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Teil 1 / August 1918

Hätte auch die Monarchie als Ganzes ernährungswirtschaftlich eine Blockade des Auslandes aushalten können – Österreich für sich, dessen Produktion naturgemäß durch den Krieg mit seinen Folgeerscheinungen schwer gelitten hatte, konnte die Blockade des Auslandes und eine Absperrung der Zufuhren seitens Ungarns nicht ertragen. Es mußte in die allermißlichste Ernährungssituation geraten, denn der Ausfall der von Ungarn im Frieden gelieferten Mengen an Nahrungs- und Futtermitteln konnte im Kriege selbst bei bester Verwaltung durch Ersparungs- und Verteilungsmaßnahmen nicht wettgemacht werden.

Zitat aus: Dr. Hans Loewenfeld-Russ, Die Regelung der Volksernährung im Kriege, Hölder-Pichler-Tempsky A.G., Wien 1926.

I/1

Am 9. August 1918 war der Morgen strahlend schön. Stanislaus Gotthelf hatte wie immer lange geschlafen. Er streckte und reckte sich. Dann gähnte er herzhaft. Schließlich tapste er zum Waschtisch, goss etwas Wasser in das Lavoir und wusch sich Gesicht, Hals und Oberkörper. Dann applizierte er Rasierseife auf Wangen, Oberlippe und Hals und begann mit der morgendlichen Rasur. Nachdem er die restliche Seife von den glatten Wangen mit kaltem Wasser abgespült hatte, fühlte er sich erfrischt und für den Tag bestens gerüstet. Er zog sich Hemd und Sakko an, riss den Vorhang zur Seite, hinter dem die beiden Bettgeher auf einem Matratzenlager schnarchten. Er stieß mehrmals mit dem Fuß gegen die Matratzen und weckte Zach und Husak mit folgenden Worten:

»Aufwachen, ihr Faulpelze!«

Husak streckte sich, rammte dabei Zach den Ellbogen in den Bauch, sodass dieser laut fluchte. Gotthelf kommandierte:

»Schaut’s, dass rauskommt’s! Als Bettgeher habt’s ihr tagsüber hier nix verloren.«

Langsam standen die beiden auf und streckten sich. Zach funkelte Gotthelf böse an:

»Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen, hochwohlmögender Herr von Gotthelf!«

»Wennst mich papierln40 willst, kannst heut Nacht auf der Straße schlafen.«

»Is schon gut … is’ ja schon gut. Gehen schon. Alles in Ordnung«, beschwichtigte Husak und zog Zach aus der Gotthelf’schen Hütte, die sich im zweiten Hinterhof eines Hauses befand.

Plötzlich erklang hoch oben in den Lüften ein mächtiges Brummen. Es war der Lärm von Motoren. Husak sah erstaunt empor, Zach lehnte sich vollkommen verschlafen und desinteressiert an die Außenwand der Hütte und zischte:

»Gotthelf, du Oasch!«

Gotthelf riss es. Er überlegte, ob er Zach antworten sollte, doch seine Neugier war größer. Was ging dort oben am Himmel vor? Was war da draußen los? Mit eiligen Schritten durchmaß er die beiden Innenhöfe und trat hinaus auf die Wienzeile. Und – oh Wunder – es schneite! Mitten im Sommer. Tausende bedruckte Zettel segelten im sanften Sommerwind auf den Erdboden nieder. Gotthelf stand mit dem Kopf im Nacken da, schirmte die Augen mit der Handfläche ab und versuchte, die Ursache dieses Wunders zu ergründen. War es ein Mirakel? Nein, es waren Flugzeuge, die da oben am Himmel flogen. Eins, zwei, drei, vier, fünf Flugzeuge. Und dort, dort war noch ein sechstes! Was waren das für Zettel, die sie da abwarfen? Mit nervösem Blick beobachtete Gotthelf die unzähligen Blätter, die, von der sanften Sommerbrise beflügelt, durch die Lüfte und über die Straße und die Gehsteige tanzten. Er eilte ihnen nach − und da! Da hatte er sich endlich einen geschnappt. Aber halt! Dort flog ja ein bunter, der die Farben der italienischen Trikolore trug. Auch den schnappte er sich. Mit dem Fangen der Flugblätter aus der Luft beziehungsweise mit dem Aufheben derselben waren mittlerweile alle auf der Straße befindlichen Leute beschäftigt. Besonders die Straßenjungen machten sich einen Sport daraus, möglichst viele der Zettel zu ergattern. Plötzlich hörte Gotthelf die Trillerpfeife eines Sicherheitswachmanns. Zwei bloßfüßigen Lausbuben riss der Uniformierte die Zettel aus der Hand, und auch von anderen Passanten verlangte er, die aufgesammelten Flugblätter herauszurücken. Gotthelf faltete seine zusammen und steckte sie in die Tasche des Sakkos. Dann spazierte er laut pfeifend durch die zwei Innenhöfe zurück zu seinem Schuppen.

Bereits vor der Tür hatte er einen Zettel auseinandergefaltet. Verwundert blieb er stehen und starrte die italienische Trikolore an, auf die das Wiener Stadtwappen sowie folgender Text gedruckt waren:

Wiener!

Lernt die Italiener kennen!

Wenn wir wollten, wir könnten ganze Tonnen von Bomben auf euere Stadt hinabwerfen, aber wir senden euch nur einen Gruss der Trikolore, der Trikolore der Freiheit.

Wir Italiener führen den Krieg nicht mit Bürgern, Kindern, Greisen und Frauen. Wir führen den Krieg mit euerer Regierung, dem Feinde der nationalen Freiheit, mit euerer blinden, starrköpfigen und grausamen Regierung, die euch weder Brot noch Frieden zu geben vermag und euch nur mit Hass und trügerischen Hoffnungen füttert.

Wiener!

Man sagt von euch, dass ihr intelligent seid, jedoch seitdem ihr die preussische Uniform angezogen habt ihr seid auf das Niveau eines Berliner-Grobians herabgesunken, und die ganze Welt hat sich gegen euch gewandt.

Wollt ihr den Krieg fortführen? Tut es, wenn ihr Selbstmord begehen wollt! Was hofft ihr? Den Entscheidungssieg, den euch die preussischen Generale versprochen haben?

Ihr Entscheidungssieg ist wie das Brot aus der Ukraina: Man erwartet es und stirbt bevor es ankommt.

Bürger Wiens! Bedenkt, was euch erwartet und erwacht!

HOCH LEBE DIE FREIHEIT!

HOCH LEBE ITALIEN!

HOCH LEBE DIE ENTENTE!

Gotthelf betrat seine Bude und runzelte die Stirn. Da er nie ordentlich lesen und schreiben gelernt hatte, war dieser Text äußerst rätselhaft für ihn. Er setzte sich und starrte konzentriert auf das Flugblatt. Da war irgendwas nicht koscher. Gotthelf witterte das! Etwas, das ihn wütend machte. Landesverrat! Alleine schon die italienische Trikolore, die Farben der welschen Verräter, die Österreich-Ungarn und Deutschland in den Rücken gefallen waren, ließen seine Zornadern anschwellen. Und stand da unten nicht »Italien«? Hoo…oo…c…h… le…eb…be I…tal…ien? Hoch lebe Italien. So eine Sauerei!

»Was hast denn da? Was ist das für ein Zettel?«

»Der ist draußen vom Himmel oweg’flogen41 …«

»Was steht drauf? Zeig’ her!«

»Italien, glaub’ ich, steht da g’schrieben …«

»Wart, lass mich lesen!«

»Und was steht da?«

»Ha! Die Wahrheit, nix als die Wahrheit!«

»Was für a Wahrheit?«

»Na, dass unsere Regierung einen vollkommen sinnlosen und grausamen Krieg führt. Und dass der Entscheidungssieg nicht kommen wird. Genauso wenig wie das versprochene Brot und alles, was uns die Großkopferten seit Jahren versprechen, während wir den Kitt aus den Fenstern fressen. Ich scheiß auf den Krieg und auf den Kaiser!«

»Du, pass auf! Du! Sag nix gegen unsern Kaiser! Und nix gegen unsre Regierung und unsre siegreiche Armee! Du Weh42, du!«

»Was? Was hast g’sagt?«

»Dass d’ a Weh bist!«

»I bin ka Weh!«

»A Weh! A Wappler43! A gsöchter44 Aff’ …«

Faustschlag. Mitten ins Gesicht. Stechender Schmerz. Gotthelf wischt mit der Hand über die Nase. Blut. Versucht aufzustehen. Ein Sessel kracht auf seinen Schädel. Trifft ihn am Buckel. Gotthelf stürzt. Alles verschwimmt. Donnernde Schläge auf seinen Schädel. Blut im Mund. Keine Luft! Schläge, Schläge, Schläge.

»Hilfe! Auf … aufhören … bitte … bitte … bitte … Hilfe …«

40 verarschen

41 heruntergeflogen

42 Jammerlappen

43 unfähiger Depp

44 dünner

I/2

»Wir müssen verschwinden!«

»Aber wohin?«

»Was weiß ich?«

»Hast recht. Können nicht bleiben hier. Wenn Polizei sehen Sauerei, sie uns wird verhaften und ausliefern. An Armee. Und wir dann hängen.«

»Hör auf! Verdammt noch einmal. Hör auf, so einen Stuss zu verzapfen. Wir haben es von Italien bis hierher geschafft. Uns werden sie auch jetzt net erwischen.«

»Hast recht. Aber wohin gemma?«

»Rüber zum Naschmarkt.«

»Und nachher?«

»Nix nachher. Am Naschmarkt pass ma die Köchin ab, die mir gestern schöne Augen g’macht hat. Die begleit’ ma heim und schlüpfen bei ihr unter.«

»Das sein Dienstbote. Was wird sagen ihre Herrschaft?«

»Sie hat mir g’steckt45, dass ihre Herrschaft weg is’. Auf Sommerfrische. Irgendwo am Land, wo’s noch was zum Fressen gibt.«

Ambrosius Zach und Karel Husak verließen schleunigst das Haus an der Wienzeile, in dessen zweitem Hinterhof der erschlagene Stanislaus Gotthelf lag. Für ein paar Heller hatte er die beiden als Bettgeher bei sich in der Hinterhofhütte unterschlüpfen lassen. Das war praktisch gewesen. Bei Gotthelf hatten sie keinen Meldezettel ausfüllen und keine unnötigen Fragen beantworten müssen. Das Geld hatten sie vom letzten Einschleichdiebstahl, den sie bei ihrem Marsch nach Wien begangen hatten. Im Schwarzatal hatten sie einen Bauernhof mit offenen Türen und niemandem daheim vorgefunden. Das Geld war unter der Matratze versteckt gewesen. Zusätzlich hatten sie auch Schmalz und Brot aus der Speisekammer sowie neues Gewand aus dem Kasten des Schlafzimmers und frische Wäsche aus der Waschküche entwendet. Kaum mehr als eine halbe Stunde hatten sie gebraucht, um alles zu finden und wieder zu verschwinden. Solche Einschleichdiebstähle hatten sie während dieses Frühjahrs und Sommers zahlreiche verübt. Es war auch zu einfach: Die Männer und Buben im wehrpflichtigen Alter kämpften draußen an der Front. Die Frauen daheim mussten schauen, dass die Felder bestellt, das Heu gemacht und das Vieh gehütet wurde. Da man am Land sowieso nie die Türen versperrte, hatten Zach und Husak als Einschleichdiebe leichtes Spiel gehabt.

Husak ging zwei Schritte hinter Zach. Immer wenn dieser innerlich vor Wut bebte, hielt der Böhme Abstand. Oft genug hatte er schon Zachs Wutanfälle miterlebt. Das war nicht angenehm. Zach hatte die Fäuste in die Taschen seines in der Steiermark gestohlenen Lodenjankers versenkt und schritt voll Anspannung durch die Menschenmenge, die sich am Naschmarkt herumtrieb. Beim Verlassen des Innenhofs hatte er mehrmals gegen die Mauer der Einfahrt getreten und geflucht:

»So a Oaschpartie! Jetzt samma wieder ohne Obdach!«

Erst war ein Tritt gegen eine Seitentür erfolgt, die scheppernd nach innen aufflog.

»Hurerei und Bigamie!«

Zach hatte dann gegen einen Flügel des mächtigen Einfahrtstores getreten und sich dabei die Zehen angehauen. Rasend vor Zorn war er hinaus auf die Wienzeile gehüpft. Dabei hatte er leise vor sich hin geflucht. Husak hatte grinsen müssen. Geschieht ihm recht, hatte er sich gedacht, aber nichts dergleichen gesagt. Dass Zach seinen Zorn an ihm abreagierte, hätte ihm gerade noch gefehlt.

45 verraten

I/3

Ein Lausbub in zerfetzter Kleidung kam ihnen entgegengerannt. Die Menge stob auseinander, der Bub wurde von einem keifenden Marktweib verfolgt.

»Oaschwarz’n46! Gib sofort die Zwetschken her, die du mir g’stohlen hast!«

Der Bub stürmte auf Zach zu. Offensichtlich dachte er, dieser würde so wie alle anderen ausweichen. Doch da hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn der Wirt war in diesem Fall Zach, der ihm die Rechnung in Form einer fürchterlichen Tetschn47 servierte. Und nicht nur das! Zach war auch im letzten Augenblick zur Seite gesprungen und hatte dem Lauser ein Bein gestellt. Die Kraft der Watsche48 und der Hebelmoment des gestellten Beins beförderten den Buben aus der Vertikalen in die Horizontale. Mehr hatte der Unglücksrabe nicht gebraucht. Das Marktweib, es war die Naschmarkt-Helli, stürzte sich wie eine Hyäne auf ihn. Sie hob ihren bodenlangen Rock, wobei man ihre von Krampfadern verunstalteten Beine zu sehen bekam, und hockte sich auf ihn. Gerade so, als ob sie einen jungen Hengst zureiten würde. Sie zog allerdings nicht an den Zügeln, sondern prügelte wie wild auf den Buben ein. Husak wandte sich ab. Solche Gewaltorgien erzeugten bei ihm Brechreiz. Zach hingegen sah mit sensationslüsternem Glitzern in den Augen der wüsten Rauferei zu. Die Naschmarkt-Helli war ein kräftiges Weib, das ihr Leben lang schwere Gemüse- und Obstkisten gestemmt hatte. Mit so einer legte man sich normalerweise nicht an. Der Lausbub hingegen war ein verhungertes Zniachtl49. Allein dieser physische Gegensatz zog zahlreiches Publikum an.

»Gemma! Helli, gib’s ihm. Der hat schon öfters g’stohln.«

»Das Gfrastsackel50 kriegt jetzt Dresch …«

»Der arme Bua! Hören S’ auf, Frau Helli! Ich kauf nie wieder was bei Ihnen!«

»Net aufhören! Weitermachen!«

»Helli, hau ihm a Wendeltreppn in Schädel!«

»Brich ihm die Finger! Dem Rotzer51!«

»Wenn S’ net sofort aufhören, kauf i wirklich nie wieder was bei Ihnen.«

Helli hielt kurz inne. Schaute die gnädige Frau böse an und knurrte:

»Hau die über die Häuser, du Schastrommel52!«

Und schon kassierte der Lausbub die nächste Gnackwatschn53.

»So eine Unverschämtheit! Polizei! Wo ist denn die Polizei?«

»Bin eh schon da.«

Ein beleibter Sicherheitswachmann schob sich durch die gaffende Menge. Ohne Umschweife packte er die Fratschlerin54 am Genick und riss sie von ihrem Opfer herunter.

»A Ruh’ is’!«

Die Naschmarkt-Helli schlug windmühlenartig um sich und traf dabei den Helm des Sicherheitswachmanns. Laut schrie sie auf. Der Beamte beutelte sie energisch. Und zwar so lange, bis sie schließlich in sich zusammensackte. Dann fauchte er:

»Narrische Gretl. Willst in Häf’n55?«

Die Fratschlerin schüttelte betreten den Kopf. Der Polizist ließ sie los und knurrte:

»Dann schleich dich! Aber schnell.«

»Danke, Herr Inspector …«

»Kusch.«

Der Sicherheitswachmann wandte sich nun dem Lauser zu. Der saß benommen auf dem Erdboden und heulte vor sich hin.

»Du schleichst dich ebenfalls. Rotzer!«

Das brauchte er dem Buben nicht zweimal zu sagen. Von den unzähligen Schlägen noch ganz benommen, kroch er auf allen vieren davon. Nicht ohne zuvor mit blitzschnellen Griffen die gestohlenen Zwetschken, die aus seiner Hosentasche gerollt waren, wieder einzustecken.

»Jetzt hat sich der G’schissene das g’stohlene Obst behalten.«

»Lassen S’ den armen Buben in Ruhe. Der hat ja nur Hunger.«

»Wer hat das heutzutage net?«

46 Arschwarze

47 Ohrfeige

48 ein weiterer Wiener Ausdruck für eine Ohrfeige

49 kleine, schwache Person

50 Schimpfwort; wird wie »Arschloch« eingesetzt

51 Rotzbub

52 alte Frau, die von Blähungen geplagt wird

53 Schlag in den Nacken

54 Marktweib

55 Gefängnis

I/4

Zach steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte zufrieden vor sich hin pfeifend über den Markt. Husak folgte ihm. Zahlreiche Stände hatten geschlossen, die, die offen hatten, boten meist Zwetschken und dicke Pflaumen an. Dieses Obst gab es derzeit im Überfluss. Seltener und viel begehrter waren hingegen Salatgurken und Rüben. Trotz der geschmalzenen56 Preise standen Trauben von Menschen an, um sich mit diesen Gemüsen einzudecken. Vor einem Stand, der frische Kürbisse anbot, hatte sich eine elendslange Menschenschlange gebildet. Zach beobachtete, dass Husak einen sehnsüchtigen Blick auf die zu einer Pyramide aufgetürmten Kürbisse warf. Grinsend sagte er:

»Willst dich net auch anstellen?«

»Warum?«

»Weilst genauso a Wappler bist wie die, die was da anstehen. Du lasst dir ja auch alles g’fallen.«

»Gib einen Frieden. Musst nicht mich beleidigen. Hab’ nix dir getan.«

Zach schlug ihm auf die Schulter und brummte:

»War net bös’ gemeint. War nur so ein Gedanke …«

Schweigend schlenderten sie hinunter zum Gasthof Zur Bärenmühle. Zach klopfte Husak gönnerhaft auf die Schulter.

»Weißt was? Trink ma a Krügerl57. Ich lad’ dich ein.«

Husak nickte und die beiden betraten die Gaststätte, in der sich allerlei uniformiertes Volk aufhielt. Feldsoldaten, Urlauber, Verwundete, die alle seltsame zusammengestoppelte Uniformen trugen, die in keiner Adjustierungstabelle für das k. u. k. Heer und die k. k. Landwehr zu finden waren. Wie zum Beispiel ein junger Bursch, der mühsam aus einem viel zu groß geschnittenen, schlotternden Soldatenmantel lugte. Auf seinem Haupt befand sich statt des Militärtschakos eine graue Sportmütze. Oder ein älterer Soldat, der mager wie ein Skelett war und dessen spinnenartigen Arme aus einem viel zu kleinen Waffenrock herausragten, der noch aus Friedenszeiten zu stammen schien. Mein Gott, dachte Husak. Was ist aus der einst so glanzvollen k. u. k. Armee geworden? Elendsgestalten, die in unpassenden, geflickten oder auch zerfetzten Uniformen durch die Reichshaupt- und Residenzstadt geisterten oder in Beisln58 wie diesem hier schweigend bei ihrem Bier saßen. Sie nippten alle nur an den Biergläsern, denn es galt noch immer die Verordnung, dass man als Gast nur ein Bier pro Gaststätte bekam. Husak und Zach setzten sich an einen Fensterplatz, betrachteten das Treiben draußen am Markt und nahmen hin und wieder einen Schluck Bier. Husak döste schließlich ein. Kein Wunder: Es war ein drückend schwüler Sommertag. Der anfangs blaue Himmel war nun von Wolken bedeckt, ohne dass es dadurch merklich abkühlte.

Plötzlich rammte Zach seinem Gefährten den Ellbogen in die Seite.

»Heast, wach auf! Draußen is’ grad die Köchin vorbeigegangen.«

56 teuren

57 großes Bier

58 Kneipen

I/5

Husak war noch immer ganz verschlafen, als er hinter Zach und der Köchin die Treppen hinauf in den zweiten Stock stieg. Zach führte ununterbrochen Schmäh, die Köchin gurrte und lachte. Husak war nicht ganz wohl bei der Sache, doch was sollte er tun? Also stapfte er hinter den beiden Turteltauben her. Er beobachtete, wie die Köchin den Hintern hin und her schwang und kuderte59. Die braucht dringend einen Mann, dachte Husak. So wie sie sich aufführt, fallt die dem Zach in den Schoß. Wie eine reife Frucht. Und so kam es auch. In der herrschaftlichen Wohnung, in die sie die Köchin hereinbat, roch es nach Kampfer und Naphthalin. Die Möbel im Salon und im Esszimmer waren mit Leintüchern abgedeckt, alle Jalousien heruntergelassen. Die Herrschaften, die hier normalerweise wohnten, waren verreist.

»Kommt’s weiter, meine Herren! Die Zimmer lasst ihr in Ruhe, die gehen euch nix an. Ihr könnt euch bei mir in der Küche und in meinem Kammerl aufhalten.«

»Wird das nicht a bisserl eng?«

Die Köchin fuhr dem frech grinsenden Zach durchs ungekämmte Haar und gurrte:

»Was heißt eng? Kuschelig wird’s. Sehr kuschelig.«

Zach klopfte ihr mit der flachen Hand auf den Hintern. Sie quietschte vor Vergnügen. Husak war nun endlich wieder wach und fand das alles geschmacklos. Die Köchin führte die beiden durch ein langes Vorzimmer in ihr Reich. Es bestand aus einer geräumigen Küche, einer Speisekammer und einem Kammerl, in dem ein Bett und ein wackliger Kasten standen.

»So, meine Herren! Das ist mein Herrschaftsbereich. Fühlt euch wie zu Hause.«

Eine Einladung, der Zach ohne zu zögern nachkam. Er stellte den zuvor in im Gasthof Zur Bärenmühle gekauften Doppelliter Wein auf den Küchentisch und begann, in der Tischlade herumzukramen.

»Wennst einen Korkenzieher suchst, dann ist der in der linken Lade der Kredenz60.«

Während Zach sich dorthin wandte, setzte sich die Köchin neben Husak auf die Küchenbank und legte ihre Hand auf seinen Schenkel. Als er infolge der Berührung zurückzuckte, lächelte sie ihn an und sagte:

»Gell, du bist a Ruhiger, a Schüchterner. Net so a Wildsau wie der da.«

Zach wandte sich um und feixte:

»Du hast ja gar keine Ahnung, wie wild i bin.«

Mit dem Korkenzieher und Gläsern in der Hand kehrte er zum Tisch zurück. Mit kundigem Griff entkorkte er den Doppler. Husak war ganz übel bei dem Gedanken, wie teuer der Wein gewesen war. 32 Kronen! Ein Vermögen. Aber Zach war das wurscht. Er hatte vorgehabt, die Köchin unter Alkohol zu setzen, um sie anschließend ins Bett zu bekommen. Eine Investition, die sich als völlig überflüssig herausstellte. Kaum hatte Zach nämlich auf der Eckbank Platz genommen, rückte die Köchin ihm zu Leibe. Er schenkte Wein ein, stieß mit ihr an und kaum, dass er den ersten Schluck unten hatte, küsste die Köchin ihn auf den Mund, worauf die beiden heftig zu schmusen begannen. Husak war das peinlich. Er stand auf und ging hinaus. Da ihm nichts Besseres einfiel, begab er sich auf die Suche nach dem WC. In der geräumigen Wohnung musste er einige Türen öffnen, bevor er das stille Örtchen fand. Hierher zog er sich fürs Erste zurück.

59 kichern

60 (Küchen-)Kasten

1 052,39 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
283 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839256121
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
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