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Im Meere hinter Brandungsschaum und Riff
Schwimmt wie ein Kormoran das Blumenschiff.
Ich bin nicht gegen seinen Duft gefeit.
Ich heb den Arm. Das Schiff ist allzu weit.
Mimosen hängen traubengleich am Bug.
Ein Fächer schlägt den Takt zum Ruderzug.
Ich werfe eine Blume in das Meer,
Die treibt nun auf den Wellen hin und her.
Vielleicht, daß, wenn der Wind sich abends dreht,
Er meine Blume bis zur Barke weht . . .
 

(Einen Augenblick Schweigen.)

Können Sie mir dies Gedicht kommentieren?

PAO: Ich wandle am Strand des Meeres. Die Wogen schäumen: Vergänglichkeit . . . Vergänglichkeit . . . Ich denke des blauen Meeres von Ku Ku-Noor, des toten Meeres, wo die Gebeine der Unbestatteten am Strande verwesen. Welches Kind, welcher Enkel soll mir die Ahnengebräuche erweisen, soll mich bestatten, da mir die Mutter meiner künftigen Kinder ihr jungfräuliches Herz verweigert? Wie die Wellen sich am Riff brechen, so bricht mein strömendes Herz am starren Herzen der Geliebten. Wie fern weilt sie mir! Auf den Wogen des Meeres, unerreichbar weit wie der Kormoran, gleitet, in der Silhouette einem Kormoran nicht unähnlich, dort nicht ein Schiff der Freude, des Gesanges und des Tanzes auf Bastschuhen, der leichten Lust und der schweren Liebe, ein Blumenschiff? Der Gesang klingt zu mir einsam Wandelnden hinüber; herüber weht ein Duft von Blumen und Parfümen. Ein Mädchen winkt mit dem Fächer, mit dem sie den Takt der Ruderschläge begleitet, nach dem Lande. Langsam gleitet das Blumenschiff. Mir ist es, als trüge meine Freundin dahin . . . dahin . . . Wohl wäre es möglich, das Schiff zu halten mit einem Ruf, daß es auf mich den Kurs nähme, aber was gewönne ich? Ich vermöchte wohl mit Gold das Blumenmädchen zur Hingabe, doch niemals zur Liebe der geliebten und liebenden Seele zu zwingen.

HAITANG: Liebe muß herzlich und sinnvoll mit der reinsten Leidenschaft, dem herrlichsten Herzen errungen, sie kann nicht erzwungen werden.

PAO: Nichts anderes vermag ich, als dem Blumenschiff eine Blume zuzuwerfen

(er wirft Haitang eine Blume zu, die sie aufnimmt)

als Symbol meines Herzens. Vielleicht, daß die Winde des Schicksals es an den Ort seiner Bestimmung führen.

HAITANG: Sie sind so nachdenklich! Soll ich Sie erheitern? Soll ich tanzen? Ich kann den Tanz der vier Jahreszeiten, den Tanz des Südwindes, den komischen Tanz des Herdgottes. Soll ich spielen? Die ewige Frühlingsmusik? Soll ich singen? Das Lied vom weißen Haupt?

 
Wie der Schnee so weiß,
Wie der Mond so weiß
Werden unsre Häupter einmal sein.
 

Soll ich etwas malen oder zeichnen? Hier ist ein Stück Kreide, mit dem Herr Tong am Türpfosten wohl säumige Schuldner aufzuschreiben pflegt. Ich werde hier auf die schwarze Tapete mit der weißen Kreide einen Kreis zeichnen. (Tut es.)

PAO: Der Kreis ist das Symbol des Himmelsgewölbes, der Kreis ist das Symbol des Ringes, der Gatten aneinander schmiedet, Herzring an Herzring reiht.

HAITANG: Was außerhalb dieses Kreises ist, ist das Nichts. Was innerhalb dieses Kreises ist, ist das All. Wie verbinden sich Nichts und All? Im Kreise, der sich drehend fortbewegt,

(zeichnet Speichen in den Kreis)

im Rad, das rollt. Ich bin an das Rad geschmiedet, das Rad des Schicksalswagens, den die Sonnenrosse durch die Äonen mit sich reißen. Ein junger Gott steht mit feuriger Peitsche im Wagen und treibt die Rosse. Er achtet meines Jammers und meiner Tränen nicht.

PAO: Ich knie vor dir, Kwanyin, Göttin der Reinheit.

HAITANG: Stehen Sie auf, was tun Sie? (Wischt die Speichen aus dem Kreise.)

Sehen Sie den Kreis, er ist schon wieder leer. jetzt umrundet er das Symbol des Spiegels, in dem ich mich eitel drehe und wende.

(Dreht sich vor dem Kreis wie vor einem Spiegel.)

PAO: Lösen Sie ihn, Schwester vom grünen Gürtel.

HAITANG: In dieser Hand, die noch keinen Mann geliebkost hat, steht mein Schicksal geschrieben. Wie verläuft die Linie meines Lebens? Ich sehe es im Spiegel, verkehrt.

PAO: Ich werde diesen Spiegel zerschlagen. (Ballt die Faust.)

HAITANG: Dann schlagen Sie auch das Bild im Spiegel und schlagen mich. Wollen Sie mich schlagen? Ich bin schon einmal heute geschlagen worden.

PAO: Wer schlug Sie? Ich werde ihn stäupen lassen.

HAITANG: Ich habe seinen Namen vergessen; es war kein böser, es war nur ein schwacher Mensch. Aber sehen Sie, ich will dem Spiegel einen anderen Charakter geben, ich schreibe ein paar Zauberzeichen in den Kreidekreis,

(macht mit der Kreide ein paar Striche)

und schon blickt aus dem Spiegel Ihr Gesicht. Finden Sie sich ähnlich?

(Lachend.)

Habe ich Sie gut getroffen?

PAO: Sie haben mich getroffen, Sie haben mich gut getroffen, Sie haben mich ins Herz getroffen.

HAITANG (zu dem Bild):

 
Ich wollte, dieser wäre mein Freund . . .
Zwei schwarze Vögel seine Blicke sich wiegen,
Die mit den Adlern um die Wette fliegen.
Lange Wimpern schatten ihre Glut,
Wie Weidengesträuch, das vor einem Waldsee ruht.
Seine Hände leuchten schlank;
Blasser Erinnerungen sind sie krank.
Aber die Lippen hat er schmalrot zusammengebissen,
Als wollten sie nichts von Küssen
Und nichts von Lächeln mehr wissen.
Weh, sie sind wie des großen Räubers gedoppeltes Schwert,
Das rotsingend durch meine schlaflosen Nächte fährt. –
Immer, wenn ich morgens in den Spiegel sehe, werde ich an Sie denken.
 

PAO: Ich lasse mir jeden Spiegel gefallen, den Sie mir vorhalten. Wie aber, wenn ein anderer mein Bild innerhalb des Kreidekreises auswischt oder auslöscht und sich an seine Stelle setzt?

(Ein dicker Kopf hat die Papierwand innerhalb des Kreidekreises durchstoßen. Es ist der Kopf des Mandarinen Ma. Haitang und Pao weichen seitwärts zurück.)

MA: Mein Name ist Ma. Ganz einfach Ma. Wenn ich den Namen Ma nenne, so sollte das eigentlich genügen, daß jedermann sich ehrfurchtsvoll vor mir verneige. Denn ich besitze Geld, Geld, viel Geld, sehr viel Geld, so daß ich mir alles kaufen kann, was ich will, und wonach ich Gelüst und Sehnsucht trage. Wie der Habicht nach Raub ausgeht, so verlasse ich meinen Palast und ziehe auf Abenteuer aus. Sehe ich ein schönes Pferd, besteig ich's. Sehe ich ein schönes Weib, entführ ich's. Wenn es mir paßt, gehe ich durch die Wand, wie im vorliegenden Falle. Was kann die zerrissene Tapete kosten? Ich bezahle alles, und was ich bezahle, zahle ich bar. Ich habe mir den Doktortitel gekauft und bin Ehrendoktor der Universität Peking, obwohl ich das Schriftzeichen für Liebe nicht von dem Schriftzeichen für Geld unterscheiden kann. Ich habe einen Sitz im Gericht gekauft und spreche Recht, obwohl ich nicht einmal recht sprechen kann und mir in meinen eigenen Geschäften der Unterschied zwischen Diebstahl und reellem Kommerz ziemlich schwer fällt. Ich bin Steuerpächter und treibe die mir zustehenden Steuern rücksichtslos ein. Ich bin streng, aber gerecht. Zum Lohn für meine Nachsicht, daß ich ihm die geschuldete Steuer schon einmal stundete, erhängte sich vorgestern ein gewisser Gärtner Tschang vor meinem Hause, zu dem ausgesprochenen Zweck, mir Ungelegenheiten zu bereiten, was dem Lumpen auch gelang. Der Pöbel hat mir die Fenster eingeworfen und mich Blutsauger und Volksverderber geschimpft. Um mich von den Aufregungen der letzten Tage zu erholen und mich zu zerstreuen, betrat ich dies mir wohlbekannte Haus des Herrn Tong. Denn ich liebe, um mich gebildet auszudrücken, die Blumen und Weiden. Ich habe mir von meinem Privatzauberer das Horoskop stellen lassen für heute. Der heutige Tag ist meinen Liebesunternehmungen zweifellos günstig.

(Sieht Haitang.)

Eine neue Blume im Garten des Herrn Tong! Seien Sie mir gegrüßt, zartes Fräulein! Sie sind so zart, daß ich Sie nicht anzufassen wage; ich könnte Sie ja zerbrechen. Sie sind so leicht, daß ich kaum zu reden wage; mein Atem könnte Sie verwehen bis in die Wolken hinauf und über die Wolken hinaus bis in den Taumel der Sterne. Und was hätte ich dann? Ich bliebe allein mit meinem Liebesschmerz untröstlich auf der trostlosen Erde zurück.

(Er klatscht dreimal in die Hände. Herr Tong erscheint.)

TONG: Euer Hochgeboren wünschen?

MA: Tong, diese junge Dame, die ich erst einige Minuten gesehen habe, gefällt mir ausgezeichnet. Ein junges Mädchen rührt mein Herz.

TONG: Es ist noch unberührt.

MA: Eine Jungfrau also?

TONG: Eine Jungfrau. Jungfrauen sind selten wie ein Fuchs in der Falle.

(Tong lacht devot.)

MA: Sie haben mir schon manche falsche Jungfrau angedreht, Tong; widersprechen Sie nicht! Diese Jungfrau aber ist echt. Ich habe das im Gefühl, Tong. Diese Jungfrau ist echt, so echt wie das Gold, das ich für sie aufwenden werde. Ich kaufe Ihnen das Fräulein ab. Völlig, mit Leib und Seele. Keine Widerrede, Tong! Kein Widerspruch des Fräuleins! Sie gehören Herrn Tong, er kann mit Ihnen tun, was er will. Später werden Sie mir gehören, und ich werde mit Ihnen tun, was ich will. Ich biete hundert Taels in Gold.

TONG: Euer Hochgeboren, sie hat mich selbst zweihundert gekostet.

(Der Prinz tritt aus dem Hintergrund.)

PAO: Ich biete dreihundert.

MA: Vierhundert.

PAO: Fünfhundert.

(Tong reibt sich die Hände. Er hat Haitang, die die Versteigerung entsetzt verfolgt, wie einen Gegenstand auf einen Tisch gehoben.)

MA: Sechshundert.

PAO: Siebenhundert.

MA: Tausend.

PAO (erbleichend):

Ich muß zurücktreten. Tausend Taels in Gold kann ich nicht überbieten. Die Dame

(er verneigt sich vor Ma und vor Haitang)

ZWEITER AKT

Garten und Veranda vor dem Hause Mas. Im Hintergrund zieht die Straße vorbei.

FRAU MA: Mein Name ist Yü pei, das bedeutet Kleinod. Ich bin die erste Gattin, die Gemahlin erster Klasse des Herrn Ma. Es ist jetzt ein Jahr her, daß Herr Ma eine zweite Gattin ins Haus genommen hat, eine unausstehliche Person namens Haitang, über deren sittliche Qualitäten ich mich nicht äußern will. Aber es sagt wohl schon genug, daß Herr Ma sie von der Straße aufgelesen, wo sie in einem Teehause die zweifelhafte Rolle einer Sängerin, Tänzerin und Kurtisane, ich gebrauche dieses beschönigende Wort, spielte. Ich bin in tiefster Seele verletzt, daß Herr Ma mir, seiner Gattin ersten Ranges, eine solche Persönlichkeit vorzieht. Zu allem Überfluß hat sie ihm einen Knaben geboren, einen Erben, während mein Schoß unfruchtbar geblieben ist. Die Götter wägen das Schicksal der Menschen wohl auf der Goldwaage. Weh mir, was habe ich zu erwarten, wenn ich nicht selbst mein Geschick entschlossen in diese kleinen Hände nehme? Zum Glück wird mir jemand beistehen, der mir ergeben ist auf Leben und Tod. TSCHAO (auftretend): Und das ist niemand anderer als Ihr dienstwilliger Knecht Tschao, Gerichtsbeamter am hiesigen Amtsgericht.

FRAU MA: Ich freue mich, Sie zu sehen, Tschao. Wo kommen Sie zu dieser Stunde her?

TSCHAO: Herr Ma hatte die Freundlichkeit, mich in einer geschäftlichen Angelegenheit zu sich zu bitten.

FRAU MA: Was ist das für eine geschäftliche Angelegenheit?

TSCHAO: Ich bin leider noch nicht unterrichtet, gnädige Frau.

FRAU MA: Ich hatte diese Nacht einen Traum. Ich träumte, wir beide gingen eine steinige Straße, viele, viele Stunden lang. Die Sonne brannte unerträglich. Kein Baum, kein Strauch, nicht der Schatten eines Schattens. Mich dürstete, daß ich zu sterben meinte; kein Quell weit und breit. Da nahmen Sie ein Messer, Tschao, stießen es sich ins Herz, Ihr Blut rann nieder, und Sie sprachen, schon vergehend: Yü pei, trinken Sie mein Blut, das ich gern für Sie verströme.

TSCHAO: Und Sie?

FRAU MA: Ich trank und war gerettet. Ich bereitete Ihnen ein prunkvolles Begräbnis und verbrachte meine Tage damit, Ihren heroischen Tod zu bejammern und zu beweinen. Und fast schien es mir im Traum, als liebte ich Sie, da Sie tot waren, noch inniger, als da Sie noch lebten.

TSCHAO: Wann werden wir einander völlig angehören dürfen, frei vor aller Welt, und nicht heimlich wie jetzt im Garten, wenn Herr Ma einmal ausgegangen ist?

FRAU MA: Bald, vielleicht eher, als Sie meinen.

TSCHAO: Seit ich Sie sah, Yü pei, ist das Sternbild der Weberin von seinem Platz am Himmelsgewölbe verschwunden und leuchtet nun auf Erden. Wie ein Glühkäfer schwirrt es vor mir her, und manchmal darf ich es fangen, und erstaunt halte ich es in meiner Hand; es leuchtet, aber es verbrennt mich nicht. Es bleibt aber nicht bei mir. Immer wieder fliegt es davon, und immer wieder muß ich durch Gebüsch und Gesträuche ihm nach. Yü pei, zuweilen bin ich ganz verzweifelt, und zuweilen will es mich würdiger dünken, ich machte diesem qualvollen Leben ein Ende, als daß ich noch weiter dahinsieche und meine Tage dahinschleppe wie ein Kahntrecker seinen elenden Kahn den Yang tse kiang hinauf. In den Falten meines Mantels trage ich ihn immer bei mir, den Tröster, der ewigen Trost brächte.

FRAU MA: Süßer Tschao, was haben Sie für schreckliche Gedanken! Zeigen Sie, was Sie in den Falten Ihres Mantels tragen.

TSCHAO (holt ein kleines Büchschen hervor):

Ich kaufte es einem Mönch ab im Tempel des Wuwang.

FRAU MA: Gift!

TSCHAO: Ich habe mich in den Schutz des Gottes der Krähen gestellt. Niemand wird mich begraben; ich habe keine Anverwandten. Auf das freie Feld wird man meinen Leichnam werfen. Die Krähen werden kommen und ihre Mahlzeit halten.

FRAU MA: Süßer Tschao, gib mir das Gift, gib es mir, du darfst es nicht bei dir tragen in einem Zustand, da dein Gemüt verdunkelt ist.

(Sie entwindet ihm die Büchse.)

Ich hebe es auf! Wer weiß, ob nicht die Stunde einmal kommt, da wir gemeinsam die Reise in die unteren Bezirke antreten.

TSCHAO: Mit dir zu sterben, wäre mir höchste Seligkeit.

FRAU MA: Jetzt sollst du noch mit mir leben, und diese Seligkeit wird süßer sein.

(Zieht ihn hinter einen Baum. Umarmung.)

Ich bat dich bei unserer letzten Zusammenkunft, die Gesetzesbücher auf einen strittigen Punkt durchzusehen und mir Auskunft zu geben über die Frage: wer ist Erbe von Geld und Gut, Haus und Hof, wenn der Mann stirbt?

TSCHAO: Erbe, und zwar Alleinerbe, ist die erste Frau, die Gattin erster Klasse.

FRAU MA

(freudig):

Tschao!

TSCHAO: Doch tritt in der Erbfolge eine Änderung ein, falls sie kinderlos bleiben sollte.

(Frau Ma stampft mit dem Fuß auf.)

TSCHAO: Hat eine Nebenfrau einen Knaben geboren, dann tritt sie und das Kind in die Rechte der Alleinerben, und die Hauptfrau wird auf ein Pflichtteil gesetzt.

FRAU MA: Das ist also mein Schicksal, wenn Ma stirbt. Habe ich ihm nicht schon treu gedient, als diese Hure von Haitang noch gar nicht auf der Welt war? jetzt soll ich mein Alter in Armut und Elend wie einen Leinensack tragen, während sie mit ihrem Bankert in goldener Sänfte an mir vorbeigetragen wird, und ich hocke am Straßenrand und bettle um ein paar Kesch.

TSCHAO: Das wird nie geschehen, solange ich lebe.

FRAU MA: Großes Kind bist du nicht arm wie eine Kirchenmaus? Dein dürftiges Gehalt, um das dich Herr Tschu, der Oberrichter, obendrein noch meist betrügt, reicht kaum zum Tabakkauen für dich. Muß ich dir nicht immer von mir aus noch einige Taels zustecken und dir Reis und Kuchen schicken? Du wärst wohl längst verhungert ohne mich.

TSCHAO: So siehst du keinen Weg aus dem Elend?

FRAU MA (langsam):

Ich sehe einen. Wirst du mir versprechen, mir auf diesem Wege zu folgen, auch wenn dieser Weg ein krummer Weg sein sollte? Wirst du die Augen schließen und dich ganz meiner Führung anvertrauen? Mir zu Liebe?

TSCHAO: Ich will es versprechen, weil ich keinen Weg sehe.

FRAU MA: Die Stunde des Gerichts hat eben zu schlagen begonnen. Ich werde gehen, dich Herrn Ma zu melden.

(Ab.)

TSCHAO . Tschao hai nennt man mich auf dem Gericht: Tschao, den sich durch Tugenden Auszeichnenden. Werde ich diesen Ehrentitel noch lange tragen dürfen? Ich werde heute abend Räucherwerk entzünden, um die bösen Geister, die sich in meinem Hause und meinem Herzen schon festgenistet haben, zu vertreiben.

(Ma erscheint auf der Veranda, hinter ihm Frau Ma, Haitang, die sich alle drei verneigen. Tschao ebenfalls.)

MA:

 
Wie tief im Tal der schwarze Fluß, daran
die Stadt gelagert wie ein Haufen
von den Söldnern nach der Schlacht!
Es warf ein jeder
sich in das Feld, grad wo er stand, so sehr
ermüdeten ihn Blutrausch, Mord und Tod.
Also die Häuser, da und dort verstreut,
gehalten nur
von einem Turm, der herrisch in der Mitte
den Strahlenhelm nach allen Seiten dreht.
Der Yang tse kiang, so sagt man, berge Perlen
in seinen schwarzen Wassern. Wer um Mittnacht,
mit reinem Sinn und Zauberspruch begabt,
sich an das Perlenfischen macht, dem ist
zuweilen wohl ein seltner Fund gegönnt.
Ich ging die Nacht an seinen dunklen Ufern
und fand ganz ohne Zauber auch das Herz
war nicht so rein, wie die Beschwörung fordert –
ich fand ein Perlchen doch und hob es auf.
Und strahlender als des Mikado Perlen
hat's mir die Nacht erleuchtet, süßer mich
als alle Perlen Indiens beglückt.
 

TSCHAO: Ihr Knecht Tschao ist auf das höchste geehrt, mit seinen geringen seelischen und geistigen Kräften Euer Hochgeboren vielleicht einen bescheidenen Dienst leisten zu dürfen.

(Frau Ma und Haitang bringen je eine Strohmatte, die sie ausbreiten.)

MA: Ich bitte Platz zu nehmen.

(Ma und Tschao setzen sich auf die Strohmatten. Zu den Frauen.)

Laßt uns allein.

(Haitang und Frau Ma ab.)

TSCHAO: Ein herrlicher Frühlingstag!

MA: Lau und milde wie ein Sommertag. Er tut meinen alternden Gliedern wohl. So ist Haitang.

(Tschao schweigt.)

MA: Man nennt Sie auf dem Gericht Tschaohai: der sich durch Tugend, Gerechtigkeit und Unbestechlichkeit auf das höchste auszeichnet.

TSCHAO. Meine Verdienste sind unbeträchtlich, meine Charaktereigenschaften einer Hervorhebung nicht würdig man übertreibt.

MA: Ich möchte Sie daher ersuchen, meine Interessen in einer juristischen Angelegenheit zu vertreten, die mir schon lange im Kopfe herumgeht.

TSCHAO: Ich werde nicht verfehlen, Ihnen nach Möglichkeit zu dienen.

MA: Über das Honorar werden wir uns leicht einigen. Ich höre, daß Sie nicht in den besten Verhältnissen leben.

TSCHAO: Ich kann leider nicht widersprechen.

MA: Ich bitte Sie, im Rahmen des Möglichen natürlich, jede beliebige Summe als Vorschuß entnehmen zu wollen.

TSCHAO: Und worum handelt es sich, wenn ich mir die Frage gestatten darf?

MA: Ich habe beschlossen, mich von meiner Gattin ersten Ranges, Yü pei, scheiden zu lassen und Haitang in ihren Rang zu erheben. Ich liebe Haitang, sie hat mir einen Erben geboren. Ich beauftrage Sie mit der Erledigung der juristischen Formalitäten.

(Tschao ist aulgesprungen.)

MA: Warum bleiben Sie nicht sitzen?

TSCHAO: Ich leide in letzter Zeit an Rheumatismus; die Strohmatte hält die Feuchtigkeit des Erdbodens, zumal im Frühling, nicht genügend zurück. Ich bitte für meine Formlosigkeit um Entschuldigung.

MA: Nun? Wollen Sie meine Angelegenheit führen?

TSCHAO: Ich bin selbstverständlich entzückt, Ihnen behilflich sein zu können.

MA: Es würde die Lösung erleichtern, wenn man Frau Ma eine Untreue nachweisen könnte, irgend ein Verhältnis mit einem Mann, das die Sittenlehre nicht billigt.

TSCHAO: Ein solches Verhältnis läßt sich zur Not auch künstlich herbeiführen. Man konstruiert einen Ehebruch.

MA: Ich sehe, wir verstehen uns.

(Klatscht dreimal in die Hände, Frau Ma und Haitang erscheinen.)

Yü pei, geleite den Herrn bis an das Tor. Haitang, du hast mir heute den Knaben noch nicht gezeigt? Komm, zeige ihn mir!

(Beide ab ins Haus.)

FRAU MA: Was wollte er?

TSCHAO: Er will sich scheiden lassen.

FRAU MA: Von mir?

TSCHAO: Von dir. Er beauftragt mich, die Scheidung einzuleiten.

FRAU MA: Wir müssen handeln, jeder Aufschub wäre Torheit und Verrat am eigenen Geschick.

TSCHAO: Was willst du tun?

FRAU MA: Schließe die Augen! Der Gott des Dunkels sei mit dir!

(Frau Ma ab ins Haus. Am Gartenzaun erscheint, völlig zerlumpt, Tschang ling.)

TSCHANG LING:

 
Nun bin ich gegangen
Von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt,
Blieb niemand an mir hangen.
Es rollt des Schicksals Rad,
Und Stunde rollt und Tag und Jahr,
Stein ward mein Herz, staubweiß mein Haar;
Wie doch die Landstraß staubig war.
Trugglanz ist alles, und nichts ist wahr.
Ich hab keine Heimat, wenn nicht das Feld.
Ich habe kein Haus, wenn nicht die Welt.
Kein Geld, kein liebes Lächeln, das mich hält.
Ihr Herren und Damen, in aller Heiligen Namen,
Wollet mir etwas schenken!
Und wenn ich's versaufe, wer kann mir's verdenken?
 

Ich laufe durch die Welt, wie elend, wie schwelend mein Herz! Flamme unter der Asche! Rauch und Ruß überall. Tags saß ich in hohlen Baumstämmen und schlief. Nachts machte ich mich auf den Weg und lief da und dorthin. Schwirrte wie eine Fledermaus; die Dunkelheit tat mir wohl. Das Licht schmerzte mich. Wohin sind meine eleganten Kleider? Die trunkenen Abende in den Schenken? In Fetzen hängen mir einige Lumpen am Leibe. Mein Magen ist eine gedörrte Pflaume. Vor den Tempeltüren kniee ich und flüstere heiser: einen Kesch, schöne Dame, im Vorüberwandeln, im Namen der Göttin Kwanyin, die Ihr selbst eine Göttin seid, geschnitzt aus Bergkristall. Einen Kesch, hoher Herr, im Namen des Gottes Fo, den zu besuchen Ihr Euch anschickt, um sein brüchiges Standbild neu vergolden zu lassen. Vergolde mir Eure Güte eine Stunde meines schwarzen Tages. Ich traf einen alten Zauberer. Ich bat ihn um Aufklärung über das Wesen Himmels und der Erde. Er sagte mir: Bruder, tritt der Gesellschaft Himmels und der Erde bei, so wirst du es erfahren. Die drei großen Mächte sind: Himmel, Erde, Mensch. Warum willst du, der Mensch, dich deiner Macht begeben? Einsicht und Nachdenken wird dich zu den Gestirnen erheben. Du wirst neben der Weberin im goldenen Kreise ziehen. Ich schwieg und dachte, und nachdem ich nachgedacht, trat ich der Gesellschaft bei, die das Los der armen Menschen bessern will. Das höchste Wesen will nicht, daß Millionen Sklaven sind von einigen wenigen, denen der Zufall Gold und Edelsteine in Fülle in den Schoß warf. Der furchtbare Unterschied von arm und reich muß aufgehoben werden. Weh uns, daß Männer ihre Seele, Mütter ihre Töchter verkaufen müssen, um des nackten, dürftigen Lebens willen. Vater Himmel und Mutter Erde haben nie und nimmer Tausenden ein Recht gegeben, das Eigentum ihrer Millionen Brüder zur Befriedigung ihrer Üppigkeit zu verschlingen. Sie prassen von dem Schweiß und der Arbeit ihrer unterdrückten Brüder. Die Sonne mit ihrem strahlenden Antlitz, die Erde mit ihren reichen Schätzen, die Welt mit ihren Freuden ist gemeinschaftliches Gut, das zur Bestreitung der dringendsten Bedürfnisse Millionen nackter Brüder aus den Händen der paar Tausend zurückgenommen werden muß. Die Menschheit muß endlich einmal von ihrem Jammer erlöst werden. Der edle Same des Menschentums darf nicht unter dem Unkraut der Unmenschlichkeit erstickt werden. Ein solch verruchtes Unkraut, das den Blumen und nützlichen Pflanzen die Erde wegnimmt, ist Herr Ma, der Besitzer dieses Hauses. Er hat meinen Vater in den Tod, mich in das Elend getrieben und meine Schwester gezwungen, sich ihm zu verkaufen. Sein Name ist in der Liste der Brüderschaft längst mit einem Kreidekreis umgeben. Das bedeutet seine Trennung von dieser Welt. Sein Urteil ist gesprochen. Und ich bin erkoren, es zu vollstrecken.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
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Правообладатель:
Public Domain
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