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BIPoCBlack, Indigenous, People of Color

Eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrungen, die nicht als weiß, deutsch und westlich wahrgenommen werden und sich auch selbst nicht so definieren.

Es ist so: Wenn Polizeigewalt und Racial Profiling das täglich Dinkelbrot für Menschen mit einer sichtbaren Migrationsgeschichte sind, wird eine kleine Versammlung, die potenziell in einer polizeilichen Auseinandersetzung enden könnte, zu kei-ner Lappalie, sie ist lebensgefährlich. Dabei ist George Floyd das jüngste Exempel. Deutsche Beispiele gibt es aber auch einige: William Tonou-Mbobda, Oury Jalloh oder Amad Ahmad, um nur ein paar zu nennen. Hinzu kommt, dass Deutschland eine lange »Braune Grüne«-Geschichte hat, die bis in die Frühromantik (1795 – 1804) zurückreicht. In den aktuellen Debatten über Natur- und Umweltschutz gibt es viele Anknüpfungspunkte für rechtskonservative bis rechtsextreme Akteur:innen, die mithilfe sozialökologischer Themen versuchen, ihr biologistisches, rassistisches und antisemitisches Weltbild in breiteren Bevölkerungsschichten salonfähig zu machen. Die Anastasia-Bewegung ist dabei die neueste Strömung. Ihre Mitglieder hängen dem Konzept der Eugenik an – eine Vorstellung von Rassenhygiene, die in der Zeit des Nationalsozialismus entwickelt wurde.

Die eigenen Privilegien zu nutzen ist gut. Sogar wichtig. Diese Seiten dienen nicht als Rant. Es ist etwas anderes, BIPoC auszuschließen oder die Infrastruktur so zu konzipieren, dass es keinen Platz für sie gibt. Dabei werfe ich der Szene nicht vor, dass sie dies wissentlich tut. Ich glaube, sie ist sich der internalisiert-rassistischen Mechanismen nicht bewusst. So erklärte Tonny Nowshin in einem Interview: »Ich werde in der Klimaszene geduldet, solange ich sie mir nicht so zu eigen mache wie die weißen Aktivist:innen. Als BiPoC – also Schwarze, Indigene und People of Colour – sind wir nur willkommen, wenn wir die Vorzeigebetroffenen spielen.«66

Allmählich nähern wir uns dem Kern des Problems. Der Grund, weshalb Vanessa Nakate und Tonny Nowshin herausgeschnitten oder überhaupt nicht abgelichtet wurden, lässt sich im White Gaze und dem Eurozentrismus finden. Jedes Buch, jedes Lied und jeder Film wird für weiße Menschen konzipiert. Weißsein ist die Norm. Diesem Narrativ folgend, »entdeckte« Kolumbus Amerika. Dabei ging es den Menschen vor Ort vermutlich weitaus besser, bevor er kam. Doch es geht noch weiter. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Nowshin, die aus Bangladesch stammt, teilte eine ihrer Erfahrungen bei Greenpeace mit: »Hier wurde ich sogar gefragt: ›Oh, musstest du aus deinem Land fliehen, weil dein Haus überflutet wurde?‹ In solchen Fällen steckt so viel Vorurteil, dass es zum einen lustig ist – zum anderen aber auch beschämend.«67

Die Klimabewegung und die nachhaltige Szene folgen einem Narrativ. Weiße Menschen retten die Welt. Sie retten die Umwelt, die Tiere und die armen Menschen, die davon betroffen sind. Klassischer White Saviorism. Ein Retter:innen-Komplex, der immer dann auftritt, wenn eine weiße Person nicht weißen Menschen auf vermeintlich selbstlose Weise hilft. Es sind die beliebten Bilder auf Instagram, auf denen Schwarze Kinder als Requisiten posieren. Die Auszeit vor dem Abitur oder Studium, wo junge privilegierte Menschen sich bei einem Workaway-Programm entscheiden können, ob sie auf Sri Lanka Schildkröten retten oder in einem kongolesischen Dorf ein wenig Lehrerin spielen, ohne jegliche pädagogische Ausbildung und ohne die geringste Ahnung über die Auswirkungen, die die ständig wechselnden »Lehrkräfte« auf die Kinder haben können.

Dabei geht es um das Bedürfnis, die Welt zu retten, das allerdings auf einem kolonialistischen Bild basiert. Es ist dasselbe Narrativ, das damals lautete: Europa muss Afrika retten. Jetzt seht, wo es uns hingebracht hat. In dieses Konstrukt passt eine BIPoC nicht hinein, die oder der kämpft, anprangert und strukturelle Rassismen kritisiert und somit den Bewegungen den Spiegel vorhält. Dieses Verhalten zerstört das eurozentrische Bewusstsein. Dann müssten Debatten über die realen Dimensionen unserer Umweltungerechtigkeit geführt werden. Wie beispielsweise, dass Rassismus ein integraler Bestandteil unserer heutigen umweltpolitischen und sozialpolitischen Herausforderungen ist. Es wären unbequeme Unterhaltungen.

Dabei ist es schon perfide. Im Einklang mit der Natur zu leben, statt sie zu zerstören, war und ist eine Philosophie von vielen indigenen Gemeinschaften. Bereits seit Jahrhunderten. Diese Lebensweise war einer der Gründe, warum sie als unkultiviert und primitiv erachtet wurden. Natürlich neben vielen weiteren Mechanismen wie Rassismus, Kolonialismus, Imperialismus und Kapitalismus führt es zu der Ausbeutung des globalen Südens durch den globalen Norden. Die Folgen beeinflussen Schwarze Menschen und People of Color bis heute – und auch unser Klima.


CIANI-SOPHIA HOEDER

Schreiben. Es klingt pathetisch, aber genau das war Ciani-Sophia Hoeders Ziel. Vielleicht ist es ein natürlicher Prozess, als junge Frau all die großen und kleinen Gedanken zu Papier zu bringen? Heute nennt man es Journaling, damals Tagebuch schreiben, für Ciani war es: Den Sinn und Unsinn des Lebens zu begreifen. Deshalb hat sie das Schreiben zur Berufung gemacht. Heute ist Ciani-Sophia Hoeder freie Journalistin, SZ-Magazin-Kolumnistin, schreibt an der Ariane Alter Show bei ZDF Neo mit, Gründerin des ersten Online-Lifestylemagazins für Schwarze Frauen im deutschsprachigen Raum namens RosaMag, Solopreneurin, frisch gebackene Grimme Online-Nominierte und wurde vom Medium Magazin zu den 30unter30 ernannt. Sie schreibt, Video editiert und berichtet nicht nur über den alltäglichen und den institutionellen Rassismus, sondern auch über Gesellschaftsthemen sowie politische Debakel, über das Dasein eines Millennials, intersektionalen Feminismus und die Für- und Widrigkeiten der Popkultur.

Kommen wir zurück zu der Ausgangsfrage: Warum sind nachhaltige Bewegung so weiß? Wenn ich als – vermutlich einzige BIPoC – in eine solche Bewegung hineinginge, müsste ich viele Menschen dort dekolonialisieren. Ich wäre eine kostenlose Antirassismus-Coachin. Ich müsste ihnen erklären, dass Rassismus nicht immer explizit ist. Dass Rassismus komplex ist. Er ist eine Ideologie, die besagt, dass Menschen mit bestimmten äußerlichen Merkmalen weniger wert seien als andere. Rassismus geschieht zugleich ganz konkret, nebenbei, unbewusst, gedankenlos. Das Gesicht einer Bewegung wird von einer weißen Person bevorzugt, da es als professioneller und glaubwürdiger angesehen wird als ein Schwarzes. Rassismus ist auch, wenn eine Schwarze Person aus einem Bild geschnitten oder aus einem herausgenommen wird. Diesen Vorgängen waren wir – Schwarze als auch weiße Menschen – über Jahrhunderte ausgesetzt. Das Resultat ist, dass weiße Menschen automatisch weiße Gedanken und Meinungen bevorzugen. Rassismus raubt Zeit und Energie. Er findet auf individueller als auch auf institutioneller Ebene statt. Er ist tief mit der Kolonialgeschichte, mit den staatlichen Strukturen und eben auch mit der Klimabewegung verwoben.

Versteht mich nicht falsch. Ich nehme den Klimawandel sehr ernst. Nachhaltigkeit ist ein essenzielles Thema in meinem Leben. Privat wie auch beruflich. Sie ist ein grundlegender Bestandteil meines Magazins RosaMag – ein Online-Lifestyle-magazin für Schwarze Frauen im deutschsprachigen Raum. Trotzdem fällt es mir bis heute schwer, mich mit den Initiativen und Organisationen rund um die Klimabewegung und der nachhaltigen Szene zu identifizieren. Aus den besagten Gründen, aber auch aufgrund des Umstands, dass das Wegwerfen aller äußeren Zeichen von Status und Identität ein Luxus ist, den sich nur diejenigen in der Gesellschaft leisten können, die nicht anhand ihrer Hautfarbe beurteilt werden.

Rassismus wurde nicht von Schwarzen Menschen erfunden. Er ist das Problem von Weißen. Trotzdem müssen wir uns mit ihm herumschlagen. Es gibt viele BIPoC, die sich um den Klimawandel sorgen. Einige haben Verwandte, die davon betroffen sind, wieder andere erleben die Auswirkungen hier vor unserer Nase, zum Beispiel durch den mangelnden Zugang zu Naturerholungsgebieten, und dann gibt es noch diejenigen, denen das Thema, ohne persönlich involviert zu sein, einfach am Herzen liegt.

Letzteres betrifft nicht nur den Klimawandel, sondern umfasst auch die Fragen rund um Klassismus und Rassismus. Doch die beiden Aspekte sind ein integraler Bestandteil des Klimawandels und sind dementsprechend ein Imperativ, um die Debatte – wie wir zu einer umweltgerechteren Welt gelangen – mit diskutieren zu können. Jede klimaaktivistische Person, die sich nicht bemüht, die eigenen internalisierten Rassismen zu dekolonalisieren, muss sich fragen, wie ernst sie es meint. Ist das Klima wichtiger als Rassismus? Angesichts der Tatsache, dass Rassismus, Kapitalismus und Klassismus so eng miteinander verwoben sind, sollte die Frage eigentlich überflüssig sein. Trotzdem wird so wie bisher weitergemacht, an der Oberfläche des Problems gekratzt, betretene Konversationen darüber geführt, dass man sich in der Bewegung ja doch schon BIPoC wünscht, und gleichzeitig aber nie über die eigenen Rassismen diskutiert. Es werden nicht die Ärmel hochgekrempelt, um die Strukturen so zu verändern, dass eben auch BIPoC teilhaben können. Es wird bedauert, nicht verbessert. Es wird gesprochen statt gehandelt. Wenn sich das nicht ändert, bleibt die Bewegung vor allem eines: weiß.


ÖKOFASCHISMUS – STERBEN DÜRFEN DIE ANDEREN


Von Jennifer Hauwehde


Nach dem Ausbruch der Coronapandemie freuten sich viele Menschen für die Natur: »Endlich ein Himmel ohne Kondensstreifen, endlich klare Luft über China, endlich keine Leute mehr, die die Umwelt versauen! Und überhaupt – eigentlich ist doch der Mensch das Virus.« Auf viralen Bildern wurde Planet Erde hustend und fiebernd als Patientin dargestellt, die auf die Frage eines großen anderen Planeten (Jupiter? Saturn?), was sie denn habe, mit dem Fieberthermometer im Mund hängend antwortet: »Menschen!« An Laternenpfählen klebten Sticker von Extinction Rebellion: »Corona is the cure, humans are the disease.« Der Tenor: Geschieht uns ganz recht, so eine Dezimierung. Wir sind der Erde nicht würdig, und nun schlägt die Natur zurück. »The Earth is healing.«

Solche Aussagen sind auf mehreren Ebenen problematisch. Abgesehen davon, dass einzelne Behauptungen sich schnell als falsch herausstellten und die Erde keine menschlichen Kategorien wie Rache kennt, war von Anfang an klar, dass der Planet sich keinesfalls »heilen« würde. Die Emissionen in der Atmosphäre sind im ersten Halbjahr von 2020 zwar so stark zurückgegangen wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr: Rund neun Prozent weniger Kohlendioxid wurden im Vergleich zum Vorjahr ausgestoßen, hat ein Forscher:innen-Team errechnet. Für das Klima hat das allerdings keine positiven Auswirkungen: Nach den ersten Lockerungen erreichten die meisten Länder wieder das Vor-Corona-CO2-Niveau – Ausnahmen bildet der Verkehrssektor, der durch mehr Homeoffice weniger Emissionen verzeichnet. Aber: Auch wenn das historische Tief beibehalten werden würde, schreiben die Wissenschaftler:innen in ihrer Studie, würde das so schnell nichts an der CO2-Konzentration in der Atmosphäre ändern.68 Zu früh gefreut.

Wenn wir ehrlich sind: Es war abzusehen, dass Unternehmen die im ersten Lockdown verlorenen Einnahmen so schnell wie möglich auszugleichen versuchen würden. Das ist ihnen auch nicht vorzuwerfen, im Gegenteil: Es ist doch sehr naiv zu glauben, das herrschende Wirtschaftssystem würde sich durch eine Pandemie langfristig von dem bisherigen Kurs des Schneller-Höher-Weiter abbringen lassen. Hier liegt das eigentliche Problem: Es sind nicht die Menschen, die die Natur zugrunde richten, sondern das System – die Art, wie sich eine globale Minderheit organisiert und diese Organisationsform auf den gesamten Planeten exportiert hat – mit den vielfältigen Formen von Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung, die damit einhergehen. Die Natur dürfte also erst einmal nicht aufatmen, auch während einer Pandemie nicht. Solange die Systeme dieselben bleiben, wird auch ein Virus nur wenig zu mehr Klimaschutz beitragen.

Argumente wie die obigen werden oft unter dem Stichwort »Ökofaschismus« zusammengefasst: Unter dem Vorwand der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes wird rassistisches, antisemitisches und nationalistisches Gedankengut verbreitet und mög-lichst niedrigschwellig anschlussfähig gemacht. Fantasien darüber, die Masse an Menschen auf dem Planeten zu dezimieren, gehören genauso dazu wie das eigentlich dahinterstehende Argument der »Überbevölkerung« und der »Bevölkerungsexplosion«, das es erschreckenderweise aus den Social-Media-Threads rechter Anhänger:innen in Talkshows, Bücher, Dokumentationen und Zeitungsartikel geschafft hat.

Zu viele sind dabei immer die anderen. Die, die weit weg von »uns« leben, »unterentwickelt« sind und »im Dunkeln zu viele Kinder produzieren«, wie kürzlich in ähnlichem Wortlaut von Clemens Tönnies zu vernehmen war (im Saal gab es kurz Verwirrung, dann Beifall).69 Die, die sich »nicht im Griff haben« und »dreckig und unzivilisiert« sind. Schlagworte aus dem rechten Milieu, die sich unter dem Begriff der »Überbevölkerung« versammeln und rassistisch und eurozentrisch sind, indem sie die scheinbare Überlegenheit der westlichen Lebensweise idealisieren sowie alles Abweichende diffamieren und als Gefahr markieren.

Und weil Faschismus, nach der Abgrenzung vom vermeintlich Gefährlichen, auf die totale Kontrolle und das totale Besitzen zielt, stehen an seinem Ende immer Zerstörung und Tod.70 Der Attentäter von Christchurch rechtfertigte seine Tat unter anderem mit vermeintlicher Überbevölkerung, der Attentäter von El Paso seinen Massenmord in Texas ebenfalls: »Wenn wir nur genug Menschen loswerden, kann unsere Lebensweise nachhaltiger werden.«71 Die AfD hetzt vor diesem Hintergrund gegen Migration und die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen in anderen Erdregionen: Stephan Brandner, Mitglied im Bundestag, schreibt beispielsweise in einer Erklärung, es sei sinnlos, sich um deutschen Klimaschutz zu kümmern – allein durch die Atemluft der »rasant wachsenden Menschheit« würden ab 2050 bis zu einer halben Milliarde Tonnen CO2 zusätzlich produziert. Die Emissionen Deutschlands seien, damit verglichen, »minimal«.72 Es klingt wie ein morbider Scherz, ist es aber nicht. Es ist diesen Menschen todernst.

Vielleicht auch, um zu verschleiern, wie ernst es ihnen wirklich ist, drehen Neorechte den Begriff seit einiger Zeit um und versuchen, mit ihm tatsächliche Nachhaltigkeits- und Klimabestrebungen zu diffamieren – »Ökofaschisten« (sie gendern nicht) sind aus ihrer Perspektive diejenigen, die »Klimahysterie« betreiben und die »Ökodiktatur« errichten wollen. So wird der Begriff, der eigentlich rassistische Argumentationsstrategien aus der langen ökologischen Geschichte der Rechten bezeichnete, umfunktioniert und auf einmal gegen Klimaschutzaktivist:innen gerichtet.

Darauf sollten wir nicht hereinfallen: Ökofaschismus ist immer rassistisch und verlagert ein systemisches Problem (Kapitalismus + weiße Vorherrschaft + Patriarchat) auf marginalisierte Menschengruppen. Natürlich wird diese Verschiebung der Verantwortung von denen vorgenommen, die selbst die größte Macht (und den höchsten CO2-Ausstoß) besitzen und das bestehende System erhalten wollen – koste es, was es wolle. Es ist ja auch sehr bequem.

EIN (SEHR KURZER) ABRISS: DAS NATIONALE IN DER DEUTSCHEN NACHHALTIGKEIT

Umweltschutz ist kein genuin linkes Projekt. Um nicht aus allen Wolken zu fallen, wenn innerhalb der gemütlichen Selbstversorger:innen-Bubble auf einmal Stammtischparolen zu hören sind, die verdächtig an das Wahlprogramm der AfD erinnern, muss man zunächst eine wichtige Differenzierung vornehmen: Umweltschutz und Naturschutz sind nicht dasselbe wie Klimaschutz. Und schon gar nicht zu vergleichen mit dem intersektionalen Programm der Klimagerechtigkeitsbewegung.

Ab den 1890er-Jahren (also lange vor dem Umweltaktivismus der 1970er-Jahre und der Gründung von Bündnis90/DIE GRÜNEN in den 1980er-Jahren) entstand in Deutschland eine Naturschutzbewegung. Als einer der ersten europäischen Staaten setzte man sich intensiv mit den Auswirkungen der Industrialisierung auf die Umwelt auseinander und forderte den Erhalt der natürlichen Landschaften sowie den Schutz der Flora und Fauna. In den Heimat- und Naturschutzvereinen der gebildeten, gehobenen Mittelschicht wurde darüber debattiert, welche Regeln für den Schutz der Natur zu erlassen seien und wie man die Menschen für mehr Naturschutz sensibilisieren könne.


Diese neue Naturschutzbewegung war keine von unten, keine Umweltrevolution – sondern gehörte zum Programm der wilhelminischen Konservativen aus dem Bildungsbürgertum, die sich in ihrem Vokabular und ihren Argumenten auf die Romantik des frühen 19. Jahrhunderts beriefen: Die »deutsche Seele« würde in der Natur liegen, und darum sei es für den Erhalt der »deutschen Moral« essenziell, dass diese Landschaften bewahrt und geschützt würden. Nur so könnten wissenschaftliche Erkenntnisfreude und ästhetisches Feingespür der Deutschen erhalten werden – man identifizierte sich ganz mit der Zuschreibung der »Dichter und Denker«.73

Zentral für diese Bewegung war die Gleichsetzung von Land und Menschen: In der Landschaft, so postulierte man, spiegle sich jeweils die Charakteristik der dort lebenden Bevölkerung wider. In diesem Zusammenhang ist vor allem für Deutschland der Begriff der Heimat zentral: Er wird über die Jahrzehnte so weit ausgebaut, dass zusätzlich zur realen Landschaft ein imaginierter Ort entsteht, der mit Bedeutungen aufgeladen wird – in der Literaturwissenschaft spricht man bei solchen Begriffen von einem Locus. Loci sind mächtige sprachliche Werkzeuge und wirken teilweise über Jahrhunderte hinweg. Heimat ist für diese konservativen Naturverbundenen der Ort, an dem (theoretisch) Parteikonflikte und Standesgrenzen zugunsten einer gemeinsamen Vision von einem Volk überwunden werden, das kulturell potent und national stark ist.

Dieses Konzept ist der Faden, der die Anfänge der deutschen Naturschutzbewegung mit dem nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Gedanken und den Debatten über Heimatschutz in den Talkshows im Jahr 2020 verbindet. Eine gemeinsame Heimat zu haben, schafft den nötigen sozialen Kitt, den es braucht, um eine organische, homogene und stabile nationale Einheit zu entwerfen und Grenzen, die in Wirklichkeit nur Konstrukte sind, nach innen zu begründen und nach außen zu verteidigen. Wie aktuell dieses Denken ist, zeigt sich im Umgang mit den Menschen, die es wagen, diese Konzepte durch ihre Anwesenheit infrage zu stellen: BIPoC, die als solche gelesen werden (d.h., denen weiße Deutsche ihre Herkunft vermeintlich »ansehen«), müssen sich fragen lassen, wann sie wieder »dorthin zurückkehren, wo sie herkommen«, und wenn entsprechende Machtbefugnisse vorhanden sind, ist es auch heute möglich, den Boden der imaginierten eigenen Heimat auf einen Staatenbund auszudehnen und Menschen, die sich der magischen Grenze nähern, kalkuliert zu ermorden.

Zurück zu den frühen deutschen Naturschützern (damals fast reine Männerangelegenheiten): Ihnen ging es nicht um die Umwelt als komplexes Ökosystem, sondern vor allem um ihren Nutzen für die Fiktion einer deutschen Identität. Zu dieser deutschen Identität gehörten in den Anfängen der Heimatschutzbewegung übrigens auch jü-dische Deutsche. Das sollte sich erst durch die Machtübertragung auf die Nationalsozialisten ändern.74

Nichtsdestotrotz proklamierten Vertreter der völkisch-nationalistischen Ausrichtung schon im Jahr 1906, dass das oberste Ziel des Naturschutzes der »Rasseschutz« sei.75 Parallel zur Industrialisierung wurde die Natur nun also auch ideologisch ausgebeutet und instrumentalisiert. Tatsächlich waren Aspekte, auf die sich die meisten modernen Umweltschützer:innen fokussieren, für sie weniger bedeutsam: Verschmutzung durch Industrieabfälle, fehlendes Müllmanagement und Ressourcenausbeutung stellten keine zentralen Themen dar, wurden teilweise sogar als notwendiges Opfer für den technischen Fortschritt verstanden.76

Dem Ideal der Einheit entgegen-, aber ganz in konservativer Tradition stehend, wurden die frühen Heimatschutzbemühungen nicht von der Idee einer offenen und gleichberechtigten Gesellschaft für alle Mitglieder getragen. Die Umwelt wurde nicht aus dem demokratischen Verständnis, für alle eine lebenswerte Zukunft zu gestalten, bewahrt. Sondern aus dem Bedürfnis der privilegierten Schichten, Sinn für Ästhetik zu beweisen – der »schlechte Geschmack« der in den Städten arbeitenden und von der Natur entfremdeten Masse musste durch patriarchale Hand geformt werden. Aktivitäten, die die Bourgeoisie erhebend fand – wie etwa Wandern oder das Malen von Naturlandschaften –, wurden zum einzig richtigen Umgang mit der Umwelt erklärt. Der frühe Naturschutz war in seiner Hauptströmung dezidiert antidemokratisch und dazu gedacht, durch das Einheitsnarrativ den hierarchischen Status quo zu stabilisieren.77

Der Antisemitismus und Rassismus der Nationalsozialisten wurde denn für viele Naturschützer:innen zum anschlussfähigen Konzept, das nicht zuletzt in Form der Blut-und-Boden-Ideologie an die heimatlich-romantische Vorstellung von der Einheit der Menschen und ihrem Land anknüpfte. Viele befürworteten daher die Gleichschaltung der Heimat- und Naturschutzverbände im Juli 1933: Sie alle gehörten jetzt zum nationalsozialistischen »Reichsbund Volkstum und Heimat«.78 Das verbindende und einheitsstiftende Element? Die Überlegenheit von allem, was als deutsch galt.

Auch die biodynamische Landwirtschaft, die wir heute vor allem mit dem Demeter-Siegel verbinden, war den Nationalsozialisten nicht fremd: Die Lebensreform-Bewegung, die es bereits vor den Nazis gab und mit offenen Armen in ihr Weltbild aufgenommen wurde, beruht auf dem natürlichen Gegensatz zur Industrialisierung, Verstädterung und Technisierung. Das Land wurde verklärt, Naturheilverfahren waren genauso wie die vegetarische Ernährung und Tierschutz vertreten. Nachhaltige Bestrebungen funktionierten für die Nationalsozialisten wunderbar und passten perfekt in das Konzept: Es ging darum, eine möglichst gesunde, starke und unabhängige deutsche Nation zu erschaffen – nicht nur durch die überall präsente Ertüchtigung, sondern auch durch möglichst hochwertige Nahrung.79 Natur- und Tierschutz gingen dabei auf die mystische Verklärung der Natur in der Romantik zurück. In den esoterischeren Flügeln des Reichs strebte man die »Harmonie von Blut, Erde und Kosmos« an.80

Das führte unter anderem dazu, dass Demeter-Betriebe früh mit der NSDAP zusammenarbeiteten – insbesondere allerdings, um nach Beginn des Krieges Pläne für die Bewirtschaftung der besetzten Gebiete auszuarbeiten. Die osteuropäische Bevölkerung sollte durch deutsche Siedler:innen ersetzt werden, die nach biodynamischen Prinzipien Landwirtschaft betrieben.

Experimente mit biodynamischer Landwirtschaft sollten vor allem das Ziel verfolgen, die deutsche Bevölkerung unabhängig von anderen Ländern zu versorgen. Doch Theorie und Praxis liefen auseinander, und der Naturschutz wurde umgehend Eroberungs- und Unterwerfungsidealen geopfert: Zur Ertrags- und Produktivitätssteigerung wurde trotzdem in großem Stil gedüngt, Moore wurden trockengelegt und in Äcker umgewandelt, ganze Gebiete umgestaltet. Mit dem Schutz der Umwelt hatte das nur noch wenig zu tun.

Diese Linie läuft schnurgerade zur aktuellen Organisation der rechten Szene auf Social Media: Die modernen Nazis können, wie Recherchen des Journalist:innen-Netzwerks Correctiv zeigen, sehr gut mit den neuen Medien umgehen – und nutzen unter anderem Hashtags wie #heimatliebe, um über unschuldig aussehende, idyllische Naturbilder durch die Hintertür ihre rechte Ideologie zu verbreiten.81

Die Nähe von Naturschützer:innen zu rechtem Gedankengut wird auch bei einigen Vereinen und Verbänden deutlich, die eine intensive personelle und ideologische Beziehung zur rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) pflegen. So ist die Rolle der Grünen Liga Sachsen, deren ehemaliger Chef Jörg Urban jetzt Vorsitzender des AfD-Landesverbands Sachsen ist82 und die mit dem Bundesverband Landschaftsschutz zusammenarbeitet, auch nach einer öffentlichen Distanzierung der Grünen Liga von der AfD nicht vollständig geklärt.83 Die Vermutung von Beobachter:innen: Beide Vereine haben sich zusammengetan, um Klimaschutz auszubremsen und die Energiewende zu verlangsamen oder gar zu verhindern.84

Das wiederum wundert nicht, wenn wir einen Blick ins Parteiprogramm der AfD werfen: Dort ist blumig von Umwelt- und Naturschutz die Rede – der »unkontrollierte Ausbau der Windenergie«85 müsse aber sofort gestoppt werden. Hier greift die wichtige Unterscheidung, mit der wir in dieses Unterkapitel eingestiegen sind: Rechten geht es nach wie vor um Heimatschutz – wie wir gesehen haben, meint das nicht nur die schönen deutschen Naturlandschaften, sondern insbesondere das dahinterstehende Konzept von »völkischer« Einheit und der entsprechenden Abgrenzung nach außen.

Worum es ihnen nicht geht, ist Klimaschutz. Der wiederum steht – in Kombination mit Umweltschutz, weil beides sich bedingt – seit den 60er-Jahren auf dem Programm eher linksorientierter Aktivist:innen. Der Blick über den deutschen Grenztellerrand ist für rassistisch und antisemitisch argumentierende Menschen aber nicht attraktiv – als Bewahrer:innen dessen, was ist, und Liebhaber:innen von Ordnung und Tradition, verteidigen sie das Altbekannte (fossile Energien) und ziehen in den rhetorischen Krieg gegen das vermeintlich Unbekannte (erneuerbare Energien). Umwälzung, Ambiguität und Neustrukturierung haben keinen Platz im rassistischen Denken und so auch nicht in den Umweltschutzpassagen der AfD: »Die AfD sagt daher ›Ja zum Umweltschutz‹, macht aber Schluss mit der ›Klimaschutzpolitik‹ und mit den Plänen zur Dekarbonisierung und ›Transformation der Gesellschaft‹.« Außerdem: »Klimaschutz-Organisationen werden nicht mehr unterstützt.«86

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