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(Von rechts kommt Tschang ling, ebenfalls von zwei Soldaten eskortiert, die hölzerne Krause um den Hals.)

DRITTER SOLDAT. Vorwärts, du Schwerverbrecher, du Revolutionär, dir wird man es eintränken.

VIERTER SOLDAT: Begehrt gegen die Staatsgewalt auf, die sich in uns verkörpert.

DRITTER SOLDAT: Hat ein Attentat auf die geheiligte Person der Majestät an geweihter Stelle mitten im Gerichtssaal begangen.

VIERTER SOLDAT: Wollte ihm das Messer mit dem Zeichen der Lotosblüte in die Brust stoßen.

TSCHANG LING:

 
So einsam wir durch unsre Tage gehen,
Daß wir kein Weib, keinen Hund uns zur Seite sehen.
Sie stehen links und rechts und reichen sich die Hände
Und stehen da wie schwere, graue Wände,
Mich zu zerschmettern. Gepeitscht von ihren Gedanken,
Muß ich durch ihre dumpfe Gasse schwanken.
Sie schließt sich hinter mir zum eisernen Wall.
Grell durch die Einsamkeit dröhnt meiner Taumelschritte Widerhall.
 

O Leid! O Zeit! Was kam ich in einem Land zur Welt, wo Gerechtigkeit nur ist für die Reichen, und die Armen ein Spielball sind ihrer herrischen Lüste! In diesem Land gilt gut als böse, und böse als gut. Der Ochsenfrosch bläst sich auf und will singen. Der Schmetterling fällt in den Teich und ertrinkt. Wer vor Hunger zu Boden stürzt, erhält noch einen Tritt in den Leib. Der Reiche, der sich von der Arbeit der Armen mästet wie eine feiste Ente, lächelt ihrer Tränen. Hier spricht jeder eine andere Sprache. Der Vater versteht den Sohn nicht, und der Sohn nicht den Vater. Liebe Liebe was ist das für ein sinn- und gewinnloses Wort! Krähenspuren im Schnee, wie bald sind sie verweht. Der Mann prügelt grinsend die Frau. Lächelnd betrügt die Frau den Mann. Die Kinder werfen mit Steinen nach dem Greis. Der blinde Bettler an der Tempelpforte ist ihnen ein Hohngelächter. Wenn Krieg ist, winseln sie um Waffenstillstand, aber wenn Friede ist, gehen sie mit Messern aufeinander los. Einer ist die Bestie des andern. Sie hassen den eigenen Volksgenossen heißer als den Feind außerhalb der Landesgrenze. Da der Feind mächtig ist, und ihre Waffen wie Weidenruten sind gegen einen Wald von Speeren, so erproben sie ihren Kampfesmut an ihren schwächeren Volksgenossen und schlagen todesmutig und todeswütig den eigenen Bruder tot, wenn er keine Waffe hat, sich zu wehren; oder sie schießen aus dem Hinterhalt mit vergifteten Pfeilen nach ihm. Auf den Kathedern der gelehrten Schulen sitzen Esel als Professoren dutzendweise. Sie haben sich Löwenfelle übergezogen und predigen den Krieg. Die Esel gegen die Löwen, der Hase gegen die Füchse. Neulich begegnete ich aber einem wahrhaft weisen Manne. Er war als Zugtier vor einen Karren gespannt, die Geißel flog über seinen entblößten Rücken, und er wieherte wie ein Pferd. Laßt ihn nur, schrie der Kutscher blökend, er ist im Monat des Pferdes geboren. Laßt ihn nur Pferd sein. Der Kaiser aber sitzt in Peking auf seinem Thron aus Lapislazuli. Er hält die Augen geschlossen wie Gott Fo. Er sieht nur nach innen und meditiert. Ach, daß ich Gott selbst das Messer mit der Lotosblüte in den Bauch rennen könnte!

DRITTER SOLDAT: Er lästert Gott und die Heiligkeit der Majestät! Na warte, Bürschchen! Tausend Bambushiebe sind dir vor der Exekution noch so sicher wie das Amen beim Gebet.

HAITANG (aufschreiend):

Bruder!

TSCHANG LING: Schwesterseele!

ERSTER SOLDAT: Kamerad, wenn es dir recht ist, so wollen wir, da unsere Transporte ja doch den gleichen Weg nach Peking haben, die Verbrecher mit den Zöpfen zusammenbinden. Nun werden sie leichter vorwärts zu treiben sein.

DRITTER SOLDAT: Das wollen wir also tun.

(Morgenstimmung, es hat aufgehört zu schneien.)

Hier muß eine Schenke in der Nähe am Wege liegen. Da wollen wir uns Glühwein geben lassen und unsere erstarrten Glieder etwas wärmen. Es war eine bitter kalte Nacht.

(Klopfen an dieSchenke, die aus dem Morgenrot taucht.)

Heda! Aufgemacht!

(Wirt von innen: Sofort, meine Herren, sofort! Schlüsselrasseln. Von lern Trompetenstöße.)

ERSTER SOLDAT: Das ist das Zeichen Seiner Exzellenz, des Oberrichters Tschu tschu. Er ist ebenfalls auf dem Weg nach Peking.

(Läufer. In einer Sänfte wird Tschu tschu vorübergetragen. Kotau der Soldaten und des Wirts. Tschangling und Haitang bleiben aufrecht stehen. In einer zweiten Sänfte Tschao. In einer dritten Yü pei, jetzt Frau Tschao, mit dem Kinde. Als Haitang das Kind sieht, stürzt sie auf die Sänfte zu, reißt Tschangling mit sich.)

ZWEITER SOLDAT: Zurück mit dir, Weibsstück! Wirst du wohl die hohen Herrschaften nicht belästigen?

HAITANG: Mein Knabe Li! Erkennst du mich? Erkennst du deine Mutter?

(Der Zug der Sänften wie ein Schattenzug ab.)

ERSTER SOLDAT: Wirt, schnell für jeden von uns einen Glühwein. Und dann ihnen nach. Um Mittag müssen wir in Peking sein.

WIRT. Sofort! Heißes Wasser ist schon angesetzt. Sollen die Herren Verbrecher ebenfalls einen Schluck ?

DRITTER SOLDAT: Wenn sie das Geld haben zu zahlen, habe ich nichts dagegen.

TSCHANG LING (ist zusammengesunken):

Ich habe kein Geld; aber ich sterbe, ich erfriere, ich verdurste.

HAITANG: Herr Wirt, ich habe kein Geld; aber ziehen Sie mir den kleinen Übermantel aus, ich flehe Sie an, nehmen Sie ihn als Bezahlung für ein Glas Wein. Trink, Bruder, trink, das wird dich wieder zum Leben erwecken.

TSCHANG LING: Die Sage geht, daß vom Silberstern zuweilen Engel auf die Erde herniedersteigen. Haitang, bist du ein Mensch?

SOLDATEN: Vorwärts nun, zum Kaiser!

HAITANG: Sonne, ich habe meinen Schatten verloren. Sonne, rote Blüte im Schnee, wenn du am Abend verblaßt, wirst du deine welken Blütenblätter auf das Doppelgrab eines Bruders und einer Schwester streuen.

(Alle ab. Gleich darauf erscheint mit einer Papierlaterne der Wirt und ruft ihnen nach.)

WIRT: Herr Unteroffizier, Herr Unteroffizier, Sie haben das Bezahlen vergessen!

SOLDATEN (aus der Kulisse):

Komm her, wenn du bezahlt sein willst fünfundzwanzig Stockhiebe für jeden Glühwein!

WIRT:

 
Da steh ich nun, ich armer Mann,
Und nimmt kein Gott sich meiner an.
Wer eine Waffe trägt in der Hand,
Der hat die Macht im ganzen Land.
Darf ungestraft stehlen, rauben, morden
Und ist am Ende gar Kaiser geworden.
Der Heilige ein Dummkopf, der Mörder ein Held –
Wo ist Gerechtigkeit auf der Welt?
 

(Er bläst seine Laterne aus. Die Sonne steht als roter Ball über der Schneelandschaft.)

Vorhang.

FÜNFTER AKT

Die ersten Szenen spielen vor einem Vorhang, der später sich öffnet und den Thronsaal des kaiserlichen Palastes in Peking zeigt.

KAISER (der ehemalige Prinz Pao):

Diktiere, Bruder Dichter, deine Verse, die Verse, die dir heute nacht zwischen Traum und Wachen eingefallen sind; ich will sie niederschreiben mit silberner Tusche auf Schwarz.

DICHTER: Improvisation des Kaisers für eine ferne Geliebte schreib, Bruder Kaiser

 
Blume
Frau,
Dem Kaiser ist ein Lächeln eingegraben,
Ewiges Lächeln, unvergänglich seit er dich sah.
Die Jahreszeiten fliehen an dir vorüber
Auf jagenden Rossen
Du bleibst dir gleich
Dir treu.
Auf der Nordseite der Terrasse
Beugst du die jungfräulichen Brüste über das Blumengeländer
Eine Blume zwischen den Lippen.
 

KAISER (schweigt, dann):

Du sprichst aus meinem Herzen, Li. Kennst du die Frau, an die ich oft denke?

DICHTER: Ich kenne sie nicht, doch wird sie deiner würdig sein.

KAISER: Sie war Teehausmädchen in Nanking. Es ist ein Jahr her. Damals lebte der alte Kaiser noch, damals war ich noch der simple Prinz Pao, und mich hatte nicht das Los unter fünfzehn kaiserlichen Prinzen zum neuen Kaiser erwählt. Ich wollte einen Abend totschlagen, wie ich so viele meiner leeren Abende und Nächte totgeschlagen mit einem Mädchen, Reiswein, Gesang und Tanz in einem Teehaus. Ich ging in das erste beste am Weg. Ein weißer Vogel auf schwarzem Grund war sein Schild. Was für einen schönen, weißen Vogel traf ich im Käfig drinnen!

DICHTER: Ihr zwitschertet zu zweit im Wechselgesang

KAISER: Bis ein Habicht aus den Wolken stieß und mir den kleinen, weißen Vogel raubte.

DICHTER: Du verfolgtest den Räuber deines Glückes?

KAISER: Ich hatte kein Recht dazu.

DICHTER. Und fragt ein Liebender nach Recht und Macht?

KAISER: Vielleicht, daß ich zu wenig liebte?

DICHTER: Wer liebt, der stiehlt und mordet um sein Glück.

KAISER: Gerechtigkeit so heißt des Kaisers oberstes Gesetz und aller Tugenden Tugend. Ich habe darum für heute alle Verbrecher, die in meinem Reich seit meiner Thronbesteigung zum Tode verurteilt wurden, samt ihren Richtern hierher in meinen Palast entboten, um Gerichtstag zu halten. Ich habe Frieden geschlossen mit den Feinden des Landes, den Tataren; mich dauerte das unnütz vergossene Blut. Vergossen um den Besitz einer dürren, unfruchtbaren, gleichgültigen Provinz an der Wüste Gobi. Ich trat sie leichten Herzens dem Feinde ab. Nun will ich gegen die inneren Feinde zu Felde ziehen. Der innere Feind aber ist vor allem ein bestechliches Beamtentum. Ungetreue Richter, deren Seele vergeizt und verfilzt, und deren Urteil käuflich ist wie Fische am Markt. Ich will den Unterdrückten meines Volkes helfen, ich will ihr Bruder, nicht ihr Richter sein. Mein Schatten aber genüge schon, den Bösewichtern Schrecken einzujagen. Die Lilie meines Wappens für die Guten, das Schwert darin für die Schurken. Auf den steinernen Tisch, in den die Gesetze eingegraben sind, habe ich das Zeichen »Im Namen des Gottes« eingraben lassen. Wer dieses Zeichen sieht, der sei von heiliger Scheu durchdrungen. Denn der Gott richtet durch meinen Mund.

(Ein Zeremonienmeister tritt auf.)

ZEREMONIENMEISTER. Untertänigst zu vermelden, Euer Majestät, es ist Zeit, sich zu der Sitzung umzukleiden.

KAISER: Ich komme. Begleite mich, Li. Setz mir die Krone auf. Aus wessen Händen nähme ich sie lieber, als aus den deinen. Ich will, daß unsere Freundschaft immer bestehe und du immer um mich seist. Ich werde dich zum Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften und Künste und zum Oberaufseher der Annalen und Staatsarchive ernennen. Du mußt die sonderbaren und hervorragenden Ereignisse meiner Regierungszeit, der Nachwelt zum Denkmal, in Worte und Schriftzeichen fassen. Möge die Zeit meiner Regierung dir nur Anlaß zu guten Zeichen geben!

DICHTER: Ich danke dir: dem Menschen, dem Freund, dem Kaiser.

(Alle drei ab.)

(Es erscheinen Tschu tschu, Tschao, Frau Ma, jetzt Frau Tschao, das Kind auf dem Arm.)

TSCHAO: Warum bist du überhaupt mitgekommen? Deine Anwesenheit ist hier völlig deplaciert, um nicht zu sagen überflüssig.

FRAU MA: Kaum sind wir verheiratet, so hast du deine Maske der Ergebenheit und dienenden Liebe schon abgeworfen. Du gönnst mir auch keine Freude. Daß ich den Kaiser von Angesicht zu Angesicht sehen soll, das achtest du gering? Ich brenne danach, den Sohn des Himmels zu sehen.

TSCHAO: Er wird weniger nach dir brennen.

FRAU MA: Ist es wahr, daß die Krone ihm nach und nach auf dem Kopf festwächst? Daß seine Haare pures Silber werden und seine Fingernägel Perlmutter? Ist es wahr, daß der Blick seiner Augen töten kann, wen er will? Daß seine Augen blaue Saphire sind, und daß ihm die menschlichen bei der Thronbesteigung ausgestochen werden?

TSCHAO: Red keinen Unsinn, ungebildete, abergläubische Gans, und verhalte dich nur recht ruhig im Hintergrunde.

TSCHU: Ich muß ja sagen, daß mir nicht ganz wohl zumute ist, wenn ich daran denke, daß der Kaiser mit seinen Augen mich anblitzen wird. Er ist ein junger, tatkräftiger Herr. Er wird wie alle jungen Menschen reformsüchtig sein. Unter dem alten hatte unsereiner nichts zu befürchten. Er war so alt, daß er seine Augen selbständig gar nicht mehr aufhalten konnte. Bei Audienzen mußte man kleine Elfenbeinstäbchen zwischen die Lider stecken. Vor diesen Augen konnte man anstellen, was man wollte, sie entdeckten nichts. Aber der neue Herr ich fühle einen leichten Schwindel im Kopf.

TSCHAO: Wenn Ihr Euch nicht zu beherrschen wißt, so könnt Ihr ihn leicht verlieren.

TSCHU: Den Schwindel? Das will ich hoffen!

TSCHAO: Den Kopf 1

TSCHU: Nun, so fest wie der Eure sitzt er mir auch noch auf der Schulter.

(Sie treten seitwärts. Der Vorhang hebt sich, und die Bühne stellt den Thronsaal dar. Im Hintergrund der Thronsessel des Kaisers. Trompetenstoß des Zeremonienmeisters. Alles fällt im Kotau nieder. Der Kaiser im Ornat schreitet langsam bis zum Thronsessel, auf dem er sich niederläßt.)

KAISER:

 
Durch Gottes Gnade auf den Thron berufen,
Sandt ich in die Provinzen meines Reichs Stafetten,
Daß ich als erste Handlung meines Amts
Des Rechtes Banner hier errichten wollt
Die goldene Fahne mit dem Drachen drin.
Es sollten Richter und Gerichtete
Vor meinem Thron erscheinen, Rechenschaft
Von sich und ihren Taten abzulegen.
Ich bin den Schmeicheleien unzugänglich,
Die Ohrenbläser blasen in die Luft.
Ich richte auch die Richter. Wer Beschwerde
Gegen sie hat, erhebe sie. Der gelbe Saal
Hat tausend Augen, alles zu durchschaun,
Und tausend Hände, die das Richtschwert schwingen.
Hier auf den Stufen meines Tribunales steht
Ti sching gemalt: Sprich leise, handle leise, denke leise!
Ein jeder gehe mit sich selbst zu Rat,
Der hier das Wort ergreift. Im Park die Bäume
Sind kahl und ohne Blätter. Doch sie werden
Verbrecher, falsche Zeugen, falsche Richter
Als sonderbare Blüten tragen.
 

(Zu Tschang ling.)

 
Du da, Mit deinem Zopf an jenes Weib gebunden –
Soldaten, löst die Zöpfe sage mir,
Warum bist du im Block, und was ist dein Verbrechen?
Was bleibst du stehn und fällst nicht in die Knie?
 

TSCHANG LING:

 
Gäb es Gerechtigkeit
in diesem Land,
Ich stünde nicht im Block vor dir.
Wer so viel litt, wie ich, der kniet
Vor keinem Menschen mehr.
 

KAISER. Du wagst es, mich zu duzen?

TSCHANG LING:

 
Ich stehe vor dem Tod vor dir
Und soll ich mir den Kopf da noch beschweren
Mit all den Riten, Du und Sie und Euch
Und Majestät?
Doch wenns dich schmeichelt, daß
Ein Mann aus niederer Kaste,
Niederer Gesinnung,
Dich »Majestät« nennt, gut, es sei.
Ich beuge mich der Majestät des Todes.
 

KAISER: Der Richter.

(Tschu: Kotau.)

Was verbrach der Mann?

TSCHU. Er lästerte des Himmels Sohn, die geheiligte Majestät. Keine Strafe ist zu hoch für ihn. Er muß in hundertzwanzig Stücke zerschnitten werden, und sein Kopf auf der Mauer aufgespießt werden, den Raben zum Fraß, den Untertanen zur Warnung, ihre Zunge besser im Zaum zu halten.

TSCHANG LING: Das vollgefressene Schwein stinkt aus dem Maul. Die Lippe trieft vor Fett und Lügen.

KAISER: Er lästerte die Majestät mit welchen Worten?

TSCHU: Er beschmutzte mit dem Unflat seiner Flüche den hohen Gerichtssaal von Tscheukong.

KAISER: Die Worte –

TSCHU: Untertänigst zu vermelden: kaum wag ich, sie zu äußern; die Zähne weigern sich, sie freizulassen der neue Kaiser wird auch nicht besser sein als der alte.

KAISER: Dies sagte er?

TSCHANG LING: Und dieses noch dazu:

 
Wir Armen werden unter seinem Banner
Rechtlos am Straßenrand verrecken wie bisher.
Denn Recht hat nur, wer Macht hat, Geld, ein Amt.
Die Möglichkeit, den Richter zu bestechen
Mit Talerchen, mit einer schönen Frau,
Der eigenen vielleicht, was tut's?
Der Kaiser sitzt in Peking auf dem Thron
Peking ist weit des Kaisers Sinn so tief
Mit hoher Politik beschäftigt. Recht?
In China gäb es Recht? Daß ich nicht lache 1
 

(Er weint.)

TSCHU: Er ist ein Revolutionär. Ein Mitglied des Bundes vom weißen Lotos.

KAISER: Du weinst; weinst du um dein Geschick?

TSCHANG LING: Ich wein um China.

KAISER:

 
Nehmt ihm den Halsblock ab! Er sei befreit!
Wer solche Tränen weint, ist kein Verbrecher.
Sie netzen
Die Blume seines Herzens
Wie Tau.
Daß er mich lästerte, verzeih ich ihm.
Er lästerte aus einem edlen Willen,
Die schlechte Welt zu bessern.
Uns eint das gleiche hohe Ziel. Komm, sei mein Freund,
Und hilf mir, meinen Dornenweg zu schreiten!
 

TSCHANG LING:

 
Du bist in Wahrheit aller Himmel Sohn.
Ich küsse deines Sternenmantels Saum.
KAISER: Ich lese hier einen mir vom
 

(in Akten blätternd)

Richter zu Tscheu kong (Tschu: Kotau)

eingereichten Bericht. Es handelt sich darin um eine Frau zweiten Grades namens Tschang-Haitang.

(Tschang Haitang hebt den Blick, den sie bisher gesenkt gehalten. Kaiser und Haitang erkennen sich.)

Diese Dame soll ihren Mann ermordet und sich aus Erbschaftsgründen des Kindes der ersten Frau haben bemächtigen wollen?

TSCHU: So ist es.

KAISER: Verbrecher dieser Art gehören in die zehn Kategorien, die mit dem Tode bestraft werden.

(Haitang in die Knie sinkend.)

KAISER. Tschang Haitang, ist es wahr, daß du deinen Mann vergiftet und der ersten Frau das ihr gehörige Kind geraubt hast, um die reiche Erbschaft antreten zu können?

(Haitang schweigt.)

TSCHAO: Eure Majestät ist ein Spiegel, der sie blendet . . .

TSCHU: Eure Majestät ist die Sonne, die uns alle blendet.

KAISER: Tschang Haitang, welchem Beruf gingest du nach, ehe du Herrn Ma heiratetest?

HAITANG:

 
Am Ufer hinter Weiden steht ein Haus,
Ein kleines Mädchen sieht zur Tür hinaus.
An der Volière steht der Mandarin,
Ein kleiner Vogel singt und hüpft darin.
Verschließ den Käfig, hüte gut das Haus,
Sonst fliegt der Vogel in den Wald hinaus.
 

KAISER: Du warst ein Blumenmädchen?

(Haitang nickt.)

Wer waren die Besucher des Hauses hinter den Weiden?

HAITANG: Herr Ma holte mich aus dem Haus, den ersten Tag schon, den ich darin verbrachte.

KAISER: Hat niemand sonst dich dort besucht?

HAITANG: Ein junger Herr besuchte mich.

KAISER: Wer war der junge Herr?

HAITANG: Würd ich seinen jetzigen Namen nennen, er würde glauben, ich wollte, mein Schicksal zu erleichtern, ihm schmeicheln, um Linderung meiner Qualen betteln, Gnade vor Recht erflehen. Ich nenne seinen Namen nicht. Ich fordere Gerechtigkeit, sonst nichts.

KAISER: Und Liebe, würdest du nicht Liebe fordern, wenn du selber liebtest?

HAITANG: Ich liebe mein Kind.

KAISER: Die beschworenen Zeugenaussagen hier in den Akten besagen, daß das Kind, das du für dich in Anspruch nimmst, nicht dein Kind ist.

(Haitang schweigt.)

TSCHANG LING: Die Zeugen sagten falsch aus. Sie sind bestochen von der ersten Frau.

FRAU MA: Er lügt.

KAISER: Der Richter ist dazu bestellt, wahres und falsches Zeugnis zu scheiden.

TSCHANG LING: Der Richter war bestochen wie die Zeugen

TSCHU: Er lügt.

KAISER: Die erste Frau des Mandarinen Ma ist im Saal, wo ist sie?

(Frau Ma tritt vor. Kotau.)

Weib, sprich, wer ist die Mutter des Kindes, das du auf dem Arme trägst?

FRAU MA: Ich bin es, Majestät

KAISER: Gut. Zeremonienmeister!

ZEREMONIENMEISTER: Majestät

KAISER: Nehmt ein Stück Kreide, zieht einen Kreis hier auf dem Boden vor meinem Thron, legt den Knaben in den Kreis.

ZEREMONIENMEISTER: Es ist geschehen.

KAISER:

 
Und nun, Ihr beiden Frauen
Versucht, den Knaben aus dem Kreis zu ziehen
Zu gleicher Zeit. Die eine packe ihn am linken,
Die andere am rechten Arm. Es ist gewiß,
Die rechte Mutter wird die rechte Kraft besitzen,
Den Knaben aus dem Kreis zu sich zu ziehn.
 

(Die Frauen tun wie geheißen. Haitang faßt den Knaben nur sanft an, Frau Ma zieht ihn brutal zu sich hinüber.)

Es ist augenscheinlich, daß diese

(zu Haitang)

nicht die Mutter sein kann. Sonst wäre es ihr wohl gelungen, den Knaben aus dem Kreis zu ziehen. Die Frauen sollen den Versuch wiederholen!

(Wieder zieht Frau Ma den Knaben zu sich.)

Haitang, ich sehe, daß du nicht die mindeste Anstrengung machst, das Kind aus dem Kreis zu dir herüberzuziehen. Was bedeutet das?

HAITANG: Ich fürchte den Groll der Majestät. Sie sieht finster zu mir herab wie ein Wolf oder Tiger und wird mich verschlingen, wenn ich nicht gehorche. Allein ich vermag es nicht. Ich habe dieses Kind unter meinem Herzen getragen neun Monate. Neun Monate hab ich mit ihm gelebt, neun Monate länger als andere Menschen. Ich habe alles Süße mit ihm genossen, alles Bittere mit ihm gelitten. Wenn er fror, wärmte ich seine Gliederchen. Seine Gelenke sind so zart und zerbrechlich, ich würde sie ihm ausdrehen, wenn ich meinerseits daran zerren wollte wie jene Frau. Die Arme des Kindes sind ja so zart und zerbrechlich wie Strohhalme, wie Hanfhalme. Wenn ich mein Kind nur dadurch bekommen kann, daß ich ihm die Arme ausreiße, so soll nur jene, die nie die Schmerzen einer Mutter um ihr Kind gespürt hat, es aus dem Kreis ziehen.

KAISER (ist aufgestanden):

Erkennt die ungeheure Macht, die in dem Kreidekreis beschlossen liegt! Jene Frau

(zu Frau Ma)

trachtete sich des gesamten Vermögens des Herrn Ma zu bemächtigen und raubte darum das Kind. Da nun die wahre Mutter erkannt ist, wird auch die wahre Mörderin zu finden sein. Ich lese in den Akten den Wortlaut des Schwures, den Frau Ma gesprochen. Frau Ma, wiederholen Sie den Schwur!

FRAU MA: Ich schwöre bei den Gebeinen

(gebrochen)

meiner Ahnen, daß die, die nicht die Mutter des Kindes ist Herrn Ma vergiftet hat.

KAISER: Ihr schwurt den entsetzlichen Schwur, daß Ihr selbst die Mörderin des Herrn Ma seid

FRAU MA: So ist es

KAISER: So bekennt Ihr Euch des Mordes an Eurem Gatten schuldig?

FRAU MA: Ich bekenne mich schuldig.

KAISER: Die Delinquentin in den Stock. Werft ihr die hölzerne Krause über.

FRAU MA: Doch hat mich jener angestiftet, der mich liebt.

(Auf Tschao weisend.)

TSCHAO (winselnd): Ich angestiftet? Ich dich lieben? Herr der Himmel, hört dieses lügnerische Schandmaul! Ist ihr Gesicht nicht ein einziger Schminktopf, und laufen unter der Schminke nicht die Runzeln wie in einem herbstlichen Acker die Furchen?

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
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