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Читать книгу: «Hann Klüth: Roman», страница 4

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Schräge, schlecht gezogene Beete, auf denen Rüben und Petersilie wuchsen, und hier und da ein verkrüppelter Apfelbaum, der im Kampf mit dem Winde bucklig geworden.

In den Blättern raschelte ein unfreundlicher Zug, am Himmel fand ein höhnisches Spiel zwischen Sonne und grauen Wolken statt.

* * *

Das Dirnchen hatte eine der Sonnenblumenstauden zu sich herniedergebeugt und zupfte nun ein Blatt der kranken Köpfe nach dem andern ab.

Allmählich färbte sich ein gelber Teppich zu ihren Füßen, bis ihn der Wind wieder von dannen fegte.

»Lining,« fing Hann an, der hinter ihr stand und in seiner Trauer seine Furcht vor ihr vergessen mochte, »siehst du, Niklas von oll Kusemann hat recht behalten. Nu is Vater abgesetzt – und sie haben sich verlobt.«

Nun hätte sie fragen müssen, welche Zweifel ihn eigentlich plagten. Indessen sie schwieg. Warum, wußte sie selbst nicht. Aus Eigensinn oder weil sie gewohnt war, mit ihrem treuen Begleiter, der überall hinter ihr hertrollte, nach Laune zu spielen.

Sie schwieg und zupfte schneller.

»Lining,« fuhr Hann eingeschüchtert fort und sah verlegen auf seine Stiefel hinunter: »Verloben? – Das is doch eigentlich was sehr Feierliches.«

Noch immer rührte sie sich nicht, und doch schielte sie ein wenig seitwärts nach ihm hin. Dem kecken, frühreifen Ding kam die Erinnerung, daß ihr treuer Gespiele sie neulich geküßt. – Im Grunde war sie auch seine Braut. Sie spitzte die Lippen.

Was er ihr wohl zu sagen hatte?

»Lining,« stotterte der Junge, bei dem die ersten forschenden Gedanken durchaus nicht in dem groben Gehirn verharren wollten, die vielmehr aus ihrem Käfig ausbrachen wie eine Schar schreiender Gänse auf die Landstraße. »Lining, hinter dem Verloben muß doch noch was stecken, kuck – wir« – er wurde glühend rot – »wir sind doch auch verlobt – wie oll Kusemann sagte – aber – wir – Lining, sei nicht bös – wir mögen uns doch auch leiden – ! Dietrich Siebenbrod aber und Mudding, die mögen sich doch nicht ausstehen und verloben sich doch. – Daß so was erlaubt is?«

Nachdenkend hielt er inne.

Immer wandte sie ihm noch den Rücken. Langsam jedoch, mit einer unbewußt koketten Bewegung bog sie jetzt den Hals und blickte ihn mit ihren braunen Augen suchend und staunend an.

Sie wartete. Er hatte gewiß noch etwas Wunderschönes zu sagen. Wie eine ganz feine, leise Musik begann es in dem herbstlichen Garten um sie herum aufzuklingen. Viel, viel später noch leuchtete diese Szene zu ihr herüber, wie ein farbenschimmernder, erwartungsvoller, verheißender Kindertraum.

In dem frischen Winde flatterte die Schleife in ihren Haaren gleich einem rosigen Wimpel; die vollen roten Lippen bebten vor Frost und vor Neugierde.

»Du magst mich gern leiden?« brachte sie hervor.

»Ja,« entgegnete Hann erschreckt. »Das hab' ich gesagt.«

»Ich mag dich auch gern leiden,« flüsterte Line und streckte ihm mit einer raschen Bewegung ihre runde, rosige Hand hin.

Da verdarb ihm die Philosophie alles. Dieses verwünschte methodische Hinstarren auf die Gedankenkegelbahn, auf der er die ersten ungeschickten Würfe tat.

»Der Amtsvorsteher nimmt Mutter und Siebenbrod am Ende gar nicht an,« gab er dem Gespräch eine andere Wendung, während er sich aus Furcht vor der ausgestreckten Hand beinahe zum Ausreißen wandte. »Wenn er erfährt, daß sie sich nicht gern haben, dann schickt er sie vielleicht nach Hause.«

Noch immer wartete Line. – Langsam sank das Händchen herunter, vor dem Hann bereits bis hinter den Apfelbaum zurückgewichen war.

Ein plötzlicher Windstoß brauste durch die Zweige und warf harte Früchte herab.

Da riß Line in aufflammendem Zorn eine riesige Sonnenblume, die hinter ihr herabhing, von ihrem Stengel und schleuderte sie dem Jungen mit aller Kraft ins Gesicht. Hart klatschte es gegen seine Haut.

»Lining,« rief er bestürzt. »Was tust du?«

In demselben Moment rollte eine Equipage die Dorfstraße entlang und hielt vor dem Klüthschen Hause.

»Dummer Bengel,« rief das Mädchen.

Dann lief sie mit flatternden Röcken auf das glänzende Gefährt zu.

VII

Der Konsul Hollander war ein griesgrämiger Herr.

Wohl hatte er vier der schönsten Pferde im Stalle, doch pflegte er sie aus Trotz gegen sich und gegen seine Familienangehörigen selten zu benutzen. Jeder Luxus schien ihm etwas so Verabscheuungswürdiges, daß er sich von Zeit zu Zeit sogar seines schönen, lebenden Besitztums schämte.

Mußte er notgedrungen, so wie heute, den Bitten seines Töchterchens Dina, die so gar nicht in das stille, vereinsamte Kaufmannshaus paßte, nachgeben, wurde die altväterliche und bequeme Equipage zu einer Spazierfahrt einmal angespannt, thronte der alte, steifleinene Johann in seiner verschossenen Livree wirklich einmal vorn auf dem Bock, dann konnte man sicher sein, daß der Konsul brummig auf seinem Hintersitz hockte, den Stock mit dem englischen Knopf fest gegen das Kinn gepreßt, um ununterbrochen leise Zeichen der Unzufriedenheit vor sich hinzumurmeln.

Das klang ungefähr so: »Alle Krankheiten laufen sich die Tiere auf so einer verwünschten holprigen Chaussee. Diese ruckartige Bewegung ist dem Körper in hohem Grade unzuträglich. Überhaupt das ganze ein Frauenzimmervergnügen. Müssen sich zeigen – und das alles in den wichtigsten Geschäftsstunden.«

Und zu seiner Schwester, einer unverheirateten Dame, die wie ein gepudertes Bild aus der Rokokozeit breitröckig neben ihm thronte, pflegte er mit einer ironisch-höflichen Verbeugung und bittersüßem Lächeln hinzuzusetzen: »Habe ich dich getreten? Das tut mir leid, aber in diesem Kasten kann ich mir nicht anders helfen.«

Derartige Reden waren aber so bekannt, daß die beiden Damen sich nicht sonderlich darum kümmerten. Die Tante erklärte vielmehr ihrer Nichte Dina, die erst kürzlich aus der Schweizer Pension zurückgekehrt war, mit gutmütiger Regelmäßigkeit alle irgendwie hervortretenden landschaftlichen Schönheiten, ohne sich dadurch irgendwie stören zu lassen, daß sie dies bei ihren Ausfahrten jedesmal zu befolgen pflegte. Und das elegante Fräulein, das so blond, modern und vornehm aussah, nickte stets dazu und erwiderte immer: »Danke, danke.«

* * *

Als der Konsul in die Nähe des Klüthschen Familienhauses gelangt war, versetzte er plötzlich dem alten Johann mit dem Stock einen leichten Schlag auf den Rücken.

»Anhalten!«

Richtig – hier hatte er ja etwas abzuwickeln.

An den alten Klüth, der einmal Schiffszimmermann auf seiner Werft gewesen, hatte ihn noch etwas Persönliches gebunden.

Nun sollte ja eine neue Generation, eine feinere, kultiviertere mit ihm in Verbindung treten.

Diese mußte er sich erst einmal genau besehen.

Wer weiß, was da wieder dahintersteckte. Er hielt es nicht sehr mit der neuen Zeit.

* * *

Die beiden Damen saßen auf zwei Stühlen, welche die kleine Frau Klüth mit unheimlichem Eifer und ohne daß es notwendig gewesen wäre, gereinigt hatte. Der Konsul dagegen stand mitten in der Stube, den Stock wie immer gegen das glattrasierte Kinn gepreßt und sah mit seinen grauen Augen, die so groß unter den weißen Brauen hervorblickten, auf Bruno herab, der schweigend und doch unsicher vor seinem zukünftigen Chef verharrte.

An den Wänden ringsherum befanden sich die übrigen Familienmitglieder. Alle hielten den Atem an, als könnten sie den mächtigen Handelsherrn irgendwie beleidigen, während Siebenbrod von Zeit zu Zeit langsam an seiner eigenen Hose herabfuhr, um jede Bemerkung des Konsuls dann mit einem beistimmenden: »Jawoll, jawoll – so 's recht, Herr Konsul« zu begleiten.

Eingehend erkundigte sich Hollander nach Brunos Vorbildung und Kenntnissen, und merkwürdig, bei jeder neuen Wissensposition, die sein künftiger Lehrling zu besitzen behauptete, entfuhr dem Kaufmann stets ein zweifelhaftes »Na, na!«

»Englisch?«

»In meinem Zeugnis steht gut!«

»Na, na!« grunzte Hollander, und nachdem er sich noch die Handschrift seines Schülers betrachtet und ebenfalls verdächtig mit dem Kopf geschüttelt hatte, sagte er hart und abweisend, als wenn er dem Neuaufzunehmenden in der Tat nicht viel Vertrauen entgegenbrächte: »Das mag alles recht schön und gut sein. Aber die Hauptsache liegt ganz woanders. – Wissen Sie, wo?«

»Nein,« entgegnete Bruno nach einigem Besinnen offenherzig.

»In der Treue und Ehrlichkeit liegt sie,« knurrte Hollander.

»O Herr Konsul,« erlaubte sich bei dieser Stelle die kleine Frau Klüth anzufügen, »so was ist doch wohl selbstverständlich!«

»Na, na – wollen sehen, ich meine auch eine Ehrlichkeit, wie sie jetzt in Geschäften selten geworden, so eine Treue im großen. Und nun, lieber junger Mann, müssen Sie sich vor allen Dingen nicht überspannten Ideen darüber hingeben, was Geschäft heißt. Ich hab' da mal so ein Buch gelesen von einem Gustav Freytag – >Soll und Haben< – . Sehr schön. Wenn Sie so was erwarten, dann können Sie gleich zu Hause bleiben. Kaufmann ist der Stand der Demut, wer nicht bescheiden ist, bringt's da sicher zu nichts. Und nun sagen Sie mal, mein junger Freund, was glauben Sie denn nun, werden Sie zuerst bei mir zu besorgen haben?«

Bruno kämpfte das niederdrückende Gefühl tapfer nieder und versicherte, er denke, man werde ihm vielleicht zu Anfang eines der untergeordneten Bücher zur Führung übergeben.

»So, so?« lachte Hollander kurz und stieß sich mit dem Knopf gegen das Kinn. »Untergeordnete Bücher? Sehr hübsch! Untergeordnete Bücher, das ist ein guter Anfang. In einem anständigen Betrieb gibt es überhaupt keine untergeordneten Bücher. Aber damit Sie es gleich wissen, mein liebes Jünging, Sie fangen eben so an, wie ich auch begonnen habe. Also zuerst schließen Sie früh morgens sieben Uhr hübsch die Kontore auf, dann fegen Sie die Dielen auf. – Sollte Ihnen das nicht passen, dann wollen wir gar nicht erst beginnen. Dann wischen Sie Staub ab. Den Papierschrank in Ordnung halten und kopieren lernen, das ist schon die nächste Stufe, und so geht es weiter. Immer in Bescheidenheit, so fängt der Deutsche an. Das Feine, so mit englischer Tischzeit und so weiter wollen wir den Herren in London überlassen. Haben Sie sich alles so vorgestellt?«

Bruno machte eine Verbeugung und versicherte mit Herzklopfen, daß er sich große Mühe geben würde.

»Schön,« meinte Hollander, »wollen sehen. Wohnen und essen werden Sie zunächst bei mir, und morgen früh schicke ich meinen Wagen heraus, damit er Sie und Ihre Sachen abholt! Gut – abgemacht!«

Er streckte ihm die Hand hin, drückte sie gewichtig und ging dann fest auf Frau Klüth zu.

»Haben Unglück gehabt,« sagte er, »braver Mensch gewesen, Ihr Mann, hat mir lange Jahre, als ich selbst noch nichts war, treu gedient. – Na, wollen sehen, kann dafür vielleicht aus Ihrem Jungen was machen. Komm, Dina!«

Die beiden Damen verabschiedeten sich, indem sie jedem der Anwesenden die Hand reichten.

Als Dina die Finger der kleinen Line in den ihren hielt, wandte sie sich erfreut zu der Rokokotante und flüsterte »Wie hübsch!«

Dann verbeugten sie sich und bestiegen wiederum die Equipage, deren Schlag von Siebenbrod aufmerksam und ehrfurchtsvoll gehalten wurde.

»Nach Hause,« befahl Hollander, nachdem er sich wieder auf seinem Platz befand. Und als er Brunos unter den Fenstern noch einmal ansichtig wurde, blickte er ihn nochmals prüfend an und murmelte: »Na also – wollen sehen!«

VIII

Mächtig verhaltene Aufregung war über die Familie gekommen. Kaum hatte der Konsul das Haus verlassen, da begab sich die Mutter auf die Bodenräume und begann klopfenden Herzens Brunos Sachen in einen Koffer zu verpacken.

Siebenbrod half ihr dabei; er wollte auch etwas Väterliches leisten.

Inzwischen hatte sich der Wind gelegt. Warme Abendsonne lag über dem Dörfchen, und überall waltete eine Frische, die alles Ferne nah und klar erscheinen ließ.

Da litt es den aufgeregten Bruno nicht länger in der weiten, niedrigen Stube, eine Furcht war über ihn gekommen, die er sich selbst nicht erklären konnte. – Wenn nur die Rede des Konsuls über seine neuen Pflichten nicht gewesen wäre!

Eine merkwürdige Ahnung der Zukunft beschlich ihn. Er fühlte, etwas Unfertiges, Halbes war in ihm, er war zu wenig gerüstet, der Welt, die er nun bezwingen sollte, entgegenzutreten.

Unbestimmte, ferne Dämmerungen taten sich vor ihm auf. Und immer wieder plagte ihn der phantastische Eindruck, als höre er drinnen aus der Stadt, von der er nur die Türme ragen sah, Tanzmusik, Goldklingen und Mädchenlachen. Das war gräßlich. Aber er vernahm es immerfort. Halb verzweifelt bedeckte er sich mit dem modischen Hut, der auch bereits in der Stadt gekauft war, und lief hinaus.

Ah, hier war doch Bläue, Frische, Abendsonnenschein.

Was kümmerte es ihn, daß auch die beiden Kleinen, Line und Hann, mit ihm zugleich aus der Tür traten? Als sie ihm nachriefen, rannte er nur umso schneller dahin.

Nein, nein, er mußte erst mit diesen törichten und doch quälenden Dingen, die er nur aus unreifen Büchern aufgelesen haben konnte, fertig werden.

»Bruno – nimm uns mit!«

Er hörte nicht.

So schlichen denn die beiden dem Voraufgegangenen nach, immer nach ihm ausspähend, doch beide von dem einen Ehrgeiz besessen, mit dem erwachsenen Bruder diesen letzten Abend noch gemeinsam verbringen zu dürfen.

Gegenüber von der gemütlichen Krugwirtschaft, aus der gerade Gesang von Studenten schallte, überschritt Bruno eine baufällige Brücke, die in das Nachbardorf hinüberleitete.

Und immer auf die fernen Türme der alten Hansestadt starrend, die im Abendflimmer wuchsen und sich verbreiterten, schritt er weiter. So war er in den uralten Wald gelangt, in jenen dunklen Götterhain, der seit grauen Zeiten ein Wahrzeichen der Gegend bildet.

Unter riesigen Eichen ragten hier Ruinen und zerstörte Kreuzgänge eines alten Zisterzienserklosters auf, und da hatte auch Bruno seinen Lieblingsplatz. Aus roter, zertrümmerter Mauer brach in halber Manneshöhe eine mächtige, verwitterte Grabplatte hervor. Gott allein wußte, welch weltfremder Abt hier bestattet liegen mochte. Die Schriftzüge der Tafel waren lange verwischt; nur unten sprang in groben Buchstaben ein Wort hervor: »Mors.«

Dort ließ sich der Sekundaner nieder. Eine Weile blieb er allein, dann hallten Tritte durch den Wald.

Verwundert merkte er, daß die beiden Kinder mit ihm waren.

»Was wollt ihr?« fragte er gezwungen lächelnd, denn hart und verletzend wie sein älterer Bruder konnte Bruno sich niemals geben.

Treuherzig antwortete Hann: »Bei dir bleiben!«

Da ließ er sie beide neben sich auf den steinernen Sitz. Und stumm und ohne sich viel zu rühren saßen die drei nun nebeneinander.

Durch die dunklen Bäume schimmerte das Blau der See, durchschnitten von ungeheuren, blutroten Brücken, die die scheidende Sonne über die Fläche gezogen hatte. Und über diese Stege sahen die Geschwister tausend und aber tausend bunter, perlender Kugeln auf sich zu rollen.

Ein stiller – klarer – deutscher Abend!

Über ihnen, in einem der zerstoßenen Fenster des Klosters nistete eine Meisenfamilie. Die schwirrten in scharfem unhörbarem Flug den langen Hauptgang herunter, verschwanden im Dunkel des Laubes und kehrten sausend zurück.

Aus dem Binsensumpf kurz vor der See drang ein Surren und Summen. Sonst schwieg alles, wie die drei auf dem Stein.

Auch der Wald regte sich nicht. Er sann und träumte wie sie.

* * *

Aber einer war unter ihnen, der war bereits dazu bestimmt, einem Beruf anzugehören, der ihn immer wieder hart und rauh aus solch goldenen, undurchdringlichen Jugendträumen herausriß.

Von der Seite, wo das zerstörte Bauwerk mit dem Dominium zusammenstößt, drängte sich durch die Eichengebüsche eine große, vierschrötige Gestalt.

»Hann!« schimpfte Siebenbrod, der sich mühsam auf die Spur der Kinder gefunden hatte und nun entrüstet war, mindestens eine Stunde Zeit zu verlieren.

»Jung! Was ist nun wieder? Was sitzst du hier und kuckst in die Luft? Weißt du nicht, daß wir raussegeln müssen? Bist ja ganz dumm, Bengel. Steh auf, hier ist es nicht hübsch.«

Damit packte er ihn bei der Hand, und ohne daß er die beiden anderen eines Blickes gewürdigt oder zugelassen hätte, daß Hann sich auch nur verabschiede, zog er seinen Schutzbefohlenen mit sich fort.

In dem dämmrigen Kreuzgang wurde es wieder ruhig. Dann bemerkten die beiden Zurückbleibenden, wie ein einzelnes Boot sich von der Mündung löste und mehr und mehr die See gewann.

Die braunen Segel blähten sich, undeutlich gewahrten sie hinten am Steuer einen plumpen Kopf, der nach dem Hain und den roten Ruinen sehnsuchtsvoll zurückzuspähen schien.

Dann wurde der braune Punkt winziger und verging.

IX

In dem Walde wurde es neblig. Line fröstelte. Sie saß noch immer in dem weißen Kleidchen, von dem die rosige Schleife in Hanns Augen so wundervoll abgestochen hatte.

»Ob er nun nicht bald nach Hause geht?« dachte das Mädchen, für das der neue Lehrling mit seiner geschmeidigen Figur und den immer gut und städtisch sitzenden Anzügen von jeher einen vornehmen Herrn bedeutet hatte. Unwillkürlich legte sie dabei ihre Hand auf seine Finger.

Die fröstelnde Haut brachte den Nachdenklichen zu sich.

»Was willst du eigentlich hier, Kleine?« fragte er freundlich, während er ihr leicht über die Haare strich.

Er sah sie an.

Das Verhältnis zu der niedlichen Pflegeschwester war immer nur das eines erwachsenen Jungen gegen ein unbedeutendes spielendes Ding gewesen.

»O nichts,« versetzte sie ein bißchen schnippisch, »kümmere dich nicht um mich.«

Dabei führte sie den Finger an die Lippen und ließ sie leicht gegeneinanderschnellen.

Das sah liebenswürdig und trotzig zugleich aus. Bruno gefiel das so sehr, daß er plötzlich hell auflachte und die Kleine bat, dieses Spiel noch einmal zu wiederholen.

Sie jedoch schüttelte verwundert das Haupt. »Wozu?« versetzte sie gekränkt. »Ich bin kein Kind mehr. Das mußt du nicht glauben.«

»So? – Ach was? – Sag mal, wie alt bist denn eigentlich?«

»Das weißt du nicht?«

Ihre Stimme nahm einen immer verletzteren Klang an, doch den Lehrling schien dies nur in seiner heiteren Laune zu bestärken.

»Das weißt du nicht?« wiederholte sie heftig, während sie auf der Steinplatte herumkratzte.

»Nein, nimm's nicht übel, Kleine, ich hab' nicht so genau aufgepaßt.«

»Schön, dann will ich dir's sagen. – Ich bin tausend Jahre alt,« platzte Line heraus und stieß ihn mit der kleinen Faust zornig vor die Brust. »So, nun weißt du's.«

Ihr Körper krümmte sich dabei zusammen wie der einer geschmeidigen Katze, mit einem Satz war sie von der Platte herunter.

»Ich geh nun nach Haus!«

»Dummes Zeug!« rief Bruno verblüfft. »Wozu? – Was soll das?«

Dennoch mußte er hinter ihr herrennen.

Sie wirbelte wie ein weißer Schatten durch den Klostergang.

Die Blätter raschelten zu ihren Füßen.

»Line – Donnerwetter – steh doch.«

Da war sie verschwunden.

Wohin?

Eingesunken, von der Erde verschluckt. Eine Sage ging, daß oft Namenlose, von denen keine Pergamente melden, ehemals bei den Mönchen so verschollen seien. Verwirrt blickte Bruno nach allen Seiten.

»Line,« lockte er nochmals.

Kein Laut!

Nur die Eichenkronen schüttelten sich und an dem bröckligen Mauerwerk lachte die Abendröte.

Ein Eichhörnchen hockte in einer Fensternische und zog ihm eine Nase.

Unvermittelt erhielt er im Rücken einen Stoß, so daß er vorwärts taumelte. Eine Baumwurzel krümmte sich vor seinen Füßen. Die ließ ihn stolpern.

Er kniete jetzt.

»So wird's gemacht,« klang hinter ihm Lines schadenfrohe Stimme, »du bist doch nicht klug genug.«

»Teufel nochmal, Ding; woher kommst du?«

»I, ich wollte dir bloß zeigen, daß ich auch manches kann, was du nicht weißt.«

Sie weidete sich einen Moment an dem Knienden und zeigte ihre weißen Zähne.

Plötzlich schrie sie auf.

Der Sekundaner war auf die Füße geschnellt und preßte mit einem festen Griff ihre Hände in den seinen.

»So,« forderte er atemholend, »nun bitt' ab.«

»Nein,« widersprach Line.

»Kleine, sei artig,« ermahnte der Lehrling. »Solche Wildheit muß dir abgewöhnt werden. Immer friedlich, Wurm.«

Allein sie sträubte sich, und er gab sie nicht frei. Bei dem Winden und Drehen stieg ihr das Blut in die Wangen, der geschmeidige Körper bog sich wie eine schlanke Gerte. Eine kurze Zeit, dann verließ sie die Kraft, und allmählich drängten sich ihr ein paar große Tropfen in die Augen.

»Tu ich dir weh?« forschte Bruno gespannt.

Line verbiß den Schmerz.

Er aber zog hastig seine Hände von ihr zurück und gab sie frei.

Merkwürdig – jetzt hätte sie entwischen können. Doch sie blieb und ging von jetzt an ruhig neben ihm her.

So waren sie bis an die niedrige, verfallene Feldsteinmauer gelangt, welche die Ruinen der Landstraße abschließt.

In der Abendsonne wand sich hier die Chaussee wie eine goldene Schlange vorbei, zur Seite schob der Wald seine dunklen Massen weiter ins Land hinein, und ganz hinten aus den nebligen Äckern, umquollen von den sich hebenden Abenddünsten, rollte unter undeutlichem Läuten die Sekundärbahn heran.

Bruno blieb stehen. Ihm kam der Gedanke, daß er das alles heute für lange Zeit zum letztenmal sehen würde.

Leise vor sich hinsummend, ließ er sich auf dem Mauerwerk nieder und starrte in die weite, nebeldampfende Ebene hinein. So merkte er erst nach einer Weile, wie das Mädchen unschlüssig neben ihm verharrte, weil sie sich scheuen mochte, in ihrem weißen Festkleid ebenfalls auf der schmutzigen Mauer Platz zu nehmen. Da zog er sie einfach an sich.

»Komm!«

Und ohne viel Umstände, kindlich und natürlich setzte sie sich ihm auf die Knie. Er schlug seinen Arm um sie, und sie rückte sich zurecht.

Nach geraumer Zeit erst äußerte der Sekundaner: »Das ist hübsch.«

Und Line nickte ernsthaft dazu und sagte: »Ja, das ist es.«

Dazu lag still und warm und rot die scheidende Abendsonne auf ihnen und aus den herbstlichen Bäumen raschelten braune Blätter auf ihre Häupter.

Da wandte sich Line nach ihm zurück. Als sie ihn ansah, bemerkte sie mit Erstaunen, daß in dem hübschen braunen Gesicht des Pflegebruders ein dunkles Schnurrbärtchen auf der Oberlippe zu sprossen begann. Das war ihr neu. Und aus ihren Augen und aus dem sich langsam öffnenden Munde sprach so viel Bewunderung, daß Bruno, der wohl fühlte, daß etwas Schmeichelhaftes für ihn darin lag, das kleine Ding plötzlich lachend und doch mit Hast an sich riß.

Sie sträubte sich gar nicht.

Ganz eng schmiegte sie sich an ihn, ja, sie verkroch sich geradezu an seiner Brust, so daß er deutlich empfand, wie weich und fest zugleich ihre Glieder sich fügten.

Eine schülerhafte, scheue Begierde stieg in ihm auf, auch ihren Mund zu berühren. Die roten Lippen leuchteten ihm so dicht!

Aber nein – nein, das wagte er nicht.

Es war überhaupt das erste Mal, daß er so kosend nah sich einem Mädchen fand. Und nun noch gerade diese! —

Nein!

Er schämte sich, fürchtete sich und lächelte doch ein wenig unwillig über sich selbst.

Ein merkwürdiger, angenehmer Schauer begann ihn dabei zu überrieseln. Und sie wand sich immer wohliger in seinem Arm. Noch war ihr unklar, warum, doch immer tiefer nistete sie sich bei ihm ein, blinzelte verstohlen zu dem Schnurrbärtchen empor und spann vor Freude, wie eine kleine Katze vor dem Schlummern.

Wieder wiegten sich beide einen fröhlichen Moment. – Dann surrte die Sekundärbahn mit ihren drei schwarzen kreischenden Waggons heran, und ein schriller, durchdringender Pfiff weckte beide auf.

Sie sahen sich an.

Dann mußten sie lachen. Keiner wußte den Grund.

Es war das Lachen zweier blutjunger Menschen, die sich entdeckt haben.

Aber sie wußten es nicht.

* * *

Langsam schlich der Abend über die Landstraße. Rechts und links fing er in seinem schwarzen Sack die letzten Sonnenstrahlen, die wie goldene Mäuschen über den Weg huschten.

Überall stiegen Schatten an Mauern und Bäumen empor und griffen nach der Röte, die dort noch ruhte.

Die Sekundärbahn, die am Fluß entlang auf die Stadt zustrebte, fuhr wie in einen dunklen Tunnel hinein. – Nur ihre roten Augen, die sie auf dem Rücken besaß, glimmten noch eine Weile nach dem einsamen Paar zurück.

Da wand sich Line von Brunos Knien herab und streckte den Arm nach den roten, blinzelnden Augen aus. »Morgen abend bist du auch da drin,« begann sie beinah anklagend.

»Ja, morgen abend schlafe ich schon in der Stadt,« entgegnete er rasch.

Hastig atmete er dabei auf.

»Was wirst du in der Stadt anfangen?« fragte sie weiter.

Er sah sich um, ob ihn auch niemand höre. Dann schlüpfte ganz heimlich das Unterste, Verborgenste aus ihm heraus.

Der Traum, der tief in der Seele im verschlossenen Kämmerchen auf weichem Bette geschlummert, der stieg scheu und schämig auf die Erde.

»Reich will ich werden, Line.«

»Reich?«

»Sehr reich. Unermeßlich reich.«

»Wozu willst du das?«

Mit einem Ruck hatte er sie wieder an sich gezogen. Doch sie setzte sich ihm nicht mehr aufs Knie. Stehend, von seinem zitternden Arm umschlungen, während ihr Ohr fast seinen Mund berührte, hörte sie alles mit an, sog es in sich ein, was er ihr nun mit fiebernder Hast, mit ausbrechender, üppiger Knabenphantasie vormalte.

Ein eigentümliches Beben ging durch seine flüsternde Stimme.

Ja, das mußte jahrelang in ihm geschafft und gewirkt haben. – Was vernahm sie nicht alles? – Das Gold, das sei der Schlüssel zu aller Macht und Herrlichkeit. Diese blitzenden Goldstücke hingen wie Sterne über jedem irdischen Menschenhimmel. Manchmal regne es von dort oben in weiten Strömen. Dann wüchsen aus dem getroffenen Acker Schlösser, Paläste, Gärten mit seltenen Blumen, Kleider, Livreen, schnelle Pferde und die seltensten Braten hervor. Freilich, nur ein paar Auserwählte seien es, die das Geheimnis ergründet hätten. Hollander gehöre dazu. Der hätte es. Und von dem alten Manne müßte er es auch erlernen. Sonst käme er nicht wieder, ganz gewiß nicht, sonst stürze er sich irgendwo in die See, wenn er das nicht erreiche. Denn sonst lohne es nicht, zu leben. – Aber er würde es erreichen, jede Nacht beinah hätte er ja davon geträumt, ja manchmal hätte er ganz deutlich gehört, wie es vor seinem Bette seltsam geklungen und geklappert hätte.

Ganz deutlich.

»Klipp – klapp.«

»Das ist fein,« flüsterte Line, der es wie Feuer durch die Adern brannte.

Die schönen Kleider und die Schlösser hatten es ihr angetan.

»Ja, aber es ist schwer,« murmelte er bekümmert.

Nun tastete langsam der Mond über die Baumkronen herauf.

»Und wenn du dann reich bist?« forschte sie mit verhaltenem Atem weiter, »dann – ?«

»Ja, dann – «

Ganz berauscht, toll von dem Klang der eingebildeten Schätze preßte er die Stehende an sich, bis er die Schläge ihres erregten Herzens hämmern hörte. Seine Knabenaugen leuchteten in den ersten Mondesstrahlen gleich einem Paar prachtvoller Edelsteine.

»Kann ich auch reich werden?« forschte sie plötzlich mit aufwachender Gier.

»Du?«

Er lächelte.

»Warum lachst du? Warum schüttelst du den Kopf?«

»Du nicht.«

Da riß sie ihre Hand ungestüm von ihm zurück. Ihr Mund zuckte. »Warum nicht?« rief sie verzweiflungsvoll.

»Weil du nicht genug gelernt hast,« erklärte er begütigend und erhob sich, um sie mit fortzuziehen. »Aber, das schadet ja auch nicht, Liebling. Wenn man so hübsch ist wie du. – Komm.«

Halb im Taumel ließ sie sich von ihm leiten. Alles summte in der aufwachenden Seele durcheinander, die Liebesworte und der Goldklang. Und immer wieder, fast bettelnd, suchte sie den Großen davon zu überzeugen, wie sie am Ende doch nicht so wenig gelernt hätte. Dabei ergab sich, daß sie die unregelmäßige Dorfschule monatelang überhaupt nicht gesehen, ja, wie dies dem alten verbummelten Lehrer Toll nicht einmal als etwas Besonderes aufgefallen wäre.

Spitzbübisch wollte sie die Lippen bei dem losen Streiche spitzen. Doch ganz ohne Übergang fuhr sie zusammen und begann laut vor sich hinzuschluchzen.

»Herrgott, Lining, was weinst du?«

»O nichts!«

Damit schüttelte sie sich die Tränen ab und warf ihr Köpfchen kräftig in den Nacken.

»Ich kann nicht reich werden, ich hab' nicht genug gelernt,« ging es durch ihre Gedanken. Und dann blickte sie wieder mit heimlichem Neid auf ihren Gefährten, der nun bald in diesen goldenen Gärten spazierengehen würde.

Plötzlich griff sie in der Dunkelheit heftig nach seiner Hand, und beinahe zornig stürzte es aus ihr heraus: »Sag' mal, kommst du nun bei Hollander auch mit lauter solchen Menschen zusammen, die was gelernt haben?«

Das bejahte er. Lachend über ihre kindliche Wut, und geschmeichelt, daß sie ihn augenscheinlich gleich einem höheren Wesen verehre.

Nun standen sie vor der Brücke. Unten gurgelte und sang der Fluß, vom jenseitigen Ufer blinkten die erleuchteten Fenster der Krugwirtschaft herüber. Und da! – Was war das?

Grobe Tanzmusik drang über das Wasser, hinter den angelaufenen Fensterscheiben huschten blasse Schatten vorbei!

Kling – kling – plump – plump – trala!

Line griff nach dem Geländer der Brücke und wurzelte an. Ihre Augen saugten sich an den kleinen, leuchtenden Fenstern, die so wunderliche Lichtstrahlen in die Finsternis hinaussandten, förmlich fest; ihre Zähne biß sie scharf zusammen.

»Nicht doch! – Was soll das? – Komm, Kleine.«

»Bruno?«

»Ja.«

»Sieh da, bei Gastwirt Krügern da tanzen jetzt die Studenten mit den Fischerfrauen und den Mädchen.«

Auch er warf einen verlangenden Blick hinüber und streckte dann die Hand nach ihr aus.

»Ja, ja – aber was soll das? – Du mußt nach Haus.«

»Du, da drüben möcht' ich auch hin.«

»Da drüben?« Er hielt sie fest. »Hör', – da gehören keine Kinder hin.«

»Ich bin kein Kind mehr. Das sollst du sehen.«

Mit einer schlangenhaften Wendung wischte sie ihm unter der Hand fort.

»Jetzt lauf ich rüber.«

Er geriet in Angst.

»Lining – bedenk doch – wir haben ja Trauer.«

»Oh, bei so einer, die nichts gelernt hat, schadet das nichts. Nein, nein, da schadet das gar nichts. Ich will bloß zusehen.«

»Um Gottes willen, bitte, tu das nicht – mir zuliebe! Ja?«

Seine Stimme zitterte so flehentlich, daß sie stehen blieb und zögerte. Über die hohen Schwebebalken der Brücke glitt der Mond, so daß sich beide genau betrachten konnten. Da öffnete sich drüben in der Schenke eine Tür. Ein Strom von Musik und Gelächter schoß heraus.

Kling, kling, plump, plump, trala!

Das entschied.

Line zitterte vom Kopf bis zu den Füßen. »Bloß zusehen,« rief sie noch einmal mit geschnürter Stimme, »du kannst auf mich warten!«

Im nächsten Moment flog sie über die Brücke, und wie von unsichtbarer Hand zurückgehalten starrte ihr Bruno nach. Seine scharfen Augen verfolgten die Fliehende, bis sie gleich einem weißen Pfeil durch den Wirtshausgarten schoß. Dann griff er sich an die Stirn und sah sich um. Rechts von ihm ruhte die unendliche, finstere Masse des Meeres, links glitzerte im Mondenlicht der silberne Fluß, und weiterhin zuckte am Himmel ein breiter leuchtender Schein. Unter diesem lag in der Ferne die Stadt, in der er morgen schon wohnen und wirken sollte.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
11 августа 2017
Объем:
360 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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