promo_banner

Реклама

Читать книгу: «Zufall im Leben der Zelle», страница 3

Шрифт:

Diffusionsabhängige Wechselwirkungen

Für die Aufrechterhaltung intrazellulärer und interzellulärer Lebensprozesse sind molekulare Interaktionen unabdingbar. Biochemische Reaktionspartner werden lokal durch Brown’sche Bewegung zusammengeführt; diese Mikrokollisionen gehen der spezifischen Bindung (Assoziation) von (Makro-)Molekülen an molekularen Zielorten wie den Rezeptoren voraus.

Bevor die Reaktionspartner in spezifische Wechselwirkung treten können, ist oft deren Transport erforderlich, und zwar über Entfernungen, welche die molekularen Dimensionen deutlich überschreiten. Diffusion, obwohl eine vergleichsweise langsame Form des Stofftransports, spielt auch hier eine essentielle Rolle, besonders in den Zellkompartimenten. Dies hat eine Vielzahl von Untersuchungen belegt. Wenden wir uns deshalb nun den Zeitaspekten von Diffusionsprozessen zu. Im „Standardmodell“, das Albert Einstein und Marian von Smoluchowski behandelten, wird die räumliche Ausbreitung während einer bestimmten Zeitspanne betrachtet – oder mit anderen Worten: die Entfernungen, welche die diffundierenden Teilchen oder (Makro-)Moleküle in einem vorgegebenen Zeitintervall zurücklegen. Wesentliche Charakteristika dieses theoretischen Modells sind hierbei, dass sich die ausdehnungslos angenommenen Teilchen anfänglich in einem Punkt konzentrieren und dass deren Anzahl sowie das Volumen (bei der ein- oder zweidimensionalen Diffusion entsprechend die Gerade beziehungsweise Ebene) „unendlich groß“ sind. Ferner sollen die Teilchen/​(Makro-)Moleküle unabhängig voneinander diffundieren. Praktisch werden diese Annahmen von verdünnten Suspensionen und Lösungen näherungsweise erfüllt, wobei Reflektionen oder Absorptionen an den Gefäßwänden als vernachlässigbar angesehen werden. Auf die Diffusion in (annähernd) idealen Lösungen oder Gasen bezieht sich das oben erwähnte mittlere Verschiebungsquadrat.

Alternativ können wir uns dafür interessieren, wieviel Zeit ein Teilchen oder (Makro-)Molekül (im Mittel) benötigt, um einen bestimmten Zielort in einem räumlich begrenzten Gebiet – in einem endlichen Volumen, einer umgrenzten Fläche oder einer linearen Strecke –, erstmals zu erreichen. Diese komplementäre Fragestellung wird von der Erstpassagezeit-Methode behandelt.16 Sie bietet sich an, wenn, wie in den durch Membranen begrenzten Zellorganellen, auf Zellmembranen oder DNA-Molekülen, die Volumina, Flächen oder Entfernungen endlich sind und einzelne oder wenige diffundierende (Makro-)Moleküle sowie einzelne Zielorte der spezifischen Interaktionen betrachtet werden.

Das führt uns zurück zum Zellgeschehen. Ein charakteristisches Merkmal der Expression proteincodierender Gene in eukaryotischen Zellen ist die räumliche Trennung der Gen-Transkription, die im Zellkern erfolgt, und der Proteinsynthese, die im Zytoplasma stattfindet. Diese Trennung erfordert die Translokation der exportfähigen mRNP-Komplexe aus dem Zellkern in das Zytoplasma. Zunächst einmal müssen die mRNPs die Kernmembran erreichen und dort an einen der 2.000 bis 3.000 Kernporenkomplexe andocken, die den Transport ins Zytoplasma übernehmen. In der Regel kommen mRNAs und die aus diesen hervorgehenden mRNPs nicht in Scharen vor. Im Gegenteil: In Humanzellen sind rund 95 % der Transkripte in höchstens fünf Kopien vorhanden; in Hefezellen wurde Ähnliches gefunden – 80 % der mRNAs sind höchstens doppelt vorhanden.17

Das Vorliegen einzelner mRNPs lässt ein stochastisches Zeitmuster des Aufspürens der Kernporen und der Bindung an dieselben durch Brown’sche Irrfahrt erwarten. In herkömmlichen Modellen, die auf grundlegende Arbeiten von Marian von Smoluchowski zurückgehen, ergeben sich deterministische Gesetzmäßigkeiten molekularer Interaktionen durch die Überlagerung der Brown’schen Bewegungen einer sehr großen (unendlichen) Zahl von Teilchen oder (Mako-)Molekülen in makroskopischen (unbegrenzten) Volumina oder Flächen.

In endlichen, kleinen Volumina, auf begrenzten Flächen oder Strecken können diffusionsabhängige Interaktionen einzelner Reaktanten unter bestimmten Bedingungen trotzdem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfolgen. Ein vereinfachtes Modell soll uns helfen, die wesentlichen Prinzipien zu erkennen. Dazu betrachten wir einen kugelförmigen Zellkern, in dem ein einzelner mRNP-Komplex an einer beliebigen Position innerhalb des Kerns eine unbehinderte Irrfahrt beginnt. Uns interessiert nun erstens die Erstpassagezeit, das ist die Zeit, die der mRNP-Komplex benötigt, bis er das erste Mal die Kernmembran erreicht, und weiterhin die Wahrscheinlichkeit, dass dies innerhalb eines gewissen Zeitfensters geschieht. Erwartungsgemäß variieren die Erstpassagezeiten, aber es gibt keine „wahrscheinlichste“ Erstpassagezeit. Lange Zeiten bis zum Erreichen der Kernmembran, die beispielsweise das 5-fache der durchschnittlichen Passagezeit überschreiten, sind unwahrscheinlich – für Zellkerne mit einem Radius von 8 µm und einem effektiven Diffusionskoeffizienten von 0,04 µm2/s (beides gemessene Werte in humanen Osteosarkomzellen). Andererseits ergibt sich nur eine Wahrscheinlichkeit von 0,67 dafür, dass ein mRNP-Komplex für das Erreichen der Kernmembran nicht länger als die durchschnittliche Erstpassagezeit benötigt – das ist weit entfernt von einem sicheren Ereignis. Das Bild ändert sich, wenn, wie bei Hefe-Zellkernen, der Radius nur 0,8 µm, ungefähr 1/​10 des Osteosarkom-Zellkernradius, beträgt: Bei Annahme desselben niedrigen Wertes für den Diffusionskoeffizienten von 0,04 µm2/s können einzelne mRNPs jetzt eine Kernpore in weniger als 100 Sekunden mit praktischer Sicherheit lokalisieren.18

Diese Modellrechnungen veranschaulichen, dass die Verringerung des Volumens ein wirksames Mittel sein kann, um die Effizienz des Aufspürens von spezifischen Zielorten oder generell von diffusionskontrollierten Interaktionen zu erhöhen, insbesondere wenn die Zahl der interagierenden (Makro-)Moleküle und Rezeptoren sehr klein ist. Unser spezieller Fall weist auf ein generelles Prinzip hin: Die für die Zellorganisation charakteristische strukturelle und funktionelle Kompartimentierung erhöht die Wahrscheinlichkeit für makromolekulare Interaktionen; unter bestimmten zellulären Bedingungen können Interaktionen von wenigen mobilen Makromolekülen und einzelnen „Zielen“ (engl. targets) mit großer Effizienz erfolgen. Ein solcher exemplarischer Fall wird uns bei der Regulation des Lactose-Operons in E. coli begegnen.

Molekulare Schalter

Zu den zentralen intrazellulären Interaktionen zählen Protein-Protein- und Protein-Nukleinsäure-Wechselwirkungen. Solche Interaktionen sind mit inhärenten Unsicherheiten verbunden. Daher interessiert uns besonders der Übergang von stochastischen Interaktionen zu deterministischem „Verhalten“. Zwei Modelle bieten sich hierfür an: das Lactose (Lac)-Operon-Modell und der Lebenszyklus des Phagen Lamda (λ) in E. coli. Beides sind paradigmatische Modelle in der Molekulargenetik, die eine bedeutende Rolle in der Entwicklung regulatorischer Konzepte gespielt haben, und, aufgrund des Modellcharakters, nach wie vor spielen.

Modell 1. Das Bakterium E. coli kann neben Glucose auch Lactose als Kohlenstoff- und Energiequelle verwerten – nach Induktion. Der Induktor ist nicht die Lactose selbst, sondern die aus der Lactose enzymatisch gebildete Allolactose. Die Verwertung von Lactose durch E. coli steht unter der Kontrolle des Lac-Operons. Diese genetische Funktionseinheit kontrolliert die Synthese von drei Enzymen, von denen eines, die Permease, den Transport der Lactose durch die Zellplasmamembran ermöglicht, während ein weiteres Enzym, die ß-Galactosidase, die Spaltung der Lactose in Galactose und Glucose katalysiert. Die biologische Funktion des dritten Enzyms, ß-Galactosid-Transacetylase, ist unklar.19

Modell 2. Der Bakteriophage λ infiziert E. coli, indem die Phagen-DNA in das Bakterium eindringt. Das hat zwei mögliche Folgen: Entweder vermehrt sich der Phage, innerhalb von ungefähr 45 Minuten, mit Hilfe der Enzymausstattung seines Wirts und zerstört (lysiert) diesen dabei – unter Freisetzung von ungefähr 50 bis 100 intakten Phagen – oder die DNA eines Phagen wird in die ringförmige DNA des Bakteriums integriert. In letzterem Falle verweilt die Phagen-DNA als Prophage in der DNA der Wirtszelle und wird mit der Wirtszell-DNA verdoppelt. Dieser Lysogenie genannte Zustand kann über sehr viele Zellteilungen stabil bleiben, bis beispielsweise durch Mutationen auslösende UV-Bestrahlung das Wachstum der Wirtszelle gestoppt und stattdessen die Vermehrung des Phagen initiiert wird.20

Die regulierten Prozesse der Lactose-Verwertung und das Lysogenie/​Lyse-Verhalten des λ-Phagen in E. coli veranschaulichen molekulare Schalter. „Schalter“ deswegen, weil die Transkription von proteincodierenden Genen durch eine „Alles-oder-nichts“-Regulation entweder zugelassen oder unterbunden wird. Die wegweisenden Arbeiten von André M. Lwoff (1902 - 1994), Franҫois Jacob (1920 - 2013) und Jacques L. Monod (1910 - 1976) führten zu einer Theorie der Regulation der Proteinsynthese in Prokaryoten; sie kulminierten in der Vorstellung des Operon-Modells im Jahre 1961 und des Allosterie-Konzepts regulatorischer Proteine (1963).

Den „Schalter“ in den betrachteten Lac- und Lambda-Systemen bilden regulatorische Proteine, die als Repressoren bezeichnet werden, und kurze DNA-Sequenzen – sogenannte Operatoren, an denen der jeweilige spezifische Repressor fest, aber reversibel bindet. Durch die Bindung des Repressors wird die Assoziation der RNA-Polymerase an eine als Promotor bezeichnete DNA-Sequenz in direkter Nachbarschaft des Operators unterbunden. Promotor, Repressor-Gen, Operatoren und die proteincodierenden Gene bilden zusammen eine Funktionseinheit – das Operon.21

Der Lac-Repressor war das erste regulatorische Molekül, das isoliert und als Protein identifiziert wurde. Mit Hilfe von Mutanten, die diesen Repressor in großer Anzahl synthetisieren, gelang es, größere Mengen zu gewinnen. Denn im Durchschnitt befinden sich nur 10 bis 20 tetramere (aus vier identischen Untereinheiten zusammengesetzte) Repressormoleküle und ein oder zwei Lac-Operons in einer wachsenden E. coli-Zelle.22 Verblüffung löste ebenfalls die ungewöhnliche Stabilität des λ-Prophagen aus; auch hier war die Zahl der dimeren Repressormoleküle nicht groß: durchschnittlich etwa 100, bei großer Variabilität von Zelle zu Zelle. Und diese geringe Anzahl ist sogar ausreichend, um eine „Immunität“ gegen die Lyse durch weitere in die E. coli-Zelle eindringende Phagen-DNA sicherzustellen.23

In beiden, hier vereinfacht dargestellten, Systemen binden die multimeren Repressormoleküle sehr fest an die Operatoren und blockieren diese praktisch vollständig. Das ist ein erstaunliches Phänomen angesichts der wenigen vorhandenen Repressormoleküle, welche die Operatorsequenzen wirkungsvoll blockieren können.

Die Bindungsstärke des Lac-Repressors an den Operator verringert sich in Gegenwart eines Induktors wie Lactose beziehungsweise Allolactose oder IPTG (Isopropyl-ß-D-thiogalactopyranosid) um mehrere Größenordnungen, was zu einer fast vollständigen Aufhebung der Blockade des Operators und Initiierung der Transkription der Lac-Gene führt. Dieses Bild vermittelten quantitative Bestimmungen der Dissoziationskonstante in vitro, bei Anwendung des Massenwirkungsgesetzes. Tatsächlich wurden in einzelnen E. coli-Bakterien, in Abwesenheit eines Induktors, im Mittel nur fünf ß-Galactosidase-Moleküle gefunden, in voll-induzierten Zellen dagegen über 2.000.24

Diese Übereinstimmung bedeutet jedoch nicht, dass das Massenwirkungsgesetz bedenkenlos auf Reaktionen in der E. coli-Zelle anwendbar ist. Wie wir bereits sahen, ist das MWG eine Relation zwischen den molaren Konzentrationen der Reaktionspartner, gültig unter Bedingungen wie sie in verdünnten Lösungen näherungsweise gegeben sind. Das Zytoplasma der E. coli-Zelle ist jedoch funktionell und strukturell organisiert und „dicht gepackt“ mit niedrigmolekularen Molekülen, Makromolekülen und makromolekularen Komplexen wie den zahlreichen Ribosomen – in physikochemischer Terminologie: inhomogen, anisotrop (richtungsabhängige Eigenschaften aufweisend), hochgradig viskos und diffusionsbehindernd – unter anderem durch strukturelle Barrieren wie die kompakte DNA-Ringstruktur.25 Darüber hinaus gibt es noch einen – entscheidenden – Einwand im Fall der Lac- und Lambda-Systeme: Sowohl die Lac-Repressormoleküle als auch die λ-Repressormoleküle liegen nicht in freier, gelöster Form vor, sondern sind mehrheitlich – im Zeitmittel zu etwa 90 % – an die rund 4,64 Millionen Basenpaare umfassende E. coli-DNA unspezifisch gebunden.26

Letzteres ist ein Beispiel für eine funktionelle Mikrokompartimentierung, durch welche die Wahrscheinlichkeit für spezifische Interaktionen enorm erhöht werden kann. Wie die Repressormoleküle ihre spezifischen Bindungsorte, die Operator-DNA-Sequenzen, lokalisieren, ist nicht sicher geklärt – wiederholte Zyklen von Dissoziation und Reassoziation unter Beteiligung elektrostatischer Kräfte, eindimensionale Diffusion entlang der DNA und andere Mechanismen werden diskutiert. Sicher ist, dass es sich hierbei um stochastische Prozesse handelt, und zwar um äußerst wirksame, schnelle Prozesse, die bis heute nichts an Faszination verloren haben. Sobald ein Repressormolekül in die unmittelbare Nähe der spezifischen Operator-Sequenzen gelangt ist, können Mikrokollisionen stufenweise zur Entstehung eines spezifischen Bindungskomplexes führen. Diese diffusionsvermittelten Assoziationsprozesse wurden mittels Computersimulationen intensiv analysiert.27

Weiterhin bleibt zu erklären, wie es nach erfolgter Assoziation zu einer dauerhaften Blockade der Operatoren durch wenige oder gar einzelne Repressormoleküle kommt. Offensichtlich sind es die besonderen strukturellen und physikochemischen Eigenschaften der beteiligten Makromoleküle und des Nukleoids, der kompakten DNA-Struktur in vivo, welche die erstaunliche Effizienz der Repression bewirken. Der tetramere Lac-Repressor ist ein komplexes Protein: Je zwei der vier Untereinheiten bilden ein Dimer, die beiden Dimere binden an zwei, höchstens 600 Basenpaare entfernte, separate DNA-Bindungsorte (Operatoren), hierdurch eine Schleife bildend. Diese kooperative Bindung an die DNA bewirkt eine drastische Erhöhung der Bindungsfestigkeit, in vitro fast um den Faktor 100.28

Rezeptoren und Signalübertragung

Molekulare „Schalter“ wie der Lac-Repressor-Operator-Komplex können als molekulare Signalwandler angesehen werden, argumentierte Max Delbrück im Jahre 1972. Allolactose, die durch ß-Galactosidase aus Lactose gebildet wird, ist hierbei das chemische „Signal“. Durch die Bindung eines Allolactosemoleküls an den Repressor wird dessen Bindung an die Operatorsequenz soweit herabgesetzt, dass der Promotor für die RNA-Polymerase zugänglich wird, die nun die gemeinsame mRNA für die drei Enzyme (ß-Galactosidase, Permease und Transacetylase) synthetisiert. Wenn der Allolactosespiegel unter einen Schwellenwert absinkt, gewinnt die konkurrierende Bindung des Repressors wieder die Oberhand, sodass die mRNA-Synthese blockiert wird.

Die Regulation durch Operons bewirkt, dass die Bakterienzelle nicht alle Proteine ständig vorhalten muss, sondern bestimmte Proteine nur synthetisiert werden, wenn sie durch entsprechende Stimuli aus der sich ständig verändernden Umwelt induziert werden. Den Alles-oder-nichts-Mechanismus der Induktion des Lactosesystems beschrieben zuerst Nowick und Weiner im Jahre 1957. Isoliert vom übrigen Zellgeschehen betrachtet, ist diese Form der Regulation ein einfacher Regelkreis, wie er in der Kybernetik seit den 1940er Jahren behandelt wird.29

Die Begriffe „Signal“ und „Signalwandlung“ lenken auf den Begriff der Information, der aus der Biologie nicht mehr wegzudenken ist. Signale transportieren Informationen. Vorbereitet durch die Kybernetik, und besonders durch die Shannon’sche Informationstheorie, hielt der Informationsbegriff mit der Molekularbiologie Einzug in biologische Denkmuster. Erinnert sei an das von Francis Crick formulierte „zentrale Dogma der Molekularbiologie“ und das zuvor skizzierte Lac-Operon-Modell. Zumeist handelt es sich, wie in den beiden genannten Fällen, um semantische Information, welche die Bedeutung der Nachricht des Signals betrifft.

Indessen sind nur der syntaktische Informationsbegriff (durch die Shannon’sche Theorie) und der algorithmische Informationsbegriff formal definiert. Information bedeutet in Shannons Theorie die mittlere Anzahl der Ja-nein-Entscheidungen, die erforderlich sind, „um eine bestimmte Zuordnung innerhalb einer gegebenen Anzahl von Alternativen treffen zu können“.30 Warren Weaver hatte bereits im Jahre 1949 gewarnt:

Das Wort Information wird in dieser Theorie [Shannons Kommunikationstheorie] in einem speziellen Sinn gebraucht, die nicht mit seinem gewöhnlichen Gebrauch durcheinander gebracht werden darf. Insbesondere darf Information nicht mit Bedeutung verwechselt werden (…) Der Begriff der [syntaktischen] Information ist nicht auf eine einzelne Botschaft anwendbar (…)31

Aus dieser Klarstellung ergibt sich folgerichtig, dass die Wörter Information und Signal im biologischen Kontext oft im metaphorischen Sinne gebraucht werden, es sei denn, dass explizit auf die Shannon’sche Information Bezug genommen wird.

Bevor wir uns erneut konkreten zellulären Signalübertragungen zuwenden, erscheint es sinnvoll, noch auf einen weiteren, für das Verständnis interzellulärer Signalübertragungen unentbehrlichen, Schlüsselbegriff einzugehen – den Begriff Rezeptor.

Dieser Begriff hat eine mehr als hundert Jahre zurückreichende Geschichte: Paul Ehrlich (1854 - 1915) führte den Begriff des Rezeptors bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein. Er ging davon aus, dass „Medikamente nicht wirken, wenn sie nicht gebunden sind“. Dazu postulierte er bestimmte chemische Strukturen auf der Zelloberfläche, die für die selektive Bindung von Substanzen verantwortlich sind.

Frühe Unterstützung – und Korrekturen – erhielten Ehrlichs Vorstellungen durch die Experimente des Physiologen John N. Langley (1852 - 1925). Langley entwickelte als Erster, und unabhängig von Paul Ehrlich, die Vorstellung spezifischer Rezeptoren für pflanzliche Gifte und Hormone. Der Pharmakologe Alfred J. Clark (1885 - 1941) schuf nachfolgend eine umfassende Theorie auf der Grundlage des Rezeptorkonzepts. Indes blieben Rezeptoren bis in die 1960er Jahre umstritten, sie galten lediglich als hypothetische Strukturen.

Heutzutage wird der Rezeptorbegriff weiter gefasst. In der Zellbiologie bezeichnet der Terminus Rezeptor an Zellmembranen gebundene oder frei bewegliche molekulare Strukturen oder (Makro-)Moleküle, die als Signalüberträger fungieren.32

Bleiben wir vorerst bei Bakterien. Bakterien reagieren auf Umweltreize wie Temperatur, Licht, Sauerstoff oder Nährstoffe mit Bewegungsänderungen. Das mit Hilfe von Flagellen bewegliche Bakterium E. coli reagiert beispielsweise auf Aminosäuren oder Zuckermoleküle in seiner Umgebung. Schon in den 1880er Jahren hatte der Botaniker und Pflanzenphysiologe Wilhelm F. Pfeffer (1845 - 1920) die Chemotaxis demonstriert, indem er gelöste Testsubstanzen in einer einseitig verschlossenen Kapillare in Kontakt mit Wassertropfen brachte, welche mobile Bakterien enthielten. Unter dem Mikroskop beobachtete Pfeffer, wie sich die Bakterien zur Kapillare bewegten und sogar in diese eindrangen (positive Chemotaxis). In anderen Fällen entfernten sich die Bakterien (negative Chemotaxis) Er stellte auch schon die Reaktion auf sehr stark verdünnte Lösungen chemotaktischer Substanzen fest. Bei diesen Beobachtungen blieb es 70 Jahre lang.

In den 1960ern begann Julius Adler ausgehend von der Methode Pfeffers, den Mechanismus der Chemotaxis in E. coli zu untersuchen. Adler erkannte, dass die chemischen Stimuli durch „Systeme“ vermittelt werden, die er Chemorezeptoren nannte. Schließlich fand Adlers Arbeitsgruppe heraus, dass die Signalinformation von den Chemorezeptoren auf eine intrazelluläre Signalübertragungskaskade weitergeleitet wird und zu entsprechende Bewegungen der Flagellen des Bakteriums führt.33

Mittlerweile ist die bakterielle Chemotaxis eines der am besten aufgeklärten molekularen Signalübertragungssysteme. Das E. coli-Bakterium verfügt über fünf Typen von Chemorezeptoren, darunter einen Rezeptor, der die Aminosäure L-Asparaginsäure beziehungsweise deren Salzform L-Aspartat spezifisch bindet. Beeindruckend ist die außerordentliche chemotaktische Empfindlichkeit, die bereits Wilhelm Pfeffer feststellte. Diese kann heute mit präzisen Zahlen untermauert werden: Für die Aspartatrezeptoren einer Zelle genügen drei Moleküle L-Aspartat als Stimulus. Die hohe Empfindlichkeit wird durch die Kooperation von tausenden Rezeptoren erzielt, die in Clustern von jeweils 10 bis 20 Rezeptoren organisiert sind.34

Mit einem speziellen „Tracking“-Mikroskop gelang es Howard Berg und Douglas Brown in den 1970er Jahren die Schwimmbewegungen einzelner E. coli-Bakterien zu verfolgen. Bakterien bewegen sich in einer homogenen Umgebung bis zu mehreren Sekunden lang in eine Richtung, danach tritt durch eine kurzdauernde (~0,1 Sekunden) Taumelbewegung eine Neuorientierung ein. Die eingeschlagene Bewegungsrichtung nach einer Taumelbewegung erfolgt „zufällig“. Wenn dagegen in der Umgebung ein Konzentrationsgefälle eines Nährstoffs, beispielsweise L-Aspartat, existiert, wird durch Reduzierung der Taumelbewegungen und längere Vorwärtsbewegung eine effektive Navigation in Richtung der ansteigenden Konzentration erreicht. Mathematisch lässt sich die Schwimmbewegung durch ein Irrfahrt-Modell mit Richtungsbevorzugung beschreiben.35

Entscheidend für das Schwimmverhalten ist die Drehrichtung der Flagellen. Für den Vorschub in Richtung einer ansteigenden Nährstoffkonzentration rotieren die Flagellen gleichsinnig im Gegenuhrzeigersinn (von der Flagellumspitze zum Bakterienkörper gesehen) und bilden dabei ein Bündel. Die Taumelbewegung kommt durch Umkehr der Drehrichtung einer oder mehrerer Flagellen zustande, wobei sich das Flagellenbündel teilweise auflöst. Dass durch den Wechsel von aktiver Vorwärtsbewegung und Taumeln eine zielgerichtete Bewegung, das heisst Chemotaxis, erreicht wird, ist umso bemerkenswerter, da das Bakterium selbst wegen seiner Winzigkeit der Brown’schen Bewegung unterliegt.

Bei der Aufklärung der intrazellulären Prozesse der Signalübertragung von den Rezeptoren zu den molekularen „Schaltern“ der Flagellenmotoren gab es ebenfalls beeindruckende Fortschritte. Als zytoplasmatischer Signalüberträger dient ein kleines Protein, CheY, das in der vergleichsweise hohen Konzentration von annähernd 8.000 Kopien pro E. coli-Zelle vorkommt. CheY tritt signalabhängig in zwei Formen auf: phosphoryliert (CheY-P) oder ohne übertragene Phosphatgruppe. Das phosphorylierte CheY-P ist sehr kurzlebig (Halbwertszeit im Zentelsekundenbereich). Doch es gelangt durch Diffusion sehr schnell an den Schalterkomplex der Flagellenmotoren, der aus einem Ring von 30 kooperativ umschaltenden Untereinheiten besteht. Durch die Bindung von CheY-P wird die Wahrscheinlichkeit für die Drehung des „Motors“ im Uhrzeigersinn erhöht – und eine Taumelbewegung ausgelöst. Die Bindung von L-Aspartat an den Rezeptorkomplex wirkt dem entgegen: Sie führt zur Unterbindung der Taumelbewegungen, indem die Phosphatgruppen übertragende Proteinkinase gehemmt wird und die Konzentration von CheY-P durch die Abspaltung der Phosphatgruppe durch eine Proteinphosphatase sinkt.

Die komplexe Organisation und Dynamik machen dieses chemotaktische Signalübertragungssystem zu einem paradigmatischen molekularen Interaktionsnetzwerk. Besonders faszinierend sind neben der chemotaktischen Empfindlichkeit auf Nährstoffe die ultrasensitive Reaktion des „Schalters“ auf CheY-P und die Funktionsweise der rotierenden „Motoren“, welche die Flagellen antreiben. Diese „Motoren“ schalten stochastisch zwischen dem Gegenuhrzeigersinn und dem Uhrzeigersinn um.36

Den Proteinen, speziell den Enzymen – und hier vor allem den besonders faszinierenden „molekularen Motoren“ –, werden wir uns als Nächstes zuwenden.

Бесплатный фрагмент закончился.

399
502,97 ₽
Жанры и теги
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
245 стр. 10 иллюстраций
ISBN:
9783960082057
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip