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4. Avriel Adamski – Gordon City – 07.07.2145

Blitz­schnell zog der gan­ze Tag an ihm vor­über, wäh­rend er wie in Zeit­lu­pe sei­nen Fin­ger vom Knopf lös­te.

»Still, willst du er­schos­sen wer­den?« Das hat­te Va­len­ti­ne ge­sagt, und nun war sie tot und er ein Mör­der, ein Ge­jag­ter. Was soll­te er nur tun?

Ei­nes wuss­te Avri­el: Er woll­te le­ben, doch wenn man ihn hier er­wi­schen wür­de, sä­he es düs­ter für ihn aus. Er woll­te weg­ren­nen, aber sei­ne Bei­ne ge­horch­ten ihm nicht und er starr­te geis­tes­ab­we­send auf das Blut an sei­nen Hän­den. Wie in Tran­ce nahm er ein Pa­pier­ta­schen­tuch aus sei­ner Ho­sen­ta­sche und wisch­te sich da­mit, so gut es ging, das Blut aus dem Ge­sicht und von den Hän­den.

Das war ein Alb­traum, oder? Das ge­sch­ah nicht wirk­lich. Nicht mit ihm. Er war Pa­zi­fist, das wi­der­sprach al­lem, was er je ge­dacht hat­te, das …

Der Klang fer­ner Si­re­nen riss ihn aus sei­nen Ge­dan­ken.

Has­tig schau­te er sich um, drück­te dem leb­lo­sen Mäd­chen einen Kuss auf das Haar, öff­ne­te das Fens­ter, klet­ter­te auf das Fens­ter­brett und vi­sier­te be­reits den Baum an, als er einen großen Wa­gen er­blick­te.

Der Wa­gen kam vor Va­len­ti­nes Haus zu ste­hen und sei­ne Schein­wer­fer tauch­ten die Um­ge­bung in grel­les Licht. Drei Ärz­te stürm­ten aus dem Wa­gen.

Avri­el drück­te sich in den Schat­ten und mach­te sich so klein wie mög­lich. Wenn das Schein­wer­fer­licht ihn trä­fe, müss­ten sie ihn ent­de­cken.

Ein Arzt zück­te ein Plas­tik­kärt­chen und schritt ge­nau­so mü­he­los durch die Ein­gangs­tür wie zu­vor Avri­el.

Er spür­te, wie sein Ver­stand er­neut ge­gen­über sei­nen In­stink­ten kläg­lich ver­sag­te, wie Ad­rena­lin sei­ne Au­gen un­wahr­schein­lich scharf mach­te … Er sah je­den ein­zel­nen Ast, je­des Blatt, je­de Blat­tader … und sprang.

Der Ast fe­der­te un­ter ihm und er hielt sich krampf­haft fest. Was, wenn die Ärz­te ihn be­merk­ten und ihm nachsa­hen?

Dumpf hör­te er das Stamp­fen ih­rer Schrit­te.

An den Ast der al­ten Ei­che ge­klam­mert, fühl­te er sich auf be­kann­tem Ter­rain – schließ­lich wa­ren Va­len­ti­ne und er als Kin­der oft ge­nug auf die­sem Baum her­um­ge­klet­tert, wenn sie in ih­rem Baum­haus ge­spielt hat­ten. Un­ge­fähr auf der Hö­he ih­res Zim­mer­fens­ters spal­te­te sich der Baum in zwei Stäm­me auf, zwi­schen de­nen sich das klei­ne Holz­häus­chen per­fekt ein­füg­te.

Vor­sich­tig robb­te er so laut­los wie mög­lich über den di­cken Ast, zog sich lang­sam an der Holzwand des Häu­schens hoch und über­blick­te sei­ne Mög­lich­kei­ten: im Schat­ten des Baum­hau­ses ent­lang und dann wei­ter zur He­cke des Nach­barn, der am Grund­stücks­rand ei­ne jun­ge Bal­samtan­ne mit dich­ten Äs­ten ge­pflanzt hat­te. Ei­ne an­de­re Wahl blieb Avri­el nicht. Er pack­te einen Ast über sei­nem Kopf und han­gel­te sich, so schnell er konn­te, ans an­de­re En­de des Baum­hau­ses. Flüch­tig sah er sich um. Von sei­nem Stand­ort aus konn­te er Va­len­ti­nes Fens­ter nicht mehr er­ken­nen und hoff­te, dass auch er so­mit für die Ärz­te im Haus nicht zu se­hen war.

Aber wie lan­ge wür­den sie noch dort be­schäf­tigt sein?

Avri­el tas­te­te sich an den Äs­ten ent­lang nach un­ten und streck­te sich, bis er fes­ten Bo­den spü­ren konn­te. Lang­sam und vor­sich­tig lös­te er sei­nen Griff und sprang ins Gras.

Er hielt sich nah am Bo­den und kroch zur He­cke.

Wenn die Spring­fields kein Loch in ih­rem Be­wuchs hat­ten, wür­de sein Plan nicht funk­tio­nie­ren – und dann?

Ei­lig fuhr er mit den Hän­den durch die Zwei­ge, such­te nach ei­ner Lücke, die groß ge­nug für ihn war.

Da­bei stö­ber­te er ir­gend­wel­che Tie­re auf, die ra­schelnd da­v­ons­to­ben. Hof­fent­lich hat­ten die Nach­barn der Spring­fields kei­nen Hund …

End­lich fand er ei­ne Lücke, die breit ge­nug war, um sei­nen Kopf hin­durch­zu­ste­cken. Er leg­te sich flach auf den Bauch und ver­brei­ter­te sie so gut es ging mit den Hän­den.

Trotz­dem zer­kratz­ten ihm die Zwei­ge beim Durch­schlüp­fen auf das Nach­bar­grund­stück Ge­sicht und Ar­me, ris­sen ihm Lö­cher in die Klei­dung und hät­ten ihn bei­na­he sei­nen lin­ken Schuh ge­kos­tet.

Müh­sam zwang sich Avri­el, auf­zu­ste­hen und drück­te sich eng an den Stamm der Bal­samtan­ne. Die Na­deln igno­rier­te er.

Avri­el spür­te, wie er un­kon­trol­liert am gan­zen Kör­per zu zit­tern be­gann.

Va­len­ti­ne …

Gera­de eben noch ihr zar­tes, schla­fen­des Ge­sicht … die Ohr­fei­ge … der Zorn … ihr Blut an sei­nen Hän­den …

Was hat­te er ge­tan?

Er hör­te, wie sich wei­te­re Wa­gen dem Haus nä­her­ten und späh­te durch die Äs­te. Ar­mee­fahr­zeu­ge. Kei­ne Zeit für Ge­wis­sens­bis­se, sie wür­den in den nächs­ten Se­kun­den aus­stei­gen und ihn zu­erst ge­nau dort su­chen, wo er saß.

Im Schutz der Tan­ne schlich er zum Haus und um­run­de­te es, sprang über den Zaun und schnapp­te sich sein Rad. Nichts wie weg!

5. Allegra – Atlanta – 07.07.2145

Sehn­süch­tig blick­te Al­le­gra nach drau­ßen, auf die Wie­se vor dem Wai­sen­haus. Jetzt, da es lang­sam Abend wur­de, spür­te sie, wie sie wie­der zu den Le­ben­den zu­rück­kehr­te.

Das At­men fiel ihr nicht mehr so schwer wie in der Glut­hit­ze des Ta­ges, ih­re Ge­dan­ken wa­ren nicht mehr so ver­ne­belt. Wenn sie nicht wüss­te, dass man sie in we­ni­gen Stun­den ins Bett schi­cken wür­de, hät­te sie gu­te Lau­ne. So aber schob sie ihr Abendes­sen lust­los auf ih­rem Tel­ler hin und her.

»Was wird das, wenn es fer­tig ist?« Miss Brown bau­te sich vor ihr auf.

Al­le­gra blick­te sie un­schul­dig an. »Ich weiß nicht, was Sie mei­nen.«

»Dein Es­sen wird mit Steu­er­gel­dern be­zahlt. Wenn du es nicht auf­isst, dann wan­dert es in den Müll. Ist es das, was du willst? Dass un­se­re Steu­er­gel­der in den Müll wan­dern?«

»Na­tür­lich nicht, Miss Brown.« Was war das für ei­ne dum­me Fra­ge?

»Dann iss auf.«

»Na­tür­lich, Miss Brown.« Al­le­gra roll­te mit den Au­gen. Sie konn­te sich nicht vor­stel­len, dass Geld be­son­ders gut schmeck­te.

Abstrak­te Din­ge hat­ten oh­ne­hin kei­nen Ge­schmack.

6. Riú Gordon – Washington D.C. – 07.07.2145

Es war im­mer wie­der über­ra­schend, wie gut sich der an­er­zo­ge­ne An­stand der Leu­te ge­gen sie selbst nut­zen ließ. Riú kann­te kei­nen ein­zi­gen Fall ei­nes Mu­tan­ten­an­griffs durch Ju­gend­li­che, bei dem sich der Schul­di­ge nicht selbst ans Mes­ser lie­fer­te.

Es war lä­cher­lich ein­fach. So­bald sie be­grif­fen, was sie ge­tan hat­ten, drück­ten sie al­le auf den Am­bu­lanz­knopf oder rie­fen über ih­ren UniCom Hil­fe. Oh­ne zu wis­sen, dass von die­sem Au­gen­blick an al­les mit­ge­schnit­ten wur­de, was um sie her­um ge­sch­ah.

So auch in die­sem Fall.

Riú starr­te so an­ge­strengt auf die Auf­nah­men, dass sei­ne Au­gen zu trä­nen be­gan­nen. Er blin­zel­te ei­ni­ge Ma­le hef­tig und rieb sich mit dem Han­drücken übers Ge­sicht.

Jetzt nur nicht im ent­schei­den­den Mo­ment mü­de wer­den.

Ner­vös blick­te er auf die Ka­me­ra-Stre­ams, von de­nen der jun­ge Mann auf ein­mal ver­schwun­den schi­en. Wi­der bes­se­res Wis­sen war er für einen Au­gen­blick ge­neigt, an den Blöd­sinn zu glau­ben, dass Mu­tan­ten sich un­sicht­bar ma­chen konn­ten. Doch so­fort schüt­tel­te er den Kopf. Als er da­mals Fa­bri­cia mit den Vor­ur­tei­len ge­gen­über Mu­tan­ten kon­fron­tier­te, hat­te sie ihn laut und schal­lend aus­ge­lacht, weil er an so einen Un­fug glaub­te. Er muss­te die Ur­sa­che in den Auf­nah­men su­chen.

Jetzt be­reu­te er, sei­nen As­sis­ten­ten weg­ge­schickt zu ha­ben. So muss­te er selbst mit den Da­tei­en han­tie­ren, statt die Show zu ge­nie­ßen.

Riú spei­cher­te mit ei­ni­gen ge­üb­ten Hand­be­we­gun­gen die Auf­nah­men aus dem Haus der Spring­fields und öff­ne­te sie. Mit ei­ner leich­ten Berüh­rung sei­nes Dau­mens spiel­te er die Da­tei­en in Zeit­lu­pe ab, und voilà …

Das Fens­ter im Zim­mer des Mäd­chens stand of­fen und ein trotz mo­d­erns­ter Ka­me­ras leicht un­schar­fes Bild zeig­te ihm einen Mu­tan­ten, der ge­nau 00:03:34 nach Auf­nah­me­be­ginn auf das Fens­ter­brett sprang und un­mit­tel­bar da­nach ver­schwand.

Aber wo­hin war der Mu­tant ge­flo­hen?

So­fort woll­te er die Bil­der der Au­ßen­ka­me­ras ab­ru­fen, um ge­nau das her­aus­zu­fin­den, doch ihn emp­fing ei­ne knall­ro­te, blin­ken­de Feh­ler­mel­dung im Kon­troll­pa­nel. Die Feh­ler­be­schrei­bung of­fen­bar­te ihm, dass schon letz­te Wo­che je­mand den Au­ßen­ka­me­ras von Gor­don Ci­ty den Saft ab­ge­dreht hat­te – und an­schei­nend hat­te sich im­mer noch nie­mand die Mü­he ge­macht, den Scha­den zu re­pa­rie­ren, ob­wohl er höchst­per­sön­lich die un­miss­ver­ständ­li­che An­wei­sun­ge ge­ge­ben hat­te, Stö­run­gen an Über­wa­chungs­ge­rä­ten um­ge­hend zu be­he­ben!

Er tipp­te ge­gen die Smart­wall. »Wel­chem Coun­ty ge­hört Gor­don Ci­ty an?«

»Gu­ten Abend. Gor­don Ci­ty ge­hört zu DeKalb Coun­ty. Kann ich wei­ter be­hilf­lich sein?«

Die KI hat­te ei­ne an­ge­neh­me Stim­me, aber ihm wä­re es lie­ber, sie hät­te nichts ge­sagt.

»Fa­bri­cia, ru­fe den Coun­ty Exe­cu­ti­ve an.«

»Ich ru­fe den Coun­ty Exe­cu­ti­ve von DeKalb Coun­ty an. Rich­tig?«

»Rich­tig.« Er stütz­te ge­nervt das Ge­sicht in die Hän­de. KI stand für künst­li­che In­tel­li­genz, aber das Pro­gramm müss­te in dem Fall KD hei­ßen. Künst­li­che Dumm­heit. Nicht zu ver­glei­chen mit den As­sis­ten­ten aus sei­ner Stu­di­en­zeit.

Im­mer­hin war das Pro­gramm schlau ge­nug, sich durch­zu­wäh­len, oh­ne ihn nach wei­te­ren De­tails zu fra­gen. Nach­dem nie­mand ans Bü­ro­te­le­fon ging, rief es di­rekt beim Coun­ty Exe­cu­ti­ve zu Hau­se an.

»Mr Green?« Riú schiel­te auf das Pro­fil, das Fa­bri­cia, wie er sei­ne KI in ei­nem sen­ti­men­ta­len An­fall ge­nannt hat­te, für ihn ne­ben den An­ruf­in­for­ma­tio­nen ein­blen­de­te.

»Wer ruft an? Es ist Fei­er­abend. Wenn das ein Streich ist …«

»Riú Gor­don. Aus dem Wei­ßen Haus.«

»Ent­schul­di­gen Sie bit­te, Sir, Mr Pre­si­dent, ich …«

»Mr Green, wie­so sind die Au­ßen­ka­me­ras an den Ge­bäu­den in Gor­don Ci­ty ka­putt und das seit vier Wo­chen?«

»Seit vier … Das ist nicht mög­lich. Die Au­ßen­ka­me­ras in Gor­don Ci­ty sind längst re­pa­riert.«

»Soll mei­ne Of­fi­ce Ma­na­ge­rin ent­spre­chen­de Be­wei­se zu­sam­men­stel­len und Ih­nen zu­kom­men las­sen, Mr Green?« Er lä­chel­te.

»Ich … wer­de das über­prü­fen. Soll ich zu­rück­ru­fen, Mr Pre­si­dent?«

»Le­gen Sie nicht auf. Ich war­te.«

»Ich wer­de mich be­ei­len.«

Riú hör­te den Mann hek­tisch mit Pa­pie­ren ra­scheln, Schub­la­den zu­knal­len und dann ab­ge­hackt tip­pen. Ver­mut­lich ein­hän­dig.

Stil­le.

»Mr Pre­si­dent?«

»Ich hö­re.«

»Ich weiß nicht, wie das pas­sie­ren konn­te, aber das Geld für die Re­pa­ra­tur der Ka­me­ras … Es ist mir sehr un­an­ge­nehm.«

»Was?«

»Laut mei­nen Un­ter­la­gen soll­ten sie längst re­pa­riert wor­den sein. Aber of­fen­sicht­lich ist das nicht ge­sche­hen. Ich weiß nicht, wo­hin die Staats­gel­der da­für ver­schwun­den sind.«

»Ein Mu­tant ist in Ihrem Coun­ty auf der Flucht, Mr Green. Und kei­ne ein­zi­ge Au­ßen­ka­me­ra in der gan­zen Stadt funk­tio­niert. Sie ah­nen hof­fent­lich, wel­che das Kon­se­quen­zen ha­ben wird?«

7. Avriel Adamski – Gordon City – 07.07.2145

Avri­el war an den erst­bes­ten Ort ge­ra­delt, der ihm ein­fiel – in den klei­nen öf­fent­li­chen Park ne­ben der Schu­le. Er wür­de nicht ewig dort blei­ben kön­nen.

Sie wür­den ihn bald schon über­all su­chen.

Er muss­te ver­schwin­den.

Unauf­fäl­lig hol­te Avri­el sei­nen UniCom aus der Ho­sen­ta­sche und lins­te auf die Uhr. Sperr­stun­de. Ei­gent­lich durf­te er sich nicht mehr auf den Stra­ßen auf­hal­ten. Nor­ma­ler­wei­se wur­de das Ge­setz eher lax durch­ge­setzt, aber nicht heu­te.

Ei­lig drück­te er sich an den We­gen ent­lang, im­mer im Schat­ten, und hoff­te, dass ihm kei­ne Pär­chen oder Spa­zier­gän­ger mit Hund be­geg­nen wür­den. Schnell fand er den klei­nen, et­was ver­wahr­los­ten Spring­brun­nen. An­geb­lich mo­der­ne Kunst, für Avri­el sah das Ding aus, als hät­te je­mand et­was Un­för­mi­ges ge­baut und dann mit Ab­sicht ver­ros­ten las­sen.

Er lehn­te sein Rad da­ge­gen, schöpf­te Was­ser und wusch sich aus­gie­big Ge­sicht und Hän­de. So lan­ge, bis sei­ne Haut rot war und sein Ge­sicht spann­te. Er zog sich sein T-Shirt über den Kopf und wen­de­te es. Auf den ers­ten Blick war nicht zu er­ken­nen, dass er es ver­kehrt her­um trug, so­dass nie­mand se­hen wür­de, wie schmut­zig es war. Au­ßer­dem hat­te das Hemd, das er dar­über ge­tra­gen hat­te, so­wie­so das Meis­te ab­be­kom­men. Avri­el ließ es in einen Ab­fall­ei­mer fal­len und schob mit ei­nem Ast Müll dar­über.

Das reich­te zwar ver­mut­lich nicht, um sei­ne Spur voll­kom­men zu ver­wi­schen, doch es war bes­ser als gar nichts. Wenn er nun durch den künst­li­chen Bach­lauf im Park wa­te­te und an­schlie­ßend in ei­nem wei­ten Bo­gen ins Wai­sen­haus zu­rück­kehr­te, konn­te er noch recht­zei­tig zum Abendes­sen da sein und so tun, als gin­ge ihn das Gan­ze nichts an.

Konn­te er so kalt­blü­tig sein?

Va­len­ti­ne war tot und er dach­te nur an sein ei­ge­nes Über­le­ben. Wie­so stell­te er sich nicht ein­fach? Wie­so woll­te er trotz al­lem noch wei­ter­le­ben?

Er wuss­te es nicht.

8. Riú Gordon – Washington D.C. – 07.07.2145

Die Be­frie­di­gung dar­über, dass er Mr Green ein­schüch­tern konn­te, hielt nicht lan­ge an. Vor al­lem aber lös­te die­ses Te­le­fonat sein ei­gent­li­ches Pro­blem nicht. Es war ihm egal, wer die Si­cher­heits­gel­der ver­un­treut hat­te, er wuss­te nur, dass die­se Per­son blu­ten muss­te. Am bes­ten so­fort, qual­voll und wäh­rend er genüss­lich zu­sah.

So­fern nichts an­de­res be­schä­digt war, wür­de es schon er­mit­tel­bar sein, wer das ge­we­sen war.

Er rief er­neut Mor­man­nin an. »Die Au­ßen­ka­me­ras in Gor­don Ci­ty sind de­fekt. Und zwar je­de ein­zel­ne.«

»Ich weiß. Wir kön­nen die Such­spin­nen nicht blind los­schi­cken, das kön­nen wir uns nicht leis­ten. Ich ha­be be­reits Droh­nen für Gor­don Ci­ty an­ge­for­dert, aber bis sie star­ten und beim Haus der Spring­fields sind …«

»… ist der Mu­tant mög­li­cher­wei­se weit weg. Das weiß ich, Bart.«

»Kann die Soft­wa­re ihn zu­ord­nen? An­hand der Vi­deo­auf­nah­men oder der DNA?«

»Die Bots sind dran. Er hat­te die Haa­re vor dem Ge­sicht hän­gen und die Bil­der sind teil­wei­se ver­schwom­men.«

Bart seufz­te am an­de­ren En­de Nord­ame­ri­kas.

»Ihr wer­det ihn fin­den und tun, was not­wen­dig ist.«

»Na­tür­lich.«

Riú leg­te auf. Gleich wie gut sich die Tech­nik in den letz­ten Jah­ren wie­der ent­wi­ckelt hat­te, er woll­te sich das Gan­ze selbst an­se­hen. Noch ein­mal spiel­te er die Auf­nah­me ab, bis er ein Bild hat­te, auf dem der Mu­tant auf­recht stand. Riú drück­te den Mo­ment-Free­ze- und gleich­zei­tig den Aus­wer­tungs­but­ton, der das Bild zu­sätz­lich mit Schät­zun­gen zu Kör­per­grö­ße, Ge­wicht und Al­ter be­schrif­te­te.

Zu­min­dest konn­te er so die Su­che nach dem Mu­tan­ten ein­schrän­ken las­sen, selbst wenn kei­ne ge­naue­re Ana­ly­se der Da­ten mög­lich sein soll­te.

Er schick­te die Da­tei an Bart Mor­man­nin.

Par­al­lel da­zu drück­te er auf einen But­ton, der ihn di­rekt mit dem Bü­ro sei­ner Se­kre­tä­rin ver­band. »Gla­fi­ra, Vor­la­ge M17. Du be­kommst gleich die Pa­ra­me­ter rein, ich will die Mel­dung se­hen und selbst ab­schi­cken.«

Noch ehe die jun­ge Frau ant­wor­ten konn­te, be­en­de­te er die Ver­bin­dung und schob die aus­ge­wer­te­te Da­tei in ih­ren Cloud­ord­ner.

We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter hat­te er den fer­ti­gen Text vor sich auf dem Touch­ta­ble: An al­le An­woh­ner Gor­don Ci­tys und des um­ge­ben­den Be­zir­kes! Ein ge­fähr­li­cher Mu­tant be­droht die öf­fent­li­che Si­cher­heit. Es han­delt sich um einen jun­gen Mann im Al­ter von un­ge­fähr 17 Jah­ren. Er hat schul­ter­lan­ge, blon­de Haa­re und trägt ein hell­blau­es Hemd mit T-Shirt dar­un­ter. Sei­ne Au­gen sind grün, an­sons­ten ist er schmal ge­baut und schät­zungs­wei­se 1,70 m groß. Hin­wei­se wer­den er­be­ten. Bit­te wen­den Sie sich da­für an die ört­li­chen Po­li­zei­dienst­stel­len.

All­ge­mein wird zum ei­ge­nen Schut­ze emp­foh­len, kei­ne Frem­den nach Son­nen­un­ter­gang ins Haus zu las­sen und kei­ne Ob­dach­lo­sen vor der Haus­tür auf­zu­neh­men und in das ei­ge­ne Heim zu brin­gen.

Riú Raoul­son Gor­don, Pre­si­dent of the Uni­ted World.

Die­se Nach­richt sand­te er di­rekt an den Lei­ter der Be­hör­de für Pro­pa­gan­da, Gio­se­phe Lob­bes. Des­sen Auf­ga­be war es, die Nach­richt ab­zu­seg­nen – oder mit zu­sätz­li­chen wirk­sa­men Flos­keln aus­zu­stat­ten – und dann an die Po­li­zei wei­ter­zu­lei­ten.

»Nun ent­wischst du mir nicht mehr, klei­ner Mu­tant.« Er grins­te zu­frie­den. Zum ers­ten Mal an die­sem Abend hat­te er das Ge­fühl, et­was Nütz­li­ches ge­tan zu ha­ben.

9. Avriel Adamski – Gordon City – 07.07.2145

End­lich er­reich­te Avri­el das Wai­sen­haus. Flüch­tig sah er sich um. Nach rechts, links, hin­ten, oben.

Nichts.

Jetzt muss­te er nur noch un­ge­se­hen hin­ein.

Has­tig zog er sei­nen UniCom aus der Ho­sen­ta­sche und schau­te auf die Uhr­zeit. Das Abendes­sen hat­te er je­den­falls schon ver­passt, das ver­hieß nichts Gu­tes.

Das Gerät vi­brier­te in sei­nen Hän­den und er rief die Nach­richt ab.

»An al­le re­gis­trier­ten Nut­zer.«

Er las wei­ter.

Schei­ße. Das war sein Fahn­dungs­auf­ruf.

Sein Hemd. Sein T-Shirt. Sei­ne Haa­re. Zum Glück hat­te er das Hemd be­reits ent­sorgt und sei­ne Haa­re hin­gen so weit in sein Ge­sicht, dass man es kaum er­ken­nen konn­te. Aber was, wenn das nicht reich­te? Wie vie­le Jungs in sei­nem Al­ter tru­gen lan­ge Haa­re? Und wie vie­le von de­nen kann­ten Va­len­ti­ne?

Übel­keit stieg in ihm auf, traf auf einen schmerz­haf­ten Kloß in sei­nem Hals. Er lehn­te sich an den Baum vor dem Wai­sen­haus und übergab sich so lan­ge, bis er nur noch Ma­gen­saft spuck­te.

Er ver­lor wert­vol­le Zeit.

Schnell zog er den UniCom wie­der her­vor und tipp­te ei­ne Nach­richt an sei­nen bes­ten Freund Todd. »Ich brau­che Hil­fe.«

Prompt kam die Ant­wort: »Wo bist du? Die Ron­ny tobt. Die ha­ben hier ei­ne Raz­zia ge­macht, al­les auf den Kopf ge­stellt, und sie ist ih­nen die gan­ze Zeit nach­ge­rannt und hat ge­brüllt.«

Mrs. Ron­ning­ton war der größ­te Wai­sen­h­aus­dra­che, den man sich vor­stel­len konn­te. Fast muss­te Avri­el bei dem Ge­dan­ken dar­an, wie sie Sol­da­ten zur Schne­cke mach­te, lä­cheln. Aber nur fast.

»Ich bin di­rekt vor dem Wai­sen­haus und muss ir­gend­wie rein, oh­ne dass die Ron­ny das mit­kriegt. Sind noch Sol­da­ten hier?«

»Die sind weg. Die Nach­richt vom Wei­ßen Haus, bist du das? Al­ter, was hast du an­ge­stellt?«

»Hilfst du mir?«

»Nur, wenn du mir nichts tust. Da stand was von ›ge­fähr­lich‹ im Auf­ruf.«

»Ich ha­be nicht vor, dich auf­zu­fres­sen …«

»Okay. Ich ma­che dir das Kel­ler­fens­ter auf.«

»Dan­ke. Hast was gut bei mir.« Nicht, dass Avri­el wuss­te, wie er Todd ir­gen­det­was zu­rück­zah­len soll­te, aber er muss­te ins Wai­sen­haus hin­ein, die Wie­der­gut­ma­chung konn­te war­ten. Er schlich sich an der Haus­wand ent­lang zur nörd­li­chen Sei­te, wo er den Zu­gang zum Kel­ler kann­te. Es war ein of­fe­nes Ge­heim­nis, dass sich die Heim­kin­der re­gel­mä­ßig dort aus dem Haus und wie­der hin­ein schli­chen. Nur schei­ter­te die Heim­lei­tung an­schei­nend an ih­ren kläg­li­chen Ver­su­chen, her­aus­zu­fin­den, wo sich der Durch­gang be­fand und wie man ihn stop­fen konn­te.

Gut für Avri­el.

Das Fens­ter war tat­säch­lich of­fen und er quetsch­te sich hin­durch.

»Was ist pas­siert?« Im schumm­ri­gen Kel­ler­licht sah Avri­el nur das Wei­ße in Todds Au­gen.

»Lan­ge Ge­schich­te. Ich ha­be ei­ne Men­ge Är­ger am Hals.«

»Und da willst du dich aus­ge­rech­net hier ver­ste­cken?«

»Ich wüss­te nicht, wo sonst! Es ist Sperr­stun­de.«

»Ja, gut …« Todd kratz­te sich am Kopf. »Du willst nicht, dass die Ron­ny weiß, dass du hier bist, oder?«

»Zu­erst woll­te ich zum Abendes­sen kom­men, aber … Nein. Ich muss …« Avri­el fuhr sich durch die Haa­re und fühl­te ge­trock­ne­tes Blut an den Haar­spit­zen. Of­fen­bar hat­te er im Park nicht al­les er­wi­scht.

»Dich um­zie­hen …?«

»Das auch. Die Haa­re müs­sen ab.«

»Die Mäd­chen flie­gen auf dei­ne lan­gen Haa­re!«

Avri­el dach­te an Va­len­ti­ne. »Ich weiß. Weg da­mit.«

382,08 ₽
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0+
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312 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9783742709752
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

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