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DAS SCHLECHTE GEWISSEN KAUFT MIT EIN

Je mehr wir über bestimmte Branchen und Produkte wissen, desto schwieriger wird es, sich »richtig« zu entscheiden. Vor ein paar Jahren habe ich (why not?) ein Buch über Zucker gelesen, das mich erst mal ziemlich ratlos zurückgelassen hat. Plötzlich erschien mir jedes Produkt im Supermarkt wie ein Produkt aus der Hölle, alles nur Verarsche, überall steckte deutlich mehr Süßzeug drin als vermutet. Zunächst wusste ich nicht so richtig damit umzugehen, lief frustriert durch die Gänge und genoss selbst das Essen im Restaurant kaum noch. Eine Freundin, der ich davon erzählte, schien sich nicht so sehr an den Fakten zu stören oder konnte sie ausblenden. Der Anspruch an mich selbst lag hier offensichtlich deutlich höher, obwohl wir uns beide in derselben Welt bewegten. Dabei konnte ich ihr Verhalten gut nachvollziehen: Sich in einer nicht zuckerfreien Welt zuckerfrei ernähren zu wollen ist nahezu utopisch. Warum sich also damit stressen? (An dieser Stelle: Respekt an alle, die es trotzdem schaffen!) Ein Bewusstsein für das Zucker-Problem ist gut, aber Askese auch nicht die Lösung. Ganz ausblenden kann ich die Tatsache im Alltag trotzdem nicht, das Bewusstsein verschwindet schließlich nicht. Eben dieses Gefühl lässt sich auf Konsumentscheidungen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit übertragen – wobei es sich hier nicht nur so anfühlt, als würde ich mir selbst schaden, wenn ich das Falsche kaufe, sondern gleich der ganzen Welt.

Umso beunruhigender, dass es anderen auch so schwerfällt, stets die nachhaltigste Entscheidung zu treffen. In einer Studie zum Umweltbewusstsein der Deutschen, die das Umweltbundesamt alle zwei Jahre durchführt, gaben 2018 zwar 64 Prozent an, Umwelt- und Klimaschutz als eine der wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen anzusehen, und schätzten ihren Umweltaffekt und ihre Umweltkognition, also die emotionale Betroffenheit und die rationale Einschätzung, recht hoch ein (7,2 und 7,9 von zehn möglichen Punkten). Beim umweltbewussten Verhalten lag der Wert jedoch bei gerade einmal 4,6 Punkten.6

Wenn wir dann letztlich doch etwas kaufen, von dem wir definitiv wissen, dass es nicht die richtige Entscheidung ist (von manchen Medien verspielt »Öko-Fails« genannt7), meldet sich schnell das schlechte Gewissen. Mittlerweile ist dieses Gefühl offensichtlich so weitverbreitet, dass es gar einen eigenen Begriff wert ist: Eco Guilt oder Green Guilt, grüne Schuld. Sie spüren wir, wenn der Versuch, alles richtig machen zu wollen, scheitert – also eigentlich ständig. Selbst wenn wir uns aus unserer Sicht schon wirklich viel Mühe geben. Wenn wir wieder einmal merken, dass es einfach unfassbar schwer ist, als Einzelperson tatsächlich etwas zu bewirken, weil die konsumfreundliche Realität eben komplexer als unsere ökologischen Absichten ist. Wir verspüren dieses Gefühl, obwohl wir wissen, dass wahrscheinlich niemand alles richtig macht. Wie oft bin ich in Gesprächen über ethischen Konsum bei »Um wirklich nachhaltig zu leben, müssten wir irgendwo in einer Hütte im Wald leben und uns selbst versorgen« gelandet.8

Warum aber schaffen wir es trotz starker Absicht nicht, uns auch entsprechend dieser zu verhalten? In dem Zusammenhang sprechen unter anderem auch David Scholz und Leonie Kott von Psychologists for Future, angelehnt an die Arbeiten der beiden Psychologen Paschal Sheerans und Thomas L. Webbs9, von der sogenannten Intentions-Verhaltens-Lücke. Sie geht oft mit Rechtfertigungen einher, mit denen die getroffenen Entscheidungen schöngeredet werden. Etwa, wenn man einen Flug bucht und sich einredet, dass es ja nur das eine Mal sei. Oder wenn man sich neue Kleidung kauft, die unnötig, aber angesagt ist, weil man sich ausnahmsweise auch mal etwas gönnen will. Ähnliches Verhalten kennen auch viele Menschen, wenn die Neujahrsvorsätze schon nach wenigen Tagen gescheitert sind: Sorry, es fehlt mir einfach die Zeit für Sport.


Weshalb Menschen entgegen ihrer Überzeugungen handeln, hängt von mehreren Faktoren ab. Zunächst ist die Qualität der Intention entscheidend. Ist das Ziel klar definiert und tatsächlich erreichbar? Ist der Wunsch nach Veränderung intrinsisch, also kommt er von der Person selbst, oder basiert er auf den Erwartungen anderer? Hinzukommen selbstregulatorische Schwierigkeiten, also Hürden bei der Umsetzung, entweder weil man nie anfängt, nicht dranbleibt (etwa weil kein Fortschritt beobachtet wird) oder weil man nicht zum Ende kommt. Die Psychologists for Future empfehlen deshalb auch, kleine Ziele zu stecken und Kompromisse einzugehen, also etwa erst mal nur unverpacktes Obst und Gemüse zu kaufen, statt direkt Zero Waste als Megaziel zu verfolgen, sowie die eigene tatsächliche Motivation zu hinterfragen.10

Aber genau in diesen (durchaus auch hilfreichen) Tipps versteckt sich das Grundproblem, mit dem wir alle kämpfen: Wie sollen wir in einer nicht nachhaltigen Welt nachhaltige Entscheidungen treffen? Hinzu kommt, wie das Oatly-Beispiel zeigt, dass manchmal gar nicht ersichtlich ist, wie nun die sinnvollste Lösung aussähe.

WER DIE WAHL HAT, HAT DIE WAHL, HAT DIE WAHL

Während meiner Elternzeit habe ich mir fast gar keine neuen Kleidungsstücke gekauft. Fürs Büro musste ich mich nicht herrichten, das Kind hat sich sowieso nur für meine Brüste interessiert, und mir blieb generell nicht viel Zeit, über mein Aussehen nachzudenken. Nach einiger Zeit merkte ich aber, dass mir meine Hosen nicht mehr gut passten. Gleichzeitig sträubte sich in mir alles gegen Neuanschaffungen. Ich habe meinen Kleiderschrank schon häufiger ausgemistet und fand es jedes Mal wieder erschreckend, wie schnell sich so ein Müllsack füllte. Da wollte ich nicht noch mal hinkommen. Wie also eine neue Hose besorgen? In mir startete sofort die Abwägungsmaschine. Schließlich soll das Gekaufte bestenfalls auch direkt das Richtige sein. Aber mir fehlte schlichtweg die Zeit, das gesamte Internet nach Secondhandware oder möglichst nachhaltig produzierten Jeans zu durchforsten. Zwanzig Päckchen nach Hause bestellen wollte ich auch nicht (kleiner Spoiler: Zu dem Thema, wer sich Nachhaltigkeit leisten kann, schreibt Jenni im nächsten Kapitel mehr). Trotzdem quälte ich mich durch diesen Prozess und harrte solange in schlecht sitzenden Hosen aus. Gleichzeitig fühlte sich das auch absurd an. Was wog nun schwerer? Das schlechte Gewissen, das ich nach einem nicht hundertprozentig nachhaltigen Kauf haben würde, oder der Unmut darüber, dass die Kleidungsstücke so schlackerten? Obwohl ich wusste, dass ich dringend eine neue Hose brauchte, konnte ich kaum eine Entscheidung treffen. Mich persönlich lähmte diese gefühlte Ausweglosigkeit extrem.


Dass wir uns so blockiert fühlen, oft nicht wissen, wie wir uns nun richtig verhalten, gilt übrigens nicht nur in Bezug auf nachhaltigen Konsum. Barry Schwartz, Professor für Psychologie am Swarthmore College in Pennsylvania und Autor des Buches Paradox of Choice, erklärt den Widerspruch der vermeintlichen Wahlfreiheit in einem gleichnamigen TED-Talk ausführlich. Das offizielle Dogma von westlichen Industriegesellschaften sei, so Schwartz, dass mehr Wahlmöglichkeiten die Menschen freier machten. Freiheit wiederum steigere das Gemeinwohl: »Wenn Menschen Freiheit haben, dann handelt jeder von uns eigenständig, um die Dinge zu tun, die unser Wohlergehen maximieren, und niemand muss in unserem Namen entscheiden. Der Weg zur Maximierung der Freiheit ist die Maximierung der Wahlmöglichkeiten.«11 Obwohl es im ersten Moment gut klingt, dass es – nicht nur in Bezug auf Konsum, sondern auch zum Beispiel bei der Wahl der richtigen Arztpraxis – eine Art Bürger:in-nenautonomie gibt, wird so die Verantwortung für Entscheidungen auf das Individuum abgewälzt. Das führt laut Schwartz zu zwei Effekten: »Ein Effekt, paradoxerweise, ist, dass er lähmt, statt zu befreien.« Mit so vielen Optionen, aus denen man wählen könne, fiele es Menschen sehr schwer, sich überhaupt festzulegen. Der andere Effekt: »Selbst wenn wir die Lähmung überwinden und eine Entscheidung treffen, sind wir am Ende mit dem Ergebnis der Wahl weniger zufrieden, als wir wären, wenn wir weniger Optionen zur Auswahl gehabt hätten.« Es sei einfach, sich vorzustellen, dass man eine andere Wahl hätte treffen können, die besser gewesen wäre. Dieses Bereuen mache unzufrieden. Zusätzliche Möglichkeiten er-höhten außerdem unsere Erwartungen da-ran, wie zufrieden wir mit unseren Entscheidungen sein würden. Deshalb seien wir auch unzufrieden, wenn das Ergebnis eigentlich gut ist. »Das Beste, auf das Sie jemals hoffen können, ist, dass Dinge so gut sind, wie Sie es erwarten. Sie werden nie angenehm überrascht sein, wenn Ihre Erwartungen, meine Erwartungen, haushoch sind. Das Geheimnis des Glücks ist: niedrige Erwartungen.«


Bei hundert verschiedenen Optionen, etwa beim Jeanskauf, sieht man automatisch sich selbst in der Verantwortung, die richtige Entscheidung zu treffen. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir uns bei einer schlechten Wahl selbst beschuldigen: »Man hätte besser entscheiden können.« Eine genaue Zahl für die optimale Menge an Möglichkeiten kann Schwartz aber nicht nennen: »Es steht außer Frage, dass eine gewisse Auswahl besser ist als keine. Aber das bedeutet nicht, dass mehr Auswahl besser ist als etwas Auswahl. Es gibt eine magische Menge.« Das bestätigen Studien anderer Forscher:innen wie die der spanischen Ökonom:innen Elena Reutskaja und Robin Hogarth. Für ein Experiment sollten sich Proband:innen zwischen fünf, zehn, 15 oder 30 Geschenkverpackungen entscheiden. Ergebnis: Bei zehn Optionen waren die Versuchspersonen mit ihrer Wahl zufriedener als bei fünf. 15 Alternativen überforderten sie dagegen schon etwas. 30 Optionen machten so unglücklich wie fünf. Die Zufriedenheitskurve beschrieb ein umgekehrtes U. Wir wägen also vermutlich unbewusst zwischen Kosten und Nutzen ab.12

Letztlich kommt Schwartz zu dem Schluss, dass Unzufriedenheit aufgrund zu vieler Entscheidungsmöglichkeiten vor allem ein (Luxus-)Problem der industrialisierten Welt sei, während andere Gesellschaften zu wenig Auswahl hätten. Deshalb schlägt er vor: »Wenn etwas von dem, was den Menschen in unserer Gesellschaft Entscheidungen ermöglicht, in Gesellschaften verlagert würde, in denen Menschen zu wenige Optionen haben, würde nicht nur das Leben dieser Menschen verbessert werden, sondern auch unseres.«

WIR KONSUMIEREN, WEIL WIR ES MÜSSEN KÖNNEN SOLLEN

Schwartz hat es ganz treffend beobachtet: Wir leben in einer Konsumgesellschaft. Dadurch stellt sich aber nicht nur die Frage, was wir konsumieren, sondern auch, warum wir nicht aufhören können zu konsumieren. Jede Person in Deutschland besitzt schon jetzt durchschnittlich 10.000 Gegenstände13, von denen sie weit weniger als die Hälfte nutzt. Ein Grund: Wir leben in einem Land, in dem alles im Überfluss existiert, innerhalb einer Wirtschaft, die vom Verbrauch abhängt (mehr dazu in Kapitel 3) und in der der Markt ständig neue Bedürfnisse erzeugt.

Auch in der Greenpeace-Studie mit dem treffenden Titel After the Binge, the Hangover fand man 2017 heraus, dass die Menschen in Europa und Asien mehr Kleidung kaufen, als sie brauchen oder nutzen. Sie konsumieren vor allem, weil sie sich nach Erfüllung sehnen, befeuert durch Social Media und das leicht verfügbare Online-shopping. Tatsächlich hält die Glückseligkeit über neue Produkte aber nicht lange an. Bei einem Drittel der in Deutschland Befragten verflog die Freude bereits nach einem Tag, über die Hälfte fühlte sich nach dem Shopping müde und erschöpft. Ein Drittel der Befragten in China, Hongkong, Taiwan fühlte sich danach sogar noch leerer als zuvor.14 Ein Kaufrausch kann also tatsächlich eine Art Kater nach sich ziehen und negative körperliche und psychische Folgen haben.

Wolltet ihr in den 90ern auch unbedingt Schuhe mit Leuchteffekten haben? Habt ihr euch an einem besonders miesen Tag schon mal etwas besonders Schönes gekauft? Kein Wunder, Shopping ist häufig eher emotional als rational bedingt. Etwa, weil wir uns etwas als Belohnung gönnen, oder auch, weil wir gesellschaftlich dazugehören wollen. Das kann gut und schlecht zugleich sein. Einerseits glauben wir eben deshalb, bestimmte Produkte zu brauchen – die eigentlich unnötig sind. Andererseits können wir aber aus demselben Grund andere Menschen leicht beeinflussen – auch im positiven Sinne. Bestenfalls können wir sie genau deswegen durch unser umweltfreundlicheres Verhalten zum Nachahmen anregen. Oder, wie es Karl Marx einst formulierte: »Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.«15


Davon, dass wir automatisch weniger konsumieren, je glücklicher wir sind, schreibt auch Manfred Folkers im Buch All you need is less, eine Mischung aus buddhistischen Beobachtungen und Denkanstößen für die Wirtschaft: »Wer sich […] dem Mehrungs- und Vergleichungsdruck entzieht, öffnet das Tor zur Zufriedenheit.«16 Obwohl viele Formulierungen in dem Werk sehr pathetisch rüberkommen, steckt in ihnen viel Wahres: Nur wer mit sich selbst im Reinen ist, wird keine Bestätigung durch Konsum suchen. Minimalist:innen werden an dieser Stelle vermutlich heftig nicken.

Dass weniger statt mehr für unser Wohlbefinden durchaus ausreicht, bestätigt auch eine Umfrage der ZEIT während der einschränkenden Coronamaßnahmen im Frühjahr 2020. Auf die Frage, was sie wirklich brauchen würden, um diese Zeit gut zu überstehen, antwortete eine Mehrheit: Sie hätten gemerkt, dass es ihnen auch gut geht, wenn sie nicht immerzu konsumieren.17


INTERVIEW MIT DER JOURNALISTIN KATHRIN HARTMANN
KAUF DICH FREI


Von Milena Zwerenz

Dein Kassenzettel ist ein Stimmzettel, heißt es trotzdem immer wieder. Die Idee der Konsumenten:innendemokratie ist ebenfalls dafür verantwortlich, dass wir am vermeintlich nachhaltigen Konsum festhalten. Doch wie viel hat unser Kaufverhalten tatsächlich mit ökologischer Wirksamkeit zu tun? Die Journalistin Kathrin Hartmann hat sich bereits in zahlreichen Büchern (Grüne Lüge, Grüner wird’s nicht) und zuvor im gleichnamigen Film The Green Lie (mit Regisseur Werner Boote) intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt. Wer bisher dachte, dass »ethischer Konsum« eine konventionelle Lösung sein könnte, wer Mode aus Ozeanplastik für eine geniale Idee hielt, der:die fühlt sich durch ihre Aussagen schnell ernüchtert. Auch wir haben uns beim Lesen mancher ihrer Interviews ertappt gefühlt. Sie zerstört die Illusion, dass wir durch »richtigen Konsum« die Welt verändern könnten, endgültig.

Vor dem Gespräch mit ihr bin ich ungewöhnlich aufgeregt, schließlich kennt sie sich hinter den Kulissen des Ökovorhangs bestens aus. Am Telefon spricht sie schnell und springt oft von einem Gedanken zum nächsten. Wie gut, dass ich mitschreibe.

Kathrin, für unser Buch versuchen wir herauszufinden, wie wir – entsprechend unserer Situation – nachhaltiger leben können.


Dabei fühlt sich der Begriff »Nachhaltigkeit« mittlerweile wie eine leere Hülle an. Was ist deiner Meinung nach das größte Missverständnis, wenn wir über »Nachhaltigkeit« sprechen?

Das stimmt, Nachhaltigkeit ist ein furchtbar schwammiger Begriff, der nichts Verbindliches bedeutet. Das ist vor allem problematisch, wenn es um die Industrie oder um Nachhaltigkeitsziele geht. Bei vielen Initiativen, bei denen Klima- oder Umweltschutz im Vordergrund steht, fällt der soziale Aspekt völlig hinten runter. Dabei sind gerade arme Menschen, auch in reichen Ländern, als Erstes von Umweltschäden, schlechter Luft und dem Klimawandel betroffen. Deswegen spreche ich lieber von ökologischer und sozialer Gerechtigkeit. Nachhaltigkeit ist außerdem zu einem Begriff verkommen, der einfach nur das hübschere Wort für Systemerhalt ist. Also dass wir alles so weitermachen wie bisher, aber in Grün. Das wird so nicht funktionieren.

Was heißt das konkret?

In der Klima- und Umweltdebatte werden das Soziale und Ökologische oft getrennt voneinander betrachtet, oder das Soziale wird gar nicht erst thematisiert. Selbst NGOs stellen das individuelle Handeln in den Mittelpunkt. Man soll CO2 reduzieren, bestimmte Dinge nicht mehr tun oder andere Sachen kaufen. Dadurch fühlen sich viele Leute von der Bewegung ausgeschlossen. Zu sagen, dass alle Leute Biolebensmittel kaufen sollen, ist für eine bestimmte Gesellschaftsschicht schlicht nicht möglich. Deshalb sollte es ein Ziel sein, dass niemand mehr beim Einkaufen darüber nachdenken muss, wie etwas produziert wurde, weil unsere Waren sowieso ökologisch und sozial gerecht hergestellt werden. Der finanzielle Aspekt darf keine Rolle spielen.

Gerade hält sich aber noch der Gedanke, dass wir durch die Wahl bestimmter Produkte zu Veränderung beitragen können. Warum fallen wir immer wieder auf die Idee der »Konsument:innendemokratie« rein?

Ein Grund ist, dass wir alle ständig ein schlechtes Gewissen beim Einkaufen haben. Denn wir wissen mehr und mehr, unter welchen Umständen die Produkte hergestellt werden, mit denen wir uns im Alltag umgeben. Wenn uns Firmen also sagen – denen natürlich klar ist, dass ihre Kund:innen mehr wissen als je zuvor –, wir könnten einfach so weiterkaufen, dann ist das sehr attraktiv. Es ist aber auch für die Politik ein einfacher Ausweg, die Schuld auf die Verbraucher:innen zu verlagern. Dann muss sie nichts regulieren. Das ist auch für die Unternehmen praktisch und profitabel. Sie verkaufen einen neuen Mehrwert, nennen wir es Nachhaltigkeit, CO2-neutral oder was auch immer. Auf der anderen Seite gibt es noch die Menschen, die sich dem Konsum bestimmter Produkte ganz entziehen. Aber auch bei dieser Form des Verzichts sind die Verantwortlichen letztlich fein raus. Als Konsument:in stellt man keine Forderungen. Nur Konsument:in zu sein, das ist eine wirtschaftliche Kategorie. Aber als Konsument:in besitzt man nur einen mehr oder weniger dicken Geldbeutel. Bürger:in dagegen ist eine gesellschaftliche Kategorie, als Bürger:in hat man Rechte und kann sich politisch engagieren.

Was würde also stattdessen etwas bewirken?

Zunächst darf man nicht unterschätzen, dass auch durch diese Konsumaufforderungen eine Menge von Wissen vermittelt wird: was Palmöl oder Sojaanbau anrichten, wo es Kinderarbeit gibt, wie Klamotten hergestellt werden. Aber ich bin der Meinung, dass man dieses Wissen noch viel mehr dazu nutzen muss, um Druck auf die Politik auszuüben. Wenn zum Beispiel, wie kürzlich in einer Umfrage, mehr als die Hälfte der Deutschen ein Lieferkettengesetz befürwortet, das Unternehmen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten auferlegen würde, dann kann die Regierung das nicht mehr ignorieren.18 Das ist der Punkt: Forderungen kann man besser stellen, wenn man sich zusammenschließt, als wenn man sich auf die individuelle Ebene zurückzieht und meint, man könne sich da irgendwie rauskaufen.


Wenn es eigentlich mehr gemeinschaftlichen Protest braucht, warum wird im Nachhaltigkeitsdiskurs das individuelle Verhalten so in den Mittelpunkt gerückt?

Das hat einerseits mit den vielen Jahren der neoliberalen Politik Ende der 1990er-Jahre zu tun: Jede:r ist für sich selbst verantwortlich, jede:r ist seines:ihres Glückes Schmied. Die Wirkungsmacht des:der Einzelnen ist dabei so betont worden, dass diese Selbstüberschätzung jetzt auch bei der Klimadebatte durchschlägt. Gleichzeitig passt das zu einem Rückzug der Politik, die ebenfalls immer wieder an die Verantwortung jedes:r Bürger:in appelliert hat. Moralismus hat auch eine große Rolle gespielt: Der:die Einzelne kauft das ja, dann ist er:sie auch schuld daran, wie es hergestellt wird. Das blendet natürlich völlig aus, dass es um Machtverhältnisse geht und darum, wer politisch etwas durchsetzen kann und wer von den Bedingungen profitiert. »Nachhaltiges« Einkaufen lässt sich aber natürlich gut vermarkten. Mit dem Zusatz »umweltfreundlich« kann man schließlich auch Geld verdienen.

Mittlerweile bedienen sich allerlei Unternehmen Wörtern wie »grün« und »nachhaltig«. Wie lässt sich noch differenzieren, wer wirklich etwas verändern will oder wem es nur um Profit geht? Oder läuft es letztlich auf dasselbe hinaus?

Man muss die Frage mal umdrehen. Wenn Unternehmen wirklich mit einer ökologischen und sozial korrekten Produktion Profite machen, warum sollten sie irgendwas anderes machen? Sie machen aber keinen Profit mit einer sozial korrekten Produktion. Sie machen Profite, weil Arbeitskräfte in anderen Ländern billig, weil Rohstoffe billig sind. Seit der Kolonialzeit bedienen sich Unternehmen und die kapitalistische Gesellschaft überproportional stark an Ressourcen anderer Länder und schieben den Dreck dahin ab. Und das ist genau das, was zu Zerstörung führt. Blickt man in die Nachhaltigkeitsprogramme der Unternehmen, betreffen sie nie das Kerngeschäft. Es gibt ja Gründe, warum Unternehmen in Länder ausweichen, in denen Arbeiter:innen nicht oder wenig geschützt sind und es nur unzureichende Umweltschutzgesetze gibt. Sobald beispielsweise ein Land die Löhne in der Textilindustrie erhöht, wandern Unternehmen in ein billigeres Land ab. Die Lohnkosten an einem Turnschuh machen aktuell nämlich gerade mal zwei Prozent des Gesamtpreises aus.19

Dabei ist immer wieder die Rede von einer »Green Economy«.

Green Economy ist die politische Variante des Greenwashings, nämlich das Versprechen, dass durch grüne Technologien alles so bleiben kann, wie es ist. Man verlässt sich auf eine Technologie, rührt nicht an den Ursachen und richtet am Ende eher mehr Schäden an. Ich würde beispielsweise sagen, dass Elektromobilität durchaus ihre Berechtigung hat, aber es macht keinen Sinn, dass jedes Auto durch ein Elektroauto ersetzt wird. Elektro-SUVs, die mit einer 800-Kilo-Lithium-Batterie ausgestattet sind, verschärfen die Probleme sogar, weil noch mehr Rohstoffe gebraucht werden. Etwa Lithium, dessen Abbau für Umweltzerstörung und Landraub sorgt.

Wenn der Kapitalismus die Ursache für die Krise ist: Wie müsste sich das System ändern?

Dafür müsste man noch nicht mal die totale Revolution starten, es gibt auch innerhalb des herrschenden Systems immer Möglichkeiten, Dinge so anders zu machen, dass sie eine Transformation vorantreiben. Zum Beispiel bei der Verkehrswende: Laut einer aktuellen Untersuchung vom BUND Naturschutz können zwölf von 14 Regionalflughäfen nur überleben, weil sie so hoch subventioniert sind. Sonst würden sie rote Zahlen schreiben.20 Die braucht niemand. Die könnte man schließen und Windräder hinbauen, ohne dass Wälder abgeholzt werden müssten. Sowieso müssen solche umweltschädlichen Subventionen abgeschafft werden. Das wäre möglich, aber es fehlt der politische Wille. Genauso braucht es nicht viel Geld, um eine Stadt fahrrad- oder fußgängerfreundlich umzubauen. Die Alternativen sind also da. Eher müssen wir uns fragen: Wer verhindert sie? Wer hat Interesse daran, dass es bleibt, wie es ist?

Nach dem Interview mit Kathrin Hartmann bin ich einmal mehr erschlagen von all den Informationen und den komplexen Zusammenhängen von Armut, Gesellschaft, Klimawandel. Vielleicht, so Hartmann, mache es das aber auch ein bisschen einfacher: »Zu wissen, dass alles miteinander zusammenhängt und dass es möglich wäre, mit Veränderungen so vieles zu lösen, finde ich eher ermutigend.«


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9783948819507
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