»Mein arm Schwesterchen, sitze da nieder. Ich will ein weiches Kissen hinter deinen Rücken legen – neige dein Häuptchen seitwärts, auf daß der balsamduftende Südwind auf deiner Wange spielen könne. Sieh doch, wie alles hier dich liebt; die Blumen wenden dir ihre Kelche zu, die Vögel singen dir ihre schönsten Lieder, und dort zu deinen Füßen das schimmernde Bächlein fließt langsamer und murmelt leiser. Dort hüllt die Abendsonne die Felder in Purpurgluth . . . fühlst du nicht, wie der herzugelockte Zephir in deinen blonden Haaren, um deinen schlanken Hals koset und spielt?«
»Bruder, die Natur ist so schön, nicht wahr! Alles lacht und jauchzt um uns herum, alles ist Freude und Genuß. Warum spricht die Mutter mir denn stets von einem noch schöneren und noch glücklicheren Vaterlande? Und warum glänzen Thränen in ihrem Auge, wenn sie mir sagt, daß eine bessere Stätte mein harre?«
»Liebste Rosa, wenn die Thränen der Menschen edeln Gesteinen gleich vielfarbig schimmerten, dann sähest du der Mutter Auge hellweiße und schwarze Perlen entrollen; sie trauert ob deinem frühen Hingange in das bessere Vaterland und freut sich doch auch wieder, daß der Herr dir die Krone der reinen Seelen schenkte.«
»Werde ich bald dahin ziehen, Bruder?«
»Gott nur weiß das, Rosa.«
Die Schwester, sinnend.
»Dort schnellt ein Vogel so eilig vorbei. Er hat ein Würmlein im Schnabel, und trägt es seinen Jungen, als speise zu. Horch, wie die kleine Familie ihn so fröhlich empfängt . . . Wenn die Jungen singen werden, werde ich dann in dem andern Vaterlande sein?«
»O Schwester, sprich nicht so, wenn der Engel früher kommt, wirst du auch mit ihm gehen.«
»Sieh, die Rosenbüsche versprechen noch so viele Blumen . . . werde ich schon jenseits sein, ehe die lieben Knöspchen sich erschließen?«
»Laß nicht so trübe Bilder deine Seele umnebeln. Genieße in Frieden der Gaben Gottes, Rosa. Nimm diese Rose, sie ist dein Bild und trägt deinen Namen; ihr duftreiches Herz möge dich erquicken.«
Die Schwester, die Blume betrachtend.
»Arm Röschen, warum bist du schon so frühe von deinem Stengel gerissen! Bruder, was wird nun der Rose Loos sein?«
»Sie wird welken und sterben.«
»Sterben? Sterben? Das Wort macht mich zittern. Ich auch muß wohl sterben, ehe ich auffahren kann in das hohe Vaterland.«
»Der Tod mag dem Bösen schrecklich sein; dir, Schwester, wird er lächelnd und lieblich erscheinen.«
»Und doch fühle ich meine Brust von Angst gedrückt. Was nur wird mit mir geschehen in dem unbegreiflichen Augenblicke, vor dem ich mich so sehr fürchte?«
»Schwester, einen Engel wirst du zu deiner Rechten erscheinen sehn; der gießt einen Strom von Licht wie zur Taufe für’s Jenseits um dich her, umschließt dich mit seinen Armen, breitet seine goldnen Flügel aus und trägt deine Seele jubelnd zu Gott, der dir eine schöne Stelle im Himmel bereitet hat.«
Die Schwester, nach langem schweigen.
»Bruder, ich fühle meine Augenlider schwerer werden; ich möchte wohl in den schmeichelnden Sonnenstrahlen schlummern, es würde mich erquicken.«
»Lege dein Haupt auf das Kissen, Rosa; ich will wachen bei dir, während du schlummerst.«
»Nicht so Bruder . . . Lege das Kissen zu meiner Rechten; da wird immerhin der Engel des Herrn stehn. Siehst du nicht etwas, einer silbernen Lichtwolke gleich neben mir? der Engel ist vielleicht schon da.«
»Nein, Schwester, heute kommt er noch nicht. Scheuche die trügerischen Gedanken und lege dein müdes Haupt still zur Ruhe.«
Die Schwester
(das Köpfchen niederlegend und gedankenlos eine Blume entblätternd).
»Wecke mich Bruder, wenn ich zu lange schlafen sollte.«
»Zwei welkende Blumen! – Arm Röschen, da liegen deine rothen Blätter, Blutflecken gleich, auf dem Schnee ihrer Hand.«
»O lieb Schwesterchen! Du malst dein schmerzlich Bild so ganz. Deine sechzehn Jahre entflohen auf den weichen Flügeln der Mutterliebe und der Freundschaft; gleich diesen Blättern sahst du sie froh und freudig glänzen und schwinden; doch nun – kronberaubte Blume auf gebrochenem Stengel – nun hast du nicht ein Blättchen mehr, es dem Strome des Lebens zu schenken. Dein Haupt neigt bleischwer dem Grabe zu, die Seele ringt sich los vom siechen Körper und vielleicht steht wirklich schon der Engel an deiner Seite.«
»Zurück, du böser Geist, was suchest du hier?«
»Meinst du, Engel des Lichtes, ich werde dir eine Seele ohne Kampf überlassen? Treibt dich deine Liebe zum Schutze der Menschen, dann treibt mich mein Haß, sie zu verfolgen.«
»Dein Haß! Was hat das Mägdlein dir gethan?«
»Ist sie nicht eine Tochter Eva’s?«
»Sie ist es.«
»Das Mägdlein ist Mensch; sie kann zu Gott und eine Stelle finden vor seinem Angesicht. Ich, überwunden, niedergedonnert, zum Abgrunde verdammt, ich allein bleibe ewig verbannt. Dem verachteten Lieblinge ist mein mir geraubtes Vaterland geschenkt. Und ich sollte ihn nicht hassen, nicht verfolgen? O zu lange schon sprach ich. Der Neid brennt glühend in meiner Brust. Mir diese Seele!«
»Sie ist rein, du hast keinen Theil an ihr.«
»Wohlan, wir wollen sehn. Dir die kalte Wahrheit, mir die verführende Lüge. Beginnen wir den Kampf.«
(Ein tiefer Schlaf sinkt auf den Bruder; eine Nebelwolke umschließt ihn. Die Luft wird warm und duftig; reich prangende Blumen erblühen rings um die Schwester, Vögel singen in Menge auf den Bäumen).
»O du Allmächtiger, gieb meiner schutzbefohlenen Kraft, in diesem letzten Streite nicht zu erliegen, auf daß ich mit der geliebten, durch das Feuer der Prüfung geläuterten Seele vor deinem Throne erscheinen mag, daß ich nicht Jahrhunderte hindurch den Verlust des süßen Mägdleins betrauern muß.
»Gott, was ist das? Genesen? Welch süße Täuschung! Doch nein, Täuschung ist es nicht. Mein Herz schlägt kräftig, frisch strömt mir das Blut in den Adern. Wo bin ich? Alles ist hier so himmlisch schön! Wie duftig ist die Luft, wie prachtvoll der Blumenteppich, wie entzückend die Stimme der Vögel. Sollte der Engel mich bereits empor getragen haben nach dem himmlischen Vaterlande?«
»Sieh, da beugt eine Rose den zarten Stengel vor mir. Komm, liebe Blume, ruhe frei auf meinem Schooß, ich will dich nicht pflücken. Wie schön, wie reich sind die Töne Deines holden Angesichts!«
»Schwester, ich will in deinem Schooße ruhen, um dir ins bezaubernde Antlitz zu schauen. O wie bist du schön! Keine unter uns hat Blätter, deren Farbe so klar und durchsichtig wäre, wie das Roth deiner Wangen. Schlage deine langen Wimpern empor, damit ich deine schwarzen Augen glänzen sehe! Ich beneide die Korallen deines süßen Mundes; wären meine Blätter wie deine Lippen, dann würde ich morgen an der Brust einer Königin verwelken. O lächle noch einmal, Schwester, denn alsdann gleicht dein Mund einer Rosenknospe, in deren Kelch die reichsten Perlen funkeln. Du bist dann unaussprechlich schön, entzückend wie der jüngste Morgenstrahl!«
»Du irrst wohl, liebe Blume, oder hauchten deine Blätter das Lied, das die Rosen einander von ferne zusingen?«
»Nein, nein Schwester, nichts auf Erden ist schöner wie du! Sieh, das Bächlein zu deinen Füßen hält seine murmelnden Wellen zurück, um dein Bild zu fassen und zu spiegeln. O, dürft ich an deinem Busen oder in deinen seidenen Haaren sterben! Hab’ Erbarmen mit deiner armen Schwester, und brich sie von ihrem Stengel, damit sie dich nimmer verlasse!«
»Möchtest du lange an meinem Herzen so frisch und lieblich prangen, liebe Blume . . . Aber, welch unbekanntes Feuer glüht plötzlich in meiner Brust! . . . Rose, deine Dornen verwunden mich (wirft die Blume weg). Deine Freundschaft ist nicht aufrichtig.«
D er Böse in dem Bache.
»O du allerschönste Maid, du liebliche Rosa!«
»Wer nannte meinen Namen?«
»Engel, wie oft hast du an meinem grünen, frischen Rande gesessen. O erzeige mir auch heute die Gunst und beuge deinen Schwanenhals über mich, und schenke mir dein zauberisch Bild.«
Die Schwester
»Wie rosig sind heute meine Wangen! die Amsel hat keine dunkleren Federn als mein Haar, der schwarze Achat funkelt nicht feuriger als meine Augen; die Lilie ist nicht blendender als meine Stirn . . . «
»Ha ha, Engel des Lichts, du nimmst ja eine trübe Miene an ! Führst du noch deine verwegene Sprache? Nein, nicht wahr? Du siehst, wieviel ich über die Magd vermag. Besitze ich nicht die zwei untrüglichen Schlüssel zu dem Gemüthe der Frau – Eitelkeit und Liebe? Ein Schlüssel hat bereits ihren Busen erschlossen, der Hochmuth wurzelt schon in ihrem Herzen.
Nicht wie du, Geist der Finsterniß, will ich mich eines unsichern Sieges rühmen. Fahr fort mit deinen Lügen; Adam’s Sünde hat den Menschen deiner Versuchung unterworfen, aber vergiß nicht Böser, daß die Geprüften bei Gott höher stehen, als die Unangefochtenen. Du bereitest der Magd einen glänzenden Platz im Himmel, wenn sie überwindet, dir selbst aber die unaussprechliche Qual, einem Menschen Gutes gethan zu haben.«
»Ah! du verstehst es, die Schmerzenssaite in meiner Brust zu rühren! O, könnte ich sie zum Falle bringen, der Abgrund sollte Jahrelang von meinem Freudengeschrei wiedertönen! Aber, sie wird fallen, sie strauchelt, – ja, da verliebt sie sich bereits in sich selbst. Sieh, wie sie ihrem Bilde zulächelt, . . . Gib Acht, ich will dein Werk schon vernichten!«
»Lieb Bächlein, haben sich schon mehr Mädchen auf deiner silbernen Fläche gespiegelt, und war Keine mir ähnlich?«
»Mehr denn hundert Mädchen haben ihr Bild in mir bewundert. Eine Einzige war schön: auf ihrem Gewand glänzten Gold und Edelsteine, und frische Blumen wiegten sich duftend auf ihren langen Locken; ich sah wie zwanzig schöne Jünglinge sie bis an mein Ufer verfolgten – vor ihr niederknieten – um einen Blick ihrer Augen flehten – und sterbend ausriefen: O Grausame! zu deinen Füßen zu sterben ist Himmelsseligkeit! – Und dennoch, engelgleiche Rosa, besaß sie weder dein bezaubernd Antlitz noch deine schlanke Gestalt: im Vergleich mit dir war sie nur wie eine armselige Distel neben der stolzen Lilie!«
»Die Schönste sein – wie eine irdische Gottheit angebetet werden! – . . . Aber, welch süße Stimme dringt zu meinem Ohr? Dieselbe, die mich in meiner Krankheit tröstete – sie ist nun so traurig und klagend . . . «
»Rosa, hast du deines guten Freundes ganz vergessen? Weißt du nicht mehr, wer an deinem Bette gewacht hat, um dir die schmerzen zu erleichtern und den Schlaf zu versüßen?«
»Wohl weiß ich’s noch, und liebe dich immer: aber warum ist deine Stimme nun so traurig?«
»Rosa, du weißt nicht, wer ich bin, und dennoch habe ich dich nicht verlassen, von der Stunde deiner Geburt an, bis heute. Ich stand neben deiner Wiege, und sandte dir den süßesten Schlaf; deine lieben Träume waren Blumen, die meine Hand über dein Bettchen streute. Ich bewachte deine ersten Schritte, und entfernte dir jeden Stein aus dem unebnen Lebenswege. Obgleich über die Menschen erhaben, hat mich doch die Liebe zu deiner Seele zu deinem Sclaven gemacht . . . ich war glücklich, Rosa, weil nur Glück deiner wartete. Dein Herz glich dem reinsten Spiegel, ungetrübt vom leisesten Hauche. Das sinkende Licht zeichnete uns schon in dem unendlichen Raume die Bahn vor, die wir vereint zum Himmel ziehen sollten. Noch eine einzige Stunde, und du hörtest den Gruß der Engelchöre . . . Nun, wehe, ist deine Seele durch sündige Eitelkeit befleckt. das Licht ist verblichen . . . mein Herz bricht im Schmerze um dich.«
»Liebst du mich so sehr, guter Geist! sag mir, was hab ich gethan, das dir solche Schmerzen bringt?«
»Du bist zu eitel auf deine eigene Schönheit gewesen.«
»So gestehst du auch daß ich schön bin?«
»Ha, ha! brav gesprochen.«
»Das Böse ist wie ein wucherndes Unkraut, das tiefe Wurzeln schlägt . . . der Herr gab der Hindin feingeformte, flüchtige Füße, dem Schwane den schlanken Hals, dem Pfau das reiche Federkleid, der Taube die sanften Augen, der Nachtigall das süße Lied. – Mögen sie sich rühmen der Gaben, die ihnen Gott geschenkt hat! Aber der Mensch, o Rosa! soll der sich nicht erheben über den Staub des Irdischen? Hat er nicht ein andres kostbares Kleinod ? Wohnt in ihm nicht das Ebenbild seines Schöpfers, die Seele? solltest du dieß hohe Gottesgeschenk verkennen, Rosa? solltest du undankbar werden?«
»Nein, nicht undankbar; aber ich freue mich doch an der körperlichen Schönheit, die Gott mir verlieh.«
»Engel des Lichts, ende den nutzlosen Streit, denn deine Bestrebungen sind vergebens. Sie verwickelt sich zu fest in meine Stricke: mir wird sie gehören.«
»Sieh! o theures Schutzkind, wie meine Thränen fließen ob deiner Worte. Du irrst; mögen deine Schwachheit und Unerfahrenheit dich bei dem Allgütigen entschuldigen.«
»O weine nicht um mich, du Guter; ich leide bei deiner Trauer und begreife wohl, daß dieß neue Gefühl mir schaden wird, sonst könnte es dir ja keinen Schmerz bereiten, mein treuer Freund? Könnte ich es aus meinem Busen verbannen, gewiß, ich würde es thun, dich zu trösten; aber es gebricht mir an Kraft dazu.«
»Zurück, Verführer! dein schwacher Strick wird reißen!«
»Rosa, du hast ein Angesicht und eine Gestalt, die vollkommen genug sind, um dir die Bewunderung der Welt zu erwerben; aber höre, was du noch mehr hast. Deine schöne Seele ist reich an Tugenden, klar und rein wie ein Diamant; sie gefällt deinem Gotte, und bleibt sie so, dann wird sie ewig vor dem Angesichte des Unnennbaren leben. Sage mir, Rosa, wenn du nur eine dieser beiden Schönheiten behalten dürftest, und dir die Wahl gelassen würde, welche würdest du erwählen?«
»Dann würde ich immer die Schönheit der Seele behalten.«
»Du thust wohl daran, Rosa; ein neuer Stern wird dafür an deiner himmlischen Strahlenkrone glänzen.«
»Du hast in diesem Streite gesiegt, Engel des Lichts. Aber nicht so glücklich sollst du in dem zweiten und entscheidenden Kampfe sein. Prüfen wir die Seele in dem Feuer der weltlichen Liebe.«
»O ja, die Schönheit der Seele ist unvergänglicher; sie gefällt dem guten Gotte – der Leib nur dem Menschen.«
(Zwei Turteltauben kommen auf einen Weidenzweig geflogen).
»Ihr lieben Turteln, ich will rein und schuldlos bleiben wie ihr Täubchen, ich liebe meinen Bruder so heiß und so zärtlich wie du den deinen liebst.«
»Wie lange noch, Grausame, willst du gefühllos bleiben für meinen Schmerz? Ich vergehe vor Liebe und Trauer, und du bist immer gleichgültig: hast du denn ein Herz von Stein?«
»Ich begreife dich nicht, mein Freund, du trauerst und weinst um ein unbekanntes Weh? seh ich dich nicht gerne? Hab ich dich verlassen um einem andern Bruder zu folgen? Du bleibst mir stets theuer, mein guter treuer Freund und Beschützer.«
»Bruder, Bruder! ich will dein Bruder nicht länger sein! Das kalte Gefühl der Freundschaft ist einem andern Feuer gewichen, das mich verzehrt.«
»Sonderbarer Vogel! er will weder Freund noch Bruder sein, und doch liebt er seine Begleiterin so heiß. So sprach wohl früher mein Spielgenosse, der arme Ludwig mit mir. Ich verstand ihn nicht: – er wollte auch mein Bruder nicht mehr sein, – und er zog nach fernen Landen, weil ich seine Herzpein nicht begriff. Was verlangte er denn? . . . Ich weiß es nicht . . .
»Dein Anschlag scheitert an dem reinen Gemüthe der Magd. Gelobt sei der Herr!«
»Meinst du, mein Kampf sei geendet? Ich wollte nur eine Erinnerung in ihr erwecken; ich habe erst angefangen das Herz der Jungfrau zu umstricken. Sie sagte da einige Worte, die nicht verloren sind. Du wirst schon sehen!«
»Wer kommt da? O Himmel sollte es Ludwig sein? Ja, ja, es ist mein Spielgenosse! Welche Freude! Ludwig, guter Ludwig!«
»Rosa, hast du wohl einmal an deinen unglücklichen Freund gedacht?«
»Ach täglich! nimmer werde ich meine kindlichen Spiele und den vergessen, der sie stets so treulich mit mir theilte. Aber du, Ludwig, hast du in der weiten Welt deine kleine Gespielin nicht vergessen?«
»Deine Frage, Rosa, dringt mir wie ein Dolchstich in’s Herz!«
»Warum denn?«
»Wirst du mich denn nimmer begreifen und verstehen, Rosa? Ich verließ diesen Ort in Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung; wie ein Wahnsinniger irrte ich umher in unendlichem Leiden. In unbekannten Strecken rief ich deinen Namen den Wäldern zu, klagte den einsamen Feldern meinen Schmerz, verkündete den Vögeln deine Schönheit, und deine Grausamkeit den starren Felsen. Ich bezeichnete meinen Pfad mit heißen Thränen, denn dein Bild verfolgte mich überall; es blieb mir keine andre Erinnerung als die an deine bezaubernden Augen, und deine harte Gefühllosigkeit. Ich dachte dein am Morgen, am Tage, am Abend und in der Nacht . . . Und du kannst fragen, hast du deine Gespielin nicht vergessen? – O Engelgleiche, habe Mitleid mit mir, oder ich sterbe!
»Hinweg, hinweg! deine Hände brennen wie Feuer, deine Blicke durchbohren mein Herz . . . o raube mir nicht meinen Seelenfrieden!«
»Immer dieselbe Kälte! Durchströmte auch deinen Busen die Gluth die mich erfüllt, du würdest meine heißen Hände nicht fühlen! sieh, du Harte, ich vergehe vor Schmerz: meine Augen brechen – du mordest deinen treuen Freund, und siehst gefühllos seinen Tod; o Erbarmen, Erbarmen!«
»Armer Ludwig! könnte ich dir deine Schmerzen erleichtern, ich thäte es gern.«
»Du kannst es, Geliebte! sage, daß du mir gehören willst, daß du Niemand mehr liebst, denn mich.«
»Ludwig, ich habe eine Mutter, die ich auch liebe.«
»Es sei, liebe deine Mutter.«
»Ich habe einen Bruder.«
»Liebe auch deinen Bruder; aber sage, daß du die Meine sein willst, daß du Niemand mehr liebst denn mich.«
»Und wenn ich es sagte, Ludwig?«
»O liebe Rosa, dann sterbe ich nicht, und lebe ewig in deiner Liebe.«
»Rosa, Rosa, solltest du einem Menschen mehr denn Gott lieben?«
»O ich liebe auch meinen Gott. Aber da stirbt mein armer Freund; soll ich ihn nicht trösten?«
»Rosa, Rosa, sprich schnell das beseligende Wort; schon fühl’ ich den kalten Hauch des Todes.«
»Ich spräche das Wort, fürchtete ich nicht meinen Herrn zu erzürnen.«
»O du liebst mich nicht, grausame Rosa. Du freust dich an meinem Tode. Sollte eine kleine Sünde dich abhalten mich zu retten? Könntest du nicht durch Reue Entschuldigung erlangen? Sieh, mein Herz blutet in bitterem Leiden, mein Haupt sinkt ermattet zu Boden . . . Schnell, schnell das errettende Wort!«
»Sprich nicht, Rosa, unglückliches Kind!«
»Soll denn mein armer Freund hilflos sterben?«
»Rosa, beschließe über dein Loos: vor dir liegt ein Mensch, der leidet, und in Liebespein zu sterben behauptet. Droben auf dem höchsten Throne im Himmel sitzt ein Gottmensch, der dir seine Liebe geschenkt hat, der sein Blut stromweise auf Golgatha für deine Seligkeit vergossen hat.«
»O Mitleid, habe Mitleid mit mir.«
»Ich bin rathlos! was thun ? armer Ludwig!«
»Rosa, bald wird deine Stunde schlagen! O Geliebte, sieh meine fließenden Thränen! hier, hier ist der Tod! . . . sprich schnell das Urtheil zu deiner Verdammung oder zu deinem ewigen Heile! . . . Willst du dem Jüngling und der Welt, oder deinem Gotte, deinem Erlöser, der deine Seele liebt, angehören? Wem, wem wirst du gehören, dem gekreuzigten Jesus oder diesem Jünglinge? Sprich!«
»Ja Rosa, sprich!«
»Ludwig, Ludwig, dein Angesicht ist verführerisch, deine Liebe feurig, und dein Leiden unaussprechlich . . . «
»O Gott! sie fällt!«
»Sprich, sprich, mir die Seele!«
»Und doch liebe ich meinen süßen Jesus über Alles; meine Liebe und meine Seele ewig meinem Gotte!«
»Heil, heil! sie hat gesiegt! Gelobet sei Gott in der Höhe!«
»Verdammt, verdammt! sie hat gewonnen! der Abgrund muß nun von meinem Schmerzesgeheul erbeben . . . Verflucht, du Engel des Lichts!«
(Der Garten nimmt seine vorige Gestalt wieder an: der Bruder erwacht und steht auf).