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Читать книгу: «Makk», страница 4

Heinrich Clauren
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Schön, schön! entgegnete Gotthold, das Verzeichniß überfliegend, und in diesem Augenblick zu nichts weniger aufgelegt als nachzusehen, ob der Herr neben der Dame, und die Dame neben dem Herrn bei Tische zu sitzen komme, und ob der und die oben oder unten ansitze; selbst wo man ihn hin placirt, war ihm einer – doch eben fiel ihm sein Name in die Augen; seine Nachbarinn rechts, sollte die Hofmarschallinn, seine Nachbarinn links, Aurora —

Hm, brummte er erschrocken vor sich hin, und dankte dem vermeintlichen Zufalle, daß ihm Lippert das Verzeichniß mitgetheilt. Alles recht gut, sagte er beifällig lächelnd, und zwang sich, den Aerger zu verbergen, der ihn bei dem Gedanken überflog, daß ihm der Vater oder der überkluge Herr Secretair Lippert, Auroren zur Tischnachbarinn bestimmt: alles recht gut, alles recht umsichtig, als ob es vom Oberhofzeremonienmeister selber angeordnet worden, nur – hier – des Herrn Obermundschenken Excellenz sind, wie Sie wissen, noch unvermuthet gekommen; den müssen wir hier hineinschieben; der kann, ohne Euer Rangreglement zu verlegen, nirgend anders sitzen, als hier neben der Hofmarschallinn.

Die Zettel sind schon alle gelegt, wie sie  hier im Verzeichnisse auf einander folgen, versetzte Lippert, zwischen Angst, den Vater durch die gewünschte Abänderung unwillig zu machen, und zwischen heimlicher Freude, über des Sohnes unerwartete Abneigung gegen die verrufene Person, die Waiblingen.

Ist eine Kleinigkeit, fiel ihm Gotthold mit verhaltener Heftigkeit in das Wort: Sie nehmen den Zettel, auf dem mein Name steht, weg, und legen einen andern mit dem Namen des Hrn. Obermundschenk dafür hin, damit ist es abgemacht.

Und der hochgräfliche Herr Papa? fragte Lippert, über das Donnerwetter besorgt, das er dann schon im Voraus heraufkommen sah.

Dem Vater sagen Sie nur, wenn er Sie fragt, ich hätte Sie darum gebeten, die Rücksicht auf den Herrn Obermundschenk —

Und wo befehlen Ew. Gnaden nun? unterbrach ihn Lippert, als verstehe er schon den Wink.

Ganz einerlei, antwortete Gotthold gleichgiltig, und nur froh, von dem ihm zugedachten Platze wegzukommen. Setzen Sie mich hier in die Nähe des Herrn Majors, wir haben so noch Manches mit einander zu besprechen. Melden Sie Sr. Excellenz nur, wer Hochderen Nachbarinnen sind, damit Dieselben sie, wenn zur Tafel geblasen wird, in den Speisesaal führen können.

Lippert, der wegen Gottholds verabredeter Verbindung mit Auroren in der letzten Zeit die Korrespondenz des Vaters mit der Hofmarschallinn geführt, und nach dem Gesetz der täglichen Erfahrung, daß Fama, wenn sie aus den Kreisen der höchsten Stände Wahres oder Unwahres berichtet, einen desto bereitwilligern ungeprüfteren Glauben findet, je tiefer zum Volke herab ihre Posaune dringt, von Aurorens Wandel und Leben die krassesten Gerüchte vernommen hatte, fühlte sein Herz, das den jungen Grafen bis zur Verehrung liebte, um mehrere Centner leichter, als er jetzt ziemlich deutlich sah, wie die Sachen standen; verbeugte sich mit freundlichem Gesichte, und ging und that treu wie ihm befohlen; sechs Trompeter bliesen zur Tafel, und die bunten Gruppen drängten sich im lustigen Gewühl zum hocherleuchteten Speisesaal; Gotthold schlenderte allein ganz zuletzt hinter drein, und wollte sich freuen  über den Jubel der Fröhlichen, in dem sich Alles gepaart hatte, aber ein mißbehaglicher Unmuth schauerte ihm eisig kalt durch das verstimmte Herz, denn er war der Einzige im Kreise, der den Frohsinn verloren, in dessen wunder Brust ein nie gekannter Schmerz heimlich wühlte.

7

Hier, hier, lieber Graf! schrie Mama Landräthinn, als sie, mit den Ihrigen schon sitzend, Gotthold nach langem Warten endlich in den Saal treten sah, und klopfte auf die Lehne des ihm bestimmten Stuhles. Pupchen, seine Nachbarinn, hatte ihm von der ersten Schüssel, aus purer blanker Liebe, einen Haufen auf seinen Teller gelegt, daß, wie der Major sich witziger Weise ausdrückte, kein Landwehrdragoner darüber wegzusetzen im Stande wäre; sie klagte ihm ihre Noth, beim Tanzen immer so entsetzlich schwitzen zu müssen, daß sie jedesmal wie aus dem Wasser gezogen sey, stieß mit ihm auf gute Nachbarn und desgl. an, und kicherte über das sinnreiche und darum von ihr sehr verständlich betonte – und desgleichen mit der Mama um die Wette.

Gotthold aber sah und hörte von allem dem nur die Hälfte, und auch die nur halb, denn er lugte in Einem hinüber nach Auroren, und freute sich, daß sie recht verdrießlich aussah, und sich recht systematisch zu langweilen schien; der Obermundschenk unterhielt sich größtentheils ausschließlich mit der Tante Hofmarschallinn, und der zweite Nachbar, ein invalider Generallieutenant außer Dienst, stocktaub und kurzen Gesichts, der früher vom Vater oder von Lippert dahin postirt worden zu seyn schien, damit die jungen Leutchen recht ungestört hatten mit einander schwatzen können, sprach keine Sylbe, sondern hieb in die vor ihm stehenden Schüsseln ein, als habe er an der Spitze seines Kavallerieregiments Marsch blasen lassen.

Aurora, durch einige ihrer Bekanntinnen, die aus löblicher Neugierde, vor Tische die Tafel umflattert hatten, um zu sehen, wo der und der, und die und die zu sitzen hinkommen werde, bereits vorläufig von der, in Gottholds Person ihr anfänglich bestimmten Nachbarschaft unterrichtet, war nicht wenig überrascht gewesen, statt des erwarteten Gotthold, den alten  Obermundschenk angewackelt kommen zu sehn, der sie am rechten, und die Tante am linken Arme zu Tische geführt hatte; sie konnte den alten Mann im Ganzen wohl leiden, aber heute wäre ihr Gotthold neben sich bei Tische doch lieber gewesen. Es war unter den Hunderten, die bald von ihrem persönlichen Reize hingezogen, bald aus Spekulation auf ihre Fürsprache beim Prinzen, täglich zu ihren Füssen lagen, der erste junge Mann, der ihr gefiel, dem sie gut, recht gut geworden war, und den sie meinte, bei näherer Bekanntschaft noch lieber gewinnen zu können, denn er war ihr, trotz der tausend lustigen Dinge, die er vorhin während des Tanzes hatte ausgehen lassen, doch verständig und unterrichtet vorgekommen, und die Gutherzigkeit, die ehrliche Biederkeit, die ehrenfeste Zuverlässigkeit hatten sich in jedem seiner wohlgefälligen Züge, in jeder seiner Aeußerungen ausgesprochen; daß die Etikette von ihm hatte fordern können, seinen Tischplatz dem später unvermuthet gekommenen Obermundschenk abzutreten, sah sie ein; aber daß er sich gerade da unten hinunter, an die zweite Tafel, bei Landrath Zwickels hatte setzen  müssen, das wollte ihr nicht als ganz unbedingt nöthig einleuchten. Auch sie freuete sich, daß er verdrießlich aussah; denn, daß er lieber neben ihr, als neben dem doch in Allem auch gar zu sehr zurückgebliebenen Pupchen Zwickel gesessen, lag ihr, alles Selbstgefühl dießmal völlig bei Seite gesetzt, am Tage.

Er stand schon bei der dritten Schüssel hastig, und wenn Aurora sich nicht irrte, verstimmter auf als er sich niedergesetzt hatte; sie hielt das zu ihrer Freude und zu Gottholds Ehre für sehr natürlich; bestimmt hatte das Gänschen Polykarpe von Zwickel so viel Albernes zum Beßten gegeben, daß er es nicht länger hatte aushalten können; er ging von einer Tafel zur andern, stellte sich bald hinter den Stuhl einer ihm näher bekannten Dame, bald hinter einen Herrn, plauderte und spielte den Wirth, und suchte (wenn auch selbst im Innern bis zum Tode erkaltet) die Freuden der Tafel zu beleben. Jetzt – bestimmt kam er nun endlich auch zu ihr. Zweimal war er schon ganz in der Nähe gewesen; jetzt stand er drüben bei der kleinen Goldstein, jetzt mußte er zu ihr herüberkommen, und wenigstens der Artigkeit halber bedauern, seinen Platz haben aufgeben zu müssen. Und vielleicht bat er sich, zur Entschädigung seines unermeßlichen Verlustes, nach Tische noch einen Tanz von ihr aus, und aus schuldiger Rücksicht auf den Sohn vom Hause, und wenn er sie recht hübsch bat, hatte sie ihm schon einen aufgehoben.

Aber er kam nicht, er bedauerte nicht, er bat nicht. Von der Goldstein wendete er sich, ohne sie einmal anzusehen, – nein, einen Blick hatte er ihr hinübergeworfen, aber der war so kurios, so ganz sonderbar gewesen, daß sie sich lieber weiß machte, er hätte gar nicht hergesehen, – zu der dritten und vierten Tafel; mit jeder nur irgend interessanten jungen Dame knüpfte er eine kleine Unterhaltung an, nur zu ihr kam er nicht, zu ihr allein nicht.

Er mied sie absichtlich; denn als die Gesellschaft nach aufgehobener Tafel wieder zu tanzen anfing, und der Obermundschenk ihm in das Ohr flisterte, daß die Gräfinn Waiblingen auf den nächsten Walzer noch nicht engagirt sey, that er, als ob es ihm außerordentlich leid sey, sich schon versagt zu haben; und mit wem trat er an? mit einem zwölfjährigen Kinde, das bestimmt ihm und sich kein Haar ausgerauft haben würde, wenn er es unter Vertröstung auf den nächsten Tanz hätte sitzen lassen, und dafür mit ihr gewalzt hätte. Aber es war recht absichtliche Absicht von ihm, ihr aus dem Wege zu gehen, denn in welcher Gegend des Ball-Saales sie sich nur sehen ließ, augenblicklich war er daraus verschwunden.

Aurora – ein Zurückziehen der Art war ihr noch im Leben nicht vorgekommen. In der Residenz, am Hofe, flog ihr alles entgegen, selbst hier hatten sich die Ersten des umliegenden Landadels an sie gedrängt, nur Gotthold, der im ersten Augenblicke ihres Eintretens ihr die unzweideutigsten Beweise der ausgezeichnetesten Aufmerksamkeit, der zartesten Huldigung gegeben hatte, war auf einmal wie umgewandelt, und floh ihre Nähe.

Sie ärgerte sich über sich selbst, daß sie nicht stark genug war, den wandelbaren Menschen im Augenblick wieder aufgeben zu können, aber gerade seine scheinbare Gleichgiltigkeit gegen sie, machte ihn ihr um so interessanter; es lag in  diesem auffallenden Benehmen, das sie entweder für erzwungen, oder für die Folge irgend eines ihr unerklärlichen Mißverständnisses hielt, eine Art von Herausforderung, diese Kälte zu schmelzen, oder dieses Mißverständniß aufzuhellen. Allein da er ihr überall auswich, konnte-sie ihren Zweck, wenigstens diesen Abend nicht erreichen.

Sie verließ, sichtbar verstimmt, mit der Tante Hofmarschallinn beim anbrechenden Morgen die Gesellschaft, und stellte sich, als ob sie schliefe, um den wiederholten Fragen der Tante, was ihr fehle, und warum sie so einsylbig dasitze, ein Ende zu machen. Als aber die Tante gesprächweise Brunehilden mittheilte, daß sie Ulmenhorst Vater und Sohn zum nächsten Sonntag eingeladen, und daß der Alte zugesagt habe, da drückte sie die Aeuglein fester zu, huschte in ihren weichen Mantel tiefer hinein, und überdachte sich die Weise, wie sie den räthselhaften Herrn Gotthold recht unbemerklich in die Enge treiben wollte, bis er ihr über sein gar sonderbares Benehmen den gewünschten Aufschluß gegeben, und meinte, daß sich das Uebrige schon von selbst finden solle.

8

Hätte vielleicht die lange Woche bis zum Sonntage den Rosenflimmer des Strahlenkranzes, mit dem die Gewalt des ersten Eindrucks Gottholds Liebenswürdigkeiten in Aurorens Augen umzogen hatte, etwas schwächen können, so sorgte Brunehild wider ihren Willen dafür, daß das nicht geschah. Deren liebeschmachtendes Herz war mit voller Ladung vom Balle zurückgekommen. Gotthold, ob er gleich nicht zehn Worte mit ihr gesprochen und sie fast gänzlich übersehen hatte, war ihr Gott; sie lös’te sich in Entzücken und Sehnsucht, vor der Trauten ihrer Seele, vor Auroren fast auf, und sprach, wenn sie mit einander allein waren, die ganzen, langen sechs Tage, von Sonnenaufgang bis zum Niedergang, von nichts als von ihm.

Jetzt erst erkannte sie den Werth einer wahren Freundinn, denn der Antheil, mit dem ihr Aurora jedes Wort, das sie über Gotthold sprach, von den blassen Lippen sog, ihre drei- und mehrmal wiederholten Geschichten von ihm immer mit erneueter Aufmerksamkeit anhörte, und ganze Nachmittage mit ihr allein im spart und Wald umherschweifte, um  nur ungestört sich ausschwatzen zu können, was war er anders, als der rührendste Beweis der theilnehmendsten Freundschaft; sie fiel, wenn ihr der romantische Raptus ankam, Auroren täglich wohl zehnmal um den Hals, und dankte ihr für ihre Geduld, für ihre Ausdauer, und Aurora sog, zur Strafe für die Heuchelei der ihr aufgedrungenen Vertrauten-Rolle, das süße Gift der Liebe immer tiefer ein, denn Brunehild malte den Gotthold mit immer reizendern Farben.

Der Himmel weiß, wo diese alle Nachrichten über ihn her hatte, aber sie lieferte aus den einzeln eingeholten Bruchstücken ein so anziehendes Ganze, daß Aurora mit jedem Morgen und Abend das Idol ihres Herzens immer liebenswerther fand. Bald lachte sie im Stillen über die komische Scene, die ihr Brunehild erzählt, wo er einen kleinen Bauerjungen, der auf einem himmelhohen Eichwipfel Vogelnester gesucht, und weil er an den Unterhöschen hängen geblieben, nicht wieder heruntergekonnt, mit gewandter Kraft herab geholt hatte; bald nickte sie dem kecken Muthe wohlgefällig zu, mit dem er noch als Knabe auf einem der entferntern Güter des Vaters, in  Falkenwerder, Justizraths fünfjähriges Julchen aus dem Buschteiche vom Wassertode gerettet; bald standen ihr die Thränen in den Augen, wenn sie ihn in der Hütte der armen Hirtenfrau dachte, der, nach dem Tode des Mannes, ihr Einziges, ihre Kuh hatte abgepfändet werden sollen, und wo er seine ganze Sparbüchse hingegeben hatte, um der Frau ihr kleines Eigenthum zu erhalten, und wie da die arme Wittwe mit all ihren Kindern ihn knieend umringt, und wie der Pfarrer, der zufällig herbeigekommen, in tiefer Rührung segnend auf Gottholds Haupt die Hand gelegt und gesagt habe: solchen ist das Reich Gottes.

Der Oberstallmeister – das war zwar gegen jene Tugenden der Menschenfreundlichkeit, der Selbstverläugnung und der Liebe zum Wohlthun nur eine der geringsten, aber sie hörte ihn doch gern loben, – der Oberstallmeister hatte ihn den beßten Reiter der ganzen Gegend genannt, und der Oberamtsrath, ein tüchtiger Oekonom, der ihn, wie er sich geäußert, im ehrenwerthen Felde des Landbaues haarscharf auf den Zahn gefühlt, hatte mit einer Art von Ehrerbietung versichert, daß er vor dem jungen Manne allen  möglichen Respekt habe. Mit eigenen Ohren hatte ihn Brunehild mit der Ober-Kammerherrinn französisch plaudern gehört, und sein Mäulchen war gegangen, wie ein Uhrwerk, und die Ober-Kammerherrinn hatte versichert, man spreche es in den ersten Salons zu Paris nicht besser. Mit dem Legationrath war eben so geläufig die Unterhaltung italienisch und englisch gewesen, und sein Klavierspiel, sein Gesang —

Brunehild legte ihm schon eine Auswahl ihrer beßten Musikalien hin, und beredete mit Auroren den Plan, wie es anzufangen, daß Gotthold mehrere Tage hier bleibe, und Beide studirten über die beßte Weise, ihn zu unterhalten, daß ihm die Zeit nicht lang werde, und während Brunehild im Geheimsten ihrer Seele an dem Netzchen strickte, in dem er sich fangen sollte, ließ Aurora sie nach Gefallen schalten und walten, sah mit lustiger Selbstgefälligkeit in den Spiegel und meinte, daß der Herr Gotthold ein paar recht gesunde Augen im Kopfe habe, und daß ihr daher für seine Wahl zwischen Beiden ganz und gar nicht bange sey.

9

Der Sonntag Vormittag währte aber auch ewig lange. Nach der Kirche war noch kein Mensch da. Die Mädchen wollten auf den Schloßthurm, von dem aus rundum die weiteste Aussicht sich bis hinunter zu dem grünen Waldkranze dem Auge darbot, aber die Hofmarschallinn meinte, der scharfe Luftzug da oben könne den leicht gekleideten Kindern nachtheilig seyn, und fragte lächelnd: wer denn zuerst den Einfall gehabt; sie sehe ja wöchentlich mehreremale aus der Nachbarschaft Leute bei sich, und bis jetzt habe man deren Ankunft immer ruhig im Zimmer abgewartet.

Aurora wollte hinauf, entgegnete Brunehild, und ward, als sie den Purpur gewahrte, der Aurorens Wange pfeilschnell übergoß, feuerroth, denn sie hatte den feinen Stachel, der in der Mutter Frage gelegen, im Gefühle ihrer kaum mehr zu gewältigenden Sehnsucht verstanden, zugleich aber war ihr auch in der Rosenflamme, die auf Aurorens Wangen erglühte, das erste Lichtchen aufgegangen, und hatte den Argwohn geweckt, daß die Engelgeduld, mit der die werthe Cousine die ganze Woche lang ihre kleinen  Schwärmereien ertragen und genährt, wohl etwas anders, als Freundschaft für sie seyn könne.

Ihr habt Euch ja geputzt, Kinder, fuhr die Hofmarschallinn beifällig scherzend fort: als erwarteten wir den Fürsten selber.

Nun, ich doch wahrhaftig nicht, erwiederte Aurora schnell und mit einem Tone, dem man es anhörte, daß sie der Tante Neckerei verwunde, und es war wahr, es blitzte, während Brunehild die ganze Herrlichkeit ihres beßten Schmuckes ausgelegt, kein Steinchen an ihr, dafür aber war ihr Haar und Anzug auf das sorgfältigste und geschmackvollste geordnet, sie prangte in dem allerfeinsten Hauskleide, und ihr jugendlich schöner Körper, die Frische ihrer zarten Haut, die Formen ihrer üppigen Fülle und ihre blühende Farbe, der Seidenglanz ihres Ringelhaares, das Schmelzende ihrer brennenden Augen, die milde Lieblichkeit ihres Engelgesichtchens, die Anmuth ihres natürlichen, frohen Sinns, alles war so sonntäglich, so feiertagmäßig, daß die Tante selbst die eigene Tochter darüber vergaß und Freund Gotthold in diesen Reizen unrettbar, unwiederbringlich  verloren, sich aber für das gelungene Meisterwerk, Auroren dem Prinzen glücklich entrückt zu haben, von Viktors Eltern fürstlich belohnt und mit dankbaren Auszeichnungen beehrt sah.

Endlich rollte ein Wagen nach dem andern in den Schloßhof; zuletzt auch der Gräflich-Ulmenhorstsche mit sechs schaumbedeckten Rappen; Papa ward aus dem Wagen gehoben; jetzt kam Gotth – nein er kam nicht.

Brunehild und Aurore standen mit einigen bereits versammelten Gästen an den Fenstern. Brunehilden verging, als der Wagen, ohne daß Gotthold ausgestiegen, nach dem Stalle zu fuhr, die Sprache. Auroren vergingen die Sinne. Keines wagte das Andere anzusehen, denn Beide fürchteten, sich vor den Umstehenden zu verrathen, und die Hofmarschallinn las jetzt erst in den langen Gesichtern der Mädchen recht deutlich, mit welcher Sehnsucht sie den Säumigen erwartet hatten.

Graf Ulmenhorst entschuldigte des Sohnes Ausbleiben mit heftigen Zahnschmerzen, die ihn heute früh, kurz vor der Abfahrt, überfallen; daß dieß aber bloßer Vorwand war, und daß selbst der Vater an die Zahnschmerzen nicht  glaubte und den Sohn lieber verdammt als entschuldigt hätte, ward aus der Weise seines Vortrages jedermänniglich klar.

Die Hofmarschallinn gab bald nach den ersten Begrüßungen dem Grafen einen Wink, sich aus dem Versammlungzimmer zu entfernen und ihr in ein Seitenkabinet zu folgen.

Hier sollte er beichten. Aber er wußte nichts.

Aus dem Eifer, mit dem der Vater Auroren um einen Tanz für ihn gebeten, aus der Anordnung der Tischnachbarschaft, aus dem, was der Vater von dem höheren Besitzthum erwähnt, und was Schnüren von dem, den dringenden Umständen abgenöthigten Plane gesagt, hatte Gotthold das ganze Spiel zusammen gereihet, das der Vater, der hoffentlich von dem vorgeblichen oder wahrscheinlichen Drange der Umstände nichts wußte, und von den glänzenden Aussichten, die seinem Gotthold durch Aurorens Hand eröffnet werden sollten, geblendet worden, gekartet habe.

Beweise für seine, ihm von Schnüren in das Herz geschraubte Vermuthung fehlten; über die ganze Angelegenheit viel zu  sprechen, hatte Schnüren selbst zu den kitzlichen Halssachen gezählt; überdieß hatte dieser ihm noch vor dem Nachhausefahren vom Balle sein Ehrenwort abgefordert, ihn nie und gegen keinen Menschen als den zu nennen, der ihm über Aurorens Verhältniß zum Prinzen das nähere Licht gegeben. Folglich hielt Gotthold für das Klügste, sich über die Geschichte mit keinem Worte auszulassen.

Des Vaters Frage, warum er dem Obermundschenk seinen Tischplatz überlassen, beantwortete er mit der Aeusserung, daß er das für schicklich gehaltene, auf des Vaters Aeusserung, daß es geschienen, als ob er bei und nach dem Essen nicht recht aufgelegt gewesen, erwiederte er ein kurzes, daß ich nicht wüßte; auf die Erkundigung, welche der Ball-Damen ihm am beßten gefallen, ließ er sich in ein breiteres Detail ein und nannte deren ein Dutzend, unter diesen, nach seiner Meinung recht fein berechneter Weise, auch Auroren, und auf die Meldung, daß die Hofmarschallin ihn mit zum Sonntage eingeladen, entgegnete er gar nichts.

Im Laufe der Woche brachte der Vater, auf weiten Umwegen, das Gespräch öfter wieder auf die Hofmarschallin  und dann auf Auroren zurück; Gotthold, der ihn immer von weitem kommen sah, bestätigte sich dadurch in der Gewißheit des vorhandenen Heirathplanes, und schlug, um sich nie zu verrathen, den Weg der diplomatischen Schweigsamkeit ein; er machte, wenn der Vater auf dieß Kapitel kam, bloß den Zuhörer, und antwortete nur, wenn er ausdrücklich um seine Meinung gefragt ward.

Bis jetzt hatte der Vater immer nur mit Enthusiasmus von Auroren gesprochen und ihre guten Seiten nach allen Kräften herausgestrichen; auf diese Weise sah er wohl, kam er nicht zum Zweck, Gottholds Gesinnungen zu erforschen, denn er konnte, die Hände auf dem Rücken, stundenlang neben ihm hergehen und brachte keinen Laut über die Lippen, ungeachtet er mit der gespanntesten Aufmerksamkeit immer bei dem Gespräche war, denn er fand es höchst interessant, zu sehen, wie sich sein guter Vater abmühete, ihn für Auroren, die dieser wohlgemeinten Verwendung wahrhaftig nicht werth war, endlich zu gewinnen.

Der Vater hieb sich jetzt einen neuen Weg in das Holz. Er tadelte Auroren und meinte,  daß Gotthold, wenn er etwas für sie empfinde, gewiß bald auftreten und sich ihrer annehmen, sie zu entschuldigen oder zu rechtfertigen suchen werde. Das Mädchen schien ihm etwas gefallsüchtig, auch etwas gar zu lebhaft, gar zu lustig; sie gebe sich, wie sie sey; so habe sie nicht einmal so viel Gewalt über sich gehabt, es zu verbergen, wie ungelegen ihr des Obermundschenks unerwartete Tisch-Nachbarschaft gewesen; ein tüchtig Portiönchen Eitelkeit sey ihr auch nicht abzusprechen, und – er wollte ihr zwar nicht Unrecht thun, aber das Uebergewicht, das sie hinsichtlich ihrer Kenntnisse und ihrer Hoferziehung über manche andere Fräulein der Gesellschaft unläugbar gehabt, sey doch fast ein wenig zu bemerkbar geworden; auch scheine Aurora die Huldigungen der sie umschwärmenden jungen Männer als einen ihr von Gott und Rechtswegen gebührenden Tribut anzusehen, und, wohl aus unzeitigem Stolze, ein fast zu geringes Gewicht darauf zu legen, denn außer mit Gotthold, bei dem sie, vermuthlich als den Sohn vom Hause, eine Ausnahme machen zu müssen geglaubt, habe sie mit Keinem so lange und so freundlich gesprochen, sondern sie immer kurz und beinahe spröde abgefertigt.

Gotthold spazirte nach wie vor, die Hände auf dem Rücken, neben dem Vater, und biß oft gewaltsam die Lippen zusammen, um kein Wort herauszulassen. Der Vater that dem Mädchen, mit den mehresten seiner Urtheile, schreiend Unrecht, das mußte er zu ihrer Ehre selbst jetzt, wo er ihr nicht grün war, wo sie seine Achtung und Liebe verloren, eingestehen, aber wenn er nur eine Sylbe zu ihrer Rechtfertigung fallen ließ, so hatte der Vater ein Häkchen, um das weitere Gespräch, das dieser auf dem Herzen hatte, daran zu hängen, das sah er wohl im Voraus, und darum nahm er zu seiner Diplomatenklugkeit wieder seine Zuflucht, und schwieg als hätte er keine Zunge im Munde, und ließ das Mädchen frisch weg verdammen und verurtheilen; wußte er doch aus den früheren Lobreden des Vaters, und aus dem weither zusammengeholten, ganz einseitigen und meist ungegründeten Tadel, was der alte Herr mit der ganzen Komödie beabsichtigte.

Den Sonnabend war der Vater noch auf  demselben Flecke, auf dem er am Montage früh gewesen war. Jetzt schoß ihm das Blatt. Bestimmt hatte Gotthold sein Herz schon irgendwo aufzuheben gegeben, und daher dessen unbegreifliche Kälte gegen die reizende Aurora, deren Zauber ja sonst in das jugendliche Pulverfaß augenblicklich hätte einschlagen müssen.

Die bei Gottholds raschem Temperamente, bei seinem für Liebe so empfänglichen Herzen, und bei seinen, von den festen Grundsätzen des Vaters, über das Heiligthum einer unverfälschten Ahnenreihe abweichenden Ansichten, wohl zu entschuldigende Angst, daß der Herr Sohn bereits eine Wahl getroffen, deren Billigung in das Reich der Unmöglichkeit gehöre, und daß es dann mit dem, gerade in diesem Punkte unbeweglichen Starrkopfe, zu starken und hartnäckigen Tänzen kommen werde, drückte ihm jetzt, nach weiter, umschweifiger Auseinandersetzung der Nothwendigkeit, nun auch auf eine anständige, den Ansprüchen der Familie genügende Verbindung mit der Zeit denken zu müssen, die vertrauliche Frage ab: ob Gotthold unter den vielen Bekanntschaften, die er aus seinen Reisen gemacht, vielleicht ein Mädchen  gefunden, das der Ehre werth sey, in seinen Siegelring sein Wappen neben dem Gräflich Ulmenhorst’schen stechen zu lassen?

Gotthold lachte verneinend, und aus der Unbefangenheit seiner Antwort, in der die Versicherung lag, an etwas der Art zur Zeit noch, nie – er hielt im Augenblick inne, denn er besann sich, am letzten Balle doch ziemlich nahe daran gewesen zu seyn, und fuhr dann mit gedämpfterer Stimme fort, – noch nie ernstlich gedacht zu haben, nahm der Vater, der des Sohnes untrügliche Wahrheitliebe kannte, zu seiner großen Beruhigung wahr, daß von der Seite, gegen den Plan mit Auroren, nichts im Wege liege.

Gotthold aber durchschaute seiner Seits die Absicht dieser Präliminairfrage bis auf den Grund, und nahm sich in diesem Augenblicke vor, morgen um keinen Preis mit zu fahren.

Am Sonntag Morgen, als der Vater schon im Wagen saß, ließ Gotthold hinab sagen, daß es ihm wegen heftiger Zahnschmerzen, die ihn die ganze Nacht gequält, unmöglich sey, ihn zu begleiten. Auf das Höchlichste überrascht, sprang der Alte wieder heraus, eilte auf Gottholds Zimmer, und wollte vor ihm seinen Aerger über die wahrscheinlich blos vorgewendete Krankheit ausschütten, und ihn gerade heraus fragen, was er gegen Auroren und das Haus der Hofmarschallinn habe, aber auf der Treppe besann er sich wieder der ausdrücklichen Ordre der Hofmarschallinn, vor der Hand den jungen Leuten von irgend einer Absicht, sie mit einander zu verheirathen, durchaus nichts merken zu lassen; er bezähmte also seinen aufwallenden Zorn, und stellte sich, als komme er bloß, sich nach des armen Sohnes Befinden näher zu erkundigen.

Logen die über der Stuhllehne hängenden Kleidungstücke nicht, so hatte Gotthold wirklich den Willen gehabt, mitzufahren; log das schwarzseidne Tuch, das er um Kinn und Wangen, das weiße, das er um den Kopf gebunden hatte, und der mit allen möglichen Hausmitteln besetzte Tisch nicht, so hatte er wirklich Zahnweh. War er die ganze Woche einsylbig und maulfaul gewesen, so war er jetzt gar stumm.

Der alte Graf meinte, daß man sich zuweilen zwingen müsse, und daß namentlich der Zahnschmerz einem festen Willen, ihn zu verläugnen, unterthan sey, und  erzählte mehrere Beispiele von Schauspielern, die mit dem wüthendsten Zahnweh hinter den Coulissen gestanden, und, sobald sie auf die Bühne getreten, ihn augenblicklich verloren hätten. Gotthold machte eine Pantomime dazu, als wolle er sagen, daß seine Sorte nicht so fügsam zu seyn scheine; die Hofmarschallinn, meinte der Vater, würde ihm gar nicht glauben wollen, daß Gotthold sich von einer solchen Kleinigkeit – bei dem Worte Kleinigkeit fuhr Gotthold nach dem linken Backen, wimmerte laut, schnippte mit den Fingern der Rechten und schnitt Gesichter, als sey der Höllenschmerz, den Ihre Excellenz, die Frau Hofmarschallinn für eine Kleinigkeit anzusehen geruhen wollten, im Stande, den daran Leidenden an die Grenze der Verzweiflung zu bringen; der Vater murmelte, um die letzte Mine springen zu lassen, etwas von Brunehilden und Auroren vor sich hin, das ungefähr so klang, als ob diese beiden den verhätschelten Zärtling auslachen würden, der es vorzöge, lieber zu Hause zu bleiben, und ihre Gesellschaft Preis zu geben, als in das nächste Städtchen zu fahren, sich den heillosen Störenfried ausziehen zu lassen, und  dann frisch und wohlgemuth bei der Mittagtafel, zwischen ihnen Platz zu nehmen; aber Gotthold hörte vor dem schwarzseidenen Tuche, das er über die Ohren gezogen, von den Lockworten nichts, und überdieß hatte er sich in ein scharfes Aetzmittel getauchte Baumwolle zwischen die Zähne gestopft, und stand über dem Spucknapf, um sich des Wassers, das ihm in deren Folge im Munde zusammenlief, zu entledigen, und schüttelte in dieser Märtyrer-Stellung, auf die Frage, ob für dießmal durchaus keine Hoffnung sey, der Frau Hofmarschallinn Excellenz heute aufwarten zu können, ohne aufzusehen, achselzuckend mit dem Kopfe.

Der alte Herr fuhr brummend von dannen, und Gotthold freute sich, mit seiner ihm abgedrungenen Nothlüge dießmal glücklich durchgekommen zu seyn.

Der Domestiken halber spielte .er seine Krankenrolle noch fort, und hütete das Zimmer, versicherte jedoch einige Stunden später dem alten Lippert, der ihm die von dem nächsten Postamte eingelaufenen Briefe überbrachte, daß ihm schon um Vieles besser sey, und schrieb den, von diesem ihm empfohlenen Hausmitteln, zu  dessen großem Gaudium, übermenschliche Heilkräfte zu.

Unter gedachten Briefen befand sich ein Schreiben eines Universitätfreundes, des Assessors Brauer, der ihm meldete, in einer der entferntesten Regierungen angestellt worden zu seyn; er werde morgen dahin abgehen, komme auf seiner Reise den Donnerstag durch Falkenwerder, und werde sich außerordentlich freuen, wenn er das Glück haben könne, dort seinen alten ehrlichen Gotthold zu finden.

Anspannen, – vier Pferde! rief der junge Graf, sich vergessend, riß die Tücher vom Kopfe, schrieb ein Paar Zeilen an den Vater, in welchem er ihm die Veranlassung seiner schnellen Abreise meldete, damit dieser, wenn die Dienerschaft von seiner schnellen Genesung etwa erzählte, über die Wahrheit seiner Krankheit keinen bösen Verdacht schöpfe, und ihm die Wahrheit seiner Behauptung, daß starke Gemütherschütterungen das Zahnweh augenblicklich vertreiben könnten, durch das Anführen bestätigte, daß über die unvermuthete Freude, seinen alten Freund, den Assessor zu sehen, seine Schmerzen sich sofort verloren hätten.

Возрастное ограничение:
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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
160 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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