Mein Haus, mein Haus am Meer.
Auch heute türmen
Die Marmoralpen schimmernde Pastelle
In deinem Rücken auf und draußen breitet
Sich tiefblau, endlos die Tyrrhenerwelle.
Du träumst den Segeln nach die ferne streichen,
Und an den Zauberinseln hängt dein Blick,
Die mein Erinnern Tag und Nacht umflügelt.
Es kann der Wunsch, wie glühend er sie male,
Die Schönheit, die lebendige, nicht erreichen.
Dort über Serravezza flammt im Stein
Durch all das Weiß die offne rote Wunde,
Und Wälder legen kühlend sich hinein,
Doch in der Berge weißen Flanken schläft
Die ungeborne Welt der Kunst, und oftmals
Am Abend rottet wie von innrer Glut
Sich das Gestein, als rief’ es ungeduldig.
Es sinkt der Tag und wir sind unerlöst.
Glückseliger Strand, Gestade der Entrückten,
Schien wie der Ort, wo frei von irdischer Schwere
Die Helden und die Liebenden sich finden,
Wo fern der Zeit Achill und Helena
Im Schein versäumten Erdenglücks sich sonnen.
Ihr Sommer, deren Stunden leicht wie Träume
Der Himmlischen um unsere Stirn zerronnen!
In immer gleicher Fülle lebten wir
Unalternd, unsre Leiber waren Dinge
Aus Licht und Luft, die Sonne schien hindurch.
O Sonnenglühtrank, den ich heiß geschlürft
In jenen Sommern, die kein Ende hatten,
Du glühst noch jetzt in meinen Adern nach
Wie göttlich unverlöschbares Jugendfeuer.
(Aus »Jenseits des Blutstroms«, 1915)
Es war kein Dichtermärchen, in Forte dei Marmi alterte man nicht. Die langen, glühenden Sommer brannten alle kranken und wehen Stellen aus und gaben eine immer heile und heitere Jugend. Auch unsere Mutter, die ja nun schon in die Jahre trat, die bei den Alltagsmenschen Greisenalter heißen, blieb in ihrer geistigen und körperlichen Beweglichkeit unverändert die gleiche. Die Widerstandskraft, die sie den schweren ihrer noch wartenden Schicksalsschlägen entgegenzusetzen fand, und das Lächeln, das trotz allem bis über die Schwelle des Todes mit ihr ging, kann sie nur dort geschöpft haben. Und auch ich selber hätte nirgends als am Strand von Forte soviel Schönheit und Wärme in mir aufspeichern können, um in den kommenden dunklen Jahren nicht ganz am Leben zu verzweifeln.
Das kleine Haus, wie es jetzt dastand und mit unwahrscheinlich beseelten Augen aufs Meer hinaussah, glich einem lebendigen Wesen und nahm gleichsam die Miene seiner Besitzer an. Ganz aus schwerem Bruchstein errichtet, den aber festlich grüne Läden leicht machten, durch die angenehmen Maße und weil es ringsum frei stand, für das Auge viel größer als es wirklich war, hatte es einen ganz persönlichen Ausdruck von heiterem Ernst, wozu noch die mehr breiten als hohen Fenster, das mächtige, in Länge und Quere geteilte Portal und die von Hildebrand gestiftete Marmorbank an der Außenwand das ihre beitrugen. Diese Besonderheiten waren nicht ohne die wunderlichsten Reibungen und Zwischenfälle zustande gekommen. Ich hatte meinem Bruder nur die Berechnung der Räume überlassen; für das äußere Gesicht zog ich Hildebrand zu Rat, und dieser entwarf mit Hilfe seines Schwiegersohnes Sattler die lebensvolle, von jeglicher Schablone abweichende Stirnseite. Als die Mauern aus dem Boden zu steigen begannen, ließ ich mich für den Frühwinter allein in der Nähe des Neubaus nieder, um die genaue Ausführung des Hildebrand-Sattlerschen Entwurfs zu überwachen. Denn der Werkführer, ein einfacher aber sehr geschickter Maurermeister, hatte es anders vor: er wollte kurzweg die hohen, schmalen Tür- und Fensteröffnungen, wie er sie bei Edgar und Vanzetti gebaut hatte, wiederholen, hatte auch bereits begonnen die Bogen viel zu schmal zu spannen und fuhr damit trotz meines Einspruchs fort, indem er, so oft ich mit ihm sprechen kam, sich taub stellte und aus der Dachhöhe, wo er hantierte, einen Hagel kleiner Steinchen herunterfallen ließ, um mich zu vertreiben. Da blieb mir nichts übrig, als die augenblickliche Einstellung des Baus zu befehlen. Außer sich lief der Mann zu dem Ingenieur, der dem Namen nach die Oberaufsicht führte, aber nie den Fuß auf die Baustätte setzte, und klagte ihm, ich hätte mitten unter der Arbeit Veränderungen angeordnet, die dem Vertrag widersprächen. Meine Erklärung, dass der Hildebrandsche Entwurf nichts enthalte, was gegen den Vertrag verstoße, konnte ich aber nicht beweisen, weil der Werkführer plötzlich versicherte, die Zeichnung verloren zu haben; ich konnte nur darauf bestehen, dass nicht weitergebaut würde, bis das Blatt wieder zur Stelle sei. Der Ingenieur schrieb nun an Edgar, dass ich vertragbrüchig geworden sei und dass die Preisvereinbarungen hinfällig würden, wenn ich nicht von meinen unberechtigten Änderungen abstünde. Da mein rascher Bruder der falschen Darstellung glaubte und unbedingt verlangte, ich müsse mich fügen, drohte der Streitfall sich in die Familie hinein zu erweitern. Aber der Allvermittler Vanzetti übernahm es mit seiner großen Macht über die Gemüter der einfachen Leute, den Maurermeister zur Einsicht zu bringen: die verlorene Zeichnung war plötzlich wieder da und wurde haargenau ausgeführt, der Ingenieur kehrte in seinen olympischen Gleichmut zurück, und der Schuldige übernahm den durch seinen Eigensinn verursachten Mehraufwand. Nur das erregbare Bruderherz grollte mir noch eine Weile weiter, wie er in unseren Kindertagen getan hatte, wenn ich einmal anders wollte als er oder auf irgendeinem Punkt seinen Geschmack nicht teilte. Er hatte sich mein Häuschen als ein verkleinertes Abbild des seinigen gedacht: dass ich im Stil gänzlich von ihm abwich, schnitt ihm in die Seele und ließ ihn das Ungewohnte von vornherein als Überspanntheit verurteilen. Als aber der Bau in seiner Eigenart dastand und die Hildebrandsche Absicht verwirklichte, auf kleinstem Raum den Eindruck des Mächtigen zu geben, da bekehrte er sich nur zu sehr; das große Tor mit den vier Flügeln, das, wenn die unteren geschlossen und die oberen offen waren, den davorliegenden Meereshorizont mit den ziehenden Segeln wie in einem schön geschwungenen Rahmen einschloss, und das ausdrucksvolle, von einem roten Ziegeldächlein wie von einer Braue überwölbte breite Fenster taten es ihm dermaßen an, dass er am liebsten sein eigenes Haus im gleichen Stil umgebaut hätte. Er ruhte auch nicht, bis er in dem wiedererwachten Wetteifer unserer Frühzeit bei einem Anbau, den er vornahm, noch Gelegenheit fand, die empfangenen Anregungen zu verwerten. Eine Kindlichkeit dieser großen Natur, die für mich etwas Rührendes hatte. – Das gäbe einen hübschen Novellenstoff, meinte wieder einmal Freund Hildebrand mit Lächeln, als ich ihm erzählte, welche Nöte es mich gekostet hatte, seinen Entwurf durchzusetzen. Heute, wo das Häuschen in einer dichten Villenreihe wie ein winziger Zwerg zwischen übermächtigen Nachbarn eingekeilt steht und nur noch durch eine außergewöhnliche gärtnerische Umrahmung den Charakter seiner Einmaligkeit bewahrt, kann man sich nicht mehr vorstellen, wie zwingend einmal das kleine Ding, noch frei in seinen eigenen Maßen stehend, mit keinem anderen Hintergrund als der vielgipfeligen Pineta und der edelgeformtesten aller Alpenketten sich dem Stilgefühl auferlegte. – Diese Alpen mit ihren aufgerissenen weißen Flanken, vielgestaltig wie die Dolomiten, aber noch nicht totes Gestein wie diese, gewaltig ohne erdrückend groß zu sein, weil sie fast übergangslos aus Meereshöhe aufsteigen, und mitten inne als Herzfleck der rote Erdbruch der Ceragiola, der damals noch nicht erschöpft und in Grau verblasst war wie heute, sondern tiefrot aus dem Grün der Vorberge flammte, gibt es irgendwo schönere? Aber dass sie in den glücklichen Zeiten, von denen ich erzähle, auch ein Bollwerk gegen die Tramontana bildeten und damit dem Strand ein paradiesisches Winterklima schenkten, davon weiß nur der kleine Rest der Ureinwohner noch, die wir bei unserer Siedlung vorfanden. Heute möchte ich niemand raten, den Winter, wie ich es des öfteren tat, im ungeheizten Haus zu verleben, den ganzen Dezember hindurch und noch im Januar zu baden und im Sommerkleid am Strande zu gehen. Was auch die klimatischen Vorgänge verändert haben mag, die Tatsache wiederholt sich neuerdings jeden Winter, dass die Apuanischen Alpen sich bis herab zu ihrem Fuß mit Schnee bedecken, der seine Kälte auf den einst so milden Strand herunterstrahlt.
Mit der Beilegung des Maureraufstands gab sich der kleine Kobold, der mir bei dem Hausbau ein Bein ums andere stellte, noch nicht zufrieden; er hatte sich unterdessen schon einen neuen Schabernack ausgedacht. Ich hatte mir ungeschickterweise einfallen lassen, bei meinem guten Mütterlein anzuklopfen, ob sie einverstanden wäre, dass ich sie einmal zu einem günstigen Zeitpunkt vorübergehend in dem Häuschen allein ließe, um ein paar Wochen deutsche Luft zu atmen und ihr dadurch Gelegenheit gäbe, sich in mein freiwerdendes Zimmer einen Gast nach ihrem Herzen einzuladen. Einen Gast! Das Wort elektrisierte sie und setzte sich auch gleich in die Mehrzahl »Gäste« um. Und ohne sich darum zu sorgen, dass wir ja überhaupt nach Edgars Willen nur zwei Zimmer hatten, das ihrige und das meinige, dass also von einem Gast nur dann die Rede sein konnte, wenn ich selber auszog – Raum und Zeit waren ihr nebensächliche Begriffe –, setzte sie sich flugs und schrieb freudeglühend ohne mein Wissen gleich drei Einladungen schon für den kommenden Sommer. Ich fiel aus den Wolken, als ich von allen drei Seiten fast gleichzeitig die jubelnde Zusage erhielt, die Ferien mit uns auf unserer »Meervilla« zu verbringen. Eine gute Seele hatte sogar schon den Koffer gepackt, um auf den ersten Wink reisen zu können. Um die Drastik der Lage noch zu erhöhen, kam um die gleiche Zeit aus Forte eine Beschwerde des obbelobten Maurers, die von meinem Bruder angegebenen Maße der Treppe seien falsch, es sei überhaupt bei den Raumverhältnissen nicht möglich, von dem Untergeschoss eine Treppe ins obere zu führen. Jetzt aber geriet Edgar in Brand, denn was er anordnete, das wusste er richtig! Er opferte einen Tag und fuhr nach Forte, zeichnete dem Mann die Stufen an die Wand und hinterließ ihn überzeugt und beruhigt. Mir aber fiel die peinliche Aufgabe zu, gleich sämtliche Einladungen zu widerrufen, was, wenn es auch mit den besten Gründen und mit der trostreichsten Aussicht auf die Zukunft geschieht, doch einen leise bitteren Nachgeschmack lässt. Freilich lieferte die noch mangelnde Treppe eine ausgiebige Entschuldigung.
Aber als ich dann im Frühsommer einziehen konnte, als die ewig Heimatlose, wider Willen Schweifende, nun einmal wirklich und ausschließlich eigenen, durch Arbeit erworbenen Grund und Boden unter den Füßen hatte, da versanken die ausgestandenen Nöte vor der tiefen inneren Befriedigung. Es ist kaum zu glauben, wie sehr das Bauen auf eigener Scholle, gleichviel ob groß oder klein, das Selbstgefühl hebt und dem Leben gegenüber eine ganz andere Sicherheit gibt. Die »unsicheren Sohlen« haben mit eins, wo sie haften, das vorher schattenhafte Dasein erkennt sich selbst als Wirklichkeit, wenn es sieht, wie fremde Hände sich in seinem Dienste regen. Mein Häuschen äußerte auch gleich seine Anziehungskraft für alles Gute: zu jeder Tür zogen Freude, Friede und Freundschaft ein. Hildebrand schmückte die kleine Eingangshalle mit anmutigen Wandzeichnungen in Kohle und Pastell, die freilich mehr sein Gedankenreich ausdrückten als das meinige; ich fühlte mich sogar anfangs nicht völlig heimisch unter den wohlig und willenlos hingelagerten Gestalten, die von Eroten umschwärmt mit der Fülle eines goldenen Zeitalters tändelten. Aber von oben sah ein ernster Dichterkopf, Homer, in das halkyonische Leben hinein, die Wiederholung des Meereshorizonts im Hintergrund erweiterte den Raum, und weitgespannte Fruchtgewinde vermittelten gar schön den Übergang der Wände in die Treppe. Ich gewann denn auch in der Folge die stillen Mitbewohner lieb, und sie leiteten mir ja in der Tat eine lange Reihe schönster, beinahe sorgloser Sommer ein. Viele Hände waren geschäftig, mir mein Häuschen verschönern zu helfen. Der junge Sattler stiftete die Zeichnung zu dem holzgeschnitzten Treppengeländer, wodurch der Innenraum seinen harmonischen Abschluss fand. Erwin, der sich aus Deutschland einstellte, bannte mir auf die noch ungetünchte Wand meines Arbeitszimmers dem Schreibtisch gegenüber eine heiter-ernste stehende Muse, deren Gegenwart mir so wohltat, dass ich mich erst nach Jahren entschließen konnte, die Wand überstreichen zu lassen. Auch Thole kam im ersten Jünglingsalter und brachte mir einen seiner tönernen Ritter auf gewappnetem Roß, woran er sich schon als Knabe versucht hatte. Wer sich am allertätigsten um die Ausschmückung des neuen Hauses mühte, war Römer, der wie die anderen Freunde aus Florenz nachkam. In seiner zugreifenden Art warf er sich gleich auf die Inneneinrichtung, zeichnete die noch fehlenden Stücke des Hausrats, die alle dem ländlichen Stil des Ganzen angepasst sein mussten, half mir Türen, Geländer, Wandschränke mit festlichen Farben streichen, malte die griechische Inschrift, die mir der Philologe unter meinen Freunden, Ernst Mohl in Petersburg, verfassen half, auf den Deckenbalken, nahm auch gleich alle Gegenstände, Menschen, Fernsichten auf seine fotografische Platte und verbreitete wie immer viel Bewegung um sich her, wobei er die liebenswertesten Seiten seines Wesens entfaltete. Das Gelungenste, was von seiner Hand in Forte dei Marmi zurückblieb, sind die zwei schönen, in Stein gehauenen Fische rechts und links vom Eingang. In den schildartigen Schlussstein des Torbogens meißelte er das astronomische Zeichen des Steinbocks, mein selbstgewähltes Wappen, das auch schon im Innern angebracht war, ein. Längere Zeit stand diese Bekrönung zu meinem Danke. Da fand Hildebrand eines Tages, dass ein bloßes Symbol als Abschluss oberhalb des in den Fischen dargestellten lebendigen Lebens unbefriedigend wirke. Ich dachte anders, denn ich vermochte in dem Zeichen des Steinbocks, als dem Ausdruck für den bedeutsamsten Himmelsvorgang, die Auferstehung des Lichtes, nichts Tadelhaftes zu erblicken, da doch das Symbol einer anderen Auferstehung, das Kreuz, die höchsten Dome krönt. Aber ehe ich mich’s versah, war der Stein von der Hand, die ihn gemeißelt hatte, zerhauen und verstümmelt; es war auch gleich ein neuer Stein beim Steinmetz bestellt, worauf ein figürliches Relief ausgeführt werden sollte. Allein der Stein wurde nicht rechtzeitig geliefert, das Leben schob sich mit seinen Zufälligkeiten, Missstimmungen und Missverständnissen dazwischen und die Bekrönung des Tores blieb für immer verstümmelt, nun selber Symbol für eine durch lange Jahre schön gewesene und am späten Ende, mehr noch durch fremde als durch eigene Schuld der Beteiligten, in lauter Dissonanzen auseinandergesprungene Freundschaft.
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Das Einrichten eines neuen Hauses gehört gewiss zu den reinsten und erlesensten Freuden des Lebens. Es ist die Rückkehr in die glückliche Seele des Kindes, das seine Puppenstube nicht schön genug ausstatten kann. Und wenn die Mittel nicht von Anfang an da sind, um alles auf einmal auszuführen, sondern erst durch geistige Arbeit nach und nach erschwungen werden müssen, so dauert die unschuldige, sich immer erneuernde Freude nur um so länger. Das Tischgeschirr hatte ich schon im Lauf des Winters bei Cantagalli brennen lassen nach einem schönen ländlichen Muster, dessen freudige Farben in die Farbigkeit des Hausgeräts einstimmten, denn nach den harten Jahren, die hinter mir lagen, sollte in dem Sonnenhäuschen, wie wir es nannten, alles auf Schimmer und Freude gestimmt sein. Es durfte mir fortan kein Tag vergehen ohne eine neue Verschönerung, und wenn es nur ein selbstgefertigtes Stuhlkissen war. In all dem Umtrieb nahm sich meine gute Mutter wie ein herzugeflogener kleiner Vogel aus, der vom Gesimse her verwundert zuschaut, was die Menschen alles zum Dasein nötig haben. Aber sie war glücklich. Der Stachel, der sie rastlos von Edgar zu mir, von mir zu Edgar trieb, ruhte, denn unsere Häuser lagen nur hundert Schritte voneinander.
Noch schöner als Bauen und Einrichten war das nächste Geschäft, was ich in Angriff nehmen durfte: das Anlegen eines Gartens; dieses verband die versprengte Seele erst ganz mit den Heilkräften der Erde. Das Grundstück, das die neuen Häuser trug, war zuerst Vigna gewesen und brachte Trauben vom seltensten Wohlgeschmack hervor, allein man konnte sie nicht erhalten, weil das Landvolk sich in unserer Abwesenheit in der Pflege nicht zuverlässig erwies. Es blieb nichts übrig als die kostbaren Rebstöcke auszuraufen und an ihre Stelle zuerst Lupinen, dann Pinien zu säen, die schnell emporwuchsen und Schatten gaben. Im übrigen verfiel ich in den Fehler der meisten Neulinge, gar nicht lange zu fragen, was Boden und Lage hergeben können, sondern nur was meinen Augen wohlgefiel, und ich zahlte viel Lehrgeld in den ersten Jahren. Da waren mit eins die schönsten Baumgruppen schon in voller Höhe wie Kulissen aufgestellt, aber fast ebenso schnell verschwunden, weil der Sand sie nicht nähren konnte; anderes zerfraß mir der Seesturm, der eine Salzkruste niederschlägt, wovon das zartere Blattwerk sich wie Zunder bräunt und schwindet. Nicht einmal die mit viel Mühe und Kosten von den Vorbergen herabgeführten Ölbäume wollten mir richtig Fuß fassen, und um die Zypressen kämpfte ich Jahr um Jahr einen harten Kampf. Schließlich sah ich wie die anderen ein, dass nur das hartgewohnte Geschlecht der Pinien und Steineichen, wozu sich später noch der tapfere, allen Wettern trotzende Oleander gesellte, und als Umzäunung der dickblättrige Evonimus wie auch der Lorbeer, allen Unbilden des unfruchtbaren, sturmdurchtobten Strandes gewachsen waren. Manches lernte ich von dem Beispiel meines Nachbars Vanzetti, der ein leidenschaftlicher Gärtner war und mir mit der Anlage seines Gartens um ein Jahr voraus. Er schaffte mit Feuereifer, und was ihm am schönsten gedieh, davon brachte er mir die Ableger, die sogleich einwuchsen und weitertrieben, weil ja der Mutterstamm schon heimisch war. So konnte ich schnell zwei lange Pappelreihen durch die ganze Tiefe meines Gartens ziehen; es war der einzige Laubbaum der sich anpasste, und er wuchs in wenigen Jahren höher als das Dach des Hauses, weil noch keine Nachbargärten mit eindringendem Wurzelwerk ihm Raum und Nahrung schmälerten. Mit Pfirsichbäumchen hatte ich gleichfalls Glück, nur dass mir die Früchte weggenascht wurden, bevor sie reiften; auch Rosen und andere Blumenarten gaben sich mit der bescheidenen Nahrung zufrieden. Das Wasser musste noch aus dem runden ländlichen Ziehbrunnen am langen Strick geschöpft werden: es war ein im Wetteifer betriebenes Kunststück, den Eimer so hinabzustürzen, dass er sich im Kippen füllte und von selbst wieder aufrichtete, um voll in die Höhe gezogen zu werden. Unzählige der schweren Eimer zog ich Tag für Tag nach Sonnenuntergang und in der ersten Morgenfrühe unter dem ängstlichen Widerspruch meiner Mutter herauf, um alle meine Anpflanzungen zu tränken. Dafür feierte meine Gartenkunst auch einen Triumph, als ich zuerst von allen neuen Ansiedlern einen Regenwurm aufzuweisen hatte zum lebendigen Beweis, dass sich mir der Sand in Humus zu wandeln begann. Einen noch viel größeren Triumph sollte ich erleben, als es mir mit der Zeit gelang, die vor meinem Hause stehengebliebene, nur dem Portal gegenüber durchbrochene künstliche Düne zur Trägerin einer fantastisch üppigen tropischen Flora zu machen. Ursprünglich war das ganze Gelände, worauf jetzt unsere Häuser standen, von ebensolcher Düne geschützt gewesen; die anderen Käufer hatten sie eingeebnet, um Vorgärtchen zu ziehen, die nur der Gewalt des Meeres gegenüber zu kleinlich schienen. Niemand begriff meine Hartnäckigkeit, die zwei nackten Sandhügel Jahr für Jahr vor meinem Hausen stehenzulassen, die allen ein Dorn im Auge waren. Aber ich wusste was ich wollte. Ich gab ihnen eine etwas gefälligere Form, versenkte dann Lasten schwerer Bausteine darein und bepflanzte sie zunächst mit Strandhafer, um sie gegen Regengüsse und Stürme zu festigen. Danach bekamen sie noch mehrere Jahre hindurch nur das schnell wuchernde dicke Kraut »Fetthenne« genannt zu tragen, das sie ganz mit seinem dunklen Grün und im Sommer mit großen roten und gelben Blüten überschüttete, bis sie gründlich mit Wurzelwerk durchflochten waren. Dann aber pflanzte ich die stachelbewehrte, sich rasch verbreitende Aloe an und in Reihen die hochstrebende Jukka; aus ihrer messerscharfen Blätterkrone schoss im Frühjahr und Herbst der mehr als meterlange Stengel mit dem mächtigen weißen Blütenkandelaber empor, der die holde Gestalt des Maiblümchens verriesenfacht und seine schneeigen Glocken im Mondlicht wie Feenleiber schimmern lässt. Ich liebte jedes einzelne meiner Sonnenkinder und sprach sie an, als warteten sie auf den Zuspruch des Menschen, was ich heute noch überzeugter glaube als damals. Meine Pflanzung vermehrte sich mit unglaublicher Schnelligkeit, das indische Gras mit seinen hohen hellen Büscheln wedelte im Seewind darüber, und die dichtbewachsenen, unbetretbaren Hügel gaben mit ihren nach allen Seiten starrenden Waffen den Eindruck eines ebenso fantastischen wie wehrhaften Bollwerks, das jedoch trefflich dem Stil der Landschaft entsprach. Kein Wanderer, der nicht überrascht vor der dichten hochgetürmten grünen Fülle inmitten der weiten unbebauten Sandwüste stehenblieb, und mancher nahm das Bild heimlich in seiner Kamera mit. – Vielleicht war es kindisch und ist es in der Wiedererweckung noch, den Bau des kleinen Gartens so wichtig zu nehmen. Für mich war er mehr, er war mir die erfüllte Sehnsucht eines von vornherein ins Geistige gepflanzten Daseins nach seinem anderen Pol, dem Stofflichen. Wenn meine Hände im Erdboden pflanzten und schafften, so war mir als würde ich durch dieses Tun im greifbar Wirklichen erst ein ganzer Mensch. Keine vom Gärtner geschaffene noch so große und herrliche Anlage hätte mir nur ein Hundertstel von dem Glücksgefühl gegeben, das mich beim Anschauen meiner eigenen kleinen Schöpfungen durchdrang. Sie schienen die Liebe, womit ich sie anblickte, zu fühlen und durch ihr freudiges Wachstum erwidern zu wollen. Denn Liebe ist das irdische Sonnenlicht; nichts Lebendes, und stünde es auf der untersten Stufe, widersteht ihm.
Schnell wuchs die Siedlung. Auf der einen Seite, dem Dorf zu, bauten sich Hildebrands und Fasolas, später die Witwe des Zoologen Dohrn aus Neapel mit großen Villen an, auf der anderen in der Richtung auf den Fiumetto die verwitwete Frau Angela Böcklin und ihr Schwiegersohn Bruckmann, alle in weiten Abständen mit größeren Gartenanlagen dazwischen. Die neuen zogen ihre Freunde nach, aber noch wachte Edgar als Pfadfinder und erster Ansiedler über die Zulassung, dass keine banausischen oder snobischen Elemente eindrangen, die den auf adlige Freiheit gestellten Geist des kleinen Menschenbundes gefährdet hätten. Er durfte so wählerisch sein, denn es waren alles Klienten von ihm, die ihm nachzogen um auch in der Sommerfrische die Nähe ihres ärztlichen Beraters nicht zu entbehren. Man lebte wie eine große Familie, fand sich am Strand zusammen, besuchte sich gegenseitig in den aus Schilf errichteten, mit Laubwerk gedeckten Badehütten, wo man halbe Tage mit einer Arbeit sitzen konnte. Ein modisches Treiben wie in anderen Seebädern durfte es in Forte nicht geben, größte Einfachheit war Gebot; die Damenwelt begnügte sich mit den von mir erfundenen Meergewändern von griechischem Schnitt, die so schön im Seewind bauschten; am allerschönsten ließen sie sich aus der billigen weißen Nessel herstellen, die, wenn feucht ausgewunden, die schöngebrochenen Falten ergab, wie man sie auf der antiken Plastik sieht. Die meiste Zeit des Tages gehörte dem Bad und dem Lagern auf heißem Sand, wo Gesicht und Glieder bräunten. Die Neulinge mit ihren weißen Gliedmaßen, die an abgezogene Häslein erinnerten, wurden ausgelacht, die weißesten waren immer die Besucher aus Deutschland, aber die Sonne gab auch ihnen schnell den Stempel. Bei hohem Seegang wurden lange Ketten gebildet, die sich bei den Händen hielten, damit das schwächere Geschlecht nicht weggerissen würde, und dann sprangen alle mit der Welle. Die Vorkehrung war nicht unnütz, denn das Meer hatte, wenn der Libeccio längere Zeit blies, unsichtbare, höchst gefährliche Strömungen, denen schwer zu widerstehen war; erlebte ich es doch einmal, dass in nächster Nähe, fast in Greifweite, ein Freund des Hauses, der ein geübter Schwimmer war, ohne dass wir es bemerkten, mit verzweifelter Anstrengung um sein Leben rang und noch lange danach blaurot im Gesicht kaum den Atem wiederfinden konnte. Auch wurde bei starkem Sturm der Grund völlig umgewühlt, es entstanden lockere Sandablagerungen, die unter dem Fuße wichen, und daneben tiefe Schachte, die den unerfahrenen Schwimmer mit einem Wirbel einschluckten. So kam es, dass jeden Sommer das Meer sich die eine oder die andere Beute unter den Badenden einfing; es traf nicht die Ansiedler, die mit allen Tücken vertraut waren, nur die schwer zu warnenden Zugereisten. Auf Sankt Anna, so hieß es im Volksmund, habe das Meer jährlich das Recht an ein Opfer. Rettungsanstalten gab es damals noch keine, die Badewärter, die sich mit der Zeit am Strande einfanden, konnten großenteils selber nicht schwimmen (ein Missstand, den der Faschismus abgeschafft hat), und ein Boot vermochte sich in der tobenden Brandung nicht zu halten. Drei bis neun Tage brauchte jedes Mal der Libeccio, bis er sich ausgetobt hatte. Danach schwamm es sich selig in der wiederberuhigten, sonnespiegelnden Flut; glashelle, blaugeränderte Medusen, schön zu sehen wie Blumen des Meeres, schwammen mit; nur ihre Berührung, die ziemlich stark brannte, musste man vermeiden. Aber dasselbe Glücksmeer, das uns Menschenkinder beseligte, lockte die armen betörten Zitronenfalter und andere Tagesschmetterlinge in den Untergang; sie konnten der gleißenden Fläche nicht widerstehen, flatterten hinaus und immer weiter, bis sie ermüdet sich nach Rast umschauten. Oft habe ich ihnen draußen meinen Badehut als Meerschiff angeboten, um sie heil zurückzubringen, aber sie wollten nicht, versuchten es lieber mit der Welle, fuhren erschrocken wieder auf, um nach wenigen Flügelschlägen abermals niederzugehen, wobei sie spurlos verschwanden. – Unterdessen plätscherte unser Mütterlein wonnevoll in dem seichten Uferwasser, das so durchwärmt war, dass Edgar es das Kinderbad nannte; für sie war es der Jungbrunnen, der sie durch das ganze Jahr gesund und frisch erhielt. Dass ihr Sohn ihr die Anfangsgründe des Griechischen beibrachte und dass wir ihr danach zusammen die »Altgriechischen Unterrichtsbriefe zum Selbststudium« von Koch zum Geburtstag verehrten, an denen sie sich auch allein weiterhelfen konnte, das vollendete ihr Glück.
Die körperliche Seite des Hellenentums verwirklichte Vanzetti, der Herr des Naturlebens. Er sammelte die Jugend um sich, stellte Turngeräte vor seinem Hause auf und begeisterte sie für die damals noch wenig gepflegte Gymnastik. Wie er selber stolz auf seinen Wuchs eines antiken Ringers war und nie anders als halbnackt und tiefgebräunt gesehen wurde, so zog er in Forte ein junges Geschlecht heran, das bei Wettlauf, Ringkampf, Rudern, Ballschlagen und Bocciaspielen seinem Meister auch äußerlich ähnlich wurde und mit dem er allsommerlich seine Olympiade feierte, ohne wohl je von Olympia gewusst zu haben. Heute würde er mit seinen Erfahrungssätzen von der Physiologie der Bewegung und dem Einfluss der gymnastischen Wettspiele auf die Charakterbildung nur offene Türen einrennen; damals waren sie überraschend, und es bedrückte ihn einigermaßen, dass er sich viel zu flüchtigen Geistes wusste um sie schriftlich festlegen zu können. Auch die Sonnenbäder, die er am Strand für seine mitgebrachte Klientel einführte, bildeten lange Zeit eine bestaunte oder belächelte Neuheit. Für ihn bestand der Beruf des Arztes weniger im Heilen als im Verhüten von Krankheiten, und lieber als Leistungen am Krankenbett mochte er sich von den Klienten die Zeit vergüten lassen, wo er sie gesund erhielt. So legte er auch den größten Wert darauf, überall, wo er gerufen wurde, selber in strahlender Verfassung zu erscheinen, weil es ihm feststand, dass der Arzt dem Patienten mit dem Beispiel der Gesundheit vorangehen müsse. Er sagte von sich, dass er nicht mit dem Kopf denke, sondern mit den Poren der Haut, und in der Tat besaß er in seinen aufs äußerste verfeinerten Sinnen Wahrnehmungsorgane, die ihm Erkenntnisse aus der Natur zutrugen, ohne dass er sich mit ihrer geistigen Verarbeitung quälte, weil sie kaum über die Sphäre des Körperlichen hinausdrangen. Die Natur hatte diesen Menschen wie kaum einen anderen zum Glücklichsein ausgestattet. Wenn er frühmorgens über die Felder ging, so schlürfte er Wonnen ein; alle blühenden Büsche, die harzduftenden Bäume, die aromatischen Kräuter trugen ihm ihre Wohlgerüche zu und er schwelgte noch im Beschreiben. In dem Streichen der Morgenluft über seinen nackten braunen Oberkörper wollte er schmeichelnde Nymphenfinger erkennen; so war ihm in der Tat jede Pore seiner Haut eine Tür, um das Glück einzulassen. Ebenso glücklich waren seine Augen, die jede Schönheit der Landschaft bis herab zu der feinsten Schattierung des Grüns der Felder wahrnahmen. Gute Musik, gleichviel ob ernsten oder heiteren Charakters, versetzte ihn in einen Glückstaumel, ohne sein Gemüt zu erschüttern; widrige Geräusche dagegen, wie sie den feinnervigen Edgar zur Verzweiflung brachten, erreichten ihn gar nicht. Der ganze Mensch war die notwendige Skala von Komplimentärfarben zu der Farbenskala seines schwierigen Freundes.