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Das Schwärmen

Die Bienen des von uns erwählten Bienenstocks haben also die Starre des Winterschlafes abgeschüttelt. Die Königin beginnt von Anfang Februar an wieder Eier zu legen. Die Arbeitsbienen befliegen die Anemonen, Narzissen, Veilchen, Salweiden und Haselnusssträucher. Der Frühling hält seinen Einzug, die Speicher und Keller strotzen wieder von Honig und Blütenstaub, und tausende von Bienen erblicken täglich das Licht der Welt. Die ungeschlachten Drohnen kriechen aus ihren großen Zellen, laufen auf den Waben herum, und der Bevölkerungszuwachs der Stadt wird bald so groß, dass hunderte von Arbeitsbienen, wenn sie abends vom Felde heimkehren, kein Unterkommen mehr finden und genötigt sind, die Nacht auf der Schwelle zu verbringen, wo viele vor Kälte sterben.

Eine allgemeine Unruhe ergreift das Volk, und die alte Königin gerät in Aufregung. Sie ahnt, dass sich ein neues Schicksal vorbereitet. Sie hat ihre Pflicht als Mutter gewissenhaft getan, und nun führt ihre Pflichterfüllung zu Verwirrung und Trübsal. Eine unabweisliche Notwendigkeit bedroht ihre Ruhe: bald wird sie die Stadt ihrer Herrschaft verlassen müssen. Und doch ist diese Stadt ihr Werk, ihr eigenstes Ich. Sie ist keine Königin im menschlichen Sinne. Sie gibt keine Befehle; sie ist, wie die letzte ihrer Untertanen, einer verhüllten Gewalt von überlegener Weisheit unterworfen, die wir einstweilen, bis wir sie zu entschleiern versuchen, den » Geist des Bienenstockes« nennen wollen. Sie ist die alleinige Mutter und das Werkzeug der Liebe. Sie hat die Stadt in Unsicherheit und Armut gegründet. Sie hat sie unaufhörlich mit ihrem eignen Fleisch und Blut bevölkert, und alles, was darinnen lebt, – Arbeitsbienen, Drohnen, Larven, Nymphen und die jungen Prinzessinnen, deren baldiges Ausschlüpfen ihren Aufbruch beschleunigen wird und deren eine ihr vom »Geiste des Bienenstockes« schon zur Nachfolgerin bestimmt ist, – ist aus ihren Weichen hervorgegangen.

Wo befindet sich dieser »Geist des Bienenstockes« und wo hat er seinen Sitz? Er ist nicht wie der individuelle Instinkt des Vogels, der sein Nest mit Geschicklichkeit baut und andere Himmelsstriche aufzusuchen weiß, wenn der Tag des Wanderns wieder angebrochen ist. Er ist ebenso wenig eine mechanische Gewohnheit der Gattung, die nur vom blinden Lebenswillen beseelt ist und sich an allen Ecken des Zufalls stößt, sobald ein unvorhergesehener Umstand die Abfolge der gewohnten Erscheinungen durchbricht. Im Gegenteil, er folgt Schritt für Schritt den allmächtigen Umständen, wie ein kluger und geschickter Sklave, der auch die gefährlichsten Befehle seines Herrn sich zum Vorteil zu wenden weiß.

Er verfügt ohne Rücksicht, aber gewissenhaft, als wäre ihm eine große Pflicht auferlegt, über Wohlstand und Glück, Leben und Freiheit dieses geflügelten Völkchens. Er bestimmt Tag für Tag die Zahl der Geburten und zwar genau nach der Blumenzahl, die auf den Fluren blüht. Er sagt der Königin, dass sie verbraucht ist oder dass sie ausschwärmen muss, er zwingt sie, ihren Nebenbuhlerinnen das Leben zu geben, erhebt diese zu Königinnen, schirmt sie vor dem politischen Hass ihrer Mutter und veranlasst oder verhindert, – je nach der Fülle des Blumensegens, dem früheren oder späteren Eintreten des Frühjahrs und den beim Hochzeitsflug zu befürchtenden Gefahren, – dass die erstgeborene unter den jungfräulichen Prinzessinnen ihre jüngeren Schwestern in der Wiege tötet. Oder auch bei vorgerückter Jahreszeit, wenn die Blumenstunden kürzer werden, gebietet er den Arbeitsbienen, die ganze königliche Brut zu vernichten, damit die Ära der Umwälzungen ein Ende hat und die fruchtbringende Arbeit wieder aufgenommen wird. Er ist ein Geist der Vorsicht und Sparsamkeit, aber nicht des Geizes. Er weiß anscheinend um die verhängnisvollen und etwas vernunftwidrigen Naturgesetze der Liebe, und duldet darum in den reichen Sommertagen, in denen die junge Königin ihren Liebhaber suchen geht, das Vorhandensein von drei- oder vierhundert törichten, ungeschickten, bei aller Geschäftigkeit nur hinderlichen, anspruchsvollen, schamlos müßigen, lärmenden, gefräßigen, groben, unsauberen, unersättlichen und ungeschlachten Drohnen. Aber sobald die Königin befruchtet ist, die Blumen ihre Kelche später öffnen und früher schließen, ordnet er eines Tages gelassen an, dass sie alle miteinander ermordet werden. Er regelt die Arbeit jeder Biene nach ihrem Alter, er bestimmt die einen zur Pflege der Brut, die anderen zur königlichen Leibwache, welche die Königin zu unterhalten hat und sie nie aus den Augen verlieren darf, wieder andere zum Ventilieren: sie lüften mit ihren Flügeln den Stock, führen ihm Wärme oder Kälte zu und beschleunigen die Verdunstung des dem Honig zu viel zugesetzten Wassers; wieder andre verwertet er als Architekten, Maurer und Steinmetzen; sie hängen sich in Ketten auf, um Wachs zu bereiten, und bauen die Waben, während ein anderer Schwärm ausfliegt und einträgt: Nektar, der zu Honig verarbeitet wird, Blütenstaub zum Futterbrei für die Brut, und Stopfwachs (Propolis) zum Verkleben und Befestigen der Bauten. Er weist den Chemikern im Bienenstaate ihre Aufgabe an: den Honig haltbar zu machen, indem sie einen Tropfen Ameisensäure in die gefüllten Zellen tun, den Arbeiterinnen, welche diese Zellen verdeckeln, den Straßenkehrerinnen, die Straßen und Plätze in musterhafter Ordnung halten, den Totengräberinnen, welche die Leichen fortschaffen, und den Amazonen der Schildwache, die Tag und Nacht für Sicherheit des Eingangs sorgen, die Kommenden und Gehenden befragen, sich die jungen Bienen beim ersten Ausfluge merken, die Landstreicher, Bettler und Räuber fortjagen, Eindringlinge austreiben, gefürchtete Feinde in Masse angreifen und nötigenfalls das Flugloch verbarrikadieren.

Endlich bestimmt er die Stunde, wo dem Genius der Art das große Jahresopfer gebracht wird, ich meine das Schwärmen, wo das ganze Volk, auf dem Gipfel seiner Macht und seines Gedeihens angelangt, der nächsten Generation plötzlich alles überlässt, seine Schätze und Paläste, seine Wohnungen und die Frucht seiner Arbeit, um fern im Ungewissen und Öden eine neue Heimat zu suchen. Es ist dies ein Akt, der – bewusst oder unbewusst – über die menschliche Moral hinausgeht. Bisweilen zerstört er, immer verarmt er, und sicher zerreißt er das glückgesegnete Volk, damit es einem höheren Gesetze gehorche, als das Gedeihen der Stadt ist. Wo entsteht dieses Gesetz, das, wie wir sogleich sehen werden, nicht so fatalistisch und blind ist, wie man wohl glaubt? In welcher Versammlung, welchem Rat, welcher gemeinsamen Sphäre hat er seinen Sitz, dieser Geist, dem sich alle unterwerfen, und der selbst einer heroischen Pflicht, einer stets auf die Zukunft gerichteten Vernunft gehorcht?

Es ist bei unsren Bienen wie bei der Mehrzahl aller irdischen Dinge: wir beobachten einige ihrer Gewohnheiten, wir sagen, sie tun dies und jenes, sie arbeiten so und so, ihre Königinnen sorgen für Nachkommenschaft, ihre Arbeiterinnen bleiben Jungfrauen, und dann und dann schwärmen sie. Damit glauben wir sie zu kennen und fragen nicht weiter. Wir sehen sie von Blume zu Blume hasten, wir beobachten das bebende Kommen und Gehen im Stock, und dieses Leben scheint uns höchst einfach und beschränkt, wie jedes Leben, das instinktiv nach Selbsterhaltung und Vermehrung trachtet. Aber sobald das Auge tiefer eindringt und sich Rechenschaft ablegen will, erkennt es die erstaunliche Kompliziertheit der einfachsten Erscheinungen, das Wunder des Verstandes und des Willens, der Bestimmungen und Ziele, der Ursachen und Wirkungen, die unbegreifliche Organisation der geringsten Lebensakte.

In unserem Bienenstock bereitet sich also das große Opfer vor, das den anspruchsvollen Volksgöttern gebracht wird. Den Geboten dieses »Geistes« gehorsam, der uns ziemlich unerklärlich erscheint, vorausgesetzt, dass er allen Instinkten und Gefühlen unsrer Art zuwiderläuft, – sind sechzig bis siebzigtausend von den achtzig bis hunderttausend Bienen des Gesamtvolkes im Begriff, die Mutterstadt zur gegebenen Stunde zu verlassen. Es ist kein Augenblick der Angst, in dem sie davonziehen, kein plötzlicher toller Entschluss, das durch Hunger, Krieg oder Seuchen verheerte Heimatland zu fliehen. Ihre Selbstverbannung ist seit lange vorbedacht und die günstigste Stunde wird geduldig abgewartet. Ist der Stock arm und durch Unglück im Königshause, schlechtes Wetter oder Plünderung geschwächt worden, so wird nicht geschwärmt. Sie verlassen ihre Stadt nur auf dem Gipfel ihres Wohlstands, wenn der mächtige Wachsbau nach harter Frühjahrsarbeit in seinen 120 000 schnurgerade gebauten Zellen prangt und von frischem Honig strotzt, oder von jenem bunten Mehl, das zur Auffütterung der Brut dient und Bienenbrot genannt wird.

Nie sieht der Stock schmucker aus, als am Tage vor der heroischen Entsagung. Es ist für ihn die Stunde ohne Gleichen, die lebensvolle, etwas fieberhafte und doch so heitere Stunde des Überflusses und der Ausgelassenheit. Suchen wir ihn uns vorzustellen, nicht wie ihn die Bienen sehen, denn wir ahnen nicht, welche magische und furchtbare Gestalt die Dinge in den sechs- bis siebentausend Facettenaugen annehmen, die sie an der Seite haben, oder in dem dreifachen Zyclopenauge auf ihrer Stirn, sondern so, wie wir ihn sehen würden, wenn wir ihre Größe hätten. Oben von der Wölbung, die noch ungeheurer ist, als die des St. Peter in Rom, bis auf den Fußboden herab gehen zahlreiche senkrechte, parallele Riesenmauern, die im Finstern und im Leeren hängen und die man – im Verhältnis gesprochen – wegen ihrer kühnen Bauart, ihrer Genauigkeit und Riesenhaftigkeit mit keinem menschlichen Bauwerk vergleichen kann. Jede dieser Mauern, deren Baustoff noch jungfräulich frisch, silbern, unbefleckt und duftend ist, besteht aus tausenden von Zellen und enthält Vorräte, von denen das ganze Volk wochenlang leben könnte. Hier und dort leuchten rote, gelbe, schwarze und veilchenfarbene Flecken; es ist Pollen, der befruchtende Blumenstaub der gesamten Frühlings Flora, in durchsichtigen Zellen bewahrt, und ringsherum in schweren, üppigen Goldgewinden mit starren, unbeweglichen Falten der Aprilhonig, der reinste und duftreichste, in zwanzigtausend schon verdeckelten Behältern, die nur in den Tagen der höchsten Not erbrochen werden. Weiter unten reift der Maihonig noch in seinen weit geöffneten Behältern, an deren Rand eine wachsame Schar für ununterbrochenen Luftwechsel sorgt. In der Mitte, fernab vom Lichte, dessen Diamantstrahlen durch die einzige Öffnung dringen, schlummert im wärmsten Teile des Bienenstockes die Zukunft oder beginnt zu erwachen. Es ist dies der Bezirk des Brutraums, in dem die Königin und ihre Mägde hausen, etwa zehntausend Zellen, in denen die Eier ruhen, fünfzehn- oder sechzehntausend, die von den Larven bewohnt sind, und vierzigtausend, in denen die wachsbleichen Nymphen von tausenden von Pflegerinnen gewartet werden. (Diese Zahlen entsprechen genau einem stark bevölkerten Stock zur Zeit der Volltracht.) Endlich im Allerheiligsten des Kinderhimmels drei bis zwölf geschlossene, verhältnismäßig sehr große Weisel Zellen, in denen die jungen Prinzessinnen, in eine Art von Leichentuch gehüllt, unbeweglich und bleich ihre Stunde erharren und im Finstern genährt werden.

Dieser noch gestaltenlosen Jugend räumt also zu einer gegebenen, vom »Geiste des Bienenstocks« genau bestimmten Stunde ein Teil des Volkes das Feld, und auch er ist nach unerschütterlichen, untrüglichen Gesetzen hierzu erlesen. In der schlafenden Stadt zurück bleiben die Drohnen, aus deren Reihen der königliche Buhle hervorgehen wird, die noch ganz jungen Bienen, die die Brut füttern, und einige tausend Arbeitsbienen, die nach wie vor eintragen, den aufgehäuften Schatz beschirmen und die moralischen Traditionen des Bienenstockes aufrecht erhalten. Denn jeder Bienenstock hat seine besondere Moral. Man findet sehr tugendhafte und sehr verdorbene, und der unvorsichtige Imker kann ein Volk verderben, es die Achtung vor fremdem Besitz verlieren lassen, zum Plündern verleiten, ihm Eroberungsgelüste und Neigung zum Müßiggang beibringen, wodurch es zum Schrecken aller schwachen Völker der Umgegend wird. Er braucht die Bienen nur merken zu lassen, dass die Feldarbeit in den Blumen, von denen hunderte beflogen werden müssen, um einen Tropfen Honig zu liefern, weder das einzige, noch das bequemste Mittel zum Reichwerden ist, sondern dass es viel leichter ist, durch List in schlecht bewachte Städte oder durch Gewalt in solche einzudringen, deren Bevölkerung zu schwach ist, um sich zu wehren. Sie verlieren bald den Sinn für die glänzende, aber unbarmherzige Pflicht, die sie zu geflügelten Knechten der Blumen im hochzeitlichen Reigen der Natur macht, und es ist zuweilen gar nicht leicht, ein so zuchtlos gewordenes Volk wieder auf den Weg der Pflicht zu bringen.

Alles das beweist, dass das Schwärmen nicht von der Königin, sondern vom »Geiste des Bienenstocks« ausgeht. Es ist mit der Königin, wie mit den Führern der Menschen: sie scheinen zu befehlen, und gehorchen doch selbst nur Geboten, die gebieterischer und unerklärlicher sind, als die, welche sie ihren Untergebenen erteilen. Wann dieser »Geist« den Augenblick für gekommen hält, muss er wohl schon bei Morgengrauen, ja vielleicht schon am Tage vorher oder zwei Tage vorher bekannt geben, denn kaum hat die Sonne die ersten Tautropfen auf getrunken, so nimmt man rings um den Bienenstand eine ungewöhnliche Unruhe wahr, über deren Wesen sich der Bienenwirt selten täuscht. Manchmal soll selbst Uneinigkeit, Zaudern und Zurückweichen eintreten. Es kommt sogar vor, dass sich der goldig schimmernde, durchsichtige Schwarm mehrere Tage hintereinander bildet und ohne ersichtlichen Grund wieder verschwindet. Entsteht in diesem Augenblick am Himmel, den die Bienen sehen, eine Wolke, die wir nicht wahrnehmen, oder ein Heimweh in ihrem Geiste? Wird die Notwendigkeit des Aufbruches in einer geflügelten Ratsversammlung erörtert? Wir wissen davon ebenso wenig, wie wir wissen, auf welche Weise der Geist des Bienenstocks seine Entschließungen bekannt gibt. Wenn es auch feststeht, dass die Bienen sich Mitteilungen machen, so wissen wir doch keineswegs, ob sie dies nach Art der Menschen tun. Dieses honigduftende Summen, dieses trunkene Schwirren an schönen Sommertagen, welches eine der holdesten Freuden für den Bienenvater ist, dieser Hochgesang der Arbeit, der im Kristall der Luft rings um den Bienenstand bald steigt, bald fällt und gleichsam das fröhliche Flüstern des Blumenflors, das Preislied seines Glückes, der Widerhall seiner süßen Düfte ist, – sie hören ihn vielleicht nicht einmal. Trotzdem besitzen sie eine ganze Skala von Tönen, die wir selbst unterscheiden können und die von tiefer Seligkeit bis zu Drohung, Zorn und Trübsal reicht, sie besitzen ein Lied auf die Königin, ein hohes Lied des Überflusses und Klagelieder, und endlich stoßen die jungen Prinzessinnen in den Kämpfen und Blutbädern, die dem Hochzeitsausflug vorausgehen, ein langgezogenes, seltsames Kriegsgeschrei aus. Sind das alles nur Laute von ungefähr, die ihr inneres Schweigen nicht berühren? Um die Geräusche, die wir rings um ihre Wohnungen machen, scheinen sie sich allerdings nicht zu kümmern, aber vielleicht sind sie der Meinung, dass diese Geräusche nicht zu ihrer Welt gehören und für sie keine Bedeutung haben. Wahrscheinlich hören wir unsererseits auch nur einen geringen Teil dessen, was sie sagen, und vielleicht verfügen sie über eine Menge von harmonischen Tönen, die nicht für unsre Organe gemacht sind. Jedenfalls werden wir weiterhin sehen, dass sie sich verständigen können und zwar mit einer oft wunderbaren Geschwindigkeit, z. B. wenn der große Honigdieb, der Totenkopf-Schmetterling, in den Stock dringt und dabei von Zeit zu Zeit eine eigentümliche, unwiderstehliche Beschwörungsformel murmelt. Sofort läuft die Kunde von Mund zu Mund und das ganze Volk von den Wachen am Eingang bis zu den letzten Arbeitsbienen, die auf den fernsten Waben arbeiten, gerät in Schrecken.

Man hat lange gemeint, die klugen Honigwespen, die für gewöhnlich so sparsam, nüchtern und weitblickend sind, gehorchten in dem Augenblick, wo sie die Schätze ihrer Wohnung im Stiche lassen, um sich selbst ins Ungewisse hinauszuwagen, einer Art von Wahnsinn und Verhängnis, einem instinktiven Trieb und Gattungsgesetz oder Naturgebot, kurz, jener dunklen Gewalt, der alle in der Zeitlichkeit lebenden Wesen unterworfen sind. Handelt es sich um die Bienen oder um uns selbst, uns scheint alles, was wir noch nicht verstehen, ein Verhängnis. Aber man hat den Bienen heute drei oder vier ihrer materiellen Geheimnisse abgewonnen, und da hat es sich erwiesen, dass dieser Auszug weder instinktiv, noch vom Schicksal verhängt ist. Es ist keine blinde Auswanderung, sondern ein anscheinend bewusstes Opfer, welches das lebende Geschlecht dem zukünftigen bringt. Der Bienenzüchter braucht nur die jungen, unausgeschlüpften Königinnen in ihren Zellen zu töten und, wenn viele Larven und Nymphen vorhanden sind, gleichzeitig Honig- und Brutraum des Volkes zu erweitern – und alsbald hört das ganze unfruchtbare Treiben auf, die gewöhnliche Arbeit wird wieder aufgenommen, Honig eingetragen, und die alte Königin, die jetzt unentbehrlich geworden ist und keine Nebenbuhlerinnen zu hoffen oder zu fürchten hat, verzichtet in diesem Jahre auf ein Wiedersehen des Sonnenlichtes. Friedlich nimmt sie ihre Mutterpflicht im Finstern wieder auf und legt methodisch, eine Spirale beschreibend, von Zelle zu Zelle, ohne eine einzige auszulassen, ohne je inne zu halten, jeden Tag zwei- bis dreitausend Eier.

Was wäre in alledem fatalistisch als die Liebe des Volkes von heute zu dem von morgen? Diese Art von Verhängnis findet sich auch in der menschlichen Gattung, wenn auch nicht mit der gleichen Gewalt und Unbedingtheit, denn sie führt bei uns nie zu so großen, einmütigen und vollständigen Opfern. Welchem weitblickenden Fatum, das jenes andre ersetzt, mögen wir gehorchen? Niemand weiß es, denn keiner kennt das Wesen, das uns so ansieht, wie wir die Bienen.

Aber der Mensch soll den Gang der Dinge in dem von uns beobachteten Bienenstocke nicht unterbrechen, und die feuchte Wärme eines langsam dahinfließenden Sommertages, der seine Strahlen schon unter das Blattwerk sendet, beschleunigt die Stunde des Aufbruchs. Überall in den goldbraunen Gängen, die zwischen den senkrechten Riesenmauern laufen, rüsten die Arbeitsbienen sich zur Reise. Jede versieht sich mit einem Honigvorrat für fünf bis sechs Tage. Aus diesem Honig bereiten sie, durch einen noch nicht recht aufgeklärten chemischen Prozess, das zur Aufführung von neuen Bauten unmittelbar erforderliche Wachs. Ferner versehen sie sich mit einer gewissen Menge von Propolis, einer harzigen Substanz, die dazu bestimmt ist, die Spalten und Ritzen der neuen Wohnung zu verkitten, alles, was locker ist, zu befestigen, alle Wände zu firnissen und alles Licht abzublenden, denn sie arbeiten nur in einer fast völligen Dunkelheit, in der sie sich mit Hülfe ihrer Facettenaugen oder auch ihrer Fühler zurechttasten, denn diese scheinen in der Tat der Sitz eines unbekannten Sinnes zu sein, welcher die Finsternis fühlt und misst.

Sie vermögen also die Ereignisse des gefahrvollsten Tages in ihrem Dasein vorauszusehen. Heute leben sie nur für den großen Akt und die vielleicht wunderbaren Abenteuer, die er mit sich bringt; heute haben sie keine Zeit, in Gärten und Wiesen hin auszuschwärmen, und morgen oder übermorgen kann es vielleicht regnen und stürmen, ihre kleinen Flügel können erstarren und ihre Blumen sich nicht mehr öffnen. Ohne diese Voraussicht wären sie dem Hungertode preisgegeben. Nichts käme ihnen zu Hülfe, und sie würden niemanden um Hülfe bitten. Von Stock zu Stock kennen sie sich nicht und helfen sich nie. Es kommt sogar vor, dass der Bienenzüchter den Bienenstock, in den er die alte Königin und den sie umgebenden Schwarm eingeschlagen hat, dicht neben den eben verlassenen Stock stellt. Welches Unglück sie nun auch trifft, man kann sagen, dass sie seinen Frieden, sein emsiges Glück, seine Reichtümer und seine Sicherheit unwiderruflich vergessen haben, und dass sie alle, eine nach der andern bis zur letzten, lieber bei ihrer unglücklichen Königin verhungern, als in ihr Elternhaus zurückzukehren, obschon der Duft seines Überflusses, welches der Duft ihrer verflossenen Arbeit ist, bis in ihre Trübsal herüberdringt.

Das wird man sagen, würden die Menschen nicht tun; es ist dies kein Beweis dafür, dass hier trotz einer staunenswerten Organisation keine eigentliche Vernunft, kein Bewusstsein vorhanden ist. Was wissen wir davon? Sind wir, ganz abgesehen davon, dass es sehr wohl möglich ist, dass andere Wesen eine andere Vernunft haben als die unsre, eine Vernunft, die sich in ganz anderer Weise äußert, ohne darum minderwertig zu sein, – sind wir, die wir nie aus dem engen Kreise des Menschlichen herauskommen, so gute Richter über geistige Dinge? Wir brauchen nur zwei oder drei Personen hinter einem Fenster sprechen und gestikulieren zu sehen, ohne zu hören, was sie sich sagen, und schon wird es uns sehr schwer, den sie leitenden Gedanken zu erraten. Glaubt man etwa, ein Bewohner des Mars oder der Venus, der von einem Berggipfel herab die kleinen schwarzen Punkte, die wir im Raume sind, durch die Straßen und Plätze hin- und her wimmeln sähe, könnte sich aus dem Anblick unserer Bewegungen, unserer Gebäude und Kanäle oder Maschinen, eine genaue Vorstellung von unserem Verstande, unserer Moral, unserer Art zu lieben, zu denken und zu hoffen, kurz unsrem inneren und wirklichen Wesen machen? Er würde sich damit begnügen, gewisse erstaunliche Tatsachen festzustellen, ganz wie wir es im Bienenstock tun, und daraus würde er wahrscheinlich ebenso unsichere und irrige Folgerungen ziehen wie wir. Auf alle Fälle dürfte es ihm sehr schwer fallen, in den »kleinen schwarzen Punkten« die große moralische Tendenz, das wunderbar einmütige Gefühl zu entdecken, das im Bienenstock zum Ausdruck kommt. » Wohin gehen sie? « Würde er sich fragen, wenn er uns Jahre und Jahrhunderte lang beobachtet hätte. » Was tun sie? Welches ist der Mittelpunkt und der Zweck ihres Lebens? Gehorchen sie irgendeinem Gotte? Ich sehe nichts, was ihre Schritte lenkt. Heute scheinen sie allerhand Kleinigkeiten aufzuhäufen und aufzubauen, und morgen zerstören und zerstreuen sie sie. Sie kommen und gehen, sie versammeln sich und gehen auseinander, aber man weiß nicht, was sie eigentlich wollen. Sie bieten allerhand unerklärliche Anblicke. So sieht man z. B. etliche, die sich sozusagen nicht rühren. Man erkennt sie an ihren glänzenderen Gewändern. Oft auch sind sie von größerem Umfange, als die, welche ihnen dienen. Ihre Wohnungen sind zehn oder zwanzig Mal so groß, auch zweckmäßiger eingerichtet und reicher als die der andren. Sie halten darin Tag für Tag Mahlzeiten ab, die stundenlang dauern und sich bisweilen tief in die Nacht erstrecken. Alle, die ihnen näher kommen, scheinen sie außerordentlich zu ehren; aus den Nachbarhäusern wird ihnen Nahrung zugetragen, und vom Lande her strömen sie in Massen herbei, um ihnen Geschenke zu bringen. Man muss wohl glauben, dass sie unentbehrlich sind und ihrer Gattung wesentliche Dienste leisten, wiewohl unsre Forschungen uns noch keinen Aufschluss darüber gegeben haben, welcher Art diese Dienste sind. Dann wieder sieht man andre in großen Häusern, die mit kreisenden Rädern angefüllt sind, in düsteren Schlupfwinkeln an den Häfen, oder auf kleinen Erdgevierten, auf denen sie vom Morgen bis zum Abend herumwühlen, in unaufhörlicher, mühevoller Arbeit. Dies alles führt zu der Vermutung, dass ihre Tätigkeit eine Strafe ist. Man lässt sie in engen, schmutzigen und baufälligen Hütten wohnen. Sie sind mit einem farblosen Stoffe bekleidet. Und so groß scheint ihr Eifer bei ihrer schädlichen oder doch zum mindesten unnützen Tätigkeit, dass sie sich kaum zum Schlafen und zum Essen Zeit gönnen. Auf einen der vorhin genannten kommen ihrer Tausend. Es ist zu bewundern, dass sich die Gattung unter Umständen, die ihrer Entwicklung so ungünstig sind, bis auf diesen Tag erhalten hat. Übrigens muss man hinzusetzen, dass sie, wenn man von dem zähen Eifer absieht, mit dem sie ihr mühevolles Tagewerk betreiben, harmlos und willfährig erscheinen und sich in allem jenen andren anbequemen, die augenscheinlich die Hüter und vielleicht die Retter der Gattung sind. «

Ist es nicht sonderbar, dass der Bienenstock, den wir aus der Höhe einer andren Welt nur undeutlich ernennen, uns beim ersten Blick eine tiefe und gewisse Antwort gibt? Ist es nicht wunderbar, dass seine Bauten, seine Sitten und Gesetze, seine soziale und politische Organisation, seine Tugenden und selbst seine Grausamkeiten, uns unmittelbar den Gedanken oder Gott offenbaren, dem die Bienen dienen, der weder der unrechtmäßigste, noch der vernunftwidrigste ist, den man sich vorstellen kann, wiewohl vielleicht der einzige, den wir noch nicht ernstlich angebetet haben, nämlich die Zukunft? Wir suchen in unsrer Menschheits-Geschichte bisweilen die moralische Kraft und Größe eines Volkes zu bewerten, und wir finden keinen andren Maßstab, als die Dauerhaftigkeit und Größe des von ihm verfolgten Ideals und die Selbstverleugnung, mit der es sich ihm hingibt. – Haben wir oft ein Ideal gefunden, das dem Weltall näher steht, das fester, erhabener, selbstloser und offenkundiger ist und mit einer gänzlicheren und heldenhafteren Selbstverleugnung Hand in Hand geht?

Seltsame kleine Republik, so logisch und so ernst, so zweckvoll und so streng durchgeführt, so sparsam und doch einem so großen und ungewissen Traume hingegeben! O kleines Volk, so entschlossen und so tief, von Licht und Wärme und allem Reinsten in der Welt genährt, vom Kelch der Blumen, das ist vom sichtbarsten Lächeln der Materie und ihrem rührendsten Streben nach Glück und Schönheit! Wer wird uns sagen, welche Probleme Ihr gelöst habt und uns zu lösen aufgebt, welche Gewissheiten Ihr erworben habt und uns zu erwerben noch übrig lasset! Und wenn es wahr ist, dass Ihr Probleme gelöst, Gewissheiten erlangt habt, indem Ihr nicht dem Verstände folgtet, sondern einem blinden und dumpfen Drange: welches noch unlösbarere Rätsel zwingt Ihr uns dann noch zu lösen? O kleine Stadt voller Glauben und Hoffen, und voller Mysterien, warum wird Deinen hunderttausend Jungfrauen eine Aufgabe zuteil, die kein menschlicher Sklave je auf sich genommen hat? Schonten sie ihre Kräfte, dachten sie ein wenig mehr an sich selbst, wären sie etwas weniger eifrig bei der Arbeit, sie sähen einen zweiten Lenz und einen neuen Sommer, und doch scheinen sie in dem großen Augenblick, wo alle Blumen ihnen winken, von einer mörderischen Arbeitslust ergriffen zu werden, und mit geknickten Flügeln, mit eingeschrumpftem, Wunden bedecktem Leibe finden sie fast alle in weniger als fünf Wochen den Tod.

»Tantus amor florum et generandi gloria mellis«, ruft Vergil aus, der uns im vierten Buche seiner »Georgica«, das den Bienen gewidmet ist, die holden Irrtümer der Alten überliefert hat, welche die Natur mit einem durch die glänzende Vision des Olymps geblendeten Auge betrachteten.

Warum entsagen Sie dem Schlafe, den Wonnen des Honigs, der Liebe und der göttlichen Muße, die doch ihr geflügelter Bruder, der Schmetterling, kennt? Könnten sie nicht leben wie er? Der Hunger ist es nicht, der sie zur Arbeit treibt. Zwei oder drei Blumen genügen zu ihrer Ernährung, und sie befliegen stündlich zwei- oder dreihundert, um einen Schatz aufzuhäufen, dessen Süße sie nie kosten werden. Wozu schaffen sie sich so viel Qual und Mühe, und woher kommt eine solche Entschiedenheit? Es muss also das Geschlecht, für das sie sterben, dieses Opfer wohl verdienen, es muss schöner und glücklicher sein und etwas tun, was sie nicht vermochten? Wir erkennen ihr Ziel, es ist klarer, als das unsre, sie wollen in ihren Nachkommen leben, solange die Welt steht: aber welches ist doch der Zweck dieses großen Ziels und die Aufgabe dieses ewig wiederkehrenden Kreislaufes? – Oder sind wir, die da zweifeln und zaudern, nicht viel eher kindliche Träumer, die unnütze Fragen stellen? Sie könnten von Stufe zu Stufe gestiegen und allmächtig und glückselig geworden sein, sie könnten die letzten Höhen erklommen haben, von denen sich die Naturgesetze beherrschen lassen, sie könnten unsterbliche Göttinnen geworden sein, und wir würden sie immer noch befragen, was sie hofften, wohin sie gingen, wo sie Halt zu machen gedächten und sich am Ziel ihrer Wünsche glaubten. Wir sind so geschaffen, dass uns nichts befriedigt, dass uns nichts seinen eigenen Zweck zu haben und einfach, ohne Hintergedanken, zu existieren scheint. Haben wir uns bis auf diesen Tag auch nur einen Gott vorstellen können, so dumm oder so vernunftgemäß er auch sein mag, ohne dass wir ihn uns unmittelbar geschäftig und wirkend dachten, ohne dass wir ihn zum Schöpfer einer Menge von Wesen und Dingen machten und tausend Zwecke noch hinter ihm annahmen? Werden wir uns wohl je damit begnügen, einige Stunden lang ruhig eine besondere Form der wirkenden Materie darzustellen, um alsbald ohne Staunen und ohne Bedauern jene andre Form anzunehmen, welches die unbewusste, unbekannte, schlafende, ewige ist?

Indessen vergessen wir unsren Bienenstock nicht, dessen Schwarm die Geduld verliert, unsern Bienenstock, der schon von schwärzlichen, kribbelnden Fluten brodelt und überschwillt, wie ein klingendes Gefäß in der Sonnenglut. Es ist Mittag, und man möchte sagen, dass die Bäume ringsum in der brütenden Hitze kein Blättchen bewegen, wie man seinen Atem anhält, wenn man vor etwas sehr Holdem, aber sehr Ernstem steht. Die Bienen schenken dem Menschen Honig und duftendes Wachs, aber was vielleicht mehr wert ist, als Honig und Wachs: sie lenken seinen Sinn auf den heiteren Junitag, sie öffnen ihm das Herz für den Zauber der schönen Jahreszeit, und alles, woran sie Anteil haben, verknüpft sich in der Vorstellung mit blauem Himmel, Blumensegen und Sommerlust. Sie sind die eigentliche Seele des Sommers, die Uhr der Stunden des Überflusses, der schnelle Flügel der aufsteigenden Düfte, der Geist und Sinn des strömenden Lichtes, das Lied der sich dehnenden, ruhenden Luft, und ihr Flug ist das sichtbare Wahrzeichen, die deutliche musikalische Note der tausend kleinen Freuden, die von der Wärme erzeugt sind und im Lichte leben. Sie lehren uns die zarteste Stimme der Natur verstehen, und wer sie einmal kennen und lieben gelernt hat, für den ist ein Sommer ohne Bienensummen so unglücklich und unvollkommen, wie ohne Blumen und ohne Vögel.

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