Читать книгу: «DAS LEBEN DER BIENEN», страница 2

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Ich habe den ersten Bienenstand, den ich zu Gesichte bekommen und an dem ich die Bienen lieben gelernt habe, noch nicht vergessen. Es ist manches Jahr darüber verflossen. Es war in einem großen Dorfe im flandrischen Seeland, jenem reinlichen und anmutigen Erdenwinkel, der noch kräftigere Farben entwickelt, als das eigentliche Seeland, der Hohlspiegel Hollands, und das Auge gefangen nimmt mit dem allerliebsten, tiefernsten Spielzeug seiner Tauben und Türme, seiner bemalten Wagen, seiner Wandschränke und Stutzuhren, die aus dem Dunkel der Korridore hervorleuchten, seiner Grachten und Kanäle mit ihren Spalier bildenden kleinen Bäumen, die auf eine fromme, kindliche Zeremonie zu warten scheinen, seiner Barken und Marktschiffe mit geschnitztem Bug, seiner buntfarbigen Fenster und Türen, seiner prächtigen Schleusen und schwarzgeteerten Zugbrücken, seiner schmucken Häuschen, die wie glänzende, zartgetönte Topfwaren leuchten, und aus denen Weiber wie große Klingeln, mit Gold- und Silberschmuck behängt, heraustreten, um auf die weiß umzäunten Wiesen zu gehen und die Kühe zu melken, oder Wäsche auf dem in Ovale oder schräge Vierecke geteilten und peinlich grünen, blumenreichen Rasenteppich auszubreiten.

Ein alter Weiser, an den Greis Vergils erinnernd,

»Bin Mann, den Kön'gen gleich, ein Mann, den Göttern nah,

Und ruhig und zufrieden gleich wie diese«.

würde Lafontaine sagen, hatte sich dorthin zurückgezogen, wo das Leben enger scheinen könnte, als wo anders, wenn es möglich wäre, das Leben wirklich einzuschränken, und hatte seinen Alterssitz dort aufgeschlagen, nicht lebensmüde zwar, – denn der Weise kennt keine Lebensmüdigkeit, – aber ein wenig müde, die Menschen zu befragen, denn sie antworten weniger einfältig als Tier und Pflanze auf die einzigen Fragen von Belang, die man der Natur über ihre wahren Gesetze stellen kann. Sein ganzes Glück, wie das des Philosophen Skytha, bestand in einem schönen Garten, und unter dessen Schönheiten liebte er am meisten und besuchte er am häufigsten einen Bienenstand von zwölf Strohglocken, die er mit hellem Gelb, Rosenrot und vor allem mit zartem Blau angestrichen hatte, denn er wusste schon lange vor den Experimenten von Sir John Lubbock, dass Blau die Lieblingsfarbe der Bienen ist. Der Bienenstand befand sich an der Hausmauer, im Winkel einer jener kühlen und leckeren holländischen Küchen mit Porzellanbrettern an den Wänden und leuchtendem Zinn- und Kupfergeschirr darauf, das sich durch die offene Haustür in einem stillen Kanal spiegelte. Und der Blick glitt über den Wasserspiegel mit seinen häuslichen Bildern, die ein Rahmen von Pappelbäumen umschloss, und fand seinen Ruhepunkt am Horizont mit seinen Mühlen und Weidetriften.

Hier wie überall, wo man sie aufstellt, hatten die Bienenstöcke den Blumen, der Stille, der milden Luft, den Sonnenstrahlen eine neue Bedeutung verliehen. Man griff hier mit Händen das festliche Gleichnis der hohen Sommertage. Man ruhte unter dem funkelnden Kreuzweg, von welchem die luftigen Straßen ausstrahlen, die sie vom Morgen bis zum Abend, mit allen Düften der Fluren beladen, geschäftig durchsummen. Man lauschte der heiteren, sichtbaren Seele, der klugen, wohlklingenden Stimme, man sah den Brennpunkt der Freude der sommerlichen Gartenlust. Man lernte in der Schule der Bienen das geheimnisvolle Weben der Natur, die Fäden, die sich zwischen ihren drei Reichen knüpfen, die unermüdliche Selbstgestaltung des Lebens, die Moral der selbstlosen, eifrigen Arbeit, und was ebenso viel wert ist, wie diese: die heroischen Arbeiterinnen lehrten den Geschmack an der unbestimmten Süßigkeit der Muße, sie unterstrichen mit ihren tausend kleinen Flügeln wie mit Feuerzeichen die fast unstoffliche Wonne jener jungfräulichen Tage, die in ewig gleicher Reinheit und Klarheit wiederkehren, ohne Erinnerungen zu hinterlassen, wie ein zu reines Glück.

Wir beginnen, um die Geschichte des Bienenstaates im Kreislaufe des Jahres so einfach wie möglich zu erzählen, mit dem Erwachen im Lenz und dem Wiederbeginn der Arbeit, und wir werden die Hauptstadien des Bienenlebens in ihrer natürlichen Reihenfolge einander ablösen sehen: das Schwärmen und was ihm vorangeht, die Gründung der neuen Stadt, Geburt, Kämpfe und Hochzeitsausflug der jungen Königinnen, die Drohnenschlacht und die Wiederkehr des Winterschlafes. Jede dieser Episoden erfordert die nötigen Erklärungen der Gesetze, Eigentümlichkeiten, Gewohnheiten und Ereignisse, die sie verursachen oder sie begleiten, sodass wir am Ende des Bienenjahres, das vom April bis Ende September reicht, alle Geheimnisse des Honigstaates kennen werden.

Vorderhand, ehe ich einen Bienenstock öffne, um einen allgemeinen Blick darauf zu werfen, mag es genügen zu wissen, dass er sich aus einer Königin, der Mutter des ganzen Volkes, vielen tausend Arbeitsbienen, d. h. unentwickelten und unfruchtbaren Weibchen, und einigen hundert männlichen Bienen oder Drohnen zusammensetzt. Aus den letzteren geht der einzige unglückliche Auserwählte der künftigen Herrscherin hervor, welche die Bienen nach dem mehr oder minder unfreiwilligen Scheiden der alten Königin auf den Thron erheben.

Wenn man zum ersten Male einen Bienenstock öffnet, so verspürt man etwas von der Erregung, die einen stets befällt, wenn man etwas Unbekanntes vergewaltigt, das voll von furchtbaren Überraschungen sein kann, wie z. B. ein Grab. Es spinnt sich um die Bienen eine Fabel von Gefahren und Drohungen. Man hat eine unbestimmte Erinnerung an die Bienenstiche, die einen zu eigenen Schmerz verursachen, als dass man wüsste, womit man ihn vergleichen soll; es ist ein trockenes, zuckendes Brennen, eine Art Wüstensonnenbrand, möchte man sagen, der sich bald über den ganzen Körperteil verbreitet. Es ist, als ob diese Sonnenkinder aus den glühendsten Strahlen ihrer Mutter ein leuchtendes Gift gesogen hätten, um die Schätze der Süßigkeit, die sie in ihren segenspendenden Stunden sammeln, desto wirksamer zu verteidigen.

Freilich, wird ein Bienenstock ohne Vorsichtsmaßregeln geöffnet, von einem, der weder Charakter noch Sitten seiner Bewohner kennt und achtet, so verwandelt er sich im Nu in einen feurigen Busch von Zorn und Heldenmut. Vor kurzem lief durch die Zeitungen die Nachricht, dass ein Bauer beim Nachsehen seiner Bienenstöcke, die jeder gute Bienenzüchter zur Frühlingszeit einer Prüfung unterzieht, von einem Schwarm wütender Bienen angefallen wurde und den zahllosen furchtbaren Stichen erlag, die ihm die wild gewordenen Liebhaberinnen der Blumenwelt beibrachten. Gelegentlich dieses Vorfalls, der uns trotz seiner grausamen Folgen doch fast wie ein Stück Hirtengedicht und Frühlingsduft anmutet, gingen mir (denn seit der Veröffentlichung dieses Buches bin ich, ganz ohne mein Zutun, zu einer Art Sachwalter der Elementarbienenkunde geworden) allerhand verzweifelte und verstörte Briefe zu, in denen ich gefragt wurde, ob die Sache tatsächlich geschehen wäre, und ob sie wirklich den Tod geben können, die flinken Jungfrauen mit den durchsichtigen Flügeln, die sich mit Frühlings Anfang aufmachen, um den Veilchen, Primeln und Anemonen das zu rauben, was in der Vorstellung des Menschen wohl das Reinste des Lebens ist: den Duft und die Schönheit der Blumen.

Mein Gott, ja, es ist möglich, und der Mensch kann den Tod auch in einem Sonnenstrahl oder einem Rosenstrauß finden. Er lauert überall, und nichts ist dem Leben ähnlicher als er. Er ist der unseren Kinderaugen furchtbar dünkende Schatten des Lebens, den es wirft, wenn es nach neuem Leben trachtet. Aber um ihn so zu finden, »im Flügelschwirren eines Bienenschwarms«, dazu bedarf es nach meiner Meinung mehr als einer gewöhnlichen Ungeschicktheit oder Schicksalstücke.

Die näheren Umstände dieses tragischen Idylls sind mir unbekannt. Um ihnen auf den Grund zu gehen, muss man einen Blick auf die recht seltsame Psychologie des Zorns der Bienen werfen.

Die Biene ist im Grunde das langmütigste und friedfertigste Tier und sticht nie (wenn man sie nicht quetscht), so lange sie die Blüten befliegt. Aber in ihrem wächsernen Königreiche behält sie diesen sanften und verträglichen Charakter nur dann bei, wenn ihre Stadt reich ist; ist sie arm, so wird sie kampflustig und gefahrbringend. Wie oftmals beim Studium der Sitten dieses emsigen und geheimnisvollen Völkchens, werden auch hier die Voraussetzungen der menschlichen Logik vollständig Lügen gestraft.

Es wäre natürlich, wenn die Bienen eine Stadt, die von mühsam gesammelten Schätzen strotzt, hartnäckig verteidigen würden, eine Stadt, wie man sie in guten Bienenständen trifft, wo der Nektar keinen Platz mehr findet in den unzähligen Zellen, die wie tausende von kleinen Fässern von den Kellern bis unters Dach aufgespeichert liegen, so dass er längs der summenden Wände in goldigen Stalaktiten herabtropft und weit in die Fluren hinaus den vergänglichen Düften der sich öffnenden Blumenkelche den dauerhafteren Wohlgeruch des Honig entgegensendet, in dem die Erinnerung an die von der Zeit geschlossenen Kelche weiterlebt.

Aber dem ist nicht so. Je reicher ihr Stock ist, desto weniger sind sie darauf bedacht, ihn zu verteidigen. Man öffne einen reichgesegneten Bienenstock oder stülpe ihn um: wenn man mit etwas Tabaksqualm die Schildwachen am Eingang vorher verscheucht hat, so wird es höchst selten vorkommen, dass die anderen Bienen einem die flüssige Beute streitig machen, die sie dem Lächeln und der Huld der schönen Jahreszeit abgewonnen haben. Man mache dies Experiment nur unbesorgt; ich bürge für seine Gefahrlosigkeit, wo fern man nur an die segensschwersten Stöcke geht. Man kann sie umwenden und handhaben wie summende, unschädliche Krüge.

Was bedeutet das? Haben die tapferen Amazonen den Mut verloren? Hat der Überfluss sie verweichlicht, und haben sie, wie die allzu begüterten Einwohner reicher Städte, die gefährlichen Pflichten der Verteidigung auf die unglücklichen Söldner abgewälzt, die an den Toren wachen? Nein, man kann nie wahrnehmen, dass ihre Tugend durch das größte Glück entnervt wird. Im Gegenteil, je mehr ihr Gemeinwesen gedeiht, desto strenger sind die Gesetze, desto härter werden sie durchgeführt, und die Arbeitsbienen eines Stockes, in dem sich der Überfluss häuft, arbeiten viel fleißiger und schonungsloser als die eines armen Stockes.

Es liegen hier andere Gründe vor, die aber wahrscheinlich sind, wo fern man sich nur klar wird, welche furchtbare Deutung die arme Biene unseren ungeheuren Bewegungen gibt. Wenn sie ihr gewaltiges Reich plötzlich in die Luft gehoben, hin- und hergestoßen und geöffnet sieht, denkt sie wahrscheinlich an eine unvermeidliche Naturkatastrophe, gegen die es sinnlos wäre anzukämpfen. Sie leistet keinen Widerstand, aber sie flieht auch nicht. Indem sie die Zerstörung hinnimmt, scheint sie in ihrem Instinkt schon die künftige Wohnung zu sehen, die sie mit den Vorräten ihrer erbrochenen Stadt neu zu bauen hofft. Sie gibt die Gegenwart ohne Widerstand auf, um die Zukunft zu retten. Oder kommt es wohl auch vor, dass sie, wie der Hund in der Fabel, der »das Essen seines Herrn im Halse trägt«, zu der Einsicht gelangt, dass alles unwiederbringlich verloren ist, und es vorzieht, ihren Teil an der Beute in Beschlag zu nehmen und in einer einzigen wunderbaren Orgie das Leben mit dem Tod zu vertauschen? Wir wissen dies nicht genau. Aber wie sollten wir die Beweggründe der Bienen durchschauen, wenn die der einfachsten Handlungen unserer Mitbrüder uns vorenthalten bleiben?

Jedenfalls stürzen die Bienen bei jeder großen Prüfung, die über ihre Stadt hereinbricht, bei jeder Umwälzung, die ihnen unabwendbar dünkt, sobald die Schreckenskunde sich unter dem schwarzen, zitternden Völkchen von Mund zu Mund verbreitet hat, sich auf die Waben, reißen die geheiligten Siegel der verdeckelten Wintervorräte auf, tauchen den Kopf in die duftenden Behälter, kriechen ganz hinein und schlürfen in langen Zügen den keuschen Blumenwein, berauschen sich damit und saugen sich voll, bis ihr geringelter Hinterleib sich verlängert und erweitert wie ein schwellendes Euter. Nun aber vermag die vom Honig aufgeschwellte Biene den Hinter Körper nicht mehr in dem Winkel zu krümmen, der erforderlich ist, um den Stachel zu zücken. Sie wird also dadurch sozusagen wehrlos.

Man wähnt zumeist, der Bienenzüchter brauchte den Räucherapparat, um die kriegerischen Schatzgräberinnen der Luft zu betäuben und halb zu ersticken und so ohne Widerstand in den Palast der unzähligen Dornröschen einzudringen. Aber das ist ein Irrtum. Der Rauch dient zuerst zum Verscheuchen der Wache am Eingang, die stets auf Posten und äußerst reizbar ist; dann genügen zwei oder drei Wolken, um die Panik unter die Arbeitsbienen zu tragen, und diese Panik hat die seltsame Orgie zur Folge, und die Orgie die Ohnmacht.

So erklärt es sich, dass man mit unverschleiertem Gesicht und bloßen Armen die volkreichsten Stöcke öffnen, ihre Waben prüfen, die Bienen abschütteln und vor seine Füße werfen, sie auf einen Haufen sammeln, wie Getreidekörner umschütten und inmitten des summenden Schwarms ruhig den Honig schneiden kann, ohne einen Stich zu bekommen.

Aber wehe dem, der die armen Bienenwohnungen anrührt! Es ist wahrscheinlich bei einer dieser Behausungen des Elends gewesen, wo der Unglückliche, von dem die Zeitungen meldeten, den Tod gefunden hat. In der Tat sind am Ende des Winters die Vorräte der meisten Bienenstöcke erschöpft, und ihre Insassen werden alsdann gefährlich. Hier vermag auch der Rauch nichts, und kaum hat man die ersten Wolken hineingeblasen, so kommen zwanzigtausend wütende kleine Teufel aus dem Innern hervorgeschossen, stürzen sich auf die Hände, umnebeln die Augen und bedecken das Gesicht des Störenfrieds. Kein lebendes Wesen, außer dem Bären, wie man sagt, und dem Totenkopfschmetterling, widersteht der Wut der geflügelten Legionen. Vor allem darf man keinen Kampf aufnehmen, sonst wachen auch die Nachbarkolonien auf. Es gibt kein anderes Heil als schnellste Flucht durch die Büsche. Die Biene ist nicht so rachsüchtig und unversöhnlich wie die Wespe und verfolgt den Feind selten. Wenn die Flucht unmöglich ist, kann allein die vollständige Unbeweglichkeit sie beruhigen oder irreführen. Sie fürchtet jede zu heftige Bewegung und greift sie an, aber sie verzeiht auf der Stelle, wenn man sich nicht mehr rührt. Die armen Bienenstöcke leben oder besser sterben in den Tag hinein, und weil sie in ihren Zellen keinen Honig mehr haben, so hat auch der Rauch seine Wirkung verloren. Weil sie sich nicht vollsaugen können wie ihre begüterten Schwestern, so wird ihr Eifer nicht durch die Möglichkeit einer Neugründung der Stadt beherrscht. Sie wollen dann lieber auf der entweihten Schwelle sterben und verteidigen sie, mager und eingefallen, gelenk und zügellos, wie sie sind, mit unerhörtem Heldenmut und gleicher Hartnäckigkeit. Darum transportiert der vorsichtige Imker auch keinen seiner darbenden Bienenstöcke, ohne zuvor den hungrigen Eumeniden ein Honigopfer gebracht zu haben. Er gibt ihnen eine Honigwabe, auf die sie sich stürzen, und auf der sie sich bei Zuhilfenahme von Rauch vollsaugen und berauschen – und alsbald sind sie entwaffnet wie die reichen Bürgerinnen der üppigen Städte. Es wäre noch mancherlei zu sagen über den Zorn der Bienen und ihre seltsamen Abneigungen, die oft so wunderlich sind, dass man ihnen lange Zeit – und unter den Bauern tut man es noch jetzt – moralische Ursachen und tiefe mystische Intuitionen zu Grunde gelegt hat. So ist man z. B. überzeugt, dass die jungfräulichen Schnitterinnen die Nähe alles Unkeuschen nicht ertragen können. Es wäre erstaunlich, wenn die klügsten Geschöpfe, die mit uns auf diesem unbegreiflichen Erdball leben, der unschuldigsten Sünde ebenso viel Bedeutung beilegten wie der Mensch. Im Grunde kümmern sie sich nicht darum; aber sie, deren ganzes Dasein sich im hochzeitlichen Hauche der Blumen wiegt, verabscheuen die künstlichen Düfte, die wir aus denselben gewinnen! Vielleicht benutzt Don Juan diese Parfüms mehr als ein tugendhafter Mensch; vielleicht trägt er an seinen Händen noch die innige und doch so lebendige Erinnerung an die langen Haare, die er geliebkost hat. Und daher der Zorn der eifersüchtigen Bienen, daher die Sage von der rächenden Tugend. Aber es lernt sich nichts leichter als das bisschen Geschicklichkeit, das erforderlich ist, um ihn ungestraft zu vergewaltigen. Es genügt etwas Rauch, den man von Zeit zu Zeit hineinbläst, etwas Kaltblütigkeit und Sanftheit, und die wohlbewehrten Arbeiterinnen lassen sich ausplündern, ohne daran zu denken, ihren Stachel zu zücken. Sie erkennen ihren Herrn nicht, wie behauptet worden ist, sie fürchten den Menschen nicht, aber wenn sie den Rauch riechen und die ruhigen Bewegungen in ihrer Wohnung sehen, so bilden sie sich ein, dass es sich nicht um einen Angriff oder einen Feind handelt, gegen den sie sich verteidigen können, sondern um eine Naturkraft oder Katastrophe, in die sie sich fügen müssen. Statt einen fruchtlosen Kampf zu wagen, wollen sie in ihrer diesmal getäuschten Klugheit wenigstens die Zukunft retten: sie stürzen sich auf die Honigvorräte und schlucken möglichst viel davon herunter, um sie wo anders, gleichgültig wo, aber sofort, zur Gründung einer neuen Stadt zu verwerten, wenn die alte zerstört ist oder sie gezwungen sind, sie aufzugeben.

Der Laie pflegt zuerst einigermaßen enttäuscht zu sein, wenn man ihm Einblick in einen Beobachtungskasten Ein Beobachtungskasten ist ein Bienenstock mit Glaswänden und schwarzen Vorhängen oder Läden. Die besten sind die, welche nur eine einzige Wabe enthalten, sodass man sie von beiden Seiten beobachten kann. Diese Kästen lassen sich ohne weiteres und ohne jede Gefahr in einem Wohn- oder Arbeitszimmer aufstellen, vorausgesetzt, dass sie einen Ausgang nach außen haben. Die Bienen meines Beobachtungskastens, den ich in Paris in meinem Arbeitszimmer habe, tragen selbst in der Steinwüste der Großstadt genug ein, um zu leben und fortzukommen. Gewährt. Man hatte ihm versprochen, dass dieser Kasten ein ungeheures Maß von Tatkraft, eine Unzahl von weisen Gesetzen, eine erstaunliche Fülle von Geist, dass er Mysterien, Erfahrungen, Berechnungen, Wissen und Gewerbefleiß der verschiedensten Art, weise Voraussichten, Gewissheiten und Gewohnheiten voller Klugheit und eine Menge von seltsamen Tugenden und Gefühlen enthielte. Und nun erblickt er nur ein Gekribbel von rötlichen Beeren, die wie geröstete Kaffeebohnen aussehen, oder wie Rosinen, die massenhaft an den Scheiben sitzen. Sie scheinen mehr tot als lebendig und ihre Bewegungen sind langsam, unzusammenhängend und unverständlich. Er erkennt die herrlichen Lichttropfen nicht wieder, die noch eben ohne Unterlass in den gold- und perlenschimmernden Schoss von tausend geöffneten Blumenkelchen hinabtauchten und wieder hervorkamen. Sie zittern anscheinend in der Finsternis. Sie ersticken in einer unbeweglichen Menge; man möchte sagen, sie sind wie kranke Gefangene oder entthronte Königinnen, die nur einen glänzenden Augenblick unter den leuchtenden Blumen des Gartens leben, um alsbald in das scheußliche Elend ihres armseligen, engen Kerkers zurückzukehren.

Es ist mit ihnen, wie mit allen tiefen Realitäten. Man muss sie beobachten lernen. Wenn ein Bewohner einer andren Welt auf die Erde herabkäme und sähe, wie die Menschen durch die Straßen gehen, wie sie sich um einzelne Gebäude scharen oder auf gewissen Plätzen zusammendrängen, wie sie ohne auffällige Gebärden in ihren Wohnungen sitzen und harren, so würde er auch zu dem Schlusse kommen, dass sie träge und bedauernswert sind. Mit der Zeit erst beginnt man die vielseitige Tätigkeit, die in dieser Trägheit liegt, zu erkennen.

In Wahrheit arbeitet jede dieser fast unbeweglichen kleinen Bienen unermüdlich, und jede tut etwas andres. Keine kennt die Ruhe, und gerade die z. B., welche scheinbar eingeschlafen sind und wie leblose Trauben an den Scheiben hängen, haben die geheimnisvollste und ermüdendste Arbeit zu verrichten, sie bereiten das Wachs. Aber wir werden auf diese Einzelheiten ihrer streng geteilten Tätigkeit bald näher eingehen. Inzwischen genügt es, die Aufmerksamkeit auf den Hauptcharakterzug der Bienen zu lenken, durch den sich das enge Beieinandersitzen in dieser mannigfachen Tätigkeit erklärt. Die Biene ist vor allem und mehr noch als die Ameise ein Gesellschaftstier, sie kann nur zu vielen leben. Wenn sie aus dem dichtbesetzten Stocke ausfliegt, so muss sie sich mit dem Kopfe einen Weg durch die lebenden Mauern bahnen, die sie umschließen, und sie verlässt damit ihr eigentliches Element. Sie taucht einen Augenblick in den blumenreichen Raum, wie der Schwimmer in den perlenreichen Ozean, aber sie muss, wenn ihr das Leben lieb ist, von Zeit zu Zeit wieder in den Dunstkreis ihrer Gefährtinnen zurück, wie der Schwimmer wieder auftaucht, um Luft zu schöpfen. Bleibt sie allein, so geht sie auch bei den günstigsten Temperaturverhältnissen und dem größten Blumenreichtum in wenigen Stunden zu Grunde, nicht infolge von Hunger oder Kälte, sondern von Einsamkeit. Die Menge ihrer Schwestern, der Bienenstock, ist für sie ein zwar unsichtbares, aber nicht weniger unentbehrliches Nahrungsmittel als der Honig. Dieses Bedürfnis muss man sich gegenwärtig halten, will man den Geist der Gesetze des Bienenstaates erfassen. Das Individuum gilt im Bienenstock nichts, es hat nur ein Dasein aus zweiter Hand, es ist gleichsam ein nebensächlicher Faktor, ein geflügeltes Organ der Gattung. Sein ganzes Leben ist eine vollständige Aufopferung für das unzählige, beharrende Wesen, zu dem es gehört. Sonderbarerweise lässt sich feststellen, dass dies nicht immer so war. Man findet auch heute noch unter den Honigwespen alle Stadien der schrittweisen Entwickelung unserer Hausbiene vor. Auf der untersten Stufe arbeitet sie allein im Elend; oft erblickt sie nicht einmal ihre Nachkommenschaft (wie bei den Prosopis und Colletes), bisweilen lebt sie im engen Familienkreise mit ihrer jährlichen Brut (wie bei den Hummeln), vereinigt sich dann vorübergehend zu Gesellschaften (Grabbienen, Hosenbienen, Ballenbienen) und erreicht schließlich, von Stufe zu Stufe steigend, die nahezu vollkommene Gesellschaftsform unserer Bienenstöcke, wo das Individuum vollständig in der Gesamtheit aufgeht und die Gesamtheit wiederum der abstrakten, unsterblichen Gesellschaft der Zukunft geopfert wird.

Hüten wir uns, aus diesen Tatsachen voreilige Schlüsse auf den Menschen zu ziehen. Der Mensch hat das Vermögen, sich den Naturgesetzen nicht zu fügen. Ob es Recht oder Unrecht ist, von diesem Vermögen Gebrauch zu machen: das ist der wichtigste, aber auch der unaufgeklärteste Punkt unserer Moral. Inzwischen ist es nicht belanglos, den Willen der Natur in einer anders gearteten Welt zu belauschen, und gerade bei den Honigwespen, die nächst dem Menschen unzweifelhaft die intelligentesten Bewohner dieses Erdballes sind, tritt dieser Wille sehr deutlich zu Tage. Er trachtet sichtlich nach Veredelung der Art, aber er zeigt auch, dass er diese nur auf Kosten der individuellen Freiheit und des individuellen Glückes erreichen will oder kann. In dem Masse, wie die Gesellschaft sich organisiert und erhebt, wird dem Sonderleben eines jeden ihrer Glieder ein immer engerer Kreis gezogen. Wo ein Fortschritt eintritt, geschieht dies durch ein immer vollkommeneres Opfer der persönlichen zu Gunsten der allgemeinen Interessen. Zunächst muss ein jedes Individuum auf eigenmächtige Laster verzichten. So findet man auf der vorletzten Kulturstufe der Bienen die Hummeln, die unseren Menschenfressern zu vergleichen sind: die ausgewachsenen Arbeiterinnen stellen nämlich unaufhörlich den Eiern nach, um sie zu fressen, und die Mutter muss sie mit aller Energie dagegen verteidigen. Ferner muss sich jedes Individuum, nachdem es die gefährlichsten Laster abgelegt hat, eine Anzahl von immer strenger gefassten Tugenden zu Eigen machen. Die Arbeiterinnen bei den Hummeln lassen es sich z. B. noch nicht einfallen, der Liebe zu entsagen, während unsere Hausbiene in unbedingter Keuschheit lebt. Nun, wir werden ja bald sehen, was sie alles in Tausch gibt für das Wohlbefinden, die Sicherheit, die architektonische, ökonomische und politische Vollkommenheit des Bienenstockes, und wir kommen auf den Entwicklungsgang der Honigwespen in dem Kapitel über den »Fortschritt der Art« noch einmal zurück.

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9783753190433
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