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Die Bedeutung des Spiegels

Im Zuge der zivilisatorischen Entwicklung können außerdem bestimmte, einzelne technische Erfindungen von besonderer Bedeutung für die Förderung des modernen Selbstverständnisses gewesen sein. »Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan meint, dass die Entwicklung des »Je« durch die Spiegelherstellung gefördert wurde, (es) lässt sich nicht entscheiden, ob die Überzeugung des Menschen, ein »Je« zu sein, sich herausbilden konnte, weil die venezianischen Handwerker gelernt hatten, wie man Spiegelglas herstellt, oder ob umgekehrt das Bedürfnis nach Spiegeln diese technische Neuerung angeregt hat« (Trilling 1980, S. 31).

Autobiographie als Modell

Die Entstehung – oder Erfindung – des eigenen, persönlichen, individuellen Ichs wird weiterhin gefördert durch die Entwicklung einer neuen Schreibform, der Autobiographie, der Selbstbeschreibung, des Tagebuchs. Autobiographien lieferten den Menschen gleichsam Modelle, wer sie sind und wie sie sind, an denen sie sich orientieren konnten angesichts der neuen Frage: »Wer bin ich?«. Diese Frage wird den modernen Menschen nicht mehr loslassen. Psychologische Persönlichkeitstheorien sind Versuche, auf sie eine Antwort zu finden.


PhilosophiePolitik/WirtschaftAlltagspraxisGesellschaft
traditionelle AuffassungOrdnung in der WeltMensch Bestandteil einer größeren Gemeinschaftkollektiver Lebensvollzugregelloses Handeln
Veränderungreflexive WendeAtomismusPrivatisierungÜberwachung
neuzeitliche Auffassung (17. Jhdt.)Ordnung im SubjektEinzelsubjekt autonom, souverän mit eigenem Willenprivate Räume privates Mobiliar private GeräteInstitutionalisierung (Militär, Schule, Anstalten) u. Bürokratisierung
LeitbegriffVernunftAutonomieIndividualitätKontrolle

Schema: Zivilisatorische Entwicklungslinien der Ausbildung des modernen Selbstkonzeptes

3.1.3. Person als Gegenstand der Psychologie

Gleichheit und Verschiedenheit können als grundsätzliche Charakteristika allen Lebens gesehen werden. Trotz vieler Gemeinsamkeiten sind die Angehörigen einer Art durch mindestens ebenso viele Unterschiede gekennzeichnet. Jeder Mensch erlebt sich auf seine Weise einzigartig und unterscheidet sich darin von allen anderen Menschen, von welchen Gemeinsamkeiten mit anderen, wie etwa Rasse, Geschlecht, Fähigkeiten Vorstellungen, Vorlieben oder Abneigungen er auch sonst geprägt sein mag. Unverwechselbar, »Ich selbst«, ein »Individualist« zu sein und eben nicht »Rädchen im Getriebe« oder »Teil einer Masse« sein zu wollen, diese Zielvorstellung bestimmt in vielen Situationen unser tägliches Leben. Wir betonen die Unterschiede zwischen uns und unseren Mitmenschen. Gleichzeitig betonen wir aber auch unsere Gleichheit. Kleidung, Sprache, Hobbys oder Freizeitverhalten zeigen häufig unser Bemühen, so zu sein wie andere. Für viele von uns ist es wichtig, zu wissen, was »in« und was »out« ist.

Die Frage von Gleichheit oder Verschiedenheit ist vorwiegend die Frage der Genauigkeit, mit der wir Personen wahrnehmen. Je genauer wir einzelne Personen beobachten und kennen, desto mehr kann sich eine zunächst wahrgenommene Gleichheit zur Ähnlichkeit oder gar Unterschiedlichkeit auflösen. Umgekehrt ist es ebenso möglich, dass wir erst nach intimer Kenntnis von Personen Ähnlichkeiten wahrnehmen, die uns vorher verborgen geblieben waren.

Differenzielle Psychologie

Die Suche nach Gleichheit und Verschiedenheit zwischen Menschen führt zwangsläufig zur Beobachtung einzelner, möglicherweise immer spezifischeren Charakteristika oder Merkmalen von Personen. In der Regel nehmen wir in unserem Bekanntenkreis deutliche Unterschiede zwischen den Personen wahr. Wir haben Eindrücke über ihre Intelligenz, ihr Selbstvertrauen, ihre Sportlichkeit oder Musikalität, über ihre Ängstlichkeit oder Aggressivität und vieles mehr. Solche wahrgenommenen individuellen Unterschiede beeinflussen wesentlich die soziale Interaktion im Privatleben, ebenso wie im Erziehungswesen oder im Berufsleben. Spätestens wenn Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion auftreten, können Theorien und Befunde der Differenziellen Psychologie hilfreich sein. Dabei geht es um:

die Beschaffenheit von Merkmalen mit interindividuellen Differenzen,

das Ausmaß und die Ursachen dieser Differenzen,

die wechselseitigen Abhängigkeiten differierender Merkmale sowie

deren Beeinflussbarkeit durch Erziehung, Training oder Umwelteinflüsse (siehe Amelang/Bartussek 2010, S. 4).

Es gelingt nicht, eine generelle Bedeutsamkeit einzelner Persönlichkeitsmerkmale festzulegen, einfach deswegen, weil sie immer nur für etwas wichtig sind. Es hängt im Wesentlichen von der Situation ab, in der nach bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen gefragt wird. Bei Berufswahlsituationen mag »Intelligenz« sehr wichtig sein, bei der Rehabilitation von Alkoholikern etwa »Aggression« und bei Adoptionsentscheidungen »prosoziales Verhalten«.

Für die Angehörigen sozialer Berufe wird die psychologisch-wissenschaftliche Betrachtungsweise von Persönlichkeitsmerkmalen und den interindividuellen Unterschieden immer dort bedeutsam, wo zu irgendwelchen Zwecken psychologische Gutachten erstellt und interpretiert werden müssen. Während das Erstellen solcher Gutachten eindeutig eine ausschließliche Aufgabe von Psychologen ist (oder zumindest sein sollte), sind Angehörige sozialer Berufe nicht selten vor die Aufgabe gestellt, solche Gutachten zu interpretieren und daraus Schlussfolgerungen ziehen zu müssen. Dazu sollen zwei grundlegende Gesichtspunkte der psychologischen Personenbeschreibung diskutiert werden:

Die Annahmen über Art und Ausmaß von Personenunterschieden und

die speziellen Schwierigkeiten der sprachlichen Formulierung.

3.1.4. Die Normalverteilung als Modell zur quantitativen Beschreibung von Unterschieden

Wenn sehr viele Personen gemessen werden, dann ergibt sich bei vielen Merkmalen als charakteristische Verteilungsform der Messwerte eine Normalverteilung oder Gaußsche Glockenkurve.

Beispiel

Betrachten wir zur Demonstration einmal die relative Häufigkeitsverteilung des komplexen psychischen Merkmals emotionale Erregbarkeit. Dazu bearbeiteten 1.237 Jugendliche 21 Fragen entsprechenden Inhalts. Die Abbildung zeigt, wie viele Jugendliche wie viele Fragen im Sinne von emotionaler Erregbarkeit beantworteten.


empirische Häufigkeitsverteilung, mit der Jugendliche Fragen zur »emotionalen Erregbarkeit« beantworten (nach Daten von Seitz/Rausche 1976, S. 65)


hypothetische Verteilung

Die Häufigkeitsverteilung lässt erkennen: Die meisten Jugendlichen liegen in einem mittleren Bereich (etwa 5 – 13 Fragen), einige liegen darüber oder darunter, Extremwerte 0 oder 1 bzw. 20 oder 21 Fragen sind selten.

Solche Befunde führen zur sinnvollen Hypothese, dass psychische Merkmale sich häufig auf der Grundlage von Normalverteilungen beschreiben lassen. Sie wird so zum grundlegenden Modell zur quantitativen Beschreibung von Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit bei Personen hinsichtlich eines definierten Merkmals. Die Mehrzahl der Personen gruppiert sich dabei im Mittelbereich der Verteilung. Sie sind sich also in diesem Merkmal relativ ähnlich. Einige weichen mehr oder weniger deutlich von diesem Mittelbereich ab, wenige liegen in den beiden Extrembereichen. Je weiter sich Personen vom Mittelbereich entfernen, desto relativ unähnlicher werden sie den vielen Personen im Mittelbereich.

Ab wann ist aber eine Person vom Mittelbereich so weit abweichend, dass man sagen könnte, sie sei anders als die anderen? Zur Beantwortung dieser Frage hat sich eine statistische Konvention eingebürgert, die besagt, dass alle Personen, die mehr als eine Standardabweichung s (Kap. 2.6.4.) vom Mittelwert abweichen, als »unter-« bzw. »überdurchschnittlich« betrachtet werden. Dies ist in der folgenden Abbildung dargestellt.

Nach dieser Definition haben stets, wegen der mathematischen Eigentümlichkeiten der Normalverteilung, bei jedem entsprechenden Merkmal jeweils etwa 16 % aller Personen über- bzw. unterdurchschnittliche und etwa 68 % durchschnittliche Messwerte. Diese Klassifikation bedeutet für sich noch keine Wertung. Überdurchschnittlich intelligent zu sein, wird beispielsweise positiv gewertet, überdurchschnittlich emotional erregbar zu sein, wohl eher negativ. Die Wertung, ob Unterschiede für wichtig oder unwichtig, für positiv oder negativ gehalten werden, ergibt sich nicht aus dem statistischen Modell der Normalverteilung, sondern aus der inhaltlichen Fragestellung.


3.1.5. Sprachliche Beschreibung von Individualität

Dass man mit Sprache die Individualität eines Menschen, seine Eigenarten, seine Neigungen oder sein Verhalten vorzüglich und anschaulich beschreiben kann, zeigen uns hervorragende Schriftsteller immer wieder. Sprache, gut beherrscht, ist ein exzellentes Mittel zur Beschreibung von Personen in ihrer Gleichheit und Verschiedenheit. Gerade darin liegt, so paradox dies zunächst auch klingen mag, eine Schwierigkeit der psychologisch fundierten Personenbeschreibung.

Unschärfe von Begriffen

Eine psychologische Personenbeschreibung kann, von wenigen Fachbegriffen einmal abgesehen, nur die Begriffe der Umgangssprache verwenden. Fachbegriffe und umgangssprachliche Begriffe können unter Umständen gleich lauten, aber doch zumindest teilweise etwas Unterschiedliches bedeuten. Nicht selten gehen psychologische Fachbegriffe in den umgangssprachlichen Wortschatz über (wie etwa »Motivation«, »Frustration« oder »neurotisch«) und verändern dabei teilweise ihre ursprüngliche Bedeutung.

In dem Maße, in dem psychologische Beschreibungen umgangssprachlich formuliert sind, unterliegen sie denselben Prozessen der Bedeutungsveränderung wie sonstige sprachliche Beschreibungen auch. Wenn ein Romantext bei mehreren Personen unterschiedliche Eindrücke hervorruft, ist dies wahrscheinlich weniger gravierend. Das kann dem Text sogar einen besonderen Reiz geben. Wenn jedoch aus einem psychologischen Gutachten unterschiedliche Eindrücke und Schlussfolgerungen möglich sind, dann können sich durchaus schwerwiegende Problemlagen ergeben.

vier Ebenen der Beschreibung

Personenbeschreibungen können aufgrund der verfügbaren Begriffe nur mehr oder weniger eindeutig sein. Der Versuch, sie in eindeutigen, nicht umgangssprachlichen Begriffen abzufassen, führt dagegen leicht in Unverständlichkeit. Es scheint zumindest die Gefahr eines Dilemmas zwischen Eindeutigkeit und Unverständlichkeit zu bestehen. Es lohnt also, sich die sprachlichen Möglichkeiten zur Personenbeschreibung einmal näher anzusehen.

Graumann (1964) unterscheidet vier Modi oder Ebenen sprachlicher Beschreibung. Sie sollen an einem Beispiel erläutert werden.

Angenommen, ein vierjähriges Kind sei weinend im Einkaufstrubel einer Fußgängerzone allein aufgefunden worden. Es wird von einer Mitarbeiterin des Jugendamtes abgeholt. Sie muss nun einen Bericht über diesen Vorfall schreiben. Folgende Möglichkeiten stehen ihr zur Verfügung:

Modi verbaler Beschreibung:

(1) Der verbale Modus: »Das Kind weinte.«

verbal

Die Person wird in ihrem Verhalten unter Verwendung von Verben beschrieben. Der Leser erfährt nur, was die Person tut. Diese Beschreibung ist relativ eindeutig.Ob das Kind weinte oder nicht, ist ziemlich unzweifelhaft feststellbar.

adverbial

(2) Der adverbiale Modus: »Das Kind weinte verzweifelt.«

Die Person wird in ihrem Verhalten unter Verwendung von Verben und Adverbien beschrieben. Diese Aussage enthält eine Schlussfolgerung des Beschreibenden über das »Wie« des Verhaltens. Ob das Kind wirklich »verzweifelt« weinte, ist schon weniger eindeutig.

adjektivisch

(3) Der adjektivische Modus: »Das Kind war verzweifelt.«

Die Person wird mit Adjektiven beschrieben. Man erfährt bereits nichts mehr über das konkrete Verhalten, dafür aber etwas darüber, wie die Person ist. Dies sind bereits weitgehende Schlussfolgerungen des Beschreibenden, die unter Umständen nur noch schwer nachvollziehbar sind.

substantivisch

(4) Der substantivische Modus: »Die Verzweiflung des Kindes war groß.« Die Person wird in Substantiven beschrieben. Dabei sind dann überdauernde Persönlichkeitsmerkmale oder Zustände beschrieben. Der Beschreibende geht also in seinen Schlussfolgerungen noch einen Schritt weiter und entfernt sich noch mehr vom konkreten Verhalten.

Von Stufe zu Stufe nehmen die Schlussfolgerungen zu, die der Beschreibende hinzufügt.

In einer Berufspraxis, in der über Personen beraten, Stellungnahmen abgegeben oder zur Kenntnis genommen werden müssen, sollten daher Personenbeschreibungen im adjektivistischen oder substantivischen Modus durch Erläuterungen im verbalen und adverbialen Modus präzisiert werden. In der psychologischen Fachsprache ist dieses Problem insofern eingegrenzt, als die Begriffe über Personenmerkmale sehr häufig operational definiert sind. Findet man zum Beispiel in einem psychologischen Gutachten eine Aussage über das Ausmaß des Neurotizismus einer Person, dann beschränkt sich diese Aussage im strengen Sinne zunächst nur auf die Fragen, mit denen Neurotizismus abgefragt wurde. Will man psychologische Aussagen verstehen, so ist es daher unumgänglich notwendig, die Methoden zu kennen, auf denen sie beruhen. Die sprachlichen Etiketten reichen nicht aus.

3.2. Drei Beispiele von Persönlichkeitstheorien

3.2.1. Vorbemerkung

In der Psychologie existiert keine einheitliche, verbindliche Definition von Persönlichkeit. »Mit der Persönlichkeit ist es wie mit der Liebe. – Jedermann weiß, dass es sie gibt, aber niemand weiß, was sie ist!« (Cattell 1973, S. 41, unsere Übersetzung). Die Anzahl entsprechender Definitionsversuche dürfte inzwischen dreistellig sein. Die Definition von Persönlichkeit verändert sich, wie im Alltag, unter den verschiedenen Blickwinkeln, unter denen Individuen betrachtet werden können. Dies muss all diejenigen enttäuschen, die von einer wissenschaftlichen Psychologie eine Antwort auf die philosophische Frage nach dem Wesen des Menschen erwarten. Eine empirische Persönlichkeitspsychologie, die »nur« danach fragt, wie menschliches Verhalten und Erleben beschrieben, erklärt und verändert werden kann, versteht »Persönlichkeit« ohnehin nur als hypothetisches Konstrukt, das nicht unbedingt abschließend definiert zu werden braucht.

Bezieht man sich nicht auf das Wesen des Menschen, sondern auf sein Verhalten und Erleben, dann lässt sich wenigstens einigermaßen übereinstimmend angeben, womit sich die Persönlichkeitspsychologie beschäftigt. Sie befasst sich mit den relativ überdauernden Verhaltens- und Erlebensunterschieden zwischen Individuen und deren Entwicklung.

Persönlichkeitstheorien werden von Wissenschaftlern entwickelt. Sie sind selbst Persönlichkeiten mit Vorlieben und Abneigungen, mit persönlichen Überzeugungen, mit Weltanschauungen und mit unterschiedlichen Menschenbildern. Ihre Theorien entsprechen ihrer Persönlichkeit. So wie wir selbstverständlich akzeptieren, dass ein Porträt von Lucas Cranach anders aussieht als eines von Picasso, müssen wir akzeptieren, dass Psychologen ebenfalls unterschiedliche Bilder (Theorien) vom Menschen entwerfen. Wir werden also eine Vielzahl unterschiedlichster Persönlichkeitstheorien vorfinden.

Die Frage, welche dann die richtige Theorie sei, ist dabei wenig fruchtbar.

Wir werden im Folgenden drei Theorien vorstellen, die in sehr unterschiedlicher Weise an das Thema Persönlichkeit heran gehen:

die psychoanalytische Theorie von Sigmund Freud,

die humanistische Persönlichkeitstheorie von Carl Rogers,

die sozialkonstruktivistische Persönlichkeitstheorie von Kenneth J. Gergen.

3.2.2. Sigmund Freud: Die psychoanalytische Theorie

von Maria Langfeldt-Nagel

Sigmund Freud ist populär wie wenige andere Wissenschaftler. Seine Theorien sind von einem breiten Publikum aufgegriffen, sowie in der Literatur, der Malerei und in Filmen verarbeitet worden. In weiten Bereichen der Psychotherapie, aber auch in der Pädagogik, bilden seine Konzepte und Methoden die Grundlage für die Erklärung individuellen Verhaltens und für Interventionen.

Sigmund Freud wurde 1856 in Mähren geboren und wuchs in Wien auf, wo er Medizin studierte und die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. Ein Studienaufenthalt in Paris beim Psychiater Jean Charcot war der erste Schritt in die Richtung, die er schließlich einschlug; ein weiterer war die Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem Wiener Internisten Josef Breuer. Freuds Ansichten brachten ihn in der prüden Wiener Gesellschaft in mancherlei soziale Schwierigkeiten; hinzu kam offener Antisemitismus. Seine wissenschaftliche Anerkennung fand er außerhalb Wiens. Aber auch seine Anhänger wie Alfred Adler, Carl Gustav Jung oder Wilhelm Reich sagten sich von ihm los und gründeten eigene psychoanalytische Schulen. Freud emigrierte 1938 nach London, wo er ein Jahr später starb.

Zu der Zeit, als Freud anfing, als Nervenarzt zu arbeiten, war gängige medizinische Lehre, dass Neurosen durch eine genetisch bedingte Nervenschwäche bedingt seien. Möglichkeiten ihrer Behandlung sah man daher kaum. Während eines Studienaufenthaltes in Paris im Jahre 1885 beschäftigte Freud sich mit der Hysterie und lernte die Hypnose kennen.

Hypnose

Durch Hypnose konnten für kurze Zeit hysterische Symptome sowohl erzeugt als auch zum Verschwinden gebracht werden. Freud folgerte daraus, dass psychische Prozesse, die den Patienten oder Patientinnen selbst nicht zugänglich sind, Ursache für die hysterischen Symptome seien. Dies war eine völlig neue Sichtweise, die auf Ablehnung und Unverständnis stieß.

Zurück in Wien, wo er eine psychiatrische Praxis gegründet hatte, arbeitete Freud mit Josef Breuer zusammen. Dieser ließ seine Patienten und Patientinnen in den Behandlungssitzungen intensiv reden. Mit dieser Methode der »Redekur« glaubte er zu den psychischen Ursachen der Störungen vorzudringen.

freie Assoziation

Freud entwickelte die Redekur zur Methode der freien Assoziationen weiter. Die Patienten und Patientinnen wurden verpflichtet, alles, was ihnen durch den Kopf ging, mitzuteilen. Eine willkürliche Lenkung oder Zensur sollte vermieden werden. Die Annahme war, dass das, was unter diesen Umständen gesagt wurde, durch unbewusste Motive bestimmt sei. Somit konnte mit der Methode der freien Assoziationen ein Zugang zu den unbewussten psychischen Prozessen gefunden werden. Diese Methode nannte Freud Psychoanalyse. Mit ihr konnte eine neue Welt von Daten erschlossen werden.

Traumdeutung

Eine weitere psychoanalytische Methode ist die der Traumdeutung. Während des Schlafens ist die bewusste Kontrolle herabgesetzt und unbewusste Prozesse können in verschlüsselter Form im Traum wahrgenommen werden. Eine Entschlüsselung der Trauminhalte müsste daher diese unbewussten Prozesse aufdecken.

Freud unterschied zwei Gruppen unbewusster Phänomene. Einige Inhalte können durch verstärkte Aufmerksamkeit ohne größere Schwierigkeiten ins Bewusstsein geholt werden. Diese nannte er vorbewusst. Andere wiederum können erst nach einigem Widerstand und erheblichem Aufwand durch die Psychoanalyse zugänglich gemacht werden. Freud bezeichnet solche als unbewusst. Zwei grundlegende Hypothesen begründen Freuds Theorie (Zusammenfassung bei Brenner 2000 oder Gay 2006):

(1) Psychische Prozesse sind selten bewusst. Freud ist zwar nicht der Entdecker des Unbewussten. Er betonte jedoch wie kein anderer vor ihm den Einfluss des Unbewussten auf das Erleben und Verhalten.

(2) Alle psychischen Prozesse sind durch vorhergehende bedingt. Nichts geschieht zufällig. Bei jedem Phänomen, und sei es noch so unverständlich, kann daher gefragt werden, wodurch es verursacht wurde. Dies gilt für »normales« Verhalten und Erleben ebenso wie für Auffälliges.

Verführungstheorie

Die Verführungstheorie: Im Jahre 1896 hielt Freud vor dem Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien einen Vortrag mit dem Titel »Zur Ätiologie der Hysterie« (Freud 1896). Darin entwickelte er die Theorie, dass Hysterien auf sexuelle Verführung im Kindesalter zurückzuführen seien.

Mit Hilfe der analytischen Methode war er bei Patientinnen und Patienten mit hysterischen Symptomen (zwölf Frauen und sechs Männer) auf sexuellen Missbrauch in der Kindheit durch Väter, Lehrer oder Dienstpersonal gestoßen. Den Patienten und Patientinnen waren die traumatischen sexuellen Erlebnisse zunächst nicht bewusst und es war ein langer und schwieriger Weg, die Erinnerungen daran freizulegen.

Freud versuchte eindringlich und mit großer Klarheit, den Zuhörern seine Ergebnisse auseinander zu setzen. Er ging selbst auf mögliche Einwände ein. Er führte aus, dass die massive Abwehr der Erinnerungen dagegen spräche, dass die Misshandlungen phantasiert worden waren. Zudem sprächen eine Reihe weiterer Gründe für die Richtigkeit seiner Entdeckung. So wurden die Symptome durch die Art der Misshandlung verständlich und durch das Erinnern und nochmalige Durchleben konnten Teilerfolge in der Therapie erreicht werden. In zwei der Fälle konnte die sexuelle Misshandlung durch dritte Personen bestätigt werden (Masson 1991).

Reaktion

Die Reaktion auf den Vortrag war eisig. Er stieß auch bei seinen Befürwortern und Freunden auf einhellige Ablehnung. Wenige Jahre nach diesem Vortrag nahm Freud von seiner »Verführungstheorie« Abstand. Als Grund gab er an, dass sexueller Missbrauch von Kindern so häufig gar nicht vorkommen könne. Da das Unbewusste ohnehin nicht zwischen Realität und Phantasie unterscheiden könne, sei es auch nicht wesentlich, ob der sexuelle Missbrauch tatsächlich stattgefunden habe oder nicht. Die Verführungstheorie wurde durch die bekanntere Triebtheorie ersetzt.

Triebtheorie

Die Triebtheorie: Freud blieb bei seiner Annahme, dass neurotische Symptome durch Verdrängungen von Regungen aus dem Sexualleben stammen. Diese seien jedoch nicht in realen Erlebnissen begründet, sondern in Wunschvorstellungen der Kinder. Dazu musste allerdings postuliert werden, dass der Sexualtrieb bereits bei Säuglingen ausgeprägt ist.

Triebe sind das, was die Psyche antreibt. Sie werden von Freud als psychische Energie verstanden, die in Handlungen verbraucht wird. Wenn eine bestimmte Menge an Energie vorhanden ist, bilden sich Triebspannungen. Die Sexualtrieb Psyche strebt danach, diese Spannungen zu lösen und drängt auf Triebabfuhr. Der wichtigste, alles dominierende Trieb ist in Freuds Sicht der Sexualtrieb, der sich nicht nur genital äußert. Seine Energie nannte er Libido (Später stellte Freud dem Sexualtrieb einen Todestrieb gegenüber.). Der Begriff der Sexualität wurde in diesem Konzept sehr ausgeweitet. Berühren, Beißen, Zeigen usw. können als sexuelle Betätigungen aufgefasst werden. Auch der Wunsch nach Nähe und Geborgenheit und die Bindung der Kinder an ihre Eltern ist nach Freud sexuellen Ursprungs.

Freud (1921, S. 85) formuliert dies selbst so: »Der Kern des Liebe geheißenen bildet natürlich die Geschlechtsliebe mit dem Ziel der geschlechtlichen Vereinigung. Aber wir trennen davon nicht ab, was auch sonst an dem Namen Liebe Anteil hat, einerseits Eltern- und Kindesliebe, die allgemeine Menschenliebe, auch nicht die Hingabe an konkrete Gegenstände oder abstrakte Ideen. Unsere Rechtfertigung liegt darin, dass die psychoanalytische Untersuchung uns gelehrt hat, alle Strebungen seien Ausdruck der nämlichen Triebregungen, die zwischen den Geschlechtern zur geschlechtlichen Einigung hindrängen.«

Entwicklung

Die psychosexuelle Entwicklung: Da praktisch alle Strebungen des Menschen sexuell determiniert sind, ist seine Entwicklung als psychosexuell beschreibbar. Der Sexualtrieb ist demnach von Anfang an vorhanden und führt zum Streben nach sexueller Lust. Diese ist allerdings für das Kind (noch) nicht im genitalen Bereich, sondern in anderen Körperregionen (erogene Zonen) zu erreichen. Die lustvollen Regionen wechseln im Laufe der kindlichen Entwicklung (Freud 1905 b).

Orale Phase

Zunächst bezieht das Kleinkind seine Lustgefühle für eine gewisse Zeitspanne aus der Mundregion. Freud nannte dies orale Phase. Sie dauert von der Geburt bis zum Alter von etwa 18 Monaten. Die libidinöse Befriedigung erfolgt durch Nahrungsaufnahme oder durch Saugen und Lutschen an Gegenständen.

Anale Phase

Im Laufe des zweiten Lebensjahres wechselt die erogene Zone. Nun steht die Schleimhaut des Afters im Vordergrund, die anale Phase beginnt. Die Kinder genießen das Koten. Auch Darmstörungen wie Durchfall oder Verstopfungen sorgen für intensive Erregung.

Phallische Phase

Die ersten beiden Phasen sind prägenital. Erst etwa im vierten Lebensjahr wird der Genitalbereich als erogene Zone bedeutsam; es beginnt die phallische Phase. Während dieser Phase spielt sich ein wahres Familiendrama ab: Der kleine Junge liebt seine Mutter und möchte seinen Penis irgendwie an ihr betätigen. Dem steht allerdings der Vater als Rivale entgegen, den er am liebsten aus dem Weg räumen möchte. Er ist eifersüchtig auf den Vater und hasst und liebt ihn zugleich. Nach Freud entwickelt der Junge einen Ödipuskomplex. Jedenfalls fürchtet der Junge die Strafe des Vaters, die darin Ödipuskomplex bestünde, dass er ihm den Penis abschneidet. Da Mädchen keinen Penis haben, sehen die Jungen, dass so etwas möglich sein kann. Ihre Kastrationsangst ist also höchst real. Aus dieser Angst heraus werden die ödipalen Wünsche aufgegeben. Der Junge identifiziert sich mit dem Vater und übernimmt dessen Normen, die sich als Über-Ich etablieren. Die Art und Weise, wie der Ödipuskomplex bewältigt wird, determiniert das spätere Seelenleben.

Das Mädchen liebt zunächst, ebenso wie der Junge, seine Mutter. Es muss jedoch bemerken, dass es keinen Penis hat. Die Mutter hat es verstümmelt geboren. In seiner Enttäuschung wendet es sich dem Vater zu und wünscht sich von ihm ein Kind als Penisersatz. Dieser Penisneid führt bei Mädchen und Frauen zu negativen Eigenschaften wie Neid oder Eifersucht und verursacht Minderwertigkeitsgefühle.

Latenzphase

An die phallische Phase schließt die ruhige Latenzphase an, die bis zur Pubertät andauert. Während dieser Zeit spielt Sexualität für das Leben und die Entwicklung des Kindes eine untergeordnete Rolle. Mit der Pubertät tritt der Jugendliche in die genitale Phase ein, die zur Aufnahme heterosexueller Genitale Phase Aktivitäten führt.

Die Phasen der psychosexuellen Entwicklung in einem Überblick:


(1) orale Phase:1. und 2. Lebensjahr
(2) anale Phase:2. und 3. Lebensjahr
(3) phallische Phase:4. bis 6. Lebensjahr
(4) Latenzphase:6. Lebensjahr bis Pubertät
(5) genitale Phase:ab der Pubertät

Nach Freud entscheidet sich in den ersten fünf Lebensjahren die weitere psychische Entwicklung eines Menschen. In dieser Zeit sind die Ursachen von neurotischen Fehlentwicklungen eines Erwachsenen zu suchen.

Persönlichkeit

Das Instanzen-Modell der Persönlichkeit: Das Persönlichkeitsmodell Freuds ist durch die Aufteilung in drei unabhängige Instanzen, das Es, das Ich und das Über-Ich gekennzeichnet. Sie werden so beschrieben, als ob sie eigenständige Personen wären (Freud 1938).

Es

Das Es, das von Geburt an vorhanden ist, wird von Freud als Kessel brodelnder Erregungen beschrieben. Es ist ausschließlich darauf bedacht, alle Triebwünsche unmittelbar zu erfüllen. Dabei ist es unlogisch und unmoralisch. Es funktioniert nur nach dem Lustprinzip. Alles, was im Es vorgeht, ist vom Bewusstsein abgeschnitten; es ist unbewusst.

Ich

Die Erfüllung der Triebwünsche kann jedoch nur in Kontakt mit der Außenwelt geschehen. Um solche Interaktionen zu ermöglichen, spaltet sich nach und nach eine weitere Instanz ab: das Ich. Das Ich stellt die zur Befriedigung notwendige Beziehung zur Außenwelt her. Dazu muss es die Außenwelt wahrnehmen, im Gedächtnis speichern und denken. Das Ich vertritt das Realitätsprinzip, im Grunde aber nur, um die Triebwünsche des Es zu erfüllen. Das Ich reagiert dabei mit Besonnenheit und nimmt beispielsweise Triebaufschübe in Kauf, um nicht in Konflikt mit der Umwelt zu geraten.

Über-Ich

In der phallischen Phase werden die Gebote und Verbote, Normen und Wertvorstellungen des Vaters übernommen. Aus diesen übernommenen Normen bildet sich das Über-Ich. Dieses verurteilt alle Triebwünsche des Es, die den Normen widersprechen, und veranlasst das Ich mit Hilfe von Angst, solche Wünsche ins Es zurückzuschicken, zu verdrängen und sie damit wieder unbewusst zu machen.

Das Ich muss so zwischen beiden Instanzen (Es und Über-Ich) und zwischen diesen und der Umwelt vermitteln. »Das arme Ich dient zwei gestrengen Herren, es ist bemüht, deren Ansprüche und Forderungen in Einklang zu bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft unvereinbar zu sein; kein Wunder, dass das Ich so oft an seiner Aufgabe scheitert« (Freud 1933, S. 514).

Durch die Verdrängung der unerlaubten Triebwünsche wird psychische Energie verbraucht. Müssen wegen eines starken, strengen Über-Ichs viele Wünsche verdrängt werden, wird das Ich geschwächt oder bricht im Extremfall ganz zusammen.

Abwehrmechanismen

Die Abwehrmechanismen: Das Ich hat die Aufgabe, für eine optimale Triebbefriedigung zu sorgen. Wenn nun aus dem Es Impulse auftauchen, die dem Ich als zu gefährlich erscheinen, entsteht Angst. Wegen der Wirkung des Lustprinzips muss das unangenehme Angstgefühl so schnell wie möglich beendet werden. Die Es-Impulse müssen abgewehrt werden. Zu dieser Abwehr stehen dem Ich mehrere Strategien, die sogenannten Abwehrmechanismen, zur Verfügung.

Verdrängung

Die Verdrängung als Abwehrmechanismus wurde von Freud am frühesten beschrieben. Den Es-Impulsen wird der Zugang zum Bewusstsein versperrt. Sie bleiben ebenso unbewusst wie der Prozess der Verdrängung selbst. Mit einem hohen Maß an aufgewendeter psychischer Energie wird ein Zustand erreicht, als würden die Impulse nicht existieren.

Reaktionsbildung

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9783846386255
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