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Читать книгу: «Makk», страница 3

Heinrich Clauren
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Ganz Unrecht hatte, meinte Gotthold bei sich im Stillen, der Vater nicht. Sollte er das Gefühl, das von der frühesten Jugend an seine Handlungen leitete, Blödigkeit, Bescheidenheit, Genügsamkeit, oder Mangel an Egoismus nennen, aber er konnte sich darum nicht hassen. So hast Du es von Jugend auf gemacht, hatte der Vater gesagt, und er mußte in der Erinnerung an die Vergangenheit lächeln, denn was der Vater darüber erwähnt, war buchstäblich wahr; so entsann er sich z. B., daß, wenn er mit seinen Spielkameraden Kirschen gegessen, er entweder die schlechtesten oder gar keine bekommen, weil die andern immer besser zugelangt, und entweder die bessern herausgelesen oder alle aufgegessen hatten; indessen er konnte sich darum nicht gram seyn. Hatten doch die Kirschen seinen kleinen Freunden damals geschmeckt, und lebte er doch auch noch. Später, als er in das gesellschaftliche Leben der größern Welt getreten – er konnte nicht läugnen, daß er sich da überall mehr in sich zurückgezogen hatte, als eigentlich nöthig gewesen wäre; aber das Vordrängen, was er hie und da bei andern jungen Leuten seines Alters bemerkt hatte, war ihm immer in den Tod zuwider gewesen; sie hatten, das konnte er nicht in Abrede stellen, wie die Dränger überall, mehr Glück gemacht als er; sie waren mehr bemerkt worden als er; sie hatten, wenigstens im Anfange, mehr gefallen als er; aber wer ihn mit der Zeit näher kennen gelernt hatte, war ihm ja auch gut geworden, und hatte ihn immer lieber gewonnen; wozu, meinte er also, sollte er sein Glück erjagen, erstürmen; was ihm werden sollte, war ihm bisher ja doch immer geworden.

Heute, – des Vaters bitterer Tadel, hatte ihn tief verwundet, am meisten die Bemerkung, daß Aurora die gute Meinung, die sie von ihm vielleicht vorgefaßt, durch sein Benehmen verloren haben könne; doch, bei näherer Bekanntschaft, dachte er, wird sich das wohl wieder in das Geleis bringen lassen. Hofämter, Ehrenstellen, – die mochte er nicht – der ausgezeichneteste Wirkungkreis – er kannte keinen ausgezeichnetern, als den ihm das Schicksal zugesichert hatte, das Glück, auf seinen dereinstigen Gütern Gutes  zu schaffen – vielleicht ein noch höheres Besitzthum – vielleicht ein noch höheres Besitzthum, wiederholte er, und stellte sich gegen sich selbst, als wolle er sinnen, was damit der Vater habe sagen wollen, und lächelte über dessen Eitelkeit, sich einzubilden, daß sein Gotthold der Seligkeit werth seyn könne, dieses reizende, ihn an Einsichten, Verstand, Bildung und Lebensweisheit weit überwiegende Götterkind einmal als Schwiegertochter ihm zuzuführen.

Da lispelte es hinter ihm in süßem Flötenlaut: Sie sind wohl böse auf mich? er wendete sich schnell und die blühend schöne Aurora stand mit der bleichen Brunehild hinter ihm, und fragte ihn, worüber er so tief in Gedanken verloren gewesen, daß er ihr: lieber Herr Graf, und ihr: beßter Herr Graf, mit dem sie ihn angeredet, so gänzlich überhört habe, und nun erzählte sie mit der ihr eigenen Herzigkeit, daß sie sich mit ihrem Cousin zu einem andern Tanz versagt, und daher den Cotillon frei habe. Gotthold war von des liebreizenden Mädchens holdseliger Freundlichkeit so überrascht, fühlte sich von ihrer zuvorkommenden Gutmüthigkeit so aufgeregt, daß er im Ueberwallen seiner Freude ihre Hand an seine Lippen zog, und ihr mit dem leidenschaftlichsten Entzücken gestand, daß sie ihn durch ihre himmlische Güte zum glücklichsten Menschen mache.

Aurora hätte nicht Mädchen seyn müssen, wenn sie nicht in diesem stürmischen Ausbruche das Gefühl bemerkt hätte, das für sie in Gottholds Brust lebte; der junge, schöne Mann, von dessen Unverdorbenheit und Natürlichkeit ihr die Tante Hofmarschallin absichtlich nichts als Gutes und Liebes erzählt hatte, war ihr im ersten Augenblicke eine recht wohlthätige Erscheinung gewesen, und der Trübsinn, in dem sie ihn am Fenster gesehen hatte, und dessen Veranlassung ihre kleine Eitelkeit sich jetzt durch die, mit ihrem Anerbieten auf einmal wiederkehrende gute Laune ziemlich deutlich zu erklären wußte, und die überselige Fröhlichkeit, mit der er sie in den bereits angetretenen Kreis führte, machte ihn ihr noch interessanter.

Die köstliche Musik des wohlbesetzten Orchesters, die Flimmerpracht des herabstrahlenden Lichts; die blanke Glätte des getäfelten Fußbodens; das magische Wunderspiel der im großen Ahnensaale ringsum befindlichen deckenhohen Spiegel, welche das Bild der fröhlichen Reihen hundertfach wiedergaben; die Kunstfertigkeit der raschen Tänzer; der sylvenleichte Tanz der mit Brillanten und Blumen und aller Toiletten-Herrlichkeit reich geschmückten Ball-Schönen; die sinnvollen Touren – für alles das hatte Gotthold jetzt weder Ohr noch Auge. Er sah und hörte nur Auroren.

Durch das, was ihm Schnüren von ihr erzählt, hatte er sie sich ernst, stolz, bloß mit dem Wohle des Landes beschäftigt, vom Gefühle ihres gewichtigen Einflusses auf den Prinzen und auf den Gang der öffentlichen Geschäfte durchdrungen, hofmeisterlich streng, für die schuldlosen Freuden der Jugend unempfänglich, und bloß in der Atmosphäre der Hoflust heimisch gedacht, und sie war die Natürlichkeit, die Unbefangenheit selbst, sie plauderte, wie ihr das Rosenschnäbelchen gewachsen war, lachte lustig in die Welt hinein, und ergoß sich in Scherz und Schwank, und über das Alles schwebte der Geist der holdesten Anmuth, der süßesten Unschuld und der zartesten Mädchenhaftigkeit, daß Gotthold, je länger er mit dem Zauberkinde sprach, je tiefer er ihm in die geistvollen Feuer-Augen sah, je mehr sich vor ihm der Reichthum dieses Geistes, die Güte dieses Herzens entfalteten, immer mächtiger und unwiderstehlicher zu ihm hingezogen fühlte.

Anderthalb Stunden hatte der Cotillon gedauert; ihm nur so viel Minuten, und aus dem Schade, ewig Schade, das sie beim letzten Bogenstrich der erschöpften Musiker fallen ließ, entnahm er mit wohlthuender Selbstzufriedenheit, daß auch sie keine Langweile gehabt zu haben schien.

Im Saale hatte sich unterdessen Mancherlei gestaltet, von dem Gotthold, der nur Auroren gehört, nichts wahrgenommen hatte. So verdrießlich der Vater über Gottholds Benehmen vorhin gewesen war, so zufrieden äusserte er sich jetzt über ihn. Mit innigem Vergnügen hatte er im Stillen bemerkt, wie bald die jungen Leute sich einander genähert, wie bald sie sich verstanden hatten.

Das war ein Lachen und ein Erzählen gewesen; alle Augenblicke hatten sie zur Beachtung der Touren aufgerufen werden müssen, so zerstreut, so wenig beim Tanze selbst waren sie gewesen, und wenn Aurora durch einen fremden Tänzer von Gottholds Seite geholt worden war, hatte dieser von ihr kein Auge verwendet; er hatte sie mit seinen Blicken begleitet, als sollte er sie in seinem Leben nicht wieder sehen, und kam sie wieder zu ihm zurück, war das, eine Freude gewesen, als wenn sie, wer weiß wie lange, getrennt gewesen wären; und Aurorchen, hatte ihn die väterliche Eigenliebe nicht geblendet, so war das kleine Gräfchen bei der Sache auch nicht ganz gleichgiltig gewesen.

Alle Augenblicke waren Papchen, Pipchen, Popchen und Pupchen, oder Emerentia, oder eine Sechste und Siebente gekommen, und hatten Gotthold zu einer Tour aufgefordert, und immer hatte es geschienen, als ob dergleichen Störungen der unterhaltunglustigen Aurore recht unwillkommen gewesen waren, und immer hatte sie ihn mit den Augen verfolgt, und – doch das wollte er nicht ganz bestimmt behaupten, aber als Gotthold einmal mit der schönen Oberforstmeisterinn von Preisler gewalzt, und während des Tanzes mit ihr mehr als vorher mit den andern geschwatzt, da hatte es dem alten Herrn bedünken wollen, als wäre über Aurorens freundliche Stirn ein kleines Wölkchen gezogen, als habe sich das Rosen-Grübchen in  der blühenden Wange, das sich immer so wunderlieblich bildete, wenn sie lachte, ein wenig verflacht.

Unsere Aktien stehen gut, wisperte die Hofmarschallin, und weckte den in gefällige Träume Versunkenen durch eine leise Seitenberührung mit dem Ellnbogen. Aurora, fuhr die Mittheilungsüchtige vertraulich fort: Aurora, wie nun einmal, wenn sie bei Laune ist, alles heraus muß, was ihr das Herz drückt, hat gegen Brunehilden über Gotthold nicht genug Wesens machen können; sie hat seine Unterhaltung gelobt, die Leichtigkeit seines Tanzes, seinen Anstand, sein Aeusseres, den Umfang seines Wissens, und, so weit sich aus einzelnen Aeusserungen in so kurzer Zeit Herz und Gemüth beurtheilen lassen, die Gediegenheit seines Charakters; Brunehilde versichert, Auroren mit solchem Enthusiasmus über einen Mann noch nie sprechen gehört zu haben. Kurz, Freund, ich sage Ihnen, unsere Aktien stehen gut; nur jetzt nichts übereilt; lassen wir der Sache Zeit, sie macht sich von selbst.

Das Schlußwort war ein Wort zu seiner Zeit; denn der Alte war in seiner raschen Lebendigkeit eben schon im Begriff gewesen, zu Gotthold zu gehen, und ihm über seine heutige Liebenswürdigkeit etwas Freundliches zu sagen, und ihn zu fragen,wie ihm die junge Waiblingen gefalle, und nebenbei hätte er dann bestimmt so viel Seitenbemerkungen fallen lassen, daß Gotthold, war er nicht ganz mit Blindheit geschlagen, sehen mußte, was hier geschmiedet wurde.

Aurora – das junge Blut, vom wilden Cotillon hoch aufgeregt, jagte dem Mädchen tosend durch die Pulse und drängte nach dem, vom süßen Schauer der ersten Liebe wunderbar überflogenen Herzen; der jungfräuliche Busen wogte rasch auf und nieder, und ein nie gekanntes Gefühl blitzte mit der Gewalt eines verzehrenden Feuers im Tiefsten ihres Innern auf – sie wehete sich mit ihrem Fächer Kühlung zu und die Neckereien ab, mit denen sie Brunehild und einige andere Bekanntinnen nach ächter Mädchenweise umsumsten, die alle einstimmig versicherten, Auroren so hinreißend schön nie tanzen gesehen zu haben, die Alle lose und leichtfertig betheuerten, Gotthold habe vor lauter Seligkeit ausgesehen, wie ein verklärter Cherub, die Alle aus Gottholds hier verlebten Jugendjahren eine Menge lustiger Tollheiten, auf der andern Seite aber auch wieder die empfehlendsten Züge seiner Herzensgüte und seines feinen Gefühls erzählten, und die alle dadurch, und durch ähnliche Scherze, den stillen Johanniswürmchen-Funken in Aurorens Allerheiligstem zur unauslöschlichen Feuersbrunst anfachten.

Ist das der Erfolg Ihrer Sendung? fragte die alte Zwickel mit lange verhaltenem Ingrimm, als sich, die Strapatzen des Cotillons in allen Gliedern, der Major Schnüren keuchend neben sie setzte. Mit Euch Männern ist in derlei Angelegenheiten doch auch gar nichts anzufangen. Ich handle nicht für mich; ich will den Gotthold nicht heirathen, ich nicht; aber Pupchen, glaube ich, ist ein Mädchen für ihn. Die Mutterpflicht heischt von mir, für des Kindes Wohl zu sorgen; unsere Güter grenzen an einander. Verübeln Sie es der Mutterliebe nicht, wenn sie wünscht, ihre Kinder in der Nähe zu behalten. Ich hätte von Ihnen erwarten dürfen, daß Sie in meine Ideen eingehen, daß Sie meine Wünsche verstehen, daß Sie die Flamme, die im jungen Ulmenhorst für die Waiblingen aufzugehen schien, löschen würden durch ein vernünftiges Wort über des ehrvergessenen Mädchens Verhältniß zum Prinzen; Ihr Schade war es auch nicht, lieber Major, wenn Gotthold Ihr Schwager wurde. Es hätte heute einmal ein nettes Reitpferd, morgen einen eleganten Postzug gesetzt, denn Sie wissen, wenn der junge Mann gibt, gibt er mit vollen Händen, und auf dem Gestüte in Graserode wachsen ihm ja die Pferde umsonst zu; das ganze Jahr ist er nicht hier. Es hätte ein Wort gekostet, und Sie hätten hier jagen können, so weit der Himmel blau ist. Reviere, wie hier die Ulmenhorster, gibt es im ganzen Lande nicht mehr, denn der alte Narr wickelte seine Hirsche und Rehe lieber alle in Baumwolle ein, als daß er eins schießen ließe. Wir Alle hätten hier ein Leben haben können, wie der liebe Herr Gott in Frankreichs denn Gotthold würde auf dem Lande nicht lange ausgehalten, Pupchen, das Weltkind, würde ihn schon angeregt haben, in der Residenz zu leben, und dann wären wir, wenn der alte Graf, der ja doch nicht ewig  leben kann, das Zeitliche gesegnet, hier Hahn im Korbe gewesen. Ich dachte, als ich Sie vorhin an den Gotthold abschickte, in meinem Sinn, der wird ihn wohl bearbeiten; er wird ihm schon reinen Wein einschenken, und wenn der Gotthold erfährt, was die Waiblingen für eine Sorte Krebse ist, wird er die leichte Fliege wohl fahren lassen und sich zu Pupchen wenden, das in der Gottesfurcht groß geworden ist und ihren Jungfernkranz wie ein Kleinod in Ehren bewahrt hat; und schon darum für jeden Brautwerber ein gangbarer und preiswürdigerer Artickel seyn muß, als solch ein Romanengesicht, dem man schon von weitem ansieht, weß Geistes Kind es ist. Aber Sie haben entweder gar nicht, oder nur halb gesprochen, denn der Mensch ist ja wie toll und thörig in das Mädchen geschossen. Aber sich ihm auch so an den Hals zu werfen! Denken Sie, die Gräfin ist ihm nachgelaufen, hat ihn selbst um den Cotillon gebeten; ist das Manier? Solch eine Person will vom Hoftone wissen! Als ich jung war, da war das am Hofe nicht Mode. Ich glaube, unsere in Gott ruhende Ober-Hofmeisterin Excellenz hätte einer jungen Dame,  die sich das erlaubt, das Genick höchsteigenhändig umgedreht. Und so etwas kann den Männern heut zu Tage gefallen. Gotthold ist, als ihn die Waiblingen zum Tanz engagiert, wie elektrisirt gewesen; er hat ihr die Hände bald abgebissen, und Beide thaten während des Tanzes, das habe ich mit eigenen Augen gesehen, als wären sie schon Braut und Bräutigam. Ich wollte, der alte Ulmenhorst wäre mit seinem ganzen verwünschten Balle, wo der Pfeffer wächst. Was haben sich die Kinder darauf gefreut! Was habe ich’s mir für Geld kosten lassen! Wie allerliebst war der Mensch nicht im Anfange; er flatterte ja um meine Mädels, wie ein lustiger Schmetterling, und ich dachte in meinen Gedanken, daß die Sache mit Pupchen schon so gut wie richtig sey; und, kaum tritt die boshafte Tigerkatze, die Keiner etwas Gutes gönnt, in den Saal, so thut er, als wäre kein Papchen und kein Pipchen, kein Popchen und kein Pupchen mehr in der Welt; möchte man sich nicht da gleich den Schlag auf dem Fleck an den Hals ärgern! Dort sitzt Pupchen nun und mault, und hat hoch und theuer geschworen, keinen Schritt  mehr zu tanzen. Sie wissen, wann sie grollt, läßt sie ihren Unmuth immer gern handgreiflich aus. Beide Handschuhe hat sie schon heimlich kurz und klein zerrissen, und der Blumenstrauß, den sie an der Brust stecken hatte, liegt in lauter Stücken um sie herum; und hätte ich sie nicht um tausend Gotteswillen gebeten, vor den Leuten kein Skandal zu machen und sich ein bischen Gewalt anzuthun, sie hätte sich schon über den Blondenbesatz hergemacht. Ich habe für die Elle 20 Thlr. 8 gr. gegeben, und sie nennt ihn in der Bosheit einen nichtsnützigen Plunder; nun, freilich mit Diamantenschnürchen und Juwelenschleifchen, wie die Komtesse Waiblingen, kann ich meinen Kindern die Kleider nicht garniren lassen, und Brillanten-Bouquets habe ich für sie auch noch nicht erschwingen können, aber um den Preis, mein lieber Major, den die Waiblingen dafür gegeben, möchte ich, beim grundgütigen Gott, die Herrlichkeiten auch all nicht haben. Lieber sächsische Zwirnspitzen um den Rock, böhmische Glaskorallen um den Hals und einen Straus ordinaire Feldblümchen vor die Brust, als solchen schandbedeckten Fürstenstaat. Pupchen –   ich habe ihr zugeredet und ihr gesagt, daß der Mensch, wenn er sich zu dem Mädchen wenden könne, ihrer gar nicht werth sey; aber sie ist ja wie versessen auf ihn, und ich fürchte mich schon für den Lamento’s, die zu Hause angehen werden, denn jetzt verbeißt sie mit heroischer Selbstbeherrschung die Thränen, die ihr Haselnuß groß in die Augen schießen, und schneidet Gesichter dazu, als hätte sie Leibschmerzen; also Major, liebster Major, wollen Sie, daß wir Ruhe haben daheim, und daß Pupchen nicht vor der Zeit hinwelkt, wie eine geknickte Rose, so gehen Sie und stechen Sie dem Menschen den Staar; aber ordentlich, und nicht so halb obenhin, wie das erstemal. Was haben Sie ihm denn vorhin gesagt?

Der Major, während der langen Eiferrede der verehrten Schwiegermama in Hoffnung, von dem anderthalbstündigen Cotillon wieder zu Athem gekommen, betheuerte mit geziemenden Worten, seines Auftrages wohl eingedenk, und von dessen Wichtigkeit um so mehr durchdrungen gewesen zu seyn, als auch er die Freudentage, die seiner warteten, wenn die gewünschte, Verbindung zu Stande kommt, und, bei seiner Passion für das Jagdplaisir, die hiesigen unerschöpflich reichen Reviere im Auge gehabt habe, setzte auseinander, wie er, um nicht mit der Thür in das Haus zu fallen, etwas weit habe ausholen müssen, und wie der alte Ulmenhorst eben, als er die erste Hälfte seiner Parlementair-Unterhandlungen beendigt, und, nun auf die Hauptsache, auf das gegenwärtige Verhältniß des Prinzen zu Auroren habe kommen wollen, dazwischen getreten und ihn unterbrochen habe, und stand nun auf, um das Versäumte sofort nachzuholen.

Wer doch in großen Gesellschaftkreisen immer überall seyn, immer alles hören könnte, was da in den Fensterbogen, in den Nebenzimmern und in den kleinen, eng zusammengedrängten Gruppen beschwatzt und verhandelt wird, man würde oft Aehnliches von dem finden, was diesen Augenblick im Ulmenhorstschen Ahnensaale vorgegangen war. Doch nein! Es ist wahrhaftig nicht gut, immer Alles zu wissen! Wenn die Menschen besser wären, ja; wer sie aber auf diese Weise durchschauen, wer ihr Geheimstes belauschen könnte, würde bald alles Glaubens an die Mehrzahl, und mit diesem  aller Heiterkeit, aller frohen Laune verlustig gehen. Ich mag nicht hinter die Koulissen, wo es winklig und finster ist, und wo die grob geschminkten Menschengesichter gar häßlich und entstellt aussehen; ich will in meinem Parket für mein schweres Geld sitzen bleiben, und mich lieber täuschen lassen. Das Meiste in dieser buntgemalten Breterwelt ist und bleibt ja doch immer Täuschung. Ich will nicht wissen, wie viel mißgünstige, abholde Menschen es giebt, ich will sie lieber alle für gute und für meine Freunde halten, am Ende, wenn sie erkennen, daß sie mir wehe gethan, müssen sie es ja auch in der That werden, wenn sie nicht bodenlos schlecht sind.

6

Gotthold saß für sich allein, fächelte sich, ohne zu wissen, was er that, mit dem Taschentuche Kühlung zu, und träumte sich in die eben selig durchlebten Augenblicke zurück. Er wiederholte sich jedes Wort, was Aurora gesprochen, und schwelgte in der stillen Anschauung des Bildes, das ihm seine, vom Feuer der glühendsten Liebe durchfieberte Phantasie vormalte.

Er zählte in aller Geschwindigkeit ein ganzes Register von Tugenden zusammen, die er in ihren Aeusserungen über dieß und jenes aus ihrem Charakter herausgefunden hatte. Ihre bestimmte Neigung für das Landleben war ihm ein schätzbarer Beweis, daß sie fern von aller Prunksucht und Eitelkeit, den Hofzirkeln und der großstädtischen Welt keinen Geschmack abgewonnen; daß ihr ein einfaches Stillleben mehr zusage, als das geräuschvolle Treiben der Residenz, was sie von der Eintheilung ihres Tages ihm vorgeplaudert hatte, zeigte von dem hohen Werthe, den sie auf die Zeit legte, von dem Glücke, das sie in immerwährender Beschäftigung fand; aus dem, was sie von ihren Uebungstunden gesprochen, entnahm er, mit welchem Eifer sie den Studien der Sprachen, der Musik und Zeichenkunst, der Malerei und den feinen weiblichen Arbeiten obliege; das, was sie ihm von der Führung des väterlichen Haushaltes erzählt, beurkundete ihr wirthliches Talent und ihr Urtheil über mehrere neue, eben erst gelesene Werkes über Kunst und Theater, ihre höhere Ausbildung, ihren Geschmack und ihren tüchtigen, gesunden Scharfblick.

Ihr Großonkel,  der alte Obermundschenk, war, der frühern Absage ungeachtet, dennoch gekommen, und hatte sie während des Cotillons freundlich begrüßt. Die Freude, mit der sie auf einen Augenblick aus dem Kreise trat und auf ihn zueilte, um den Silbergreis zu begrüßen; die Ehrerbietung, mit der sie ihm die Hand küßte, die Herzlichkeit ihres Willkommens, – Gotthold nahm in Gedanken seinen Zeichengriffel und fügte den Zügen seines lieben Bildes noch den der rührendsten Kindlichkeit hinzu, und die Einbildungkraft malte ihm, der Zeit vorauseilend, schon die Scene, wie dereinst Aurora mit gleicher kindlicher Liebe seinen wackern alten Vater umfassen und diesem seinen Lebensabend durch ihre freundliche Hingebung versüßen werde.

Als ihm vorhin Schnüren so Vieles und Manches von dem Prinzen vorgeschwatzt, hatte ihn eine Art Besorglichkeit überfallen, daß der Prinz in Auroren wohl mehr als seinen Schutzgeist, wohl mehr als seinen kleinen Reichsrath gefunden haben möge; er hatte angefangen, sich an Viktors Stelle zu denken, und da war ihm recht erklärlich geworden, wie es möglich seyn könne, ein solches reizendes Wesen durch die  Gewöhnung des täglichen Umgangs immer lieber zu gewinnen, und am Ende, im vollen Sinne des Worts, zu lieben; war es von ihm Neugierde oder der erste Schlangenbiß der Eifersucht gewesen, er wußte es selbst nicht recht genau mehr, aber er hatte im Laufe des Gesprächs mit Auroren, wie zufällig, die Rede unter andern auch auf den Prinzen gebracht; wenn seine Besorgniß nur im Entferntesten gegründet war, so hätte, meinte er, Aurora bei seiner absichtlich recht trocken hingeworfenen Frage, wie man in der Residenz über den Prinzen urtheile, und ob an dem hie und da laut werdenden Gerüchte von seiner baldigen Vermählung mit der Prinzessin eines benachbarten Hofes wirklich etwas Wahres sey, bestimmt roth, oder doch wenigstens ein bischen verlegen werden müssen; allein zu seiner großen Beruhigung war sie weder roth noch verlegen geworden, sondern hatte mit der, dem Prinzen gebührenden Achtung, aber ohne im Mindesten weiter einen besondern Antheil zu verrathen, von ihm Gutes gesprochen, und die zweite Frage mit der Aeusserung beantwortet, daß das wohl der allgemeine Wunsch des Hofes und gewiß auch des ganzen Landes sey, weil die nachbarliche Fürstentochter höchst liebenswürdig und Viktors Hand in jeder Hinsicht vollkommen werth seyn solle, daß indessen die Sache noch nicht so weit gediehen zu seyn scheine, um davon mit Bestimmtheit sprechen zu können; das alles hatte sie mit derselben Gleichgiltigkeit gesagt, mit der sie ein ähnliches Gespräch von jeder andern Verbindung geführt haben würde, und somit strich er die schwarzen Flecke, die ihm seine Eifersucht auf die entworfne Zeichnung von Aurorens Charakterbilde wider seinen Willen hatte hinkleksen wollen, mit der beruhigenden Ueberzeugung aus, daß —

Das war einmal ein Cotillon, der sich gewaschen hat! sagte der Major, den Schweis von der Stirne trocknend, und warf sich auf den Stuhl neben Gotthold: der ganze Kreis, wahrhaftig alle Tage konnte er sich beim Ballet anstellen lassen, so wundervoll ward getanzt, die erste Solotänzerinn aber ist und bleibt doch immer die Waiblingen. Ein Göttermädchen, eine wahre Hebe ist sie. Haben Sie denn die Anmuth, die hinreißende Anmuth gesehen, mit der das Mädchen tanzte? Was ist das für  ein Gliederbau, und welche Federkraft steckt in diesem Luftgebilde! Auf Ehre, zuweilen war es doch, als schwebte sie, von leichten Zephyren getragen, im Kreise herum, denn Sekunden währte es oft, ohne daß das niedlichste Fußspitzchen die Spiegelglätte des Bodens berührte. Weiß Gott, es war, als ob man eine mit Rosenschwingen beflügelte lebendige Grazie vor sich sehe. Auro – o ich bin auch einmal durch die Schule gelaufen, und wenn der Professor auf die hübschen Mädchen der Alten kam, da habe ich immer aufgepaßt, wie ein Heftelmacher – Auro hießen die Athenienser die erste ihrer beiden Grazien; da haben wir sogar die Namenähnlichkeit mit Auroren. Bei meiner armen Seele, ich nehme es dem Prinzen nicht übel; er ist auch ein Mensch, und den Mann will ich mal sehen, der bei diesen verführerischen Reizen seine Fassung behält. Aber auch auf sie, auf Auroren, werfe ich den Stein nicht. Der Prinz ist hübsch, sehr hübsch; das ewige Beisammenseyn, – Gelegenheit macht Diebe, sagt das Sprichwort; seine fürstlichen Geschenke, seine Aufmerksamkeiten; seine täglichen Huldigungen, das zu ihren Füßen ausgesprochene Geständniß seiner unauslöschlichen Leidenschaft, seiner glühenden Liebe! – Macht mir doch nichts weiß! – Mädchen bleibt Mädchen, keins ist von Stahl und Eisen, und ich möchte mal das sehen, das bei solchen Verlockungen unerschütterlich bliebe, absonderlich, wenn ihm solches Blut durch die Adern rinnt! Denn man darf Auroren nur in die fackelnden Feueraugen sehen, die Lebendigkeit ihrer Bewegungen nur einmal beobachten, die Schnelligkeit ihres redseligen Mäulchens nur einmal hören, um die Lebendigkeit dieses Temperaments —

Also meinen Sie wirklich, daß der Prinz? – fragte, aus allen seinen Himmeln stürzend, Gotthold, blutig zerrissenen Herzens, und krallte seine Rechte krampfhaft in das Knie des Majors.

Meinen, wiederholte dieser, und freute sich heimlich, daß sein Gift so schnell und so kräftig wirke: meinen! liebster Graf, da ist nichts zu meinen; über so etwas zu sprechen, seine Meinung darüber gerade heraus zu sagen, Freund, das sind kitzliche Halssachen. Indessen, daß der Prinz oft, merken Sie wohl auf, oft, das heißt fast täglich, von 5 Uhr Abends  bis spät in die Nacht allein bei Auroren ist, das ist Thatsache, daß er neulich Nachmittag, bei Justizministers im Garten, mit ihr ganz allein, über eine Stunde Arm in Arm herumspazirt ist, und sie einmal beim Baßin, und dann auf der kleinen Brücke und dann in der Jelängerjelieber-Laube geküßt hat, und daß sie sich ohne Sträuben von ihm hat küßen lassen, daß er dann mit ihren Locken gespielt, ihre Hand genommen, und sich damit das Gesicht gestreichelt, daß er, ehe sie zu der übrigen Gesellschaft, die vorn im Gartensaale Thee getrunken, zurückgekommen, daß er, sage ich, sich herabgebeugt, und – Sie wissen die kleinen rosigen Grübchen auf den vollen schneeweißen Vorderachseln, – daß er in die einen Kuß, dann noch einen und dann noch einen gedrückt, – das ist Thatsache, denn das alles hat ein Bekannter von mir aus der Dachluke seines Hauses mit seinem Fernrohr erlauscht; daß der alte Waiblingen, von dem vor zehn Jahren kein Mensch sprach, den keiner damals kannte, jetzt liebes Kind bei Hofe ist; daß seit achtzehn Monaten bei unserem und beim Nachbarhofe alle Maschinen in Umtrieb gesetzt sind, um Prinz  Victors Vermählung zu bewirken; daß dieser sich aber jeder desfalsigen endlichen Erklärung bisher immer zu entziehen gewußt hat; daß er gegen Vertrautere sich bestimmt geäußert, ohne sein Herz nie eine Verbindung der Art eingehen zu wollen, und darum, merken Sie wohl auf, darum es nicht zu können, das alles, Freund sind Thatsachen; und stellt man diese Thatsachen zusammen, und ist in der Zusammenstellung nur ein wenig bewandert; so läßt sich das, was Sie meinten, daß ich es meine, wohl so ziemlich herausresultiren; und wenn das Rechenexempel noch nicht stimmen will, kann man die Probe rückwärts machen, an Auroren selber. Ich weiß nicht, ihre Taille – ich verstehe mich auf so etwas nicht; aber einige Damen hier gloßirten ziemlich deutlich darüber, und wenn man das Gesicht sowohl wie das Benehmen recht prüfend betrachtet, finden Sie nicht auch, daß, wie soll ich sagen, daß so etwas Frauliches darin liege? Bei der rasenden Eifersucht des Prinzen ist mir nur unbegreiflich, wie sie es hat wagen können, hier zu erscheinen, denn in den Zirkeln, wo er nicht ist, sieht man auch sie nicht. Entweder er ist nach  Pappelhein, wo er in diesen Tagen hinwollte, und dann hat sie es einmal gewagt, auf den Husch zur Tante Hofmarschallinn herauszukommen, oder es liegt ein höherer Plan im Werke! – ein Plan, von der Noth, von dem Drange der Umstände, die man sonst gute nennt, eingegeben, der Plan, hier im Kreise unsers Landadels einen gutmüthigen Tropf zu finden, der Auroren nicht mißfällt, und der sich, gegen glänzende Versprechungen, dazu hergibt, die fremde Schuld auf seine Hörner zu nehmen, und, sich die unaufschiebliche Schnellpost-Heirath gefallen zu lassen.

Tod und Hölle! rief Gotthold, sich vergessend, sprang mit geballter Faust vom Stuhle auf und knirschte sich den heimlichen Schwur zu, in diesem possierlichen Trauerspiel die Heldenrolle gewiß nicht übernehmen zu wollen. Wie ungeheuer hat er sich in dem Mädchen getäuscht! Mit welchem unermeßlichen Schmerze füllt sich seine Seele, den Glauben an dieses Engelwesen aufgeben zu müssen!

Sie taugen alle nicht, sagte er mit bitterer Giftigkeit, und zwang sich vor Schnüren den Ingrimm zu verbergen, der ihm aus dem blutig zerrissenen Herzen zu Gehirn stieg. War er doch wahrhaftig von dem  bischen Aeußern des buhlerischen Mädchens und, ihrer anziehenden Weise, vorhin so rein weg, so toll und thörig besessen gewesen, daß er, ja, er gestand sich die Schwäche, daß er diesen Abend noch, ihr Hand und Herz hatte anbieten wollen. Wie lächerlich hätte er morgen vor dem Hofe, vor der Residenz, vor dem ganzen Adel der Umgegend da gestanden! Welch ein Glück, daß ihm der Zufall den ehrlichen Schnüren zugeführt!

Aber warum, rief er im Kampfe mit sich selbst, und mit seinem Jammer, diesen kaum gefundenen Schatz, der ihm sein ganzes Leben lang hatte vorhalten sollen, mit einemmale wieder auf immer und ewig verloren zu haben: warum hat der Gott, in dem die Wahrheit wohnt, solche schreiende Lüge in diese Züge geschrieben! Ist es denn möglich, die Unschuld, die Tugend täuschender zu malen! Ist denn in diesen frommen Tauben-Augen nur ein falscher Blick zu finden? Lächelt denn in diesem ganzen Madonnengesicht etwas anders als die reinste Liebe, verschleiert durch die züchtigste Scham, durch die unbefleckteste Jungfräulichkeit? O, warum ist ein  gefallener Engel so schön, so überschwenglich reizend!

Wollen der Herr Graf wohl die Gnade haben, nachzusehen, ob die Tafeleinrichtung so nach Ihrem Gefallen sey? fragte Lippert, ein langes Namenverzeichniß in der Hand, auf dem, in Folge der vom alten Grafen Ulmenhorst ertheilten Bestimmungen, die Plätze der Gäste an der reich besetzten Abendtafel verzeichnet waren, und machte ein Gesicht dazu, als wäre ihm darin Manches enthalten, was seinen Ansichten nach nicht ganz passend sey, worein er sich aber geduldig habe fügen müssen, weil er die Vorschriften des alten Herrn zu befolgen genöthigt gewesen sey, und setzte, sich gewissermaßen im Voraus entschuldigend, hinzu, daß es eine recht schwierige Aufgabe gewesen, bei diesem Arrangement die nöthigen Rücksichten auf das bestehende Rangreglement mit denen auf die vorhandenen Familien- und auf die – er schob das Wort schüchtern ein – beabsichtigten Herzens-Verhältnisse klüglicher Weise zu verbinden.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
160 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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