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REICHTUM IST NICHT VERDIENT


Zusammen verfügen die zehn reichsten Menschen der Welt über ein Vermögen von rund 853 Milliarden Dollar.52 (Ja, ich kann mir auch nicht vorstellen, wie viel das ist.) Die zehn reichsten Deutschen vereinen rund 165 Milliarden Euro auf sich.53 Auch wenn sie uns gerne als das Paradebeispiel für den Aufstieg innerhalb der »Leistungsgesellschaft«54 präsentiert werden: Der Reichtum dieser Menschen kann nicht einzig und allein aus eigener Leistung stammen. Es ist schlicht nicht möglich.

Aus (mindestens) zwei Gründen:

1Ab einem bestimmten Zeitpunkt in ihrer Karriere werden (die meisten, nicht alle) sehr, sehr reiche Menschen (die in der Regel über ein oder mehrere Unternehmen verfügen) von Arbeitenden zu Verwaltenden: Sie arbeiten wenig bis gar nicht mehr selbst, sondern organisieren alles darum herum – Leute einstellen und feuern, Gespräche mit wichtigen Menschen führen, in der Folge über genauso wichtige strategische Dinge entscheiden. Die eigentliche Arbeit (am Produkt oder der Dienstleistung) erledigen längst andere, untergeordnete Menschen.

2Bis es so weit gekommen ist, dass eine Person durch ihren vermeintlich genialen Einfall berühmt und reich wird, hat sie von unzähligen und meist nicht gesehenen Arbeitsstunden anderer pro-fitiert. Von Menschen, die Vordenker:innen-Arbeit geleistet haben. Von anderen, welche die technische Infrastruktur zur Verfügung stellen. Von denen, die ihre kleinen Lokale als Rückzugsort betreiben und erlauben, dass man dort die Batterien wieder aufladen kann. Von wieder anderen, die Bürgersteige sauber halten und dafür sorgen, dass wir nicht kollektiv im selbst produzierten Dreck ersticken. Von dem:der Partner:in, der:die kostenlos und selbstverständlich die Care-Arbeit für den eigenen Nachwuchs übernimmt. Von den Pfleger:innen, die sich um die Gesundheit der Eltern nach einem Oberschenkelhalsbruch kümmern. All diese Arbeit ist Voraussetzung dafür, dass einige wenige in der Gesellschaft durch privilegierte Kopfarbeit in der Lage sind, zu dem beizutragen, was gemeinhin als »Fortschritt« verstanden wird. Sie läuft ununterbrochen im Hintergrund ab, erfährt allerdings wenig bis keine Beachtung.

Aus dieser Perspektive ist unsere Erzählung von den Leuten, die in Garagen geniale Ideen hatten und deswegen alleine den Lauf der Geschichte verändert haben, eine Lüge: Sie stehen nicht nur auf den Schultern von Ries:innen, sondern auf denen der gesamten Gesellschaft. Warum bekommen also nur sie so unverhältnismäßig viel Geld und Einfluss? Es sollte in unser aller Interesse liegen, diese Verhältnisse zu ändern.


GESPRÄCH MIT DER POLITIKWISSENSCHAFTLERIN PROF. DORIS FUCHS
ALLE IN EINEN TOPF UND KRÄFTIG UMRÜHREN?


Von Jennifer Hauwehde


Transformation heißt das Zauberwort. Die liegt aber unter anderem auch deshalb in so weiter Ferne, weil wir uns über Jahrzehnte auf die Gleichung »Nachhaltigkeit = grüner Konsum« fixiert und die Systemfrage nicht gestellt haben. Sehr zur Frustration der Wissenschaft: Seit spätestens 2001 predigt diese, erzählt mir Konsumforscherin Doris Fuchs von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in einer Videokonferenz, dass wir an den Strukturen ansetzen müssen, wenn wir wirklich etwas verändern wollen: der Wirtschaft, der Gestaltung unseres politischen Systems, der Gesellschaft. Gehört werden die Forscher:innen erst seit rund zwei Jahren – viel zu spät.

Und das hängt, erklärt sie, auch damit zusammen, dass Forschung von Förderung abhängig ist – Projekte, die politisch unangenehme Ergebnisse zutage fördern könnten, werden seltener gefördert als jene, die bequeme Antworten im gewohnten System versprechen. »Fast alle Projekte, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurden, gingen in die Richtung: ›Welche Informationen kann ich den Konsumierenden wie anbieten, damit sie nachhaltiger leben?‹ Damit wird auch das, was von der Wissenschaft in die Öffentlichkeit kommt, gelenkt.«

Dass die Verantwortung auf die Konsumierenden abgewälzt werde, meint Professorin Doris Fuchs, sei politisch durchaus gewollt. »Dass das oft zu einer Symbolpolitik verkommt, die keine Auswirkungen hat, ist dann erst mal nicht so auffällig: Die Politiker:innen können etwas tun, ohne jemandem wehzutun. So ein Ansatz passt auch viel besser in unsere Marktwirtschaft und die ökonomischen Paradigmen, in denen wir denken. Dann kann man immer noch sagen: ›Wir wollen Wachstum. Und wir möchten, dass der Markt das Problem löst.‹ Das wird langfristig allerdings nicht funktionieren.«

Mit der Jahreszahl 2001 bezieht Professorin Fuchs sich auf einen Text von Michael Maniates, der die Verschiebung der Verantwortung auf die Konsument:innen kritisiert und den wissenschaftlichen Dialog stark beeinflusst hat. Unter dem Titel Plant a Tree, Buy a Bike, Safe the World? schreibt Maniates: »Wenn die Verantwortung für Umweltprobleme individualisiert wird, gibt es wenig Raum, um über Institutionen, die Art und Ausübung politischer Macht oder über Wege nachzudenken, die Verteilung von Macht und Einfluss in der Gesellschaft kollektiv zu verändern – mit anderen Worten: ›institutionell zu denken‹.«55 Man bleibt stecken im Kleinkrieg aller gegen alle – wer ist besser im Plastikvermeiden? Wer shoppt immer noch Fast Fashion? Wer hat immer noch zu viele Sachen bei sich zu Hause herumstehen?

Solange es klar abgegrenzte Gruppen innerhalb einer Gesellschaft gibt, von denen die Mehrzahl diskriminiert und auf unterschiedlichen Ebenen ausgebeutet werden kann, sodass ihre Mitglieder vor allem damit beschäftigt sind, innerhalb dieses Systems (und gegeneinander statt miteinander) zu bestehen, ist eine radikale Veränderung der Verhältnisse nicht zu befürchten. Wir müssen uns außerdem klarmachen: Der Versuch, sich in einem Wirtschaftssystem eine stabile Identität durch Konsum aufzubauen, das darauf basiert, immer neue Produkte und Identifikationsangebote in rasender Geschwindigkeit auf den Markt zu werfen, kann nur zum Scheitern verurteilt sein.56 Die Feind:innen stehen nicht in der Schlange vor der Primark-Kasse.

Der überbordende Konsum von Waren und Dienstleistungen stellt ein unbestrittenes Problem dar, mit dem wir uns als Gesellschaft ernsthaft und langfristig befassen müssen. Dabei dürfen wir allerdings nicht alle Bevölkerungsgruppen in einen großen Topf werfen und kräftig umrühren, um am Ende zuverlässig etwas von »Verzicht« und »Mäßigung« propagieren zu können.

»Ökologische Nachhaltigkeit unabhängig von sozialer Nachhaltigkeit ist keine Option«, bekräftigt Professorin Fuchs. »Wir müssen immer über ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit gleichzeitig sprechen. Ich arbeite viel zu Konsumkorridoren, also der Frage, wie nachhaltiger Konsum gestaltet werden kann. Unsere Hauptfrage ist: ›Wir wollen versuchen, dass alle auf der Welt – alle, die jetzt leben, und alle, die in Zukunft leben – ein gutes Leben haben können. Was muss dafür passieren?‹«

DORIS FUCHS

Prof. Doris Fuchs ist Politikwissenschaftlerin und Professorin für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Sie promovierte in Politik- und Wirtschaftswissenschaften in Kalifornien und habilitierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Außerdem beschäftigt sie sich mit den Themen (strukturelle und diskursive) Macht, nachhaltiger Konsum und Beteiligung. Sie ist Sprecherin des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN).

INTERVIEW MIT SOPHIA HEINLEIN UND MORITZ PIEPEL VOM JUGENDRAT DER GENERATIONEN STIFTUNG
EIN MÖGLICHER SCHLÜSSEL: GENERATIONENGERECHTIGKEIT


Von Jennifer Hauwehde


Mit dieser und vielen weiteren Fragen im Gepäck mache ich mich im November 2020 auf den Weg nach Berlin. Dort treffe ich mich mit Sophia Heinlein und Moritz Piepel in einem kleinen Büro mit hohen Decken und knallorangenen Plakaten in den Fenstern, die es mir leicht machen, das richtige Gebäude zu finden. Die Plakate werben für das Buch Ihr habt keinen Plan, das von dem Jugendrat der Generationen Stiftung geschrieben wurde und »Zehn Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft« aufstellt. Darunter: das Klima retten, den neoliberalen Markt einschränken, soziale Gerechtigkeit schaffen und die Menschenrechte einhalten.

Für mich klingen die Thesen im Buch sehr anschlussfähig, aber ich glaube: Das geht nicht allen so. In meinem Kopf habe ich Bilder von alten Menschen, die keine Lust haben, sich das Steak vom Teller und den SUV unter dem Hintern wegnehmen, und erst recht nicht, sich von jungen Leuten erklären zu lassen, dass sie ihr ganzes Leben falsch gelebt haben. Das »How dare you?« von Greta Thunberg war aufrüttelnd und wichtig57 – in den letzten Monaten wurde daraus allerdings vor allem eines gemacht: ein Generationenkampf.


Geht es wirklich um Alt gegen Jung?

Moritz: Nein. Es gibt keinen Generationenkonflikt. Nicht in Deutschland, aber auch nicht in globaler Perspektive. Tatsächlich sehen wir einen Klassenkonflikt. Nicht mehr zwischen der Arbeiter:innen-Klasse und allen anderen Schichten, sondern zwischen privilegierten und weniger privilegierten Menschen – und auf globaler Ebene zwischen globalem Norden und globalem Süden. Hätten wir Generationenkonflikte, wäre politisches Handeln von vornherein zum Scheitern verurteilt: Wenn die Jungen sowieso dafür und die Alten hierfür wären, könnte man am System nichts ändern. Das führte zu politischem Stillstand. Die wirklichen Konfliktlinien verlaufen woanders. Zu sagen, wir hätten einen Generationenkonflikt, verkürzt politische Debatten, und das ist gefährlich.

Sophia: Für eine Schuldfragen-Debatte haben wir außerdem definitiv keine Zeit. Das würde die Lage ja nicht ändern. Es geht hauptsächlich darum, eine Zukunft zu gestalten. Dabei natürlich auch die Vergangenheit im Blick zu behalten, aber den Fokus darauf zu setzen: Was können wir hier und jetzt konkret verändern?

Moritz: 15 Prozent der Wahlberechtigten sind unter 30 Jahre alt. Selbst wenn in unserer Generation alle Menschen genauso denken würden wie wir, dann würden sie immer noch nur 15 Prozent der Wahlberechtigten stellen. Und das ist einfach nicht genug, um einen Wandel anzustoßen. Dem gegenüber stehen 36 Prozent Wahlberechtigte über 60 Jahre. Wenn man diese 36 Prozent bei ihrem Gewissen packen und zur Verantwortung ziehen könnte, um eine zukunftsfähige Politik zu gestalten – dann könnte man tatsächlich einen Richtungswechsel realisieren.


Was bedeutet »Generationengerechtigkeit«?

Sophia: Es gibt zwei Arten, den Generationenbegriff zu definieren. Einerseits die Einteilung in die junge, mittlere und alte Generation. Andererseits: Wir sind jetzt die eine Generation, die gemeinsam auf der Erde lebt – und es gibt die kommende Generation, die noch nicht geboren ist. Dann wären wir alle in einer Generation. In dieser Generation ist es wichtig, miteinander zu sprechen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen.


GENERATIONEN STIFTUNG/ JUGENDRAT

Die Generationen Stiftung hat in den Jahren 2013 und 2017 zu den Bundestagswahlen das Generationen Manifest60 verfasst und die Politik zu generationengerechten Lösungen für die multiplen Krisen unserer Zeit aufgefordert. Da trotz einer Viertelmillion Unterschriften keine Änderung auf politischer Ebene in Sicht war, wurde von der Unternehmerin Claudia Langer und einigen Mitstreiter:innen im Jahr 2017 die Generationen Stiftung gegründet, um konstanten Druck auf die Parteienlandschaft ausüben zu können. Teil der Stiftung ist der Jugendrat, der aus Menschen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren besteht und sich im Kontext der Stiftung aktivistisch für die Belange kommender Generationen einsetzt. Das Kuratorium besteht aus »den Alten«, die wissenschaftlich beraten und mit Kontakten, Rat und Ideen zur Seite stehen.

Moritz: Wir im 21. Jahrhundert im Vergleich zu den Menschen aus dem 25. Jahrhundert. Das ist aus unserer Sicht die viel spannendere, also die intergenerationelle Perspektive, die unserer Arbeit zugrunde liegt. Sie muss zum Maßstab in allen Politikfeldern werden. Gleichzeitig ist sie ein interessantes Framing: Denn egal, mit wem man spricht – fragt man: »Wollen Sie Generationengerechtigkeit?«, stehen alle dahinter. Daran kann man gut anknüpfen: Jede:r will, dass es Kindern, Enkel:innen und Urenkel:innen später gut geht. Wenn man Verständnis dafür schafft, was das für uns heute aber bedeuten muss und wie wir unser Leben umstellen müssen – dann ist es möglich, dafür Unterstützung zu mobilisieren.

Als ich vor ungefähr sechs Jahren angefangen habe, mich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen, ging das vor allem über meinen Konsum. Ich habe auch in meinem Umfeld beobachtet, dass man vor allem grün kauft, sich vegan ernährt und ein bisschen hier und da macht – dann ist aber auch gut. Der entscheidende Punkt, den beispielsweise Fridays for Future zum Aushängeschild der Bewegung gemacht haben, ist aus meiner Perspektive, dass sie den Diskurs auf die systemische Ebene gehoben haben: weg vom individuellen Konsum hin zum größeren Bild. Ich glaube, viele Menschen arbeiten sich daran ab, dass sie so spät angefangen haben, über systemische Fragen nachzudenken. Moritz: Das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen neoliberalen Politik, die wir alle stark internalisiert haben. Wie kann ich das Klima schützen? Ich muss mich vegan ernähren! Viele Menschen kommen gar nicht darauf, dass man auch grundlegend das System ändern und allgemein verbindliche Regeln umschreiben könnte. In den letzten zwei Jahren erlebe ich eine leichte Diskursverschiebung, aber 2016 hat darüber noch kein Mensch diskutiert. Alle hatten das Narrativ, dass Politik gar nichts machen kann und machen soll und alle selbst verantwortlich seien, unhinterfragt übernommen. Das wird langsam aufgebrochen. Konsumkritik allein wird es nicht richten. Jede:r von uns versucht, nachhaltig zu leben – aber da draußen wird mit harten Bandagen gekämpft. Das Klima geht nicht zugrunde, weil zwei Leute Fleisch essen. Es ist toll, wenn sie kein Fleisch mehr oder wenigstens Biofleisch essen, aber das reicht nicht, das wird die Welt nicht retten.

Sophia: Die negativen Seiten des Neoliberalismus werden immer sichtbarer – und das zwingt uns zum Handeln. Diese Krise ist auch ein ständiges Hinterfragen: von Weißsein, von Mann- oder Frausein. Was heißt es denn heute, ein Mann oder eine Frau oder ein anderes Geschlecht zu sein? Es gibt sehr viele offene Fragen in einem System, in dem man unter einem starken Konkurrenzdruck steht und immer überall der:die Beste sein soll – mit der Illusion vom Wachstum, das nie aufhört.

In Deutschland und weltweit würde es den Menschen besser gehen, wenn eine globale sozioökologische Transformation vollzogen würde, meinen die beiden. Es gelte, die Mehrheit davon zu überzeugen, dass viel zu gewinnen sei. Das sieht auch Professorin Doris Fuchs, Inhaberin des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung an der Universität Münster, so: »Die Frage ist nicht: Wollen wir, oder wollen wir nicht? Die Frage ist: Schaffen wir es, den politischen Diskurs darauf zu fokussieren, wie wir das konkret angehen können?«

Doch wenn alles weitergeht wie bisher (und danach sieht es leider aus), wird kein Land der Erde die Klimaziele des Pariser Abkommens einhalten, weder für 2°C noch für 1,5°C Erderhitzung. »Keine Partei in Deutschland hat ein konkretes Konzept dafür ausgearbeitet, wie das 1,5°C-Ziel eingehalten werden soll!«, empören sich Sophia und Moritz. Gleichzeitig haben die wenigen – also die an den Schalthebeln mit dem vielen Geld und der vielen Macht – es geschafft, dass wir als Individuen uns untereinander die Köpfe einhauen im Wettbewerb um den nachhaltigsten Lebensstil und hämisch mit dem Finger auf die zeigen, die immer noch! nicht fair einkaufen.

Gerade haben wir also eine äußerst unbefriedigende Situation vorliegen: Einige wenige sorgen dafür, dass kein Staat der Welt bisher eine ernsthafte Klimapolitik zustande gebracht hat – gegen den Willen der vielen: Die Mehrheit der Bürger:innen hat erkannt, dass Umwelt und Klimaschutz essenziell sein werden, um die Zukunft zu meistern (69 Prozent), Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern (62 Prozent und 55 Prozent) und Arbeitsplätze zu erhalten (55 Prozent).58 Damit sind die Leute auf der Straße klüger als die neoliberalen Politiker:innen, die immer noch glauben (und behaupten), Klimaschutz und Wirtschaft ließen sich nicht miteinander vereinen. Die Enttäuschung ist dementsprechend groß: Nur 18 Prozent der Menschen in Deutschland sind der Ansicht, die Bundesregierung tue genug, um die Klimakrise aufzuhalten.59




»Weiblich, weiß, schlank und mit einem akademischen Hintergrund – das fasst zumindest den sichtbaren Prototyp der nachhaltigen Szene zusammen.«


EIN ESSAY VON CIANI-SOPHIA HOEDER

WARUM IST DIE NACHHALTIGE BEWEGUNG SO WEISS?


Die Klimaszene hat ein Rassismusproblem. Fridays For Future, Greenpeace, Extinction Rebellion – all diese Bewegungen werden regelmäßig dafür kritisiert, dass sie sich zwar für das Klima einsetzen, aber nicht intersektional sind, also Menschen mit Mehrfachdiskriminierung berücksichtigen. Zuletzt kochte der Diskurs hoch, als die ugandische Aktivistin Vanessa Nakate zur 50. Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos von der Nachrichtenagentur AP aus einem Gruppenbild mit Luisa Neubauer, Greta Thunberg, Isabelle Axelsson und Loukina Tille herausgeschnitten wurde.61 In einem Video erklärte Nakate: »Afrika ist der geringste Verursacher von Kohlendioxid, aber wir sind am stärksten von der Klimakrise betroffen. Wenn ihr unsere Stimmen auslöscht, ändert das nichts. Wenn ihr unsere Geschichten auslöscht, ändert das nichts.« Weiter ging es mit Tonny Nowshin.62 Sie nahm als einzige nicht weiße Aktivistin gemeinsam mit sieben weiteren Aktivist:innen an einem Protest gegen das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 teil. Im Anschluss an die Aktion twitterte Greenpeace Deutschland Fotos. »Alle, die dabei waren, waren abgebildet. Nur ich nicht. In einer Szene hatte ich sogar direkt neben Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer gestanden – aber das Foto hörte neben ihr auf. Ich war lediglich getaggt«, erklärte Tonny im Nachhinein.63

Weiblich, weiß, schlank und mit einem akademischen Hintergrund – das fasst zumindest den sichtbaren Prototyp der nachhaltigen Szene zusammen. Bestätigt wurde das bereits in einer Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin (ipb): 87 Prozent der Fridays-for-Future-Demonstrant:innen haben demnach mindestens eine Fachhochschulreife oder streben sie an, deutlich mehr als die Hälfte zählt sich selbst zur oberen Mittelschicht oder Oberschicht – und der Anteil der Menschen mit einer Migrationsgeschichte ist niedriger als in der Gesamtbevölkerung.64 Das heißt allerdings noch lange nicht, dass BIPoC sich nicht für die klimatischen Veränderungen auf unserem Planeten interessieren. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Der Klimawandel ist nicht nur ein umweltpolitisches Thema, nein, er zeigt die rassistischen und klassistischen Problematiken, in Deutschland und global. So haben Menschen mit Migrationsgeschichte auch hier in Deutschland einen mangelnden Zugang zur Natur oder gesunder Ernährung. Sie sind, laut dem Umweltbundesamt, einem starken Verkehrslärm und somit auch einer höheren Schadstoffbelastungen ausgesetzt.65 Kurzum: Wir leben in Deutschland mit einer Ungleichverteilung von Umweltnutzen undbelastungen. Mit all diesen Hintergründen sollten doch viel mehr BIPoC auf umweltaktivistischen Demos vertreten sein?

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9783948819507
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