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b) Die formale Ausrichtung des Menschen auf die Glückseligkeit (»beatitudo«) und die Erlangung der Glückseligkeit durch das Zusammenspiel von menschlicher Freiheit und göttlichem Wirken

Daß die im Prolog zur IIa Pars aufgenommene theologische Deutung des Menschen als »imago Dei« alles andere als ein einleitender, schmückender Euphemismus ist, sondern als “Generalthema der IIa Pars”38 den schon erwähnten “neuen Einsatzpunkt des Denkens”39 gewährleistet, wird gleich in den ersten Quästionen der I-IIae unterstrichen. In der fünf Quästionen umfassenden Glückseligkeitslehre wird mit der Frage nach dem ‘letzten Ziel’ (»finis ultimus«) des Menschen (qu. 1) der auf seiner Höhe40 bereits erreichte Gedankenweg neu aufgebaut und von unten, aus seinen anthropologischen Strukturelementen zusammengefügt41. Auf diese Weise nimmt die Theologie - so ist richtig gesehen worden42 - ‘die eigentlich ‘praktische Hinsicht’ als systemgestaltendes Element in die Einheit ihrer Perspektive auf.’43 Nicht mehr aus der Perspektive des göttlichen »exemplar«44, sondern ausgehend von der Eigenstruktur des menschlichen Bildes und seiner Handlungsprinzipien45, wird in qu. I von seinem vernunftgeleiteten Handeln bzw. von seinem ‘intelligenten Wollen’ auf die grundsätzliche Zielbestimmtheit des menschlichen Lebens geschlossen (a. 1-3).46 Sodann folgt in derselben ‘praktischen Perspektive’ der Aufweis der Existenz, Einheit und Bedeutung eines in allen einzelnen Tätigkeiten immer schon mitverfolgten Letztzieles (a. 4-6). Nach der Feststellung, daß die rein formale Hinordnung auf ein ‘letztes Ziel’ (d.i. die Glückseligkeit) den Menschen nicht schon auf ein bestimmtes ‘Letztziel’ determiniert (a. 7), folgt in den nachfolgenden Quästionen die induktiv ansetzende Frage nach dem erfüllenden ‘Gehalt’ des Willens (qu. 2). Nachdem Thomas diejenigen Antwortversuche ausscheidet, die die Glückseligkeit (»beatitudo«) in rein innerweltlichen Zusammenhängen zu bestimmen versuchen (wie z.B. in Reichtum, Ehren, Macht47 etc.), lehnt er die Vorstellung der Glückseligkeit als ein ‘geschöpfliches Gut’ grundsätzlich ab. Mit dem Hinweis, daß im letzten nur das schlechthin vollkommene ‘Gut’, also Gott, den immer schon auf das »bonum universale« ausgerichteten Willen gänzlich zu befriedigen vermag48, vermittelt Thomas die in den ersten beiden Quästionen vorherrschende ‘praktische Perspektive’ mit seinem in der Ia Pars grundgelegten theologischen Gesamtentwurf.49

Mit der bloßen Bestimmung des (im übrigen von allen Kreaturen angestrebten) Letztzieles (»finis cuius«) ist jedoch noch nicht die besondere Art und Weise aufgewiesen, in der der Mensch an Gott Anteil hat (»finis quo«).50 Auf diese Frage wird in qu. 3 näher eingegangen, indem die Glückseligkeit zuerst als ‘Etwas-im-Menschen-Existierendes’ (a. 1) und im Anschluß an Aristoteles51 als Handlung oder Tätigkeit, als »operatio« verstanden wird (a. 2). Denn wie überhaupt alles Seiende sich nur in dem Maße vervollkommnet, wie es seine Potenzen (akthaft) verwirklicht und zur Vollendung bringt, so kann die Glückseligkeit ebenfalls nur als ‘Tätigkeit’, als ‘Akt’, adäquat verstanden werden.52 Freilich ist mit der hier gemeinten Tätigkeit eines Menschen nicht irgendeine beliebige äußere Handlung gemeint, sondern nur eine solche, die gewissermaßen in dem Handelnden selbst verbleibt, wie ‘verstehen’ (»intelligere«) und ‘wollen’ (»velle«)53. Doch obgleich der Mensch in den inneren Akten des Verstandes und des Willens auf das »universale bonum« und das »universale verum« ausgerichtet ist, besteht das Wesen der Glückseligkeit für Thomas allein in einem Verstandesakt (a. 4); denn nur der Verstand vermag die Wahrnehmung (»cognitio«) und Erreichung (»consecutio«) der »beatitudo« zu gewährleisten.54 Da nur ein zuvor erkanntes ‘Gut’ (»bonum apprehensum«)55 Gegenstand des Willens sein kann, bzw. - wie schon Augustinus lehrt - ‘nichts geliebt werden kann, was nicht zuvor wahrgenommen wurde’ (»non enim diligitur nisi sit cognitum«)56, vermag ein Willensakt nicht wesenhaft die Glückseligkeit zu sein, auch wenn Akte des Willens der »beatitudo« vorausgehen (wie etwa die Sehnsucht, »desiderium«) oder ihr folgen (wie die Freude, »delectatio«)57. Die Glückseligkeit, verstanden als Erlangung des »bonum divinum« durch das höchste Seelenvermögen des Menschen, durch den Verstand (»intellectus speculativus«)58, deutet Thomas näherhin als ‘Schau’ des Wesens Gottes, als »visio Dei« (a. 8).59 In ihr ist die »mens«, Verstand und Wille, auf höchste Weise mit Gott verbunden, und so erlangt der Mensch insgesamt seine Vollendung (»ultima perfectio«), wird er - in der Terminologie der ‘Imago-Dei-Lehre’ gesprochen - das vollendete Ebenbild Gottes (»imago similitudinis«).

Die Schau Gottes ist dem Menschen aber unter den Bedingungen des hiesigen Lebens unzugänglich, ist ihm mit natürlichen Kräften (»per sua naturalia«) unerreichbar, so daß sie Gegenstand seiner sich nach Erfüllung ausstreckenden Sehnsucht bleibt.60

Doch auch wenn die vollkommene Glückseligkeit dem Menschen in diesem Leben (»in hac vita«) unerreichbar ist, bedeutet das nicht, daß menschliches Leben auf Erden gänzlich des Glückes entbehren würde. Im Anschluß an Aristoteles unterscheidet Thomas von der »beatitudo perfecta« eine minder vollkommene Glückseligkeit (»beatitudo imperfecta«), die dem Menschen ‘auf Erden’ zuteil werden kann.61 Sie besteht vor allem in geistigen, kontemplativen Akten des Verstandes und in zweiter Linie62 in Akten der die menschlichen Handlungen regelnden ‘praktischen Vernunft’.63

Der Unterscheidung zwischen unvollkommener und vollkommener Glückseligkeit folgt in qu. 4 eine vertiefende Interpretation der »visio beatifica«, indem gefragt wird, ob und wie der menschliche Wille64 (a. 1-4), sein Körper (a. 5-6) und äußere Güter bzw. Freunde65 (a. 7-8) in der vollkommenen Glückseligkeit erforderlich sind. Daran anschließend wird in qu. 5 erstmals ausdrücklich nach den Voraussetzungen zur Erlangung der Glückseligkeit gefragt. Ihre grundsätzliche Erreichbarkeit ist dabei für Thomas der Ausgangspunkt der Überlegung: Da der Mensch in Verstand und Wille das universale und vollkommene Gut (»universale et perfectum bonum«) erkennen und erstreben kann, ist er des »höchsten Gutes« (»capax perfecti boni«) und somit der Glückseligkeit fähig (a. 1).66 Indem festgestellt wird, daß die Glückseligkeit von verschiedenen Menschen in einem unterschiedlichen Maße besessen werden (a. 2), jedoch weder in diesem Leben gänzlich erlangt (a. 3) noch nach diesem Leben auf irgendeine Weise verloren gehen kann (a. 4), legt sich für Thomas die Vermutung nahe, daß der ‘Ort’, an dem sich die Erlangung der Glückseligkeit entscheidet - trotz der Defizienz menschlicher Handlungskräfte -, nur ‘in diesem Leben’ anzusetzen ist. Dies zeigt sich darin, daß im nachfolgenden Artikel erneut gefragt wird, ob der Mensch ‘mit seinen natürlichen Kräften’ (»per sua naturalia«) die Glückseligkeit erreichen kann (a. 5).

Vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Argumentation wird nicht überraschen, wenn erneut die Erlangung der vollkommenen Glückseligkeit ‘allein mit menschlichen Kräften’ entschieden ausgeschlossen wird67 Und dennoch legt derselbe Artikel direkt anschließend ebenso nachdrücklich wert auf die Bedeutung der spezifisch menschlichen Handlungskräfte zur Erlangung der »beatitudo perfecta«: Auch wenn die Natur des Menschen nicht derart ausgestattet ist, daß er die vollkommene Glückseligkeit gewissennaßen naturhaft erlangen könnte, so ist es ihm doch möglich, sich aufgrund seines freien Willens (»Iiberum arbitrium«) zu Gott zu (be-) kehren und so durch Gott der Glückseligkeit teilhaft zu werden.68 Die Erlangung der ‘vollkommenen Glückseligkeit’ verlangt das Zusammenspiel von menschlicher Freiheit und gättlicher Hilfe (»auxilium divinum«).69

Dieses Zwischenergebnis wird in den verbleibenden Artikeln der die Glückseligkeitslehre abschließenden qu. 5 gesichert und konkretisiert: Weder durch das Eingreifen sonstiger Mächte (a. 6) noch durch das Wirken Gottes allein (a. 7) wird die ‘vollkommene Glückseligkeit’ bewirkt. Damit sie erlangt werden kann, bedarf es in der von Gott bestimmten Ordnung (»ordo divinae sapientiae«) immer auch eines ‘guten Handelns’.

Die Bedeutung der menschlichen Freiheit für die Erlangung der Glückseligkeit wird mit einem Seitenblick auf das Heilsereignis in Jesus Christus nochmals unterstrichen. Der expliziten Erlösungslehre vorgreifend, sagt Thomas, daß das erlösende Wirken Christi die menschliche Freiheit nicht einfach überspringt, sondern - ganz im Gegenteil - den Menschen erst auf neue Weise dazu befähigt, das Ziel seines Lebens durch sein (verdienstvolles) Handeln zu erreichen70 Gegen Ende der Glückseligkeitslehre ist hinsichtlich der Erlangung der ‘vollkommenen Glückseligkeit’, die formal von allen Menschen angestrebt wird (a. 8), festzuhalten: Die »beatitudo perfecta«, kann unter den Bedingungen, unter denen sich das Menschsein faktisch vollzieht, nicht anders als durch menschliche Akte erreicht werden, die dem Ziel proportioniert sind.

Wer sich mit dieser noch sehr allgemeinen Antwort nicht zufrieden gibt und nach tieferer Einsicht in die aus (moral-) theologischer Sicht drängende Frage nach der Erlangung der Glückseligkeit sucht, wird von Thomas im Proemium zur qu. 6 auf die nachfolgenden Quästionen und Traktate der IIa Pars verwiesen: ‘Weil es zur Erlangung der Glückseligkeit notwendig bestimmter Handlungen bedarf, muß im folgenden das menschliche Handeln eingehender untersucht werden, damit erkannt werden kann, welche Handlungen zu ihr führen und welche nicht.’71 Für den Thomas-Interpreten der STh ist dieser Satz zugleich als (mahnende) Handlungsanweisung zu lesen, den gegen Ende der Glückseligkeitslehre erhobenen Untersuchungsstand nicht unmittelbar mit den einschlägigen Texten der Gnadenoder Erlösungslehre zu konfrontieren, sondern vorerst Thomas weiterhin auf dem in der STh eingeschlagenen Weg zu folgen. Von daher erklärt sich der weitere Gang der Untersuchung, indem zunächst - in der im Blick auf die umfangreiche Sekundärliteratur gebotenen Kürze - auf die die menschliche Handlung konstituierenden (intellektiven und sensitiven) Handlungsvermögen72 und Handlungsprinzipien73 (»habitus«; natürliche und übernatürliche Tugenden) eingegangen wird.

1.2 Der Beitrag der menschlichen Seelenvermögen (Vernunft, Wille, Affekte) zur Verwirklichung der Gottebenbildlichkeit und zur Erlangung der Glückseligkeit
a) Die Erlangung der Glückseligkeit durch ‘vernunfthaftes Wollen’ bzw. durch ‘willentliche Akte’

Nicht weil Gott nicht auch anders könnte, sondern damit die ‘Ordnung der Dinge’ erhalten bleibt74, ist es Aufgabe des Menschen, durch freie, selbstbestimmte Akte (sich zu Gott hinzukehren und so) die Glückseligkeit zu erlangen.75 Mit dieser allgemeinen Auskunft leitet Thomas von der Glückseligkeitslehre (qu. 1-5) zur Untersuchung der menschlichen Handlung (qu. 6-21) über, in der von Beginn an die Frage nach dem Verhältnis bzw. nach dem Zusammenspiel von göttlichem und menschlichem Wirken zur Erlangung der Glückseligkeit mit im Blick bleibt. Schon nach der ersten präzisierenden Bestimmung menschlichen Handelns in qu. 6 als dem freien Willen entspringend, selbstbestimmt und in einer eigenen Wahrnehmung und Erkenntnis gründend (a. 1)76, wird erneut grundsätzlich festgehalten, daß der menschlichen Freiheitlichkeit und Selbstbestimmtheit ein göttliches Wirken nicht widerspricht.77 Doch auch wenn göttliches und menschliches Wirken ausdrücklich nicht als zwei miteinander konkurrierende, einander ausschließende Prinzipien verstanden werden, bleibt vorerst weiterhin die Art und Weise ihrer Beziehung unklar und der Erklärung bedürftig.

Die Argumentation der qu. 6 hilft in der Frage indirekt dadurch weiter, daß in ihr vertieft die Struktur, die Reichweite und die Grenzen ‘vernunfthaften Wollens’ untersucht werden. Anders als etwa bei den Tieren, deren Tätigkeiten auf eine unvollkommene Wahrnehmung oder einem Affektimpuls folgen, ist das Handeln des Menschen mehr als einfach nur zielgemäß. Es gründet in einer vollkommenen, vernunfthaften Erkenntnis eines Zieles, in der die »ratio finis«, also das Ziel als Ziel, und in der Folge auch die ‘Mittel’, durch die es erreichbar ist, erkannt werden (a. 2)78.

Doch auch wenn der Mensch aufgrund seines vernunftgeleiteten, selbstbestimmten Wollens als ‘Herr seines Handelns’ (»dominus sui actus«)79 bezeichnet wird, heißt das weder, daß sich dieses Wollen notwendig in kategorial wahrnehmbaren, ‘äußeren’ Tätigkeiten, noch daß es sich überhaupt in Akten manifestieren müßte (a. 3). Indem Thomas von den ‘äußeren Akten’ diesen vorausliegende ‘geistig-innere Akte’ unterscheidet, zieht er für den Fall, daß ein Mensch etwas ausdrücklich nicht will, die Möglichkeit in Betracht, daß auf einen ‘inneren’ Akt kein ‘äußerer’ Akt folgt, und für den Fall, daß der Wille aktuell nicht(s) will, die Möglichkeit eines freien Willens gänzlich ohne Akt. Mit dieser Argumentation nähert sich Thomas seinem Verständnis von menschlicher Willensfreiheit80: Menschliche Willensfreiheit geht nicht auf in der Fähigkeit, dieses oder jenes zu tun, sondern liegt als Prinzip menschlichen Handelns den einzelnen Willensakten und dem Handeln als solchem voraus. Wie der Wille Prinzip menschlichen Handelns ist, wird in der folgenden Argumentation herausgestellt, indem seine Beeinflußbarkeit durch äußere (Gewalt, a. 4-5) und innere Faktoren (Furcht, a. 6; Begierlichkeit, a. 7; Unwissen, a. 8) untersucht wird. Dabei kommt der Frage, ob und inwiefern äußere Gewalt die Willentlichkeit des Menschen beeinflussen kann, im Blick auf das Zusammenspiel von menschlichem und göttlichem Handeln das Hauptinteresse zu.

Thomas teilt die Auffassung, daß äußere Gewaltanwendung der menschlichen Willensfreiheit widerspricht: Was aufgrund äußeren Drucks gewirkt wird, hat offenkundig nicht mehr seinen Ursprung in einem inneren Handlungsprinzip, ist also ‘unwillentiich’ (»involuntarium«).81 Und dennoch vermag nach Thomas auch die stärkste Gewalteinwirkung die menschliche Willensfreiheit in ihrem Kern weder zu zerstören noch überhaupt zu berühren. Äußerer Gewalteinwirkung unterliegen (und somit unwillentlich werden) können zwar alle Tätigkeiten, die der Wille vermittels anderer Vermögen wirkt (»actus imperati«), wie z.B. jemand am Sprechen gehindert werden kann.82 Diejenigen Akte aber, die der Wille direkt zu wirken vermag und die ihm unmittelbar unterstehen (»actus eliciti«), d.h. alle Akte eines direkten Wollens, können demgegenüber durch keine Gewalt der Welt unwillentlich und unfreiwillig werden. Sie sind immer willentlich,83 Vor dem Hintergrund dieser Argumentation wird nun auch das mit dem menschlichen Willen einhergehende Wirken Gottes bei der Erlangung der Glückseligkeit nicht als ein gewalttätiges oder auch nur den menschlichen Willen überspringendes ‘Eingreifen’ verstanden, das die Erlangung der Glückseligkeit immer zu einer nicht dem menschlichen Willen entspringenden Handlung machen würde.84 Wenn aber eine dem Willen entspringende, freie, selbstbestimmte, d.h. willentliche Handlung zur Erlangung der Glückseligkeit ausdrücklich gefordert ist, muß das göttliche Wirken, das als ein ‘Bewegen’ bezeichnet wird85, anders gedacht werden.

Nähere Hinweise auf die Frage, wie Gott den Willen zu ‘bewegen’ vermag, ohne ihm ‘Gewalt’ anzutun, werden erst in den qu. 9-10 gegeben, in denen ganz allgemein die Art und Weise untersucht wird, wie und wodurch der menschliche Wille ‘bewegbar’ ist.86 Qu. 9 widmet sich der Frage nach der Ursache der Willensbewegung (»de motivo voluntatis«). Es wird gezeigt, daß der Wille nicht etwa von irgendeinem anderen Seelenvermögen ‘in Bewegung gesetzt’ wird, sondern als das ‘innerliche Prinzip’ menschlichen Handelns seinerseits die übrigen Seelenvermögen ‘gebraucht’ bzw. ihre Ausübung (»ad exercitium vel usum actus«) bedingt (a. 1)87. Auch der Verstand (»intellectus«) ist auf diese Weise von einem vorausgehenden Willensimpuls abhängig und wird durch ihn tätig. Doch vermag der Verstand umgekehrt auch die Willensbewegung zu beeinflussen, indem er deren formale Ausrichtung auf das ‘allgemeine Gut’ (»bonum in communi«) in einen bestimmten Willensakt (»ad determinationem actus«) überftihrt.88 Auf diese Weise wird vernunftgeleitetes Wollen möglich: Der Wille bestimmt sich auf sein Ziel, indem er sich auf die (vom Verstand wahrgenommenen und in ihrer Proportion zum Ziel erkannten) Objekte bzw. Mittel bezieht, durch die es erlangt werden kann (a. 3).

Doch obgleich der Wille in dieser Weise das ‘innerliche Prinzip’ menschlichen Handelns ist, bedeutet das nicht, daß er gänzlich selbstursprünglich wäre und nicht eines Bewegungsanstoßes von außen bedürfte (a. 4),89 Er wird seinerseits bewegt von einem ‘äußeren Prinzip’, das wie der Wille selbst nicht körperlich sein kann (a. 5) und das zu Beginn von qu. 9 in praktischer Perspektive bereits als »bonum in communi« bezeichnet worden ist. Gegen Ende der qu. 9 identifiziert Thomas dieses ‘Gut im allgemeinen’ in theologischer Perspektive mit Gott (a. 6)90. Diese Interpretation göttlicher Beeinflussung des Willens als »bonum universale« bzw. als ‘universaler Antrieb’ (»motor universalis«) erlaubt es, eine ‘äußere’ Beeinflussung des Willens durch Gott und freies, selbstbestimmtes und willentliches Handeln des Menschen zusammenzudenken. Es zeigt sich jedoch bei näherem Hinsehen, daß in dieser Deutung zwar die allgemeine Weise erklärt wird, wie göttliches Wirken und freier Wille miteinander bestehen können, jedoch noch nicht eine andere, speziellere Weise, in der der Mensch die Glückseligkeit erwirbt. Um das höchste Gut zu erlangen, so sagt Thomas in demselben Artikel ausdrücklich, bedarf es eines über das allgemeine Wirken Gottes in der Welt hinausgehenden göttlichen Wirkens, bedarf es der Gnade.91 Die ausführliche Diskussion und Problematisierung dieser zweiten, besonderen Weise göttlicher Einflußnahme auf den Willen des Menschen wird einem späteren Zeitpunkt vorbehalten.92 So bleibt es vorerst weiterhin unausgemacht, was mit dem gnadenhaften Wirken Gottes gemeint ist, und die Frage, ob und wie Gnade und Willentlichkeit zusammen bestehen können, muß zunächst zurückgestellt werden.

Das Frageinteresse der qu. 10 konzentriert sich demgegenüber zunächst wieder auf die Ergründung der allgemeinen Art und Weise, wie der Wille ‘bewegt’ werden kann (»de modo quo voluntas movetur«). Näherhin geht es um die Frage, ob und wie die formale Ausrichtung des Willens auf das ‘vollkommene Gut’ (»bonum in communi«) die Freiheit zu und gegenüber den mannigfachen ‘Einzelgütern’ (»bona particularia«) ermöglicht.

Zu Beginn der Untersuchung wird gezeigt, daß das ‘Gut im allgemeinen’ zwar das eigentliche, aber nicht schon das einzige Objekt des Willens ist, zu dem dieser sich gewissermaßen ‘naturhaft’ (»naturaliter«) hinneigt. Denn mit dem »bonum in communi« erstrebt der Wille auch die (natürlichen) Objekte und Ziele der übrigen Seelenvermögen, wie z.B. die Erkenntnis des Wahren, die Selbst- und Arterhaltung und dergleichen (a. 1).93 Alle diese Teilgüter, die in einer direkten Verbindung mit dem ‘letzten Ziel’ stehen, werden sogar in einem gewissen Sinn ‘notwendig’ gewollt.94 Wie das ‘Gut im allgemeinen’ können sie den Willen zwar nicht zum Tätigwerden (»ad exercitium actus«) zwingen. Doch da sie ersichtlich höchste Güter für den Menschen sind und in einer leicht einsehbaren, direkten Hinordnung auf das ‘höchste’ Gut stehen, wird der Wille von ihnen in der Art und Weise, wie er ausgeübt wird (»ad specificationem actus«), beeinflußt. Der Wille ist zwar auf das ‘letzte Ziel’ notwendig festgelegt (insofern es ihm nicht möglich ist, das Gegenteil zu wollen)95, so daß er folglich ebenso auf die genannten ‘höchsten Ziele’ auf natürlich-selbstverständliche Weise ausgerichtet ist. Aber gegenüber allen übrigen ‘Gütern’, die nicht in einer unmittelbaren Beziehung zum ‘letzten Ziel’ stehen, besteht ein Handlungsspielraum und Entscheidungsfreiheit: der Mensch kann sie anstreben, doch ist er nicht notwendig auf sie festgelegt und nicht durch sie in seiner Handlung determiniert (a. 2).96

Nachdem Thomas somit die Freiheit des menschlichen Willens gegenüber den kategorialen Teilgütern ‘dieses Lebens’ aus dessen (transzendentaler bzw.) formaler Ausrichtung auf das ‘Gut im allgemeinen’ erklärt hat, folgt gegen Ende der qu. 10 erneut die Verschränkung der praktischen mit der spekulativen Fragehinsicht: Weil Gott als das »bonum in communi« den Willen bestimmt, ist der Mensch nicht auf bestimmte Handlungen festgelegt, sondern umgekehrt: es wird ihm gerade so die Möglichkeit eröffnet, frei und selbstbestimmt zu handeln (a. 4)97.

Gottes (allgemeines) Wirken in der Welt, so läßt sich zusammenfassen, geschieht gemäß den Bedingungen seiner Geschöpfe. Menschliches Handeln vollzieht sich unter dem formalen Apriori eines grundsätzlichen Verlangens nach der Glückseligkeit.98 Negativ ausgedrückt bedeutet das zugleich, daß Gott bzw. die Glückseligkeit unter den Bedingungen des hiesigen Lebens (Endlichkeit des Menschen; Defizienz seiner Handlungskräfte) nicht materialer Gegenstand des Handelns werden kann. Dem Menschen ist es unter allen geistigen Geschöpfen aufgetragen, sich dem umfassendsten und vollkommensten Gut seines Lebens in der Mannigfaltigkeit und unbegrenzten Vielfalt des sittlichen Handelns zu nähern.99

Bevor Thomas sich jedoch der Frage zuwendet, wie die Handlungen beschaffen sein müssen, damit sie den Menschen zum Ziel seines Lebens führen (qu. 18-21), vermittelt er zunächst einen Einblick in den formalen Aufbau menschlichen Handelns. So wird in den qu. 11-17 die Art und Weise untersucht, wie sich menschliches Handeln auf ein als ‘Gut’ erkanntes Ziel hin bestimmt und verwirklicht und aus dem Zusammenspiel und Nacheinander von erkenntnishaften und willentlichen Phasen und Aspekten desselben Aktes erklärt100: Der (sinnlichgeistigen) Wahrnehmung und Erkenntnis eines ‘Gutes’ entspricht und folgt das willentlich-bewußte ‘Intendieren’ (»intentio«; qu. 12) des Handlungszieles. Weil der Wille, wie gesagt, ein Ziel dadurch erstrebt, daß er sich auf die ‘Mittel’ bezieht, durch die es erreichbar wird, setzt mit der Intention eines Zieles die ‘Überlegung’ (»consilium«; qu. 14) der diesem Ziel proportionierten Mittel ein. Wenn der Wille der Überlegung des Verstandes ‘zustimmt’ (»consensus«; qu. 15) und die überlegten Mittel ‘wählt’ (»electio«; qu. 13), folgt auf die ‘Anordnung durch die Vernunft’ (»imperium«; qu. 17) der ‘Gebrauch’ (»usus«; qu. 16) der Mittel bzw. die Handlungsdurchführung. Wenn die Mittel tatsächlich zur Erlangung des intendierten Handlungszieles führen, findet die Handlung in einer ‘freudig-erfüllten Ruhe’ (»fruitio«; qu. 12) des Willens ihren Abschluß.101

Der gerade skizzierten, recht formalen Analyse des (aus erkenntnishaften und willentlichen Teilakten zusammengesetzten) menschlichen Handelns folgt in den qu. 18-21 der Aufweis eines allgemeinen Prinzips der Moralität, die Unterscheidung von Gut und Böse der Handlung. Den Ausgangspunkt der Überlegung in der qu. 18 bildet die bereits in der Ia Pars der STh grundgelegte102, metaphysische bzw. ontologische Bestimmung von Gut und Böse: “Über Gut und Böse bei den Tätigkeiten ist ebenso zu sprechen wie von Gut und Böse in den Dingen.”103 Wie nun aber ein jedes Ding insofern ‘gut’ ist, als es ‘Sein’ hat, so bestimmt sich auch die Güte einer Tätigkeit danach, ob sie dem Seienden, das der Tätigkeit zugrunde liegt, entspricht oder nicht entspricht, bzw. ob sie zur ‘Seinsfülle’ (»plenitudo essendi«) beiträgt oder diese mindert (a. 1)104. Die ontologische Analyse der Moralität bleibt zunächst auch in den nachfolgenden Artikeln (a. 2-4) vorherrschend: Wie sich die Güte eines natürlichen Dinges nach dessen Übereinstimmung mit (bzw. Abweichung von) dem zugrundeliegenden ‘Form-Prinzip’ richtet, so empfängt auch die Handlung ihre ‘Art’ vom Gegenstand (»obiectum«) her und wird in dem Maße ‘gut’ genannt, als der Gegenstand dem Handelnden entspricht (a. 2)105. Und schließlich wird - ebenfalls in strenger Analogie zu den Dingen, deren Seinsfülle sich auch durch Akzidentien und von dem Seienden, von dem es bewirkt ist (»esse ab alio«), bestimmt - auch von der Handlung gesagt, daß sie durch ‘Umstände’ (a. 3) und das (intendierte) ‘Ziel’ (a. 4) der Handlung gut oder schlecht wird.

Trotz der in den ersten vier Artikeln der qu. 18 vorherrschenden metaphysischen Analyse der Moralität trügt jedoch der Eindruck, daß moralische Erkenntnis aus der Erkenntnis des Wesens als vorgegebener Bestimmtheit abgeleitet werden könnte.106 Der nachfolgende Artikel (a. 5) macht deutlich: “Die moralische Ordnung“, in einer Formulierung W. Kluxens gesprochen107, “findet zwar im Umkreis der Dinge statt“, doch ist die ontologische Analyse der Moralität als Reflexion108 auf das anzusehen, was ursprünglich durch das höchste Seelenvermögen des Menschen, im Vollzuge der Vernunft schon erkannt ist. “Die spezifisch praktische Erkenntnis gewinnt … das ‘Prinzip der Moralität’ in ihrem eigenen Vollzuge und ist nicht darauf angewiesen, aus einer nicht-praktischen Wesenseinsicht, die ihr vorausläge, ihre Gründung zu erwarten.”109 Bei Thomas führt kein Weg der direkten Ableitung von der Metaphysik zur Ethik.110 Die menschliche Vernunft ist der Maßstab des moralischen Unterschiedes, d.h. Maßstab von Gut und Böse: Je nachdem, ob sich das Handeln nach dem ‘Maß’ der Vernunft (»secundum rationem«) oder gegen das ‘Vernünftige’ (»praeter rationem«) richtet, bestimmt sich dessen Gutheit bzw. Schlechtheit.111 Von der Vernunft als dem Prinzip menschlichen Handelns ausgehend (a. 5), werden die in den ersten vier Artikeln der qu. 18 genannten Faktoren der Handlung (sc. der Gegenstand, das Ziel und die Umstände der Handlung) für die moralische Bewertung bzw. Spezifikation nach und nach in die Überlegung einbezogen. Daß die vom Ziel her kommende Bestimmtheit der Handlung gegenüber derjenigen Bestimmtheit, die von den Umständen und vom faktischen Handlungsgegenstand ausgeht, die grundlegendere und maßgeblichere112 ist (a. 6-7), wird eingehend in qu. 19 untersucht: Über die Gutheit und Schlechtheit eines Aktes entscheidet in erster Linie das Ziel als das spezifische Objekt des Willens (a. 1-2), das die Vernunft in ihrer ‘regelnden’ und ‘maßstäblichen’ Funktion dem Willen vorgibt (a. 3-5).113 Und weil sich die Güte des Willens nach der Güte des ‘intendierten’ Zieles und somit nach der Güte der »intentio« bemißt (a. 7), ist der Wille in dem Maße gut, wie er von der Vernunft (in formaler Weise; »formaliter«) auf das ‘höchste Gut’ ausgerichtet wird (a. 9). Auf diese Weise, d.h. “im Wollen dessen, ‘was Gott will, daß der Mensch will’”114, kann der menschliche Wille dem göttlichen Willen gleichförmig werden (a. 10).

Nun geht die Güte der »intentio« jedoch nicht einfach bruchlos auf die faktische Handlung über. Schon der noch nicht nach außen getretene ‘innere Akt’ kann sich von der Güte der »intentio« unterscheiden, wenn er etwa der Intensität nach schwächer wäre oder die Mittel zur Erreichung des Zieles diesem nicht proportioniert wären. In seiner Abhängigkeit115 vom ‘inneren Akt’ kann folglich aus den gleichen Gründen und zudem aufgrund möglicher (äußerer) Widerstände und Hindernisse auch der ‘äußere Akt’ an Güte weit geringer sein als die »intentio« (a. 8). Wenn aber somit sowohl der ‘innere’ als auch der ‘äußere Akt’ von der Güte der »intentio« abweichen können, dann ist daraus zu folgern, daß sich die Gutheit des ‘äußeren Aktes’ nach der ‘gemeinsamen Güte’ (»integritas bonorum«) aller beteiligten Einzelfaktoren richtet (qu. 20)116 und sich somit, wie oben erwähnt, sowohl nach dem intendierten Ziel als auch nach dem Gegenstand und den Umständen117 einer Handlung bestimmt.

Mit der Nennung aller für die Gutheit bzw. Schlechtheit einer Handlung maßgeblichen Faktoren kann Thomas in qu. 21 auf die Konsequenzen und Folgen menschlichen Handelns eingehen. Je nachdem, ob menschliches Handeln der Vernunftordnung (als der spezifisch menschlichen Teilhabe an dem Ewigen Gesetz Gottes) entspricht oder nicht, hat es den Charakter der ‘Rechtheit’ (»rectitudo«) oder der ‘Sünde’ (»peccatum«)118 (a. 1); und insofern es willentlich (»voluntarius«) und dem Menschen zurechenbar ist, trägt es den Charakter des ‘Lobenswerten’ oder des ‘Schuldhaften’119 (a. 2).

Von wirklichen Konsequenzen sündhaften-schuldhaften bzw. rechten-lobenswerten Handelns im Sinne einer ‘Vergeltung’ (»retributio«) spricht Thomas im Blick auf zwei Rechtsordnungen. Als Teil der Gesellschaft steht der Mensch auch in der Rechtsordnung dieser Gesellschaft, und so kann sein Handeln ‘verdienstlich’ oder ‘mißverdienstlich’ sein und eine entsprechende ‘Vergeltung’ zur Folge haben (a. 3).120 Ebenso ist das Handeln des Menschen gegenüber Gott ‘verdienstlich’ oder ‘mißverdienstlich’. Weil nämlich menschliches Handeln entweder dem ‘letzten Ziel’ gemäß ist oder nicht, kommt Gott mit der Regierung des Weltalls auch die Vergeltung menschlichen Tuns zu (a. 4).121

Wenn aber mit der göttlichen Vergeltung im letzten nichts anderes als die Teilnahme des Menschen an der göttlichen Glückseligkeit (in der »visio beatifica«) bzw. das Verfehlen des ‘höchsten Zieles’ gemeint sein kann, ist als weiteres Zwischenergebnis dieser nach den Voraussetzungen für die Erlangung der Glückseligkeit fragenden Studie zwar einerseits festzuhalten, daß die Erlangung der vollkommenen Glückseligkeit als notwendige Bedingung ein vernunftgeleitetes, in formaler Weise auf das Letztziel ausgerichtetes ‘gutes Handeln’ des Menschen erfordert. Die vielen Hinweise, in denen ein über Gottes allgemeines Wirken in der Welt hinausgehendes spezielleres Wirken in der Gnade zur Erlangung der Glückseligkeit betont wird, machen andererseits ebenso deutlich, daß ‘menschliche Freiheit’ allein zur Erlangung der Glückseligkeit nicht ausreicht.

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