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Читать книгу: «Abendstunden», страница 8

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Die neue Niobe

Was unter Gottes Hand nicht beugen will, das bricht.

J. Cats.

Vor einigen Jahren, und zwar gegen die Mitte des Jahres 1832, lebte in Antwerpen eine reiche Wittwe, Namens Clotilde von Valburg. Als ausgezeichnete Schönheit und nicht ohne das leicht flatternde Wesen, welches der Franzose esprit nennt, glaubte sie sich nur zu Genüssen jeder Art und aller Freuden der Welt berufen. Gleich allen Frauen ihres Schlages hatte sie eine wahre Angst vor jedem ernstern Gedanken, jeder edleren Regung, wie vor Feinden ihres süßträumerischen Lebens; ebenso gefühllos war sie gegen alles geworden, was nicht durchaus ihrer Ueppigkeit fröhnte. Gegen das Unglück war sie im höchsten Grade gleichgültig, sie verabscheute seinen Anblick; ja selbst auf ihren Kindern, die doch schön waren, wie Engel, ruhte ihr Blick nie in mütterlichem Gefühl, und dieß schwindet doch wohl zu allerletzt aus der Brust einer Frau. Ein nicht nach ihrem sinne gemachtes Kleid, das Zerbrechen eines Porzellanfigürchens, der Anblick eines kostbaren Edelsteines am Halse einer andern Frau, das waren Dinge, welche sie aufbringen konnten, als sei ihr das größte Unglück begegnet.

Eines Tages befand sie sich in einem kleinen Saale ihres glänzend eingerichteten Hauses, wo sie, in nachlässiger Stellung auf dem Sopha ruhend, das Auge unstät auf den Blättern eines Buches umirren ließ, welches den Namen von Georges Sand auf dem Titelblatte trug. Las sie darin? Vielleicht.

Alles in dem Zimmer zeugte von dem kleinlichen Geschmack der Hausfrau; die Kaminplatte und die Fenstertafeln waren beladen mit den gebrechlichen Siebensächelchen, deren Gebrauch für den Eigenthümer wie für den Beschauer ein Räthsel ist, und die von Kinderspielzeug meist nur im Preise sich unterscheiden. Das Licht, welches mit Mühe nur in diesen Wohnsitz des Ueberflusses drang, war nicht das volle, lebendige, klare Licht der Sonne; farbige Gardinen zwangen es in ein mattes, rosenrothes Kleid zu schlüpfen und die Farbe der Verführung auf alles zu werfen, worauf es fiel.

Ein schönerer Schmuck des Saales waren sechs gar schöne Kinder, die ganz leise, und ohne auch nur das leiseste Geräusch auf dem Teppich des Bodens, in einem großen Bilderbuche blätterten. Zu sprechen wagten sie nicht und nur durch Zeichen und Gebärden drückten sie ihr staunen, ihre Freude an den Bildchen aus; sie wußten nur zu wohl, daß ihre Mutter sie bei der geringsten Störung aus dem Zimmer jagen werde. Das Aelteste von ihnen mochte etwa zwölf Jahre alt sein, das Jüngste hatte kaum sein drittes Jahr erreicht. Es waren drei Brüderchen und drei Schwesterchen, und wie es schien hatten sie einander herzlich lieb, denn ein recht anmuthiges, süßes Lächeln schwebte auf ihren Gesichtchen und ihre Händchen begegneten einander oft . . . . Ich sah nicht selten Bilder, auf denen der Maler sechs Engel malte in unschuldigen, reinen spielen . . . Ja, so waren diese auch, – die feinen, hellen Züge, die kein Mißtrauen noch furchte – die blonden Härchen, welche kein Eisen noch sengte, kein Kummer, kein Alter noch bleichte, – die vollen Aermchen, welche keine Arbeit, keine Wollust noch versteifte oder erschlaffte – diese Menschennatur in all ihrer Frische, so grün, so lieb, wie die ersten Blätter und Blüthen des Frühlings. Und doch vermochten diese Engelsbildchen nicht, das Auge der Mutter mehr anzuziehen, als jenes Buch einer unweiblichen Frau; nicht einmal schaute sie von diesem auf und zu jenen hin.

Nachdem sie wohl eine Stunde lang also in dem Lesen vertieft gesessen hatte, pochte es leise an der Saalthüre, und gleich darauf trat ein Diener ein und sprach:

»Madame, eine Frau war diesen Morgen schon viermal hier, um mit Ihnen zu sprechen. Ich habe sie immer abgewiesen; es scheint eine gemeine Bürgersfrau zu sein.«

»Das war gut. Man lasse mich in Frieden, ich bin nicht zu sprechen für diese Leute. Uebrigens wird Herr Eugen de Valenge bald kommen, der junge Franzose, der mich gestern aus dem Concert nach Hause führte. Bringe ihn gleich herein zu mir.«

Der Diener beugte sich tief und sprach:

»Ich vergaß, Ihnen zu sagen, Madame, daß die Frau, von der ich eben sprach, in dem Vorzimmer auf Antwort wartet. Sie weint, daß einem das Herz brechen sollte, und scheint Ihre Güte in etwa in Anspruch nehmen zu wollen.«

Frau von Valburg stand auf und ging einigemale ungeduldig auf und ab; dann fuhr sie unwillig auf:

»Hat man denn nie Ruhe! Was ist’s denn für eine Frau? Wie heißt sie?«

»Madame, sie ist nur ärmlich gekleidet und läßt sich melden als Caroline Soeteveld; sie sagt auch, daß sie Ihre Schwägerin sei.«

Dieß Wort war kaum von des Dieners Lippen, als ein dunkles Purpurroth die Wangen der Dame überlief. Gebieterisch den Finger zur Thüre wendend, antwortete sie in höchstem Aerger:

»Peter, ich verbiete es dir durchaus dieß Weib herein zu lassen; sage ihr, ich sei nicht zu Hause. Geh!«

Der Diener verließ, sich tief bückend, den Saal, doch bald nachher schallte es von dem Vorzimmer her wie Klagegeschrei und heftiges Ringen, die Thüre flog auf, eine noch junge Frau stürzte herein und warf sich auf ihre Kniee nieder vor Frau von Valburg. Diese glühte vor Scham oder Zorn, vielleicht vor beiden zugleich; stolz den Kopf in den Nacken werfend, sah sie verachtungsvoll auf die Unglückliche nieder, welche nun die Hände flehend zu ihr ausstreckte.

Frau von Valburg hieß die Kinder aus dem Zimmer gehen und sprach dann, sich zu der Knieenden wendend:

»Ei nun, was soll das heißen? Wozu diese Komödie? sprich schnell, was willst du?«

Die junge Frau warf einen Blick, einem Gebete gleich, zu der Dame empor und seufzte weinend:

»O, sprecht doch nicht also zu mir. Ich bin so unglücklich und zum Tode betrübt. Ach erbarmet euch doch über eine Arme, die auf ihren Knieen euch um Hilfe fleht . . . «

Die Dame ließ die Flehende knieen, entfernte sich auf einige Schritte, nahm das Buch wieder zur Hand und sprach mit erkünstelter Kälte:

»Ich habe keine Zeit, auf dieß Geklage zu achten. So du etwas von mir zu erlangen wünschest, dann ist diese Schauspielerei die Art nicht, zu deinem Ziele zu kommen; einer langen Historie werde ich doch nicht ausweichen können, drum fang nur an, wie du doch wolltest, und mach’ bald ein Ende.«

Diese harten Worte verletzten sichtlich die junge Frau auf’s Allertiefste, doch es zwang sie wohl etwas Anderes, dieselben zu überhören, denn sie rang die Arme in peinlicher Ungeduld, und ihre Bewegungen schienen zu sagen:

»O Gott, Gott, ich muß es verbeißen.« Sie erhob sich und entgegnete nicht ohne stolz:

»Es muß wohl ein unwiderstehbarer Zwang sein, der mich zu diesem Besuche treibt, denn ich weiß, daß die Bande des Blutes, die uns vereinigen, für euch eher ein Grund zum Hasse, als zur Liebe sind. Habt aber doch endlich einmal Mitleid mit uns – ach, rettet uns vor Schande und Armuth! Lasset meine Bitte nicht ungehört – ich will ja euren Namen segnen, wie den eines schützenden Engels.«

Statt aller Antwort griff die Dame nach einer silbernen Klingel und schellte dreimal.

»Peter,« sprach sie zu dem eintretenden Diener. »Lasset meinen Wagen anspannen. Schnell!«

Dann wandte sie sich wieder zu der weinenden Frau:

»Du siehst wohl, wenn das so fortgeht, dann habe ich keine Zeit, dich anzuhören. Noch einmal denn, mach es kurz ab.

Ein leichtes Aufwallen von Zorn glänzte auf der Unglücklichen Gesicht, doch sie bezwang sich und sprach schneller:

»Madame, Schwester, ihr wisset es, wir haben, obwohl in der Noth, doch nie euch um Unterstützung gebeten; mein Mann ist arbeitsam, wir sind mit wenigem zufrieden, doch Gottes Hand ruht so schwer auf uns. Mein Mann hat seine Stelle schon seit zwei Jahren verloren, und seitdem leben wir von Hoffnungen und Versprechungen. Vor sechs Monaten wollten wir einen kleinen Handel anfangen und liehen uns einiges Geld dazu, doch ein schlechter Mensch betrog uns und wir verloren Alles. Mein Mann sitzt im Gefängniß, weil er den verfallenen Wechsel nicht bezahlen konnte, eins von meinen beiden Kindern liegt im Hospital, mein Hausrath wird Freitag öffentlich durch das Gericht verkauft, übermorgen werde ich aus meinem Häuschen vertrieben – ich habe weder Geld noch speise, ich leide um Aller willen, um meines Mannes willen, dessen Ehre Gefahr läuft, um mein Kind, welches im Spital am Tode liegt, um mein anderes Kind, welches seine Mutter vergebens um Brod fleht, und mit ihr binnen zwei Tagen den blauen Himmel als Obdach und die kalte Straße als Ruhebett haben wird. O Madame, könnet ihr hier vergessen, daß in den Adern eurer und meiner Kinder dasselbe Blut fließt? Werdet ihr eine Frau, die Mutter und unglücklich ist, von einer glücklichen Frau und glücklichen Mutter ungetröstet weggehen lassen können?«

Frau von Valburg ärgerte sich nicht wenig darüber, daß die Flehende gar von Verwandtschaft sprach, welche zwischen ihnen Beiden bestand.

»Was kann ich denn dazu thun?« frug sie barsch.

»Madame, fuhr die Arme fort, seht hier, was ihr thun könnt, leiht uns eine Summe von dreitausend Franken. Mit dem Gelde erlöse ich meinen Mann aus dem Kerker, hole ich mein armes Kind aus dem Hospital und bezahle ich die Miethe meiner Wohnung. O denket doch, welche Segnungen dann auf euer Haupt niedergerufen werden, die ihr uns aus diesem Abgrunde von Schande und Elend erlöset hättet.«

Sie erwartete einige Augenblicke ängstlich die Antwort der Dame, welche endlich sprach:

»Ich bin nicht gewohnt, Geld zu leihen, um Undankbare zu machen. Wäre euer Mann nicht so lange müßig herum gelaufen, dann würdet ihr nicht in diesem Zustande sein. Denket darum nicht, daß ich mein Geld wegwerfen werde, um die Faulheit zu unterstützen. Geht und seht, wie ihr euch selbst aus dem Elende zieht, worein ihr euch durch eure Schuld gestürzt habt. Wenn ihr meint, ich werde euch unterhalten, dann betrügst du dich nicht wenig. Hast du nicht gehört, daß du gehen sollst?«

Eine Fluth von Thränen brach bei den Worten aus den Augen der Armen; erstickend fast wirkte der verhaltene gerechte Zorn, doch brach er endlich los, und fest vor Frau von Valburg tretend sprach sie:

»Es war euch also nicht genug, eine arme Mutter durch eure Diener mißhandeln zu lassen, ihr auch mußtet sie mit Schmach überhäufen und ihr die Thür weisen! Habet ihr denn eure eigene Geschichte vergessen? Wißt ihr nicht, daß euer Mann mein Bruder war und daß die Hälfte des Reichthums, den ihr habt, mir unrechtfertig genommen ist? Wisset ihr wohl, hochmüthige Frau, daß ihr nichts besitzt, und nur die Einkünfte genießet von einem Vermögen, worauf ich mehr Recht habe, als ihr, da ihr nie erben könnt, wohl aber ich?«

Frau von Valburg, die vor Unwillen auf ihr Sopha zurückgesunken war, stand rasch auf und rief mit zitternder Stimme:

»Unverschämte! Welche Lügen erlaubt ihr euch?«

»Lügen?« frug die Andere. »Lügen? setzte mein Ohm in seinem Testamente nicht meinen Bruder und mich als Erben ein? Habt ihr nicht durch falschen Rath meinen Bruder dahin gebracht, mich des Erbes zu berauben? Während der letzten Lebenstage meines Oheims habet ihr doch Besitz genommen von seinem Hause, ihr wagtet es, zu sagen, er wolle mich nicht sehen, und er starb, nach mir, als seinem liebsten Kinde verlangend. Welche Verläumdungen müßt ihr über mich ihm vorgebracht haben, bis er sich entschloß, in einem zweiten Testamente mir zu nehmen, was er mir im ersten bestimmt hatte! Ich weiß es wohl, habe ich nicht meinen sterbenden Bruder in seinen letzten Augenblicken meiner Verzeihung versichert! Er war nicht schlecht, er war nur schwach; ihr nur, edle Frau, habt mir alles genommen, wäre das nicht, dann haßtet ihr mich nicht also . . . «

Da konnte Frau von Valburg nicht länger an sich halten; sie rief außer sich:

»Ich hätte dir alles genommen? so du nicht gehest, dann lasse ich dich mit Gewalt wegbringen.«

»Nicht weiter!« sprach die junge Frau mit stolzer Ruhe. »Fügt nicht Gewaltthätigkeit zu dem Hohne. Glaubet nicht, ich wolle durch Vorwürfe von euch erlangen, was ihr meinen Bitten geweigert habet. Behaltet euer Geld. Ich will leiden und werde es können. Ihr aber, die ihr nur an euer Vergnügen denkt, vergesset nicht, daß Gott auch euch schlagen könnte. Fürchtet ihr denn nicht seine Hand für euch, für eure Kinder? Liebet ihr diese denn nicht? Ich arme Mutter habe schon so oft mit nassem Auge auf meine zwei kranken Würmchen hingestarrt, bebend vor der Geißel, der Plage, mit welcher der Himmel die Erde, wie mit einem Leichentuche überdeckt.«

Mehr Ruhe war in der Frau von Valburg Zügen wiedergekehrt, seit die Andere ihre Beschuldigungen aufgegeben hatte; sie entgegnete fast spottend:

»Laß du nur unsern Herrgott zufrieden, mit dem habe ich wenig zu schaffen, doch das macht nichts zur Sache. Meine Kinder sind wenig geneigt, jetzt zu sterben, das glaube mir.«

»Madame!« rief die junge Frau, doch schnell besserte sie: »Schwester, Schwester! Vor wenigen Monaten lebten noch zahlreiche Familien, deren Namen selbst die schreckliche Krankheit tilgte.«

Der prophetische Ton, mit welchem die Arme die Worte sprach, machten sichtlich tiefen Eindruck auf Frau von Valburg; sie erblich und frug entsetzt:

»Welche Krankheit? Was willst du?«

»Schwester, entgegnete die Andre; eure Kinder haben kein groß Theil in eurer Liebe, anders hättet ihr sie mehr als einmal in eure Arme geschlossen, um womöglich da sie zu sichern vor der Cholera, die nun auch hier wüthet.«

Ein kalter Schauder überlief Frau von Valburg, doch bald fühlte sie sich wie beschämt über eine Rührung, welche ihre Gegnerin für Schwäche hätte nehmen können, und auf die Thür weisend, klingelte sie, indem sie sprach:

»Ich bin’s nun müde. Geh und laß dich nicht mehr hier sehen, denn die Thüre bleibt dir geschlossen.«

»Ich gehe,« antwortete die junge Frau, der Thüre zuschreitend. »Lebt wohl.«

Welche Mühe sich nun Frau von Valburg auch gab den sie belästigenden Gedanken an die fürchterliche Krankheit von sich zu wehren, nichts wollte helfen; die Worte der Armen klangen eins nach dem andern wieder in ihren Ohren und zwangen sie fast zu ernsterm Nachsinnen. Sie klingelte zum andernmale, denn der Diener war noch nicht erschienen. Nach einigen Augenblicken trat er ein, doch seine Haltung war so sonderbar, sein Gesicht so bleich, seine Bewegungen so mißtrauisch, daß die Dame ängstlich dringend frug:

»Nun Peter, was ist? Warum bist du so bleich?«

»Ach, gnädige Frau, ich wage nicht, euch zu sagen, welch ein Unglück uns naht.«

»Sprich, sprich, ich will’s, ich befehl’s!« fiel sie schnell ein.

»Nun denn, gnädige Frau, die Cholera ist ganz nahe, bei Mynheer Tesseniers ist sie schon, sein Sohn Victor ist schon todt – ach Gott, der gute Jung, diesen Morgen sagte ich ihm noch guten Tag!«

Bei der schrecklichen Zeitung schwand alles vor dem Auge der Dame, was sie bisher geblendet und erfreut hatte; frisch und stark dagegen erwachte ihre Mutterliebe, die so lange in ihr geschlummert. Sie schlug ihre Hände an die Stirne und rief:

»O Gott, meine Kinder! Peter, führe schnell die Kinder her und laß auch die Magd und die Kammerfrau kommen.«

»Ach gnädige Frau,« antwortete der Diener noch trauriger: »die Kinder sind im Garten und scheinen gesund zu sein, ich will sie holen, die Mägde aber haben sich alle durch der Köchin Geschrei und Geklage in Angst jagen lassen und das Haus verlassen; ’s ist nicht eine mehr da.«

Wie sehr hart es ihr auch war, sich so von aller weiblichen Hilfe entblößt zu sehen, so stützte sie sich doch noch auf die Hoffnung, daß ihre Kinder wohl ihr bleiben würden und daß die Seuche sie verschonen werde.

Die Kinder hüpften und sprangen in den Saal, und ganz glücklich einmal von der Mutter gerufen zu werden, scheuchten sie bald fast alle Betrübniß aus ihrem Geiste. Es war ihr übrigens nicht entgangen, daß ihr ältester Sohn zuletzt gekommen und daß er nicht so fröhlich, wie sonst, war. Mit einer bisher ihr fremden Innigkeit schloß sie die Kinder in die Arme, betrachtete alsdann das Aelteste jedoch aufmerksamer und bemerkte zu ihrem größten schrecken, daß es plötzlich bleicher und bleicher wurde.

»Bist du krank, lieb Kind?« frug sie.

»Nein Mutter,« antwortete der Knabe; »aber meine Ohren sausen, es flimmert mir so vor den Augen . . . Ach und wie reißt’s mich!«

Frau von Valburg sprang wie wahnsinnig empor und rief aus aller Kraft dem Knechte, der eilend herzueilte.

»Peter, Eugen hat die Seuche. Schnell lauf zum Arzte und zum Chirurgen; schick alle her, welche du findest und vergiß auch Herrn Schippers nicht. Such mir auch eine Frau. – Ach lauf schnell, schnell, ich werde es nicht unbelohnt lassen.«

Der Diener ging, sie eilte zu den Kindern zurück. Wie peinlich aber war der Schrei, der wie ein Todesschrei ihrer Brust entstieg. Der arme Knabe lag in Zuckungen, die tief in ihre Höhlen gesunkenen Augen, die Todesfarbe, welche auf dem Gesichte lag, gaben ihm das Ansehen einer lebendigen Leiche.

Wer da gesehen, wie die trostlose Mutter sich bei dem Leidenden niederwarf, wie sie die verzerrten Züge mit Thränen netzte, und ihre Lippen auf die blauen Lippen des Kindes preßte, wie wenn sie einen Theil ihrer Seele in seinen ersterbenden Körper hätte hauchen wollen; wie sie aufstand und den Knaben am Arme in dem Saale herumlief, als wolle sie dem Tode entfliehen; wer die Schmerzensworte gehört hätte, welche ihr ihre Mutterangst auspreßte, o der hätte gewiß die Hälfte seines Lebens geopfert, die Frau aus dem Abgrunde des Schmerzes zu retten. – Doch die Liebe der Mutter ist kein undurchdringlicher Schild gegen den Tod. Der Knabe erstarrte an ihrer heißwogenden Brust, während sie zitternd mit ihren Händen die starkgespannten Glieder überstrich; seine Wangen fielen ein, wie wenn das Fleisch unter der Haut weggeschmolzen wäre, die Fingerchen runzelten sich, sein Auge wurde starrer und starrer. Noch lebte aber Besinnung in dem Kinde; mitten in all seinen Schmerzen lohnte es die Liebe der Mutter mit einem schnellen streicheln; nun rief es mit einer Stimme, die klang, wie zitternd Glas:

»Trinken, trinken, ich habe Durst.«

Die arme Mutter lief mit dem Knaben zur Küche, labte mit dem ersten, was ihr in die Hände kam, und eilte in immer steigender Angst wieder dem Saale zu.

In ihrer Verwirrung hatte sie das Jammern der andern Kinder nicht gehört; sie stieß sie gar zur Seite, wenn sie ihr nachliefen und sich an ihrem Kleide festhielten. Wie ein Spuk, der sie verfolgte, der ihren Sohn greifen wolle, schien es ihr, und jede Berührung der armen Kleinen jagte neues schauern durch all ihre Glieder. Ermüdet sank sie endlich mit dem Knaben hin, nicht besinnungslos, wohl aber regungslos.

Da stürzte eins der Mädchen auf sie zu, kniete weinend neben ihr hin und sprach:

»Ach Mutter, meine Ohren sausen auch, ich habe auch Schmerzen . . . «

Frau von Valburg warf einen schmerzlichen Blick auf das Kind, schlug ihren Arm um sein Körperchen, zog es mit Gewalt an ihre Seite und blieb bitter weinend also zwischen den beiden Kindern sitzen. Die andern Kinder saßen ringsherum und jammerten herzzerreißend.

In dem Augenblicke zeigte sich an der Thüre des Saales ein schwarzgekleideter Mann; seine Erscheinung glich nicht wenig der eines Todesboten – er aber beugte das Haupt tief und wischte sich zwei helle Thränen aus den Augen.

»O des Unglückes!« seufzte er.

Bei den Worten erwachte Frau von Valburg aus ihrem Hinbrüten; sie sprang vom Boden auf, stürzte der Thüre zu, warf sich auf ihre Kniee vor dem Arzte, und rief mit erhobenen Händen und unter einem Strome von Thränen:

»Ach Herr Schippers, habet Mitleid mit mir. Rettet meine Kinder, o um Gottes willen, rettet sie vom Tode. Ach ich flehe euch, ich will den Staub von euren Füßen küssen, nur rettet, rettet meine Kinder.«

Der Arzt hob sie schnell von der Erde auf und unterstützte sie liebevoll, doch in’s Auge konnte er ihr nicht schauen, er war zu tief ergriffen von der schrecklichen Scene. Bald aber faßte er Muth und trat zu den leidenden Kindern.

»Arme Mutter!« seufzte er. Doch beruhiget euch, vielleicht ist das Uebel weniger arg, wie ihr glaubet. Die Seuche ist gefährlich, doch nicht stets tödtlich, und wie schlimm es auch um die Kinder stehen mag, Hoffnung bleibt immerhin noch.

Die Thüre öffnete sich abermals und der Diener trat mit einem zweiten Arzte ein. Herr Schippers sprach:

»Pieter, führet die gnädige Frau mit den vier Kindern in ein anderes Zimmer auf jener Seite des Hauses. Diese Maaßregel ist nöthig, Madame; gehet nun, und gebet euch eurer Betrübniß nicht allzusehr hin, sie könnte einen sehr schädlichen Einfluß auf eure Kinder haben.«

Da übermannte der Schmerz die Mutter; noch einmal stürzte sie zu den kranken Kindern, küßte sie unter den lautesten Wehklagen und rief in jammervollem Tone:

»Eugen, Virginie! Lebt wohl, lebt wohl auf ewig! – O Gott, ich sehe euch nie mehr wieder . . . «

Der Thüre dann zuwankend, wäre sie fast zu Boden gestürzt, hätte der Diener sie nicht in seinen Armen empfangen; er brachte sie mit den vier Kleinen in ein mehr abgelegenes Zimmer. Da sank sie, wie leblos, in einem Lehnstuhle nieder, ihr Haupt sank tief auf die Brust herab, und nur von Zeit zu Zeit griff sie noch mit der Hand um sich, sich zu überzeugen, ob ihre Kinder noch bei ihr wären.

Der Diener hatte sie verlassen, um den Aerzten zu helfen; nach einigen Augenblicken jedoch sandten diese ihn zurück, damit er sehe, wie es bei der Hausfrau stände. Leise trat er ein – das älteste Mädchen zeigte alle Symptome der Seuche. Er nahte ihm auf den Zehen, nahm es auf den Arm und schlich wieder weg, doch seine Vorsicht war vergebens. Die Mutter öffnete plötzlich die Augen, warf sich unter schneidendem Schmerzgeschrei auf den Diener und entriß ihm das Kind.

»Clotilde!« rief sie jammernd. »Clotilde, mein liebstes Kind, du die meinen Namen führst, du sollst sterben? Ich soll dich in die Hände des Todes liefern?«

Krampfhaft zuckte das Kind in ihren Armen – schon lagen die Aeugelchen tief in ihren Höhlen.

»Ach noch einmal schau mich an, mein armes Kind,« seufzte sie matter. »Auch du willst mich verlassen, du mein Ebenbild? so sei es denn – Da Pieter, hast du meinen kostbarsten Schatz . . . Leb wohl, Clotilde! Leb wohl, Kind!«

Und sie lief dem Stuhle zu und sank bitter weinend auf ihn nieder. Einige Augenblicke saß sie starrenden Auges, wie in Ohnmacht, da, dann aber fuhr es, wie ein anderes Leben durch ihre Glieder; sie stand auf und warf sich auf die Kniee – sie erhob die Hände nicht mehr zu einem Menschen, wohl aber zu Gott. Wenig hätte man von ihrem heißen Gebete verstehen können; nur die Worte: Vergebung, Sünde, Gnade ließen sich durch ihre Seufzer hindurch unterscheiden. In dem Augenblicke glich sie der büßenden Magdalena; sie weinte blutige Thränen wegen ihres ganzen vergangenen Lebens. Dieß Gebet, diese Beichte vor Gott dauerte lange, dann erhob sie sich, wenn auch nicht mit vermindertem Schmerz, doch mit größerer Ruhe, und rief laut dem Diener, der auch unmittelbar darauf erschien.

»Pieter,« frug sie, »wie geht es mit Eugen, mit Virginie, mit Clotilde? O sprich, verbirg mir die Wahrheit nicht . . .

Der Diener brach in Thränen aus; er wagte nicht zu antworten.

»Genug, genug,« fuhr sie mit hohler Stimme fort, »ich verstehe dich. Gott will es. Ich habe seit Kurzem gelernt, mich seinem allmächtigen Willen in Demuth zu unterwerfen. Könnte ich nur durch diese Unterwerfung seine Gnade, seine Barmherzigkeit mir wieder erringen! Doch, wehe, die Prüfung ist noch nicht zu Ende, das fühle ich nur allzuwohl. Pieter, ich bitte dich, eile schnell zu meinem Geschäftsführer und sage ihm, daß er noch heute den Wechsel von Herrn Soeteveld bezahle; der Mann seufzt im Gefängniß, darum eilet. Dann nimm auch die Börse und trage sie zu Frau Soeteveld, meiner Schwägerin, derselben, die diesen Morgen hier war, und bitte sie, daß sie gleich zu mir komme. Erzähle ihr von meinem Unglück und meinem Leiden, sie wird nicht zögern zu kommen.«

Der Diener nahm die Börse und eilte weg. Mit noch mehr erleichterter Brust ging sie zu den drei ihr noch übrigen Kindern und betrachtete sie mit gespannter Aufmerksamkeit. Keine Veränderung war auf ihren Gesichtchen zu sehen und die Mutter begann, sie zu küssen und zu streicheln, doch mit so sonderbarem Ausdrucke, als wäre eine tolle Freude plötzlich an die Stelle ihrer frühern Betrübniß getreten.

Die Freude aber sollte nicht von langer Dauer sein. Während sie aus dem Lehnstuhl mit mütterlicher Wollust auf die Kinder starrte, stand die Seuche bereits in deren Mitte. Plötzlich stürzte der kleine Friedrich hinterrücks zu Boden und zuckte in den heftigsten Krämpfen.

Euch sagen, wie das Herz der Mutter bei diesem Anblicke wieder aus allen Wunden blutete, das wäre unmöglich, sie war wie wenn das Leben aus ihr geflohen wäre. Während einiger Augenblicke sah sie auf das Kind hin, welches sich auf dem Boden wälzend, mit den Nägeln in seinem Fleische wüthete, während die andern sich ängstlich in eine Ecke drückten; dann aber riß sie sich empor, faßte den Knaben und stürzte mit ihm dem Saale zu, in welchem die Aerzte sich befanden.

Da jedoch harrte ihrer noch der größte Schmerz . . . ohnmächtig sank sie mit dem Kinde zusammen. – Arme Mutter! ihr erster Blick war auf Eugen und Virginie gefallen, die schon in ihren Todtenhemdchen nebeneinander lagen.

Als sie lange nachher erwachte, befand sie sich in dem Saale und in dem Sessel, den sie verlassen hatte. Eine junge Frau hielt eine ihrer Hände und war mit zärtlicher Sorgfalt beschäftigt, sie in’s Leben zurückzurufen. Frau von Valburg schaute sich ängstlich und verwundert um, wie wenn sie sich des Vorgegangenen wieder zu erinnern strebte. Als sie die beiden Kinder sah, wandte sie sich zu der Frau und sprach:

»Caroline, ich habe dir groß Unrecht gethan – deine Worte hat Gott wahr gemacht, ich bin unglücklich und verlassen. Der Herr kam und schlug mich in Allem, was mir theuer ist; doch hoffe ich, daß er mich nicht ganz allein lassen wird, daß er mir meine Kinder nicht alle nehme; dazu aber bedarf es deiner Vergebung – Schwester, der Schleier fiel mir von den Augen; sage mir, vergiebst du mir, was ich gegen dich verbrochen?«

Die junge Frau weinte heiße Thränen des Mitleids und seufzte:

»Ich habe zu Gott gebetet für euch; ich habe euch seit lange vergeben. Ich verstehe euren Schmerz; ich bin ja auch Mutter und die Kinder meines Bruders sind mir so theuer, wie meine eigenen. Von euch kann ich nicht gehen, bevor wir gerettet haben, die zu retten sind; lasset uns denn zusammenwirken und zusammen beten, vielleicht schenkt Gott uns Gnade. Ich meine, eine innere Stimme sage mir, daß ihr noch Mutter bleiben, daß ihr euch noch erfreuen werdet an dem Lächeln derer, für deren Leben ihr zittert.«

»O sprächest du auch jetzt die Wahrheit, Caroline! siehst du nicht, wie bleich Regina bereits ist? Doch höre und unterbrich mich nicht. Ich habe nicht redlich an dir gehandelt, ich habe dich des Erbes deines Oheims beraubt und mich dafür in allen Freuden berauscht, doch das Unglück hat mich bekehrt – Ach nenne mich Schwester; laß uns theilen, was ich mit dir theilen kann!

»Nein, das nicht!« rief die junge Frau.

»Ich aber schwöre vor Gott , daß ich das mir unrechtmäßig zugefallene Theil nicht mehr anrühren werde, darum weigere nicht die Annahme – hielte mich nicht die Schwäche gebannt auf dem Stuhle, ich flehte dich auf meinen Knieen – doch du antwortest nicht? Wohlan, ich verlange kein Wort, nur ein Zeichen der Vergebung und Versöhnung . . . «

Und die beiden Frauen lagen einander in den Armen zu langem Kusse . . .

Einige Tage später gingen zwei Frauen langsam über den Schuhmarkt; eine von ihnen war sehr bleich und in tiefer Trauer, die andere schien jünger und weniger betrübt. Ein Knäbchen hüpfte zwischen Beiden, jeder ein Händchen gebend. Als Beide in der Hauptkirche waren, schritten sie die Schiffe durch bis hinter den Hochaltar zur Kapelle des heiligen Kreuzes. Da ließ die bleiche Frau das Knäbchen auf die Bank vor dem Christusbilde knieen, faltete seine kleinen Händchen und sprach wehmüthig:

»Bitte Gott, Gustav, daß er den Seelen deiner Brüderchen und Schwesterchen Ruhe und sein Reich schenke, und danke ihm, daß er dich bei deiner Mutter gelassen hat.«

Das Kind gehorchte, neigte fromm das Köpfchen und sprach mit seiner doch rührender Stimme:

»Vater unser, der du im Himmel bist, dein Name sei geheiligt!«

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0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
260 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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