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Jean-Pierre Kermanchec

Blutspur in Locronan

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Epilog

Andere Kriminalromane des Autors:

Kinderroman des Autors:

Vorankündigung:

Impressum neobooks

Prolog

Der Heilige Ronan entstammte einer angesehenen irischen Fürstenfamilie. Seine Tage verbrachte er mit andächtigen Gebeten. An einem dieser Tage, während eines Gebetes, erschien dem Heiligen ein weiß gekleideter Engel.

„Ronan, Gott befiehlt Dir, diesen Ort zu verlassen, in die Cornouaille zu reisen und dort zu leben!“, sprach der Engel und verschwand sofort wieder. Der Heilige Ronan tat wie Gott es ihm durch seinen Engel befohlen hatte und machte sich auf den Weg über das Meer.

Vor der Küste des Leon hatten Fischer ihre Netze ausgeworfen und erhofften sich einen guten Fang. Plötzlich bemerkten sie, dass sich ein Felsen ihren Booten näherte. Der Felsen wurde von den Wellen wie Strandgut hin- und hergeworfen. Er kam immer näher, und ihre Angst wuchs. Ein solcher Felsen war imstande ihre Boote zu zerschlagen. Während sie sich noch gegenseitig fragten, was jetzt zu tun war, um das drohende Unheil abzuwenden, entdeckten sie plötzlich einen knienden Mann auf dem Felsen, der voller Inbrunst betete.

Sie riefen ihn an, aber der Mann reagierte nicht. Der Felsen kam immer schneller auf sie zu. Unfähig etwas zu unternehmen, sahen sie nur gebannt auf den sich rasch nähernden Felsen. Schon dachten sie, dass ihre letzte Stunde geschlagen hatte, als der Felsen mitten durch ihre Boote hindurchzog, ohne auch nur ein einziges zu berühren. Mit den Augen folgten sie dem Felsen, der sich weiter der Küste näherte.

Die Bewohner der Küste des Leon, auf die Gott den Felsen zutrieb, waren nicht gerade für ihre Gastfreundschaft bekannt. Sie waren nicht nur Fischer sondern auch berüchtigte Strandräuber.

Bei der Ankunft des Heiligen waren nur die Frauen an Land. Ihren Männern war der Heilige ja schon auf dem Meer begegnet. Die Frauen, die ihn jetzt empfingen, beschlossen sofort ihn auszurauben. Aber in seinem ärmlichen und zerlumpten, groben Wollkleid sah er so Mitleid erregend aus, dass sie davon Abstand nahmen.

Sofort nach seiner Ankunft begann der Heilige Ronan das Wort Gottes zu verkünden. Er bemühte sich, die Menschen von ihrem Piratenleben abzubringen. Die Bewohner machten sich jedoch keine Gedanken über seine Worte. Sie missachteten seine Lehren und drohten ihm sogar, ihn mit Gewalt zum Schweigen zu bringen, wenn er nicht endlich mit seinen Predigten aufhörte.

„Willst du unser Land zugrunde richten? Willst du unsere Frauen und Kinder der ärgsten Not aussetzen? Wenn das der Inhalt deiner Religion ist, dann halte deine Predigten woanders.“

Der Heilige Ronan sah ein, dass er mit seiner Überzeugungskraft alleine hier nichts erreichen konnte. Er bat Gott, seinem kleinen Glöckchen, das er stets bei sich trug, eine solche Kraft zu verleihen, dass der Klang des Glöckchens weithin über das Meer zu hören war. Gott erfüllte ihm diese Bitte und Ronan benutzte die Glocke, um die Schiffe auf dem Meer vor den Gefahren der armorikanischen Küste zu warnen, falls sie dieser zu nahekamen.

Als die Schiffe ausblieben und nicht mehr verunglückten, gaben die Bewohner Ronan die Schuld. Vor allem die Frauen ärgerten sich über ihn. Da beschloss der Heilige, den bösen Menschen zu entfliehen und sich in die Wälder zurückzuziehen. Zu jener Zeit war der größte Teil der Bretagne noch von Wäldern bedeckt.

Sein Felsen, mit dem er von Irland bis an diese Küste gelangt war, lag noch am Strand. Er setzte sich auf den Felsen, der sich sofort in eine steinerne Stute verwandelte, und eilte im Galopp davon. Zurück blieben die erstaunten Menschen. Der Heilige Ronan ritt mehrere Tage übers Land und hielt erst am Fuße eines hohen Berges an. Der Berg, der heute den Namen Ménez-Hom trägt, wurde von ihm ausgewählt, um dort seine Einsiedelei zu errichten. Er baute sich eine Hütte aus Lehm und Stroh und führte fortan ein asketisches Leben, das Leben das er so liebte. Der Ort erschien ihm gut gelegen. Er lag nicht weit vom Meer entfernt, direkt am Waldrand. Ronan wanderte den ganzen Tag. Am Morgen nach Osten und am Abend nach Westen. Er durchstreifte so die Gegend in unmittelbarer Nähe seiner Klause. Einmal in der Woche, bevor er sein Fasten unterbrach, unternahm er eine längere Wanderung von mehreren Meilen. Bei dieser Gelegenheit umrundete er die ganze Gegend seines neuen Zufluchtsortes.

In Erinnerung an die zwei Wanderungen des Heiligen Ronan, dem Tro-Menehi (Wanderung um die Herberge) und dem Tro-menez (Wanderung um den Berg), wird jedes Jahr eine eintägige Wallfahrt und alle sechs Jahre eine wöchentliche Wallfahrt zu Ehren des Heiligen Ronan abgehalten.

Ronan hatte sich entschieden, die Menschen nicht mehr bekehren zu wollen, sondern ein Leben als Einsiedler zu führen. Fortan sprach er nur noch mit den Bäumen, Pflanzen, Tieren und den Steinen. Selbst die Wölfe gehorchten dem Heiligen und benahmen sich in seiner Gegenwart so zahm und sanft wie Lämmer.

Die Bewohner dieser Gegend fürchteten sich jedoch vor ihm. Er war ein Fremder, der aus einem unbekannten Land hierhergekommen war. War er vielleicht ein Zauberer? Ein böser Geist? Oder vielleicht sogar der gefürchtete Werwolf?

Sobald etwas Unvorhergesehenes in der Gegend passierte, wurde es ihm angelastet. Wenn bei Waldarbeiten ein Baum einen Holzfäller erschlug, waren die Menschen überzeugt, dass Ronan einen Fluch ausgesprochen hatte. Es dauerte nicht lange und eine Anzahl Menschen schloss sich zusammen, um den Einsiedler in der Nacht im Schlaf zu überfallen. Sie machten sich gerade auf in den Wald zu gehen, als der Penntiern von Kernevé sie aufhielt. Er war der Chef des Stammes und sein Ansehen war so groß, dass die Leute auf ihn hörten.

„Wenn Ronan ein Zauberer ist, kann er sich eurer Angriffe erwehren. Trägt er aber keine Schuld an den Unglücken, so begeht ihr eine Tat, die nur verdammt werden kann. Ich werde zu dem Einsiedler gehen und mit ihm sprechen.“

Er machte sich auf den Weg zu dem Einsiedler. Ronan empfing ihn freundlich und sprach mit ihm über seinen Glauben. Der Penntiern war so beeindruckt von dem Heiligen Ronan, dass er fortan an seiner Seite leben wollte. Ronan wollte das nicht und überzeugte ihn, wieder zu seinen Leuten zurückzugehen und ihnen seine Botschaft des Friedens zu überbringen. Der Stammeschef versuchte immer wieder zu ihm zurückzukehren und sein Schüler zu werden. Er bemühte sich sehr, brachte es aber nicht fertig, ein so asketisches Leben zu führen wie Ronan. Die Frau des Penntiern, Kébén (der Name gilt heute als Schimpfwort und bezeichnet eine bösartige Frau) hinderte ihn daran. Die Beziehung ihres Mannes zu Ronan war ihr ein Dorn im Auge. In ihren Augen trug der Heilige die Schuld daran, dass ihr Mann sie vernachlässigte. Sie wollte Ronan loswerden. Um ihr Ziel zu erreichen, schloss sie sich mit den anderen Feinden des Heiligen zusammen und überzeugte sie, dass sie seine Hütte in Brand setzen mussten.

In der darauffolgenden Nacht schlichen die Brandstifter zu Ronans Klause. Plötzlich erwachte die steinerne Stute aus ihrem langjährigen Schlaf, erhob sich und wieherte laut. Daraufhin ergriffen die Brandstifter eiligst die Flucht. Kébén rief ihnen Schmähungen nach, bezeichnete die Männer als erbärmliche Feiglinge und ging alleine zu Ronan. Durch das Wiehern seiner Stute war er erwacht und stand vor seinem Eingang. Er befahl der Frau sich sofort zurückzuziehen. Sie wollte nicht gehorchen und ging weiter auf ihn zu. Plötzlich wurden ihre Beine schwerer und schwerer und fühlten sich wie gelähmt an. Erst als Ronan ihr ihre Kräfte wieder zurückgab, konnte sie weglaufen.

Sie gab sich aber nicht geschlagen. Wenn sie ihn nicht mit Gewalt vertreiben konnte, würde sie es mit List versuchen. In der folgenden Nacht nahm sie ihre kleine Tochter, den Liebling ihres Mannes, des Penntiern, aus dem Bett und schloss das Kind in eine hölzerne Truhe ein. Diese versteckte sie hinter einem Holzstoß. Dann erzählte sie den Leuten vom Verschwinden ihres Kindes und behauptete felsenfest, dass der Werwolf, also Ronan, das kleine Mädchen geholt hatte. Die ganze Gegend wurde von ihr aufgehetzt, und alle forderten Gerechtigkeit. Kébén ging jetzt persönlich zum König Gradlon und beschuldigte Ronan in aller Öffentlichkeit der Zauberei.

Der König galt als gerecht und weise. Er versprach, die Vorwürfe zu überprüfen. Er forderte den Heiligen Ronan auf, zu ihm zu kommen. Ronan ging zum König und beteuerte seine Unschuld, nachdem er die Vorwürfe angehört hatte. Da Gradlon nicht wusste, wie er die Wahrheit herausbekommen konnte, entschied er sich zu einem Gottesurteil.

„In meinem Hundezwinger habe ich zwei fürchterliche Bulldoggen. Sie können mit ihren Zähnen jedes Lebewesen zerfleischen gegen das man sie hetzt. Wir werden ihnen befehlen, sich auf Ronan zu stürzen. Wenn er unschuldig ist, wird seine Unschuld ihn retten.“

Die Hunde wurden von der Kette gelassen und wollten sich auf Ronan stürzten. Der Heilige aber erhob die Hand, machte das Kreuzeszeichen und befahl:

„Gehorcht dem Allmächtigen!“

Sofort wurden die Hunde friedlich und leckten seine Füße. König Gradlon bat den Einsiedler daraufhin um Verzeihung.

Ronan versicherte dem König seine Ergebenheit und war bereit, die Angelegenheit aufzuklären. Er bat, dass man die Truhe holen sollte, die hinter einem Holzstoß beim Haus der Klägerin verborgen war. Als die Truhe gebracht wurde, befahl er, sie zu öffnen. Alle Anwesenden sahen das tote Kind in der Truhe liegen. Da begann Kébén erneut mit ihren Beschuldigungen, um Ronan die Schuld an dem Tod des Kindes zu geben. Doch plötzlich richtete das Kind sich auf und warf sich in die Arme seines Vaters. Jetzt erkannten alle die wahre Schuldige. Die Menschen forderten ihre Bestrafung für die infamen Lügen. Die Bewohner wären sogar bereit gewesen, die Frau zu steinigen. Aber der Heilige Ronan verlangte, dass sie unversehrt nach Hause gehen durfte.

Von da an wurde Ronan von allen verehrt und hoch geachtet. Ronan verzieh allen, wollte aber weiterhin nicht mehr in der Gegend leben. Er zog aus der Cornouaille weg und verbrachte seine letzten Jahre in der Nähe der Stadt Saint-Brieuc. Dort verstarb er an einem Abend vor Karfreitag.

Die ganze Bretagne stritt darüber, wer jetzt eine Begräbnisstätte für Ronan bereitstellen durfte. Da man sich nicht einigen konnte, bekamen die Menschen Angst, denn falls sie eine falsche Stelle auswählten, würde der Heilige Ronan bestimmt die Pest über den Landstrich ausbrechen lassen oder die ganze Region in ein Moor verwandeln. Ihn in einer Kirche zu beerdigen schien ebenfalls nicht die richtige Entscheidung zu sein, schließlich versammelte sich dort das Volk, und Ronan hatte zu Lebzeiten die Gesellschaft der Menschen gemieden. Die Stammesführer der Bretagne standen um den Leichnam herum und überlegten, was zu tun sei. Da machte einer der ehrenwerten Herren einen weisen Vorschlag:

„Wir haben ihn zu seinen Lebzeiten nie verstehen können. Es ist einfacher gewesen, den Zug der Schwalben am Himmel, als die Spur seiner Gedanken nachzuvollziehen. Nun da er tot ist, soll er ebenso auf seine Art entscheiden. Lasst uns einen Wagen aus Holzstämmen bauen, vor den wir vier Ochsen spannen. Er wird den Karren bis zu der Stelle lenken, an der er begraben werden möchte.“

So geschah es! Die Ochsen zogen den Wagen immer geradeaus durch den dichten Wald, wie von unsichtbarer Hand Ronans gelenkt. Die Bäume neigten sich oder brachen unter ihren Tritten mit furchtbarem Krachen. Als sie die Mitte des Waldes erreicht hatten und der Wagen anhielt, verstanden alle den Wink des Himmels, der Heilige wurde an jener Stelle beerdigt, und man errichtete ihm zu Ehren eine Kirche.

Noch heute ist das Grabmal des Heiligen in der Chapelle du Penity, der Kapelle der Einsiedelei, in der Kirche von Locronan zu sehen.

(Modifiziert nach: Q.-L. Aubert, Keltische Legenden aus der Bretagne, 1992 Coop Breizh, Kerangwenn 29540 Spézet)

Kapitel 1

Die Pardons von Locronan standen wieder bevor. Die Troménies, wie sie auch genannt werden, sollen ihren Namen von einem im 11. Jh. gegründeten Benediktinerpriorat erhalten haben, das Asyl gewähren durfte. Die bretonische Bezeichnung, Tro Minihy, Gang zum Asyl, soll der Ursprung sein. Die kleine und die große Troménie wechseln sich ab. Alle sechs Jahre findet die große Troménie statt.

Nicht alle glaubten an diesen Ursprung für die Wallfahrt. Viele waren sicher, dass der Ursprung in der Legende über den Heiligen Ronan exakter und glaubwürdiger beschrieben war.

Die Planung war im vollem Gang. Diesmal durfte Didier Kerduc zum ersten Mal der Association Ronan vorstehen und Einfluss auf die Planung nehmen. Sein Vorgänger, der legendäre Elouan Pennoù, der beinahe dreißig Jahre lang die Troménies organisiert hatte, war feierlich im letzten Jahr verabschiedet worden, nachdem er die Altersgrenze von 6o Jahren erreicht hatte, die in den Statuten der Organisation für einen Wechsel in der Führung vorgesehen war. Davor war er regelmäßig alle sechs Jahr zum Vorsitzenden der Vereinigung, die sich dem Erbe des Heiligen Ronan verschrieben hatte, gewählt worden.

Didier Kerduc erklärte bei seinem Amtsantritt, dass er die Wallfahrt der heutigen Zeit anpassen wollte. Die Touristen erwarteten, dass die Pardons zu einem Volksfest wurden. Da Locronan zum überwiegenden Teil vom Tourismus lebte konnte man nicht einfach an dem Althergebrachten festhalten. Es gab viele, die die Behauptung aufstellten, dass Locronan ohne den Tourismus ein dem Untergang geweihter Ort wäre. Vom Tourismus lebten die Künstler, der Glasbläser, die Keramiker, die Skulpteure, die kleinen Boutiquen, die Andenkenläden, die Restaurants und natürlich auch die Bistros. Die Saison war kurz. Von Juni bis September kamen beinahe 80% der Besucher, so dass die Wallfahrt im Juli wichtig war und als Publikumsmagnet wirken sollte.

Didier Kerduc schlug vor, auf dem 12 Kilometer langen Weg rund um den Berg, den die Wallfahrer nahmen, Getränkebuden zu errichten und auch den Verkauf von Andenken vorzusehen. So konnten die Touristen, die es nicht so genau mit der Wallfahrt nahmen, Pausen einlegen, etwas trinken und rasten, sich nach einem Mitbringsel umsehen und dann gemütlich zur nächsten Station ziehen. Er ging davon aus, dass auf diese Art und Weise mehr Geld im Ort bliebe. Der erhöhte Umsatz würde bestimmt zu einer Steigerung der Gemeindeeinnahmen führen. Das Geld wurde dringend gebraucht, um Ausbesserungsarbeiten an den Wegen und Straßen durchzuführen.

Der Maire und der Stadtrat stimmten dem Vorschlag zu, und so konnten die Vorbereitungen sofort beginnen. In der Stadt selber wurde der Vorschlag durchaus kontrovers diskutiert. Die Geschäftsleute fanden ihn gut, der eine oder andere der älteren Einwohner wiesen auf den Ursprung der Troménie hin und meinten, dass der Heilige Ronan die Änderungen nicht für gut befunden hätte.

Alle waren nach der Sitzung des Gemeinderates auf ein Glas ins benachbarte Bistro gegangen und diskutierten dort nun weiter.

„Ihr kennt die Sage! Was dem Heiligen nicht gefällt, das wird er bestimmt nicht tolerieren. Vergesst nicht, unser Ortsname kommt von ihm, und wir sind letztlich die Hüter seiner Grabstätte“, meinte der frühere Maire der Gemeinde, Pereg Quemen, und griff zu seinem Glas Cidre, das vor ihm auf der Theke des Bistros stand.

Er bezog sich auf die Bedeutung des Ortsnamens. Loc bedeutet in der bretonischen Mundart Heilig. Locronan ist somit die Stätte des Heiligen Ronan.

„Wir können aber nicht nach über 1000 Jahren unser Leben an eine Sage binden“, antwortete Kerduc auf den Einwand.

„Der Heilige Ronan liegt in seinem Grab in der Kapelle und wird uns bestimmt nicht verurteilen, nur weil wir dem Ort eine bessere Zukunft bescheren wollen“, ergänzte Marc Legall und sah in die Gesichter der Ratsmitglieder, die gerade mit ihrer Stimme für die Änderungen gestimmt hatten.

„Ich habe mich entschlossen, ganz neue Skulpturen herzustellen, moderner und schlichter und nicht mehr so religiös wie die alten. Die Leute möchten die Skulpturen nicht für einen privaten Altar haben, sondern als Schmuck in ihrer Wohnung“, ergänzte er seine Aussage.“

„Dem kann ich nur zustimmen“, meinte Yann Morgat, der dem Tourismusbüro vorstand.

„Wenn die Besucher zu uns ins Büro kommen, dann höre ich des Öfteren aus ihren Gesprächen, dass sie sich über die heiligen Bilder und Skulpturen amüsieren. Neues und vielleicht auch mehr Künstlerisches kommt bestimmt besser an.“

Als die Bistrobesucher auseinandergingen waren die Meinungsverschiedenheiten zwar immer noch nicht ausgeräumt, aber man hatte sich etwas angenähert.

Kapitel 2

Ewen Kerber und Paul Chevrier saßen in ihren Büros und arbeiteten diverse Papiere durch. Es war ruhig geworden in Quimper, wenigstens für die Mordkommission. Nicht, dass Ewen den Mangel an Toten bedauerte, er freute sich sogar, wenn alles ruhig blieb und die Menschen sich nicht gegenseitig umbrachten, aber der liegengebliebene Papierkram, den er dann erledigen musste, gehörte nicht zu seinen liebsten Aufgaben. Auch wenn ein Großteil der schriftlichen Arbeiten von seiner Sekretärin, Anne Kerflor, übernommen wurde, blieb trotzdem noch genügend für die Kommissare übrig. Manches konnten nur die wissen, die mit der Lösung des Falles betraut waren, und das waren nun einmal in einem Mordfall die Herren Kerber und Chevrier.

Der Sommer zeigte sich schon seit Wochen von seiner schönsten Seite. Die Temperaturen schwankten beständig zwischen 23 und 25°C. Häufig wehte ein leichter Wind, so dass das Wetter auch ideal für die Freizeitkapitäne war, die jetzt das Meer entlang der bretonischen Küste bevölkerten. Kerber gehörte nicht dazu. Die Kosten für eine Segelyacht, für den Liegeplatz und die weiteren Gebühren, waren für einen Kommissar der police judiciaire einfach zu hoch. Aber Ewen wäre auch bestimmt kein Freizeitkapitän geworden, wenn er das nötige Kleingeld dafür gehabt hätte. Er neigte dazu recht schnell seekrank zu werden. Schon die Überfahrten zu den Inseln mit den recht ansehnlichen Fähren machte ihm bei einem stärkeren Seegang zu schaffen. Carla, seine Frau, lag ihm seit einigen Tagen in den Ohren, die Insel Groix zu besuchen. Auf France 3 hatte sie eine Dokumentation über die Insel gesehen und war sofort Feuer und Flamme für einen Besuch gewesen. Ewen war nicht abgeneigt die Insel anzusehen, zumal er vor geraumer Zeit in einem Buch, das Carla im geschenkt hatte, über den Mineralienreichtum der Insel gelesen hatte, von dem konvexen Strand und vielen anderen interessanten Dingen. Wenn da nicht die Überfahrt wäre. Es war nur eine kurze Fahrt, höchstens vierzig Minuten, dennoch war es eine Barriere, die Ewen erst einmal überwinden musste.

Vor einigen Wochen war er mit Carla zu seinem Freund Georges Ehinger gefahren, der in der Normandie das Château Bois Avenel erworben hatte. Bei dem Aufenthalt war er in die Vorbereitungen eines Attentats auf den Präsidenten geraten und hatte an der Lösung des Falles mitwirken können. Die Schreibarbeit zu diesem Fall war ihm erspart geblieben, die durfte jetzt sein Kollege, Eric Mortain, in Saint-Lô erledigen. Das war eine ganze Menge.

Seit seiner Rückkehr saß er nun Tag für Tag in seinem Büro und versuchte die liegengebliebenen Berichte zu ergänzen, abzuarbeiten und für die Archivierung vorzubereiten.

„Ewen, wir haben einen neuen Fall“, eröffnete ihm Paul, der in der Tür zu seinem Büro stand.

„Ein neuer Fall!“ Ewen rief es, als sei dies eine freudige Botschaft.

„Gerade habe ich von der Zentrale die Nachricht bekommen, dass es in Locronan einen Toten gibt. Ein älterer Spaziergänger hat einen Mann gefunden. So wie es aussieht, ist er wohl erstochen worden.“

Ewen ließ sofort den Kugelschreiber fallen, den er noch in der Hand hielt, stand auf, nahm sein Jackett vom Besucherstuhl und verließ mit Paul das Büro. Trotz der Temperaturen ließ Ewen es sich nicht ausreden, auf das Sakko zu verzichten.

„Ein Kommissar ohne Sakko sieht aus wie ein zufällig vorbeigekommener Spaziergänger“, pflegte er immer zu sagen.

Locronan lag knappe achtzehn Kilometer nordwestlich von Quimper. Für die Strecke würden sie weniger als zwanzig Minuten benötigen. Sie stiegen in ihren Dienstwagen, einen Citroën C5, ein bretonischer Wagen, weil er in Rennes gebaut worden war, und fuhren in den weithin bekannten kleinen mittelalterlichen Ort. In Locronan hatte es in all den Jahren, in denen Ewen Kerber die Leitung der Mordkommission bei der police judiciaire von Quimper innehatte, noch nie einen Mord gegeben.

Die Ortschaft war weit über die Grenzen der Bretagne hinaus bekannt. Die alten Häuser dienten so manchem Regisseur als Filmkulisse. Namhafte Filmproduzenten, unter anderem auch Roman Polanski, hatten bereits in dieser Stadt gedreht. Dabei hatten die Filme nicht einmal in der Bretagne spielen müssen. Der Austausch von einigen Schildern hatte bereits genügt, um aus dem bretonischen Ort eine Ortschaft in England entstehen zu lassen.

Ewen war schon mehrfach mit Carla in den kleinen Ort gefahren, um die Glasbläserei zu besuchen, oder weil Carla bei den Troménies dabei sein wollte.

„Wo liegt der Tatort?“, fragte Ewen seinen Kollegen während der Fahrt.

„In der Verlängerung der Rue de la Montagne, genauer gesagt, in der Rue de la Troménie, ich habe die Kollegen von der Spurensicherung schon informiert, und auch Yannick Detru müsste bereits unterwegs sein“, antwortete Paul und sah in sein Notizbüchlein.

„Wusstest du, Paul, dass die Route der Wallfahrt, vor allem die der großen, beinahe in einem Viereck um den Berg von Locronan führt? Ich habe das gelesen. Der Tatort liegt also nicht auf der Wallfahrtsstrecke.“

„Das macht doch keinen Unterschied?“

„Natürlich nicht, Paul, ein Mörder nimmt in der Tat keine Rücksicht auf einen heiligen Ort. Selbst die heiligsten Orte werden heute zum Schauplatz von Gewaltverbrechen.“

Sie erreichten Locronan und fuhren mit gemäßigtem Tempo durch die Fußgängerzone. Der Ort war in den Sommermonaten für den Verkehr gesperrt, mit dem Blaulicht durften die Kommissare aber das Zentrum durchfahren. Vorbei an der Glasbläserei, die Ewen bereits besucht hatte, fuhren sie in die Rue de la Montagne. Nach wenigen hundert Metern sahen sie bereits die Einsatzfahrzeuge der Gendarmerie und die Bänder der Fundortabsperrung. Ewen parkte den Wagen, die beiden Kommissare stiegen aus und näherten sich der Absperrung. Sie zeigten dem Gendarmen, der den Zugang kontrollierte, ihren Ausweis und gingen auf die Leiche zu.

Yannick Detru, der Pathologe des Kommissariats, stand bereits bei der Leiche und Dustin Goarant, der Leiter der Spurensicherung, sammelte mit seinen Leuten alles auf, was sich im Umfeld des Toten finden ließ.

„Bonjour Yannick, was kannst du uns schon sagen?“

„Noch relativ wenig. Der Mann ist mit einem Messer erstochen worden. Die Einstichstellen sind hier auf dem Rücken zu sehen. Der Angreifer ist wohl auf Nummer sicher gegangen. Der Tote hat insgesamt vier Einstichstellen. Um was für ein Messer es sich genau gehandelt hat kann ich erst nach der Autopsie sagen.“

„Hat der Angreifer ihm alle Stiche verpasst, solange der Mann noch aufrecht gestanden hat?“

„Das kann ich mir schwerlich vorstellen. Das Opfer dürfte bereits nach dem ersten Stich zusammengesackt sein. Wenn der Täter nicht über enorme Kräfte verfügt hat, um ihn mit einer Hand festzuhalten, muss er ihm die anderen Verletzungen zugefügt haben als der Mann schon auf dem Boden lag. Aber Genaueres kann ich erst sagen, wenn ich die Einstichwinkel untersucht habe.“

Ewen sah sich die Einstichstellen auf dem Leichnam an. Der Tote lag auf dem Bauch, und die Wunden auf seinem Rücken waren deutlich zu erkennen. Der Mann trug einen dünnen, hellblauen Baumwollpullover, ein kariertes Hemd, eine ältere Jeans und Wanderschuhe. An den Einstichstellen hatten sich vielfältige Blutflecken gebildet, die auf dem Pullover entsprechende Spuren hinterlassen hatten. Paul hatte zwischenzeitlich einen der Gendarmen gefragt, wer den Toten gefunden hatte.

„Der ältere Herr dort drüben. Wir haben ihn gebeten auf Sie zu warten.“

Paul bedankte sich bei dem Kollegen und ging auf den Mann zu. Er schätzte den Mann auf Mitte sechzig, etwa einen Meter achtzig groß. Sein ovales Gesicht war für sein Alter erstaunlich glatt. Er trug einen Schnurrbart, ähnlich dem von Ewen. Die grauen Haare, die unter der Hutkrempe herausragten, verliehen ihm ein weises Aussehen. Paul trat näher an den Mann heran und konnte seine braunen Augen erkennen, die sehr wach die Umgebung zu betrachten schienen. Die buschigen Augenbrauen erinnerten Paul an Jemanden, ohne dass er sagen konnte an wen. Auf dem Rücken trug der Mann einen Rucksack.

„Bonjour Monsieur, mein Name ist Paul Chevrier, ich bin Kommissar der police judiciaire aus Quimper. Sie haben den Toten gefunden?“

„Bonjour Monsieur le Commissaire, mein Name ist Elouan Pennoù. Ja, ich habe Didier gefunden.“

„Sie kennen den Toten?“

„Aber sicher, Monsieur le Commissaire, wir kennen, ich meine wir kannten uns seit mehr als zwanzig Jahren. Er ist mein Nachfolger als Präsident des Organisationskomitees der Pardons.“

„Dann können Sie mir bestimmt sagen, wie der Tote mit Nachnamen heißt?“

„Natürlich kann ich das. Sein vollständiger Name ist Didier Kerduc.“

„Haben Sie etwas beobachtet als Sie hierhergekommen sind? Eine Person die sich entfernt hat oder sonst etwas Auffälliges?

„Nein, überhaupt nichts, ich bin von meinem Spaziergang zurückgekommen, und da habe ich ihn dort liegen gesehen. Ich habe sofort die Gendarmerie informiert, und die sind auch schon nach wenigen Minuten hier gewesen.“

„Haben Sie etwas verändert an der Leiche? Zum Beispiel die Lage?“

„Nein, wo denken Sie hin. Ich habe sofort die Gendarmerie informiert und hier gewartet.“

„Geben Sie mir doch bitte Ihre Adresse und Ihre Telefonnummer, damit wir Sie erreichen können, falls noch Fragen auftauchen.“

„Ich wohne in der Rue de la Montagne.“ Er nannte Paul seine Telefonnummer, und Paul ging zurück zu Ewen.

Ewen Kerber war im Gespräch mit Dustin Goarant von der Spurensicherung, als Paul wieder zu ihnen trat.

„Ich habe den Namen des Toten erfahren, Ewen“, sagte er zu seinem Freund.

„Das ist gut, Paul. Dustin sagt mir gerade, dass der Tote keinerlei Papiere oder ein Portemonnaie bei sich getragen hat. Nur ein Hausschlüssel ist in der Hosentasche gewesen. Entweder sind ihm die Sachen gestohlen worden, dann können wir von einem Raubmord ausgehen, oder sie befinden sich alle in seiner Wohnung. Wie heißt der Mann?“

„Didier Kerduc, er wohnt in der Rue de la Montagne. Wir sind auf dem Weg hierher durch die Straße gefahren.“

„Dann sehen wir uns sein Haus anschließend gleich an. Seinen Hausschlüssel haben wir ja in der Hosentasche gefunden.“

„Kennt unser Zeuge den Toten gut?“

„Er sagt, dass sie über zwanzig Jahre lang im Organisationskomitee der Pardons von Locronan gewesen sind. Der Tote ist der Nachfolger unseres Zeugen.“

„Wie heißt der Mann?“

„Elouan Pennoù, ein seltener Name.“

„Der Name klingt so, als sei der Mann ein Nachkomme einer uralten, bretonischen Familie. Ich würde mich auch noch gerne mit dem Mann unterhalten.“ Ewen ging auf den älteren Herrn zu.

„Bonjour Monsieur Pennoù, mein Name ist Ewen Kerber von der police judiciaire aus Quimper. Ich leite hier die Ermittlungen. Sie haben einen seltenen Namen.“

„Da haben Sie Recht, Monsieur le Commissaire. Der Name geht zurück bis in das 10. oder 11. Jahrtausend. Ich gehöre somit zu den Ureinwohnern, wenn man es so ausdrücken kann.“

„Monsieur Pennoù, Sie haben den Toten gefunden, und mein Kollege hat mir gesagt, dass Sie ihn sehr gut gekannt haben.“

„Das ist richtig, er ist mein Nachfolger im Vorstand der Association Ronan, wir organisieren die Pardons. Ich habe das Amt beinahe 30 Jahre lang inne gehabt.“

„Ja, das Alter, irgendwann muss man die Aufgabe in jüngere Hände geben.“

„Ach, das Alter spielt hier keine Rolle. Körperlich und geistig hätte ich die Leitung noch einige Jahre ausüben können. Aber unsere Statuten sagen, dass man mit 60 Jahren die Leitung an einen Nachfolger übergeben muss.“

„Hat Sie das traurig gemacht?“

„Was heißt schon traurig, ich bin zwar nicht erfreut, aber wenn die Statuten es so vorschreiben, dann beugt man sich denen eben.“

„Dafür haben Sie jetzt mehr Zeit, ihr Leben zu genießen und zu wandern. Sagen Sie, gehen Sie regelmäßig diesen Weg?“

„Ja, sehr oft. Ich gehe jeden Tag ungefähr sechs Kilometer. Sehr oft führt mich mein Weg hier vorbei.“

„Haben Sie den Toten gefunden, als Sie sich auf den Weg gemacht haben oder auf dem Rückweg?“

„Ich bin auf dem Rückweg gewesen, als ich ihn gefunden habe.“

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