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Читать книгу: «Der Mann von Eisen», страница 6

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11. Kapitel

Die Aufregung, die durch die Schreckensnachricht aus Sarajevo in Deutschland hervorgerufen worden war, begann allmählich nachzulassen. Alle Einzelheiten des Attentats waren ausführlich gemeldet und erörtert worden. Man hatte auch geschrieben, dass Österreich von Serbien Genugtuung verlangen müsse, aber man vernahm nichts, was darauf schließen ließ, dass unsere Verbündeten entschlossen wären, nachdrücklich Sühne zu heischen und sie im Notfall mit Waffengewalt zu erzwingen. In Ostpreußen herrschte ein großes Gefühl der Enttäuschung. Die ewigen Reibereien an der Grenze, die frechen Übergriffe der russischen Soldateska, die im besten Fall mit einer lendenlahmen Entschuldigung von russischer Seite beigelegt wurden, hatten ein Gefühl der Erbitterung in der ganzen Bevölkerung erzeugt, die sich in einer frohen Hoffnung auf einen frisch-fröhlichen Krieg mit dem östlichen Nachbar kundgab. Und selbst in den Grenzbezirken, wo man doch ziemlich sicher mit einer sofortigen Überflutung durch die kriegsstarke, hinter der Grenze liegenden Truppenmacht der Russen rechnen musste, herrschte dieselbe Stimmung, ohne Rücksicht auf die eigene Gefahr.

Man begann anzunehmen, dass der Kaiser in seiner bekannten Friedensliebe auch diesmal den Sturm besänftigen würde. Eine Gefahr schien auch nicht so unmittelbar vorzuliegen, denn der Kaiser befand sich auf seiner alljährlichen Nordlandreise, und vergebens spähte man in den Zeitungen nach der Nachricht, dass er sie vorzeitig abbrechen würde.

Etwa acht Tage nach dem Gartenfest in Andreaswalde kam Kurt nach Hause. Sofort suchte er seinen Bruder auf dem Hof auf und führte ihn ein Stück abseits.

»Ich habe dir etwas sehr Wichtiges mitzuteilen. Es ist festgestellt, dass der Graf Tolpiga unrichtige Angaben über seine Vergangenheit gemacht hat. Er hat bis zum Frühjahr, das letzte halbe Jahr bereits als Rittmeister in Ossowiec bei den Revalschen Dragonern gestanden und ist von dort wenige Tage, bevor er hier bei uns erschien, mit unbekanntem Ziel abgereist. Was er über seine Verfolgung durch die russische Regierung usw. erzählt hat, ist ein Märchen. Ich glaube, die Militärbehörde wird sich wohl recht bald und ganz plötzlich mit der Person dieses interessanten Herrn beschäftigen.«

Wolf führte mit der geballten Faust einen Schlag durch die Luft.

»Mein Verdacht war also doch richtig. Aber weshalb ist der Bursche denn so unvorsichtig, seinen richtigen Namen und seinen Charakter als Offizier so offen kundzugeben?«

»Vielleicht hoffte er damit jeden Verdacht zu entkräften. Oder er verfolgte damit irgendeinen· Nebenzweck, den wir nicht kennen.«

»Du hast recht, Bruder. Und ich glaube den Nebenzweck zu kennen. Wenn er ihn nicht nur schon erreicht hat.«

»Was meinst du damit?«

»Ahnst du das wirklich nicht, Kurt? Der Herr Graf hat seine Zeit hier dazu benutzt, mit einem etwas törichten Mädchen eifrig zu flirten. Und er scheint herausgefunden zu haben, dass sein Grafentitel ihm dabei sehr zustatten kommt.«

»Aber Wolf, du meinst doch nicht etwa Hanna?«

»Jawohl«, erwiderte Wolf mit heiserer Stimme. »Ich meine das Fräulein Hanna Brettschneider, das die Zeit, in der die Eltern fort waren, sehr eifrig benutzt hat. Sie hat den Russen zu Tisch gezogen. Sie hat abends mit ihm musiziert.«

»Armes Bruderherz«, sagte Kurt leise und griff nach seiner Hand.

»Lass’ das, Kurt. Das ist für mich abgetan. Jetzt sehe ich alles klar. Der Mutter wegen musste Herr Nadrenko sein Inkognito aufgeben. Weißt du, was ich daraus schließe?«

»Ich glaube es zu wissen. Du vermutest, dass Hanna den Russen liebt?«

»Jawohl.«

»Dann beantworte nur eine Frage, Wölflein: Hast du dir bei Hanna einen Korb geholt?«

»Auf Umwegen, ja.«

»Na, dann geht dich doch die ganze Sache weiter nichts an, lieber Bruder.«

»In der Weise, wie du es meinst, allerdings nicht im Geringsten«, erwiderte Wolf mit fester Stimme, »aber wir sind mit den Nachbarn in Andreaswalde so viele Jahre eng befreundet, und mir würde es um Hanna leidtun, wenn sie sich ernstlich mit ihrer Neigung für den Russen engagiert hätte.«

»Wenn du so denkst, wäre es deine Pflicht, Onkel Brettschneider zu warnen.«

»Ich denke nicht daran! Das gäbe ein Trauerspiel mit dem Titel: Die Rache des verschmähten Liebhabers.«

»Wollen wir nicht die Sache der Mutter erzählen und ihren Rat einholen?« warf Kurt ein.

»Du hast recht, Bruder.«

Frau Stutterheim unterbrach ihren Ältesten schon nach den ersten Worten:

»Du brauchst mir nichts zu erzählen. Wolf. Ich weiß bereits alles. Ja, ich weiß noch mehr als ihr. Hanna hat dem Russen an deinem Geburtstag ein Stelldichein im Garten gegeben. Grete hat ihn in den Park gehen sehen, und eine Viertelstunde später ist ihm Hanna nachgefolgt. Ich habe dem kleinen, vorlauten Ding Stillschweigen auferlegt und hoffe, dass sie es halten wird. Dann bin ich mit mir zurate gegangen, ob ich verpflichtet bin, den Eltern davon Mitteilung zu machen. Ich bin davon abgekommen. Hanna ist alt genug, um zu wissen, was sie tut. Und ich halte sie für zu klug, als dass ich ihr eine noch größere Dummheit zutrauen könnte.«

»Der Herr Graf hat mir beim Gartenfest Andeutungen gemacht, dass er sich ernsthaft um Hannas Hand bewerben will. Jetzt scheint mir diese vertrauliche Mitteilung auch nur den Zweck gehabt zu haben, einen Verdacht, der gegen ihn aufgetaucht sein könnte, zu entkräften.«

»Dann stehen wir wieder auf demselben Fleck«, warf Kurt ein. »Ist der Russe kein Spion und hat er ernsthafte Absichten auf Hanna, dann geht uns die Sache weiter nichts an. Und da ich annehme, dass außer uns und den nächsten Familienangehörigen kein Mensch etwas davon ahnt, dass sich gewisse Beziehungen zwischen Hanna und dem Russen angesponnen haben, können wir der Entwicklung der Dinge ganz ruhig zusehen. Für mich ist außerdem noch der Gesichtspunkt ausschlaggebend, dass alles vermieden werden muss, was den Russen warnen könnte.«

»Kurt hat recht«, entschied die Mutter. »Und nun wollen wir die Sache ruhen lassen. Wie bekommt dir das Soldatenleben, mein Junge?«

»Ich danke, sehr gut, Mutterchen. Wir sind alle sehr kriegerisch gestimmt und hoffen, dass es diesmal wirklich mit Russland losgehen wird. Wisst ihr das Neueste? Österreich hat an Serbien ein Ultimatum gestellt, das heißt es hat verlangt, dass die Fäden der Verschwörung, die nach Serbien bis in offizielle Kreise hineinreichen, energisch verfolgt werden. Es hat ferner verlangt, dass österreichisch-ungarische Organe an dieser Untersuchung in Serbien selbst teilnehmen sollen. Morgen Abend Punkt sechs Uhr muss Serbien darauf geantwortet haben.«

»Kinder, das sieht sehr bedrohlich aus.«

Am nächsten Tage kam Kurt schon zum Kaffee nach Hause und erzählte ganz aufgeregt, dass man in Lyck einen russischen Offizier als Spion verhaftet hätte.

»Denkt euch, der große brünette Kellner, der im letzten halben Jahr fast ausschließlich den Stammtisch der Offiziere im Luisen-Café bedient hat, ist als russischer Spion verhaftet worden. Was mag der Kerl alles bei der Unterhaltung aufgeschnappt haben?«

»Was, der hübsche, schlanke Mensch?« rief Wolf erstaunt aus, »der beste Kellner, den ich je kennen gelernt habe, stets höflich und aufmerksam. Wie hat man ihn entlarvt?«

»Dem Wirt war es aufgefallen, dass er nach Geschäftsschluss noch immer ausging oder sogar wegradelte, um frische Luft zu schöpfen, wie er sagte, oder im See zu baden … Heute Nacht, als der Kellner eben weggegangen ist und der Wirt das Lokal schließen will, findet er auf dem Fußboden eine Speisekarte, auf deren Rückseite ein Plan der Feste Boyen sehr sauber aufgezeichnet ist. Sofort fährt es ihm durch den Kopf, dass nur der Kellner das Papier verloren haben kann. Er benachrichtigt sofort die Polizei und lässt die Sachen des Kellners durchsuchen. Das erste, was man fand, waren zwanzig Klebekarten, jede auf einen anderen Namen ausgestellt. Und dann fand man vollgültige Beweise, dass der Kellner ein russischer Offizier ist, der alle Nachrichten, die er sammeln konnte, durch einen Vertrauensmann, jedenfalls bei den nächtlichen Spaziergängen, über die Grenze nach Russland schickte … Bei seiner Rückkehr in der Nacht wurde er verhaftet und frühmorgens mit dem ersten Zug unter Bedeckung nach Lötzen geschickt.«

Sie saßen noch in lebhafter Unterhaltung, als Grete auf der Bildfläche erschien. Sie hatte sich nicht einmal die Zeit genommen abzulegen, sondern kam mit dem Hut in der Hand durch die Gartentür hereingestürmt:

»Denkt euch, unser Herr Graf ist ganz plötzlich ausgerückt. Die Eltern waren vormittags in der Stadt und haben dort gehört, dass der Kellner aus dem Luisen-Café, der immer die Offiziere bediente, als russischer Spion verhaftet sein soll. Als der Vater das bei Tisch erzählte, wurde der Herr Nadrenko so bleich, dass wir ihm alle die Erregung ansahen. Gleich nach dem Essen sagte er dem Vater, dass er unter allen Umständen in einer Stunde abreisen müsse und verlangte einen Wagen nach Prostken. Der Vater hatte in seiner Gutmütigkeit schon zugesagt, ihm ein paar Kutschpferde zu geben, aber da ging die Mutter rein und verlangte, er sollte unter allen Umständen noch acht Tage dableiben, bis der neue Inspektor käme. Da hat Herr Nadrenko zugesagt, noch zu bleiben. Aber eine halbe Stunde später ist er aufs Feld gegangen, hat mit dem jungen Arbeiter, der ihn immer bediente, einige Worte gesprochen, und dann sind beide mit schnellen Schritten nach der Grenze zu weggegangen.«

»Woher wisst ihr das?« fragte Wolf.

»Dem Kämmerer kam die Geschichte verdächtig vor, er kam rein und hat sie dem Vater erzählt.«

»Und was hat der Vater getan?«

»Er hat sofort nach Lyck an die Polizei und an die Militärbehörde telefoniert.«

»Der Vogel wird uns wahrscheinlich entwischen«, meinte Kurt. »Der wandert doch durch die Wälder bis zur Grenze.«

Noch an demselben Abend ließen die Behörden die Wohnung Nadrenkos öffnen und hielten Haussuchung. Es wurde nicht das Geringste vorgefunden, das als sicherer Beweis für eine Spionage dienen konnte. Nur in der Brusttasche eines Rockes fand sich ein Kuvert mit dem Poststempel Lyck. Und der Beamte, der auch den Kellner verhaftet hatte, erklärte mit aller Bestimmtheit, dass er die Handschrift des Spions auf dem Briefumschlag wiedererkenne. Ein Vorrat von Papier auf dem Schreibtisch und ein Zeichenbrett, das eben mit einem neuen Blatt bespannt war, gaben davon Kunde, dass der Russe nicht nur eifrig geschrieben, sondern auch gezeichnet hatte. Außerdem fand man im Ofen einen Haufen Asche mit winzigen Papierresten, ein Zeichen, dass Nadrenko sorgfältig alles beseitigt hatte, was ihn kompromittieren konnte.

Hanna ging in den nächsten Tagen wie im Traume umher. Sie hatte, als der Kämmerer die Nachricht von Nadrenkos Flucht brachte, der Mutter, die jetzt mit einmal behauptete, der Russe wäre ihr immer verdächtig erschienen, heftig widersprochen. Man müsse doch wenigstens abwarten bis zum Abend, er würde ganz bestimmt wiederkommen. Er habe vielleicht irgendeinen Geschäftsgang vor.

»Ich begreife dich nicht«, hatte Frau Brettschneider scharf geantwortet, »was du für ein Interesse an dem Russen nimmst. Kommt er zurück und erweist er sich als unschuldig, dann kann uns das ebenso gleichgültig sein, als wenn er ausgerückt ist. Auf jeden Fall muss der Vater die Sache sofort telefonisch melden. Das ist einfach unter diesen Umständen eine nationale Pflicht.«

Hanna verschwand auf ihr Zimmer und kam auch am nächsten Tage wegen einer starken Migräne, wie sie sagen ließ, nicht zum Vorschein. Selbst die Jüngeren Schwestern, die ihr das Neueste mitteilen wollten, ließ sie nicht rein. Und die Mutter hielt es für das Beste, keine Erörterungen herbeizuführen.

12. Kapitel

Frau Stutterheim fuhr jeden Morgen in ihrem Staatswagen nach Sybba, um sich von der Frau Weißmann behandeln zu lassen. Wenn Wolf ab und zu nach dem Erfolg der Kur fragte, erwiderte sie leichthin, es schiene ja ein bisschen besser zu gehen. Der Sohn, der im Grunde seines Herzens nicht an einen Erfolg glaubte, gab sich mit der Antwort zufrieden.

Christel jedoch sah tiefer. Sie kannte die Tante als eine Frau, die ihr schweres Schicksal nicht nur mit Geduld und ohne Verbitterung trug, sondern es auch durch ihre Herzensgüte fertig brachte, stets froh und heiter zu erscheinen.

Jetzt jedoch lag es auf dem Gesicht der alten Dame, wenn sie von ihrer Fahrt zurückkehrte, wie heller Sonnenschein. Und ihre Stimmung spiegelte sich darin ab, dass sie sich trotz des Ernstes der Zeiten mit Wolf und Christel neckte.

Eines Tages fasste Christel sich ein Herz und bat die Tante, ihr doch offen zu sagen, wie ihr die Kur bekäme. Frau Stutterheim winkte sie an sich heran.

»Du liebe Seele du, ich glaube, du hast schon mein Geheimnis erraten.«

»Nein, Tantchen, ich lese es dir vom Gesicht ab.«

Frau Stutterheim hob mahnend die Hand.

»Kennst du auch das kluge Sprüchlein aus der Fibel, dass der Mensch zwei Ohren und zwei Augen hat, aber nur einen Mund?«

»Oh ja, Tantchen, und ich weiß, was du damit sagen willst· Ich werde stumm sein wie ein Karpfen.«

»Nun, denn hör’ zu, mein Kind. Ich bin schon acht Tage an Krücken gegangen, immer hin und her in der Stube. Gestern eine halbe Stunde lang. Und heute habe ich zum ersten Mal meinen Spaziergang bloß mit zwei Stöcken gemacht. Es ist zwar eine Pferdekur, und ich muss die Zähne dabei zusammenbeißen, aber es geht doch vorwärts. Nun aber reinen Mund halten. In vierzehn Tagen hoffe ich meine Jungen damit zu überraschen, dass ich aus dem Stuhl aufstehe und ihnen entgegengehe.«

Die frohe Botschaft drückte Christel fast das Herz ab. Zum ersten Mal fühlte sie, dass es viel leichter ist, eine traurige Botschaft zu verschweigen als eine freudige. Aber das konnte sie nicht verhindern, dass sich die Freude auf ihrem Gesicht widerspiegelte. Und dazu stellte sich bei ihr eine Angewohnheit wieder ein, die ihr als kleinem Mädchen die Bezeichnung ‘das Brummeisen’ eingetragen hatte, weil sie stets und überall vor sich hin zu summen pflegte. Die Mutter hatte sie manchmal deswegen berufen, aber ohne Erfolg, denn das kleine Ding wusste es gar nicht, dass sich ihr frohes Herz in diesen Tönen Luft machte. Auch jetzt wusste sie es nicht, und Wolf sah fragend seine Mutter an, als Christel summend durchs Zimmer ging.

Auf dem Welttheater drängten die Ereignisse zur jähen Entscheidung. Man wusste, dass der Kaiser sich noch alle Mühe gab, den Ausbruch des Krieges zwischen Österreich-Ungarn und Russland zu verhindern.

Man glaubte aber nicht mehr daran, dass es gelingen könnte. Und man erfuhr dort hinten an der Grenze alle Ereignisse genauso schnell, womöglich noch früher als anderswo, denn Dalkowen war eine öffentliche Fernsprechstelle, und man konnte, sobald das Klingelzeichen ertönte, das ein Gespräch mit dem Hauptamt anmeldete, jede Nachricht mit anhören.

Fortwährend lief Christel ans Telefon, aber mit der Zeit wurde es ihr doch über.

Eines Nachmittags war sie für eine Stunde nach Hause gegangen. Als sie wiederkam, war ihre frohe Stimmung verschwunden. Wolf lockte sie gleich nach Kaffee unter einem Vorwand aus dem Zimmer und fragte, wie es in Andreaswalde aussähe.

Christel traten die Tränen in die Augen.

»Schlecht, lieber Wolf Hanna geht herum wie ein Schatten.«

»Ich habe mich nicht nach dem Befinden deiner Schwester erkundigt. Ich will wissen, wie es in der Wirtschaft geht.«

»Ach, Wolf, du bist doch nicht so herzlos, dass es dir ganz gleichgültig sein sollte, wie es Hanna geht. Ich kann ihr keine Schuld geben. Kein Mensch kann doch seinem Herzen etwas befehlen oder verbieten. Das dumme Ding tut, was es will und lässt sich auch nicht durch den Verstand zur Ruhe zwingen. Das musst du doch selbst am besten wissen.«

»Nein, Christel, das kann ich nicht zugeben. Wenn das dumme Ding in der Brust nicht gehorchen will, dann kümmert man sich nicht darum. Es muss sich schließlich doch begeben.«

»Ach, Wolf, das sprichst du so. Wir haben doch alle geglaubt, dass Hanna eine kühle, berechnende Natur ist, die sich nie von einer Leidenschaft hinreißen lassen wird. Nun siehst du, wie wir uns getäuscht haben. Aber ich glaube, das ist nur so eine Leidenschaft, die wie Strohfeuer aufflammt und ebenso schnell wieder erlischt Sie wird sich auf sich selbst besinnen. Ich meine, es ist bei ihr schon weniger Schmerz als Reue und Scham. Der Mensch hat sie doch schmählich hintergangen und belogen.«

»Ich urteile in diesem Punkt nicht so hart über ihn … Dass er als Spion zu uns gekommen ist, darüber ist wohl kein Zweifel möglich. Und um diese Eigenschaft und Absicht zu verdecken, musste er uns allen ein Märchen aufbinden. Aber nun wollen wir die Sache ruhen lassen. Wie geht es den anderen zu Hause?«

»Die Mutter packt eifrig. Sie hat schon Kisten und Kasten voll, die in den nächsten Tagen mit Fuhrwerk bis nach Königsberg gehen sollen. Sie meint, wenn die Mobilmachung kommt, woran doch nicht mehr zu zweifeln ist, werden die Bahnen vollständig vom Militär beschlagnahmt werden.«

»Und der Vater?«

»Ach Wolf, das ist ganz traurig. Ich wollte dich schon bitten, dich ein bisschen um ihn zu kümmern. Er läuft stundenlang ziel- und zwecklos auf dem Feld umher, dann kommt er nach Hause, setzt sich an den Schreibtisch und brütet vor sich hin. Wenn man ihm etwas sagt, antwortet er ja, ja, aber man hat das Gefühl, dass er gar nicht hört, was man ihm sagt. Ein Glück ist es, dass Brinkmann, die alte, treue Seele, wiederkommt. Er soll ja noch sehr klapprig sein, aber er will doch schon in den nächsten Tagen kommen.«

»Ich reite heute nach der Stadt und spreche unterwegs in Andreaswalde an. Das kann doch nur eine versteckte Krankheit bei deinem Vater sein … Der Nitschmann in Wronken hat es im vorigen Sommer ebenso gemacht, bis die Ärzte in Königsberg feststellten, dass er sich eine schleichende Brustfellentzündung zugezogen hatte.«

Eine Viertelstunde später ließ Wolf sich sein Pferd vorführen und ritt noch einmal auf das Feld hinaus, wo er mit allen Kräften dreschen ließ. Der Roggen war in den letzten schönen Tagen so trocken geworden, dass er ihn gleich in die Maschine werfen ließ. Und jeden Morgen gingen mehrere Reisewagen voll beladen zur Bahn. Gegen Abend sprach er in Andreaswalde vor. Er fand den alten Herrn still und stumm am Schreibtisch sitzen.

»Onkel, nun sag’ mir mal ganz offen, was fehlt dir, hast du irgendwelche Schmerzen?«

»Nein, mein Jungchen, mir fehlt gar nichts. Ich fühle mich nur ab und zu etwas müde, weil ich schon lange nicht so viel gegangen bin…«

»Na, wie bist du mit der Ernte zufrieden? Wie schüttet der Roggen?«

»Ja, Wolf, da fragst du mich zu viel. Ich glaube, es wird ja noch gar nicht gedroschen. Erst muss doch das Sommergetreide herein.«

»Nein, Onkel, das ist mir jetzt Nebensache. Ich dresche schon sehr fleißig und schicke alles Getreide weg, um es vor den Russen zu retten.«

»Glaubst du wirklich, dass es Krieg gibt?«

»Aber Onkel, es kann sich doch höchstens um acht Tage handeln, dann haben wir die Mobilmachung.«

Der alte Herr wehrte mit einer müden Handbewegung ab.

»Ich glaube es noch nicht. Es ist in den letzten Jahren schon so oft und so heftig mit dem Säbel gerasselt worden, er ist aber immer in der Scheide stecken geblieben … Na, und wenn der Krieg ausbricht, da ist es doch verteufelt gleichgültig, ob ich hundert oder tausend Zentner Roggen hier lasse … Wir wollen übrigens, sowie es zur Mobilmachung kommen sollte, mit den Mädchen nach Königsberg fahren. Brinkmann kommt wieder her, der mag sich mit den Russen herumschlagen. Ich habe keine Lust dazu.«

»Ich bleibe unter allen Umständen hier. Ich habe schon meine Leute befragt. Sie wollen nicht fliehen, sondern hierbleiben und arbeiten. Da ist mein Platz an der Seite der Leute.«

»Da stimme ich dir vollkommen bei. Du hast auch die nötige Energie dazu, um mit den Russen fertig zu werden. Wirst du aber nicht wieder beim Militär eintreten müssen?«

»Onkelchen, ich will es dir im Vertrauen sagen. Ich will mich heute vom Stabsarzt untersuchen lassen, und wenn er mich für tauglich hält, gehe ich natürlich mit. Die Pflicht, fürs Vaterland zu kämpfen, steht mir natürlich höher, als die Sorge um meine Leute.«

»Und deine Mutter?«

»Die könnt ihr mit nach Königsberg nehmen. Und, nicht wahr, Onkel, ihr werdet euch ein bisschen um sie kümmern.«

»Aber selbstverständlich, mein Junge.«

»Na, denn leb’ wohl, Onkel, und versprich mir noch eins: Dass du dich in Königsberg von einem tüchtigen Arzt gründlich untersuchen lässt.«

»Das kann ich ja machen, Wolf…«

Erst spät in der Nacht kam Wolf nach Hause.

Christel lag noch wach und hörte durch die offenen Fenster, wie er selbst sein Pferd in den Stall führte und dann leise ins Haus kam … Am anderen Morgen war Wolf schon einige Stunden auf dem Feld gewesen, ehe er zum Frühstück kam. Die Mutter war schon fortgefahren … Christel erschrak, als sie ihn erblickte. Er hatte ja in den letzten Wochen schon immer schlecht ausgesehen, aber so elend wie heute war er ihr noch nie vorgekommen.

»Sag’ mal, Wolf, was ist mit dir los? Du siehst ja ganz gottserbärmlich aus.«

Mit einem Versuch, zu lächeln, erwiderte er:

»Du hast das typische Jammerbild eines verkaterten Mannes vor dir, Christel. Wir haben gestern Abend eine sehr schwere Sitzung gehabt, und in der Nacht konnte ich nicht schlafen. Es ist wohl am besten, wenn ich Hundehaare auflege … Schenk’ mir mal einen großen Kognak ein.«

Als er das Gläschen ausgetrunken hatte, berichtete er von seinem Besuch in Andreaswalde und suchte Christel durch die Versicherung zu beruhigen, dass es sich bei ihrem Vater nur um eine vorübergehende Erschöpfung handeln könne.

Christel hörte ihm schweigend zu. Sie hatte das Gefühl, als wenn er nur sprach, um ihre Gedanken von sich abzulenken. Er ließ ihr auch zu weiteren Fragen keine Zeit, sondern stand auf und ging auf den Hof hinaus.

Auch dem Auge der Mutter war es nicht entgangen, dass ihr Ältester etwas mit sich herumtrug, was ihm den Sinn verstörte. Nach dem Mittagessen, als Christel hinausgegangen war, hielt sie ihn zurück und stellte ihn zur Rede. Wolf wusste aus Erfahrung, dass bei der Mutter keine Ausrede verfing, wenn sie einer Sache auf den Grund kommen wollte.

»Ich habe gestern Abend eine große Enttäuschung erlebt, liebe Mutter. Ich bin beim Stabsarzt gewesen und habe mich untersuchen lassen.«

Er begann, auf und ab zu gehen, während er weiter sprach.

»Du kannst dir doch denken, wie schrecklich es mir sein würde, zu Hause zu sitzen, wenn die anderen fürs Vaterland kämpfen. Der Herr Doktor hat genau eine Minute mein Herz behorcht und ganz trocken erklärt, es müsste bei seinem früheren Bescheid bleiben, ich wäre nicht felddienstfähig.«

Er lachte bitter auf.

»Ich hänge jeden Tag vierzehn Stunden auf dem Gaul. Ich arbeite stundenlang noch am Schreibtisch und fühle nie die geringste Beschwerde. Ich traf abends mit ihm am Kneiptisch zusammen. Da hat er was von mir und auch von den Kameraden zu hören bekommen.«

»Ich begreife es, mein Sohn, dass der Ärger aus dir spricht, und ich habe nichts dagegen, dass du noch andere Schritte unternimmst, um an dein Ziel zu gelangen.«

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
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