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Читать книгу: «Abendstunden», страница 14

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Striata formosissima, oder das Dahlienfieber.
Übers. Maria Wolf

Gewiß, meine freundlichen Leser, seht ihr alle gern eine schöne Dahlie, und vielleicht seid ihr geneigt, sie anstatt der entzückenden, poetischen Rose als Königin auf den Thron des Blumenreiches zu erheben; aber bedenkt euch wohl, ehe ihr euch einen Dahlienliebhaber nennt. Ihr glaubt sonder Zweifel in eurer Einfalt, daß man nur die Dahlien lieben müsse, um Dahlienliebhaber zu sein: aber vergönnt mir, euch zu sagen, daß diese Ansicht sehr irrig ist. So gewagt euch diese Meinung auch scheinen mag, so wird sie gewiß eure Zustimmung erlangen, wenn ich euch einen wahren Dahlienliebhaber schildere.

Es giebt deren drei Arten, nämlich: Reiche, Bürger und arme Leute. Unter diesen ist die wohlhabende Bürgerklasse am meisten auf Dahlien verpicht; sie soll denn auch die Grundlage meiner Schilderung bilden.

Ein Dahlienliebhaber ist nämlich während des größten Theiles des Jahres ein Mann, der sein Vaterland, seine Familie, seine Freunde verläugnet, und gleich einem Menschenfeind sich von Jedem zurückzieht. In der Nacht flieht der süße Schlaf sein Lager, denn hundert Dahlien, welche ihn verfolgen, und in seinem Kopfe herumspuken, erhalten ihn wach. Könnte er, wie ein zweiter Josua, der Schöpfung gebieten, so würde er sicherlich im Sommer die Nacht ganz verbannen, und erst im Winter, wenn die Dahlien verblüht sind, sie wieder in ihre Rechte einsetzen. Vor Sonnenaufgang verläßt er das Bett: durchnäßt vom fallenden Thau, und zitternd von der kalten Morgenluft, steht er wie ein steinern Bild vor einer Dahlie. Er zählt ihre Blätter, prägt sich ihre Färbungen ein, redet sie an, verläßt sie, kehrt zurück, und beginnt auf’s Neue seine tiefsinnigen Betrachtungen. Wird er zum Essen gerufen, so kommt er erst, wenn alle speisen kalt sind, und schluckt dieselben hinunter, ohne zu wissen, was er thut. Er spricht nicht, beachtet kaum seine Frau und Kinder, und rennt so schnell wie möglich, gleich einem Verfolgten wieder in den Garten. – Dann lockert er hier die Erde um eine Dahlienwurzel auf, steckt dort ein Stöckchen in den Grund, um die Blume zu stützen, befestigt etwas weiter ein Blatt Papier über eine Dahlie, um sie zu beschatten, und bringt auf diese Weise den ganzen Tag durch, bis er gegen Abend, mit der untergehenden Sonne hadernd, sich genötigt sieht, in sein Haus zurückzukehren. Ihr meint wohl, daß er wenigstens jetzt mit seinen Angehörigen sprechen werde? Ja wohl, von Dahlien, aber weiter nichts: und da seine Frau dieser Unterhaltung seit lange müde geworden ist, thut sie, als ob ihr Mann gar nicht auf der Welt wäre. Er durchliest unterdeß zum hundertsten Male eine Dahlienliste oder einen Katalog, welchen er bereits seit einigen Monaten auswendig kann, – und geht endlich sehr früh zu Bette: nicht um zu schlafen, sondern um nach Lust und Liebe den Gedanken an seine Dahlien nachhängen zu können.

Am andern Tage beginnt er dasselbe Leben. Wollt ihr über eine wichtige Sache mit ihm sprechen, so hört er euch kaum an, und führt euch zu seinen Dahlien. Hier wiederholt er sein altes, ewiges Lied: »Eine schöne Blume, nicht wahr? seht nur, wie fein geformt die Blätter! Wie klar und rein ihre Farbe! Es gibt doch nichts schöneres auf der Welt als eine Dahlie, wie?« – Vergebens wendet ihr Alles an, ihn auf einen andern Gegenstand zu bringen: sagt ihm, daß die vier und zwanzig Artikel25 angenommen sind, er wird euch, wie ein Bewohner des Mondes anblicken, der von keinem einzigen Artikel weiß. Sagt ihm, das Haus seines besten Freundes sei abgebrannt, so wird er euch antworten: »Der hat schöne Dahlien, man wird sie sicher mit Füßen getreten haben – das wäre ärgerlich!« Sprecht ihm von einem Meisterstück von Wappers Hand, und er wird mit Geringschätzung ausrufen: »Wer kann eine Dahlie malen? Unmöglich! unmöglich!« Erzählt ihm, daß sein ältester Sohn ein wüstes Leben führt, er wird darauf schwören, daß es nur davon herrührt, weil der Junge mehr Liebe für Mädchen und Wirthshäuser in sich fühle, als für Dahlien. – In diesem Falle mag er übrigens wohl Recht haben. – Fragt ihn ferner nach dem Alter seiner Kinder, und er kommt in Verwirrung, und gibt Joseph das Alter Sophiens: Alles, was ihn betrifft, hat er vergessen. Dagegen kennt er die Geschichte der Dahlien auswendig, und wird euch aufs Genaueste erzählen: daß die Dahlie ursprünglich aus Mexico in Amerika stammt, daß sie dort wild wächst, und nur einfache sternartige Blumen trage; daß ihr Name von Andreas Dahl herrühre, einem schwedischen Botaniker; – daß diese Pflanze im Jahre 1789 zuerst durch Vicente Cervantes, Direktor des botanischen Gartens in Mexico, nach Spanien versandt wurde; daß der große Pflanzengarten in Paris sie erst im Jahre 1802 erhielt, u.s.w.

Ich rathe euch nicht, in einem solchen Augenblicke das närrische Treiben unsers Liebhabers zu tadeln, und dadurch zu verrathen, daß ihr etwas auf der Welt höher als die Dahlien schätzt; denn dann würde er euer größter Feind werden, und euch selbst den gewöhnlichen Gruß versagen. —

Er, der sonst so weichherzig ist, daß er seine Tauben und Kaninchen bei seinem Nachbar schlachten läßt, wird die Ehre einer Dahlie mit Feuer und Schwert verfechten. Und, solltet ihr ihn einst mit blauem Auge erscheinen sehen, so beschuldigt doch um Gotteswillen nicht seine gute Frau, denn es ist jedenfalls der eine oder andre Dahlienliebhaber, dem er das zu verdanken hat. – Ihr müßt ja nicht glauben, daß der Mann andere Blumen, als Dahlien unter seinen Augen duldet: auf die Rose hält er nichts; die duftende Nelke tritt er mit Füßen; die üppig blühende Winterrose wirft er seiner Ziege vor; sein Misthaufen besteht aus den entwurzelten Pflanzen des Akoley, der Päonie, des Veilchens, des Fingerhutes, der Viole, der Feldglöckchen, der Löwenmäulchen, der Lilie, der Aurikel, und aus allen andern lieben, seltenen und prächtigen Blumen, die unsre Väter so sehr liebten, und die nun in demselben Grade vom Dahlienliebhaber gleich Unkraut gehaßt werden.

Zu dem größten Unglücke des Dahliennarres hat der Schöpfer in seiner Allweisheit für gut gefunden, den Sommer keine zwölf Monate dauern zu lassen.

Dieß verkürzt das Leben unsers Dahlienliebhabers ganz erschrecklich. Ihr wißt, sonder Zweifel, meine freundlichen Leser, daß die Marmotte ein Geschöpf ist, welches während vier ganzer Wintermonde sonder Leben und Gefühl schläft, und nicht eher erwacht, als bis die Sonne die Erde wieder mit einem grünen Teppich überzieht. Der Dahlienliebhaber gleicht diesem Thiere auf ein Haar. Sobald der nahende Frost ihn gezwungen hat, seine Dahlienwurzeln in den Keller zu bringen, schwindet jeder Reiz aus seinem Leben; sein Herz erkaltet, sein Auge wird unstät, seine Bewegungen langsam und träge, und er fällt in der That in einen geistigen Schlaf, woraus ihn erst der anbrechende Frühling wieder erweckt. Dieser Umstand gibt ihn übrigens allmälig seinen Angehörigen zurück; er sieht sogar zuweilen seine längst vergessenen Freunde wieder, und zeigt ein stilles Wohlwollen für Frau und Kinder, er wendet seinen verwahrlosten Geschäftssachen eine obwohl nur laue Aufmerksamkeit zu, und erwirbt sich so den Namen eines recht guten Menschen. – Ich möchte sagen, daß Niemand so unmittelbar unter dem Einfluß des Himmels steht, als er: sobald der erste Monat nach Neujahr verflossen ist, sendet er täglich einen langen Blick in die Höhe: ist der Himmel blau und heiter, so strahlen seine Augen freudeglänzend dem klaren Azur entgegen, ist er aber grau und umwölkt, dann senkt sich tiefe Trauer auf sein düsteres Angesicht. Nach langem peinlichem Warten folgt endlich der laue März auf den schneereichen Februar.

Eines Morgens verläßt er früher als gewöhnlich sein Lager; er fühlt bereits in seinem Schlafzimmer, daß in der Nacht eine Veränderung in der Natur vorgegangen ist; sein Herz klopft in rascheren Schlägen, das Blut strömt schneller in seinen Adern, er kleidet sich zitternd vor Aufregung an. Wie einst Noah öffnet er das Fenster seiner Arche; aber statt eine Taube auszusenden, eilt er selbst die Treppe hinunter, und stürmt in den Garten. Ein Ausdruck inniger Seligkeit erhellt seine Züge; er erhebt das Auge anbetend zum tiefblauen Himmel, und gleich Noah’s freigelassener Taube schlägt er mit den Schwingen, oder vielmehr mit den Armen um sich, die steifen Glieder geschmeidig zu machen. Wer dem wunderbaren Walten der Natur einige Aufmerksamkeit zuwendet, der wird leicht die Gefühle des Dahlienliebhabers verstehn. Während der Nacht hatte Gott seinen erquickenden Athem, den lauen Südwind, auf die Erde gesandt: diese hatte ihren Schooß erschlossen, und die Luft mit Wohlgerüchen erfüllt. Es schwebt über dem gährenden Boden etwas Zauberartiges, ein unsichtbarer Duft, der uns die freudige Ueberzeugung giebt, daß es nicht mehr frieren werde, und daß die Pflanzen aus ihrem Schlafe erwachten. Der Dahlienliebhaber bleibt einige Augenblicke betroffen stehen; er fühlt seine Lebenskraft verdoppelt zurückkehren, und durcheilt mit schnellen leichten Schritten den Garten. Plötzlich hält er inne, und ein Lächeln schwebt über seine Lippen, welche einen freundlichen, Willkomm stammeln. Vor ihm ist ein Schneeglöckchen erblüht, und er hat nun, wie Noah’s Taube, den Oelzweig gefunden; ein Zeichen der neuerwachten Natur! Mit vorsichtigen Händen pflückt er das zarte Blümchen und läuft damit seinem Hause zu:

»Frau, Frau!« ruft er begeistert aus, »der Sommer ist da! Nun werden wir ein neues Leben beginnen!«

Die Frau ist gerade in der Haushaltung beschäftigt; sie blickt kaum auf, und sagt unwillig zu einem kleinen Kinde, das entsetzlich schreit: »Ah, Blumen für unser Leopoldchen!«

Der Vater giebt vorsichtig dem Kinde die Glöckchen, doch der kleine Schelm steckt sie in den Mund, ißt sie halb auf, und entblättert die übrigen. Ich weiß nicht, welches Gefühl das Herz des Vaters durchdringt; aber er zuckt die Achseln, beißt sich auf die Lippen, und geht ohne ein Wort zu sprechen in ein anderes Zimmer.

Der Mann, den ich mir als Helden dieser Skizze gewählt habe, heißt Herr Fruyts, und wohnt in einer Vorstadt Antwerpen’s; er ist ein wohlhabender Bürger von ungefähr 50 Jahren, von schlichten, einfachen Sitten und gutem Herzen; sein einziger Fehler ist die Dahliensucht.

Was ich so eben erzählte, begab sich am ersten März des Jahres 1839.

Herr Fruyts hatte sich vor einen Tisch gesetzt, worauf einige kleine beschriebene Büchelchen, Bleistifte, und alles Andere lag, was zum Schreiben gehört. Indem er die Büchelchen durchblätterte, sprach er von Zeit zu Zeit zu sich selbst:

»Anna Maria pflanz’ ich in die erste Reihe; es ist eine schöne Blume, mit Mausöhrchen und mit purpurnen Punkten. Bonaparte mit dem geraden Stengel und der Kastanienfarbe setze ich dahinter, neben Waterloo mit den feinen Blättern der Orange. Soll ich Défiance auch pflanzen?«

»Außerdem habe ich noch die hübsche Dahlie: Chocolade mit Milch. – Die werde ich in die Mitte pflanzen, mit England’s pride, Don Carlos, Formosa und Hortense Knyff. Aber, wohin setze ich den König meiner Sammlung? meine Striata formosissima? —«

»Darüber möchte ich nicht leichtsinnig beschließen. Wir werden es wohl überlegen. Pflanze ich sie oben an in die erste Reihe, dann werden die Liebhaber all’ meine andern Blumen nicht mehr schön finden; setze ich sie in die letzte Reihe, dann sind sie des Sehens müde, ehe sie meine Striata formosissima erreichen? Das darf nicht sein. Pflanze ich sie in die Mitte, dann kann man sie nicht von ferne sehen. Aber wohin soll ich sie denn pflanzen?«

Bei dieser Frage schlug sich Herr Fruyts mit der flachen Hand vor die Stirne, und beugte sich in tiefem Nachdenken über den Tisch. Lange blieb er, sich selbst vergessend, in dieser Stellung, und suchte die Antwort auf diese unauflöslichen Fragen, bis er endlich von seinem Sitze auffuhr, und seine Augen rieb, wie Jemand, der fest geschlafen hat.

»Wohin soll ich meine Striata formosissima nun pflanzen?« rief er mit überlauter Stimme.

Aber die Wände blieben stumm, und seine Frage wurde nicht beantwortet. Während er sich nun auf’s Neue verzweifelnd die Stirne schlug, wurde die Thüre leise von einem andern Dahlienliebhaber, Herrn Bielens geöffnet, welcher seinen Kopf herein steckte, indem er sagte:

»Das ist jetzt ein Wetterchen, he?«

Herr Fruyts lief ihm entgegen, zog ihn bei der Hand bis in die Mitte des Zimmers, stellte sich dicht vor ihn hin, und indem er ihn unverwandt anblickte, wiederholte er ärgerlich die Frage: »Wohin soll ich denn aber meine Striata formosissima pflanzen?«

Herr Bielens betrachtete verwundert seinen Freund, und schien geneigt in Lachen auszubrechen; doch er bezwang sich, und es begann die folgende Unterhaltung:

Bielens

»Darüber müßt Ihr nicht in einem Tage verfügen. Es kann vielleicht noch sechs Wochen dauern, bevor wir unsre Dahlien pflanzen dürfen. Denkt einstweilen ruhig darüber nach, und das will ich auch thun: binnen acht Tagen können wir dann mit reiferem Urtheil über diese Sache beschließen.«

Fruyts (freudig)

»Das ist vernünftig gesprochen. Ich sehe, ihr wißt, welche Blume meine Striata formosissima ist. Niemand besitzt sie auf hundert Stunden in der Umgegend; ich werde allein in diesem Jahre noch fünf bis sechs Medaillen durch sie gewinnen. Wie will ich die Liebhaber von Merrem beschämen!«

Bielens

»Aber habt ihr sie auch gut verwahrt? Habt ihr sie in trockene Kleie gelegt, wie ich euch gerathen habe?«

Fruyts

»Ja wohl, und dazu hatte ich in diesem Winter kein Wasser in meinem Keller.«

Bielens

»Aber hört, Fruyts, ich bin hierhin gekommen, um eine andere Sache mit euch zu überlegen; sagt, wollen wir unsre Kinder nach Ostern trauen lassen? sie kennen sich Beide nun lange genug, und wenn sonst kein Hinderniß im Wege steht, warum sollten wir sie noch länger durch unnützes Warten quälen?«

Fruyts
(nimmt ein Büchelchen von dem Tisch)

»Seht mal, Bielens! das müßt ihr mir in’s Flämische übersetzen; ewig mit diesen dummen französischen Listen. Uebersetzt mir nur das, was von der Dahlie hier steht.«

Bielens
(im Büchelchen lesend)

»No. 756. British Queen. Nun gut. – schöne Form, Blätter wie Mausöhrchen, weißer Grund in Purpur übergehend und violett gesäumt. Schön geformt, mit gradem Stengel.« Bleibt die Hochzeit eurer Tochter mit meinem Sohne nun als festgesetzt nach Ostern?«

Fruyts (in Gedanken versunken)

»Ah, das muß eine schöne Blume sein, wie? Weiß mit violettem Rand, und Mausöhrchen? Ich wende zehn Franken dran! Rathet ihr mir, sie zu kaufen?«

Bielens (ungeduldig)

»Ich sage euch, Fruyts, ich spreche von keiner Dahlie mehr, bevor ihr mir Bescheid gegeben habt. Heirathen unsre Kinder nach Ostern? Ja oder Nein?«

Fruyts (schüttelt ärgerlich den Kopf)

»Nun ja, ja gewiß. Seid ihr nun zufrieden, he? Da habt ihr Hand und Wort. Soll ich die British Queen kaufen, sagt?«

Bielens

»Ja, aber ihr wißt wohl, daß man nicht so heirathet; wir müssen uns über die Sache verständigen. Ihr werdet doch sicherlich eurer Tochter ein Sümmchen mitgeben?«

Fruyts

»Ich sage Ja auf Alles, was ihr wollt! und je eher je lieber. Die Heirath möcht mir sonst noch gar in die Dahlienzeit fallen. Besorgt Alles; meine Zustimmung habt ihr im Voraus sag ich euch. – Aber sagt, Bielens, habt ihr eure Dahlien schon aus dem Keller geholt?«

Bielens

»Ja, gestern Morgen hab ich sie unter ein Glas gelegt, zum brüten. – Ich will butüren.«26

Fruyts

»Da müssen die meinen auch noch heut aus dem Keller. Sobald ihr weg seid, geh’ ich sie besuchen.«

Bielens

»Ja, ich habe mich ohnedies zu lang hier aufgehalten. Gebt mir eure Hand auf die Verheirathung unsrer Kinder. Ich will dann alles besorgen. Und um nichts zu versäumen, soll mein Sohn heute kommen, um euch selbst um eure Einwilligung zu bitten. Ihr dürft ihn nicht beschämen, hört ihr?«

Fruyts

»Macht euch darüber keine Sorgen, ich will ihm nichts als ja, ja, antworten. Ihr könnt wohl denken, daß ich, wenn ich meine Wurzeln gesehen hab, nicht mehr viel Zeit habe, um mit eurem Sohn zu plaudern. Nun gehabt euch wohl. Bis zum Nachmittag!«

Sobald sich Herr Bielens entfernt hatte, erhellte ein freudiger Ausdruck Herrn Fruyt’s Züge. Wie Jemand, der mit ungeduldiger Hast sich zu etwas bereitet, schritt er im Zimmer auf und ab, nahm hier ein Messer aus dem Kasten, dort einen Hammer, von der Schornsteinplatte einige Alphabete Stempellettern, von der Erde ein Tragbrett, dann einen Bleistift und ein ganzes Buch Papier. Alle Hände voll und schwer bepackt, das Tragbrett unter dem Arm, begab er sich zu seiner Frau, und verlangte den Kellerschlüssel. Aber die Zärtliche betrachtete ihn mit Blicken, welche eher Spott als Erstaunen verriethen.

»Was, Schlüssel!« rief sie. »Kommen die Dahlien nun wieder zum Vorschein? Dann wird unser Haus wieder eine Hölle werden. Du warst bisher vernünftig, aber nun sollen die Narrenstreiche auf’s Neue beginnen, wie? Da steht er wie ein ausverkaufter Krämer. – So schäm dich doch!«

Der gefolterte Liebhaber zitterte vor Ungeduld, und wiederholte ärgerlich:

»Den Schlüssel, sag ich!«

»Nun, nun,« erwiederte lachend die Frau, »beiß mich nur nicht. Da ist der Schlüssel.«

Herr Fruyts riß zornig den Schlüssel aus den Händen der Frau; doch aller Aerger verschwand, als er in den Keller hinabstieg, und sich seinen Dahlien näherte. Sein Auge weilt mit Entzücken auf den Brettern, worauf die Wurzeln liegen. Sie tragen alle ein Zeichen, welches auf eine kleine bleierne Platte geprägt ist, aber nicht für den Dahlienliebhaber, denn er kennt die Wurzeln besser als seine Kinder; er weiß ihre Vor- und Zunamen, ihren Geburtsort, ihre Eigenschaften, ihr Alter. Bald hüllt ein entzückender Traum seine Phantasie in trügerischen Schleier. Seine Phantasie läßt ihn sämmtliche Dahlien in vollster Blüthe, im schönsten Glanze in dem halbdunkeln Keller erscheinen! Hier prangt Miß Colt, die Atlasrose, dort Conqueror, mit den feinen braunen sammtblättern; daneben Fireball, wie eine glühende Feuerkugel, und das zweifarbige Nonpareil; ferner der goldne Topas, die silberne Virgin Queen, und der schwarze Sambo. Tausend andere Dahlien steigen vor ihm in dem Gewölbe auf; ihre vielen reichfarbigen Blüthen verschwimmen vor den Augen des begeisterten Liebhabers. Er wähnt, daß die Sonne ein Strahlenmeer in seinen feuchten Keller gieße, und fühlt sich von lauer Lenzesluft, von süßen Wohlgerüchen umgeben. Ein Paradies mit unbekannten Freuden ist ihm gegeben. – O Dahlie, wie reich belohnst du deinen Diener!

Diese trügerischen Träume umgaukeln noch lange Herrn Fruyts. Endlich doch schwand das Zauberspiel; er warf einen stolzen Blick auf ein hölzernes Gefäß, welches in einer Ecke des Kellers auf dem höchsten Brette stand, und sprach zu sich selbst: »Hier, in diesem hölzernen Töpfchen liegt meine Striata formosissima, und schläft ruhig auf ihrem Bett von Kleien. Striata formosissima! edle Blume! sie sagen, daß du den Striped perfection nicht besiegen werdest, aber sie kennen dich ja nicht. Sie wissen nicht, wie die braunen Purpurstreifen aus deinem weißen Herzen glänzen und strahlen. Laß sie immerhin die dunkeln Flecken der striped perfection mit deinen prächtig gezeichneten Blättern vergleichen. Ach, sie irren: der Neid verblendet sie; aber du wirst dich schon rächen, und Allen zum Trotz die Medaille gewinnen!«

Wir lassen Herrn Fruyts in seinem Keller bei den zärtlich geliebten Wurzeln, um uns zu seiner Frau in die Küche zu begeben. Die junge Verlobte von Bielens’ Sohn war gerade aus der Stadt zurückgekommen. Als sie an dem Hause ihres zukünftigen Gatten vorüberkam, hatte dieser sonder Zweifel ihr einige Worte über seinen Besuch gesagt, denn kaum hatte sie ihre Mutter gegrüßt, als sie auch schnell hinzufügte:

»Mutter, Franz wird heute Mittag kommen, den Vater um seine Einwilligung zu bitten.«Wirst du ihm wohl ein wenig beistehen?«

Die gute Frau strich schmeichelnd mit der Hand über die Stirne ihrer Tochter und erwiederte:

»Ja, ja Kind, laß nur gut sein. Wenn es heute nicht glückt, dann glückt es nie. Dein Vater ist in allerbester Stimmung; er ist just beschäftigt, die Dahlien aus dem Keller zu holen.«

Diese Nachricht schien der Tochter nicht geringe Freude zu machen.

»Ach!« rief sie aus, dann können wir nach Ostern heirathen, wie Mutter?«

»Nun, nun Kind, du mußt nicht so schnell und eilig sein,« bemerkte lächelnd die Frau. »Du bist noch lange genug verheirathet, mach dir darum keine Sorgen. Aber du hast nicht Unrecht. Franz ist ein braver Bürgerssohn; er sieht seinen Sachen nach und hat auch ja schon einen ziemlichen Gehalt auf’m Comptoir. Ihr habt euch beide immer gut aufgeführt. Ja, ja nach Ostern.«

Ein dankbarer Blick war des Mädchens Antwort. Sie setzte sich still und nachdenkend am Fenster nieder; die Mutter entfernte sich, um einige kleine Geschäfte zu besorgen. Kurz darauf erschien Franz Bielens, ganz gekleidet wie ein junger Stutzer. Er hatte eine ziemlich hübsche Gestalt, angenehme Züge, und in seiner ganzen Erscheinung sprach sich Biederkeit und Treuherzigkeit aus. Eine leichte Aufregung war in seinem Wesen zu bemerken, als er mit leichtem Anstand die beiden Frauen grüßte, und dann zur Mutter gewendet sprach:

»Mutter Fruyts, ihr kennt den Zweck meines Besuches. Meine Aeltern sind mit meinen Wünschen einverstanden, und auch ihr wollt mir den ehrenvollen Titel eines Sohnes nicht länger versagen. So hängt es denn allein von Herrn Fruyts ab, uns Alle froh und glücklich zu machen. Seid doch so gut, ihn um einige Augenblicke Gehör zu bitten, ich möchte ihn gern allein sprechen.«

»Aber wie eilig seid ihr Beide!« rief die Mutter scherzend aus. »Ich sehe wohl, ihr wollt das Eisen schmieden, so lang es warm ist. Ihr habt Recht, denn ihr liebt euch ja gegenseitig, he? Wartet nur einen Augenblick, ich gehe und rufe Fruyts aus dem Keller.«

Sie öffnete die Kellerthür und rief:

»Jan, komm einmal herauf, es ist Jemand da, der dich sprechen will!«

Ein Gemurmel, das einem Ja gleich, ließ sich vernehmen; Frau Fruyts kehrte zu den Beiden zurück, und brachte die Antwort:

»Er wird sogleich kommen.« sie warteten ziemlich lange und nicht frei von Beklemmung auf die Ankunft des Herrn Fruyts. Endlich hörten sie ein lautes Geräusch in dem Keller, es war, als ob man leere Flaschen an der Mauer in Stücke schlüge; die Gestelle wurden gewaltsam von der Mauer gerissen und von einer Seite zur andern geschleudert. Der Keller schien zu einer kleinen Hölle geworden zu sein, woraus die Stimme des Herrn Fruyts, wie die einer verdammten Seele, sich klagend hören ließ; durch schmerzliche Töne und Ausrufungen drang vor Allem der Name Striata formosissima zu den Ohren der ängstlich Harrenden.

Frau Fruyts wurde dunkelroth vor Zorn, sie sprang auf, und wäre gewiß mit ihrem Manne über den Schaden, den er angerichtet, handgemein geworden; doch als er jetzt gerade eintrat, benahm sein Aussehen ihr die Sprache.

Eine schreckliche Verwirrung und Bestürzung sprach sich in seinem ganzen Wesen aus. Das Haar sträubte sich auf seinem Kopfe, und aus der Unordnung in seinem Anzuge konnte man leicht schließen, welche verzweifelten Bewegungen er gemacht haben mußte. Seine Beinkleider waren mit Schmutz und Erde bedeckt, und an seinen schwarzen Holzschuhen klebten noch einige Stücke der Dahlienwurzeln, die er in seinem Aerger zertreten hatte. In der einen Hand hielt er ein hölzern Gefäß, woraus er wüthend Kleien auf den Hausflur umher streute; in der andern eine, wie es schien, zerbrochene Wurzel. In seinem Angesicht war die äußerste Verzweiflung ausgedrückt. Die Augenbrauen hingen tief über die Augen, die Ecken des Mundes waren krampfhaft verzogen, und die Zähne knirschend aufeinander gepreßt, als ob er im Begriff gewesen wäre, etwas Hartes zu zerbeißen. Mit wankenden Schritten, wie ein Halbwahnsinniger, schritt er vorwärts, und schaute grimmig nach allen Seiten um. Die zwei Frauen standen erstaunt und sprachlos; das Mädchen die Hände fast flehend gegen ihn erhebend; die Mutter, die Arme wie drohend in die Seite gestemmt. Was den jungen Mann betrifft, so schien dieser nicht wenig ärgerlich über die unangenehme Lage, in welche er so unversehens gerathen war. Gewiß hatte er die Ursache von Herrn Fruyts Zorn errathen, denn ein sonderbares Lächeln umspielte seine Lippen. Die Frau suchte sich zuerst über das vorgefallene Unglück aufzuklären, und schnauzte ihren Mann an:

»Nun, was gibt’s wieder, du Narr? Willst uns bei lebendigem Leib verschlingen?«

Darob warf der Vater ihr einen tödtlichen Blick zu; er antwortete aber nicht.

Die Mutter

»Ei um Gottes willen! Mit deinen dummen Grillen. Ziehst wahrlich ein Gesicht, wie der böse Schächer (sie mildert den Ausdruck ihrer Stimme, spottend), ’s ist gewiß ein Dahliachen aus deiner Hand gefallen, ach Himmel! – Ist es möglich, so viel Spektakel darum zu machen? Um solche Dummheiten?«

Die Tochter, will den Arm ihres Vaters fassen

»Gott, Vater, was ist denn geschehen? sagt es mir doch!«

Der Vater, stößt sie weg

»Laß mich in Ruhe! sprich mich nicht an! Fort aus meinen Augen! (Er sieht die Katze am Ofen liegen und giebt ihr einen solchen stoß mit dem Fuße, daß sie jämmerlich miauend bis zur Thüre fliegt). Lumpiges, faules Vieh! Du Hexe du, ich dreh dir den Hals herum! Keine zwei Tage, und du hast einen Stein am Halse und liegst im Wasser! Muß ich dir darum die Kost geben?«

Die Mutter, aufgebracht

»Aber was fällt dir ein, du Dahliennarr? Meinst du, Alles über’n Haufen werfen zu können im Hause und Alles zu ruinieren? (sie stellt sich, die Hände in die Seite gestemmt, vor ihn hin, und fährt ihn an). Wirst du der lächerlichen Komödie bald ein Ende machen, oder willst du, daß ich dich vor die Thüre werfe?«

Diese Drohung machte Herrn Fruyts Blut ein wenig kühler, denn er fürchtete seine Frau über die Maßen. Mit großen Schritten ging er stumm in dem Zimmer auf und ab, während die beiden Frauen und der junge Mann da standen und warteten, bis er wieder mehr zu sich gekommen sein werde. Der Augenblick war indeß weniger nah, als sie glaubten, denn der unglückliche Liebhaber schlug sich von Zeit zu Zeit mit der Hand vor die Stirn, und machte immer mehr Bewegungen, welche sein stets noch steigendes Seelenleiden nur zu deutlich verriethen. Endlich konnte er sich nicht länger zurückhalten, er warf einen wüthenden Blick auf den jungen Bielens und brach los:

»Und was habt ihr denn in meinem Hause zu thun, Federfuchser? Ihr kommt wohl, um euch an dem Herzeleid zu freuen, das euer Vater mir angethan hat, he? – Ich werde ihn aber schon zu finden wissen! Nicht eine Dahlie soll er in seinem Garten behalten, und wenn ich Diebe bezahlen sollt, die hingehen und sie in Stücke treten!«

Bielens, beleidigt

»Ich wüßte nicht, Herr Fruyts, daß mein Vater euch je etwas zu Leide gethan hätte. Ihr wart ja gestern noch die besten Freunde.«

Der Vater, heftig

»Freunde, ja, ich bedank mich für derlei verrätherische Freunde, die einem alle Arten von Aerger anthun.«

Bielens

»Aber was hat mein Vater euch denn gethan, Herr Fruyts.«

Der Vater

»Was? Was? War er im vorigen Jahr nicht schuld daran, daß alle meine Dahlien abgestorben sind? – Hat – er das nicht aus Neid, aus Mißgunst gethan? Hat er die Medaille, die er gewonnen hat, mir im Grunde nicht mit Hinterlist abgestohlen?«

Bielens, verwundert

»Mein Vater wäre Schuld daran, daß eure Dahlien abgestorben sind? Das wußte ich nicht.«

Der Vater, mit steigender Wuth

»Ja, hat er mir nicht gerathen, ich solle meine besten und schönsten Dahlien in Pferdemist pflanzen? Ist es seine Schuld nicht, daß die Maden sie alle zugleich zerfressen haben?«

Bielens

»Auf diese Weise habt ihr allerdings Recht, aber ihr wißt doch auch, daß es meinem Vater geradeso gegangen hat; die Maden haben seine Dahlien auch zerfressen.«

Der Vater, polternd

»Streiche! Nichts als arge Streiche! Mit welchen Dahlien hat er denn die Medaille gewonnen, sagt mir das einmal! Falschheit, Betrug, das war’s. Doch das hatte ich schon seit lange vergeben und vergessen. Was er mir aber jetzt angerichtet hat, das soll er mir sauer und theuer bezahlen. Sagt ihm nur rund weg – von heut ab keine Freundschaft mehr! Und ihr, die ihr den Stillen und Feinen aushangt, ihr könnt mir auch aus dem Hause bleiben. Erkühnt ihr euch, noch einmal mit meiner Tochter zu sprechen, dann steck’ ich sie in’s Kloster!«

(Das Mädchen beginnt zu weinen.)

Die Mutter, spöttelnd

»Wie kann doch ein Mensch von fünf und vierzig Jahren solch Gewäsch halten! Wann werden wir denn endlich wissen, wer gestorben ist im Hause?«

Der Vater

»Ja, du giftig Weib, du spottest stets über meinen Aerger! Was vorgefallen ist, das weiß ich, und das werde ich sobald nicht vergessen! Zehn Jahre frißt es mir am Leben ab!«

Bielens

»Aber dann sagt uns doch, Herr Fruyts, welch ein Unglück mein Vater verschuldet?«

Der Vater, im äußersten Zorn und eine Thräne im Auge

»Ja, euer falscher Vater wußt, daß ich eine Dahlie hatte, wie deren auf hundert Stunden in der Runde keine mehr existiert. Darum beneidete er mich, denn er wußte wohl, daß mir in diesem Jahre die Medaille nicht ausbleiben konnte. Und – o der Schelmerei! – was räth er mir? – (süßelnd) Jan, sagt er mit seinem Fuchsgesicht, Jan, legt eure Striata formosissima in einen Kasten mit Kleien, dann bleibt sie gut trocken. – Ich thu das und was geschieht? – seht, ich kann meinen Aerger kaum bezwingen, wenn . . . «

Die Mutter

»Nu, was ist denn geschehen, Waschweib?«

Der Vater, betrübt

»Was geschehen ist? Hör mal, welch eine Verrätherei! Die Ratten sind in die Kleien gekommen, und nachdem sie diese größtentheils aufgefressen, haben sie meine Striata formosissima dazu aufgeknabbelt. Wißt ihr es nun?«

Die Mutter, laut lachend

»Nun, nun, ist es nicht mehr, als das? Bleiben keine Todten, keine gebrochenen Arme und Beine? Mußt du darum solch einen Spektakel machen, daß die Nachbarn am Ende sagen, die Ratten hätten die Heirath deiner Tochter zerfressen?«

Der Vater

»Nichts mehr? Nichts mehr? (zu Bielens) Aus dem Hause, Springinsfeld! schnell!«

Die Tochter, weinend

»Ach Vater, jagt ihn nicht weg! Ihr habt ja versprochen, wir sollten heirathen!«

Der Vater

»Heirathen? Und das den Sohn meines größten Feindes? Des Verräthers, der meine Striata formosissima den Ratten überliefert hat? Heirathen? Nie! Lieber gäb ich dich dem buckligen Vanokeren!«

Die Mutter

»Hör mal, das hat nun lang genug gedauert, ich werde der Sache einmal kurz und gut ein Ende machen.«

25.Ein wichtiger Vertrag zwischen Belgien und Holland.
26.Butüren: junge Dahlien mittelst Sprößlingen ziehen, welche man von den Wurzeln abschneidet.
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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
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Public Domain

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