Читать книгу: «George Sand – Gesammelte Werke», страница 6

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Con­sue­lo ver­moch­te nicht län­ger ihre Ver­le­gen­heit zu er­tra­gen. Sie sprang auf und gleich­sam um sich mit Ge­walt in ihre Hei­ter­keit zu­rück­zu­ver­set­zen, fing sie an im Zim­mer auf und ab­zu­ge­hen, ver­schie­de­ne Opern­sät­ze mit ma­nie­rier­ter Über­trei­bung sin­gend und den Ge­sang mit großen, tra­gi­schen Ge­bär­den be­glei­tend, als ob sie aus der Büh­ne wäre.

– Schau, das ist pracht­voll! rief An­zo­le­to voll Ent­zücken, als er sie ei­ner Char­la­ta­ne­rie fä­hig sah, wel­che sie ihm nie ge­zeigt hat­te.

– O, es ist gar nicht pracht­voll, sag­te Con­sue­lo, sich nie­der­set­zend, und du hast das hof­fent­lich nur aus Spaß ge­sagt.

– Es wür­de pracht­voll auf der Büh­ne sein. Ich gebe dir mein Wort, nichts gin­ge dar­über. Die Co­ril­la wür­de vor Neid bers­ten, denn sie hat noch nichts schla­gen­de­res ge­macht in al­len den Mo­men­ten, wo ge­klatscht wird, dass das Haus ein­bre­chen möch­te.

– Lie­ber An­zo­le­to, ant­wor­te­te Con­sue­lo, ich möch­te nicht, dass um sol­che Gau­ke­lei­en die Co­ril­la vor Neid bers­ten müss­te, und vor ei­nem Pub­li­kum, das mir ap­plau­dier­te, weil ich ihr nach­zuäf­fen wüss­te, wür­de ich ge­wiss nicht wie­der auf­zu­tre­ten wün­schen.

– Du wirst es also noch bes­ser ma­chen?

– Das hof­fe ich, sonst wäre die Sa­che nicht wert, sich da­mit zu be­fas­sen.

– Wie wirst du es denn wohl ma­chen?

– Ich habe mir’s noch nicht be­dacht.

– Ver­su­che doch.

– Nein, denn das al­les ist nur erst ein Traum und be­vor nicht ent­schie­den ist, ob ich häss­lich bin oder nicht, müs­sen wir sol­che schö­ne Luft­sch­lös­ser gar nicht bau­en. Vi­el­leicht sind wir bei­de in die­sem Au­gen­bli­cke To­ren, und die Con­sue­lo, wie der Graf ge­sagt hat, ist ab­scheu­lich.

Die­se letz­te­re Hy­po­the­se gab dem An­zo­le­to die Kraft sich zu ent­fer­nen.

9.

In die­ser, den Bio­gra­fen fast un­be­kann­ten Epo­che sei­nes Le­bens, schmach­te­te Por­po­ra, ei­ner der bes­ten Kom­po­nis­ten Ita­li­ens und der größ­te Ge­sang­leh­rer des 18. Jahr­hun­derts, Schü­ler Scar­lat­ti’s und Leh­rer Has­se’s, Fa­ri­nel­li’s, Caf­fa­rel­li’s, Salim­be­ni’s, Hu­ber­t’s (ge­nannt il Por­po­ri­no), der Ga­bri­el­li, der Mol­te­ni, kurz der Va­ter der be­rühm­tes­ten Sän­ger­schu­le sei­ner Zeit, – schmach­te­te, sag’ ich, in Ve­ne­dig, un­be­ach­tet und in ei­nem Zu­stan­de, wel­cher an Elend und Verzweif­lung gränz­te.

Er hat­te je­doch frü­her in der­sel­ben Stadt dem Kon­ser­va­to­ri­um dell’ Os­pe­da­let­to vor­ge­stan­den und die­se Pe­ri­ode sei­nes Le­bens war eine glän­zen­de ge­we­sen. Er hat­te sei­ne bes­ten Opern, sei­ne schöns­ten Can­ta­ten und sei­ne vor­züg­lichs­ten Kir­chen­ar­bei­ten da­mals ge­schrie­ben und auf­füh­ren las­sen. Er war hier­auf 1728 nach Wien be­ru­fen wor­den und hat­te, nach ei­ni­gen Kämp­fen, sich die Gunst Kai­ser Carls VI. er­wor­ben. Nach­dem er auch am säch­si­schen Hofe in Gunst ge­stan­den,3 war er ei­nem Rufe nach Lon­don ge­folgt und dort zu dem Ruh­me ge­langt, neun bis zehn Jah­re lang mit Hän­del, dem Meis­ter der Meis­ter, des­sen Stern um die­se Zeit blich, zu wett­ei­fern. Hän­dels Ge­nie hat­te zu­letzt den Sieg da­von­ge­tra­gen und Por­po­ra, in sei­nem Stol­ze ver­letzt, so wie in sei­nen äu­ße­ren Ver­hält­nis­sen miss­han­delt, war nach Ve­ne­dig zu­rück­ge­kehrt, um hier ge­räusch­los und kum­mer­frei ein an­de­res Kon­ser­va­to­ri­um zu lei­ten. Er schrieb nach die­ser Zeit noch ei­ni­ge Opern, de­ren Auf­füh­rung er aber nur mit Mühe durch­set­zen konn­te; die letz­te der­sel­ben, wel­che aber­mals in Lon­don ge­ge­ben wur­de, hat­te dort kei­nen Er­folg.

Von die­sen har­ten Schlä­gen, wel­che sein Ge­nie tra­fen, hät­te er sich durch Glück und Ruhm wie­der er­ho­len kön­nen, al­lein die Un­dank­bar­keit Has­se’s, Fa­ri­nel­li’s und Caf­fa­rel­li’s, die ihn ver­leug­ne­ten, kam hin­zu, um vollends sein Herz zu bre­chen, sein Ge­müt zu ver­bit­tern, sein Al­ter zu ver­gäl­len. Es ist be­kannt, dass er in sei­nem acht­zigs­ten Jah­re, ver­las­sen und dürf­tig in Nea­pel starb.

Zu je­ner Zeit, als Graf Zus­ti­nia­ni die Co­ril­la zu er­set­zen such­te, de­ren Ab­fall er vor­aus­sah und fast wünsch­te, war Por­po­ra eine Beu­te hef­ti­ger und fins­te­rer Stim­mun­gen, und sein Är­ger war nicht im­mer ohne ge­nug­sa­men Grund; denn es wur­de zwar in Ve­ne­dig die Mu­sik ei­nes Jo­mel­li, Lot­ti, Ca­ris­si­mi, Gas­pa­ri­ni und an­de­rer treff­li­cher Meis­ter ge­liebt und ge­sun­gen, je­doch un­ter­schied­los schätz­te man da­ne­ben die Buf­fo­stücke ei­nes Coc­chi, Bui­ni, Sal­va­tor Apol­li­ni und an­de­rer mehr oder min­der ein­hei­mi­scher Kom­po­nis­ten, de­ren ge­mei­ner und tri­via­ler Styl den Ge­schmack mit­tel­mä­ßi­ger Geis­ter kit­zel­te. Has­se’s Opern konn­ten sei­nem mit Recht er­zürn­ten Leh­rer nicht lieb sein.

So ver­schloss nun der ehr­wür­di­ge und un­glück­li­che Por­po­ra sein Herz und sei­ne Ohren der Mu­sik der Neue­ren, die er un­ter dem Ruhm und An­se­hen der Al­ten zu zer­mal­men such­te. Er ging so weit in sei­ner all­zu großen Stren­ge, dass er so­gar die gra­zi­ösen Kom­po­si­tio­nen Ga­lop­pi’s und die ori­gi­nel­len Fan­tasi­en Chio­zet­to’s, des volks­tüm­lichs­ten Kom­po­nis­ten Ve­ne­digs ver­warf. Man durf­te ihm zu­letzt von Kei­nem re­den als vom Pa­ter Mar­ti­ni, von Du­ran­te, Mon­te­ver­de, Pa­le­stri­na; ob Mar­cel­lo und Leo Gna­de vor ihm fan­den, weiß ich nicht.4

Da­her ge­sch­ah es, dass er die ers­ten Er­öff­nun­gen des Gra­fen Zus­ti­nia­ni in Be­treff sei­nes un­be­kann­ten Zög­lings fros­tig und miss­mu­tig auf­nahm, ob­gleich ihm Glück und Ruhm der ar­men Con­sue­lo am Her­zen la­gen, denn er war ein viel zu er­fah­re­ner Leh­rer, um nicht ih­ren Wert und ihr Ver­dienst ganz zu er­mes­sen. Al­lein bei dem Ge­dan­ken, dass die­ses so rei­ne und mit dem hei­li­gen Man­na der al­ten Meis­ter so kräf­tig ge­nähr­te Ta­lent ent­weiht wer­den könn­te, ließ er sein Haupt sin­ken und sprach in sicht­li­cher Be­stür­zung zu dem Gra­fen:

– O, nehmt sie, nehmt sie nur hin, die­se ma­kel­lo­se See­le, die­sen un­be­fleck­ten Geist; werft ihn den Hun­den vor und gebt ihn den wil­den Tie­ren zum Rau­be, denn das ist das Schick­sal des Ge­nies in un­se­ren Ta­gen.

Die­ser Schmer­zens­ruf, halb ernst und halb ko­misch, gab dem Gra­fen einen Maß­stab, um das Ver­dienst ei­ner Schü­le­rin zu schät­zen, de­ren Wert ein so stren­ger Leh­rer so hoch an­schlug.

– Wie denn, teu­rer Meis­ters rief er aus, ist das eue­re auf­rich­ti­ge Mei­nung? Ist die­se Con­sue­lo wirk­lich ein so au­ßer­or­dent­li­ches, ein so himm­li­sches We­sen?

– Ihr wer­det sie hö­ren! sag­te Por­po­ra, mit der Mie­ne der Er­ge­bung, und setz­te wie­der­ho­lend hin­zu: es ist ihr Schick­sal!

Es ge­lang in­des­sen dem Gra­fen, die ge­sun­ke­nen Le­bens­geis­ter des Meis­ters wie­der auf­zu­rich­ten, in­dem er ihm auf eine gründ­li­che Re­form in der Wahl der Opern für das Re­per­toir von San Sa­mu­el Hoff­nung mach­te. Er ver­hieß ihm, schlech­te Wer­ke gänz­lich aus­zu­schlie­ßen, so­bald er nur erst die Co­ril­la los sein wür­de, auf de­ren Ei­gen­sinn und Gril­len er die Zu­las­sung und güns­ti­ge Auf­nah­me sol­cher Wer­ke schob. Er ließ so­gar ge­schickt die Ab­sicht durch­bli­cken, auch mit Has­se künf­tig sehr spar­sam zu sein, und sag­te zum Schlus­se, wenn Por­po­ra eine Oper für Con­sue­lo schrie­be, wenn ei­nes Ta­ges dann die Schü­le­rin ih­ren Leh­rer mit zwie­fa­chem Ruh­me kränz­te, sei­ne Ge­dan­ken in sei­ner ei­gens­ten Auf­fas­sung wie­der­ge­bend, so wür­de die­ser Tag ein Tag des Tri­um­phes für San Sa­mu­el und der schöns­te Tag in des Gra­fen Le­ben sein.

Por­po­ra war be­zwun­gen; er fing an sich zu be­sänf­ti­gen und so­gar im Ge­hei­men den Auf­tritt sei­ner Schü­le­rin eben so sehr zu wün­schen als er ihn zu­vor ge­fürch­tet hat­te, ge­fürch­tet, weil da­durch den Wer­ken sei­nes Ne­ben­buh­lers ein neu­er Auf­schwung in der Gunst des Pub­li­kums ver­schafft wer­den konn­te. Da der Graf nun­mehr noch sei­ne Be­denk­lich­kei­ten über Con­sue­lo’s Äu­ße­re zu er­ken­nen gab, so wei­ger­te sich Por­po­ra ent­schie­den, das Mäd­chen in ei­ner Pri­vat­zu­sam­men­kunft und un­vor­be­rei­tet vor ihm sin­gen zu las­sen.

– Ich kann sie nicht, er­wi­der­te er auf die Fra­gen und Bit­ten des Gra­fen, für eine Schön­heit aus­ge­ben. Ein Mäd­chen, so ärm­lich ge­klei­det, und schüch­tern, wie es ein Kind aus der Volks­klas­se, das nie die min­des­te Be­ach­tung ge­fun­den, vor ei­nem vor­neh­men Herrn und Rich­ter eu­res Stan­des wohl sein muss, be­darf durch­aus ei­ni­ger Toi­let­te und Vor­be­rei­tung. Zu­dem ist Con­sue­lo eine von de­nen, wel­che der Aus­druck des Ge­nies schö­ner macht. Man muss sie zu­gleich se­hen und hö­ren. Lasst mich ge­wäh­ren. Wenn ihr nicht zu­frie­den seid, so las­set sie mir, und ich wer­de Mit­tel und Wege fin­den, aus ihr eine wa­cke­re Non­ne zu ma­chen, wel­che zum Ruh­me der Schu­le Ele­ven un­ter ih­rer Lei­tung bil­det.

In der Tat war dies die Zu­kunft, wel­che Por­po­ra bis­her für Con­sue­lo im Sin­ne ge­habt hat­te.

Als er sei­ne Schü­le­rin wie­der­sah, kün­dig­te er ihr an, dass sie von dem Gra­fen ge­hört und be­ur­teilt wer­den wür­de. Und da sie ihm ehr­lich ge­stand, wie sehr sie fürch­te, häss­lich ge­fun­den zu wer­den, so ver­si­cher­te er ihr, sie wür­de gar nicht sicht­bar sein, sie wür­de hin­ter dem Git­ter der Or­gel­tri­bü­ne sin­gen, denn der Graf woll­te sie beim Got­tes­diens­te in der Kir­che hö­ren. Nur riet er ihr, sich schick­lich zu klei­den, weil sie nach­her die­sem Herrn auch vor­ge­stellt wer­den müss­te, und ob­gleich selbst arm, schenk­te ihr der groß­mü­ti­ge Meis­ter den­noch ei­ni­ges Geld zu die­sem Be­hu­fe.

Ganz be­stürzt, ganz auf­ge­regt, zum ers­ten male mit der Sor­ge für ihre Per­son be­schäf­tigt, setz­te Con­sue­lo in der Eile ihre Toi­let­te und ihre Stim­me in Be­reit­schaft; die letz­te­re näm­lich ver­such­te sie ge­schwind, und als sie die­sel­be so frisch, so stark, so bieg­sam fand, sag­te sie wie­der­holt zu An­zo­le­to, wel­cher ihr be­wegt und ent­zückt zu­hör­te: Ach! warum braucht doch ein Sän­ge­rin noch mehr als sin­gen zu kön­nen?

10.

Am Tage vor dem Fes­te fand An­zo­le­to Con­sue­lo’s Tür ver­rie­gelt und muss­te wohl eine Vier­tel­stun­de auf der Trep­pe war­ten; end­lich ward er ein­ge­las­sen, um sei­ne Freun­din in ih­rem Fest­put­ze zu se­hen, den sie vor ihm pro­bie­ren woll­te. In ei­nem hüb­schen Klei­de von groß­blu­mi­gem Zitz, im Spit­zen­tuch und Pu­der, sah sie so fremd aus, dass An­zo­le­to ei­ni­ge Au­gen­bli­cke un­be­weg­lich stand und nicht wuss­te, ob sie bei die­ser Ver­wand­lung ge­won­nen oder ver­lo­ren habe. Sein Schwan­ken war für Con­sue­lo, die in sei­nen Au­gen las, ein Dolch­stoß.

– Ach! rief sie, ich sehe es wohl, dass ich dir so nicht ge­fal­le. Wem soll­te ich wohl er­träg­lich schei­nen, wenn selbst dem, der mich liebt, mein An­blick nicht er­freu­lich ist?

– Nur ein klein we­nig Ge­duld! ent­geg­ne­te An­zo­le­to. Vor der Hand bin ich noch ganz er­staunt, wie schön dei­ne Tail­le in die­sem lan­gen Leib­chen ist, und was für ein vor­neh­mes Aus­se­hen dir die Spit­zen ge­ben. Die rei­chen Fal­ten an dem Ro­cke ste­hen wun­der­schön. Nur um dein schwar­zes Haar ist mir’s leid … mir däucht we­nigs­tens … es ist aber ein­mal der Brauch, und du musst mor­gen eine Si­gno­ra sein.

– Wa­rum muss ich eine Si­gno­ra sein! Ich ich has­se die­sen Pu­der, der die Schöns­ten fad und alt macht. Ich bin nicht ich selbst un­ter die­sen Fal­ba­las. Und kurz, ich ge­fal­le mir nicht, und ich sehe dass du mei­ner Mei­nung bist. Da war ich heu­te früh in der Pro­be und sah die Clo­rin­da, die auch ein neu­es Kleid an­ver­sucht hat­te. Sie sah dar­in so ge­putzt, so statt­lich, so schön aus (o die ist glück­lich, die braucht man nicht erst zwei­mal an­zu­se­hen, um sich von ih­rer Schön­heit zu über­zeu­gen), dass mir ganz Angst ist, ne­ben ihr vor dem Gra­fen zu er­schei­nen.

– Und sie hat schlecht ge­sun­gen?

– Wie im­mer … Ach, mein Freund! die­se Ne­ben­buh­le­rei verdirbt recht das Herz. Wenn noch vor kur­z­em die Clo­rin­da, die bei al­ler ih­rer Ei­tel­keit ein gu­tes Kind ist, vor ir­gend ei­nem Rich­ter Fias­ko ge­macht hät­te, ich wür­de sie von gan­zer See­le be­dau­ert ha­ben, ich wür­de ih­ren Kum­mer und ihre Be­schä­mung ge­teilt ha­ben. Und nun er­tap­pe ich mich dar­auf, dass das mich freut. Kämp­fen, nei­disch sein, sich ge­gen­sei­tig zu ver­nich­ten su­chen! und das al­les für einen Mann, den man nicht liebt, den man nicht kennt. Ent­setz­lich trau­rig macht mich das, mein lie­bes Herz! und ich glau­be, ich fürch­te mich eben so sehr vor dem Er­folg, als vor dem Miss­lin­gen! Mir ist zu Mute, als ob es mit un­se­rem Glücke nun aus wäre, als ob ich mor­gen nach der Pro­be, wie sie auch aus­fal­le, in die­ses arme Zim­mer ganz an­ders wie­der­keh­ren müss­te, als ich dar­in bis jetzt ge­lebt habe.

Zwei große Trä­nen roll­ten über Con­sue­lo’s Ba­cken.

– Nun gar! Jetzt wirst du wei­nen! rief An­zo­le­to. Was fällt dir ein? dir die Au­gen trü­ben und die Au­gen­lie­der an­schwel­len? Dei­ne Au­gen, Con­sue­lo! verdirb dir ja die Au­gen nicht, denn die sind an dir das Schöns­te.

– Oder das am we­nigs­ten Häss­li­che! sag­te sie, die Au­gen trock­nend. Nun wohl, wenn man sich in die Welt be­gibt, so hat man nicht ein­mal mehr das Recht zu wei­nen.

Ihr Freund be­mü­he­te sich, sie zu trös­ten, aber sie war den gan­zen Tag über bit­ter be­trübt, und am Abend, als sie al­lein war, wisch­te sie sorg­fäl­tig ih­ren Pu­der ab, ent­kräu­sel­te und glät­te­te ihre schö­nen, pech­schwar­zen Haa­re, ver­such­te ein noch fri­sches Kleid­chen von schwar­zer Sei­de, das sie Sonn­tags zu tra­gen pfleg­te und ge­wann wie­der Ver­trau­en zu sich selbst, als sie sich vor ih­rem Spie­gel so wie­der­fand, wie sie sich kann­te. Dann be­te­te sie mit In­brunst, ge­dach­te an ihre Mut­ter, wur­de trau­rig und schlief wei­nend ein.

Als An­zo­le­to am an­de­ren Mor­gen kam, um sie in die Kir­che ab­zu­ho­len, fand er sie an ih­rem Spi­nett, ge­klei­det und ge­kämmt wie alle Sonn­ta­ge und ihr Pro­be­stück durch­ge­hend.

– Was, rief er aus, noch nicht coif­fiert, noch nicht ge­putzt! Die Zeit rückt her­an, was hast du denn im Kop­fe, Con­sue­lo?

– Mein Freund, er­wi­der­te sie fest, ich bin ge­putzt, ich bin coif­fiert, ich bin ru­hig. Ich will so blei­ben. Jene schö­nen Klei­der ste­hen mir nicht. Dir sind mei­ne schwar­zen Haa­re lie­ber als der Pu­der. Die­ses Leib­chen lässt mei­nen Atem un­ge­hin­dert. Wi­der­sprich mir nicht: mein Ent­schluss ist ge­fasst. Ich habe Gott um Ein­ge­bung ge­be­ten, und mei­ne Mut­ter, mir zu hel­fen, dass ich mich rich­tig be­tra­ge. Gott hat mir ein­ge­ge­ben, be­schei­den und ein­fach zu sein. Mei­ne Mut­ter ist mir im Trau­me er­schie­nen und hat mir ge­sagt, was sie mir schon im­mer sag­te. Den­ke dar­auf, gut zu sin­gen, und über­las­se der Vor­se­hung das an­de­re. Ich sah sie mein schö­nes Kleid, mei­ne Spit­zen und Bän­der neh­men und in den Schrank räu­men, dann leg­te sie mir mein schwar­zes Kleid und mei­ne wei­ße Mous­se­lin-Man­til­le auf den Stuhl an mei­nem Bet­te. Kaum war ich er­wacht, so tat ich wie sie in mei­nem Trau­me ge­tan, ich schloss mei­ne Toi­let­te ein und zog das schwar­ze Kleid und die Man­til­le an: ich bin also fer­tig. Mein Mut ist mir wie­der ge­kom­men, seit­dem ich nicht mehr dar­an den­ke, durch Mit­tel zu ge­fal­len, mit de­nen ich nicht Be­scheid weiß. Da, höre ein­mal mei­ne Stim­me, es ist al­les da, siehst du.

Sie mach­te einen Lauf.

– Gott im Him­mel, wir sind ver­lo­ren! rief An­zo­le­to, dei­ne Stim­me ist be­deckt und dei­ne Au­gen sind rot. Du hast ges­tern Abend ge­weint, Con­sue­lo. Nun, das ist eine schö­ne Ge­schich­te. Ich sage dir, wir sind ver­lo­ren, du bist toll mit dei­nem Ei­gen­sinn, dich an ei­nem Fest­ta­ge in Trau­er zu klei­den: das bringt Un­glück und macht dich häss­lich. Ge­schwind, ge­schwind! zieh dein schö­nes Kleid wie­der an, in­des ich lau­fen will und dir Rot kau­fen. Du bist bleich wie ein Ge­s­penst.

Über die­sen Ge­gen­stand er­hob sich un­ter ih­nen ein ziem­lich leb­haf­ter Streit. An­zo­le­to wur­de et­was grob. Der Kum­mer kehr­te in die See­le des ar­men Mäd­chens zu­rück und ihre Trä­nen flos­sen wie­der. Nun är­ger­te sich An­zo­le­to noch mehr, und sie strit­ten noch, als sie den Stun­den­schlag ver­nah­men, den un­glück­li­chen Stun­den­schlag, drei Vier­tel auf Zweie, die höchs­te Zeit, um noch nach der Kir­che zu kom­men, wenn man sich au­ßer Atem lief. An­zo­le­to ver­wünsch­te den Him­mel mit ei­nem der­ben Flu­che. Con­sue­lo, blei­cher als der Mor­gens­tern, der sich im Wie­der­schei­ne der La­gu­nen be­schaut, warf noch einen letz­ten Blick in ihr zer­bro­che­nes Spie­gel­chen: dann wen­de­te sie sich um und warf sich un­ge­stüm in An­zo­le­to’s Arme.

– O mein Freund, rief sie, grol­le mir nicht, ver­wün­sche mich nicht. Küs­se mich viel­mehr, küs­se mich recht, um mei­nen Ba­cken die­se gel­be Bläs­se zu be­neh­men. Dein Kuss sei mir wie das hei­li­ge Feu­er auf den Lip­pen Isa­jas’, und möge uns Gott nicht stra­fen, dass wir an sei­ner Hil­fe ge­zwei­felt ha­ben.

Mit Leb­haf­tig­keit warf sie ihre Man­til­le über den Kopf, griff nach ih­ren No­ten, und ih­ren be­stürz­ten Ge­lieb­ten mit sich zie­hend, eil­te sie nach den Men­di­can­ti, wo die Men­ge schon ver­sam­melt war, um Por­po­ra’s schö­ne Mu­sik zu hö­ren. An­zo­le­to war mehr tot als le­ben­dig; er be­gab sich auf die Tri­bü­ne des Gra­fen, wo­hin ihn die­ser ein­ge­la­den hat­te, Con­sue­lo ging auf die Or­gel, wo sie die Chö­re schon in Schlacht­ord­nung auf­ge­stellt und den Pro­fes­sor vor sei­nem Pul­te fand. Con­sue­lo wuss­te nicht, dass man von der Tri­bü­ne des Gra­fen we­ni­ger in die Kir­che als auf den Or­gel­chor se­hen konn­te, dass der Graf sie schon ins Auge ge­fasst hat­te und dass er kei­ne ih­rer Be­we­gun­gen ver­lor.

Ihre Züge konn­te er noch nicht un­ter­schei­den, denn so­bald sie ein­trat, knie­te sie nie­der, ver­barg ih­ren Kopf in den Hän­den und be­gann mit in­brüns­ti­ger An­dacht zu be­ten. Mein Gott, sprach sie aus tiefs­tem Her­zen, du weißt, dass ich mich über mei­ne Ne­ben­buh­le­rin­nen nicht zu er­he­ben be­geh­re, um sie zu de­mü­ti­gen. Du weißt, dass ich mich nicht der Welt und der pro­fa­nen Kunst hin­ge­ben will, um dei­ne Lie­be zu ver­las­sen und mich auf die Bahn des Las­ters zu ver­lie­ren. Du weißt, dass mei­ne See­le nicht von Stolz auf­ge­bläht ist, und dass ich nur, um mit dem Man­ne le­ben zu kön­nen, den mei­ne Mut­ter mir zu lie­ben er­laubt hat, um ihn nie zu ver­las­sen, um ihm sei­ne Freu­de und sein Glück zu si­chern, zu dir fle­he, ste­he mir bei und adle mei­nen Vor­trag und mei­ne Ge­dan­ken, wäh­rend ich dein Lob sin­gen wer­de.

Als die ers­ten Or­che­s­ter­tö­ne Con­sue­lo an ih­ren Platz rie­fen, er­hob sie sich lang­sam: ihre Man­til­le fiel auf ihre Schul­tern zu­rück und ihr Ge­sicht zeig­te sich end­lich den er­war­tungs­vol­len und be­sorg­ten Zuschau­ern auf der be­nach­bar­ten Tri­bü­ne. Aber wel­che wun­der­ba­re Ver­wand­lung war mit die­sem jun­gen Mäd­chen vor­ge­gan­gen, wel­ches eben noch so bleich und zag­haft, so auf­ge­löst von Er­mat­tung und Furcht er­schie­nen war. Wäh­rend die sanf­ten und ed­len Züge ih­res hei­te­ren, frei­en Ge­sich­tes sich noch in ei­nem wei­chen Schmach­ten ba­de­ten, schi­en ihre hohe Stirn von ei­nem himm­li­schen Glan­ze um­flos­sen. Ihr ru­hi­ger Blick ver­riet kei­ne je­ner klei­nen Lei­den­schaf­ten, wel­che ge­mei­nen Er­folg su­chen und be­glei­ten. Es lag in ih­rem We­sen et­was Fei­er­li­ches, Tie­fes und Ge­heim­nis­vol­les, wel­ches Ehr­furcht und Rüh­rung un­wi­der­steh­lich er­weck­te.

– Mut, mei­ne Toch­ter, flüs­ter­te ihr der Pro­fes­sor zu, du sollst ein Stück von ei­nem großen Meis­ter sin­gen, und die­ser Meis­ter ist zu­ge­gen und hört dich.

– Wer? Mar­cel­lo? rief Con­sue­lo, als sie den Pro­fes­sor Mar­cel­lo’s Psal­men auf dem Pul­te auf­schla­gen sah.

– Ja, Mar­cel­lo! ant­wor­te­te Por­po­ra. Sin­ge nur wie im­mer, nichts mehr, nichts we­ni­ger, und es wird gut sein.

Wirk­lich war Mar­cel­lo, der da­mals in sei­nem letz­ten Le­bens­jah­re stand, nach Ve­ne­dig ge­kom­men, um noch ein­mal sei­ne Va­ter­stadt zu se­hen, de­ren Zier­de er als Kom­po­nist, als Schrift­stel­ler und als Ma­gis­trats­per­son ge­wor­den war. Er hat­te dem Por­po­ra alle Ar­tig­keit er­wie­sen und die Ein­la­dung an­ge­nom­men, des­sen Schu­le zu hö­ren; Por­po­ra aber ge­dach­te ihm die Über­ra­schung zu, dass er zu­erst sei­nen ei­ge­nen pracht­vol­len Psalm: I cie­li im­men­si nar­ra­no von Con­sue­lo, wel­che ihn voll­kom­men inne hat­te, hö­ren soll­te. Kein Stück hät­te bes­ser der from­men Ent­zückung ent­spro­chen, in wel­cher sich die See­le des ed­len Mäd­chens be­fand. Kaum glänz­ten die ers­ten Wor­te die­ses großen, frei­en Ge­san­ges vor ih­ren Au­gen, so fühl­te sie sich in eine an­de­re Welt ent­rückt. Ver­ges­sen hat­te sie den Gra­fen Zus­ti­nia­ni, die miss­güns­ti­gen Bli­cke ih­rer Ne­ben­buh­le­rin­nen, An­zo­le­to so­gar, an nichts dach­te sie als an Gott und an Mar­cel­lo, der ihr wie ein Dol­metsch vor­kam zwi­schen ihr und den leuch­ten­den Him­meln, de­ren Schön­heit sie fei­er­te. Und kann es in der Tat einen schö­ne­ren Ge­gen­stand, einen er­ha­be­ne­ren Ge­dan­ken ge­ben?

I cie­li im­men­si nar­ra­no

Del gran­de Id­dio la glo­ria

Il fir­ma­men­to lu­ci­do

All’ uni­ver­so an­nun­cia

Quan­to sie­no mi­ra­bi­li

Del­la sua de­stra le ope­re.5

Ihre Wan­gen glü­he­ten und ihre großen, schwar­zen Au­gen blitz­ten von himm­li­schem Feu­er, als sie das Ge­wöl­be mit ih­rer un­ver­gleich­li­chen Stim­me er­füll­te, mit dem sieg­rei­chen, rei­nen, groß­ar­ti­gen Vor­trag, der nur de­nen mög­lich ist, wel­che hel­len Ver­stand und tie­fes Ge­fühl in sich ver­ei­ni­gen.

Mar­cel­lo hat­te die ers­ten Tak­te ge­hört, und ein Strom von Freu­den­trä­nen brach aus sei­nen Au­gen. Der Graf, un­fä­hig sein Ent­zücken zu be­meis­tern, rief aus: Bei al­lem Blu­te Chris­ti, die­ses Weib ist schön! Es ist San­ta Cä­ci­lia, San­ta The­resa, San­ta Con­sue­lo! Es ist die Poe­sie, die Mu­sik, der Glau­be in Per­son. An­zo­le­to war aus­ge­stan­den, er konn­te sich auf sei­nen bre­chen­den Kni­en nur mit Hil­fe sei­ner Hän­de er­hal­ten, mit wel­chen er sich an das Git­ter der Tri­bü­ne klam­mer­te; er fiel atem­los, ei­ner Ohn­macht nah, wie be­rauscht von Freu­de und Stolz, auf sei­nen Sitz zu­rück.

Alle Scheu vor der hei­li­gen Stät­te war nö­tig, dass nicht die zahl­rei­chen Di­let­tan­ti samt der Men­ge wel­che die Kir­che er­füll­te, in wahn­sin­ni­ge Bei­falls­be­zei­gun­gen wie im Thea­ter aus­bra­chen. Der Graf hat­te nicht Ge­duld ge­nug, das Ende des Got­tes­diens­tes ab­zu­war­ten, son­dern ging auf die Or­gel, um Por­po­ra und Con­sue­lo sei­ne Be­wun­de­rung aus­zu­drücken. Un­ter der Psalm­odie der Cho­ris­tin­nen muss­te Con­sue­lo auf der Tri­bü­ne des Gra­fen die Lob­sprü­che und den Dank Mar­cel­lo’s ent­ge­gen­neh­men. Sie fand Mar­cel­lo so be­wegt, dass er kaum re­den konn­te.

– Mei­ne Toch­ter, sag­te er mit ab­ge­bro­che­ner Stim­me, emp­fan­ge den Dank und den Se­gen ei­nes Ster­ben­den. Du hast mir einen Au­gen­blick be­rei­tet, wel­cher mich Jah­re töd­li­cher Schmer­zen ver­ges­sen ließ. Mich dünkt, als wäre ein Wun­der an mir ge­sche­hen, als wäre die­ses un­abläs­si­ge, schreck­li­che Lei­den vor dem Klan­ge dei­ner Stim­me auf im­mer von mir ge­wi­chen. Wenn die En­gel dort oben sin­gen, wie du, so seh­ne ich mich, die­se Erde zu ver­las­sen, um die ewi­gen Freu­den zu schme­cken, de­ren Vorah­nung du mir ver­schafft hast. Sei denn ge­seg­net, mein Kind, und sei glück­lich auf die­ser Welt, wie du es ver­dienst. Ich habe die Faus­ti­na ge­hört, die Ro­ma­ni­na, die Cuz­zo­ni und alle die größ­ten Sän­ge­rin­nen der Erde: sie rei­chen dir nicht an die Knö­chel. Dir ist es auf­be­hal­ten, die Welt ver­neh­men zu las­sen was sie nie ver­nom­men hat­te, und sie füh­len zu las­sen, was noch kein Mensch ge­fühlt hat.

Ver­nich­tet und wie zer­bro­chen un­ter die­sem präch­ti­gen Lob, senk­te Con­sue­lo das Haupt, beug­te ihr Knie fast zur Erde, und führ­te, un­fä­hig ein Wort zu spre­chen, die fal­be Hand des er­lauch­ten Ster­ben­den an ihre Lip­pen: als sie sich aber er­hob, ließ sie auf An­zo­le­to einen Blick fal­len, wel­cher ihm zu sa­gen schi­en: du hat­test mich nicht er­ra­ten, Un­dank­ba­rer!

94,80 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Объем:
3441 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783962816148
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

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