Читать книгу: «Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen», страница 8

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Unter den Worten des Vaters duckt sich Ruprecht immer weiter. Der Meister hat recht! Wie konnte er alles vergessen und sich so gehenlassen?

„Genug geschimpft“, ertönt die besorgte Stimme der Mutter aus der Dunkelheit, „gib nun den Weg frei, dass er endlich ins Haus kommt. Oder meinst du vielleicht, dass die Nachbarn dies als Geschäftsempfehlung für den Tischlermeister Prescher ansehen?“

Entschlossen schiebt die Meisterin ihren Mann weg und stemmt die Arme in die Seite, um das elende Bündel zu betrachten, das sich im schwachen Widerschein als ihr Sohn darbietet. „So sieht also ein rechter Suffkopf aus! Möchte wissen, wie du morgen den Griffel über die Tafel führst.“

Endlich bückt sie sich, um ihren Sohn gemeinsam mit Mechthild von der Karre zu heben. Dabei entgeht ihr, wie sich der Tischler und der Nachtwächter gegenseitig anrempeln und grienen. Letzterer kann sich nicht verkneifen zu brummen: „Lass nur die Weiber schleppen, deswegen wird dem Kerl lange nicht die Lust am guten Schluck vergehen. Nur muss er das rechte Maß erkennen.“ Entschlossen tippt er an den Hut und wendet sich ab, seinen Rundgang fortzusetzen.

Einsam klingt sein Schritt durch die Nacht, vermittelt den Bürgern sichere Geborgenheit.

WILLKOMMEN FÜR DIE BETTLER IN DER KUTTE

Trüb zeigt sich der neue Tag durch die weit geöffneten Fenster des Prescherschen Hauses. Die Familie hat sich an der Morgentafel zusammengefunden, um gemeinsam den Grützbrei zu verzehren. Mit schlechtem Gewissen hockt Ruprecht auf seinem Schemel und traut sich nicht, die anderen anzublicken. Elisabeth und Johanna tauschen verstohlen Blicke aus, können aber keine Ursache der Missstimmung ausmachen und so bleibt auch deren ständiges Kichern aus. Anders Paul, der selbstbewusst und siegessicher auf dem Schemel thront. Er fixiert seinen Bruder und schließt auch Martha, die bleich und unglücklich neben ihrem Mann sitzt, mit ein. „Das hast du fein hingekriegt“, lässt er verlauten, „zum Tischler taugst du nicht und als Schreiberling versäufst du dein Auskommen!“

„Naja, nun, ähm….“ Vergebens ringt Ruprecht um Worte. „Nun übertreib mal nicht“, meldet sich Martha zu Wort, „so etwas soll vorkommen, wenn man alte Freunde wiedertrifft. Wer allerdings keine Freunde hat, der kann das auf gar keinen Fall verstehen und wird den Moralapostel herauskehren.“

Nun ist es an Ruprecht, überrascht zu sein. Wie kommt sein Weib dazu, ihn in dieser Situation zu verteidigen? „Aber Marthel, wieso stehst du in dieser Sache zu mir?“, stottert er. Sie aber richtet sich stolz auf. „Ich stehe nicht nur in dieser Sache, sondern immer zu dir, dafür sind wir verheiratet.“

„Recht so“, stimmt ihr Mutter Prescher zu, „aus der Sichtweise des Saubermanns lässt sich immer gut verurteilen. Ihr tut gerade, als würde Ruprecht immerzu trinken und das trifft nun wirklich nicht zu.“

„Eben!“, mischt sich schließlich der Vater ein. „Einmal besoffen heißt noch lange nicht, dass man sich dem Suff ergeben hat. Und jetzt endlich geht jeder an seine Arbeit, keine Ausrede wegen gestriger Ungelegenheiten darf gelten!“

Entschlossen erhebt er sich und wendet sich der Werkstatt zu.

Ruprecht drückt Martha dankbar den Arm und erhebt sich dann mit abgewandtem Gesicht. Was er nur wieder angerichtet hat! Wieso auch musste er sich in die Wirtschaft setzen und wieso hat er nicht gemerkt, dass er in die Trunkenheit glitt? Was sollten all die Leute von ihm halten, wenn sie von dieser peinlichen Sache erführen? Und ausgerechnet der Nachtwächter und die Muhme Mechthild haben ihn nach Hause gebracht!

Eilig zieht er sich den Kittel über und verlässt das elterliche Haus. Der feine Nieselregen passt recht gut zu seiner Stimmung und so fällt ihm der Weg zur Arbeit nicht ganz so schwer, zumal kaum mit neugierigen Blicken der Nachbarn zu rechnen ist. Fünfundneunzig Schritte zählt er bis zur Kreuzung und nach weiteren dreihundertfünfzig Schritten erreicht er den Markt, der heute öd und leer vor ihm liegt. Einzig ein Schubkarren steht verlassen vor dem Haus des Mattias Helbigk und wartet darauf, beladen zu werden.

Sehr bedacht, das Rathaus ohne irgendwelche Begründungen seiner nächtlichen Eskapaden zu erreichen, quert er rasch den Platz und schlägt aufatmend die schwere Tür hinter sich zu.

Eilig steigt er die Treppe empor, in der Schreibstube endlich seinen Platz einzunehmen. An sich hatte er erwartet, heute hier mit schwerem Kopf Platz nehmen zu müssen, aber an dem ist es nicht, ganz im Gegenteil: er fühlt sich erstaunlich gewappnet, möglichen harten Worten zu widerstehen. Eben spitzt er die Lippen, um ein Ständchen zu pfeifen, als erneut die Tür aufgeht und der Nachwächter ächzend eintritt. Ein säuerlicher Geruch geht von ihm aus und kündet von Unreinheit. Der Blick des Alten richtet sich stechend auf Ruprecht und nach achtungsgebietender Pause knurrt er: „Nun, Schreiberling, wie fühlt man sich als Suffkopp? Mir scheint, da gibt es noch ein wenig zu regulieren, damit er weiter den Federkiel spitzen kann, oder?“

Erschrocken hat sich Ruprecht hinter dem Pult geduckt. Hier gibt es keinen Ausweg, er muss sich unausweichlich dem Unangenehmen stellen und so richtet er sich entschlossen auf: „Da hast du recht, lieber Nik, irgendwie habe ich gefehlt und ich bin gern bereit, Wiedergutmachung zu leisten. Was bin ich dir schuldig, nenn mir deinen Preis.“

Nik wischt sich nickend über den Bart. „Na, wenigstens stehst du zu deiner Tat. Nein, ich will nichts einfordern, vielleicht irgendwann einmal, wenn ich deiner Hilfe bedarf. Mir geht es nur darum, dass dir bewusst ist, dass ich dir zur Seite stand. Ansonsten – ja – dies Beinkleid lechzt nach Wasser.“

Ruprecht erhebt sich dankbar. „Gern will ich dir bei Gelegenheit vergelten, was du für mich getan hast. Dein Beinkleid aber, dass bringe nur schnell zu meinem Weib. Ich habe ihr längst gebeichtet und ich bin mir sicher, sie hilft dir umgehend.“

„Das hört sich aber seltsam an für einen Stadtschreiber!“, tönt es da aus dem Flur. „Wie kann es angehen, dass sich da einer, der Einfluss auf die Geschicke der Stadt hat, in die Abhängigkeit eines Bürgers begibt? Als nächstes werden dann persönliche Vorteile zum Nachteil der Allgemeinheit zugeschanzt! Nee, nee, so geht das nicht, das will ich nicht dulden!“ Energischen Schrittes tritt Hans von Pirne in die Schreibstube. „Dafür habe ich mich nicht im Rat stark gemacht, dass man dir die Stelle des Schreibers überlässt! Bestechlichkeit ist der Kern allen Übels, wie schon unser Herr Jesus Christus erfahren musste.“

Bleich starrt Ruprecht den Eintretenden an. Wie kommt sein Gönner auf diese Idee? Niemals würde er der Stadt zum Schaden dem Nachtwächter Vorteile einräumen, wie auch. „Herr, was glaubt Ihr von mir? Ich würde mich nie erpressen lassen! Dem Nik zu helfen heißt doch nicht, ihn zu übervorteilen. Wie sollte man mich erpressen, wenn mein Weib und die Familie längst von meiner Verfehlung weiß und ich sogleich den Herrn Bürgermeister in Kenntnis setze, wenn er das Haus betritt?“

Der Ratsherr lässt sich auf einem Schemel nieder und schaut dem Schreiber in die Augen. „Wenn es so ist, dann habe ich mich in dir nicht getäuscht. Ich hatte befürchtet, du könntest aus Angst zum Verräter werden – wollte es aber nicht so recht glauben. Nun hast du also den richtigen Dreh gefunden. Ja, in der Stadt bleibt nichts so recht geheim. Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass der Schreiber letzte Nacht über den Durst getrunken hat. Ich bin mir gewiss, dass es der Bürgermeister längst vernommen hat und wollte dir nur raten, ihm sogleich zu beichten.“

Während Ruprecht zu diesen Worten nickt, meint Nik: „Also von Erpressung war hier nie die Rede, wofür haltet Ihr mich, Herr Rat? Einen Gefallen offen zu haben hat doch damit nichts zu tun. Manchmal braucht man nur einen kleinen Tipp, an wen man sich wenden soll oder wo man etwas herbekommt. Und wer weiß das besser als der Stadtschreiber.“

„Und ebenso gut kannst du mir sagen, wie ich günstig an ein Haus in der Stadt herankomme, ohne mein Gesicht zu verlieren“, entgegnet Ruprecht, worauf der Nachtwächter nickt. „Das ist mir keine Mühe. An der Ecke Nikolaigässchen-Langgasse steht das Haus vom Hans Greubner seit Wochen leer. Er hat keine Erben hinterlassen und sein letztes Quartier auf dem Kirchhof bezogen. Wenn mich nicht alles täuscht, dürfte das Haus nunmehr der Stadt gehören.“

Der Ratsherr nickt sparsam und ein leichtes Lächeln kräuselt seine Lippen. Hat er sich also nicht in Ruprecht getäuscht. Aber wie schnell hätte der in seiner Unbedarftheit als bestechlich dastehen können! „Dann gib nur acht, dass niemand an deiner Lauterkeit je Zweifel hat.“

Eben will Ruprecht zur Erwiderung ansetzen, als unten die Haustür geöffnet wird und zwei Männer plaudernd in den Flur treten. Am schweren Tritt auf den Stufen erkennt Ruprecht den Herrn Bürgermeister, während sein leichtfüßiger Begleiter an der Stimme als Ratsherr Schütz zu erkennen ist.

Sehr zum Leidwesen des Schreibers ist sein gestriger Abend auch hier Gesprächsinhalt. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell das Gerede die Runde macht.

„Der Krug über den Durst macht den Mann nicht kaputt, Herr Bürgermeister! Ich wüsste nicht, wo hier ein Makel zu sehen sein soll. Hat man vorher je etwas von einer Trunksucht Ruprechts gehört? Sein Ruf steht eher für Zuverlässigkeit – allerdings auch für Ungeschick im Handwerk, ha, ha!“

Der Bürgermeister Stobener stimmt in das Lachen ein. „Da habt Ihr recht, Schütz, für einen Trunkenbold kann man den Ruprecht Prescher kaum halten. Aber wir sollten um den Ruf des Rates bedacht sein und da darf man sich schon Gedanken machen.“

Ulrich Schütz wirft einen schrägen Blick auf den Älteren. „Seid Ihr nie jung gewesen? In frühen Jahren schlägt man auch mal über die Stränge. Wenn wir von Kindheit an vernünftig und klug wären, bräuchten wir nicht das Alter.“

„Womit Ihr genau richtig liegt“, erwidert der Bürgermeister und tritt in die Schreibstube, „da ist er ja, der Mann, der heute in aller Munde ist – zumindest in der Stadt. Guten Morgen, Ruprecht!“

Mit hochrotem Kopf erhebt sich der Schreiber von seinem Schemel. „Verzeiht, Herr Bürgermeister, es war nicht mein Wille, mich so ins Gespräch zu bringen und ich will gern alles tun, um den Schaden abzuwenden.“

„Schwätz nicht, schau lieber, dass die Ohren und die Federn gut gespitzt sind, wenn der Rat beisammensitzt.“ Stobener winkt souverän ab und weist mit dem Kinn den Anwesenden die Richtung zum Sitzungszimmer.

Kontrovers verläuft die Sitzung des Rates bis zur zwölften Stunde des Tages. Als die Glocke von Sankt Jakobi zur Mittagsstunde schlägt, wird sich auf eine Pause geeinigt, denn hungrig fassen sich schlecht gute Beschlüsse. Erschöpft lehnt sich Ruprecht zurück und streckt die Beine, dass es in den Kniegelenken knackt. Langsam legt er die Feder in die Schale und schließt das Tintenfass. Als der Ratssaal leer ist, geht auch der Schreiber langsam zur Tür und riegelt sie sorgsam ab. Nachdenklich steigt er die Treppe hinab, um auf dem Marktplatz in der warmen Sonne seine Pause zu genießen. Heute ist ihm nicht danach, am heimischen Herd seine Mahlzeit zu sich zu nehmen und so findet er ein Plätzchen auf dem flachen Stein neben der Tür, der sicher von früheren Bauarbeiten übrig geblieben und vergessen worden ist. Genüsslich lehnt er sich an die Wand des Rathauses und schließt die Augen. Langsam verebben die Geräusche um ihn herum und ihm ist, als ziehe ihn ein Strudel kopfüber ins Nichts. Ein bläuliches Licht stiehlt sich in sein Bewusstsein und dann meint er, schattengleich Männer im Mönchshabit zu erkennen, deren braune Kutten schuhlose Füße nicht verdecken. Sie halten die Augen geschlossen, ihre Hände lassen die Enden der Stricke um die Hüften kreisen, während die langen Stöcke abwehrend einem unsichtbaren Feind entgegengehalten werden. Aus den offenen Mündern dringt ein schauriger Choral, der Ruprecht frieren lässt.

So schnell ihn die Bilder erfasst haben, so schnell schwinden sie auch wieder und Ruprecht nimmt wieder die Geräusche mittäglichen städtischen Lebens um sich her wahr. Langsam öffnet er die Augen, doch die Mönche sind verschwunden. Nachdenklich reibt er sich die Nase. War das ein Blick in die Zukunft? Eigentlich sollte er seine Mutter dazu ins Vertrauen ziehen, aber das muss warten. Er will sich nicht zu weit vom Rathaus entfernen.

„Na, es war etwas zu viel gestern, wie? Du schaust recht blass drein, Schreiber.“ Lachend tritt der Ratsherr Schütz in sein Blickfeld. „Es freut mich gewaltig, dass du nicht ganz so makellos durchs Leben gehst, wie du uns glauben machen willst.“

Der junge Ratsherr lässt sich ganz unbeschwert neben Ruprecht auf dem Stein nieder. „War es so schlimm letzte Nacht?“

Der so vertraulich Angesprochene hebt abwehrend die Hände vor die Brust. „Gott bewahre, Herr Rat, es war vielleicht ein wenig viel – aber nicht so, dass ich mir Gedanken machen müsste.“

Schütz lässt die rechte Augenbraue mehrfach schalkhaft in die Höhe schnellen. „Und warum siehst du so grün um die Nase aus?“

Ruprecht hebt die Schultern und erwidert zögernd: „Was weiß ich, gerade war ich ein wenig weggedämmert, da träumte mir von schuhlosen Gestalten in Mönchskutten. Es hätten Franziskaner sein können, aber wie komme ich darauf? Außer den Benediktinern im Kloster habe ich seit Jahren keine Mönche in Chemnitz gesehen.“

Überrascht blickt der Ratsherr in das Gesicht des Schreibers. „Sag mal, hast du das zweite Gesicht, Prescher? Oder hat dir der Bürgermeister gesteckt, wie es in der Ratssitzung weitergehen soll? Von Grimma her sollen die Barfüßer zu uns kommen, um eine Terminei in der Stadt einzurichten.“

Ruprecht schüttelt fragend den Kopf. „Terminei – was soll das sein?“, erwidert er. Schulmeisterlich erklärt der junge Ratsherr: „Das ist ein Raum, in dem die Bettelmönche Almosen sammeln und weil es den Bürgern der Stadt gut geht, versprechen sich die Franziskaner hier gute Einnahmen.“

„Oh ja“, erwidert Ruprecht, „die Leute haben gute Münzen angehäuft, denn eine lange Friedenszeit begleitet uns seit vielen Jahren. Möge es nur so bleiben.“

Ulrich Schütz schüttelt nun seinerseits den Kopf. „Deswegen werden die Braunkutten aber noch lange nicht herbeigesehnt. Solltest mal unseren Herrn Pfarrer, den Kaspar Kyrmisler hören, wie der beim ersten Gerücht über die Bettelmönche getobt hat.“

Der Schreiber lacht bitter auf. „Das will ich gern glauben, gehen ihm doch die Pfründe verloren. Wie ich gehört habe, verlangen die Franziskaner auch kein Beichtgeld und man glaubt nicht, was törichte Menschen alles zu beichten müssen glauben. Der Pfarrer Kyrmisler muss fürchten zu verarmen.“

„Stopp, Schreiberling!“, gebietet streng der Ratsherr und wirkt nun bar jeder jugendlichen Unbeschwertheit. „Ganz unrecht sind die Sorgen des Herrn Pfarrer nicht! Das Gotteshaus Sankt Jakobi muss gut unterhalten werden und Hochwürden soll auch nicht unbedingt am Hungertuch nagen. Er ist uns lieb und teuer. Gönnen wir ihm also die Einkünfte. Was sollen wir Bettelmönche ernähren, die nicht in unseren Mauern zu Hause sind?“

Noch ehe Ruprecht etwas zu antworten weiß, ist der Ratsherr aufgestanden und eilt durch die Tür zur Ratsstube hin und so sieht sich der Schreiber genötigt, wieder an seinen Arbeitsplatz zu gehen.

Der Tag neigt sich dem Abend zu, als Ruprecht endlich nach getaner Arbeit die Tür des Rathauses verschließt und die Schritte heimwärts lenkt. Was für ein bedeutungsträchtiger Tag! Die Ratsherren haben sich die Köpfe heißgeredet, als wollten sie die Geschicke der Stadt auf hundert Jahre hin ausrichten. Da war die Frage der Bettelmönche für die Almosensammlung. Nächstens fand man es für nötig, den Bau eines Rathauses aus Stein ins Kalkül zu ziehen. Für eine neue Lateinschule soll der geeignete Platz gefunden werden. Letztendlich war die Rede von einem Gewandhaus, dass gebaut werden müsse. In Gedanken versunken schlendert Ruprecht durch die Gassen und schüttelt den Kopf. Erst einmal muss für derartige Vorhaben das Stadtsäckel gefüllt sein und wie er es herausgehört hat, scheitern die geplanten Unterfangen an eben dieser Notwendigkeit. Was also haben die ehrenwerten Herren so lange zu diskutieren gehabt? Was dabei das Schlimmste war ist, dass er all dies zu Papier bringen musste.

Endlich hat er das elterliche Haus erreicht, wo sein liebes Weib auf ihn wartet. Während er die Tür öffnet, fällt ihm das Häuschen an der Nikolaigasse ein, welches ihm der Nachtwächter angeraten hat. Gleich nach dem Abendessen wird er sich mit Martha auf den Weg machen, das Anwesen zu begutachten. Vielleicht würde es ihnen beiden gefallen? „Guten Abend!“, ruft er und betritt die Wohnstube.

Die gesamte Preschersche Familie sitzt bereits an der Tafel und schaut ihm neugierig entgegen. Einzig Martha zeigt ein ablehnendes Gesicht. Sie ist es auch, die als erste das Wort ergreift. „Ach, findet der Herr nach Hause?! Gestern beliebt er, zu tief in den Krug zu schauen und sich dem Suff zu ergeben, heute scheut er den Mittagstisch und kommt sonst wann heim!“, spricht sie gereizt. Noch ehe Ruprecht zu antworten vermag, knurrt der alte Prescher: „Was sind das für Worte an meinem Tisch, Weib!? Ich glaube nicht, dass dein Mann Grund für solches Gerede bietet. Keinesfalls war das gestern in Ordnung und das könnt ihr gern unter euch klären, aber nicht beim Abendessen! Außerdem, wenn er heute so lange zu schaffen hatte, dann mach ihm das nicht zum Vorwurf, denn mit seinem Tun verdient er euer Brot!“

Erschrocken duckt sich die junge Frau am Tisch, während Ruprecht abwehrt: „Lass nur, Vater. Das klären wir untereinander. Aber ein wenig muss ich ihr schon recht geben.“

Der Tischlermeister winkt ab. „Das lernst du nie! Wenn du es jetzt zulässt, dann wird sie immer das Sagen in der Ehe haben. Ein bisschen musst du dich schon durchsetzen.“

„Eben“, ergänzt schmunzelnd die Meisterin, „der Mann muss das Sagen haben, während das Weib ihm die Worte in den Mund legt.“

Verwirrt sieht der Stadtschreiber seine Mutter an. „Wie soll ich das jetzt verstehen? In der Familie hat immer eher dein Wort gegolten, oder sehe ich das falsch? Vater war immer derjenige, welcher im Geschäft das letzte Wort hatte – nicht zu Hause.“

„Hö, Hö!“, protestiert der Vater. „Dir ist wohl der Stechbeitel durch das Gehirn gesaust? Wenn ich zu Hause der Mutter das Wort überlassen habe, dann, weil wir eins sind und nicht, um das Feld zu überlassen. Und zu dir, Mutter, ich glaube nicht, dass du mir die Worte in den Mund legen musst.“

Magdalena zieht einen Schmollmund. „Ach, Herrgott, nun sei nicht gar so empfindlich! Meine Worte waren im Scherz gesagt. Lassen wir es dabei und sehen wir lieber zu, dass der Haussegen bei den beiden wieder gerade gerückt wird.“

„Schöner Scherz, Weib, aber du hast recht, ich bin nur der Hüter der Weisen. Also muss es nach deinem Kopf gehen.“

Martha starrt ungläubig auf die Schwiegereltern. Das ganze Gerede erscheint ihr wirr und bar jeden Sinnes. Noch ehe sie nachfragen kann, hat sich Ruprecht zu ihr herabgebeugt und seinen Arm um ihre Schultern gelegt. „Mach dir um die beiden keine Gedanken, da ist nichts zu verstehen für dich. In deiner Anklage steckt schon ein ganzes Stück Wahrheit, aber damit solltest du nicht zu sehr liebäugeln. Es wird nicht gleich wieder vorkommen, dass ich der Gastwirtschaft die Ehre gebe.“

Fast unmerklich lehnt sich die junge Frau zurück und drückt Ruprechts Brust mit dem Kopf. „Streitet euch nur nicht unseretwegen, wir müssen uns auch zusammenraufen dürfen.“

Mutter Prescher nickt ihr verständnisinnig zu. „Recht hast du, Mädel, man kann nicht nur in Eintracht leben. Dann schläft sonst die Liebe ein. Ab und zu müssen auch in der besten Ehe die Fetzen fliegen, damit die Liebe nicht zur Heuchelei wird. Nur ist es nicht gut, die Zwistigkeiten vor anderen auszutragen. Es wird Zeit, dass ihr ein eigenes Dach über dem Kopf habt, denn dieses Haus gehört dem Tischlermeister.“

Der Vater nickt zustimmend. „So ist es. Der Paul übernimmt die Werkstatt und damit auch das Haus“, brummt er, „Musst dich anderweitig umsehen, Ruprecht. Hat der Rat nicht eine Schreiberwohnung?“

Ruprecht kratzt sich nachdenklich den Schopf. „Nicht, dass ich wüsste“, murmelt er, „von so einer Wohnung habe ich noch nicht gehört. Aber der Nachtwächter hat mir einen Tipp gegeben. An der Ecke Nikolaigässchen-Langgasse soll das Haus vom Hans Greubner seit Wochen leer stehen. Einen Erben gibt es nicht und so gehört es der Stadt. Ich will sehen, dass ich es kaufen kann.“

Aufgeregt springt Martha empor. „Das müssen wir uns ansehen, komm – lass uns gleich hinübergehen! Es sind nur ein paar Schritte bis dahin.“ Sanft drückt Ruprecht sie wieder auf den Schemel. „Nicht so hastig, meine Liebe. Es ist zu spät für diese Erkundung. Wir können jetzt schon kaum noch die Hand vor den Augen erkennen und ein Haus sollte man bei Tageslicht in Augenschein nehmen. Lass uns morgen einen Blick darauf werfen, bevor ich in die Schreibstube muss.“

Trüb quält sich der Morgen in die Gassen der noch schlafenden Stadt und nur sehr zögerlich gibt er den Blick auf die rissigen Fassaden der alten Holzhäuser in der Gasse „Hinter der Bach“ frei. Kein Lufthauch ist zu verspüren. Die Latrinengerüche sind in der Stadt allgegenwärtig. Irgendwo klappt ein Fensterladen und gleich darauf dringt das Geräusch am Boden auftreffender Flüssigkeit durch die Häuserschlucht. Am Hause der Preschers öffnet sich zögerlich der obere Türflügel und der Hausherr steckt zaghaft das verschlafene Gesicht heraus, um gleich darauf die Tür wieder zuzuschlagen.

Kurze Zeit später wird die Tür wieder aufgetan und diesmal tritt der Tischlermeister energisch ins Freie. Eilig geht er mit dem Eimer zum Brunnen und schöpft das Wasser für die Morgenwäsche. Der beißende Geruch in der Luft vergällt ihm die Lust, sich im Freien zu waschen und so schlüpft er wieder ins Haus.

Eine Weile später, die Stadt scheint immer noch zu schlafen, tritt Martha aus dem Haus und zieht ihren Ruprecht hinter sich her. Kurz stockt ihr Schritt, als ihre Nase die üblen Gerüche wahrnimmt, aber ihre Energie lässt kein Verweilen zu. Das Paar eilt Hand in Hand die Gasse entlang. Die Holzhäuser werden in der Langen Gasse von den Steinhäusern der Kaufleute abgelöst. Hier wirkt die Straße heller und luftiger und auch der Geruch ist nicht mehr ganz so übel. Nach wenigen Schritten haben sie das Nikolaigässchen erreicht, an deren Einmündung in die Lange Gasse sich das Ziel ihres Ausflugs findet: ein kleines etwas schiefes Holzhaus inmitten der steinernen Nachbarn. Aber bei aller einfacher Befindlichkeit wirkt es auf den ersten Blick intakt und weil die jungen Leute keine allzu großen Ansprüche stellen, scheint ihnen die Hütte eher ein Palast zu sein.

„Schau!“, freut sich Martha, „dort oben das kleine Fenster im Giebel, das wäre die rechte Kammer für die Magd. Und drüben an der Ecke: der herrliche Rosenstock! Das Häuschen müssen wir unbedingt haben!“

Ruprecht zieht seine Frau liebevoll an sich. „Warte, wie es von innen aussieht. Außerdem wissen wir nicht, was der Rat für das Haus haben will. Vielleicht müssen wir Zeit unseres Lebens einen Obolus an die Stadt entrichten und müssen raus, wenn ich nicht mehr arbeite? Warten wir es ab. Zunächst schauen wir hinein, bevor ich den Herrn Bürgermeister anspreche.“

Entschlossen zieht er den Riegel zurück und öffnet die Tür, die knarrend den Weg frei gibt und abgestandene Muffigkeit aus dem Inneren des Hauses entweichen lässt.

Im schwachen Licht der geöffneten Tür tastet sich Ruprecht an der Wand entlang, schlägt mit dem Knie gegen ein Hindernis und findet endlich das Fenster. Als er den Laden aufschlägt, dringt das trübe Tageslicht herein und lässt eine gemütliche Stube erahnen. Freilich, der Herd ist kalt und außer einer Konsole und einem dreibeinigen Schemel fehlt jegliche Einrichtung, aber das dunkle Holz der Wände und die niedrige Kastendecke strahlen eine ganz eigene Wärme aus.

Begeistert klatscht Martha in die Hände. „Das ist toll! Dort in der Ecke wird die Truhe stehen, daneben findet eine Bank Platz. Da drüben kommt der Schrank mit dem Geschirr hin und hier der Tisch mit acht Stühlen. Ich sehe es ganz deutlich vor meinen Augen.“

„Na toll“, erwidert Ruprecht, „darf ich vielleicht ein wenig Anteil an der Planung haben? Wo zum Beispiel soll das Bett stehen, oder wollen wir den Strohsack jeden Morgen wegbringen? Wir können auch auf dem Herd schlafen, da ist es schön warm.“

Martha verdreht die Augen. „So seid ihr Mannsbilder eben, ihr denkt nur ans Bett!“

„Wir sollten es in eine Kammer stellen, dann brauchen wir nicht auf die Kinder achten und könnten uns die ganze Nacht hindurch herrlich vergnügen“, schlägt Ruprecht vor.

„Gib nur nicht so an“, erwidert seine Frau neckend, „das Vergnügen währt nur kurz und dann schnarchst du, dass die Wände wackeln. Da können wir beruhigt die Kinder mit in die Schlafkammer nehmen.“

Empört droht Ruprecht mit dem Finger. „Warte nur ab, von wegen: nur kurzes Vergnügen. Wir werden die Kinder beizeiten ins Bett schicken, dann schlafen sie und ich kann dir den Himmel schenken!“

Kichernd lehnt sich die junge Frau an ihren Gatten. „Also kümmere dich, dass wir das Häuschen bekommen und dann gib dir Mühe, dass wir jemanden beizeiten ins Bett schicken können.“

Schmunzelnd zieht Ruprecht sein Weib an sich. „Warte den heutigen Abend ab. Dann werde ich dir das Fell an der besten Stelle gerben, die es bei dir gibt.“

Martha entwindet sich seinem Griff und entflieht durch die offene Tür, dass Ruprecht Mühe hat, sie noch zu erreichen, bevor sie die Tür zuschlagen kann.

Unter allerlei unbeschwertem Geschwätz geleitet der Schreiber seine Frau zurück in das Preschersche Haus „Hinter der Bach“ und eilt mit wehendem Mantel durch den Gestank der regentrüben Gassen.

Eben hat er die Sankt Johannisgasse erreicht, als sich die Tür des stolzen Steinhauses an der Ecke zum Topfmarkt auftut und der junge Hans Neefe heraustritt. Mit ihm hatte Ruprecht vor langer Zeit manchen Streich ausgeheckt, sehr zum Kummer des Ratsherren Hans Neefe, Vater seines gleichnamigen Freundes. Und weil der Tuchmachermeister die Ungehörigkeit der zwei Rangen nicht dulden wollte, hatte der kurzerhand seinem Sohn den Kontakt mit Ruprecht verboten. Freilich, ganz gefruchtet hat das Verbot zu keiner Zeit, aber die übelsten Streiche hatten ein Ende.

Heute ist das Verhältnis zwischen den beiden jungen Männern nicht mehr ganz so innig, aber man schätzt sich noch immer und so nähert sich Ruprecht winkend dem jungen Tuchmachermeister. „Gut, dich wieder einmal zu sehen, Hans“, begrüßt er seinen Jugendfreund, „ich denke, du wohnst jetzt mit deinem Weib in der Johannisgasse? Ist günstig, ab und zu bei der Mutter einzukehren und sich den Bauch vollzuschlagen, wie?“

Abwehrend schüttelt der junge Neefe sein Haupt. „Du hast Ideen, bin ich Stadtschreiber, dass ich das nötig habe? Wie ich hörte, begleitest du jetzt dieses ehrenvolle Amt und wohnst dennoch nach wie vor bei deinen Alten. Muss ein ziemlich geringes Häufchen Münzen sein, was dir dein Dienst für die Stadt einbringt.“

Ruprecht hebt grienend die Schultern. „Kannst ein gutes Wort für mich beim Rat einlegen, ich halte gern die Hand ein wenig weiter auf. Aber ganz im Ernst, mein Freund, du könntest mir einen guten Dienst leisten. Ich habe mir da ein Häuschen auserkoren, welches mir gut gefallen könnte. Es ist an die Stadt gefallen und nun würde ich es haben wollen. Nur kaufen kann ich es eben noch nicht, da fehlt es am Geld. Wenn du also deinen Vater im Rat für mich sprechen lassen könntest …“

Hans boxt seinem Jugendfreund in die Rippen. „Das kannst du haben. Mein alter Herr wird dir schon diesen Dienst erweisen, denn heuer gefällt ihm deine Art am Schreibpult. Aber am besten fragst du selber erst beim Stobener nach, der Herr Bürgermeister mag keine Mauschelei hinter seinem Rücken.“

„Das will ich tun“, pflichtet ihm der Schreiber bei, „mein Weib sitzt mir nun im Nacken, seit sie das Häuschen gesehen hat.“

„Um welches Haus geht es überhaupt?“, fragt der junge Tuchmacher neugierig. „Es muss sich der Einsatz lohnen.“

Ruprecht wirft ihm einen schrägen Blick zu. „Für ein eigenes Heim lohnt sich der Einsatz immer, Hans. Mir geht es um das Haus vom Greubner im Johannisgässchen an der Ecke zur Langen Gasse. Es ist nicht zu groß und nicht zu klein und bedarf nur eines geringen Aufwandes, es wieder herzurichten.“

Nachdenklich wiegt der junge Neefe das Haupt. „Na, ich weiß nicht, es ist eine alte Holzhütte und die Jahre haben ihr zugesetzt. Sieh lieber zu, gleich ein Steinhaus zu bekommen, da ist es angenehmer zu wohnen.“

„Auf gar keinen Fall! Ein Holzhaus wirkt immer anheimelnder als kalter Stein. Außerdem, wie sollte ich jetzt ein Steinhaus bezahlen? Nee, nee, dieses Häuschen kann ich mir leisten und außerdem, ich könnte später Wand für Wand mit Stein ersetzen.“

„Das würde ich mir gut überlegen. Wenn du die Wand herausbrichst, dann sackt womöglich das Dach ab!“

„Wie auch immer, Hans, das Greubnersche Holzhaus hat es mir angetan und ich bitte dich um Unterstützung im Rat. Lege ein gutes Wort für mich ein.“

Ungestüm legt der junge Tuchmacher den Arm um Ruprechts Schulter. „Wie könnte ich dir diese Bitte abschlagen, mein Freund? Ich will gern zusehen, dass ich dir eine Hilfe sein kann“, spricht es und wendet sich stracks ab, seinem Haus im Johannisgässchen zu. „Bis später!“, hört ihn Ruprecht noch rufen und die erhobene Hand winkt zum Abschied.

Der Schreiber zuckt mit den Schultern und wendet sich dem Markt zu, dessen Nordseite das hölzerne Rathaus gewichtig begrenzt.

Dunkle Wolken schieben sich aus Richtung Schönau am Himmel empor, hoch aufgetürmt einem riesigen Wall gleich, und tauchen den frühen Nachmittag in ein unwirkliches bleigraues Licht, das zu durchdringen der blassen Sonne spürbar schwerfällt. In der Schreibstube vermag Ruprecht kaum noch, die Schriftzeichen deutlich zu sehen und so entschließt er sich, das Fenster zuzuklappen und den Tag auszusperren. Der Wind würde ohnehin den Kienspan, wenn schon nicht ausblasen, dann doch wild flackern lassen. Wenn es jetzt auch nicht zu mächtig über den Marktplatz weht, in nächster Zeit wird sich garantiert ein deftiger Sturm erheben und das aufziehende Gewitter einleiten.

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Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
Объем:
611 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783969405161
Издатель:
Правообладатель:
Автор
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