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Welche Rolle spielt die Konjunktur?

Und die »Konjunktur«, die berühmte, die »lahmt« oder »nicht anspringen will« – wo kommt die in diesem Bild (Grafik A) vor? Sie zeigt sich an den Punkten und Sternchen der realen gemessenen Sozialprodukte. Ist sie einmal »gut oder sehr gut«, liegen diese Punkte nahe an der Geraden – oder darüber, wenn der Vorjahreswert schon nahe oder über der Geraden lag. Wenn sie dann »lahmt«, sinken die Werte wieder. Wie eben jetzt.

1974/75 zum Beispiel war das jährliche Wachstum gleich o (1974) und sogar negativ (1975: -1%). In den Jahren 1976–1979 folgten hohe jährliche Wachstumsraten und brachten das Sozialprodukt wieder auf »seine Linie«. Die Jahre 1980–1982 zeigten abermals schwaches bis negatives Wachstum. Die Punkte sanken unter die »Linie« und verlief dann bis 1987 »auf dem alten Kurs« nur etwas unterhalb parallel zur »Linie«. Erst die Jahre 1988–1992 brachten mit herausragend hohen jährlichen Wachstumsraten das Sozialprodukt wieder zurück auf seine seit 1950/60 bekannte »Linie«. (Was eigentlich nicht auf ein besonders schweres Opfer für die deutsche Einheit hindeutet.)

Das Sozialprodukt des vereinigten Deutschland (Sternchen) ab 1991 liegt dann natürlich höher als die Linie der alten Bundesrepublik. Aber alsbald zeigte sich: Der Anstiegswinkel ist der alte. Die Entwicklung verläuft nun zwar etwas oberhalb, aber wieder parallel zur altbekannten »Linie«.

Das Auf und Ab der Konjunktur ist nicht bedeutungslos. Auch die Arbeitslosenzahlen sinken und steigen mit steigender oder sinkender Konjunktur (konjunkturelle Arbeitslosigkeit). Aber diese Schwankung ist weltweit sehr begrenzt.19 Für die Bundesrepublik schätzt man diesen konjunkturellen Anteil an der Arbeitslosigkeit auf etwa 600 000 Personen. Ob über eine halbe Millionen Menschen mehr oder weniger arbeitslos sind, ist selbstverständlich alles andere als unwichtig. Doch gemessen an dem »Sockel der strukturellen Arbeitslosigkeit«, der von der Konjunktur unbeeinflusst bleibt – und seit 20 Jahren wächst –, das sekundäre Problem.

Was aber keinesfalls bedeuten darf, das Problem der Konjunktur als unwichtig beiseite zu schieben. Diese Konjunktur ist nun nicht allein von den äußeren Bedingungen des Weltmarkts diktiert. Sie ist beeinflussbar. Steuersenkungen, die mehr Kaufkraft bei der Bevölkerung lassen, können sie ebenso positiv beeinflussen wie Lohnerhöhungen. Steuersenkungen, die dazu führen, dass die öffentliche Hand ihre Nachfrage nach Investitionen einschränken oder Angestellte und Beamte frühpensionieren, Gehälter, Weihnachtsgelder oder Pensionen senken muss, »würgen die Konjunktur ab« – wie Brünings Notverordnungen Ende der 20er Jahre.20 Steuern auf hohe Einkommen oder Vermögen und Einsatz dieser Steuermittel für Zukunftsaufgaben, Schulen, Universitäten, öffentlichen Nahverkehr, Kindergärten, schaffen Arbeitsplätze und dienen so der Konjunktur – oder schaden ihr, wenn sie die Kapitalbesitzer verscheuchen.

Mehr Wachstum als das, was erzielt wurde, war nicht zu erreichen – und wird nach allen Erfahrungen in allen Industrienationen aller Voraussicht nach auch in der Zukunft nicht zu erreichen sein. Weniger ist allerdings sehr wohl möglich. Wenn die Nachfrage nachhaltig absinkt, gibt es auch weniger Gewinne und weniger Investitionen. Dauerhaft sinkende Masseneinkommen – aus welchen Gründen auch immer – führen so zu einer Wirtschaftsentwicklung deutlich unter der Linie, sie vereiteln die zur Korrektur notwendigen Phasen übernormalen Wachstums.

Der Traum vom ewigen Wachstum – ein Alptraum?

Stetiges exponentielles Wachstum mit den jährlichen Wachstumsraten der ersten Nachkriegsperiode ist also eine Fata Morgana. Aber ein solches Wachstum hätte ohnedies zu vollständig unsinnigen Folgen geführt. Wirtschaftlich und ökologisch. Hätte jede deutsche Familie vielleicht ein von Straßen und Plätzen startfähiges kleines Privatflugzeug21 in der Garage haben sollen, um dem hoffnungslosen Lastwagenstau zu entgehen? In »Wohlstand für niemand?« schrieb ich 1993:22

» … der feste Glaube an exponentielles Wachstum war bis weit in die 70er Jahre unantastbare Bedingung dafür, in der wissenschaftlichen Diskussion der Ökonomen ernstgenommen zu werden.23 Und aus diesem Glauben wurden für Politik, Technik und Umwelt folgenschwere Entscheidungen abgeleitet. Wenn die Wirtschaft exponentiell wachsen sollte, dann mußte z.B. nach der damals herrschenden Lehre auch der Energieverbrauch exponentiell wachsen.24 Denn, so lautete ein weiterer Glaubenssatz: Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum sind fest aneinander gekoppelt. Noch 1978 erwarteten daher die Institute DIW und RWI sowie das Energiewissenschaftliche Institut der Universität Köln bei einem exponentiellen Wirtschaftswachstum von 3,2–4% jährlich ein Wachstum des Stromverbrauchs zwischen 4,2% und 5,6%. Diese Schätzungen wurden dann dem damaligen Energieprogramm der Bundesregierung zugrunde gelegt.

Die Schätzungen der frühen 70er Jahre lagen noch höher. So beruhte das Kernenergieprogramm der sozialliberalen Koalition auf der Annahme, der Stromverbrauch müsse jährlich um 7% steigen. Was bedeutet hätte, daß er sich bis 1985 auf das 15fache, bis 2000 auf das 42fache und bis 2030 auf das 319fache hätte steigern müssen. Der bekannte Physiker Alwin A. Weinberg berechnete damals den Energiebedarf der Welt und kam zu dem Resultat: Wenn die Weltbevölkerung sich auf einem Niveau von 15–20 Milliarden Menschen stabilisiert, kann ihr Energie- und Rohstoffbedarf gedeckt werden, wenn jährlich 1000 Kernkraftwerke auf- und nach 30-jähriger Betriebsdauer abgebaut werden.25 Wenn man sich spaßeshalber vorstellt, daß dann jeden Tag in der Welt drei Kernkraftwerke hätten gebaut und abgerissen werden müssen, wird der Unsinn solcher Annahmen andauernden exponentiellen Wachstums offensichtlich.«26

Doch dieses ewige Wirtschaftswachstum findet nicht statt. Es gibt offensichtlich innere, ökonomische Grenzen des Wachstums. Die Horrorvorstellung des Club of Rome, der der Wirtschaft ökologische Grenzen des Wachstums entgegenhielt, war – zum Glück – ein Trugbild.

Auf mehr als das bisherige lineare Wachstum zu setzen heißt deshalb, auf Wunder zu hoffen. Die Wirtschaftspolitik einer Nation auf ein Wunder zu gründen, widerspricht so evident der wirtschaftlichen Erfahrung, dass zumindest von grober Fahrlässigkeit gesprochen werden muss.

Aber selbst wenn es dieses »Wachstumswunder« gäbe, würden die Probleme unserer Volkswirtschaft dadurch nicht gelöst. Denn nicht nur das ewige Wachstum, sondern auch die Umsetzung von Wirtschaftswachstum in »Wohlstand für alle« entpuppte sich als Fata Morgana.

Warten auf Wachstum für Arbeitsplätze
ist Warten auf Godot

Arbeitslosigkeit, Pleite der öffentlichen Hand und schnell wachsende Ungleichheit kennzeichnen die Krise des »Sozialstaats BRD« zum Jahrtausendbeginn. Das Aufbrechen verkrusteter Strukturen am Arbeitsmarkt, Steuersenkungen und allgemein weniger Pessimismus sollen die Wirtschaft ankurbeln, den Aufschwung bringen. Aufschwung schafft neues Wirtschaftswachstum und damit Arbeitsplätze. Wer glaubt das etwa nicht – wo es doch jeden Tag in den Zeitungen steht?

Nur: Selbst die Verdopplung des Sozialprodukts von Anfang der 70er Jahre bis zur Jahrtausendwende war mit zunehmender Arbeitslosigkeit, öffentlicher Armut und wachsender Ungleichheit verbunden. 1993 schrieb ich in »Wohlstand für niemand?«:

»Seit mehr als zwei Jahren erinnert das Stück, das Wirtschaftswissenschaftler, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsjournalismus aufführen, auffallend an Becketts Godot. Da wird ausgeschaut und ausgeschaut, der Aufschwung angekündigt, immer wieder sieht man einen Silberstreif im beginnenden Wirtschaftsaufschwung in den USA. Hoffen, die zentralen Probleme Abwanderung von Industrie, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung würden sich durch eine Konjunkturbesserung lösen, wird so zum Warten auf Godot – und der kam bekanntlich nie.«27

Daran hat sich nichts geändert. Meinhard Miegel 2002:

»Die Politik … hofft …, dass hohe Wachstumsraten irgendwann das Beschäftigungsproblem lösen werden.

Diese Hoffnung ist vergeblich. Ihr fehlt jede Grundlage. Sie ist wie das Warten auf Godot – er kommt nie. Schon der gedankliche Ansatz ist falsch. Arbeit entsteht nicht durch Wachstum, sondern Wachstum durch Arbeit. Das ist zahllose Male festgestellt worden, hat aber im öffentlichen Bewusstsein kaum Spuren hinterlassen.«28

Warum aber ist diese Hoffnung vergebens? Viele Ursachen kommen hier zusammen, unabänderliche und, bei politischem Willen und politischer Gestaltungsmacht, veränderliche.

Unabänderlich: Steigende Arbeitsproduktivität
entwertet den Faktor Arbeit

Steigende Arbeitsproduktivität, also höhere Produktion je Arbeitsstunde, ist die Grundlage des gewachsenen Wohlstands der Industrienationen. Ohne sie lägen die Löhne heute noch bei wenigen Euro je Stunde. Doch sie hat eine Kehrseite, die sich immer mehr in den Vordergrund schiebt: Je mehr ein Arbeiter pro Stunde produziert, desto weniger Arbeitsstunden braucht er für dieselbe Warenmenge. Gelingt es nicht, den Absatz ebenso schnell zu steigern, wie die Arbeitsproduktivität wächst, braucht man weniger Arbeitsstunden – letztlich also weniger Arbeiter.

Im internationalen Vergleich ist der Kapitaleinsatz in Deutschland besonders hoch. Der Kapitaleinsatz stieg (preisbereinigt) von 1950 bis 2000 pro Erwerbstätigenstunde auf das Siebenfache.29 Hier liegt eine Wurzel für die nicht durch »Wachstum« zu behebende Arbeitslosigkeit.

Miegel bringt die jedermann zugänglichen Fakten meisterlich auf den Punkt:

»Bei einem 25-jährigen jahresdurchschnittlichen Wachstum von real 5,4% schrumpfte das Arbeitsvolumen pro Kopf der westdeutschen Bevölkerung jährlich um gut ein Prozent. Da darf wohl gefragt werden, wie viel Wachstum denn von Nöten ist, um unter den konkreten Bedingungen Deutschlands die Arbeitsmenge stabil zu halten oder gar anschwellen zu lassen. Im dritten Jahrhundertquartal hätte es jährlich annähernd bei sieben Prozent liegen müssen, was einer Verdoppelung der Güter- und Dienstleistungsmenge in zehn Jahren und deren Zunahme auf mehr als das Fünffache in 25 Jahren entspricht.«30

Bringen Steuersenkungen Arbeitsplätze?

Das neoliberale Standardargument für Steuersenkungen zum Zwecke möglichst hoher Gewinne ist der Glaube an die »Angebotspolitik«. Angebotspolitik setzt mit ihren Maßnahmen zur Erreichung gesamtwirtschaftlicher Ziele wie Inflationsbekämpfung und Wachstum auf der Angebotsseite der Wirtschaft an. Wenn Waren oder Dienstleistungen produziert werden, schlägt sich das angeblich in entsprechendem Einkommen nieder, das nach Jean Baptiste Say zu einer kaufkräftigen Nachfrage führe. Nur: Dieser Effekt verschwindet, wenn die Löhne durch den Weltmarktdruck nicht mehr mit der Produktion, dem Sozialprodukt, steigen und darüber hinaus der Faktor Arbeit, in dem die Löhne steigen sollen, durch Kapital ersetzt wird. Und das geschieht immer schneller, je mehr alte Anlagen durch Neuinvestitionen ersetzt werden.

Man sollte deshalb endlich einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen: Der Versuch, durch Senkung der Unternehmenssteuern und des Spitzensteuernsatzes Arbeitsplätze zu schaffen, ist heute offensichtlich zum Scheitern verurteilt. Solche Steuersenkungen hatten wir zu Hauf, doch das Wachstum blieb aus.

Der frühere Bundesarbeitsminister Herbert Ehrenberg (SPD) wies daraufhin, dass mit dem »Standortsicherungsgesetz« von 1993 ab 1994 die Körperschaftssteuer von 50 auf 45 und der Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkommen von 53 auf 47% gesenkt wurde und gleichzeitig ein Sparpaket mit Kürzungen öffentlicher Leistungen von 21 Mrd. DM in Kraft trat.31 Ein »Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung« vom 13. September 1996 brachte im Prinzip die gleiche Maßnahmenkombination aus Senkungen von Unternehmenssteuern und Kürzungen sozialer Leistungen.

»Die Beschäftigung aber reagierte nicht nach der neoliberalen Vorgabe. Von 1992 bis 1997 gab es einen Rückgang der beschäftigten Arbeitnehmer um 1,6 Millionen. Die Nettorealverdienste der Arbeitnehmer gingen in diesem Zeitraum um 7,5 Prozent zurück. Eine leider stimmige Erklärung für das weit hinter der Auslandsnachfrage Zurückbleiben der Nachfrage auf dem Binnenmarkt.«32

Weltmarkt und Arbeitsplätze

Noch weniger als vom Wachstum des Sozialprodukts der BRD profitiert unser Arbeitsmarkt vom Wachstum des Weltmarkts. Schon heute ist vielmehr die Arbeitslosigkeit in den OECD-Nationen parallel zum Wachstum des Welthandels gestiegen.

Freihandel optimiert nun einmal nicht auf Arbeitsplätze. Im Gegenteil. Arbeit ist ein Kostenfaktor. Und Minimierung aller Kosten durch Freihandel ist das Versprechen des Freihandels. Gerade weil der Freihandel das, was er hier verspricht, auch hält, sollte es nicht überraschen, dass in den OECD-Nationen mit ihrem höheren Lebensstandard durch höhere Löhne und Sozialleistungen seit der schnellen Ausdehnung des Welthandels schon viele Menschen aus dem Weltmarkt herausgefallen und die Arbeitslosenzahlen drastisch angestiegen sind.

Export der Industrieländer schafft zwar vielleicht einen Ausgleich in der Handelsbilanz, nicht aber in der Arbeitsplatzbilanz. Denn nur Industrien mit hoher Produktivität können in den Industrieländern bleiben – aber das bedeutet: nur Industrien mit wenig Arbeitskräften pro Milliarde Euro Export.

Die schwarze Kurve in der nachfolgenden Grafik B zeigt, wie Arbeitslosigkeit in den OECD-Nationen von einem Durchschnitt von etwa 8–10 Millionen von 1950 bis 1973 auf einen Durchschnitt von etwa 30–35 Millionen von 1995 bis 2000 gestiegen ist. Die These, freier Welthandel sei auch gut für die Arbeitsplätze in den Industrienationen, ist somit eindeutig widerlegt. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass etwa 20–30% der Arbeitslosigkeit von der Weltkonjunktur abhängen, sie somit mit sinkendem Handel steigt. Entscheidend ist das Niveau des Minimums der Arbeitslosigkeit im Konjunkturhoch, die so genannte strukturelle Arbeitslosigkeit. Die aber stieg in den OECD-Ländern von etwa sieben Millionen um 1970 auf rund 28 Millionen im Jahr 2000.

George Soros:

»Die Konkurrenz hat Unternehmen zur Konsolidierung gezwungen, sie haben sich verkleinert und Produktionsstätten ins Ausland verlagert. Das sind wesentliche Gründe dafür, daß es in Europa eine fortdauernd hohe Zahl von Arbeitslosen gibt.«33


Der genaue Umfang der Verlagerung von Industrie aus der Bundesrepublik heraus ist schwer zu ermitteln. Ist eine in China erbaute VW-Fabrik eine verlagerte Produktion? Oder ist das erst eine in der BRD geschlossene Fabrik, die durch eine Nachfolgerin in China ersetzt wurde? Fest steht aber: Ganze Industrien sind schon weitgehend verschwunden, wie der Radio- und Fernsehgerätebau. Und »das Spiel ist noch nicht zu Ende – Conti stellt die Produktion in Hochlohnländern in Frage/Weitere Verlagerung nur eine Frage der Zeit«35, meldet die Reifenindustrie. Der Skandal um die falschen Abrechnungen der Zahnärzte für ostasiatischen Zahnersatz zeigt, wie weit selbst handwerkliche Fertigung bereits auf der Reise ist.

So bleibt den Bürgern der Bundesrepublik nur, mit Wolfgang Engler festzustellen:

»Die ›Rückkehr zur Vollbeschäftigung‹ ist unter allen zeitgenössischen Legenden die bei weitem populärste – postreligiöses Opium fürs Volk. Das Täuschungsmanöver gründet im Selbstbetrug.«36

Wachstum und Wohlstand
Wachstum des Sozialprodukts ist nicht identisch
mit Zunahme des Wohlstands

Der erste Grund liegt schon in der Definition des Begriffs Sozialprodukt.

Das Sozialprodukt wird definiert als die Summe all dessen, was im Inland in einem Jahr an Waren und Dienstleistungen hervorgebracht worden ist. Diese Summe nennt man genauer das Bruttoinlandsprodukt. Die Summe aller Bruttoinlandsprodukte aller Staaten dieser Welt bildet das Weltsozialprodukt (GDP). Aber was ist denn von diesem Sozialprodukt wirklich Wohlstand, was ist davon Aufwand für den Wohlstand, wäre also eigentlich abzuziehen? Sind nicht in Wirklichkeit die Investitionen und Produktionskosten der einzelnen Unternehmen Aufwand? Gehören die Fahrtkosten der Arbeitnehmer zum Aufwand? Sind Erziehung und Ausbildung der jungen Bürger nicht im Grunde Kosten für die zukünftige Produktion? Sind die Kosten für die Polizei Aufwand oder Ertrag?

Betrachten wir das Sozialprodukt der Bundesrepublik 1973 und im Jahre 2000 näher, so zeigt sich, dass ein höheres Bruttosozialprodukt auch zu einem niedrigeren Wohlstandsniveau führen kann:

Das Sozialprodukt des Jahres 2000 ist grob gerechnet (preisbereinigt) etwa doppelt so hoch wie das von 1973. Aber 1973 lag die Arbeitslosenzahl bei 273 00037, im Jahre 2000 zwischen vier und fünf Millionen. Das ist der erste Unterschied. Ein Sozialprodukt, das dadurch erzeugt wird, dass alle Bürger (oder fast alle) ihr Geld selbst verdienen, hat a priori einen höheren Wohlstandswert als ein Sozialprodukt mit Millionen von Arbeitslosen. Nicht nur wegen der psychischen Folgen langer Arbeitslosigkeit. Ein Sozialprodukt, bei dem Millionen Arbeitslose »abfallen«, ist auch ökonomisch weniger wert. Denn aus dem erzielten Sozialprodukt, das zur Verteilung ansteht, ist nun auch der Unterhalt der Arbeitslosen zu bezahlen, also abzuziehen. Das wiederum ist nur dadurch möglich, dass diejenigen, die ihr Leben noch unmittelbar aus der Erzielung des Sozialprodukts bestreiten können, weniger erhalten, als sie erhalten könnten, wenn die Arbeitslosen nicht zu finanzieren wären.

Aber auch die spezifische Art der Erzielung des Sozialprodukts, der wachsende Akzent auf internationalem Handel und internationaler Verflechtung bei sinkenden Handelsschranken, führt zu einem geringeren Effekt des »Wohlstands pro produzierter DM«. Das Sozialprodukt von 1973 wurde – aus der Sicht des Liberalismus – erzielt, obgleich Einfuhren mit teilweise hohen Zöllen belegt waren. Das führte nicht nur zu Einnahmen der Bundesrepublik aus Zöllen, sondern erlaubte auch noch höhere Löhne, ohne dass der Marktanteil der deutschen Unternehmen im Inland gefährdet wurde.

Das Wachstum der Wirtschaft allein sagt deshalb nichts über den Wohlstandsertrag aus. War dieser Ertrag in der ersten Periode bis in die 70er Jahre hoch oder sogar sehr hoch, war er in der zweiten, der liberalen Periode gering oder gar negativ. Eine solche Wirtschaft ist eindeutig »unwirtschaftlich«.

Es hat in der Wirtschaftswissenschaft viele Versuche gegeben, eine klare Trennungslinie zwischen Erfolg und Aufwand im Sozialprodukt zu finden. Letztlich sind all diese Versuche gescheitert. Auch unsere eigenen im damaligen Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich technischen Welt in Starnberg.38

Und so ist man letztlich nicht viel schlauer als am Anfang: Wer sein Auto erfolgreich gegen einen Baum steuert, sich und seine Familie im Krankenhaus behandeln und wieder auf die Beine stellen lässt und ein neues Auto kauft, hat bekanntlich das Sozialprodukt vergrößert. Aber den Slogan: »Die Wirtschaft lahmt, Autofahrer! Auf die Bäume, fertig, los!« wird niemand als Wirtschaftspolitik verkaufen wollen.

Ein »Erfolgsmaßstab«, der solchen Unsinn zwangsweise in sich trägt, ist sicher mehr als zweifelhaft. Undifferenziert das Wachstum dieses so schlecht definierten Sozialprodukts zum politischen Ziel zu erklären, ist also eigentlich schon eine Ohnmachtserklärung. Nur: Wenn man das Sozialprodukt als Maßstab verwirft, wie will man dann den »Erfolg« eines Wirtschaftsjahrs in einer Volkswirtschaft messen?

Da es auf diese Frage keine klare Antwort gibt, streben alle Volkswirtschaften dieser Welt unter dem Motto »Wachstum für Wohlstand und Arbeitsplätze« unbeeindruckt der Erhöhung des Sozialprodukts nach. »Jetzt wird in die Hände gespuckt, wir erhöhen das Bruttosozialprodukt!« hieß es in einem Song Anfang der 80er Jahre. Und je kräftiger man in die Hände spuckte, je größer das Wachstum dieses merkwürdigen sozialen Produkts im Jahre war, desto mehr wurde die Wirtschaft eines Landes gelobt, als desto »erfolgreicher« galt sie – verglichen mit anderen Volkswirtschaften, denen nur ein geringeres prozentuales Wachstum gelungen war.

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9783888979194
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