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Читать книгу: «Hann Klüth: Roman», страница 3

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V

Nachmittags kehrte Hann pudelnaß zurück.

Der blaue Drillichanzug klebte an seinen ungelenken Gliedern, unaufhörlich leckte das Wasser von ihm herab; seine Mütze hatte er verloren.

Das waren die nächsten Folgen seines ersten Unterrichts. Zuvörderst hatte ihn Siebenbrod hinten an dem Steuer des weißen Lotsenbootes Platz nehmen lassen. Er hatte ihm gezeigt, wann man rasch, wann man langsam drehen müsse; er hatte ihm die Stellung der Segel erklärt und ihn zum Schluß in das schwierige Geschäft des Windabfangens eingeführt. Sodann wurde von Siebenbrod ein förmliches Examen über das eben Erläuterte angestellt, und bei jeder vergessenen Position tat ein gelinder Puff, zuweilen auch eine Ohrfeige das übrige.

Zuletzt aber kam der Höhepunkt des heutigen Tages. Ein Exerzitium, das Hann gewiß nicht so bald vergessen wird.

Sie segelten gerade im offenen Bodden.

Glatt, wie poliert, lag die glänzende Scheibe da. Nur fern und verschwommen, wie hinter zarten, blauen Nebeln, ragte das Dörfchen. Man vernahm von dort kaum das monotone Schlagen der Dorfuhr und zuweilen das Kläffen eines Hundes.

Am lichterfüllten, tiefen Himmel zeigte sich bereits das bleiche Viertel des Mondes.

Eben hatte Siebenbrod eine kleine Pause in seinem Unterricht eintreten lassen.

Mit aufgestütztem Kopf hockte er auf der zweiten Ruderbank und glotzte während des Hingleitens melancholisch auf den Vorratskasten des Bootes, in dem eine wohlgefüllte Kirschschnapsflasche stehen mußte, ein Genuß, dem er nun ein für allemal abgeschworen.

Wer würde jetzt wohl den feinen Tropfen trinken? Schade – schade – aber wenn man selbständig werden und in die vornehme Gilde der Zesnerfischer zugelassen werden wollte?

Kein Spaß, wahrhaftig!

Schwermütig nickte er mit dem Kopf, dann sah er zu Hann hinüber.

Der Junge hatte längst den Wind aus den Segeln verloren und träumte bekümmert zu der blassen Silberscheibe empor.

»Verfluchter Bengel!«

»Jesus!«

Der Knabe schrak krampfhaft zusammen. So weit war es schon gediehen.

»Na, ich tu dich ja nichts. Hab dich nicht, Jünging.«

Damit trat Siebenbrod auf ihn zu und pätschelte ihm auf dem Kopf herum.

Eine Weile sann er dann nach.

Ja, warum nicht? – Je eher, desto besser. Lernen mußte er es ja. Es war gut, wenn er ihm gleich diese große Wohltat erwies.

»Kannst du schwimmen, Hann?« fragte er deshalb mit plötzlichem Entschluß, wobei er seine Hakennase spürend in die Abendröte erhob.

»Ne, Siebenbrod.«

»Sag' Vater zu mich.«

»Du bist ja aberst nicht mein Vater.«

»Das schadet nichts. Sag' so.«

»Ne, ich kann nicht schwimmen, Vater.«

Der Junge begann wieder leise zu schaudern. Warum sollte er dem Bootsmann diesen Namen erteilen? Sein richtiger Vater schlief doch dort drüben unter den belaubten Ulmen, die man hinter der Kirche hervorlugen sah – Und weshalb grinste Siebenbrod so komisch bei dem Worte »schwimmen«?

»Siehst du,« bemerkte der Stiefvater, indem er noch näher an den sitzenden Jungen herantrat, wobei er mit gespreizten Beinen das Schwanken des Schiffleins zu verhindern suchte. »Das ist das Unglück bei uns Schiffern und Fischern. – Keiner kann. – Mein Vater is auf solche Weise vertrunken, und mein Großvater is auch vertrunken. Deshalb will ich dich jetzt die Kunst zeigen. Du willst ihr doch lernen?«

»Woll,« stotterte Hann mit Beben.

»Gut, dann komm zu mich – aberst vorsichtig.«

Hann kroch dicht neben den Stehenden hin. Der besah ihn sich schmunzelnd.

Jetzt folgte ja eigentlich ein großer Spaß. Und dann war's ja auch eine Wohltat.

»Fürchtest du dich?« fragte er noch einmal.

Der Knabe schüttelte mit zugeschnürter Kehle den Kopf. Sprechen konnte er nicht mehr.

»Na, dann pass' auf! – So wird's gemacht.« Ein rascher Griff – die Habichtskrallen hakten sich wieder, wie am Vormittag, in den Rockkragen des Jungen ein – dann hob er ihn hoch in die Höhe und ließ ihn zuvörderst ein wenig herumwirbeln.

»Du fürchtest dich doch nicht?« meinte er noch einmal ehrlich. – »Na, dann schwimm.«

Er ließ ihn los.

Plumps. Das Boot schwankte, als wollte es kentern. Hann versank sofort spurlos unter die Oberfläche.

»Na, also,« sagte Siebenbrod neugierig.

Nach ein paar Sekunden tauchte Hann wieder empor, kirschrot im Gesicht, mit Händen und Füßen wie besinnungslos um sich schlagend.

»So 's recht,« lobte Siebenbrod, »so bleib man bei.«

»Hilfe – Hilfe – laß mir ins Boot.«

»I ne, mein Jünging, dann lernst du ja nichts.«

»Ich – ich – kann nich mehr.«

»I – das glaubst du man. Siehst – stoß tüchtig aus – so 's schön.« Erst als Hann nach zehn Minuten wortlos das zweitemal versank, zog der Lehrmeister seinen Schüler auf die Planken zurück. Er war sehr zufrieden mit ihm. Aus Hann mußte etwas Erwähltes werden. Er hatte nach der Warmbieruhr eine volle Viertelstunde ausgehalten.

»Schön – schöning.«

Und wie der Junge völlig betäubt und teilnahmlos, zitternd und fröstelnd auf dem Vorratskasten saß, da schoß Siebenbrod der Gedanke durch den Kopf, daß er diese große Leistung auch gebührend ehren müsse. Rasch schloß er deshalb den Kasten auf, nahm die Flasche heraus, und als Hann errötend voller Ekel abwehrte, setzte er dem Jungen mit sanfter Gewalt das Glas an den Mund und zwang ihm mehrere Schluck hinunter.

»I, Jünging, das is dich ja gesund, der schöne Kirsch, so – so – siehst du – na, ich sag bloß, aus dich wird was – sollst mal sehn.«

Hann drehte sich etwas im Haupt. Aber dadurch steigerte sich Siebenbrods Zufriedenheit nur.

Wie schön roch nicht der geliebte Kirsch.

Wehmütig verbarg der Bootsmann das rubinfunkelnde Naß wieder in den Schiffsschrank. – »Ja, wenn man Zesnerfischer werden wollte.« Kein Spaß, wahrhaftig! Aber aus Hann wurde was! – Das stand fest.

* * *

Der arme Junge.

Er getraute sich nicht in das Lotsenhäuschen zurück, als Siebenbrod nach der gemeinschaftlichen Seefahrt in dem rotgepflasterten Flur verschwand. Noch zitterte er vom Kopf bis zum Fuß. Dazu summte der ungewohnte Alkohol förmlich in seinem Kopf herum. Er sah alles, als ob es auf Wolken tanze.

Und dann die Scham!

Geprügelt, durchgehauen, wie ein boshafter Köter. Nun wußten es doch gewiß bereits alle.

Ganz sicher, von Line mußten sie es längst gehört haben.

Oh, wenn bloß Line nicht dabei gewesen wäre. Das tat so weh. Er konnte sich selbst gar nicht erklären, warum das Bild des erstaunten, lächelnden Kindes in seinem Innern wie mit Messern eingerahmt schien.

Das riß und schnitt.

Ne, ne, lieber nicht Abendbrot essen, obwohl er vor Müdigkeit am liebsten sich auf die offene Dorfstraße geworfen hätte. Nein, irgend jemand dasjenige anvertrauen, was er erlebt. Wenn er das nur könnte!

Aber wem?

Der Junge dachte nach.

Seinen Brüdern?

Nein, nein, die waren zu fein dazu.

Sein Mudding?

Auch nicht, die weinte und gab selten Antwort.

Draußen klang im selben Moment eine Handharmonika durch die stille Abendluft herüber.

 
»Judemädel, wasch dich, kämm dich, putz dich schön,
Denn wir woll'n zum Tanze geh'n.«
 

Malljohann spielte wieder auf dem Dach seiner Kajüte, während am Bollwerk einige Matrosen mit ein paar Dorfmädchen dazu lachten und sangen.

Bewahre, was sollte Hann wohl unter solch Fröhlichen anfangen?

Ne, ne, Malljohann war auch nicht der richtige.

Aber plötzlich wußte er's.

Es gab nur einen.

Oll Kusemann.

Ja, zu dem mußte er sich schleichen.

Und es war so natürlich, daß der Knabe zu dem Lügenlotsen seine Zuflucht nehmen wollte. Denn dieser Phantast ohnegleichen, dem das Leben eine einzige bunte Unwahrheit, eine schillernde Seifenblase erschien, der sich an seinen eigenen, närrischen Geistessprüngen ergötzte wie ein Kind, das den Affenkäfig beschaut, – er brauchte Hann als sein Publikum, als seinen Hörer – und deshalb liebte er ihn. Und auch Hann verehrte den Alten leidenschaftlich als seinen einzigen Freund. Ja, in das Wetterhäuschen zu oll Kusemann mußte der Junge.

Vorsichtig, nach allen Seiten ausspähend, schlich der Geprügelte die wenigen Schritte bis zur Hafenmündung, wo auf einer Steinmole eine ausrangierte Badehütte stand.

Das war der Beobachtungsposten des Lügenlotsen.

Und richtig, da lehnte der Gesuchte in der offenen Tür, strich über seine schmucke, blaue Uniform und fuhr sich wohlig über den spitz geschorenen, grauen Kinnbart, denn oll Kusemann hielt sich trotz seiner Sechzig für einen schönen Mann, für einen Eroberer, von dem Frauen, Dirns und noch Jüngere zu erzählen wußten.

Als er den fröstelnden Jungen gewahrte, schielte er mit seinen fröhlichen, blauen Augen auf ihn hin, denn oll Kusemann schielte ein wenig, spuckte pfeilschnell und kunstgerecht seinen Priem dem Ankömmling vor die Füße und äußerte teilnehmend: »Na, Hann, bist ins Wasser geschmissen worden?« Denn der Lügenlotse hatte durch sein Lugfenster und mit seinem Fernrohr längst das Erlebnis seines Freundes festgestellt.

Hann stutzte.

Was war das wieder für ein neues Wunder?

»Woher weißt du das, oll Kusemann?«

Statt einer Antwort wies der Angeredete mit seinem Fuß ein wenig in die Höhe, und da sah denn Hann, wie oben auf dem Dach der Hütte der gezähmte Rabe oll Kusemanns, Niklas mit Namen, hin und her hüpfte, von dem der Lotse oft mit größtem Ernst behauptet hatte, daß dieser Vogel ihm alle möglichen Geheimnisse hinterbringe.

»Ach so,« sagte der Junge und senkte demütig den Kopf.

Dann heulte er auf.

»Jung, rohr nich,« tröstete oll Kusemann gutmütig und zog den Knaben in das enge Bretterloch hinein, »hör' zu. Ebenso wie dich – so is es – hm, ja – so is es Kolumbussen auch gegangen.«

Hann, der zu seinen Füßen saß, schluckte noch.

»Wer is Kolumbus?«

»Was? Du weißt das nicht? – Jung, das kommt von deine verfluchtige Ungebildheit – hm, ja.« —

Oll Kusemann schob behaglich seinen Priem hin und her und schielte unternehmungslustig auf den ruhenden Bodden, über den die Dämmerung daherzog wie eine Schlachtreihe grauer Nebelgeister. —

»Na also – Kolumbus, je – na, Kolumbus, was is er weiter gewesen, as so'n lütter spanischer Schiffsjung? – Aberst sein Vater, der hatte sich das in den Kopf gesetzt, er sollt' was entdecken, womöglich einen ganzen Weltteil, und, um ihm das anzugewöhnen, hat er ihn auch immer im Wasser untergetümpelt als Siebenbrod heut mittag dir – na, und sühst du, was hat der Jung getan? – Ausgerissen is er, mit noch paar andere solche Ströper und hat Amerika entdeckt! Wat sagst nu?«

Hann vergaß eine kurze Zeit sein Unglück.

»Woher weißt du das alles?« fragte er rasch, »bist du denn dabei gewesen?«

Diese Frage reizte den Lotsen zu einer kräftigeren Leistung.

»Je, erzählt ich dich das noch nie? – Ich bin es ja gewesen, der da so immer in dem Mastkorb schrie: »Land – Land!«

»Dann hast du ja Amerika entdeckt?« echote der Kleine.

Hann versäumte vor Bewunderung, den Mund zuzumachen.

»Das hab' ich,« bestätigte oll Kusemann behaglich. – »Das kann mir keiner streitig machen. – Und hier« – dabei zog er eine ausländische Münze aus der Tasche – »kannst du noch die spanische Medaille sehen, die ich dafür bekommen hab. Kuck – hier.«

Hann sah hin; dann begann er wieder zu heulen.

»Was is?«

»Prügel,« jammerte der Junge. Und nun teilte er dem neugierig aufhorchenden Lotsen das Begebnis auf der Wiese mit, und wie er in Gegenwart von Line so entwürdigend geschlagen worden sei.

Der Lotse wurde ungeduldig. Der kleine Bursche amüsierte ihn heute nicht. Und oll Kusemann war mehr für einen Spaß zu haben. Am liebsten war es ihm, wenn man lauschend seinen Lügenphantasien folgte.

»Hör eins« – mißbilligte er – »was is das mit der lütten Dirn? Den ganzen Tag steckst du mit ihr zusammen. Is sie deine Braut?«

»Was, oll Kusemann?«

»Ob sie deine Braut is?«

Der Junge wurde dunkelrot. Er ahnte selbst nicht, warum. Am ehesten hielt er diese Frage für eine neue Entwürdigung.

»Na, ich mein, – na, wie soll ich dich das klarmachen? – Küßt du ihr denn? – Und faßt du ihr manchmal liebreich um? Und wenn sie eins 'n Schnupftuch verliert oder 'ne Schleife, steckst du das zu dich und hast dir damit?«

Hann hörte furchtsam zu. All das, was der alte Lügenlotse jetzt anführte, flößte ihm eine ungeheure Furcht ein. Das Schnupftuch, die Schleife, das Umfassen, alles. Eine ängstliche Neugierde erfaßte ihn.

Hastig schüttelte er seinen plumpen Kopf.

»Na, dann will ich dir was sagen,« ermahnte der Alte, »wenn du das Ding so gern leiden magst, dann mußt du fix machen – denn später« – er schüttelte bedenklich das Haupt – »sie is 'ne kleine Hex, wer weiß, was später mit ihr los is – ob sie dich dann noch will? Verstehst du auch, du lütter Dämlak, was ich mein?«

»Ne, oll Kusemann, ich versteh' dich nicht.«

»Na, dann paß auf, der Umgang zwischen Männliche und Weibliche is nämlich sehr schnurrig – hör zu, ich will dich das erklären: Siehst du, da gibt es nämlich Männers, die von allen, aberst ich sag' dir, auch von allen Weibers geliebt werden, und die dabei gegen Damens sehr stolz sind. – So einer bin zum Beispiel ich. Ich weiß auch nicht, wie es kommt. Aber es is so!

»Ein alter Professor drin aus der Stadt sagte mich mal, es liegt an dem Geruch. – Wie gesagt, ich hab' da noch nich drauf geacht.

»Und zum zweiten gibt es Männers, die nu wieder ihreseits gegen die Weiber 'ne große Liebe und Andacht haben und sehr demütig gegen ihr sind. – Sieh, zu dieser zweiten Sorte wirst du woll gehören, wenn es mal so weit sein wird. Und deshalb müssen diese zweiten Schafsköpp' sich recht frühzeitig verloben und verfreien, damit ihnen die Herzallerliebsten noch in der Dummheit zulaufen. Denn später pfeifen die Frauenzimmers auf die Demütigkeit und halten das für Langweiligkeit und machen denn ganz verfluchte Chosen. – Verstehst du mir?«

Hann starrte ihn an und hielt sich krampfhaft an der auf- und niederknarrenden Brettertür fest. Zum Umsinken müde war er, und doch hätte er gern noch mehr gehört, denn das kleinste Wort kam ihm geheimnisvoll vor, weil Line damit irgendwie in Verbindung zu stehen schien. Es wurde ihm ganz kalt vor Furcht.

»Was nu aber deine Brautschaft anbetrifft« – wollte der Lotse seinen Spaß fortsetzen, – da wurden auf der steinernen Mole kurze Tritte laut, wie wenn leichte Holzpantöffelchen darüber klapperten, und aus den Wassernebeln, die zerfasert und gespenstisch an der Steinwand in die Höhe quollen, tauchte eine kleine Gestalt auf.

Line.

»Oll Kusemann, is Hann bei dir?« rief sie atemlos und beugte sich mit halbem Leib in die Hütte hinein.

»Ja, hier, Lining,« stammelte der Junge.

Ihm fiel alles ein, was sein Freund eben vorgebracht hatte. Jetzt wäre er am liebsten davongelaufen.

Ihr Atem stürzte nur so aus der kindlichen Brust hervor, aber die Augen blitzten vor Neugierde und Spannung.

»O Hann, komm fix nach Haus. – Abendessen. – Wenn du bloß wüßtest, wie Siebenbrod wieder schimpft.«

»Ißt der jetzt auch an eurem Tisch?« fragte oll Kusemann hastig.

»Ja.«

»Und er schimpft?«

»Furchtbar.«

Süh – süh, dachte der Lotse für sich, und Hann soll Vater zu ihm sagen? »I, Kinnings,« sprach er laut, »hört ihr nicht, was Niklas eben ruft?« In der Tat begann der Rabe, den wohl frieren mochte, laut zu krächzen: »Scharp – scharp.«

»Hörst du's,« verkündigte oll Kusemann, während er schnell die Hütte verschloß, »Hochzeit,« sagte er. – »Es gibt Hochzeit bei euch. Siebenbrod heiratet euer Mutting. Und horch – «

Wieder schrie der Rabe sein »Scharp«.

Der Lotse pfiff und tat einen Luftsprung. »Ne so was lebt nich,« schrie er beglückt. »>Verlobung< sagt er auch, hast du's gehört, Dirning? – Ganz deutlich >Verlobung<. Nu kommt fix.«

Er zog die Kinder mit sich fort. Sorgsam, damit sie in dem dicken, milchigen Nebel nicht ins Wasser stürzten.

Deshalb schritt er voran.

Hinter sich hörte er, wie die Kinder ängstlich miteinander über Siebenbrod flüsterten.

»So spät – so spät,« hauchte Line erwartungsvoll. »Wird er dich jetzt nicht wieder schlagen?«

»Ja, das wird er woll,« gab Hann zu, dem die Zähne klapperten.

Die Kleine sah ihn an. Ihre Spannung stieg immer höher.

Ganz finster war es unterdes geworden.

Vom Fluß tönte ein scharfes Murmeln herauf, und auf den Wiesen tanzten kolossale, bleiche Gestalten.

Da machte der Lügenlotse, der ihnen bis dahin schweigsam vorausgeschritten war, obwohl er ihre Unterhaltung Wort für Wort aufgefangen, plötzlich an einem gespenstisch aufragenden Querbaum halt.

Ein vergessenes, grobes Netz flatterte im Abendwind von der Gabel herab und verbreitete einen ätzenden Fischgeruch. Es sah aus, als ob von einem Galgen eine Riesin in langem, schleppendem Gewande herabschlottere.

Dieser Platz schien oll Kusemann für den närrischen Spaß, den er mit den Kindern treiben wollte, der rechte Ort. An dem Pfahl blieb er stehen.

»Kommt her,« flüsterte er darauf, und als die Kinder in der Schwärze neben ihm standen, legte er jedem von ihnen den Arm um die Schulter und beugte sein bärtiges Haupt zwischen die jungen Köpfe.

»Kommt her. – Ihr müßt ein Bündnis machen gegen Dietrich Siebenbrod. – Das ist klar. Aber das beste Bündnis zwischen einen Männlichen und eine Weibliche is die Verlobung. Ihr müßt euch also verloben. – Daß ihr noch 'n bischen jung seid, das is woll wahr, aber es braucht ja auch erst später die richtige, die ganz richtige Verlobung zu folgen. – Na also, was sagt ihr?«

Prachtvolle, glitzernde Sterne brachen hier und da durch den stillen Nebelhimmel hindurch, und in seinem Halbtraum vernahm Hann, daß oll Kusemann von neuem vor sich hinlachte, während er die beiden Kinder eng aneinander schob.

»Nu küßt euch,« befahl er.

Voller Angst küßten sich die Kinder.

Der Lotse pfiff durch die Zähne und sprang, wie er es bei freudigen Anlässen zu befolgen pflegte, hoch in die Luft.

»So,« schmunzelte er seelenvergnügt. »Nu seid ihr so weit. – Ich gratulier' euch. – Kommt, Kinnings, fix, fixing, damit ihr zu Haus nich Schläg kriegt. – Und wenn ihr Hochzeit macht, Lining, weißt was? – Dann schenk' ich dir ein goldenes Brokatkleid – ja – hm – natürlich – ein goldenes Brokatkleid und silberne Schuhe mit diamantne Schmetterlinge darauf. – Da drüben im Kloster, da liegt so was vergraben. Ich kenn' die Stell'. Ja, und Hann – na, du weißt doch, Jung, daß hier in unserem Bodden die alte Stadt Vineta untergesunken is. Pass' auf, für dich hol ich mal in 'ner besonderen Stund eine Molle voll alter Dukaten rauf. Ich hab neulich erst mit meinen Wasserfernrohr so was funkeln sehn. – Und nu adjüssing, Kinnings – hier is mein Haus und mein Alwining wartet all – und nu macht, daß ihr weiterkommt.«

Er verschwand.

Die beiden Kinder aber liefen Hand in Hand heim.

Eine Stunde später lag Hann in seinem Dachverschlag im Bett. Um das Haus wehte jetzt ein frischer Seewind. Der raschelte in dem Stroh des Daches, wisperte Märchen und fuhr auch durch die Ritzen, so daß der Knabe fror.

Er schauderte zusammen und konnte nicht einschlafen, denn all dieses Merkwürdige, Zauberische schwirrte in dem Kämmerchen vor seinem Lager hin und her. Die grüne Wiese und Line, die Prügel und die Verlobung, der Kuß und die untergegangene Stadt voller Dukaten. – Und plötzlich begannen noch die Ameisen aus dem Hügel an der Wand wirr durcheinander zu kreisen.

Ihn nahm der Schlaf.

Aber das glaubte er doch noch zu hören, daß Pantöffelchen an seiner Tür vorüberklapperten und eine Stimme hindurchrief: »Hann, bist du noch mein Bräut'gam?«

Dann huschte es nebenan in die Kissen.

Er konnte es aber auch geträumt haben, denn der Mond lachte bereits auf ihn herunter und freute sich über all die bunten Lügen und nannte ihn einen »dummen Jungen«.

VI

Ein weißgedeckter Tisch befand sich in der Mitte. Porzellanteller standen darauf, und wahrhaftig – Messer und Gabeln sah man säuberlich auf gläserne Bänkchen gelegt.

In der großen Parterrestube, die jahraus, jahrein ganz leer stand und nur zu großen Feierlichkeiten benutzt wurde – zuletzt hatte der Sarg des alten Klüth darin gestanden – war heute am Sonntag Sand in feinen Kringeln auf den Estrich gestreut. Grobe, weiße Gardinen bemerkte man vor die Fenster gesteckt, und mitten auf dem Tisch prangte ein Strauß bunter Georginen.

Das hatte etwas zu bedeuten.

Alle empfanden es, aber keiner erriet den Zweck dieser Vorbereitungen, oder man scheute sich doch, ihn ernstlich ins Auge zu fassen.

Allerdings, eine Möglichkeit, eine denkbare Erklärung schien vorhanden.

Bruno, der Sekundaner, hatte vor drei Tagen zu den Michaeliferien den Berechtigungsschein zum einjährigen Dienst aus der Stadt nach Hause gebracht und erwartete nun als freier Mann den Augenblick, daß irgend jemand mit ihm zum Konsul Hollander führe, damit dieser weitere Aufschlüsse über die Zukunft seines neuen Lehrlings erteilen könnte.

Wer jedoch dieser begleitende Jemand sein sollte, darüber war keine Gewißheit zu erlangen. Paul, der Student, hatte sich bereits mehrfach dazu erboten, war indessen von der Mutter mit einem leisen, beinahe wehmütigen Kopfschütteln abgelehnt worden.

Also ein anderer!

Aber wer?

Siebenbrod? – der Sekundaner stampfte mit dem Fuß – das war hoffentlich völlig ausgeschlossen. Der Bootsmann konnte sich doch unmöglich vermessen, mit dem feinen Bruno, dem sein Jackettanzug so elegant saß, und der sich seit drei Tagen bereits im heimlichen Besitz eines Zigarettenetuis befand, den Weg zum Konsul anzutreten?

Also Siebenbrod nicht.

Wer aber?

* * *

Die vier Kinder warteten schon in dem großen Zimmer eine geraume Zeit. Noch war die Mutter nicht erschienen, was ganz gegen alle Gewohnheit verstieß. Und nur Line, die vor einer Weile verstohlen und mit ihren katzenhaften Tritten an der Bodenkammer der kleinen Frau vorbeigehuscht war, sie allein wußte, daß es in dem verschlossenen Raum merkwürdig geraschelt habe. Gerade wie wenn dort schwere alte Seide geglättet würde.

Und Frau Klüth besaß in der Tat ein altes, schwarzes Seidenkleid, ein echtes, ehrwürdiges Lyoner Stück, das von oll Kusemann vor etwa dreißig Jahren, als er sich noch »Strom« nannte, direkt für die drei Lotsenfrauen nach Moorluke eingeschmuggelt war.

Line kauerte in einer Ecke, biß mit ihren spitzen Zähnen in die Lippen und sann fieberhaft darüber nach, ob die Mutter dieses Heiligtum wirklich anlegen wolle.

Ja, wenn jenes Prachtstück hervorgeholt wurde, dann stand Großes bevor.

Auch Hann stand mitten in der Aufregung.

In seinem zottigen, düffelblauen Sonntagsanzug hockte er am unteren Ende des Tisches und war starr vor Ehrfurcht über die ungewohnte Pracht dieser Zurüstungen.

Das große Zimmer. Die feinen Ringelkreise des Sandes auf dem Fußboden. Am Fenster die beiden schwarzgekleideten Brüder, die leise miteinander verhandelten; in der Ecke Line mit dem wunderhübschen weißen Kleidchen und der rosa Schleife im Haar! – Die Georginen, und draußen auf der Dorfstraße die vorüberwandelnden Fischer, die alle so seltsam nickten und lächelnd in die Fenster hineinsahen!

Nein, das war alles so spannend – so – so —

Dem Jungen saß etwas in der Kehle, das Herz schlug ihm stark vor Erwartung, und nicht ein einziges Mal wagte er es, zu Line hinüberzublicken.

Seit sie seine Braut geworden, bedeutete sie für ihn direkt einen Gegenstand namenloser Furcht. Nach jenem Abend ging er ihr scheu aus dem Wege und erkühnte sich nicht mehr, das Dirnchen anzureden.

* * *

Da fiel etwas Schwarzes in das sonnenbeschienene Fenster.

Alle im Zimmer mußten wie auf Verabredung auf die helle Dorfstraße hinausblicken.

Welch ein wunderliches Bild.

Dort draußen auf dem weißen Sande ragte die lange Gestalt des Bootsmannes aus einem Menschenhaufen hervor, merkwürdig ungelenk anzusehen in seinem Bratenrock und dem wolligen Zylinder, aber heute noch steifer wie gewöhnlich, da er eine große Mappe mit aller Kraft an sich preßte, als wünsche er sich eines kostbaren Gutes beständig zu versichern.

Da standen sie alle um ihn herum. Ein paar Zesnerfischer, ferner die beiden Lotsen, oll Kusemann in seinem schmucken, blauen Wams, und Friedrich Pagels mit dem verschnürten Bein, sodann Klaus Muchow, der stärkste Fischer von Moorluke mit einem blondlockigen Neptunshaupt, das stumm und taub zugleich war, ja selbst Malljohann, dessen Kartoffelkahn gerade wieder vor dem Lotsenhäuschen der Klüths ankerte, beteiligte sich von fern an dieser Ehrung. Tiefsinnig saß er auf seinem Kajütendach und spielte in Anbetracht der Feierlichkeit: »Deutschland, Deutschland über alles.«

Und alle gratulierten dem Bootsmann.

»Ich dank' euch auch,« sagte Siebenbrod stolz, »ich werd' nun mein Möglichstes tun.«

»Ja,« stellte der wassersüchtige Lotse mit dem Schnürbein, der sich am besten auf Geschäfte verstand, fest, »das Haus is ja auch ganz nett. Das Dach muß ausgebessert werden.«

»Ne, ne,« widersprach Siebenbrod mit einer gewissen Besitzerbehaglichkeit. »Vier Jören – kein Spaß – sparen, sparen.«

»Ja,« mischte sich nun auch oll Kusemann listig ein und redete ganz laut, damit ihn sein Freund Hann in der Stube besser verstehen sollte, »Siebenbrod, kiek, da sind drei Kühe und zwei Schweine. Wenn man sich die ein paar Jahre vermehren läßt, sieh, dann kommt 'ne recht anständige lütte Viehzucht raus. Ich hatt' mal einen Vetter, der – «

»Ne – man ja nicht – und der Rotlauf und die Klauenseuche,« wehrte der neue Besitzer ab und drückte das Zesnerfischerpatent in der Mappe zärtlicher an sich. »Sparen – sparen.«

»Na, dann auch so! – Es is ja wirklich allens ganz nett,« fuhr der Lügenlotse, immer mit erhobener Stimme, bedächtig fort. »Und Mudding Klüth is ja auch noch ganz gut zu Weg. Man muß eben ein Auge zudrücken. Wenn sie sich mein schwarzes Seidenkleid aus Lyon anzieht, dann läßt sie sich noch ganz hübsch wonach.«

»Ja, was sollt' sie nich,« murmelte Siebenbrod dagegen und blickte sich mißtrauisch im Kreise um, ob vielleicht einer Spaß mit ihm treiben wollte. »Frau Klüth is noch sehr bei Kraft.«

»Deutsche Frauen – deutsche Treue,« klang es von dem Kartoffelkahn.

»Na, die Hauptsache bleibt aber doch das Haus und die Schweine,« schloß Friedrich Pagels bestimmt. »Dabei bleibt es.«

»Ja – ja, dagegen läßt sich nichts einwenden,« nickte Siebenbrod sehr vergnügt und drückte allen unter beifälligem Gemurmel die Hände.

Dann trat er in das Klüthsche Familienhaus.

* * *

Unter befangenem Schweigen hatte man an der festlichen Tafel gesessen.

Alle scheuten sich, von ihren Tellern aufzusehen. Man hörte die herbstlich-matten Fliegen an der Decke summen und vernahm nur zuweilen das erzwungene »Hum – Hum« des Bootsmannes, der sich bemerkbar machen wollte.

Doch keiner redete.

Es war, wie wenn sich die vier Kinder hinter dieses Schweigen wie hinter einen letzten Wall zurückzögen.

Zuletzt konnte es Siebenbrod nicht mehr aushalten.

»Hum – Hum – Frau Klüth,« begann er endlich, während er ratlos und eingeschüchtert neben der Frau in dem steifen seidenen Kleide hin und her rückte. »Ich glaub', nun wär' es Zeit mit dem Bier.«

»Ja, dann können wir ja nun.«

Rauschend erhob sie sich, rauschend kam sie zur Tür wieder herein und stellte einen großen, braunen Krug auf den Tisch.

Dann ließ sie sich mit ihrem unbeweglichen Gesicht neben dem Bootsmann nieder, aufrecht wie ein Licht, das in den Leuchter gesteckt wird.

»Frau Klüth – ich werd' das selbst eingießen.«

»Schön, Herr Siebenbrod.«

Die Anreden steigerten sich in ihrer Feierlichkeit. Doch auch der Gerstensaft ließ keinen größeren Frohsinn aufkommen, immer wieder blickten acht Augen forschend und anklagend nach der Mitte der Tafel, als säße dort ein Paar, das einen ungeheuren Frevel verüben wollte. Bis endlich Siebenbrod dreimal energisch über seinen Kopf strich und sich halb verzweifelt zu der Witwe wandte: »Frau Klüth, nu muß ich es wohl tun?«

Einen Augenblick Schweigen.

Dann ein tiefes Aufatmen: »Ja, Herr Siebenbrod, nun bleibt wohl nichts mehr übrig.«

»Na, denn – ,« der Bootsmann gab sich einen gewaltigen Ruck, sperrte den Mund auf und blickte jedes der vier Kinder, Nachsicht heischend, an: »Na, denn also – Paul, Bruno, Hann und Line – ich hab' ihr nu.«

»Was haben Sie?« fragte der Theologe langsam, während er seine finsteren Augen nicht von ihm wandte.

»Das Zesnerpatent, Herr Paul.«

Siebenbrod holte das Papier aus der Tasche und hielt es wie einen Schutz oder eine Erklärung vor sich in die Höhe.

»Ja, aber was folgt daraus?« forschte der Student unbarmherzig weiter.

Was daraus folgt? —

Siebenbrod sah sich verwirrt im Kreise um, wischte sich die Nase und machte wieder den Mund auf. Ja, was sollte denn daraus anderes folgen, als was doch so klar war? – Herr Gott – Herr Gott – solch ein studierter Mensch – was für Umstände: »Je,« stotterte er, »daß ich hier nu alles übernehme.«

»So? – Das stand ja aber schon vorher fest. Dabei ist doch nichts Besonderes?«

Als sich der Fischer derartig in die Enge getrieben sah, geriet er in Verzweiflung. Weit schob er die Füße von sich, legte eine Faust auf den Tisch und sagte in völliger Resignation: »Ja, das mag ja nun alles sein, wie es will – aber wir sünd einig – wir heiraten uns.«

Und Frau Klüth blickte mit ihrem starren Gesicht jedes einzelne der Kinder an und setzte traurig hinzu: »Glaubt mir, es geht nicht anders.«

Nach dieser Erklärung waltete neues, drückendes Schweigen. Als jedoch zwischen Mittagbrot und Kaffee der Bootsmann, froh, der schwülen Stille zu entfliehen, ein wenig an den Fluß und an Malljohanns Kahn geschlendert war, da sahen die andern Kinder, wie Paul mit der Mutter in einer Ecke saß, und hörten abgebrochene, geflüsterte Worte von dorther dringen: »Paul – Pauling – tu das nicht.«

»Es ist besser so – ich brauche dann von euch nichts mehr.«

»Aber wie willst du das bloß anfangen?«

»Privatstunden.« —

»O Pauling – ich geb's ja gern – ich tu's doch bloß euretwegen.«

»Ja – ja, aber im Andenken an den Vater – ich kann's nicht mit ansehn – ich zieh – morgen schon in die Stadt.«

Dann umschlang die Mutter ihren Ältesten, und man konnte hören, wie der harte Junge von einem Schluchzen förmlich geschüttelt wurde. Bruno stand dabei abgewandt am Fenster und sah hinaus. Auch ihm war übel zumute. Aber er dachte mehr daran, was seine städtischen Bekannten, was vor allen Dingen wohl Konsul Hollander, der doch ein Gönner des alten Klüth gewesen, zu dieser plötzlichen Verlobung sagen würde. Die beiden Kleinen, Hann und Line, hingegen schlichen mit gesenkten Köpfen hinaus.

* * *

In dem verwilderten, struppigen Garten, der wie alle Moorluker Anpflanzungen von dem häufigen Nordoststurm zerzaust und verwüstet aussah, machten die Kinder vor den traurigen, geknickten Sonnenblumenstauden halt.

Das Gelb der Kelche hatte schon etwas Giftiges angenommen, und die mächtigen Blumenhäupter hingen so trostlos, so greisenhaft gebrechlich darnieder, als wüßten sie, daß der nächste Norder sie hohnlachend in den Fluß schleudern würde. Der ganze Fleck hatte etwas Unrastiges.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
11 августа 2017
Объем:
360 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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