Читать книгу: «Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen», страница 5

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„Richtig, da stimme ich dir zu. Allerdings müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn die Unterstützung durch den Bürgermeister Stobener, dem Ratsherrn von Pirne und Vater Roselers Quelle nicht ausreichen würde.“ Ruprecht ist sich seiner Sache sehr sicher, doch der Vater mahnt: „Wenn es für die Stadt von Nutzen ist oder es dem Landesherrn so gefällt, dann kann trotz allerbester Schreibkunst die Entscheidung ganz anders ausfallen. Habe also lieber Geduld, bis man dich wirklich benannt hat und freue dich dann doppelt.“

„Das ist sehr weise gesprochen“, mischt sich die Mutter ein, „seinerzeit der Bauerngeneral Rudolf hat auch Großes geleistet für die Unsrigen und musste dennoch den Undank der Nachbarn ertragen und auf Wunsch der Obrigkeit aus dem Dorfe ziehen. Warte also die paar Tage und trinke dann darauf dein Bier. Du kannst dir heute einen Krug voll kaufen, aber trinke ihn nicht auf den Erfolg, den musst du erst sicher haben.“

Die nächsten Tage verbringt Rudolf wie im Fieber. Von morgens bis abends steht er in der Werkstatt und verrichtet die einfachsten Arbeiten. Seine mangelnde Konzentration ist gar zu auffällig, so dass ihn der Vater nur Rundholz auf Länge schneiden lässt. Immer wieder malt er sich aus, wie ihm das Amt des Stadtschreibers angetragen wird. Gewiss doch, er freut sich sehr auf diese Aufgabe und er hofft inbrünstig, dass die Entscheidung zu seinen Gunsten fallen wird. Dennoch sitzt ganz hinten in seinem Kopf eine kleine Ungewissheit, die ihm der Vater mit seiner Mahnung eingegeben hat.

Wie froh ist er, dass er mit seiner Martha zusammengefunden hat, die ihn während der abendlichen Spaziergänge durch die Gassen und vor der Stadt an sein Glück zu glauben ermuntert hat. Nur der alte Roseler zeigte eine merkwürdige Reaktion, als er von Ruprechts Zusammentreffen mit dem Ratsherrn von Pirne erfuhr. „Es war dir wohl nicht sicher genug, dich auf mich zu verlassen? Meinst wohl, dass ein alter Schuhmachermeister nichts mehr zu Wege bringt?“, hatte er geklagt und Ruprecht letztendlich empfohlen, ganz auf seine Hilfe zu verzichten.

„Wenn das mit der Schreiberei nichts wird, sehe ich schwarz für deine Zukunft!“, holt Paul seinen Bruder in die Gegenwart zurück. Sehenden Auges träumst du und vergisst das Arbeiten. Die Rundhölzer schneidest du nicht zum Vergnügen! Davon brauche ich bis Mittag zweihundert Stück – nicht nur auf die richtige Länge gebracht, sondern auch gefast! Das wird ein Geländer für die Badestube im Spitzgässchen.“ Kopfschüttelnd sieht er Ruprecht an. „Menschenskind, Großer, lass dich nicht so gehen!“

Ruprecht hebt die Schultern. „Was soll ich machen, die Warterei treibt mich noch in den Wahnsinn. Aber das kann dir egal sein, der neue Herr der Tischlerei bist du.“

„Es ist mir eben nicht egal und die Werkstatt hätte dir gehören können. Ich hoffe nicht, dass wir uns deswegen in Zukunft streiten werden. Trotzdem, sieh zu, dass die Arbeit zügig und vor allem unfallfrei erledigt wird!“ Wütend schlägt Paul die Tür hinter sich zu, dass die Lederbänder zu reißen drohen. Kreidebleich starrt der Gescholtene auf das dunkle Türblatt. Das hat er nicht gewollt, keinen Streit mit den Geschwistern! Die jetzige Lage hat er einzig und allein sich selbst zuzuschreiben!

Eben will er dem Bruder nacheilen, da hört er in der Stube Paul zu jemand sprechen. Gleich darauf öffnet sich die Tür erneut und es tritt der Herr von Pirne in die Werkstatt. „Will ich doch mein Schreibwunder einmal besuchen. Guten Morgen, Preschers Junior. Von dir hört man ja tolle Sachen. Du musst – wenn man dem Herrn Bürgermeister glauben kann – tatsächlich ein richtiggehendes Schreibwunder sein. Jetzt würde ich mich gern davon überzeugen, aber du hast gerade anderes zu tun.“

Ruprecht weiß nicht so recht, wie er sich verhalten soll. Am liebsten würde er die Frage stellen, ob vom Stadtrat schon eine Entscheidung gefällt worden wäre, aber das scheint ihm zu unverschämt und so antwortet er nur: „Ich kann gern die Arbeit unterbrechen, sie ist ohnehin gerade mal eines Lehrbuben würdig. Nur müsst Ihr ein paar Augenblicke Geduld haben, dass ich die Schreibutensilien herbeischaffe.“

Lachend lehnt der alte Ratsherr ab. „Lass mal, Ruprecht Prescher. Ich werde doch dem Herrn Bürgermeister nicht misstrauen. Er wird uns im Rat kaum falsche Papiere vorgelegt haben und dein Brief, den er uns offerierte, hat uns allen sehr gefallen. So bin ich vom Rat beauftragt, dir deine Berufung mitzuteilen. Morgen zur neunten Stunde wirst du in der Schreibstube im Rathaus zum Amtsantritt erwartet.“

Wenngleich sich Ruprecht diese Mitteilung sehr gewünscht hat, so wie sie ihn jetzt erreicht, kommt ihm alles sehr unwirklich vor. Ihm rauscht das Blut in den Ohren und vor seinen staunenden Augen lässt der Schwindel die Werkstatt schwanken. Tastend sucht seine linke Hand über die Hobelbank. Mit weichen Knien lässt er sich endlich auf dem Hocker nieder. Während die Säge ihre scharfen Zähne, einem Raubtier gleich, in den linken Handrücken schlagen will, die rechte Hand das Werkzeug aus der Führung entlässt.

„Nun pass doch auf!“ Bleich vor Schreck ergreift von Pirne den Sägebügel und bannt die Gefahr einer ernsthaften Verletzung. „Jetzt verstehe ich vollkommen, warum dir dein Vater die Werkstatt nicht überlassen will. Du bringst dich noch selbst darin um!“

Sein Vorwurf ist nicht unberechtigt weiß Ruprecht. Eben diese unbedachten Handlungen stellen seine Eignung für das Handwerk nur zu deutlich in Frage. „Dein Platz kann nur in der Schreibstube sein. Dort bist du auf jeden Fall souverän“, ergänzt der Alte und der Gemaßregelte nickt zustimmend, während er die fünf Blutstropfen vom Handrücken leckt.

„Dank Euch, Meister Hans“, versucht der neu ernannte Schreiber die Situation zu lockern. „Darf ich Euch einen Krug Bier spendieren, als Dank für die frohe Kunde?“

Der Ratsherr wiegt den Kopf bedächtig. „Gegen einen Krug Bier wäre an sich nichts einzuwenden, aber so früh am Tag verdirbt er mir nur die Geschäfte. Lass mal, junger Prescher, morgen Abend komme ich gern herüber und dann darfst du mir den einen oder anderen Krug spendieren.“ Mit der Abgeklärtheit des erfahrenen alten Mannes klopft ihm der Gast auf die Schulter und wendet sich dem Ausgang zu. „Grüß mir den Meister und die Frau Meisterin!“, lässt er noch hören. Dann schlägt hinter ihm die Tür zu.

Ruprecht weiß vor Freude nicht, was er sogleich tun soll. Er könnte singen oder vor Freude schreien, aber das scheint ihm zu unangemessen und so eilt er aus der Werkstatt, den Seinen die frohe Botschaft zu überbringen.

Wie es sich in solchen Situationen nur allzu gern ergibt, sieht er sich völlig allein im Haus. Der Vater und der Paul sind in der Badestube, die Mutter wird Besorgungen erledigen und die Schwestern sind bei Mechthild in der Lehre. Weil er sich aber auch nicht den Nachbarn aufdrängen will, geht er in die Werkstatt zurück und wendet sich seiner Aufgabe zu. Es fällt ihm gar nicht auf, dass zwar seine Gedanken weiterhin abschweifen, die Arbeit nunmehr aber wie von allein durch seine Hände geht. Es ist noch lange nicht Mittag, als er alle Rundhölzer fertig geschnitten und gefast hat, worauf er sich entschließt, die Stäbe sogleich zum Vater in das Spitzgässchen zu bringen und ihm endlich die Neuigkeit zu unterbreiten.

Eilig belädt Ruprecht den Karren, den er vor der Hintertür der Werkstatt abgestellt hat und es bereitet ihm doch erhebliche Mühe, die zweihundert Rundhölzer rutschfest unterzubringen, dass sie nicht auf dem holprigen Pflaster herunterfallen. Zweifellos ist es einfacher, große Möbelstücke zu transportieren, als diese Unmenge Einzelteile. Vorsichtig hebt er die Holme an, dass die Last nur noch auf der Achse mit den zwei großen Rädern zu liegen kommt und es erleichtert ihn sichtlich, dass sich die Ladung nicht verschiebt. Langsam und behutsam rollt er das Gefährt in die Gasse und es folgt willig dem Druck des Lenkers. Bald schon hat er den Topfmarkt hinter sich gelassen und schiebt den Karren die letzten Schritte durch das Spitzgässchen.

Vor der Badestube steht Paul mit einem Fremden zusammen, dem er offensichtlich gerade etwas erläutert. Als er seinen Bruder entdeckt, bleiben ihm jedoch die Worte im Halse stecken und mit offenem Mund starrt er dem sich nähernden Karren entgegen. Sein Gesprächspartner wendet sich teils konsterniert, teils neugierig um, die Ursache der Unterbrechung zu ergründen. Weil ihm aber der profane Transport von Rundhölzern als Auslöser der Stockung im Gespräch nicht aufgeht, schüttelt er nur erstaunt seinen Kopf und entfernt sich in Richtung Hofbreite.

„Mach den Mund zu, die Milchzähne werden sauer!“, ulkt Ruprecht, als er vor der Badestube zum Stehen kommt. „Du hast gesagt, dass du bis Mittag die zweihundert Stäbe brauchst. Hier sind sie, fertig zum Einbau und ohne jeden Makel.“

Der Jüngere schluckt fassungslos. „Was ist los? Vor zwei Stunden war kein Vorwärtskommen zu erkennen und jetzt bist du fertig? Hat dir der Heilige Geist Beistand geleistet oder kannst du zaubern?“ Er greift in die Ladung und zieht drei Stäbe heraus, die bar erkennbarer Fehler sind und einander aufs Haar gleichen. Ohne es fassen zu können starrt er auf die Fuhre, während Ruprecht, vor sich hin pfeifend, ins Badehaus geht, um nach dem Vater zu sehen. Der kniet im Haus auf der Empore hinter den Badezubern und verankert soeben einen Pfosten, der später dem Geländer mit dem Handlauf Halt geben soll.

Ohne aufzublicken knurrt der Tischlermeister: „Geh aus dem Licht, du Schwätzer! Stehst draußen und tratschst mit dem Fremden, während ich mir die Finger verrenke, weil der blöde Pfosten keinen Halt finden will!“

Ruprecht muss schmunzeln. Immer hatte er geglaubt, der Alte würde nur auf ihn schimpfen, dabei geht es Paul in dieser Hinsicht nicht besser. „Ich habe nicht mit Fremden gesprochen, Vater. Ich bringe nur die Rundhölzer und will dir bei dieser Gelegenheit gleich mitteilen, dass ich ab morgen nicht mehr in der Tischlerei arbeite.“

Erstaunt fährt der Tischler herum. „Was denn, du bist es? Ich denke, du kommst mit der Arbeit nicht voran? Paule hat da so etwas verlauten lassen. Und was heißt, du arbeitest nicht mehr in unserer Werkstatt?“

„Na ja, hin und wieder werde ich in der Werkstatt schon noch mit zufassen, wenn ihr mich lasst. Aber hauptsächlich werde ich ab morgen in der Schreibstube meinem Tagewerk nachgehen. Eben war der Ratsherr von Pirne bei uns und hat mir die frohe Botschaft überbracht.“

So schnell es die ungelenken Knie zulassen, erhebt sich der Tischlermeister und schließt, was sonst überhaupt nicht seine Art ist, seinen Ältesten in die Arme. „Na, Gott sei es gedankt!“, seufzt er. „Nun wird doch noch alles so, wie wir es geplant haben. Hast du schon dem alten Roseler Bescheid gegeben?“

Ruprecht, dem die Umarmung nicht unangenehm, wohl aber ungewohnt ist, entwindet sich sacht dem väterlichen Griff. „Du bist der Erste, der es erfährt, das wollte ich so. Dann teile ich es dem Rest der Familie mit und erst dann all den anderen Leuten.“

Der Vater stimmt ihm zu, meint aber: „Ist schon recht so, nur geht es vor allen Dingen gerade die Roselers auch direkt etwas an. Ab sofort müssen sie für dich mit uns zumindest fast ebenbürtig sein. Also mache dich hin zum Haus des Schuhmachers und erzähle ihm alles. Gerade deine Martha dürfte es freuen, will sie bald dein Weib werden.“

Dieses Argument reicht aus, dass Ruprecht eilig aus dem Haus springt. Im Vorübergehen schlägt er Paul die flache Hand zwischen die Schulterblätter und meint: „Kannst jetzt den Karren abladen, Vater braucht das Holz!“, und hastet davon.

DIE VISION AN DER HOCHZEITSTAFEL

Es kommt nicht alle Tage vor, dass in der Gasse „Hinter der Bach“ Hochzeit gefeiert wird und so haben alle Nachbarn ihren Beitrag geleistet, um ein gelungenes Fest zu erleben. Die Gasse wurde vom Brautpaar, nachdem gestern mit lautstarkem Gerassel und vielen Scherben die Unglücksgeister vertrieben wurden, mit einer Intensität gefegt, dass die Bruchsteine der Fahrbahn zwischen den seitlich begrenzenden uralten Baumstämmen wieder deutlich zu erkennen sind. Eine lange Tafel zieht sich von Roselers Haus bis hoch zum Anwesen von Lorenz Ule. Musikanten und Gaukler umschwirren die Hochzeiter und deren Gäste, dass es nur so seine Art hat.

Seit die Brautleute von Sankt Jakobi zurückgekommen sind, wird hier gezecht, getanzt und gesungen. Verwandte, Freunde und Bekannte aus der ganzen Stadt, aus den Vorstädten sowie den nahen Dörfern sitzen zwischen all den Nachbarn und lassen das junge Paar immer wieder hochleben. Selbst der Bürgermeister Stobener und all die Ratsherren haben es sich nicht nehmen lassen und sind bei der Hochzeitsfeier des jungen Stadtschreibers zugegen.

Freilich hätten weder die Brauteltern noch die Preschers, selbst beide Familien zusammen, die Beköstigung der vielen Gäste je tragen können. Aber da ein Hochzeitsfest solch ein freudiger Anlass ist, roch es schon tagelang in allen Häusern der Gasse recht lecker und nun biegt sich die Tafel unter all den Köstlichkeiten.

Ein Zufall ist es gewiss, dass der Herr Pfarrer und die Mutter Mechthild gegenüber der Braut nebeneinandersitzen, flankiert vom Schulmeister und dem Ratsherrn Pirne.

„Ich fühle mich wie im Heiligen Land“, bemerkt der Pfarrer soeben und zeigt sehr bedeutungsvoll auf die Tafel. „Der Korb mit dem Brot wird nicht leer und Wein gibt es in Hülle und Fülle. Das ist eindeutig eine Ehe im Zeichen des Herrn!“ Der Schulmeister nickt zu diesen Worten sehr weise und meint dann belehrend: „Bei Gott, so ist es. Nur ist das Brot hier Kuchen und manch andere Spezerei.“ Worauf das Kräuterweib bemerkt: „Und wenn bei der Hochzeit zu Khana das Wasser zu Wein wurde, dann müssen wir hier eher damit rechnen, dass nach und nach das gute Bier zu Wasser wird.“

Entrüstet lehnt sich der Pfarrer zurück. „Welcher Vergleich ist denn das, Weib?! Du wirst doch nicht die heiligen Gaben unseres Herrn mit der geizhalsigen Panscherei mancher Wirtsleute gleichsetzen!“ Die Alte zieht den Mund breit und lässt die braunen Zahnstummel sehen, die ihr die Jahre von ihren ehemals strahlend weißen und ebenmäßigen Zahnreihen gelassen haben. „Wie werde ich, Herr Pfarrer? Ich meine nur, wir sollten nicht im Übermaß genießen und lieber im Interesse der Brautleute darauf achten, dass stets nur das Beste auf der Tafel gereicht wird.“

„Das ist nicht zu weit hergeholt“, stimmt der Schulmeister zu, „selbst im ‚Ritter zum Sankt Georg‘ soll zu später Stunde das Bier verdächtig nach Bernsbach schmecken, habe ich sagen hören. Es heißt, der Wirt hätte den Wasserlauf unter seinem Haus extra deswegen angestaut.“

„Nun sitzt ihr wohl den übelsten Verleumdungen auf?“, mischt sich Hans Prescher in das Gespräch. „Unter ehrlichen Chemnitzern ist es nicht üblich, sich zu betrügen, aber um euch zu beruhigen: das Bier ruht schon seit drei Tagen in seinen Fässern bei mir in der Werkstatt und ich habe jedem Fässchen eine gute Probe entnommen.“

Beruhigt prosten sich die Männer zu, während sich Mutter Mechthild ihren Becher aus der Weinkanne füllt. Der vollmundige rote Tropfen von den Hängen der Saale sagt ihr mehr zu als der einheimische Gerstentrunk, der so schnell den Kopf schwer werden lässt. Wie es heißt, soll es bei Meißen auch Weinberge geben, die den Hof des Kurfürsten beliefern, aber von solchem Tropfen zu kosten, war ihr bislang noch nicht vergönnt. Außerdem liebt sie den Gedanken, dass der Wein in ihrem Becher aus den gleichen Landen kommt wie ihre Vorfahren.

Träumerisch schließt sie die Augen und lässt den Schluck über ihre Zunge perlen. Unversehens rücken die Geräusche um sie herum in den Hintergrund, dringen an ihr Ohr nur noch wie durch Watte. Die ganze Gesellschaft erscheint ihr wie von orangem Licht übergossen und plötzlich, gänzlich ohne jeden Laut, führt das Brautpaar alle Gäste aus der Stadt hinüber zum Katzberg, wo sie durch ein großes offenes Tor in der Erde verschwinden. Um das Tor herum aber stehen fremde Söldner in drohender Haltung, vermögen jedoch nicht, ihre Speere zu werfen und so scheinen sie im Schrei der Wut erstarrt. Ein Blick zurück zeigt ihr, dass eine Feuersbrunst die Stadt in Schutt und Asche legt. Erschrocken schreit Mutter Mechthild die Warnung in die unwirkliche Stille: „Gefaaaahr!“

„Was schreist du da, Weib?!“ Urplötzlich sieht sich die Alte wieder inmitten der Hochzeitsgesellschaft den neugierigen Blicken der Gäste ausgesetzt. Der Pfarrer hat mahnend die Hand erhoben und starrt ihr in die Augen. „Ist der Gehörnte in dich gefahren? Was plärrst du da von Gefahr, wo der Anlass des Festes glücklicher nicht sein könnte?!“

Scheinbar demütig senkt Mechthild den Blick. „Entschuldigt, Hochwürden. Es war wohl ein Schluck zu viel, den ich durch meine Kehle rinnen ließ. Ich sah die Tischkante auf mich zukommen und meinte, es sei eines Schwertes Klinge, daher mein Schrei. Entschuldigt einem alten Weib. Ich werde besser auf mein Nachtlager kriechen.“

Auf gar keinen Fall will sie den Schwarzkittel ins Vertrauen ziehen, denn es war kein Traum, sondern eine Erscheinung, die ihr widerfahren ist. Dies aber sollte der Herr Pfarrer besser nicht bemerken, die Folgen wären eine Katastrophe, für sie und all jene, die ihre besonderen Fähigkeiten nutzen. Es wirkt ein wenig mühselig, wie sie sich von der Bank erhebt und die alten Beine über die sperrige Bank zu bringen trachtet.

Der Pfarrer sieht sich noch immer von Misstrauen durchdrungen und so forscht er im Gesicht seiner Nachbarin. Wie trunken wirkt sie nun gerade nicht auf ihn, aber was hat sie zu dem Warnruf getrieben? Dieser Frage will er auf den Grund gehen und so richtet er seine Aufmerksamkeit weiter auf die Alte, die ihm nunmehr den Rücken zukehrt. „Was tischst du mir da für ein Märchen auf? Die drei Schluck in deinem Becher machen keine Fliege wirr.“

Der alte Schlosser Bronnewitz drängt sich an den Pfarrer heran und schniefend lässt er seinen fauligen Atem in dessen Nase dringen, dass der sich ihm unwillig zuwendet. „Was willst du, dass du deinen stinkigen Odem in mein Gesicht bläst?“

Entrüstet nuschelt der Alte: „Wenn das mal eine Art ist, Hochwürden! In meinem Alter riecht man nicht mehr nach Veilchen, sondern eher nach Pisse. Aber deswegen ist man nicht blöd und will auch nicht so behandelt werden.“

„Gegen den Geruch hilft das Wasser hinterm Haus, man muss sich nur waschen. Aber du stinkst aus dem Maul, als verfaultest du innerlich. Vielleicht solltest du öfter mit einem Kräutersud gurgeln. Da weiß die Mechthild bestimmt Abhilfe, wo sie sich mit dem Grünzeug so gut auskennt“, versucht der Pfarrer zu beschwichtigen, doch der alte Schlossermeister ist nicht halb so empört, wie er sich gibt. Weil er in Mechthild etwas Besonderes sieht, er sie als weise Frau schätzt, gilt sein Sinnen, den Kirchenmann abzulenken und so erwidert er: „Das will ich versuchen, Herr Pfarrer, aber damit warte ich lieber bis morgen, habe ich doch die Mechthild vorhin schon im Hause der Brauteltern trinken sehen. So wie sie jetzt drauf ist, gibt sie mir vielleicht Latrinenwasser zum Gurgeln.“ Angeekelt winkt der Pfarrer ab und will sich der Alten zuwenden, aber die hat längst das Weite gesucht und so wandert sein Blick vergebens um das Rund.

Indes hat Mutter Mechthild das Prescherche Anwesen erreicht und eilig durchquert sie den Garten, um durch die Hintertür zu schlüpfen. Im Haus hofft sie, die Mutter des Bräutigams zu finden, denn an der langen Tafel hat sie diese schon geraume Zeit nicht mehr gesehen.

Tatsächlich hört sie Magdalena in der Werkstatt hantieren. „Hallo, ist da jemand?“, macht sie sich bemerkbar. „Magdalena, bist du im Hause?“ Endlich wird sie hereingebeten. „Komm in die Werkstatt, Mutter Mechthild, ich bin am Sortieren, damit nicht der falsche Trunk serviert wird und genug Brot auf dem Tisch steht. Willst du mir helfen?“

„Na gut, ein wenig kann ich dir beistehen, wenn du mir dabei zuhören willst. Es scheint etwas auf uns zuzukommen, was wir nicht steuern können“, nuschelt die Ältere und schlüpft durch die Tür – gar nicht einem alten Weib angemessen.

Erstaunt blickt ihr die Mutter des Bräutigams entgegen. „Um Gottes Willen, Mechthild, du siehst kreidebleich aus! Was ist dir widerfahren? Es scheint mir stark nach Ärger zu riechen. Bist du wieder mit dem Herrn Pfarrer aneinander geraten? Wie oft haben wir dir nahegelegt, diesen Zwist zu meiden. Nicht jeder Pfarrer ist initiiert und das weißt du ganz genau.“

„Nichts davon!“, wehrt die Seherin ab. „Ich hatte gerade eine Vision und kann sie nicht so recht zuordnen. Ich brauche die Unterstützung der anderen Weisen. Können wir uns nicht oben an der Ulme treffen, sagen wir zu Sonnenuntergang?“

Erschrocken richtet sich Magdalena auf. „Bist du wohl ruhig! Willst du die Leute auf uns aufmerksam machen? Wenn das jetzt jemand gehört hat!?“ Hastig nimmt sie einen Topf mit Hirse und lässt die Körner auf dem Boden des Gefäßes durch Schütteln tanzen, dass ein rasselndes Geräusch den Raum füllt und die weiteren Worte der beiden Frauen nicht nach außen dringen. „Nun sag schon, was dich so sehr durcheinander bringt, dass du alle Sicherheitsvorkehrungen unbeachtet lässt? Du bist sonst immer sehr auf deren Einhaltung bedacht.“

Mutter Mechthild hat sich auf dem Bretterstapel an der Wand niedergelassen und atmet schwer. „Du musst entschuldigen, aber die Vision hat mich arg getroffen und auch du wirst durch sie nicht ruhiger werden. Wir müssen uns unbedingt im Kreise der Weisen zusammensetzen, denn ich habe großes Unglück gesehen. Das Brautpaar hat die Stadtbewohner in den Katzberg geführt und fremde Söldner haben das Volk mit ihren Waffen bedroht.“

Wenngleich Mechthild sonst immer die resolutere der zwei Frauen ist, übernimmt jetzt Magdalena die Initiative und gewährt der Älteren den dringend benötigten Halt. „Nun bleib besonnen, Mechthild. Wie besagen unsere Regeln? Welchen Inhaltes auch unsere Visionen sind, erst müssen sie gründlich durchdacht werden, bevor wir in Gefahr geraten, falsche Schlussfolgerungen zu ziehen. Vielleicht steht das Gesehene in Verbindung mit dem späteren Leben der Brautleute? Vielleicht werden sie in ferner Zukunft die Stadt vor einer Katastrophe retten? Wir werden uns also heute Abend zusammenfinden. Gebe den anderen Bescheid, während ich mich weiter um das Fest kümmere.“

Entschlossen schiebt sie die Ältere aus der Tür und wendet sich wieder ihrer Arbeit zu. Eine dicke Sorgenfalte lässt die sonst so freundlich mit lustigen Runzeln verzierte Stirn in zwei bekümmerte Hälften klaffen und die eben noch so flotten Bewegungen sind nun bedächtig und verraten schwere Gedanken im Kopfe der Frau. Hoffentlich droht das Unglück nicht unmittelbar. Vielleicht hat der schwere Wein der Mutter Mechthild einen Streich gespielt? Aber sie kann die Überlegungen anstellen wie auch immer sie mag, eine Klärung vermag sie nicht herbeizuführen. Leider hat sie die Vision nicht selbst gesehen und so muss sie erst den Abend abwarten. Entschlossen schüttelt sie den Kopf und energisch wendet sie sich ihrer Tätigkeit zu, denn schließlich soll den Gästen das Hochzeitsmahl unvergesslich bleiben.

Wenig später tritt Magdalena auf die Gasse hinaus und gibt ihrem jüngeren Sohn zu verstehen, dass neuer Wein und frisches Bier herangebracht werden können, dass die Fässer und Krüge im Hause bereitstehen. Ihre Augen indes streifen die Tafel und suchen den Pfarrer, der sich nunmehr dem alten Schulmeister zugewandt hat und mit diesem eifrig debattiert, inwiefern die heutige Jugend den moralischen Ansprüchen des Lebens gewachsen sei. Erleichtert schmunzelt Magdalena. Offenbar hat der Priester doch keinen nachhaltigen Verdacht geschöpft. Vielleicht hat er nicht einmal den Hauch einer Ahnung. Stattdessen ereifert er sich gerade über die unfassbare Handlungsweise des Kunz von Kauffungen, dessen Beweggründe vom Schulmeister durchaus verstanden werden, wenngleich dieser den Tathergang an sich ablehnt.

„Der Ritter hat doch den Lohn vom König angenommen, was erdreistet er sich, mehr zu fordern?!“, wettert der Schwarzkittel. „Wenn er den Hals nicht voll bekommen kann, muss eben der Kopf herunter. Mir wäre nur lieber gewesen, der Schädel wäre nicht auf dem Freiberger Markt, sondern hier auf das Pflaster gefallen, dann gäbe es mehr Respekt vor der Obrigkeit!“

Nachdenklich reibt sich der Lehrer die Nase. „Tja, wenn er seine Rache nicht auf Kosten der Knaben vollzogen hätte, ich könnte es ihm nicht verdenken, Hochwürden. Ich kann nicht große Versprechungen machen und dann kneifen. Die Stadt muss auch den Bauern das Versprochene zahlen, ansonsten fließt das Wasser vom Goldborn eben nicht durch die Röhre in die Stadt, sondern in den Hilbertsdorfer Bach.“

Während Magdalena langsam weitergeht, glättet die Beruhigung die Spuren der Sorge auf ihrer Stirn. Nein, der Pfarrer hat keinen Verdacht geschöpft. Entspannt rutscht sie neben ihrem Hans auf die Bank und ergreift den Becher, denn soeben bringt der Bürgermeister Stobener einen Trinkspruch auf das Brautpaar.

„Was war denn mit der alten Mechthild los?“, fragt ihr Mann zwischen zwei Zügen von seinem Bier, den Schaum des Gerstensaftes in seinem Bart verteilend. „Hat sie sich mit dem Schwarzkittel angelegt oder geht es der Kräuterhexe nicht gut? Es ist doch sonst nicht ihre Art, so schnell zu verschwinden.“

Ärgerlich tritt ihm Magdalena auf den Fuß. „Du sollst sie nicht immer Kräuterhexe nennen! Irgendwann geht es ihr noch an den Kragen, nur weil du dich nicht beherrschen kannst! Johanna hat den Ausdruck schon von dir übernommen und das macht es noch schlimmer!“

„Nun hab dich nicht so, es ist doch nicht ernst gemeint! Es wird ihr schon keiner den Kopf abreißen. Außerdem muss sie sich nicht so deutlich als das zu erkennen geben, was sie ist“, wiegelt der Tischler ab. „Du gibst dich auch nicht so zu erkennen.“

„Und du musst noch ein Bier mehr trinken, damit du gar nicht mehr weißt, was du von dir gibst. Die ganze Stadt kann zuhören, worüber wir uns unterhalten und manch einer wäre vielleicht ganz stolz darauf, jemanden wegen Hexerei in Verruf zu bringen. Halte also lieber den Mund!“ Ärgerlich blickt sie in die Runde und stellt befriedigt fest, dass niemand von ihrem Wortwechsel Notiz genommen hat.

Plötzlich spürt sie Hans‘ Hand auf ihrem Arm. „Nur keine Sorge, mein Käuzchen, ich werde dich nicht in Gefahr bringen und habe gesehen, dass uns niemand wahrnimmt. Wir könnten von hier verschwinden und es würde im Augenblick niemand merken.“ Er zieht sie an sich und drückt ihr einen langen Schmatz auf die Wange, dem zu entziehen ihr trotz Mühe nicht gelingt und so lehnt sie sich an ihn und lächelt zart. „Ach, du großer Junge, wirst du nie erwachsen? Trotzdem solltest du vorsichtiger mit dem sein, was du von dir gibst. Wir haben hier nicht nur Nachbarn, die uns wohlgesonnen sind, sondern es gibt auch Neider, zumal unser ungeschickter großer Sohn auch noch Stadtschreiber werden konnte.“

„Nanu, was turtelt ihr denn hier? Das Brautpaar sitzt da vorn, ihr verwechselt da sicher etwas“, tönt es plötzlich zu ihnen herüber. Lorenz Uhle, der Metzgermeister hat sich ihnen gegenüber niedergelassen und lacht ihnen offen ins Gesicht. „Es ist immer wieder schön anzusehen, wie ihr auch nach so langen Ehejahren miteinander turtelt. Mein Weib wird mich einen alten Holzklotz schimpfen, weil unsere Liebe nicht mehr ganz so taufrisch erscheint. Wie macht ihr das nur?“

„Es kommt nicht darauf an, die Lenden des Viehs feilzubieten, sondern den Saft der eigenen Lenden freigiebig sprudeln zu lassen“, belehrt der Tischler den feisten Metzger, doch dieser wiehert: „Sprudeln ist gut, ich vermute aber eher, der Saft sickert mehr aus dem alten Gemächt.“

„Haltet die Luft an, Knochenhauer, Ihr zählt wohl über zwanzig Lenze mehr als ich. Allerdings macht mich stutzig, dass da acht Paar Kinderfüße durch Euer Haus trippeln. Aber das sind anscheinend Enkelkinder und damit mag das mit dem Sickern wohl eher auf Euch zutreffen“, erwidert Hans wohlgelaunt.

Lorenz Uhle lacht schallend über die Antwort seines Gegenübers. „Gut pariert, Hans Prescher. Ich schlage vor, wir trinken lieber einen Krug zusammen, als uns zu streiten. Wenn dein Weib uns das Vergnügen lässt?“

Magdalena nickt ihm huldvoll zu. „Diese Gunst will ich euch erweisen. Trinkt auf mein Wohl, während ich mich um die Gäste kümmern will.“ Leise lachend prosten sich die beiden Alten zu und lassen das edle Nass durch die Kehle rinnen.

Zufrieden zwinkert die Frau des Fleischers herüber und raunt verhalten: „Na, Prescherin, da haben sich zwei gefunden. Wenn es denen mit der Liebe so wäre, wie mit dem Krug, dann ginge es uns beiden besser, oder? Ich meine fast, der Lorenz hätte sein bestes Stück nur noch, um Wasser abzuschlagen. Wir sollten die beiden alten Kerle ein wenig vom Fass weglocken, sonst passiert heute wieder nichts.“

Glucksend lacht Magdalena in sich hinein. „Du meine Güte, Nachbarin, das hört sich sehr verschwörerisch an. Vielleicht hält es aber mein Hans anders und ich bin ganz froh, wenn er mich einmal abends in Ruhe lässt? Immerhin ist unser Kindersegen mittlerweile groß genug und wir sollten langsam auf Enkel warten.“

Die Ältere winkt ab. „Was denkst du denn? Die Enkel kommen von ganz alleine, das bringen die Jungen schon ganz gut. Aber das Vergnügen sollten wir uns gönnen, zumal nichts mehr passieren kann.“ Verschwörerisch schiebt sie der Jüngeren ihren Krug zu. „Komm Prescherin, füll mir richtig nach, ich will meinem Alten noch einmal den Weg in die Glückseligkeit zeigen.“

Magdalena entspricht ihrem Wunsch gern und schiebt sich dann von der Tafel nach hinten in den Schatten der Hecke, wo sie unversehens auf Ruprecht trifft, der den Weg zur Latrine sucht.

„Was denn, Bräutigam, du wirst doch nicht den Wein im Übermaß in dich hineinschütten? Denke daran, dass du heute noch Pflichten zu erfüllen hast, die nicht zu verachten sind!“

Der Junge grient ihr ins Gesicht. „Meinst du die Pflichten, die eben die Uhlin eingefordert hat? Das werde ich schon zu meistern wissen. So alt bin ich noch nicht und die Lust darauf ist mir auch noch nicht vergangen.“

399
477,84 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
Объем:
611 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783969405161
Издатель:
Правообладатель:
Автор
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