Читать книгу: «Blutspur in Locronan», страница 2

Шрифт:

„Wie lange gehen Sie üblicherweise?“

„Monsieur le Commissaire, für den ganzen Weg, also für die sechs Kilometer, benötige ich eine Stunde und dreißig Minuten.“

„Können Sie mir sagen, wie lange Sie von hier aus gegangen sind, bis Sie diesen Punkt wieder erreicht haben?“

„Das kann ich Ihnen genau sagen. Für die ganze Strecke benötige ich eine Stunde und dreißig Minuten. Bis zu diesem Punkt somit eine halbe Stunde. Ich war also nach einer weiteren halben Stunde wieder an diesem Punkt. Also genau um 10 Uhr 30.“

„Das ist eine sehr präzise Auskunft.“

„Monsieur le Commissaire, ich bin Lehrer gewesen, unter anderem für Mathematik. Da werde ich doch noch so eine einfache Rechnung hinbekommen.“

„Da haben Sie natürlich Recht, aber ich mache auch ganz andere Erfahrungen.“

„Kann ich mir sehr gut vorstellen, nicht alle meine Schüler haben das jeweilige Klassenziel erreicht.“

Ewen lachte bei dieser Bemerkung. Wie Recht der Mann hatte.

„Sie tragen einen Rucksack, das ist eher ungewöhnlich für einen Spaziergang?“

„Nicht wenn man älter ist, Monsieur le Commissaire. Ich muss immer etwas zu trinken mit mir führen. Mein Arzt hat mir gesagt, dass ich ansonsten in der Sonne austrockne.“

Ewen nickte und bedankte sich bei Elouan Pennoù und ging wieder zu Paul zurück.

„Wenn die Aussage unseres Zeugen stimmt, ist Didier Kerduc zwischen 10 und 10 Uhr 15 ermordet worden. Um 10 Uhr 30 ist Pennoù bereits wieder an dieser Stelle gewesen, und um 10 Uhr hat Kerduc noch nicht hier gelegen.“

„Das gibt uns einen ziemlich genauen Todeszeitpunkt“, meinte Paul und notierte sich die Uhrzeit sofort in sein schwarzes Büchlein. Dann überließen sie die weitere Bearbeitung des Tatortes den Kollegen von der Spurensicherung und fuhren zum Wohnhaus des Toten.

Es lag nur etwas mehr als zwei Kilometer vom Tatort entfernt, und so hatten sie das Haus des Mannes schnell erreicht. Der Tote hatte seine Hausschlüssel bei sich getragen, so dass sie jetzt die Haustüre öffnen und das kleine, beinahe mittelalterliche Haus betreten konnten. Ein aus Granit gebautes Haus mit kleinen Fenstern und blauen Fensterläden. Die Eichentür, mit dem schwarzen Löwenkopf als Klopfer, öffnete sich erstaunlich leicht, ohne einen Quietschton von sich zu geben.

Sie betraten den Flur, von dem aus eine Treppe ins Obergeschoss führte. Ewen und Paul sahen sich zuerst die unteren Räumlichkeiten an. In der vielleicht fünf Quadratmeter großen Küche standen neben einer Spüle, einem Gasherd und einem Kühlschrank noch zwei Schränkchen, ein Tisch und zwei Stühle. Alles war ordentlich aufgeräumt. Hier lag kein Portemonnaie herum.

Das Wohnzimmer, das die Fenster nach hinten hatte, gab den Blick auf einen gepflegten Garten frei. Der bretonische Schrank an der Wand links neben der Tür fiel Ewen sofort auf. Seine Eltern hatten in ihrem Haus auch einen solchen Schrank stehen. Heute finden sich recht gut erhaltene Stücke noch bei den diversen Trocs et Puces und bei den Verkaufsstellen von Emmaüs. Ewen besaß so ein wuchtiges und mit zahlreichen Schnitzereien versehenes Möbelstück nicht. Er öffnete die einzelnen Türen des Schranks und zog die Schubladen auf.

„Sein Portemonnaie habe ich gefunden“, rief er Paul zu, der sich in dem kleinen Flur umsah.

„Ein Raubmord scheidet damit aus. Hast du etwas Brauchbares gefunden?“

„Nein, Ewen, bis jetzt nichts.“

Ewen sah sich weiter in dem Raum um, der aber nicht den Anschein machte, als ob er durchwühlt worden war. Auf einer Kommode lagen etliche Schriftstücke. Ewen sah sie sich näher an. Es handelte sich um Protokolle von den letzten Sitzungen der Association Ronan, und es ging um die Troménie. Ewen las das letzte Protokoll durch. Hauptthemen waren die geplanten Neuerungen und Erweiterungen der Pardons. Die Wallfahrt sollte den Touristen schmackhafter gemacht werden und die Anzahl der Besucher damit deutlich gesteigert werden. Er las von den Einwänden, die drei der Mitglieder vorgebracht hatten, wobei es im Wesentlichen darum ging, dass der kirchliche Aspekt durch die geplanten Änderungen verwässert würde, und der monetäre Aspekt einen zu großen Einfluss erhielte. Die Abstimmung ergab eine Zustimmungsquote von 80%, und so waren die angedachten Reformen angenommen worden.

Ewen nahm die Protokolle an sich und sah sich weiter in dem Raum um. Anderes, das mit dem Tod von Kerduc in einen Zusammenhang gebracht werden konnte, war nicht zu finden.

Auch in den Räumen auf der oberen Etage deutete nichts auf einen Einbruch hin. Ewen wusste nicht so recht, nach was er überhaupt suchen sollte. Er hatte gehofft, irgendetwas zu finden, das einen Hinweis für den Grund der Ermordung aufzeigen würde. Aber nichts dergleichen war zu finden, wenn er von dem Protokoll der Sitzungen absah.

„Was meinst du, Paul, sollen wir Dustin bitten, das Haus gründlich zu untersuchen?“

„Ich glaube nicht, dass er hier etwas finden wird, was uns weiterhilft“, meinte Paul.

„Das sehe ich genauso. Aber sicherheitshalber werde ich ihn bitten, sich umzusehen. Lass uns ins Kommissariat fahren.“

Ewen musste auf der ganzen Strecke über die Aussage des einzigen Zeugen nachdenken. Wobei der Ausdruck Zeuge schon etwas übertrieben war. Der Mann hatte die Leiche gefunden, aber gesehen hatte er dem Anschein nach nichts. Ewen beschäftigte die Aussage des Mannes trotzdem. Der Tote war zu seinem Nachfolger gewählt worden, wobei er nach eigenen Angaben die Nachfolge nur gezwungener Maßen an den Mann übergeben hatte. Mehrfach hatte er die Statuten des Vereins erwähnt. Konnte er etwas mit dem Tod des Mannes zu tun haben? Warum hatte er den Fund der Leiche gemeldet? Eine Handlung, die eher nicht auf eine Tatbeteiligung hinwies.

Im Kommissariat begann das übliche Spiel auf Ewens Pinnwand. Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, dass er alle einzelnen Befunde, Bilder, Hinweise oder Motive auf seiner Pinnwand festhielt. Der Tote stand dabei stets im Mittelpunkt und alle anderen Details gruppierten sich drumherum. Bei dem letzten Fall, den er mit seinem Kollegen, Eric Mortain aus Saint-Lô in der Normandie, lösen durfte, hatte ihm eine solche Pinnwand gefehlt. Es war ja nicht möglich gewesen, im Haus seines Freundes, Georges Ehinger, bei dem er während seiner Urlaubstage mit Carla gewohnt hatte, eine Pinnwand aufzustellen. Für ihn war ein solches Vorgehen aber stets hilfreich.

Noch waren an der Wand nicht viele Details eingetragen. Immerhin wussten sie wer der Tote war, welche Ämter er begleitet hatte, und sie kannten den ungefähren Todeszeitpunkt. Weitere Ergebnisse würden Dustin und der Pathologe, Yannick Detru, ihnen bestimmt in Kürze übermitteln.

Ewen betrachtete seine Eintragungen. Neben dem Namen des Toten hatte er den Hinweis Leitung der Troménie geschrieben. Sie mussten sich mit der Association beschäftigen. Vielleicht hatte es in den letzten Tagen Streitigkeiten gegeben, vielleicht waren Drohungen ausgesprochen worden, oder es hatte Unstimmigkeiten gegeben, die zu einer Kurzschlusshandlung geführt hatten. Paul, der mit Ewen im Büro an der Pinnwand stand, notierte ebenfalls Einzelheiten, die er seinem Notizbuch entnahm.

„Wir sollten uns eine Liste der Vorstandsmitglieder des Vereins besorgen, die sich mit der Durchführung der Troménie beschäftigen und sie nach den letzten Sitzungen befragen. Ich könnte mir vorstellen, dass der Mord etwas damit zu tun haben könnte. Dann brauchen wir auch den Verbindungsnachweis von Kerduc von seinem Handy und Festnetztelefon. Ich wüsste gerne, mit wem er zuletzt gesprochen hat.“

„Ich kümmere mich sofort darum. Wieso meinst du, dass der Mord mit der Organisation der Pardons zu tun haben könnte?“

„Es ist nur eine vage Idee. Sie ist mir in den Sinn gekommen, als ich mich mit Elouan Pennoù unterhalten habe. Er ist nicht sehr glücklich darüber gewesen, dass er den Posten des Vorsitzenden hat aufgeben müssen.“

„Auf mich hat er nicht den Eindruck eines eiskalten Killers gemacht.“

„Da bin ich bei dir, Paul, auf mich ebenfalls nicht. Aber es kann doch sein, dass die Association Ronan eine gewisse Rolle spielt. Der Mann ist wahrscheinlich völlig unschuldig. Wir sollten uns mit den anderen Mitgliedern im Vorstand des Vereins unterhalten. Ich habe im Haus von Kerduc einige der letzten Protokolle von den Vorbereitungsgesprächen für die Wallfahrt gefunden. Da sind durchaus skeptische Stimmen darunter gewesen.“

Ewens Mobiltelefon meldete sich. Ewen griff nach dem Apparat auf seinem Schreibtisch. Er sah sofort, dass seine Frau Carla versuchte ihn zu erreichen. Sehr ungewöhnlich, Carla rief ihn so gut wie nie im Dienst an.

„Hallo Carla“, meldete er sich.

„Schatz, ich will dich nicht lange stören. Ich habe nur eine Bitte, könntest du heute etwas pünktlicher nach Hause kommen, es gibt eine Kleinigkeit zu feiern, und ich werde versuchen, auch etwas früher zurück zu sein, um meine Vorbereitungen erledigen zu können.“

„Feiern? Was feiern wir?“

„Lass dich einfach überraschen, mein Schatz.“ Carla beendete das Gespräch und legte auf. Ewen versuchte sofort nachzudenken, ob er eventuell einen Hochzeitstag, einen Geburtstag oder sonst ein Gedenktag vergessen hatte. Er konnte sich aber an keinen speziellen Tag erinnern der sich heute jähren würde.

Kapitel 3

Paul Chevrier verließ das Gebäude der police judiciaire kurz nach 19 Uhr. Eine halbe Stunde zuvor hatte sich auch Ewen auf den Weg nach Hause gemacht, denn er hatte Carla versprochen, etwas früher zurück zu sein. Paul setzte sich in seinen Renault Megane und fuhr nach Brest. Am heutigen Freitagabend fand ein Heimspiel seiner Mannschaft statt.

Brest, genauer gesagt Stade Brestois 29, hatte es leider nicht geschafft in die erste Liga aufzusteigen und musste weiterhin in der zweiten spielen. Paul stand zu seiner Mannschaft und versuchte, wenn es seine Arbeit als Kommissar zuließ, jedes Heimspiel zu besuchen. Er hatte sich eine Dauerkarte für die Tribüne Foucauld gekauft, eine der Haupttribünen des Stadions. Die etwas mehr als 15.000 Tribünenplätze waren meistens belegt. Entlang der Seitenlinien lagen die beiden Haupttribünen, die Foucauld und die Tribüne Crédit Mutuel Arkéa, die größte Tribüne mit ihren 6548 Plätzen. An den Torseiten lagen die kleineren, die Tribüne Route de Quimper und die Tribüne Eurodif. Heute kam die Mannschaft aus Niort, die auf dem 13. Platz der Tabelle lag, während Brest sich wieder in Richtung eines Aufstiegsplatzes vorgearbeitet hatte und jetzt an vierter Position lag. Für Paul stand fest, dass Brest dieses Spiel für sich entscheiden würde. Alles andere kam nicht in Frage. Fußball war die einzige Leidenschaft, die Paul neben seinem Beruf besaß. Er war unverheiratet, und so brauchte er keinerlei Rücksicht auf eine Frau oder Familie zu nehmen. An manchen Tagen wurde ihm das Alleinsein schmerzlich bewusst, wenn er in seinen vier Wänden saß und entweder über einen aktuellen Fall nachdachte oder von einem Fernsehsender zum nächsten zappte. Aber selbst das riesige Angebot an Sendern, die der Zugang des Telefonanbieters Orange ermöglichte, bot ihm an manchen Tagen keine adäquate Zerstreuung.

Paul erreichte rechtzeitig das Stadion an der Rue de Quimper und stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz beim Schwimmbad Saint Marc ab. Die wenigen Meter bis zum Eingang legte er zu Fuß zurück. Mit seiner Dauerkarte war er schnell durch die Kontrolle und stieg sofort die Treppe nach oben hoch. Er setzte sich auf seinen Platz und sah den Menschen zu, die sich ihren Weg zu den Sitzplätzen bahnten. Teilweise bewaffnet mit Bier und Chips. Eine gut aussehende Frau, so um die dreißig mit braunen Haaren, zwängte sich durch die Reihe, so dass Paul seine Beine etwas einziehen musste, um ihr ein Vorbeigehen zu ermöglichen. Dann setzte sich die Frau genau neben Paul und sah ihn mit einem strahlenden Lächeln an. Paul musste wohl etwas verdutzt dreingeschaut haben, denn sie sprach ihn sofort an.

„Sie wundern sich bestimmt, mich hier zu sehen, an Stelle meines Vaters?“

Paul war in der Tat erstaunt. Den älteren Monsieur, Jean-Luc Branilec, der üblicherweise neben ihm saß, kannte er schon seit Jahren. Der Mann verpasste kein Spiel der Mannschaft. Branilec war ein pensionierter Eisenbahner, und während der Pausen oder vor dem Spielanfang unterhielten sie sich immer miteinander.

„Wenn ihr Vater Jean-Luc Branilec ist, dann wundere ich mich wirklich. Er versäumt doch kein einziges Match, im Gegensatz zu mir. Mein Beruf zwingt mich manchmal, einem Spiel fernzubleiben.“

„Ja, das ist mein Vater. Er hat sich leider in die Klinik begeben müssen, um seine Hüfte operieren zu lassen.“

„Ist er in der Cavale Blanche?“

„Nein, er hat nicht ins Universitätsklinikum gehen wollen. Er hängt mehr am Hôpital Morvan. Er sagt immer, das liegt wenigstens mitten in der Stadt.“

„Das Morvan ist ja beinahe wie ein Universitätsklinikum. Ich habe selbst einmal die Klinik aufgesucht. Ihr Vater hat Sie bestimmt gebeten, seine Mannschaft zu unterstützen, damit das Spiel gut ausgeht.“

„Genauso ist es, er ist der Meinung gewesen, dass wenigstens einer aus der Familie hier sein müsste.“

„Ich nehme an, dass ihr Mann sich bereit erklärt hat, auf die Kinder zu achten.“

Die Frau lachte jetzt schallend und schüttelte gleichzeitig den Kopf.

„Nein, nein! Erstens habe ich keine Kinder und zweitens auch keinen Mann. Ich bin nicht verheiratet. Irgendwie bin ich nie dazu gekommen, einen Mann fürs Leben zu finden. Sie haben vorhin gesagt, dass ihr Beruf Sie manchmal daran hindert, ein Spiel zu besuchen. Bei mir ist es so, dass mich mein Beruf bis jetzt so in Anspruch genommen hat, dass ich nur wenig Zeit für ein Privatleben aufgebracht habe. Aber das muss sich jetzt ändern. Deshalb bin ich der Bitte meines Vaters gerne nachgekommen.“

„Darf ich Sie fragen, welchen Beruf Sie ausüben?“

„Ich bin bei der police judiciaire in Brest.“

„Bei der police judiciaire in Brest? Das ist aber ein Zufall. Ich bin bei der police judiciaire in Quimper, bei der Mordkommission.“

„Was? Sie sind auch bei der police judiciaire? Das nenne ich wirklich einen Zufall. Ich heiße Alice Branilec.“

Madame Branilec reichte Paul die Hand.

„Paul! Paul Chevrier mein Name. Sagen Sie nicht, dass Sie auch bei der Mordkommission arbeiten.“

„Nein, das ist nichts für mich, ich mag nicht mit körperlichen Brutalitäten konfrontiert werden. Meine Tätigkeit beschränkt sich auf reine Büroarbeit. Ich bin in der Abteilung für Cybercriminalité beschäftigt. Ich sitze den ganzen Tag, und manchmal auch in der Nacht, vor dem Computer und versuche die Täter, die auf der ganzen Welt verstreut sein können, zu identifizieren. Leider beschränkt sich diese Kriminalität nicht auf ein Land. Wir arbeiten daher mit praktisch allen Polizeistellen auf der Welt zusammen.“

„Bestimmt eine ganz spannende Geschichte?“

„Oh ja, man erlebt hautnah, wie wir ausspioniert, betrogen, ausgeraubt und verleumdet werden können. Die meisten Täter gehen davon aus, dass sie nicht erwischt werden. Leider hat ein Großteil auch Recht damit. Aber wir kommen ihnen immer mehr auf die Spur. Auch wir rüsten sozusagen auf und werden immer besser.“

„Davon müssen Sie mir mehr erzählen, das interessiert mich. Vielleicht können wir uns nach dem Spiel noch etwas unterhalten. Ich würde Sie gerne zu einer Tasse Kaffee oder auch einem Glas Wein einladen.“

Paul war von einem Moment auf den anderen Feuer und Flamme für Alice Branilec. Er war bis jetzt ein eingefleischter Single gewesen, aber mit dieser Frau konnte er sich durchaus vorstellen, etwas Gemeinsames zu beginnen. Mit seinen 42 Jahren wurde es langsam Zeit, falls er wirklich an eine Familiengründung dachte. Aber natürlich musste er sie erst besser kennenlernen und feststellen, ob auch er ihr sympathisch war.

„Das können wir gerne machen, ich habe mir heute frei genommen. Normalerweise werden mir die Wochenenddienste angedreht, weil ich ja schließlich keine Familie habe die zu Hause auf mich wartet. Aber an diesem Wochenende habe ich mir frei genommen, um meinen Vater in der Klinik besuchen zu können.“

„Abgemacht, ich freue mich schon auf das Ende des Spiels!“

„Aber nur wenn Brest auch gewinnt!“

Alice Branilec lachte und zeigte dabei ihre makellosen Zähne. Ein Bekannter von Paul hatte so ein gleichmäßiges Gebiss einmal als Hollywood-Gebiss bezeichnet. Paul musste jetzt daran denken.

Das Spiel entwickelte sich zäh. Niort war drauf und dran ein Tor zu schießen, und Brest schien den Rückwärtsgang eingelegt zu haben, anstelle Angriffe auf das Tor von Niort zu starten. Die erste Halbzeit endete wenigstens mit einem Unentschieden. Keine Seite konnte einen Treffer erzielen. In der zweiten Hälfte kam, in den Trikots von Brest, eine neue Mannschaft auf den Rasen, wenigstens hatte es den Anschein. Jetzt brach ein rechter Sturmlauf über die Mannschaft von Niort herein. Angriff über Angriff rollten auf das gegnerische Tor, und der Torhüter von Niort hatte alle Hände voll zu tun, um den Ball nicht hinter die Torlinie kommen zu lassen. Doch in der sechzigsten Minute war es dann soweit. Brest ging in Führung, und Paul wäre am liebsten seiner schönen Nachbarin in die Arme gefallen. Als das Spiel dann abgepfiffen wurde, konnte Brest den Platz als Sieger verlassen. Mit drei zu Null entschied die Mannschaft das Spiel für sich, und Paul war bester Laune.

„Dann können wir uns jetzt froh gelaunt auf den Weg machen und uns einen Drink genehmigen“, meinte Paul und sah Alice Branilec mit freudigem Gesichtsausdruck an.

„Mit einem Drink bin ich vorsichtig, ich muss noch Autofahren, und wir Polizisten sollten beim Thema Alkohol Vorbild sein.“

Paul ärgerte sich wegen seiner saloppen Ausdrucksweise und korrigierte sich sofort.

„Da haben Sie absolut Recht, eine Tasse Kaffee wäre bestimmt besser geeignet.“

Gegenüber des Stadions, in der Rue de Quimper, gab es eine kleine Bar, le Penalty. Nicht unbedingt der schönste Platz, um eine Frau zu einer Tasse Kaffee einzuladen aber die einfachste Möglichkeit, wenn man das Auto stehenlassen wollte. Alice Branilec war mit dem Vorschlag sofort einverstanden, schließlich ging es nur darum, mit einem Kollegen über die tägliche Arbeit auszutauschen. Sie überquerten die Straße und betraten die Bar, eine Bar-Tabac. Hinter der Verkaufstheke stand ein Mann, der gerade dabei war, einem Kunden diverse Zeitschriften zu verkaufen. Paul Chevrier und Alice Branilec gingen an einen freien Tisch und nahmen Platz. Eine junge Bedienung kam sofort an ihren Tisch und Paul gab, nach nochmaliger Rücksprache mit Madame Branilec, die Bestellung von zwei Kaffee und zwei Wasser auf.

Kapitel 4

Ewen Kerber stellte den Wagen vor der Garage seines Hauses ab und stieg aus. Er hatte ein mulmiges Gefühl im Magen. Er sollte früher nach Hause kommen, weil es etwas zu feiern gab. Aber es war ihm beim besten Willen nichts eingefallen, was er vergessen haben konnte. Er näherte sich der Eingangstür und zog den Hausschlüssel aus der Hosentasche.

Die Tür ging auf und Carla stand, strahlend vor Glück, in der Tür, um ihn zu begrüßen, was Ewen noch mehr irritierte.

„Schön, mein Schatz, dass du es ermöglicht hast, pünktlich nach Hause zu kommen“, begrüßte Carla Ewen und gab ihm einen Kuss.

„Habe ich doch gerne getan, mein Liebling. Aber mir ist einfach nicht eingefallen, was für ein besonderer Tag heute ist. Ich hoffe, dass du mir meine Vergesslichkeit verzeihen kannst.“

„Ach, Ewen, du bist doch gar nicht so vergesslich, wenigstens nicht im Beruf. Aber ich kann dich trösten, du hast keinen Gedenktag oder Geburtstag vergessen. Komm doch zuerst ins Haus.“

Ewen war noch etwas verwirrter. Was wurde denn dann gefeiert?

Ewen legte sein Sakko ab und hing es an der Garderobe auf. In seinem Haus gab es keinen Besucherstuhl, über den er es hätte hängen können. Dann ging er die drei Stufen hinunter ins Wohnzimmer. Die Terrassentür stand offen und er konnte sehen, dass auf dem Gartentisch bereits Gläser standen. Er ging durch die Tür und erkannte Marie, Carlas Tochter, und ihren Freund Pierre. Pierre Torc´h und Marie waren jetzt schon seit zwei Jahren befreundet, und es schien, dass die beiden Menschen sich gut verstanden.

„Bonjour Marie“, begrüßte Ewen Carlas Tochter und gab ihr die üblichen zwei Wagenküsse.

„Bonjour Pierre“, sagte er dann zu ihrem Freund und reichte ihm die Hand. Carla betrat jetzt die Terrasse und hielt eine Flasche Champagner in der Hand.

„Wärst du so nett uns die Flasche zu öffnen“, fragte sie Ewen und reichte ihm den gut gekühlten Champagner.

„Selbstverständlich, das mache ich sehr gerne. Aber kann mir einer sagen, was wir heute feiern?“

„Hab noch etwas Geduld, mein Schatz“, meinte Carla und schob das Tablett mit den Gläsern näher zu Ewen. Ewen füllte die vier Gläser und achtete darauf, dass möglichst kein Glas überlief. Er musste schon sehr achtgeben, Ewen hatte den Hang, den Champagner zu schnell ins Glas zu schütten, so dass beinahe regelmäßig das eine oder andere Glas überlief, und das kostbare Nass verloren ging. Doch heute schaffte er es ohne einen Tropfen auf das Tischtuch geraten zu lassen. Carla verteilte die Gläser, und als jeder sein Glas in Händen hielt, setzte Carla zu einer kleinen Ansprache an.

„Liebe Marie, lieber Pierre, ich freue mich, dass ihr euch entschlossen habt, zukünftig gemeinsam euer Leben zu gestalten. Ich wünsche euch alles erdenklich Gute für die gemeinsamen Jahre die jetzt vor euch liegen. Ich denke, dass ich auch im Sinne von Ewen spreche, wenn ich sage, dass ich, dass wir uns enorm freuen über diesen Schritt. Santé und auf eure Verlobung!“

Jetzt war es raus. Marie und Pierre feierten heute ihre Verlobung. Carla hatte es am frühen Nachmittag erfahren und spontan die Einladung zu einem familiären Umtrunk ausgesprochen.

„Ich gratuliere euch von ganzem Herzen“, sagte der erstaunte Ewen und ging zu Marie und gab ihr zwei Küsse auf die Wagen und reichte Pierre die Hand für die Wünsche.

„Auf euch!“, sagte er und hob sein Glas.

„Das ist dir wirklich gelungen, Carla. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass Marie und Pierre sich heute verloben.“

„Hast du mir das nicht zugetraut, Ewen?“, fragte Pierre.

„Aber natürlich, Pierre, aber ich habe im Moment nicht daran gedacht. Ihr habt in den letzten Wochen keinerlei Andeutungen gemacht.“

„Es ist auch für mich eine Überraschung gewesen, Ewen“, sagte Marie.

„Pierre hat mir am Morgen einen Heiratsantrag gemacht und mir diesen Ring geschenkt.“

Marie streckte ihm die linke Hand entgegen, an der ein Diamantring steckte, der im Licht der Sonne funkelte. Ewen beugte sich zu der Hand und sah sich den großen Stein genau an.

„So einen ähnlichen Ring habe ich deiner Mutter auch gekauft, als wir uns vor einigen Jahren zur Heirat entschieden haben.“

Ewen nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas, während Carla den bereits vorbereiteten Teller mit den amuses gueules an Marie, Pierre und Ewen reichte. Sie hatte gefüllte Crêpes vorbereitet, die Ewen so sehr schätzte. Die Füllung aus Frischkäse und geräucherten Lachsscheiben hatte sie dieses Mal mit geräuchertem Lieu jaune gemischt.

„Das schmeckt ja vorzüglich“, meinte Ewen nach dem Genuss des ersten Häppchens.

Carla kannte Ewens Geschmack mittlerweile sehr gut und war sicher gewesen, dass sie die richtige Wahl getroffen hatte.

Der Abend verlief ganz in Ewens Sinn. Nach der sehr schmackhaften Vorspeise aus Langoustinen hatte Carla ein Chateaubriand zubereitet. Vor wenigen Tagen hatten sie noch in Saint-Malo, der Île du Grand Bé, des Grab seines Namensgebers besucht.

Die Hochzeit für die frisch Verlobten würde im nächsten Sommer stattfinden. So wie Marie es sich immer gewünscht hatte, sollte die Hochzeit in der Orangerie de Lanniron stattfinden. Das Anwesen lag am Ufer des Odet und gab eine perfekte Kulisse für solche Events ab. Ewen war erst ein einziges Mal dort gewesen, im Zuge einer Ermittlung.

Die ehemalige Sommerresidenz der Bischöfe von Quimper, mit dem 38 Hektar großen Park und den schön angelegten Gärten an den Ufern des Odet, war eine echte Bereicherung für die Hauptstadt des Finistère. Der botanische Garten, der Golfplatz, der Wasser- und Wellnessbereich, die Möglichkeit für ausgedehnte Spaziergänge, vorbei an über hundert Jahre alten Bäumen, sowie das große Freizeit- und Wassersportangebot, zogen in jedem Jahr zahlreiche Touristen an. Die Orangerie war schon Monate im Voraus ausgebucht. Daher hatte auch Pierre bereits die Lokalität gebucht. Maries Wunsch war ihm nicht verborgen geblieben.

399
669,35 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
290 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783742785985
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают