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Wie eine heiße Kartoffel: Die Elektronentransportkette

In den Mitochondrien wurden vier membrangebundene Komplexe identifiziert. Drei davon werden als Protonenpumpen bezeichnet. Jeder dieser Komplexe ist eine ungemein komplizierte Struktur, die in die innere Membran eingebettet ist. Die verschiedenen Komponenten der Elektronentransportkette – auch Atmungskette – sind in der folgenden Abbildung 1.3 dargestellt. Man erkennt, wohin die Protonen (H+) gepumpt werden, wenn man den Fluss der Elektronen (e) entlang der Elektronentransportkette verfolgt. Komplex I nimmt Elektronen von NADH auf und gibt sie an Coenzym Q10 weiter (CoQ10, in der Abbildung als Q gekennzeichnet). CoQ10 erhält auch über Komplex II Elektronen. Danach gibt CoQ10 diese Elektronen an Komplex III weiter, der sie an Cytochrom c abgibt. Cytochrom c gibt seinerseits Elektronen an Komplex IV weiter. Dieser Komplex übernimmt die Elektronen und zwei Wasserstoffionen (H+) und lässt sie mit Sauerstoff (O2) zu Wasser (H2O) reagieren.

Entscheidend ist an dieser Stelle, dass die Weitergabe der Elektronen entlang dieser Kette nicht immer hundertprozentig funktioniert. Einige Elektronen gehen bei diesem „Heiße-Kartoffel-Spiel“ verloren und treten in die Matrix über. Solche ungebundenen Elektronen reagieren dort vorzeitig mit Sauerstoff und erzeugen so Superoxid, ein potenziell gefährliches freies Radikal. Freie Radikale sind hoch reaktionsfreudige Moleküle, die zu oxidativem Stress beitragen. Dieser Prozess scheint an diversen Krankheiten und dem Alterungsprozess selbst beteiligt zu sein, was ich noch genauer darstellen werde.


Abbildung 1.3 Die Elektronentransportkette einschließlich ATP-Synthase: Der Zitronensäurezyklus erzeugt NADH und FADH2, die in Komplex I beziehungsweise Komplex II in die Elektronentransportkette eintreten. Beide Komplexe geben die entstehenden Elektronen (e) an Coenzym Q10 (Q) ab. Diese Elektronen wandern weiter, bis sie am Ende mit Sauerstoff (O2) zu Wasser reagieren. In Komplex I, III und IV werden Protonen (H+) gepumpt, wodurch der Protonengradient entsteht. Über die ATP-Synthase fließen die Protonen zurück und bilden ATP.

Für alle, denen das Konzept der freien Radikale bereits vertraut ist, dürfte interessant sein, dass die endogenen freien Radikale (die wir selbst produzieren und die nicht aus anderen Quellen wie Umweltgiften stammen) in erster Linie der Elektronentransportkette entspringen. All dies wird gleich noch viel einleuchtender werden. Die Grundlagen der Elektronentransportkette und ihrer Bestandteile sind damit jedoch ausreichend erläutert.

Kohlenmonoxidvergiftung

Bei einer Kohlenmonoxidvergiftung ersetzt dieses Gift den Sauerstoff, der am Ende der Atmungskette die Elektronen aufnehmen sollte. Da diese Endabnahme nicht mehr möglich ist, kommt die Zellatmung zum Stillstand, denn die Elektronen können nicht entsorgt werden. Wird das Kohlenmonoxid nicht ausgeleitet, sterben die Mitochondrien. Das wiederum führt zum Zelltod und tötet am Ende den Menschen, der dem Kohlenmonoxid ausgesetzt war.

Komplex I: Die erste Stufe der Elektronentransportkette

Komplex I, die NADH-Dehydrogenase, ist ein großes Molekül, das sich aus 46 Proteinuntereinheiten zusammensetzt. Er spaltet zwei Elektronen von NADH ab und überträgt sie auf ein fettlösliches Carrier-Molekül, Ubiquinon. Ubiquinon ist oxidiertes CoQ10 oder „Q“. Über zwei Schritte wird CoQ10 zu Ubiquinol (QH2) reduziert, wobei vier Protonen (H+) durch die Membran gepumpt werden und einen Protonengradienten erzeugen. An dieser Stelle in der Elektronentransportkette kommen die meisten Elektronen abhanden, die dann schädliche Superoxid-Radikale erzeugen.

Komplex II: Die zweite Stufe und eine Abkürzung zur Elektronentransportkette

Dieser einzigartige Komplex, auch als Succinat-Dehydrogenase bezeichnet, ist unmittelbar am Zitronensäurezyklus und der Elektronentransportkette beteiligt. Es handelt sich um einen kleinen Komplex aus nur vier Proteinuntereinheiten. In der Elektronentransportkette ist er der einzige Komplex, der keine Protonen pumpt. Er dient dazu, über FADH2 weitere Elektronen aus Succinat an das CoQ10 weiterzugeben. Über FADH2 kann Komplex II auch weitere Elektronendonatoren (z. B. Fettsäuren) in die Elektronentransportkette einspeisen.

Komplex III: Die Zwillinge und Meisterjongleure

Komplex III ist die Cytochrom-c-Reduktase, auch als Cytochrom-bc1-Komplex bezeichnet. Es handelt sich um ein Dimer, also einen Komplex, der aus zwei identischen, einfacheren Komplexen besteht. Jeder Teil des Dimers setzt sich aus elf Proteinuntereinheiten zusammen; insgesamt enthält Komplex III also 22 dieser Untereinheiten.


Abbildung 1.4 Komplex I übernimmt Elektronen von NADH und schleust sie durch Eisen-Schwefel-Cluster (Fe-S-Cluster, auch als Eisen-Schwefel-Zentren bezeichnet) zu Coenzym Q10 (Q) Dabei ergeben sich vier Protonen (H+), die aus der Matrix in den Intermembranraum gepumpt werden.

In Komplex III läuft der Q-Zyklus ab, ein mehrstufiger Prozess, bei dem Ubiquinol (reduziertes CoQ10) zu Ubiquinon (oxidiertes CoQ10) umgewandelt wird. Bei diesem Prozess werden insgesamt vier Nettoprotonen ausgepumpt, die zum Protonengradienten beitragen.

Das ist in der Elektronentransportkette der zweithäufigste Entstehungsort, wo Elektronen ausscheren, die mit Sauerstoff dann Superoxid-Radikale bilden.


Abbildung 1.5 Komplex II ist ein Bestandteil des Zitronensäurezyklus, in dem ebenfalls FADH2 entsteht. Die Elektronen aus FADH2 werden dann über Eisen-Schwefel-Cluster (Fe-S-Cluster) zu Coenzym Q10 (Q) weitergeleitet. Komplex II ist der einzige Komplex, der keine Protonen pumpt.

Komplex IV: Hier entsteht Wasser

Komplex IV oder Cytochrom-c-Oxidase besteht aus 13 Proteinuntereinheiten. In diesem Bereich werden aus vier Molekülen Cytochrom c vier Elektronen abgespalten und an molekularen Sauerstoff (O2) weitergereicht, damit zwei Wassermoleküle entstehen können. Dabei werden zugleich vier Protonen frei, die durch die Membran gepumpt werden und zum Protonengradienten beitragen.

So speichern Kamele in der Wüste ihr Wasser

An dieser Stelle lohnt sich der Hinweis, dass Kamele in ihren Höckern keineswegs Wasser speichern, wie man es Kindern gern erklärt. Ihre Höcker sind vielmehr große Fettspeicher. Dieses Fett liefert nicht nur Energie, sondern wenn es über oxidative Phosphorylierung verstoffwechselt wird, entsteht bei Komplex IV Wasser (pro Gramm verbranntem Fett etwa 1 Gramm oder 1 Milliliter Wasser). Neben anderen Anpassungsleistungen ist dies einer der Gründe, warum Kamele so lange ohne Trinkwasser auskommen können.


Abbildung 1.6 Komplex III übernimmt über einen mehrstufigen Prozess, den Q-Zyklus, Elektronen aus der reduzierten Form von Coenzym Q10 (QH2). Die Elektronen wandern weiter zu Cytochrom c (Cyt c), und vier Protonen (H+) gehen in den Intermembranraum über.

Cyanidvergiftung und Suizid

Cyanid (Blausäure) ist ein Gift, das bei dem Massensuizid in Jonestown, Guayana, verwendet wurde und historisch bestimmten Militärangehörigen gegeben wurde, um es bei einer eventuellen Gefangennahme zu schlucken. Es tötet durch Schließung der Elektronentransportkette. Dabei hemmt es spezifisch die Aktivität von Komplex IV, indem es die Eisenkomponente (FE) bindet, wodurch der Elektronenfluss gestoppt wird. Das aktuellste zugelassene Gegengift ist (zumindest in den USA) Hydroxocobalamin (eine Form von Vitamin B12). Mit Cyanid reagiert es zu Cyanocobalamin (einer B12-Variante, die in den meisten Nahrungsergänzungsmitteln vorliegt) und kann dann so über die Nieren problemlos ausgeschieden werden.

Superkomplexe: Turboschneller Elektronenfluss

Was ich gerade beschrieben habe, entspricht dem, was in der Oberstufe, aber auch an der Universität im Biologiekurs über die Elektronentransportkette gelehrt wird. Zu den zuvor beschriebenen vier Komplexen kommt die ATP-Synthase (die ich im Folgenden erkläre und die mitunter als Komplex V bezeichnet wird). Insgesamt besteht die Elektronentransportkette in den Mitochondrien somit aus fünf Enzymkomplexen, die für die ATP-Erzeugung zuständig sind. In jüngster Zeit wurde dieser Lehrsatz der Elektronentransportkette – dass in der inneren Mitochondrienmembran separate Enzyme verteilt sind – vom Modell des mitochondrialen Superkomplexes abgelöst, in dem die Atmungskomplexe stabile Verbindungen miteinander eingehen. Diese Struktur gestattet einen hoch effizienten Elektronentransfer, in dem die Distanz, die ein Elektron zwischen den Komplexen zurücklegen muss, auf einige Nanometer reduziert ist.

Um die Sache noch weiter zu verkomplizieren, diskutiert man nicht nur über die Existenz der Superkomplexe, sondern es sieht so aus, als ob diese wiederum diverse Formen annehmen könnten. Der Superkomplex, der als Respirasom bezeichnet wird, umfasst beispielsweise die Komplexe I, III und IV. Allerdings gibt es auch Superkomplexe, die nur aus den Komplexen I und III oder den Komplexen III und IV bestehen.


Abbildung 1.7 Komplex IV übernimmt Elektronen von Cytochrom c (Cyt c), pumpt vier Protonen in den Intermembranraum und gibt die Elektronen an den endgültigen Empfänger Sauerstoff (O2) weiter, der damit harmloses Wasser (H2O) bildet.

Solche Assoziationen bestimmen auch, welche Mengen Coenzym Q10 und Cytochrom c für diese Superkomplexe bereitstehen.

Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Gesundheitsprobleme mit einer Dissoziation der Komponenten dieser Superkomplexe verknüpft sind. Ich möchte nicht näher darauf eingehen, um welche gesundheitlichen Probleme es dabei geht, denn dieses Modell ist noch neu und somit nicht ausreichend erforscht. Ich erwähne diesen Punkt nur, um zu illustrieren, dass unser diesbezügliches Wissen sich unablässig weiterentwickelt.

ATP-Synthase: Kopplung von Elektronentransportkette mit oxidativer Phosphorylierung

Die ATP-Synthase (auch: ATPase oder Komplex V) ist ein wichtiges Enzym, das den Abschluss einer langen Ereigniskette bildet, die zur Synthese von ATP führen. Dieses Enzym verbindet den Protonengradienten (der bei Vorliegen von Sauerstoff im Verlauf der Elektronentransportkette entsteht) mit der Phosphorylierung, dem Prozess, bei dem Adenosindiphosphat (ADP) eine Phosphatgruppe hinzugefügt wird, damit ATP entsteht. All dies ist Teil der oxidativen Phosphorylierung.

Und dieses große Enzym ist die kleinste bekannte Maschine. Im Internet sind einige wirklich gute Animationen zu finden, die diese Vorgänge visualisieren. Wenn Sie etwas Zeit erübrigen können, kann ich Ihnen empfehlen, sich dort umzusehen. Dieser Rotationsmotor, der sich aus vielen winzigen, sich bewegenden Proteinen zusammensetzt, hat zwei Hauptkomponenten: Den F1-Teil, der die Membran wie eine Antriebswelle senkrecht durchzieht, und einen sehr großen rotierenden Kopf, den F0-Teil, der auf dieser „Antriebswelle“ sitzt. Die hohe Protonenkonzentration auf der Membranaußenseite möchte stromabwärts fließen und bringt bei der Passage durch den F1-Teil den Kopf ins Rotieren. Beim Menschen sind für eine vollständige F0-Rotation zehn Protonen erforderlich. Dabei entstehen drei ATP-Moleküle.

Dass Protonenpumpen potenzielle Energie in Form eines elektrochemischen Gradienten speichern und diese dann nach dem Durchtreten einer Membran zur Erzeugung von chemischer Energie nutzen, mag als ungewöhnliche Methode der Energiegewinnung erscheinen. Allerdings scheinen sich alle Lebensformen unserer Erde hierin einig zu sein.

Die pflanzliche Fotosynthese läuft sehr ähnlich ab. In diesem Fall werden die Protonen jedoch mittels Sonnenenergie durch die Membran in den Chloroplasten gepumpt (die Chloroplasten sind sozusagen die pflanzlichen Mitochondrien). Selbst die Vorfahren der Mitochondrien, die Bakterien, funktionieren so: Sie erzeugen einen Protonengradienten auf ihrer Zellmembran, den sie mithilfe ihrer Zellwand einigermaßen aufrechterhalten. Im Gegensatz zu Mensch und Säugetier wandern die Elektronen bei Pflanzen jedoch über die Elektronentransportkette zu einem endgültigen Elektronenakzeptor, der nicht nur aus Sauerstoff, sondern aus diversen verschiedenen Molekülen bestehen kann. Unabhängig davon dient die Energie, die über die Elektronentransportkette gewonnen wird, in jedem Fall dazu, Protonen durch eine Membran zu bewegen. Dieses Konzept ist so allgegenwärtig, dass die Protonenpumpe durch eine Membran offenbar einem zentralen Merkmal des Lebens auf der Erde entspricht.


Abbildung 1.8 Molekulare Darstellung der ATP-Synthase, die Ausrichtung und Komplexität verdeutlicht.

Mitochondriale DNA (mtDNA): Ein Relikt aus den Anfängen des Lebens

Nachdem die ersten Bakterien zu einer eukaryoten Zelle verschmolzen, lebten die umschlossenen parasitischen Bakterien (die irgendwann zu Mitochondrien wurden) in „Saus und Braus“. Das Wirtsbakterium stellte vieles zur Verfügung, was der Parasit zum Überleben brauchte, und dabei wurde er sozusagen träge. Viele Funktionen wurden vom Wirt ausgeführt, sodass es nicht mehr notwendig war, selbst klobige und redundante DNA mitzuschleppen. Schließlich brauchte der Mitbewohner keine Proteine mehr zu codieren, die bereits von der DNA der Wirtszelle hergestellt wurden. Die Natur war seiner Meinung, und weil die Natur gnadenlos zweckmäßig orientiert ist, begannen die parasitischen Bakterien, ihre nun überflüssigen Gene abzustreifen.


Abbildung 1.9 Zusammenfassende Illustration der Energieproduktion über oxidative Phosphorylierung durch Komplex I (obere Hälfte) und Komplex II (untere Hälfte).

Solange dabei keine unverzichtbaren Gene abhandenkommen, ist das unproblematisch. Wenn hingegen wichtige Gene verloren gehen, sterben Zellen unweigerlich ab. Lane erläutert diesen Prozess in seinem Buch anhand des Beispiels, wie unsere fernen Urahnen vor Millionen von Jahren das Gen einbüßten, das Vitamin C erzeugt. Da sie regelmäßig Früchte aßen, die viel Vitamin C liefern, war dieser Genverlust zum Glück keine Katastrophe. Sie haben auch so überlebt und sich vermehrt. Woher wissen wir nun, dass der Mensch dieses Gen einst besaß, es irgendwann jedoch verlor? Ein Großteil dieses Gens ruht nach wie vor in unserer „Junk-DNA“ (im „Genmüll“), und dieser verbliebene Teil bildet eine Parallele zu dem Gen, mit dem anderen Spezies bis heute Vitamin C erzeugen.

Der Verlust eines Gens im Namen der Effizienz ist völlig normal. Bakterien können unnötige Gene innerhalb von Stunden bis Tagen verlieren. Warum ist das effizient? Nun, Bakterien vermehren sich über Zellteilung, und diese erfordert viel Energie. Andererseits produzieren Bakterien (im Vergleich zu eukaryoten Zellen) nur sehr wenig Energie. Je kleiner die Bakterien-DNA ist, desto weniger Energie ist erforderlich, um die gesamte DNA für die Tochterzelle zu kopieren. Wie effizient dieser Genverlust auf dem Hauptchromosom von Bakterien ist, erkennt man an der geringen Menge Junk-DNA darauf.

Man möchte meinen, dieser Weg führe geradewegs in die Sackgasse, denn schließlich könnten die Bakterien die abgestreiften Gene ja später noch einmal brauchen. Aber das Entsorgen von Genen ist weniger selbstmörderisch, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Das liegt daran, dass Bakterien dieselben – und andere – Gene später erneut aufnehmen können, falls sie sie doch noch einmal brauchen. Dabei kommt das Konzept des lateralen Gentransfers ins Spiel. Bakterien können DNA aus ihrer Umgebung (zum Beispiel aus toten Zellen oder anderen Bakterien) aufnehmen. Diese „Kopulation“ wird als bakterielle Konjugation bezeichnet und ist dem Gentransfer beim menschlichen Geschlechtsverkehr gar nicht so unähnlich. (Ein gewisser Unterschied besteht natürlich – es geht mir nur darum, dass Bakterien neue Gene gewinnen können und dies auch tun.) Da Bakterien durch lateralen Gentransfer Gene aufnehmen können, müssen die großen Agrar- und Biotechkonzerne in meinen Augen noch weit mehr Forschungen anstrengen, ehe sie genetisch manipulierte Pflanzen und Tiere in die Nahrungskette einschleusen. Schließlich können unsere Darmbakterien oder die Bakterien im Darm von Nutztieren solche gezielt veränderten Gene übernehmen, und sie können auch auf zahllosen Umwegen „entwischen“ und in Fauna und Flora irreversible Schäden anrichten.

Das derartige Aufnehmen und Abgeben von Genen hält das Leben beständig im Fluss – was gut ist, weil es damit unwahrscheinlich wird, dass zu einem beliebigen Zeitpunkt alle redundanten Gene aus einer bestehenden Bakteriengemeinschaft verloren gegangen sind. Zumindest ein Bruchteil der Bakterien einer bestimmten Gemeinschaft dürfte jeweils noch eine voll funktionsfähige Kopie dieses redundanten Gens besitzen. Wenn sich die Umweltbedingungen ändern und dieses Gen plötzlich wichtig wird, können die Bakterien mit diesem Gen es über lateralen Gentransfer an die Bakterien in ihrer Nähe weitergeben. Diese Bereitschaft zum Teilen von Genen erklärt, warum ganze Bakterienpopulationen derart schnell eine Antibiotikaresistenz entwickeln können. Zugleich ist sie der Grund, warum kanadische und US-amerikanische Regulierungsbehörden regelmäßig Nachweise verlangen, dass Probiotikastränge in Nahrungsergänzungsmitteln keine Antibiotikaresistenz aufweisen (denn diese Gene könnten leicht auf potenziell pathogene Bakterien im Darm überspringen). Bei den winzigen Chromosomenringen der bereits erwähnten Plasmiden verläuft das Tempo des lateralen Gentransfers deutlich schneller. Bakterien können aber auch Gene aus ihren Hauptchromosomen übertragen, was einfach langsamer geschieht. Tendenziell wird jedes Gen, das nicht regelmäßig verwendet oder aktuell nicht benötigt wird, zugunsten schnellerer, effizienterer Replikation verworfen.

Als Abkömmlinge von Bakterien haben die Mitochondrien über diesen Prozess die meisten ihrer Gene eingebüßt. Wozu aber brauchte das Mitochondrium überhaupt noch Gene, wo es doch als verwöhnter Parasit in seinem Wirt lebte? Das ist eine gute Frage, besonders wenn man bedenkt, dass jede Zelle einige hundert bis tausend Mitochondrien besitzt und dass jedes Mitochondrium fünf bis zehn DNA-Kopien enthält. Lane hat sich ausführlich mit diesem Problem befasst. Zum Zeitpunkt der Teilung ist die Menge der Mitochondrien pro Zelle eine echte Bürde. Sowohl bei der Teilung der Mitochondrien – der mitochondrialen Fission oder mitochondrialen Biogenese – als auch bei der Zellteilung müssen all diese Mitochondriengene mitkopiert werden. Zudem muss jedes Mitochondrium seinen eigenen Apparat zur Gentranslation sowie proteinbildende Ribosomen aufrechterhalten. Dieser Prozess erscheint für die Nachfahren von Bakterien, die auf kompromissloser Effizienz beruhen, eher ineffizient.

Hinzu kommen potenziell katastrophale Folgen, wenn Mitochondrien mit unterschiedlichem Genom in derselben Zelle vorliegen (zum Beispiel, wenn väterliche Mitochondrien aus der Samenzelle überleben und mit den mütterlichen Mitochondrien aus dem Ei koexistieren – was meist zu einer Fehlgeburt führt). Vermeidbar wäre dies zum Beispiel durch die dauerhafte Übertragung aller Mitochondriengene auf den Zellkern.

Wenig sinnvoll erscheint zudem, dass das exponierte, wehrlose genetische Material in den Mitochondrien unmittelbar neben den Elektronentransportketten liegt, die immer wieder destruktive freie Radikale erzeugen. Diese freien Radikale können die mtDNA schädigen und Mutationen auslösen, was zum Absterben des Mitochondriums (und in der Folge zu diversen Krankheiten einschließlich Krebs) führen kann. Darauf komme ich später noch zurück.

Warum also wurde nicht das gesamte Erbgut der Mitochondrien in den Zellkern übertragen? Wenn diese DNA nach fast zwei Milliarden Jahren Evolution trotz guter und logischer Gegenargumente nach wie vor in den Mitochondrien ruht, muss es einen logischen Grund dafür geben – und das sollte schon ein sehr überzeugender Grund sein.

Ein Grund für die Erhaltung bestimmter Gene scheint darin zu liegen, dass sie die oxidative Phosphorylierung steuern. Das Tempo der oxidativen Phosphorylierung reagiert sehr sensibel auf den jeweiligen Energiebedarf, der oftmals von einer Minute zur anderen schwanken kann, je nachdem, ob wir wach sind oder schlafen, Sport treiben oder sitzen, mit einer Grippe kämpfen, eine Prüfung schreiben, verdauen, dieses Buch lesen oder was auch immer. Bei solchen rasch veränderlichen Szenarien müssen die Mitochondrien die Energieproduktion auf zellulärer Ebene prompt anpassen können, und zudem muss jede Zelle – ob Muskelzelle, Gehirnzelle, weißes Blutkörperchen, Darmzelle oder Leberzelle – individuell reagieren.

Eine geschmeidige Reaktion auf solche abrupten Veränderungen des Energiebedarfs müssen die Mitochondrien unmittelbar vor Ort justieren können, und diese Kontrolle wird über bestimmte Gene in der mtDNA sichergestellt. Die Reaktionen, die in der Elektronentransportkette in der Innenmembran der Mitochondrien ablaufen, müssen auf der Ebene des individuellen Mitochondriums genau reguliert werden. Wenn dieser Prozess aus der Ferne gesteuert werden müsste – über Gene, die fernab im Zellkern stecken –, wäre dies nicht nur ineffizient, sondern die Zelle könnte auf einen abrupt veränderten Energiebedarf auch nicht rasch genug reagieren.

Klingt das so weit einleuchtend? Gut! Dann sollten wir uns mit dem Gesetz von Angebot und Nachfrage befassen, ehe wir genauer überlegen, warum die Mitochondrien noch eigene Gene besitzen. Sie erinnern sich sicher, dass der gesamte Prozess in den Mitochondrien – von den einzelnen Komplexen in der Elektronentransportkette bis hin zur ATP-Erzeugung durch ATPase – wie ein fein abgestimmtes Räderwerk ineinandergreift. Die Geschwindigkeit des einen Rädchens hat Einfluss auf die des nächsten. Bei hohem Energiebedarf fließen die Elektronen rasch die Transportkette hinunter. Die Protonen werden schnell gepumpt, und der Protonengradient steigt zügig an (womit das Protonenreservoir sich füllt). Je steiler der Protonengradient, desto höher wird der Druck, rasch ATP zu bilden, weil die Protonen durch die ATPase gedrängt werden.

Die oxidative Phosphorylierung verwandelt aber auch dann alles ADP in ATP, wenn kein ATP-Bedarf besteht. Da die Zelle das ATP nicht verbraucht (wobei sie es wieder in ADP und Phosphat zerlegen würde), muss die ATPase ihren Dienst mangels Rohmaterial einstellen. Ab diesem Zeitpunkt können die Protonen die ATPase nicht mehr passieren, und das Protonenreservoir wird immer voller. Sobald der Protonengradient einen bestimmten Wert übersteigt, reicht die geringe Energiemenge, die entsteht, wenn die Elektronen über ihre Transportkette rinnen, nicht mehr aus, um gegen dieses starke Gefälle anzupumpen. Das Ausbleiben der Protonenpumpe führt dazu, dass der Elektronenstrom entlang der Kette ins Stocken und schließlich zum Erliegen kommt. Aber keine Sorge, sobald der Energiebedarf wieder steigt, gerät der Kreislauf wieder in Gang, und die Zelle verbraucht etwas ATP (wobei wieder ADP und Phosphat als Ausgangsbasis für die Arbeit der ATPase entsteht). Genau deshalb ist Bewegung so wichtig, denn sie verbraucht ATP. Auch hierzu kommen wir später noch. Es könnte natürlich auch zu wenig Sauerstoff vorliegen, wenn etwa bei einem Schlaganfall die Durchblutung bestimmter Gehirnareale ausbleibt. Ohne ausreichend Sauerstoff können die Elektronen am Ende der Atmungskette nicht abgenommen werden und stauen sich auf, ganz wie bei einem Verkehrsstau. Damit kommt die oxidative Phosphorylierung zum Stillstand. In beiden Situationen können die aufgestauten freien Elektronen austreten und freie Radikale erzeugen.

Neben Angebot und Nachfrage müssen wir jedoch weitere Komponenten der Elektronentransportkette berücksichtigen. Jede Komponente kann entweder reduziert (ein Elektron bekommen) oder oxidiert (ein Elektron abgeben) werden, aber nicht beides gleichzeitig. Wenn Komplex I also bereits ein Elektron bekommen hat, kann er kein weiteres aufnehmen, ehe er das erste an das nächste Carrier-Molekül in der Kette, Ubiquinon, weitergereicht hat. Bis dieses Elektron übergeben ist, stockt die Atmungskette. Wenn umgekehrt Komplex I kein Elektron hat, kann es so lange nichts an Ubiquinon weitergeben, bis es (von NADH) ein Elektron erhalten hat. Die Atmungskette stockt, bis dieses Elektron eingetroffen ist.

Diese Abfolge von Reduktion und Oxidation, die gemeinhin als Redoxreaktion bekannt ist, gilt in der Medizin als zukunftsweisendes Forschungsgebiet. In jedem Mitochondrium gibt es Tausende von Elektronentransportketten (pro Mitochondrium knapp 10 000, was eine beeindruckende Zahl ist), und die oxidative Phosphorylierung verläuft am reibungslosesten, wenn zwischen oxidierten und reduzierten Transportmolekülen (Carrierproteinen) ein ausgewogenes Verhältnis von 50:50 besteht.

Wenn dieses Gleichgewicht verloren geht, werden nicht nur oxidative Phosphorylierung und Energieproduktion ausgebremst, sondern auch die Mitochondrien massiv geschädigt. Das liegt daran, dass jedes Transportmolekül in der Kette reaktiv ist. Bei normalem Elektronenfluss gibt jeder Carrier seine Elektronen an den nächsten Carrier weiter, der ein etwas höheres Bedürfnis nach diesem Elektron hat als sein Vorgänger. Da die Carrier jedoch nicht gleichzeitig oxidiert und reduziert werden können, ist die Elektronentransportkette in dem Moment blockiert, wenn das folgende Molekül bereits ein Elektron hat. Dann besteht die Möglichkeit, dass dieses Elektron vorzeitig mit Sauerstoff reagiert. Wenn Sauerstoff ein Elektron nicht von Komplex IV (dem letzten Trägermolekül in der Kette), sondern von einem anderen Carrier bekommt, entsteht das giftige freie Radikal Superoxid. Das ist nicht unbedingt schlimm (worauf ich später eingehe). An dieser Stelle sollten wir jedoch bedenken, dass Superoxid anschließend alle möglichen biologischen Moleküle schädigen kann. Und das wollen wir in der Regel nicht. Der Vorgang ließe sich mit Zügen auf einer Bahnstrecke vergleichen: Wenn ein Zug einen bestimmten Bahnhof nicht rechtzeitig verlässt, kann der nächste Zug nicht einfahren. Bestenfalls gerät dann der Bahnverkehr ins Stocken. Falls ein herannahender Zug aber kein Signal erhält, dass der Bahnhof besetzt ist, und nicht früh genug abbremst, kann es leicht zu einem Unfall kommen. Die Waggons entgleisen, und es kommt zu unterschiedlichen Schäden.

Daher sorgt die Erhaltung einer 50:50-Bilanz für die Redoxreaktion nicht nur für einen raschen, effizienten Elektronenfluss entlang der Transportkette, sondern sie minimiert auch das Risiko für die Bildung des freien Radikals Superoxid. Die Erhaltung dieses Gleichgewichts hängt jedoch auch vom Verhältnis der Carriermoleküle in der Elektronentransportkette zueinander ab. Hat ein Mitochondrium beispielsweise jede Menge Komplex I, der ein Elektron von NADH übernommen hat, aber nicht genug Ubiquinon, so jonglieren viele „volle“ Komplex-I-Einheiten mit ihrem Elektron herum, bis dieses irgendwann auf Sauerstoff überspringt. Und wie alles im Körper ist auch die relative Menge aller Komponenten der Elektronentransportkette beständig im Fluss. Alles wird unablässig abgebaut und ersetzt.

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9783954843961
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