Während der übrigen Vesper entwickelte Consuelo eine solche Kraft und Tüchtigkeit, dass keine Zweifel weiter in der Seele des Grafen Zustiniani aufkommen konnten. Sie führte, unterstützte, und belebte die Chöre, griff in alle Stimmen ein, und bewies dadurch den wunderbaren Umfang und die mannigfaltigen Eigenschaften ihrer Stimme, sowie nicht minder die unerschöpfliche Stärke ihrer Lunge, oder besser, die Größe ihrer Kunstfertigkeit; denn wer zu singen versteht, wird nicht müde, und Consuelo sang mit nicht größerer Anstrengung und Mühe als andre Menschen atmen. Der klare und volle Klang ihrer Stimme war unter den hundert Stimmen ihrer Gefährtinnen deutlich zu vernehmen, nicht dass sie geschrien hätte, wie seel- und atemlose Sänger es machen, sondern weil ihr Ton rein und tadellos und ihr Vortrag unübertrefflich sauber war. Überdies fühlte und verstand sie die Meinung jeder Stelle bis ins Einzelste und Feinste.
Mit einem Worte, sie allein unter diesem Schwarme gewöhnlicher Geister, frischer Stimmen und willenloser Wesen, sie allein hatte Musik und war Meisterin. Unbewusst und prunklos trat sie als eine Macht auf und übte, so lange der Gesang währte, eine Herrschaft aus, deren Notwendigkeit jeder fühlte. Sobald der Gesang beendet war, machten ihr die Choristinnen innerlich ein Unrecht und ein Verbrechen daraus, und eine Jede, welche, wo sie sich unsicher fühlte, stets mit den Augen Consuelo befragt und fast angefleht hatte, maßte nun sich selbst die Lobsprüche an, welche der Schule Porpora’s in Masse gezollt wurden. Bei diesen Lobeserhebungen lächelte der Meister und sagte kein Wort: er sah nur Consuelo an, und Anzoleto verstand den Blick vollkommen.
Nach dem Gruß und Segen nahmen die Choristinnen an einem leckeren Mahle Teil, welches ihnen der Graf in einem der Sprachzimmer des Klosters auftragen ließ. Das Gitter trennte zwei große Tafeln, welche in Halbmondform einander gegenüber aufgestellt waren. In der Mitte des Gitters war nach dem Maße einer Riesenpastete eine Öffnung angebracht, durch welche die Schüsseln hindurch gingen: diese nahm der Graf selbst in Empfang und reichte sie mit Grazie den vornehmsten Nonnen und den Eleven. Die letztren, in Beguinentracht, setzten sich zu Dutzenden wechselweise auf die offenen Plätze im Innern des Klosters. Die Superiorin hatte ihren Platz dicht neben dem Gitter, und befand sich so an der rechten Seite des Grafen, welcher im äußern Saale saß. Links von dem Grafen blieb ein Platz leer; Marcello, Porpora, der Pfarrer des Kirchspiels, die vornehmsten Priester welche der Messe beigewohnt hatten, einige Patrizier, die als Laienvorsteher der Scuola oder als Dilettanti eingeladen waren, und endlich der schöne Anzoleto, in seinem schwarzen Kleid und mit dem Degen an der Seite nahmen die Plätze an der weltlichen Tafel ein.
Die jungen Sängerinnen pflegten sonst bei solchen Gelegenheiten sehr lebendig zu sein: die Annehmlichkeit lecker zu speisen, das Vergnügen sich mit Männern zu unterhalten und die Lust zu gefallen oder wenigstens bemerkt zu werden, machte sie in der Regel sehr geschwätzig und munter. Dieses mal aber war die Stimmung beim Mahle traurig und gezwungen. Von dem Vorhaben des Grafen hatte Einiges verlautet (wie könnte auch ein Geheimnis um ein Kloster herumkommen, ohne sich durch irgend eine Spalte hineinzustehlen!) und jedes dieser jungen Mädchen hatte sich im Stillen geschmeichelt, von Porpora zur Nachfolgerin der Corilla vorgestellt zu werden. Der Professor selbst war so boshaft gewesen, die Selbsttäuschungen einiger unter ihnen zu begünstigen, sei es um sie zu größerem Eifer bei der Aufführung seiner Musik vor Marcello anzuspornen, oder um sich durch die Kränkung die ihnen bevorstand für alles Leid zu rächen, das sie ihm in den Stunden angetan hatten.
Gewiss ist wenigstens, dass die Clorinda, welche bloß äußeres Mitglied des Konservatoriums war, große Toilette für diesen Tag gemacht hatte, und darauf rechnete, ihren Platz zur Rechten des Grafen einzunehmen. Als sie nun aber diese »bettelhafte« Consuelo in ihrem schwarzen Kleidchen und mit ihrer ruhigen Miene, dieses »garstige Ding«, welches nun doch hinfort für die erste Sängerin und für die ausgemachte Schönheit der Schule galt, sich zwischen den Grafen und Marcello setzen sah, da wurde sie hässlich vor Ärger, hässlich, wie Consuelo es niemals war, und wie unter dem Einfluss einer schlechten und gemeinen Regung, Venus selbst es werden würde.
Anzoleto betrachtete sie aufmerksam, und im Übermute seiner Siegesfreude setzte er sich zu ihr und überhäufte sie mit Fadheiten, deren spöttische Meinung sie zu begreifen nicht Verstand genug besaß, und durch welche sie sich wirklich bald getröstet fand. Sie glaubte sich an ihrer Nebenbuhlerin dadurch zu rächen, dass sie deren Bräutigam fesselte und sparte nichts, um diesen mit ihren Reizen zu berauschen. Sie war aber zu beschränkt, und Consuelo’s Freund zu pfiffig, als dass sie nicht bei einem so ungleichen Kampf hätte lächerlich werden müssen.
Inzwischen unterhielt sich Graf Zustiniani mit Consuelo und fand zu seiner Verwunderung, dass sie im Gespräche eben so viel feines Gefühl, Verstand und Anmut als in der Kirche Talent und Macht entwickelte. Sie war gänzlich frei von jeder Coquetterie, aber sie hatte in ihrem Wesen ein Etwas von fröhlicher Offenheit und gutmütiger Vertraulichkeit, wodurch sie die Herzen augenblicklich und ohne Widerstand gewann. Nach dem Mahle lud der Graf sie ein, der Abendkühle in seiner Gondel mit ihm und seinen Freunden zu genießen. Marcello wurde seiner schwachen Gesundheit wegen von der Spazierfahrt entbunden. Aber Porpora, Graf Barberigo und mehrere andere Patrizier fanden sich zur Teilnahme bereit. Anzoleto wurde zugelassen.
Da sich Consuelo ein wenig beklommen fühlte, mit so vielen Männern allein zu sein, bat sie ganz leise den Grafen, auch die Clorinda mit einzuladen, und dem Grafen, der Anzoleto’s Spiel mit dem armen Mädchen nicht durchschaute, war es gar nicht unlieb, diesen um eine andere als seine Braut beschäftigt zu sehen. Als ein leichtfertiger Charakter und ein schöner Mann, bei seinem Reichtum, seinem Theater und überdies bei den lockeren Sitten des Landes und der Zeit, ermangelte der edele Graf nicht einer guten Dosis von Geckenhaftigkeit. Der griechische Wein und der Kunstenthusiasmus hatten ihn befeuert, die Ungeduld sich an seiner »ungetreuen« Corilla zu rächen, war groß: nichts natürlicher, als dass er Consuelo den Hof zu machen gedachte. Er setzte sich in der Gondel neben sie, nachdem er alles dergestalt geordnet hatte, dass das andere Pärchen am entgegengesetzten Ende zu sitzen kam, und begann seine neue Beute auf eine sehr bedeutungsvolle Weise anzublicken.
Die gute Consuelo verstand indessen von dem allen nichts. Ihre Unschuld und Ehrlichkeit würden sich gegen die Vermutung empört haben, dass der Beschützer ihres »Freundes« so schlechte Absichten hegen könnte, aber ihre gewohnte Bescheidenheit, welche von dem glänzenden Triumphe des Tages nicht den kleinsten Wandel erfahren hatte, ließ sie dergleichen Absichten nicht einmal für möglich halten. In ihrem Herzen war und blieb nur Ehrfurcht vor dem vornehmen Herrn, welcher sie zugleich mit Anzoleto unter seine Obhut genommen hatte, und unbefangene Freude an einer Lustbarkeit, unter welcher sie keine Tücke verborgen glaubte.
Diese Ruhe, dieses Vertrauen setzten den Grafen in ein solches Erstaunen, dass er nicht wusste, ob er darin die bereitwillige Hingebung einer widerstandlosen Seele oder die Dummheit der vollkommenen Unschuld erkennen sollte. Ob aber eine Italienerin von achtzehn Jahren nicht Bescheid weiß, wusste, will ich sagen, zumal vor hundert Jahren und mit einem »Freunde« wie Anzoleto? Alle Wahrscheinlichkeit war in der Tat für die Hoffnungen des Grafen. Und dennoch konnte er die Hand seines Schützlinges nicht ergreifen, konnte seinen Arm nicht ausstrecken um ihren Leib zu umspannen, ohne dass ihn eine unerklärliche Furcht augenblicklich zurückhielt: er hatte ein Gefühl von Unsicherheit, fast Ehrfurcht, welches er sich nicht zu deuten vermochte.
Auch Barberigo fand die Consuelo sehr verführerisch in ihrer Einfalt, und er hätte sich gern bei ihr dasselbe wie der Graf herausgenommen, wenn er es nicht für eine Pflicht der Delicatesse gehalten hätte, die Absichten seines Freundes nicht zu kreuzen. Jedem das seine, dachte er, als er Zustiniani’s Augen in seinem Glanze wollüstiger Berauschung schwimmen sah; die Reihe wird auch an mich kommen. Der junge Barberigo hatte es indessen gar nicht in der Art, die Sterne anzugaffen, wenn er sich in Frauengesellschaft befand; er fragte sich, wie doch dieser kleine Schlingel von Anzoleto dazu komme, die blonde Clorinda in Beschlag zu nehmen, und er trat zu ihr, um dem jungen Tenor wo möglich begreiflich zu machen, dass es für ihn sich besser schicken würde, zum Ruder zu greifen, als mit dem Dämchen schön zu tun.
Anzoleto hatte nicht Erziehung genug, um, ungeachtet seiner scharfen Fassungskraft, sogleich beim ersten Worte den jungen Grafen zu verstehen. Überdies war sein Stolz nicht kleiner als der Hochmut der Patrizier. Er verachtete diese von Herzen, und wenn er äußerlich sich ihnen geschmeidig zeigte, so war dies nur eine Schlauheit, hinter welcher sich seine innere Geringschätzung verbarg. Da Barberigo sah, dass Anzoleto sich ein Vergnügen daraus machte, ihm hinderlich zu sein, so ersann er eine grausame Rache.
– Alle Wetter, sagte er laut zur Clorinda, sehen Sie nur, was für ein Glück Ihre Freundin Consuelo macht. Wo wird die heute aufhören? Nicht genug, dass sie in der ganzen Stadt mit ihrem schönen Gesang Furore gemacht hat, verdreht sie nun mit ihren feurigen Blicken noch unserem armen Grafen den Kopf. Er wird ganz vernarrt in sie werden, wenn er es nicht schon ist, und mit den Sachen der Madame Corilla steht es nun vollends schlecht.
– O, es ist nichts zu besorgen, erwiderte Clorinda hämisch, Consuelo ist in den Anzoleto hier verliebt, und mit ihm versprochen. Die beiden brennen für einander, wer weiß seit wie vielen Jahren.
– Man vergisst auch wohl, wer weiß wie viele Jahre der Liebe, in einem Augenblinzen, zumal wenn Zustiniani’s Augen sich darauf einlassen, den tödlichen Pfeil abzuschnellen. Meinen Sie nicht, schöne Clorinda?
Anzoleto hielt diese Spöttereien nicht lange aus. Tausend Schlangen hatten sich schon in seine Brust geschlichen. Bis diesen Augenblick hatte er um dergleichen weder Argwohn noch Sorge gehegt: er hatte sich blindlings der Freude über den Triumph seiner Freundin hingegeben, und nur, um teils seinem Jubel einen bestimmten Anhalt, teils seiner Eitelkeit einen raffinierten Genuss zu verschaffen, hatte er sich seit zwei Stunden daran ergötzt, das Opfer dieses berauschenden Tages aufzuziehen. Nach einigen schalen Witzen, welche er mit Barberigo wechselte, tat er, als ob die Unterhaltung über musikalische Gegenstände, welche Porpora in der Mitte der Gondel mit der übrigen Gesellschaft führte, seine Aufmerksamkeit erregt hätte: er entfernte sich allmählich von einem Platze, welchen er nicht länger Lust hatte, seinem Gegner streitig zu machen und stahl sich im Dunkel an das Vorderteil der Barke. Sogleich bei dem ersten Versuche, das Tête-à-Tête des Grafen und seiner Braut zu unterbrechen, bemerkte er, dass Zustiniani an dieser Dazwischenkunft wenig Gefallen fand, denn der Graf antwortete ihm kalt und fertigte ihn sogar kurz ab. Nachdem Anzoleto mit verschiedenen müßigen Fragen übel angekommen war, erhielt er zuletzt den guten Rat, doch lieber die tiefen und gelehrten Sachen mit anzuhören, welche der große Porpora über den Kontrapunkt vernehmen ließe.
– Der große Porpora ist nicht mein Lehrer, antwortete Anzoleto, seine innere Wut so gut als möglich unter einem scherzenden Tone verbergend; er ist aber Consuelo’s Lehrer, und wenn es meinem teuern und geliebten gnädigen Herrn gefiele; fügte er, zu dem Grafen niedergebeugt, ganz leise und mit einschmeichelndem Tone hinzu, meine arme Consuelo keinen anderen Unterricht als den ihres alten Lehrers genießen zu lassen …
– Mein teurer und geliebter Zoto, antwortete der Graf, denselben schmeichelnden Ton in der boshaftesten Weise nachahmend, ich habe Ihnen ein Wort ins Ohr zu sagen; und sich zu ihm hinüberbeugend setzte er hinzu: Dero Braut wird doch von Ihnen wohl einen Tugendunterricht empfangen haben, welcher sie unverletzlich macht. Wenn ich es mir aber anmaßen wollte, ihr einen anderen zu geben, so dürfte ich allerdings zu dem Versuche wenigstens für einen Abend berechtigt sein.
Anzoleto fühlte, dass es ihn wie Eis überlief.
– Will mein allergewogenster gnädiger Herr nicht geruhen, sich näher zu erklären? fragte er mit erstickter Stimme.
– Sehr gern, mein allergewogenster Freund, entgegnete der Graf mit heller Stimme: Gondel für Gondel.
Anzoleto stand versteint, als er wahrnahm, dass der Graf sein Tête-à-Tête mit der Corilla entdeckt hatte. Dieses rücksichtslose Mädchen hatte sich dessen gegen Zustiniani bei einem heftigen Streit, der noch zuletzt zwischen ihnen vorgefallen war, gerühmt. Im Gefühle seiner Schuld versuchte Anzoleto umsonst, Erstaunen zu heucheln.
– Gehen Sie und hören Sie, was Porpora über die Grundsätze der neapolitanischen Schule sagt, fuhr der Graf fort. Sie sollen es mir später wieder erzählen, es liegt mir viel daran.
– Das merke ich, Excellenz, entgegnete Anzoleto wütend und auf dem Sprunge, alles zu verderben.
– Nun, gehst du nicht? sagte Consuelo in ihrer Unschuld, ohne sein Zaudern zu begreifen. So will ich hingehen, Herr Graf! Sie sollen sehen, dass ich Ihre Dienerin bin.
Und ehe der Graf sie halten konnte, war sie mit einem leichten Sprunge über das Bänkchen hinüber, das sie von ihrem alten Lehrer trennte, und setzte sich dicht neben ihn.
Der Graf sah wohl, dass er bei ihr nicht eben große Fortschritte gemacht hatte und glaubte daher, sich verstellen zu müssen.
– Anzoleto, sagte er lächelnd und zog seinen Schützling ein wenig derb am Ohre, weiter will ich meine Rache nicht treiben. Sie ist um vieles hinter deinem Frevel zurückgeblieben. Aber ich will auch keine Vergleichungen anstellen zwischen dem Vergnügen, mich in Gegenwart von zehn Personen mit deiner Geliebten eine Viertelstunde ehrbar zu unterhalten, und jenem, welches du mit der meinigen allein in einer wohlverschlossenen Gondel genossen hast.
– Herr Graf, rief Anzoleto in heftiger Aufregung, ich schwöre bei meiner Ehre …
– Wo sitzt dir deine Ehre? entgegnete der Graf, vielleicht da in dem linken Ohre? Hierbei bedrohte er auch dieses unglückliche Ohr mit einer gleichen Lektion, wie das andere sie eben erhalten hatte.
– Halten Sie denn Ihren Schützling für so unklug, sagte Anzoleto, welcher seine Geistesgegenwart wieder gewann, nicht zu wissen, dass er einen so dummen Streich nicht begehen durfte?
– Begangen oder nicht, erwiderte der Graf, kurz, es ist mir in diesem Augenblicke die gleichgültigste Sache der Welt.
Er ging und setzte sich an Consuelo’s Seite.
Gegen Mitternacht kehrte die Gesellschaft in den Salon des Pallastes Zustiniani zurück, um Chocolade und Sorbetts einzunehmen. Die Unterhaltung über Musik dauerte noch fort. Man war von dem Technischen der Kunst auf den Styl, auf die Ideen, auf die Formen der Älteren und Neueren, endlich auf den Vortrag zu reden gekommen, und verweilte nun bei den ausübenden Künstlern und bei deren verschiedenartiger Auffassungs- und Ausdrucksweise. Porpora sprach mit Bewunderung von seinem Lehrer Scarlatti, welcher es zuerst gewagt hatte, dem Kirchenstyl einen pathetischen Charakter zu geben. Mehr aber, fuhr er fort, mehr tat er nicht; er wollte nicht, dass die heilige Musik sich durch Anwendung von Verzierungen, Koloraturen und Läufern in das Gebiet der weltlichen verirrte.
– Verwerfen Sie demnach, verehrter Herr! sprach Anzoleto jene schwierigen Läufer und Manieren, denen Ihr berühmter Schüler Farinelli sein Glück und seinen Namen verdankt?
– Ich verwerfe sie nur in der Kirche, antwortete der Meister. Für das Theater billige ich sie. Ich will sie da, wohin sie gehören; vorzüglich aber tadele ich ihren Missbrauch. Sie setzen ein reines und richtiges Gefühl voraus, sie wollen mäßig, geschickt und geschmackvoll angewendet sein, sie müssen in ihren Modulationen nicht allein dem Gegenstande, den man vorträgt, sondern auch der Person, die man darstellt, der Leidenschaft, die man auszudrücken hat, und der ganzen Situation angemessen sein. Nymphen und Schäferinnen mögen wie Tauben girren, oder ihre Rhythmen wie murmelnde Bäche cadenzieren, aber Medea und Dido können nur schluchzen oder gleich verwundeten Löwinnen brüllen. Die Coquette wird ihre tollen Cavatinen mir grillenhaften und gesuchten Manieren überladen dürfen. In diesem Genre excelliert die Corilla; aber wenn sie tiefe Bewegungen, große Leidenschaften ausdrücken will, so bleibt sie unter ihrer Rolle: es hilft ihr nichts, dass sie sich abarbeitet, es hilft nichts, dass sie ihre Stimme und ihren Busen aufbläst; eine unzeitige Koloratur, ein unsinnig angebrachter Läufer macht im Augenblick die Erhabenheit, nach welcher sie getrachtet hat, zu lächerlicher Parodie. Ihr alle habt die Faustina Bordoni, jetzige Madame Hasse gehört. In gewissen Rollen, welche ihren glänzenden Eigenschaften entsprachen, war sie unübertroffen. Trat aber die Cuzzoni auf, und gab, mit ihrem reinen, tiefen Gefühl, dem Schmerz, der Bitte oder der Zärtlichkeit Sprache, so flossen euere Tränen und es war in euern Herzen keine Spur mehr von dem Eindruck, welchen die Kunststücke der Faustina auf euere Sinne gemacht hatten. Denn ein anderes ist das Talent, welches mit der Materie, und ein anderes das Genie, welches mit der Seele zusammenhängt; jenes ergötzt und dieses ergreift; jenes überrascht und dieses überwältigt. Ich weiß wohl, dass die Bravoureffecte beliebt sind; aber ich für meinen Teil muss es fast bereuen, dass ich meinen Schülern solche Sachen, die als Beiwerk ganz nützlich wären, gelehrt habe, wenn ich sehe, wie die meisten unter ihnen Missbrauch damit treiben und das Nötige dem Überflüssigen, die dauernde Rührung der Zuhörer dem Aufjauchzen der Überraschung und dem Beifallstampfen einer fieberhaften, flüchtigen Lust zum Opfer bringen.
Niemand bestritt diese letzteren Wahrheiten, welche in der Kunst ewig gelten und jedem höher begabten Künstler stets vorleuchten werden. Der Graf jedoch, welcher begierig war, zu erfahren, wie Consuelo weltliche Musik behandeln würde, tat als könnte er den strengen Grundsätzen Porpora’s nicht völlig beipflichten, und da er bemerkte, dass sich das bescheidene Mädchen, anstatt selbst seine Ketzereien zu bestreiten, immer nur nach ihrem alten Lehrer umsah, gleich als forderte sie diesen auf, siegreich zu antworten, so legte er ihr geradezu die Frage vor, ob sie sich wohl getrauen würde, auf der Bühne mit ebenso vielem Verstand und reifen Geschmack zu singen als in der Kirche.
– Ich glaube nicht, erwiderte sie in aufrichtiger Demut, dass ich mich dort ebenso erhoben fühlen könnte, und ich fürchte daher, dass ich viel weniger leisten würde.
– Diese sinnige und bescheidene Antwort macht mir Zuversicht, sagte der Graf, und ich bin gewiss, Sie würden sich durch die Gegenwart einer heißen, erwartungsvollen, wenn auch, wie ich nicht leugne, etwas verderbten Menge hinlänglich gehoben fühlen, um ein Studium jener brillanten Schwierigkeiten, nach denen sich dieselbe täglich lüsterner zeigt, nicht zu verschmähen.
– Ein Studium! rief Anzoleto mit stolzer Verachtung.
– Ganz gewiss ein Studium, sagte Consuelo sanft wie immer. Ich habe mich zwar schon in dieser Art Arbeit bisweilen geübt, allein ich glaube nicht, dass ich es den großen Sängerinnen, welche auf unserem Theater erschienen sind, schon jetzt darin gleichtun könnte …
– Du lügst, rief Anzoleto ganz erhitzt. Monsignore, sie lügt! Legen Sie ihr die geschnörkeltesten und schwersten Arien des Repertoirs vor, Sie werden sehen, was sie kann.
– Wenn ich nicht fürchten müsste, dass sie ermüdet wäre … sagte der Graf mit Augen, die schon vor Ungeduld und Begierde funkelten.
Consuelo richtete die ihrigen voll Kindlichkeit auf Porpora, wie um seine Weisung einzuholen.
In der Tat, sagte dieser, da sie nicht von solch einem bischen Singen müde wird, und da wir nun einmal in kleiner und erlesener Gesellschaft hier beisammen sind, so könnte man wohl füglich ihr Talent nach allen Seiten auf die Probe stellen. Wohlan, Herr Graf, wählet eine Arie und begleitet sie auch gleich am Klaviere.
– Consuelo’s Stimme und Gegenwart, versetzte Zustiniani, würden mich so bewegen, dass ich nicht für falsche Noten einstehe. Warum wollt ihr selbst, lieber Meister, nicht spielen?
– Ich möchte sie gern singen sehen, erwiderte Porpora; denn, unter uns gesagt, ich habe sie immer gehört und nie daran gedacht, sie zu sehen. Ich muss doch auch wissen, wie sie sich hält und was sie mit Mund und Augen macht. Nun, steh auf, Kind, du sollst auch vor mir deine Probe ablegen.
– Da werde ich also begleiten, rief Anzoleto und setzte sich an das Klavier.
– Ihr werdet mich zu ängstlich machen, lieber Meister, sagte Consuelo zu Porpora.
– Ängstlichkeit, antwortete der Lehrer, gehört nur für die Narren. Wer von wahrer Liebe für seine Kunst durchglüht ist, braucht sich nicht zu fürchten. Wenn du zittern kannst, so bist du bloß von Eitelkeit besessen; wenn dir deine Mittel ausgehen können, so steht dir nur Blendwerk zu Gebotes und wenn das wäre, so bin ich der erste, der ohne Umschweife sagen wird: die Consuelo ist nichts nutze.
Ohne sich im mindesten darum zu kümmern, ob die zarte Manier, mit welcher er seiner Schülerin Mut einsprach, sie nicht noch mehr um ihre Fassung bringen möchte, setzte der Professor seine Brille auf, stellte seinen Stuhl ihr gerade gegenüber und schickte sich an, auf der Ecke des Flügels den Takt zu schlagen; um das Ritornell in richtigen Gang zu bringen.
Der Graf hatte eine brillante, krause und schwere Arie von Galuppi aus der Buffa-Oper la Diavolessa gewählt, um Consuelo plötzlich in eine Gattung zu führen, welche derjenigen, worin sie am Morgen geglänzt hatte, schnurgerade entgegenstand. Das junge Mädchen besaß eine so wunderbare Leichtigkeit, dass sie es fast ohne Studium dahin gebracht hatte, mit ihrer biegsamen und mächtigen Stimme alle damals üblichen Kraftgänge spielend auszuführen. Porpora hatte ihr solche Übungen empfohlen und von Zeit zu Zeit sich vormachen lassen, um sich zu überzeugen, ob sie dieselben auch nicht vernachlässigte. Jedoch hatte er niemals Zeit und Aufmerksamkeit genug darauf verwendet, um das, was seine wunderbare Schülerin in dieser Art zu leisten vermochte, seinem ganzen Umfange nach zu kennen.
Consuelo war ein Schelm: sie wollte sich an ihrem Lehrer für die Derbheiten rächen, die er ihr so eben gesagt hatte, und überlud die ohnehin ausschweifende Arie der Diavolessa mit einer Menge damals noch unmöglich geglaubter Läufer und Manieren, welche sie mit einer solchen Ruhe improvisierte, als hätte sie sie zuvor sorgfältig in Noten gesetzt und studiert gehabt. Ihre Verzierungen waren so kunstreich moduliert, so voll Kraft und Schwung, so satanisch, so erschütternd im Übergang aus wilder Lustigkeit in wimmernde Angst, dass plötzlich ein Schauer des Entsetzens die Begeisterung der Zuhörer durchbrach, und dass Porpora, jählings aufspringend, mit starker Stimme rief: Du, du bist der leibhafte Teufel! Consuelo schloss die Arie mit einem Bravour Crescendo, welches einen allgemeinen Schrei der Bewunderung hervorrief, während sie sich laut lachend auf ihren Stuhl setzte.
– Böses Mädchen, sagte Porpora, du hast mir einen hängenswerten Streich gespielt. Du hast mich zum Besten gehabt. Du hast vor mir die Hälfte deiner Studien und deiner Hilfsmittel versteckt gehalten. Ich hatte dir schon lange nichts mehr zu lehren, und aus Heuchelei hast du bei mir Stunde genommen, was weiß ich? vielleicht um mir noch alle Geheimnisse der Komposition und des Unterrichtens abzulocken, damit du mich in allen Dingen ausstechen könntest, damit ich hinterher als ein alter abgenutzter Schulmeister dastünde.
– Lieber Meister, entgegnete Consuelo, ich habe Ihnen bloß den Streich nachgetan, den Sie dem Kaiser Carl gespielt haben. Erzählten Sie mir nicht die Geschichte? Wie Se. Kaiserliche Majestät die Triller nicht leiden mochte, und Ihnen verboten hatte, einen einzigen in Ihrem Oratorium anzubringen, und wie Sie dem Verbote bis an das Finale gewissenhaft nachgekommen und dann in der Schlussfuge ihm ein Divertissement im neuesten Geschmack lieferten, vier aufsteigende Triller im Thema, die sich hieraus durch alle Stimmen bis ins stretto endlos wiederholten. Sie haben heute Abend gegen den Missbrauch der Verzierungen geeifert, und hinterher mich welche machen lassen. Nun machte ich ihrer zu viele, um Ihnen zu zeigen, dass auch ich wohl eine Verkehrtheit übertreiben kann, wofür ich mich willig schelten lasse.
– Ich sage dir, du bist der Teufel, erwiderte Porpora. Jetzt sing’ uns etwas Menschliches, und singe wie du willst; denn ich sehe schon, mit meiner Lehrerschaft bin ich bei dir zu Ende.
– Sie werden stets mein Lehrer sein, den ich ehre und liebe, rief sie und warf sich um seinen Hals und drückte ihn zum Ersticken; Ihnen verdank’ ich seit zehn Jahren mein Brot und meinen Unterricht. O, lieber Lehrer! Sie haben, wie man mir gesagt hat, viele Undankbare gemacht; mir aber möge Gott seine Liebe und meine Stimme im Augenblick entziehen, wenn ich das Gift des Hochmuts und der Undankbarkeit in meinem Herzen berge!
Porpora wurde bleich, stammelte ein Paar Worte und drückte einen väterlichen Kuss auf die Stirn seiner Schülerin: eine Träne ließ er dort zurück, und Consuelo, welche sie nicht abzuwischen wagte, fühlte die kalte, schmerzliche Träne des verlassenen Alters, des unglücklichen Genies auf ihrer Stirne langsam trocknen. Sie wurde tief davon bewegt, und es war als empfände sie einen frommen Schauder, welcher alle ihre Fröhlichkeit erstickte und ihre Begeisterung für den Rest des Abends auslöschte.
Eine Stunde lang erschöpfte sich alles umher in Ausdrücken der Bewunderung, des Staunens und Entzückens, ohne dass es gelang, ihre Schwermut zu zerstreuen und zuletzt bat man sie um eine Probe ihres dramatischen Talents. Sie sang eine große Arie aus Jomelli’s »Verlassener Dido«. Nie hatte sie das Bedürfnis stärker empfunden, ihrer Traurigkeit Luft zu machen; ihr Vortrag war erhaben, voll Pathos, einfach und groß, und ihr Anblick war noch schöner als in der Kirche. Ihre Wangen hatten einen Anflug von fieberhaftem Rot, ihre Augen schossen düstere Blitze: jetzt war sie nicht mehr eine Heilige: sie war Besseres – ein von Liebe verzehrtes Weib. Der Graf, sein Freund Barberigo, Anzoleto, alle Zuhörer und, ich glaube, der alte Porpora selbst, waren nahe daran, den Verstand zu verlieren. Die Clorinda erstickte vor Verzweiflung.