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Читать книгу: «Abendstunden», страница 10

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V.
Der Engel, die Schwester, der Bruder

Der Engel

»Rosa, dein Augenblick ist gekommen, lege dein Köpfchen in meinen Arm.«

Die Schwester

(erwacht wie aus einem Traume)

»Bruder, Bruder!«

Der Bruder

»Was wünschest du Rosa?«

Die Schwester

»Gib mir schnell den Abschiedskuß, und bringe auch der Mutter einen.«

Der Bruder

»Ach Rosa, du wirst uns doch heute noch nicht verlassen?«

Die Schwester

»Sieh! da steht der Engel: mein Haupt ruht in seinem Arm; er umschließt mich mit seinen goldnen Flügeln . . . hörst du, der himmlische Chor begrüßt mich schon; ich fahre auf zum hohen Vaterlande!

Der Bruder

»Lieb Schwesterchen, da hast du zwei Küsse.«

Die Schwester

»Lebe wohl Bruder, sage der Mutter, daß sie bald kommen möge, und du, komme auch: den Vater werde ich im Himmel wiederfinden . . . und wenn Ihr Beide gekommen seid, wird unser Lied vereint vor des Höchsten Thron erklingen. Lebe wohl, der Engel breitet seine Schwingen aus – ich schwebe mit ihm empor auf der Bahn des Lichts!«

Der Bruder

»Todt!«

Wissensdurst und Glaube

Ich wandelte einsam durch die öden Fluren.

Der Winter mit seinem kalten Hauch hatte die Natur jeder Zierde beraubt, die Bäume waren dürr, die Blätter rauschten nicht mehr – und Alles weckte in meinem Herzen düstere Gedanken.

Während ich mir dieses Absterben der Natur zu enträtseln suchte, verschwand die Erregtheit meines Busens vor dem kalten Denken.

Ich fühlte, daß ich der ruhenden Natur gleich ward, denn das Nachsinnen schwächte meine Lebenskraft.

Die Lösung des Räthsels stand vor mir.

Ein Greis mit gebogenem Rücken saß wehmüthig am Wege, auf dem Stamm eines durch den Sturm entwurzelten Baumes.

Der Wind jagte seine silbernen Locken um sein Haupt. kalte Thränen rannen in den Furchen seiner Wangen nieder; und die scharfe Wintersonne goß ihre schiefen Strahlen auf seinen blinkenden Schädel.

Er brachte seine knöcherne, abgezehrte Hand vor’s Augenlied; —zeigte, während das Wasser des Schmerzes auf seinen Wangen trocknete, mit seinem feuchten Finger vor sich hin und sprach:

So nackt wie die Gefilde, so nebelig wie die Luft, so dürr wie die Bäume, so kalt wie das Eis des schlafenden Bachs ist auch mein Herz;

Denn ich habe tief in meine Brust gegraben und von dem Geist, welcher mich belebt, Rechenschaft über seine geheimsten Empfindungen gefordert,

Und nach dem Lösungswort von Allem nach der unbegreiflichen Grundursache gesucht.

Diese Untersuchung war eine Gotteslästerung; und schwer die Strafe, welche darauf folgte.

Mit jeder Antwort, welche der Geist mir gab, schwand mir ein Theil meiner Genusseskraft; mit jeder neuen Lösung trocknete der tröstende Glaube und das kräftigende Vertrauen mehr und mehr in meinem Busen.

Alles wurde Lug und Trug in meinen Augen: Lug und Falschheit, selbst die Religion.

Die reizenden Jugendbilder schwanden mir vor der Zeit, – die Augenbrauen sanken mir über die Augen, – zwei tiefe Runzeln durchfurchten meine Stirn, und kalte drückende Gedanken wurden mein Antheil.

Ich erreichte den Winter des Lebens, ohne den milden Scharten des Sommers oder die Früchte des Herbstes genossen zu haben.

Mitleiden drang in meinen Busen und ich erwiederte leise:

O Vater, wenn die Nebel des Alters euch umhüllen, wenn die Erde euer Haupt an sich zieht,

Könnt ihr euer trauriges Herz nicht durch Erinnerung an bessere Tage aufrichten und trösten? Vermag die Hoffnung auf ein seliges, glücklicheres Leben euch nicht zu erquicken und aufrecht zu halten? – daß ihr nicht weinend zu Grabe sinkt!

Kind, erwiederte der Greis mit bitterem Lächeln, du kennst des Menschen Leben nicht!

Einst war ich jung und kräftig, gleich dir; Rosen glänzten auf meinen Wangen; – Alles lachte mir zu in der frohen Natur.

Mein Auge begriff ihre zauberischen Farben und spielenden Formen; Und dann bewunderte ich die Werke des Schöpfers, denn ich glaubte an ihn. – Ich konnte beten und danken.

Aber die Tage der Kindheit gingen vorüber – wie das glitzernde Irrlicht, das in einer warmen Sommernacht in freudigem Sprunge sich hebt und erlischt – um niemals, niemals wieder so heiter zurückzukehren.

Ich wähnte damals, das Leben gäbe allzeit Freude genug, um das Leid zu vergessen,

Und heiter trat ich, ein Neuling, in die große Welt.

Meine Hand drückte voll Freude jede andere; ich dachte, Liebe sei mit den Seelen der Menschen geschaffen worden.

Dies glaubte ich , denn ich war reich.

Da kam die Armuth mit ihren dürren Armen mich zu umfangen – und ich rief meine Freunde vertrauungsvoll um Hilfe an.

Nun sah ich, wie wenig Liebe in der Brust des Menschen lebt;

Denn sie verließen mich sämtlich und spotteten über meine Verzweiflung.

Ich sah, wie Jeder einen Theil meiner Habe weg trug.

Ein Einziger blieb mir. In Unglück und Trauer trocknete er die Thränen von meinen Wangen;

Und trank mit mir aus dem bitteren Becher des Unglücks.

Ha! – An meinem Herzen und in meinem Herzen war seine Wohnung – mein Busen klopfte so dankbar gegen den seinigen! . . .

Aber der Tod, der neidische Tod schoß ihm einen Pfeil in die Brust;

Und das gähnende Grab empfing seinen Leib – und die kalte Erde deckte den einzigen Menschen, dessen Freund ich war hienieden . . .

Und es war für ewig!

Dann suchte ich in der Liebe das Glück.

Rüstig und arm lebte ich von der Arbeit meiner Hände, – und der Schweiß floß oftmals glühend von meinem Angesicht.

Ich bekam ein zärtliches Weib und liebliche Kinder.

Und ich fühlte Zufriedenheit und Freude wieder aufleben in meinem Herzen.

An Gott dachte ich nicht!

Aber dann zog eine Krankheit, eine gräßliche Geißel durch die Welt. – Die Sense des Todes lief über die Erde.

Und alle Häupter, auf welchen ich meine Ruhe und meinen Frieden gebaut, wurden ihre Beute.

Mein Weib, meine Söhne, meine Töchter gaben nacheinander an meinem Busen den Geist auf.

Ich habe sie alle hinsterben sehen auf meinen Knieen unter unaussprechlichen Qualen des Leibes und der Seele.

Als auch die Augen meines Erstgebornen brachen und seine Seele schon zweimal ihm auf den Lippen gewesen,

Da bat ich den Herrn um Gnade;

Aber er erhörte nicht mein Flehen, – denn ein gräflicher Krampf zog die Glieder meines Sohnes zusammen, und trieb den Geist, der ihn beseelte, aus dem schwachen Körper.

Verzweifelnd lag ich zwischen den kalten Leichen. Ich rief ihnen zu in meinem Wahnsinn.

Die Todten hören nichts . . .

Dann sog ich die verpestete Luft ein, welche sie umgab. Wie erwünscht wäre mir der ewige Schlaf gewesen!

Doch ich konnte nicht sterben: Der Kelch war noch nicht bis auf den Boden geleert . . .

Und Alles, was ich liebte, sank mir ihnen zu Grabe.

Eine unübersteigliche Scheidewand hatte sich erhoben zwischen dem Vater und seinen Erzeugten —

Und ich blieb allein in der Welt.

Dann warf ich einen Blick auf das Vergangene und berechnete die Zahl meiner Leiden und meiner Freuden.

Und ich fand, daß sich die Augenblicke wahrer Freude zu den Stunden der Trübsal verhielten – wie l zu 1000!

Trotzig und lästernd sprach ich wider Gott:

Ist es denn bloß zu Leid und Thränen, daß du Menschen gebildet.

Warum ließest du den fühllosen Staub nicht schlafen, damit Ruhe und Friede bliebe in der ungeformten Natur? . . .

Und der Herr strafte mich nochmals um meiner Lästerung willen, denn mein Herz wurde kalt;

Der Glaube entschwand mir gänzlich – weinen konnte ich nicht mehr, auch nicht klagen.

Und da erst kam düstere Gefühllosigkeit und hielt mir den Becher der Galle vor die Lippen.

Und die Tage meines Lebens wurden für ewig nebelhaft und düster. —

Der Greis stand auf und ich sah, wie er langsam dahin wandelte.

Sein Haupt hing schwer vorn über, – sein Schritt war mühsam, er ging gebeugt unter der Last seiner trüben Erinnerungen.

Seine schreckliche Prophezeiung bedrängte mein Herz mit düsterem Nachsinnen.

Schon sah ich, wie die fürchterlichen Scenen des Elends und der Widerwärtigkeiten mir nahe traten;

Doch ich besaß noch Vertrauen zu Gott.

Mein Auge erhob sich flehend gen Himmel,

Und ein Strahl von Trost und Gnade verscheuchte diese Gedanken.

Ich wandte meine Schritte zu dem Tempel des Herrn, denn meine Seele verlangte nach Erquickung.

Schwankend betrat ich den Friedhof,

Und fand mich auf der halb verschlissenen Kniebank vor dem Beinhause.

Da empfing mich das grausige Lächeln der Todten, und mein Blick sah erschreckt in die tiefen Augen der schlafenden Schädel.

Ich bebte, und eine eisige Kälte lief durch meinen Körper, – denn eine magere knöcherne Hand ergriff die meinige,

Und der Greis stand lächelnd neben mir.

Kind, sprach er, indem er einen weißen Schädel aufhob, besieh dieses Haupt. Es war mein Vater! . . .

Und eine Fluch herzzerreißender Thränen und bitterer Seufzer unterbrachen seine Stimme;

Der Schädel grinste höhnisch beim Schmerz des Greises.

Dann ergriff dieser einen kleineren Schädel und sprach:

Siehst du hier? – Das war mein Erstgeborner! . . .

Jung wie du – und dennoch starb er.

Dies ist das Haupt meines reizenden Weibes!

Dies, mein Freund!

Zwischen diesen dürren Schädeln ruht meine Hoffnung, mein Glück , meine Seligkeit!

Siehst du, das krampfhafte Lachen der Pein bleibt auch noch nach dem Leben.

Hier, zwischen dem Gebein, Kind, ist auch ein Platz für dich.

Dann werden auch deine Augen hohl sein, und das Wasser bleicht und verdirbt auch deinen Schädel!

Während ich, die Seele voll Angst, des Alten Worte gleich einem beschwerenden Traume zu verscheuchen suchte, harrte der schreckliche Greis meiner Antwort.

Eine Frau mit bleichen Wangen schlüpfte leise, wie ein Schatten, vorüber.

In ihre schmerzlichen Thränen mischte sich ein seliges Lächeln, so süß, so liebreich, wie die Hoffnung selbst.

Blumenkränze hingen an ihren zarten Fingern, schwarzer Flor bedeckte sie.

Sie kniete nieder auf einem frisch aufgeworfenen Grabe, und bestreute die Erde mit Blumen.

Der Greis wies abermals auf die Schädel und frug:

Kind, verstehst du jetzt das Leben? – Begreifst du das Lösungswort von Allem – Vernichtigung?

Glaub’ ihm nicht, Kind! rief die weinende Frau. Glaub’ ihm nicht!

Sie erhob Hand und Auge gen Himmel und rief, gleich einer von Gott erleuchteten Prophetin:

Dort wohnt das ewige Lösungswort von Allem – von Leben, von Tod – von Glück und Reue.

Auch mich hat der Herr heimgesucht, – auch mir ist ein Gatte, ein Kind genommen worden:

Die kalte Erde deckt ihre Leichen; Aber doch habe ich Trost gefunden in dem einzigen Lösungswort von Allem: – in Gott.

Jetzt verließ mich der ängstigende Traum der Verzweiflung.

Dankbar küßte ich die Hand der Frau, die mich getröstet und erleuchtet; mein Herz verbitterte sich wider den bösen Greis,

Und kühn fragte ich ihn um seinen Namen.

Er antwortete: Wissensdurst.

Und die Frau erwiederte auf dieselbe Frage: Glaube!

Sie deckte mich mit ihrem Mantel, und kein Gedanke der Verzweiflung vermochte mich unter diesem heiligen Schirm mehr zu erreichen.

Und Ruhe, Glück und Friede wurden mir zu Theil.

Der lange Nagel

Keinem ist wohl unbekannt, welche Grausamkeiten Herzog Alba während seiner nur allzulangen Regierung in Belgien verübte. Es gab keine Stadt, in welcher das rothe Blutgerüste nicht aufgeschlagen stand, keine, in der der Galgen nicht mit Leichen prangte, in denen der Scheiterhaufen nicht das Gebein von Tausenden von Unglücklichen verkalkte; das Henkerschwert und das Henkerbeil stumpften auf den Nacken der zahllosen Schlachtopfer. Fangen, foltern, hängen, brennen, enthaupten, das, sagt Guicciardin, war das tägliche Geschäft Alba’s des Henkers. In Strömen floß Belgenblut über den Boden des Vaterlandes. O edel, o kostbar Blut! Der Samen der jungen Freiheit solltest einst du reifen, uns erlösen und befreien von den Banden, die Kaiser Karl (V.) um den Nacken unserer Väter warf. Sei das Gedenken an den Tyrannen ein ewiger Fluch für jeden Belgen; vergessen wir nie und nimmer, daß die partheilose Chronik seinen Namen stets in Verbindung bringt mit den Worten Blut und Mord!

Im Jahre 1571, als die andere Gottesgeißel nahete, verließen Tausende von Belgiern ihr Land und irrten umher auf fremdem Boden. So lange das Wenige, welches sie mit sich genommen, ausreichte, war ihr Zustand nicht ganz unerträglich, dann aber entblößte bittere Armuth sie von Allem. Mit dem Beginne ihrer Noth endete der Fremden Mitleid, und selbst der allerdringendste Bedarf, die geringste Unterstützung wurde ihnen verweigert. Da scharrten sie sich in großer Zahl unter dem Namen Geusen zusammen, stellten sich unter den Oberbefehl des Prinzen von Oranien, und schwuren, den Degen in der Faust, eine Stätte nahe dem Grabe ihrer Väter wieder zu räumen, eine Stätte, wo auch ihnen zur Seite dieser theuren Todten einst zu ruhen und zu schlafen vergönnt wäre . . . Doch, das gelang ihnen nicht; Alba war zu listig und gewandt und wußte alle ihre Anschläge so zu vereiteln, oder zu hindern, daß sie bei bedeutenden Verlusten doch nur wenig ausrichteten.

Ihre Kriegsmacht theilte sich in Land— oder Buschgeusen, welche in den dichten Wäldern Schutz suchten, und See— oder Wassergeusen, die auf schnellen Schiffen die weite See durchpflügten und die spanischen Fahrzeuge beraubten. Diese Seegeusen standen unter dem Oberbefehl des Grafen van der Marck, Herrn von Lumey, zugenannt der lange Nagel, weil er geschworen, die Nägel seiner Finger nicht zu schneiden, bevor der Tod der Grafen Egmont und Horn auf das Vollständigste gerächt wäre.

*                   *
*

In dem genannten Jahre lagen an dem Ufer der Schelde, in der Nähe der stelle, wo jetzt das Fort St. Laurenz steht, die Ruinen einiger niedergebrannten Häuser. Aus ihrer Mitte erhoben sich einige Mauern, die nur mit Mühe sich noch aufrecht hielten; alles aber war so zerstört, oder von Alter verfallen, daß man durch die Risse, wie durch ebensoviel Schießlöcher, schauen konnte; schwarz verbrannte Balken und schwere Mauerstücke hinderten den Zugang zu dem Innern der Trümmer.

Es war im October desselben Jahres 1571. Seit lange bereits hatten die guten Bürger von Antwerpen die schrecken des Tages gegen die schrecken angstvoller Träume vertauscht, denn elf Uhr schlug es eben von dem hohen Glockenthurme der Liebfrauenkirche. Dunkle, schwere Wolken schwammen, durch einen heftigen Sturm getrieben, durch die Luft, und bildeten in dem zuweilen sie durchbrechenden Mond— lichte tausend zauberhafte Gestalten, und wälzten als riesige Ungeheuer sich gegen den silbernen Lichtkranz, mit dem die eben aufsteigende Göttin der Nacht sich umhüllt hatte, den sie jedoch nicht stets bewahren konnte, denn wenn einer jener größern Wolkenberge vor sie hinrollte, dann bedeckte er sie nicht selten ganz und gar, und Stadt und Trümmer umzog dichtes Dunkel.

In diesem unstäten Lichte konnte man übrigens deutlich zwei schwarze Schatten zwischen den Trümmern irren sehen, schweigend und horchend. In gespannter Neugier erhoben sie dann und wann das Haupt über der baufälligen Mauer, warfen schnell einen ängstlichen Blick über die rauschenden Wogen der Schelde und verschwanden einen Augenblick später wieder in der Höhle, welche ihnen als Asyl diente. Es wäre mühsam gewesen, sie zu erkennen, oder zu errathen, was sie eigentlich vorhatten; wir wollen darum das Wenige, was wir über sie wissen, hier unsern Lesern mittheilen.

Der Aeltere der beiden Nachtwandler war Albrecht van Schoonhoven, ein Edelmann aus einer der ersten Familien der Stadt; der Andere war sein Sohn Alfred. Ihre Körper umfloß ein langer, schwerer Mantel; ein breiter Hut deckte Haupt und Angesicht. Wenn mitunter ein Strahl des Mondes sie überraschte, dann glänzten ihre Dolche und die Griffe ihrer Pistolen schimmernd auf dem dunkeln Kleide.

Seit lange harrten sie bereits dort; seit lange hatten sie mit leisem Schritte von den Trümmern zur Schelde und von der Schelde wieder den Trümmern zugewandelt; doch hatte noch kein Laut ihr Ohr getroffen, als das Rollen der Wellen und das anhaltende Pfeifen des Nordwindes. Endlich lehnte der Vater mit dem Ellenbogen auf einen der Mauersteine und sprach mit leiser Stimme zu seinem Sohne:

»Alfred, glaubst du nicht, daß dir der Muth sinken werde, wenn seine Leibwache nahen sollte?«

»Nein,« entgegnete der Jüngling seufzend, »inmitten seiner spanischen Leibgarde werde ich ihm den Dolch in’s Herz stoßen, so Gott mir beisteht.«

»Hast du es wohl überdacht, Alfred, daß du dein Leben an dieß spiel setzest? Weißt du wohl, daß nie ein Belge den Händen Alba’s entkam? Bedenke Alles reiflich, denn so du wankest, dann ist’s nutzlos etwas zu unternehmen.«

»Mein Herr und Vater!« fiel der Junker ein; »suchet ihr mich an meinem Vorhaben irre zu machen? Meinet ihr denn, das Blut meines Bruders Norbert, welches noch zwischen den Steinen des Marktes zu Brüssel klebt, wäre bereits vergessen? Höret ihr denn meines Bruders Stimme nicht mehr, die aus dem kalten Grabe und bei Gott Rache und Fluch über ihren Mörder schreit? Hu, noch tönt der Racheruf mir in’s Ohr . . . Fliegt dort im Dunkel sein Schatten nicht drohend vorbei, drohend, weil sein Henker noch lebt? Das Herz ist mir gepreßt vor Wuth . . . und denke ich an die Folter unserer braven Landsleute, dann knirschen unwillkührlich mir die Zähne und meine Hand greift zum Dolche. O sprechet mir nicht fürder von Gefahr, ich bitte euch, Vater! Ob ich wohne bei Gott mit den enthaupteten Edeln, unsern lieben, treuen Freunden, oder ich sende die Ketten des Vaterlandes zur Hölle mit der verhaßten Seele dieses Alba! . . . «

»Ruhiger, mein Sohn! Die Leidenschaft reißt dich fort, du sprichst zu laut . . . doch horch! Hörst du nichts?«

Und schnell wandten sie sich der Schelde zu und schauten einige Augenblicke über die Wasser hin.

»Der lange Nagel kommt noch nicht,« fuhr der Vater dann fort, »und doch ist die Stunde schon verstrichen. Du Alfred kannst mit deinen jungen Augen besser sehen, siehst du dort hinten nichts kommen?«

»Nein, nichts, Vater.«

»Nicht das kleinste Segelchen?«

»Nein, die murmelnden Wasser werfen die Wellen weiß und glänzend in die Höhe, doch kein Punkt löst sich von der eintönigen Fläche.«

Sie lauschten wiederholt und schauten nochmals auf den Strom aus.

»Wartet, da, ich sehe etwas!« rief nun der Junker. »Dort in der Ferne kommt’s. Es ist ein Galei, glaube ich. Ja, ja, doch Fluch über sie, es sind Spanier!«

Und schnell zogen sie sich wieder nach dem Innern zurück und setzten sich auf einen Haufen Steine nieder. Albrecht van Schoonhoven zog die weiten Falten des Mantels dichter um sich und sprach nun leiser zu dem Sohne:

»Alfred, was ich dir eben gesagt, das sprach ich nicht, um dir den Muth zu nehmen. Wärest du fähig zu wanken, wärest du zu feige, dein Leben für das Vaterland zu wagen, du wärest kein echter Belge, und ich fluchte dir und verläugnete dich. Gelänge dir aber dein Plan erst, könntest du den Bluthund opfern, o wie würde ich dich segnen, wie die Stunde deiner Geburt segnen und wie Gott danken, der einen Mann gleich dir aus meinem Blut ließ geboren werden. Fahre dann fort, mein Sohn, und Gott stärke dich! Möge dein Herz an Muth stets wachsen und Maria einst der Lohn deines Muthes werden.«

Hoch erröthete Alfred bei diesen Worten vor Liebe und frohem Muth. Seit lange hatte er mit dem langen Nagel als wackerer Wassergeuse die See durchfahren, und gerne hatte Maria ihr Herz dem kühnen Jüngling geschenkt. Auf einen Augenblick ganz in seine Liebesträume gestürzt, vermochte er kein Wort zu erwidern; sein Herz klopfte so ungestüm. Noch saß er einige Minuten lang so da auf seinem kalten Sitze, dann aber sprang er plötzlich auf und schaute über die Mauer hin auf das Wasser.

Während er mit dem scharfen Blicke, der tagtäglich die weiten Felder der See zu durchspähen gewohnt war, ängstlich stromabwärts sah, saß der Vater still unten, die Hand vor den Augen. Eine Thräne der Liebe und banger Furcht zitterte zwischen seinen Fingern; ahnte er, daß er bald keinen Sohn mehr haben würde? sah er den Engel des Todes dem Geliebten drohend nahen?

»Vater!« flüsterte Alfred: »Es leben die Geusen! Ein Segel! Hinten an der Sandplatte taucht es auf!«

»Ein Segel, Gott Dank!« sprach der Vater sich rasch erhebend, und dem weisenden Finger Alfred’s mit dem Auge folgend. Ein Segel sagst du, doch wo?«

Eben trieb eine Wolke vor den Mond und die Schelde lag in tiefem Dunkel, und das Segel sank weg in die schwarzen Schatten.

»Hast du gut gesehen?« frug er dann wiederholt, »oder hat Maria’s Namen dir nicht eine Posse gespielt? bei meiner Seele, ich sehe nichts.«

Blitzschnell schoß ein Mondstrahl über die Wellen.

»Dort, seht ihr’s nun, Vater?«

»Ja, bei Gott, es ist der lange Nagel.«

Wenige Minuten später drang eine Schaluppe durch die Wellen und legte am Ufer an, während ein größeres Fahrzeug in einiger Entfernung anhielt. Zehn Männer und ein Frauenbild traten heraus und standen bald in den Trümmern bei den beiden Geusen. Einer der Neuangekommenen schien Aller Herr zu sein; nicht seine hohe Gestalt, nicht größerer Reichthum seiner Kleidung bezeichneten ihn als solchen, wohl aber die unbegreifliche Macht, welche der leiseste Ton seiner Stimme, ein Wink seines Fingers, ein Blick seines Auges auf Alle ausübte. Blindlings folgten seine Gefährten ihm, wohin er sie auch führte, und wenn er auf dem Verdecke seines Schiffes stehend, mit der Spitze seines Degens auf das Ufer zeigte und sein »Vorwärts!« rief, dann war nicht einer, den das Eisenwort nicht forttrieb, selbst da, wo Schwärme von Feinden das Ufer bedeckten.

Nachdem dieser seltsame Mann die zwei Schwarzmantligen erkannt und einige Worte mit ihnen gewechselt hatte, wandte er sich schnell zu den Uebrigen, die mit ihm gekommen waren und sprach:

»Mannen, haltet’s Segel im Auge und horchet wohl auf! Die spitzen eurer Dolche und die Lunten eurer Feuerrohre lasset ebenso Wacht halten als eure Augen und Ohren, auf daß nichts sich rühre, ohne daß ihr es höret und nichts sich bewege, ohne daß ihr es sehet.«

Und die Matrosen eilten dem Ufer zu, wo sie sich hinter einer zusammengestürzten Mauer verbargen und aufmerksam die ganze Gegend beobachteten. Ohne sich zu rühren, lagen sie dort; nur zuweilen, wenn der Nordwind die Lunten stärker anblies, glühten diese in dem Dunkel, wie etwa die Augen der wilden Katze oder der Waldeule.

Der lange Nagel, denn dieser war der hohe Mann, stieg nun mit van Schoonhoven die feuchten Treppen eines verfallenen Kellers hinab; Alfred folgte, nebst dem Frauenbilde.

»Hier ist’s aber beim Teufel noch dunkler als in den Kerkern der Inquisition, ja als in der Seele des Bluthundes Alba!« rief der lange Nagel, als sie drunten angekommen waren, doch van Schoonhoven sprach:

»Geduldet euch ein wenig, ich bin mit allem Nöthigen versehen.«

Und er holte einen Stein aus der Tasche und in einem Augenblicke glühte eine Lunte.

»Nun saget noch einmal, daß die Spanier allein toledosche Dolche haben,« rief er lachend. »Ist der meine nicht ein prächtiger Stahl?«

Bald loderte die Lunte unter Alfred’s kräftigem Hauche auf, und warf eine Fackel ihr zauberhaftes Licht auf die vier, welche sich in dem Keller befanden.

Der Graf van der Marck, Herr von Lumey, war ein wohlbeleibter Mann, mit gebräunten Wangen und funkelndem Auge. Ein dicker rother Schnurrbart kräuselte sich um seinen Mund, ein kleinerer spitzer Bart bedeckte sein Kinn. Mit Waffen war er dießmal wohl versehen; eine stählerne Brustplatte schimmerte unter seinem Wamms. Sein Herz war wild und nimmer konnte er vergeben. Den Katholiken spielte er u. a. so übel mit und fügte ihnen so viel Schaden zu, daß sie die Grabschrift auf ihn machten:

 
Hier ligt Grave van der Marcke
Hy leefde als een hond en stierf als een varcke. 16
 

Seine Tochter Maria war ein schönes, noch jugendliches Mädchen, deren Züge ganz die Lütticherin verriethen, mit glänzendem Auge, Haaren, schwärzer als der Nacken der Elster, und scharfgezeichneten Augenbrauen, wie man sie bei den meisten Walloninnen sieht. Ihre Kleidung stimmte wenig zu der Zartheit ihres Geschlechtes, zu der Höhe ihrer Abkunft, denn statt Seide und Sammt trug sie nur schweres Wollentuch, und ohne Flügel und Klappen und Bänder schmiegte sich Mieder und Samarie um ihren feinen Körper. Ein kleiner Filzhut deckte ihr aufgebundenes Haar. Sie glich in dieser Gestalt eher einem schönen Junker, der eben zur Jagd eilt, als einer Jungfrau. Ihr freier, kühner Blick kündete dazu noch, daß sie seit lange das ruhige Leben des Weibes mit dem wühligern, ruhelosen des Mannes vertauscht hatte.

Kaum flammte die Fackel auf, als sie lächelnd sich zu dem Geliebten wandte und sprach:

»Aber Freund Alfred, ist es denn so weit gekommen mit uns, daß ein Rattennest die Wohnung deiner Braut ward? So gieb mir doch einen Sitz.«

»Es ist noch ein Segen des Himmels für uns, daß wir auf den Ruinen unserer Städte einen Augenblick ruhen können,« antwortete der Junker bitter, indem er auf einen großen Mergelblock zeigte, der ihr zum Sitze dienen sollte.

»Holla, Mädchen, holla Junker!« rief der lange Nagel. »So eilig nicht und lasset die Worte Braut und Bräutigam nicht so leicht in eurem Munde umgehen. Noch hast du die Seekönigin der Wassergeusen nicht verdient.«

»Vater,« lächelte die Jungfrau ihm zu, auf den alten van Schoonhoven zeigend. »Fahret ihr Beiden nur in eurer Unterhaltung fort; ich werde meinem Alfred schon Muth und Kraft schenken, mich zu verdienen, denn er und kein Anderer wird je mein Obrist sein.«

»Ei, sieh da!« fiel der lange Nagel ein. »Wie mein Töchterlein sich aufwirft. Aber brav Maria, brav, so hab ich’s gerne, so gefällst du mir. Du machst das Sprichwort nicht zu Schanden, welches sagt, daß gut Blut nicht lügen kann. Morgen geb ich dir den Oberbefehl über das Flieboot Egmont.«

Ein seltsamer Ausdruck flog in diesem Augenblick über Maria’s Züge; sie erkalteten und wurden strenger und tief zogen sich ihre Augenbrauen zusammen.

»Trauet ihr mir denn nicht zu, Vater, daß ich auch ein Segel anführen könne? Meinet ihr vielleicht, ich scheue mich vor spanischem Blute? Nein wahrlich nicht. Feindliche Kugeln, das wißt ihr, zischten auch an meinen Wangen vorbei ohne daß diese darob erblichen wären. Es bedarf just nicht stets der Kraft des Mannes, des Feindes Brust zu finden. Wer immer sein Vaterland liebt, auch eine Frau, findet auch Muth, es zu vertheidigen.«

Und mit den Worten zog sie einen Dolch aus dem Busen und sprach:

»Davon muß Alba fallen!«

Der lange Nagel drückte sein Kind mit inniger Seelenfreude an’s Herz; ein hohes Glück belebte das ganze Gesicht des rauhen Seemannes, eine kalte Thräne stand in seinem glühenden Auge.

»Mein Kind!« rief er. »Mein edel Kind!«

Mehr vermochte er nicht zu sprechen.

*                   *
*

Der Graf van der Marck hatte sich mit van Schoonhoven in eine Ecke des Kellers zurückgezogen; Alfred saß neben Maria auf dem Steine. Er beschaute sie in tiefer Betrübniß; sein Antlitz war bleich und schmerzliche Seufzer entstiegen seiner Brust.

»Was fehlt dir denn Alfred?« frug Maria leiser. »Was hast du, was dich so trübe macht, dich so mißstimmt?«

»Meine liebe, meine theure Braut, weißt du wohl, daß ich mein Leben opfern könnte, ohne deinen Besitz zu erringen, ohne dich je wiederzusehen?« frug der Jüngling, während eine bange Thräne sich über seine Wange stahl.

»Aber Alfred, mein Geliebter, mein Bruder,« seufzte die Jungfrau, »Sterben wirst du nicht. Warum denn erfüllst du mich mit Sorge und Zagen? Ich bin so froh, dich wiederzusehen. So schweige doch von solchen Dingen und reiße den Schleier nicht von meinen Augen, mein armer Alfred . . . «

Der Junker schwieg einen Augenblick; er schien in seinem Sinnen den fast verlorenen Muth, die fast geflohene Kraft wieder zu gewinnen. Dann hob er das Haupt, schlang seinen Arm um Maria, deren Augen auch feucht geworden waren und frug leise:

»Wirst du für mich zu Gott flehen, Maria?«

»Ach gewiß,« antwortete die Jungfrau. »Jeden Tag, wo ich dir ferne bin, werde ich, noch ehe die Sonne über dem Meere aufsteigt, meine Thränen vor dem Herrn ausgießen und ihn bitten, daß er dir und dem Vaterlande gnädig sei.«

»Aber glaubst du nicht, daß es eine Missethat ist, einen Menschen, wer es auch sein möge, unversehens zu überfallen und zu ermorden, nicht in ehrlichem Kampfe, sondern . . . «

»Alfred, Alfred!« rief die Jungfrau. »Findet die Stimme des Vaterlandes denn kein Echo mehr in deinem Herzen? Zögerst du, den Tod unserer Brüder zu rächen? Soll ich das von dir denken müssen, sprich!«

»Beruhige dich, meine Liebe! Nichts hält mich zurück, weder die Furcht vor der Strafe, noch die Furcht vor dem Tode. Sterben ist nichts für den, der allein auf Erden ist. Wenn aber unsere Seele in einer andern Seele lebt, dann ist sterben doppelt sterben. Der Gedanke daran preßt mir das Herz zusammen – du auch, Maria, würdest du nicht einer zertretenen Blume gleich mit mir untergehen?«

Maria erbebte bei dem Worte. Sie faßte des Geliebten Hand und brachte sie an ihr nasses Auge.

»Um Gottes willen, Alfred, sprich nicht also. Deine Worte fallen mir so schwer, so schmerzlich auf’s Herz.«

Doch fuhr der Junker fort:

»Wenn es denn aber wahr wäre – wenn ein Kerker mich schiede von dir, wenn das Beil des Henkers trennend zwischen uns Beiden niederfiele! Was hätte ich dann von meiner Wagniß?«

Maria erbleichte. sie antwortete nicht. Nach einigem Sinnen aber färbten sich ihre Wangen höher; ihre Augen glänzten in neuem Feuer, ihre Stimme gewann größere Kraft, und sie entgegnete ernst:

»Was du haben würdest, Alfred? Den Himmel und die Seeligkeit bei Gott und dein Grab würde dann unser Brautbett. Stolz, dein auch noch nach deinem Tode zu sein, würde ich deine Verlobte bleiben, und dein Schatten müßte sich an meiner Treue erfreuen.«

»Engel, du überwältigest mit deinem Edelmuthe!« rief Alfred. Ja so sei es denn. Gieb mir den Stahl, der so oft den Schlägen deines Herzens gehorcht. Laß mich das Werkzeug der Erlösung des Vaterlandes aus deinen Händen empfangen.«

Begeistert sank Alfred vor ihr auf’s Knie. Unter einem tiefen Seufzer zog sie den Dolch aus dem Busen, gab ihn dem Junker und flüsterte leise:

»Möge er nicht das Werkzeug deines Todes sein!«

Und zwei große Thränen sanken auf den glänzenden Stahl. Alfred preßte ihn leidenschaftlich an’s Herz und küßte die Thränen ab, des Glaubens und der Liebe Thränen, heilige Tropfen, die Glauben und Liebe auch ihm wiedergaben.

Der lange Nagel und van Schoonhoven schauten schweigend auf die Beiden, die so ganz vergessen hatten, daß sie nicht allein waren. Die beiden Väter drückten einander in tiefer Rührung die Hände.

16.Hier liegt Graf van der Marck, er lebte gleich einem Hunde und starb gleich einem Schwein (Ferken).
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
260 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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