuhr, die natürliche Alterung und alles Mögliche dazwischen).

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