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Читать книгу: «Das Schweigen im Walde», страница 14

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Sie vermochte nicht gleich zu sprechen. Es schien ihr weh zu tun, daß sie ein Ja nicht sagen konnte, nicht sagen durfte. Sie sah in ihm nicht den Menschen mit dem leeren Wort von der eigenen Kraft, die nur eines winkenden Lohnes bedarf, um ein Wunder zu vollbringen. Was sie sah in ihm, war sein in die Irre geratenes Leben und war das Kind, das nie an der Brust einer Mutter sein Haupt geborgen hatte. Das Erbarmen redete aus ihrem Blick, als sie endlich Worte fand. Doch während sie ihm Mut einredete, ihn mahnte, sein Leben ruhiger zu betrachten und dankbar auch den bescheidenen Gewinn zu genießen, statt sich die Freude an ihm durch den Vergleich mit dem glücklicheren Los der anderen zu vergällen – während dieser Worte schien Mazegger nur zu sehen, nicht zu hören. Seine Augen erweiterten sich mit fieberhaftem Glanz, aus dem der Durst seiner Leidenschaft und zugleich ein Staunen sprach, als hätte er das Mädchen, nach dem seine Sinne zitterten, noch nie so schön gesehen wie in dieser Stunde. Solch einem Blick begegneten ihre Augen. Sie erhob sich erschrocken, so bleich, als hätte sie einen Schimpf erlitten, gegen den sie wehrlos war – als Weib.

Verstört sah Mazegger zu ihr auf. »Viel haben Sie geredet, Fräulein! Schier weiß ich selber nimmer, was es war. Aber ich hab genug verstanden.« Sein Mund verzerrte sich. »Was einer nicht hat, das kann er nicht geben.« Mit heiserem Lachen erhob er sich. »Wenn der Brunnen Ihrer Güt auch laufen tät wie ein Wetterbach – aber Lieb hergeben, wo man Lieb nicht hat?« Langsam trat er auf sie zu. »Kann man das? Oder kann's so kommen, daß man muß

Sie wich nicht zurück vor ihm. Aber als sie seine Augen sah, die wie mit Fäusten nach ihr griffen, rann es ihr doch mit kalter Angst durch die Glieder. Sie schrie den Namen des Bruders.

Mazegger lachte.

Mit dem Laut, den die Furcht ihr ausgepreßt, hatte sie die verlorene Ruhe wieder gefunden. »Zu sagen hab ich Ihnen nichts mehr. Aber ich hab noch eine Bitte an Sie, eine letzte.« Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie zur Hütte, brachte einen Sessel und ein graues Buch.

Er sah ihr mit verblüfften Augen zu, wie sie sich auf den Sessel niederließ, das Buch öffnete – ein Skizzenbuch – und den Bleistift nahm.

»Was heißt das?«

»Ich will Sie zeichnen«, sagte sie ernst, »dabei lernt man sehen. Und das hilft. Ich habe das schon als Kind erfahren.«

Ratlos an seinem Bart zausend, ließ er sich auf die Bank nieder – und dann hielt er sich ruhig. Seine Augen brannten.

»So, ja, sehen Sie mich nur immer an!«

Er ließ keinen Blick von ihr. Aber wenn sie ihn ansah, so ruhig prüfend, ging aus ihren Augen etwas über auf ihn, daß er aufatmete, wenn sie das Gesicht wieder senkte, um ein paar rasche, kräftige Striche in das Buch zu zeichnen. Ein paarmal zuckte es durch seine Glieder, als wollte er aufspringen. Doch er blieb ruhig. Ein andermal bewegte er die Lippen, wie um zu sprechen. Doch er schwieg.

Die Sonne war hinuntergegangen, das ganze Seetal lag vom Abendschatten überwoben, und die Dämmerung begann.

Mit der langen schwankenden Angelgerte über der Schulter kam Gustl vom See herauf.

»Hast du was gefangen, Bubi?«

»Nein, Lo, heut bin ich Schneider geworden. Morgen scheint es wieder das wunderbarste Wetter zu geben, denn heute beißen sie gar nicht an.« Freundlich nickte Gustl dem Jäger, den er nicht kannte, einen guten Abend zu, stellte die Gerte an die Hüttenwand, kam zum Tisch und wollte neugierig über die Schulter der Schwester in das Buch blicken.

Sie schob ihn fort, als wäre das ein Bild, das er nicht sehen sollte. »Räum deine Bücher zusammen und trag sie in die Hütte. Wir bekommen Tau. Dann kannst du auch in der Stube gleich die Lampe anzünden und Feuer machen zum Tee.«

Sie sah dem Knaben nach, bis er in der Hütte verschwunden war. Dann verglich sie mit einem letzten prüfenden Blick ihre Zeichnung und das Modell, nickte ruhig vor sich hin und erhob sich. »So, ich danke Ihnen!« Sie löste das Blatt aus dem Buch.

Mazegger fragte unsicher: »Darf ich das Bildl sehen?«

»Gewiß!« Sie legte das Blatt auf den Tisch. »Ich schenk es Ihnen.«

Zögernd, als wäre ihm die Sache nicht ganz geheuer, griff Mazegger nach dem Blatt. Kaum hatte er einen Blick auf das Bild geworfen, da schoß ihm das Blut ins Gesicht. »Das bin ich? Und solche Augen hab ich?«

»Ja, Mazegger! Jetzt kenn ich Sie und fürchte mich nicht mehr!« Sie ging zur Hütte.

Er zerknüllte das Blatt in seiner Faust und schleuderte den Knäuel mit einem Fluch unter die Büsche des Gartenzaunes. Wie sie nach ihrer hilflosen Angst diese stolze, sichere Ruhe gefunden hatte, das verstand er nicht. Aber er fühlte, daß alles für ihn verloren war und daß sie ihn fortschickte wie einen geprügelten Hund. Mit dem unsicheren Schritt eines Betrunkenen nahm er seine Büchse. Als er den Garten verlassen hatte und über das Latschenfeld hinunterstieg, erkannte er auf der feuchten Erde die Trittspuren zweier Männer. Die plumpe breite Sohle mit dem schweren Eisenbeschläg und dem Nagelkreuz in der Mitte – das war die Fährte Praxmalers. Aber die andere Spur? Dieser schlanke, schmale Fuß?

»Ach so?« Mit galligem Lachen nickte Mazegger vor sich hin. Und während der Zorn in seinen Augen funkelte, zerstörte er mit einem Fußtritt die Fährte.

Hastig schritt er über das Latschenfeld und trat in den Wald. Im Dunkel der Bäume blieb er stehen. Und als er das Mädchen aus der Hütte treten sah, lachte er, hob die Büchse, spannte den Hahn und legte das Gewehr an die Wange.

Man konnte hören, wie Lo mit dem Bruder plauderte, während sie an einem Fenster die Läden schloß.

Zielend, den Finger am Drücker, folgte Mazegger mit dem Lauf der Büchse jedem Schritt des Mädchens, in seiner Eifersucht mit grausamer Freude den Gedanken genießend: Ein leiser Druck nur, und auch der andere wird sie nicht haben! Keiner!

Gustl war in der Tür erschienen, hemdärmelig, mit den Händen in den Taschen des Lederhöschens. »Und wann, Lo, wann gehen wir morgen?«

»Um sechs Uhr früh.«

»Ach Gott!«

»Ja, Bubi, wir müssen bis Mittag zu Hause sein.«

»Freilich, ja, und ich freu mich doch selber heim! Aber weißt du, in der Früh, da beißen sie so gern. Vielleicht hätt ich noch eine bekommen, eine recht schöne, oder zwei. Die hätten wir dem Muttl bringen können.«

»Dann steh nur um vier Uhr auf! Da hast du zwei Stunden Zeit, bis ich gepackt und die Hütte geräumt habe.« Lo war zur Tür zurückgekommen. Den Arm um die Schulter des Bruders legend, wollte sie in die Hütte treten.

In dem bleichen Gesicht des Jägers spannte sich jeder Zug. Die Pein, die in ihm wühlte, redete aus seinem brennenden Blick: »Tu ich es? Nein? Oder ja?« Fester, als wäre der Entschluß zur Tat in ihm aufgestiegen, preßte er das Gewehr an die Wange.

Da hörte er hinter sich das Brechen eines dürren Reises und ein Geräusch wie von einem leichten Schritt. Erschrocken ließ er die Büchse sinken und spähte scheu um sich her. Der Wald war öde – aber da fiel ein Tannenzapfen aus einem Wipfel herunter, und schnalzend, mit weitem Sprung, schwang sich ein Eichhörnchen von dem Baum hinüber zum nächsten.

Einen Fluch murmelnd, hob Mazegger die Büchse wieder.

An der Hütte droben hatte sich schon die Tür geschlossen. Der Garten war leer. Im Abendwinde tönten leis die Glocken des Harfenbaumes.

Gallig lachte Mazegger vor sich hin, warf die Büchse hinter die Schulter und schritt durch den Wald hinunter.

Es wurde finstere Nacht, bis er zu den ersten Häusern von Ehrwald kam. Lange mußte er am Haus des Jägers an die Tür trommeln, bis ihm geöffnet wurde. »Was is denn?« fragte Beinößl aus dem schwarzen Hausflur.

»Ich bin's!«

»Der Toni! Was willst?«

»Treibjagd ist morgen. Um drei müssen wir droben sein beim Sebener Almzaun.«

»So? Da können wir allweil noch schlafen a paar Stündln. Aber Bett hab ich keins für dich, mußt dich halt aufs Ofenbankl legen, wir schlafen eh schon z'viert in zwei Trücherln.« Er mit dem Buben in einem Bett, die Frau mit dem Mädel im anderen.

Als sie in die finstere, von schwülem Dunst erfüllte Stube traten, fragte das Weib, was es gäbe. »Nix! Drah dich nur wieder um, Alte! Der Mazegger is da.« Die Bettstelle krachte. Beinößl schob seinen Gast im Dunkel zur Ofenbank und nahm ihm die Büchse ab, um sie an den Rechen zu hängen. »Na hörst, Toni, du hast ja den Hahn gspannt! So was, du mit deim Leichtsinn, du richtest heilig noch amal an Unglück an!«

Mazegger schwieg.

Drei Stunden vergingen. Der Hausherr schnarchte wie ein Bär, sein Weib sang die Oberstimme dazu, und ein paarmal seufzten die beiden Kinder, wenn sie die harte Bettkante spürten und sich umdrehten.

Um ein Uhr rasselte der Wecker. Mazegger hatte noch kein Auge geschlossen. Eine Viertelstunde später traten die beiden Jäger in die Nacht hinaus. »Gut wird's heut«, sagte Beinößl,»droben liegt der Seenebel.« Sie stiegen bergwärts in der Nacht, und Beinößl kürzte den mühsamen Weg mit heiterem Geschwatz – er war einer von jenen »Gscheiten«, die den Zwirnsfaden des Lebens lustig um die Finger wickeln, so kurz und dünn er auch geraten ist.

Als sie die Ehrwalder Alm überstiegen hatten und die Höhe des Sebenwaldes erreichten, sahen sie im dünnen Morgennebel den Schein des Feuers, das die beim Almzaun wartenden Treiber auf der Lichtung angezündet hatten, um »Glut für die Pfeifen« zu haben. In dem Augenblick, als die beiden Jäger zum Feuer kamen, gab's einen Schreck. Einer der Treiber hatte an einem brennenden Reis seinen Stummel angepafft, das Flämmchen ausgeblasen und das glühende Holz über die Schulter geworfen. In der Luft flammte das Reis wieder auf und fiel in einen Haufen dürren Zeuges. Das brannte wie Zunder. Nach allen Seiten lief und züngelte die Flamme und erreichte den Almzaun, aus dem eine knisternde Lohe aufschlug. Zu Tod erschrocken arbeiteten die Leute aus Leibeskräften, um das Feuer zu ersticken. Ein Glück war es, daß die unteren Reisigschichten des Walles noch feucht waren vom Gewitterregen. Sonst hätte keine Arbeit mehr geholfen, auch nicht die flinkste, und der ganze Almzaun wäre in Flammen aufgegangen.

Als das Feuer gelöscht war, halfen sie alle zusammen, um den Zaun wiederherzustellen und das ausgebrannte Loch mit zusammengeschlepptem Reisig zu füllen. In jener wohligen Erregung, die jedem schadlos überstandenen Schreck zu folgen pflegt, wurde breit erörtert, welch ein »schönes« Unglück da hätte entstehen können. Brennt der Zaun einmal, von einer Felswand über das schmale Tal hinüber bis zur anderen, dann brennt auch der ganze Sebenwald bis über den See hinauf, und alles Jungvieh, das droben im Seetal auf der Weide steht, ist verloren. Wenn auch der Brand nicht höher gehen kann als bis zu den letzten Latschenfeldern, und wenn auch das Vieh hinaufflüchtet in die Felsenkare – droben erstickt es im Rauch. »Kreuzsakra!« meinte Beinößl. »Da möcht ich net droben sein im Seetal! Oder ich müßt den letzten Juchezer machen und 's Leben so billig verkaufen wie an alten Strumpf!«

Draußen im Karwendelgebirg, erzählte ein anderer, wäre vor Jahren ein großer Waldbrand durch einen Almzaun entstanden, in den der Blitz geschlagen hätte. Ähnliche Fälle erzählten zwei andere, und man kam zu dem Schluß, daß es auch im Geißtal an der Zeit wäre, diese »Zunderhecken« durch Legmauern aus Steinen zu ersetzen, wie es längst schon überall geschehen wäre, wo die Leute Verstand und kein Sägmehl im »Hirnkastl« hätten. »Daß man an die alten Bräuch hängt, dös is ja gut und schön, aber a bißl Furtschritt is net ohne!«

Plötzlich verstummte diese Weisheit – der Förster kam mit den zwei Leutascher Jägern. Wohl begann es schon Tag zu werden, aber der Nebel verschleierte den Aschenhaufen, und so merkte der Förster nicht, was geschehen war. Er ließ die Jäger und Treiber im Halbkreis Aufstellung nehmen: »Also, Leut! Daß wir unserer lieben Duhrlaucht heut a saubers Jagderl machen! Am Almzaun auffi wird die Treiberketten angstellt. Den Losschuß mach ich Punkt halb sechse. Da is die Duhrlaucht auf'm Stand, und da wird sich auch der Nebel schon verzogen haben. Und wie der Losschuß fallt, fangen wir 's Drucken an. Und langsam, Leut, langsam, nur langsam, daß die Hirsch net aussifahren zum Loch wie die narrischen Mäus. Verstanden? Also, in Gottsnamen, packen wir's an!«

Neben dem Almzaun stiegen sie bergan, während das Frühlicht zu wachsen und der Nebel sich schon zu verziehen begann. Hinter den halblaut Schwatzenden blieb Mazegger unschlüssig zurück. Sein Gesicht war übernächtig, seine Augen lagen tief, von dunklen Ringen umzogen. Sein Flackerblick hing an dem kalt gewordenen Aschenhaufen, glitt hinüber zum Almzaun und folgte dem braunen Reisigwall bergauf und wieder bergab, über das ganze schmale Tal, von einer Felswand bis zur anderen.

Dann nickte er vor sich hin, und langsam stieg er hinter den anderen her.

Vierzehntes Kapitel

Zögernd schwammen die Schleier des Morgennebels durch das Geißtal hinans und wurden immer dünner. Eine Waldzunge nach der anderen gaben sie frei, enthüllten hier eine sonnbeglänzte Bergzinne, dort ein Almfeld in blauem Schatten, und selbst schon angestrahlt und durchwärmt von der steigenden Sonne, verwandelte sich ihr trübes Grau in zarten Schimmerduft, der spurlos in den Lüften zerfloß.

Fast war das ganze Tal schon nebelfrei, und mit leuchtender Klarheit spannte sich der Morgenhimmel über Tal und Berge, als Ettingen und Praxmaler gegen sechs Uhr morgens in der Talsohle das breite Kiesbett der Ache überschritten, um durch einen steilen Waldstreif emporzusteigen zum Fürstenstand. Der lag am Waldsaum auf einem Latschenrücken und gewährte freien Ausblick über eine von Erlengestrüpp erfüllte Mulde und eine spärlich bewachsene Lawinengasse, die sich vom Fuß der steilen Felswand hinunterzog bis ins Tal. Drunten sah man das weiße Kiesfeld und eine lange Strecke des Pfades, der zum Sebensee führte. Über dunkle Fichtenhügel konnte man hinausblicken zum Sebenwald und zu der vom Seeufer aufsteigenden Sonnenspitze, die ihren goldumstrahlten Felskegel schlank in den blauen Himmel hob.

Den Stand, auf dem zwischen den Wurzeln einer Fichte ein bequemer Sitz gerichtet war, umzog eine kleine Legmauer als Deckung für die Jäger.

Während Pepperl den Wettermantel über den Sitz breitete und den Feldstecher aus dem Futteral nahm, blickte Ettingen immer dort hinaus, wo jener schlanke, sonnige Fels in die Lüfte stieg.

»So, Duhrlaucht, jetzt haben S' a nobels Platzl!«

Ettingen ließ sich nieder, und Pepperl, der sich seinem Herrn zu Füßen setzte, zeigte ihm die beiden Wildwechsel, von denen der eine unter der Felswand hinlief, während der andere schräg über die Lawinengasse hinunterging ins Tal und gegen das Kiesbett des Baches. »Auf dem, mein' ich, auf dem sollt was anlaufen!«

Ettingen nickte. Und Pepperl schwieg. Während aus den Augen seines Herrn ein frohes Träumen redete, ein freudiges Ausgenießen der schönen Morgenstunde, sprach grämliche Verdrossenheit aus dem Gesicht des Jägers. Für ihn lag der Fürstenstand auf einem unbequemen Platz. Wenn er den Hals streckte, konnte er draußen im Geißtal den Tillfußer Almwald sehen und zwischen den Wipfeln den Flaggenmast, dessen drei Fahnen sich wie eine Reihe winziger Farbenkleckse vom Grün des Hintergrundes abhoben. Immer wieder beugte Pepperl sich vor, von der unbequemen Stellung begann ihn das Genick zu schmerzen, und immer schwerer seufzte er. Scheu hatte er schon ein paarmal zu seinem Herrn aufgeguckt, als läge ihm was auf der Seele, was nicht heraus wollte. Und plötzlich sagte er mit einem Ton, als ging' es um Wohl und Weh eines Menschen: »Ja, Duhrlaucht, passen S' auf, heut schießen S' an guten Hirsch!«

Ettingen hörte nicht.

Pepperl drückte die Hand in den Nacken. »Ja, ja! Heut kommt was! Unser Jagdl is gut. Aber kosten tut's! Dös is a sauberer Haufen Geld, der da verwaltet werden muß! Verwaltet!« Immer weiter öffneten sich Pepperls Augen, während er in heißer Spannung zu seinem Herrn hinaufguckte. »So an Jagdbezirk verwalten! Teufi Teufi, Teufi! Dös macht Arbeit! Und verstehn muß man's. Dös is d' Hauptsach. Aber der Förstner, gelten S', der versteht's! Der macht alles allein. Der braucht kein andern. Der versteht's halt, gelt?«

»Ein tüchtiger Jäger«, sagte Ettingen, »auf den man sich verlassen kann, in allen Dingen!«

Aus Pepperls Augen blitzte die Freude, und in allen Tonarten begann er das Lob des Försters zu singen, um mit der diplomatischen Wendung zu schließen: »Aber no, freilich, vom Land einer is er halt doch, und da kennt er sich halt net so aus mit die fürnehmen Sacherln, wissen S'! Und da hab ich mir schon diemal denkt: kunnt sein, daß der Herr Fürst amal ein' anstellt, so an Herrischen, an Jagdverwalter, oder wie man's heißt – wie sag ich denn gleich – no ja, wie der Herr Martin einer is?«

»Martin? Und Jagdverwalter?« Das war eine Vorstellung, die den Fürsten lachen machte. »Nein! Wenn ein Jagdverwalter nötig wäre, wüßt ich mir einen anderen zu finden. Aber der Förster macht seine Sache so gut, daß ich mir das besser gar nicht wünschen kann.«

Pepperl grinste im Triumph seiner Schadenfreude wie ein Indianer, der den Skalp des Todfeindes eroberte. »Wart, Frau Verwalterin, heut auf'n Abend kriegst was z'hören!« dachte er und streckte den Hals, daß ihm die Schultern fast aus der Joppe sprangen. »Aber jetzt, Duhrlaucht, jetzt müssen S' Ihnen stad halten! Die Zeit wird kritisch. Allbot kann was daherspringen.«

Lautlos saßen sie eine halbe Stunde.

Da ließ sich aus dem Waldstreif hinter der Lawinengasse das leise Rollen von Steinen hören. Pepperl, jetzt ganz bei der Sache, spitzte die Ohren. Im gleichen Augenblick faßte Ettingen mit hastigem Griff den Feldstecher. Doch während der Jäger hinüberspähte zum Wald, hielt Ettingen das Glas nach dem Tal gerichtet.

Dort unten auf dem Pfad war Lolo Petri erschienen, den Basthut mit einem Kranz von Blumen geschmückt. Ihr folgte der Bruder, dessen Hütl unter Almrosen ganz verschwand; er führte an losem Zügel den Esel, der mit dem Gepäck und mit einem riesigen Busch von Rosen und anderen Blumen beladen war.

»Obacht!« flüsterte Pepperl, der drüben aus dem Waldsaum ein Alttier sichernd auf die Lichtung treten sah. Als aber Ettingen die Büchse nicht faßte, blickte der Jäger verwundert auf. Da sah er, wie seinem Herrn das Glas in den Händen zitterte. Mar und Joseph, dachte Pepperl, der kriegt 's Hirschfieber! Er zischelte: »Net aufregen, Duhrlaucht! Bloß d' Ruh net verlieren bei so was! Heut haben S' Glück, passen S' auf! Lassen S' dös Frauenzimmer nur schön vorbei!« Er meinte das Alttier. »Und Obacht geben! Da kommt schon was nach!« Es wurde lebendig drüben im Wald, und dem Alttier folgte ein Rudel, bei dem ein paar schwache Hirsche waren. »Es is nix Gscheits dabei! Nur warten!« flüsterte Pepperl so leis wie ein Hauch.

Ettingen sah und hörte nicht, was um ihn vorging, sondern folgte mit dem Glas jedem Schritt des Mädchens dort unten.

Ruhig und sorglos trat das Rudel auf die Lichtung. Plötzlich wandten alle Tiere die Köpfe gegen den Wald zurück, wurden flüchtig, und zwischen den hohen Erlenbüschen der Mulde verschwindend, nahmen sie den Wechsel gegen das Tal. »Der Hirsch kommt! Richten S' Ihnen!« zischelte Pepperl. »Der Hirsch, Mar und Joseph, und was für einer!«

Deutlich konnte Ettingen durch das Glas das Gesicht des Mädchens sehen, ihr Lächeln, die Bewegung ihrer Lippen, wenn sie mit dem Bruder plauderte. Nun hatten die Geschwister den steilen Rain erreicht, über den sie niedersteigen mußten, um das Kiesbett zu überschreiten. Da plötzlich sah Ettingen im Glas ein flüchtendes Rudel Hochwild auftauchen. Links und rechts von den beiden Geschwistern jagten die Tiere vorüber, erschrocken wollte Lo nach dem Zügel des Esels greifen, aber da scheute der Graue schon und rannte mit bockenden Sprüngen über den Rain in das Kiesbett hinunter, den Knaben am Riemen mit sich schleifend. Erblassend sprang Ettingen auf, und den Feldstecher wegschleudernd, stammelte er: »Um Gottes willen! Das gibt ein Unglück! Praxmaler! Kommen Sie! Schnell! Ich fürchte – « Er hatte den Bergstock gefaßt, schwang sich über die Mauer – und während er hinuntereilte über den steilen Hang, stand drüben auf der Lichtung ein Hirsch mit herrlichem Geweih, äugte dem springenden Menschen dort unten nach, trollte ein paar Schritte, äugte wieder und verschwand in den Latschen. Jetzt ermunterte Pepperl sich aus seiner sprachlosen Verblüffung und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Mar und Joseph! O du heilige Fasnacht! Rennt mir der Fürst davon und fürcht sich vor eim Hirschen! Teufi, Teufi, Teufi – «

Da klang aus dem Wald herauf die schreiende Stimme seines Herrn: »Praxmaler! Kommen Sie! Schnell!« Es war in dieser Stimme ein Ton, der den Jäger ahnen ließ, daß hier doch wohl etwas anderes geschehen wäre als nur ein drolliges Jägerstücklein. In Sorge begann er zu rennen und erreichte das Kiesbett in dem Augenblick, als Ettingen und Lolo Petri den Knaben fanden. Lo war blaß vor Schreck, als sie den Kopf des Knaben aufhob an ihre Brust. Die Sache schien übler auszusehen als sie war. Gustl zitterte wohl, doch er lächelte, um die Schwester zu trösten, und sagte: »Sorg dich nicht! Mir ist nichts geschehen. Gewiß nicht! Und Schmerzen hab ich gar keine.« Im Gesicht und an den Händen hatte er ein paar leichte Schürfwunden, sonst schien er unverletzt. Doch als sie ihn aufrichteten, konnte er nicht stehen und wäre wieder zu Boden gesunken, hätte ihn Ettingen nicht aufgefangen. »Kind! Kind!« stammelte Lo.

»Beruhigen Sie sich, Fräulein«, sagte Ettingen, obwohl ihm selbst vor Erregung die Stimme kaum gehorchte, »es kann nicht so schlimm sein! Der Fuß ist nicht gebrochen. Hier eine Untersuchung vorzunehmen und den armen Jungen zu quälen, das ist nutzlos. Kommen Sie, wir tragen ihn zum Jagdhaus, da kann alles leichter und besser für ihn geschehen! Kommen Sie!« Bei diesen Worten hatte er Gustl schon auf seine Arme gehoben und eilte mit ihm über das Kiesbett hinüber gegen den Weg.

Pepperl erbot sich, den Knaben zu tragen. Auch bei raschem Gang war's eine halbe Stunde bis zum Jagdhaus, und »so a Bub hat sein Gwicht«. Aber Ettingen schüttelte den Kopf. »Der Junge trägt sich wie eine Feder so leicht!« Auch Lo mahnte mit scheuer Bitte, daß Ettingen den Dienst des Jägers annehmen und seine Kräfte schonen möchte. Er sah ihr in die Augen, schüttelte wieder den Kopf und flüsterte dem Knaben zu: »Leg nur die Arme um meinen Hals, Bubi! So! Nicht wahr, so ist's bequemer?«

»Ja.«

Während sie auf ebenem Pfad durch den Wald hinauseilten, klang hinter ihnen auf dem Latschengehäng das Klopfen und halblaute Rufen der anmarschierenden Treiber: »Hup hup hup! Brrrr! Hup hup!« Pepperl guckte sich einmal um, und da wollte es ein böser Zufall, daß er zwei gute Hirsche gemütlich über die Lawinengasse spazieren sah. »Teufi, Teufi, Teufi, drei Hirschen hätten wir haben können!« träumte seine Jägerseele mit Kummer.

Ettingen plauderte während des ganzen Weges mit dem Knaben. Gustl hielt sich wie ein kleiner Held, verbiß den Schmerz und schwatzte unverdrossen, um der Schwester alle Sorge auszureden. Viel mehr als sein verletzter Fuß beschäftigte ihn die Frage, was wohl aus Hansi, dem Grauen, geworden wäre.

»Der kommt schon wieder!« tröstete Lo.

»Ja, schon, aber die Forellen, Lo! Die Forellen! Wenn er mit dem Netz einen halben Tag in der Sonne herumläuft, hab ich sie umsonst für Muttl gefangen!« In Schmerz verzog sich der Mund des Knaben, und das Wasser schoß ihm in die Augen; doch er seufzte nur: »Ach Gott, ach Gott, die schönen Forellen!«

Sie hatten das Jagdhaus fast erreicht, als Hansi nachgetrottet kam, in höchst nervöser Stimmung. An den locker gewordenen Gurten war ihm die Packtasche mit dem Almrosenbusch unter den Bauch gerutscht, und weil ihn die Zweige kitzelten, schlug er fortwährend mit den Hinterfüßen aus, schüttelte die Ohren und machte drollige Sprünge.

Als Pepperl den Esel in den Stall führte, rief Ettingen dem Jäger nach: »Tragen Sie das Fischnetz gleich in die Küche hinauf! Man soll die Forellen auf Eis legen, damit sie nicht verderben.« Seine Stimme klang gepreßt, so daß Lo ihm besorgt in das erhitzte Gesicht blickte. Er hatte doch wohl seiner Kraft zuviel zugemutet. Als er den Knaben über den letzten Hang zum Jagdhaus hinauftrug, ging sein Atem müd, und seine Arme zitterten.

Martin kam aus der Sennhütte gelaufen, mit dunkelrotem Gesicht, als hätt' es dort unten mit dem »unbehüteten Madl« eine Szene gegeben, die nicht ganz nach seinen Wünschen ausgefallen war. Verwundert musterte er seinen Herrn und das schöne Mädchen.

»Schnell, Martin! Hinauf! Und richte das Bett im Grafenzimmer!«

Erschrocken verfärbte sich der Lakai; doch wortlos eilte er ins Haus.

Im Flur kam Martin seinem Herrn über die halbe Treppe entgegen und stotterte: »Ich bitte um Vergebung, Durchlaucht, das Zimmer ist abgesperrt, und im Augenblick weiß ich nicht, wo die Leute den Schlüssel haben.«

»Aber Mensch! So mache doch mein Zimmer auf! Siehst du denn nicht – «

Martin rannte, und als sein Herr mit dem Knaben in das sonnige, weiße Zimmer trat, war das Bett schon abgedeckt. Während Lo dem Bruder half, sich zu entkleiden, brachte Ettingen das ganze Haus in Aufruhr. Der Lakai, die Köchin und die Küchenmagd, alles mußte laufen und bringen: Wasser, Eis, Verbandzeug, Kognak, den ganzen Inhalt der Hausapotheke.

Als Lo den verletzten Fuß des Knaben untersucht hatte, atmete sie auf. Der Knöchel war geschwollen und glühte, aber die Sache war unbedenklich: eine Bänderzerrung, die, obwohl sie schmerzhaft war, in wenigen Tagen wieder gut sein konnte. Ein paar Stunden Ruhe, meinte Lo, und Hansi könnte den Knaben heimbringen, ohne daß sich das Übel verschlimmern würde.

»Jetzt muß ich dir ein wenig wehtun, Bubi! Aber du wirst sehen, das hilft!«

»Ja, Lo, mach nur, was du meinst!«

Sie begann die Geschwulst zu massieren. So schmerzhaft das auch war, der Junge überwand es ohne einen Laut und ärgerte sich, weil ihm wider Willen die Tränen in die Augen kamen. Dann wurde der Knöchel bandagiert, und drüber kam der Eisumschlag. Die Schürfwunden im Gesicht und an den Händen wurden mit Karbollösung gereinigt und mit Pflästerchen verklebt.

Lächelnd sah Ettingen dem Mädchen zu. »Sie machen das alles wie ein gelernter Arzt!«

»Hier in den Bergen, wo man eine Tagreise bis zum Doktor hat, lernt sich das von selbst. Und ich hatte einen guten Lehrer. Der verstand sich auf alles, was Hilfe heißt.«

»Ihr Vater?«

»Ja.« Sie küßte den Knaben auf die Stirn. »Brav hast du dich gehalten!« Die seidene Steppdecke glättend, richtete sie sich auf. Als wäre erst jetzt alle Sorge von ihr gewichen, streifte sie mit ihren schlanken schönen Händen die Zaushärchen von den Schläfen zurück. Sie blickte im Zimmer umher, und eine leise Verwirrung schien sie zu überkommen. In jäher Bewegung streckte sie Ettingen die Hände hin, blickte mit glänzenden Augen zu ihm auf und sagte leis: »Wie gut Sie mit ihm waren! Ich danke Ihnen.«

Er nahm ihre Hände. »Dank? Nein! Der Schuldige bin doch ich, mit dieser dummen Jagd. Aber weil nur alles noch leidlich gut vorüberging! Wirklich, jetzt atme ich auf. Und freue mich, daß ich Sie hier habe unter meinem Dach. So hübsch ist es freilich nicht bei mir, wie ich es bei Ihnen fand, da draußen, in der schönen Sturmnacht!« Noch immer hielt er ihre Hände fest, und lächelnd sahen sie sich in die Augen.

Gustl, der mit der Wange auf den Händen lag, lind in die Kissen geschmiegt, guckte staunend an den beiden hinauf, und das verpflasterte Gesichtchen des Knaben färbte sich dunkelrot.

Lautlos trat Martin in das Zimmer, um Ordnung zu machen. Er schien keine Augen zu haben, nur Hände, die geräuschlos hantierten. Als er mit dem Wasserbecken und mit den Tüchern über dem Arm das Zimmer verlassen hatte, sah er die geschlossene Tür an und wiegte den Kopf. Studierend stieg er über die Treppe hinunter. In der Küche legte die Jungfer Köchin gerade die drei Forellen, die Pepperl gebracht hatte, in den Eiskasten, als Martin eintrat. Beim Anblick des Kammerdieners gab es dem Jäger einen »Riß«, halb vor Wut und halb vor Schadenfreude; aber er mußte der Köchin Antwort geben, als sie fragte: »Hat denn unsere Durchlaucht das Fräuln schon gekannt?«

»Gut auch noch! Z'erst hat er's droben am Sebensee troffen, neulich is er draußen gwesen bei ihr in der Luitasch, und gestern nacht, wie dös Wetter gwesen is, haben wir unterstehn müssen bei ihr, vom Abend bis auf d' Fruh. Ja, unser Duhrlaucht und d' Fräuln Petri, die zwei verstehn anander! Was die für austipfelte Sachen reden! Da reißt unsereiner d'Luser auf, sperrangelweit.«

Martin schien diesem Gespräch keine Aufmerksamkeit zu schenken. Kaum aber hatte er die Küche verlassen, als er in seine Stube eilte und hinter sich die Tür verschloß. Nachdem er an den Fenstern die Vorhänge zugezogen hatte, schrieb er eine Depesche in englischer Sprache, nur die Adresse deutsch: »Baronin Pranckha, Hietzing, Wien. – Soeben flog der edle Falk mit weißer Taube in den Waldhorst. Erkenne Gefahr und warne.«

»The faithful!« unterschrieb er – »der Getreue!« – und schob die Depesche in die Tasche, um sie bei der Hand zu haben, wenn der Postbote käme. —

Draußen vor dem Fenster ging Pepperl vorüber. Er machte langsame Schritte, und immer wieder schielte er zur Sennhütte hinunter, aus deren Schindeldach der Herdrauch quoll. Am liebsten wäre Pepperl in seiner Schadenfreude schnurstracks hinuntergelaufen, um dem »verloffenen Lampl« mit allem Hochgenusse menschlicher Bosheit ins Gesicht zu schreien: »Jagdverwalterin? Ja! Schmarrn!« Aber da lagen ihm zwei verwünschte Worte wie eiserne Riegel im Weg: »Wir sind fertig mitanander!« und »Mich siehst nimmer!« Daß er nach solchen Worten noch einmal die Schwelle dort unten überschreiten sollte – das war eine heikle Sache für einen, der in sich die Überzeugung trägt: »A bißl was muß der Mensch halten auf dös, was er sagt!« Und was ging ihn die ganze Geschichte weiter noch an? »Nix! Rein gar nix!« Für ihn hatte die Sache nur noch ein theoretisches Interesse, zu dem sich das angenehm prickelnde Bewußtsein gesellte: »Ich hab recht gehabt!« Jetzt konnte die Sache da unten ausfallen, wie sie wollte – er stand groß da! Mit dem Gefühl der Befriedigung, das den Praxmaler-Pepperl bei diesem Gedanken überkommen hatte, wollte er schon ins Försterhäuschen treten. Da hörte er über das Almfeld herauf das Klirren eines Bergstockes. Und am Waldsaum drunten erschien ein alter, weißbärtiger Bauer, gebeugt und etwas unsicheren Ganges. »Jesses! Da kommt er!« stotterte Pepperl, als er Burgis Vater erkannte. Mit langen Sprüngen rannte er über das Almfeld hinunter und schrie: »Brenntlinger! He! Brenntlinger! Da komm her! Da bin ich! Da!«

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
28 октября 2017
Объем:
410 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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