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Читать книгу: «Der Mann von Eisen», страница 7

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13. Kapitel

Russland hatte die Mobilisierung aller seiner Kräfte angeordnet. Als Gegenmaßregel war in Deutschland der Kriegszustand verkündet worden, dem die Mobilmachung folgen musste, wenn Russland nicht binnen zwölf Stunden seine militärischen Maßnahmen an seiner Westgrenze gegen die verbündeten Mächte einstellte.

Darauf zu hoffen wagte niemand. Ja, nirgends regte sich auch nur der geringste Wunsch, den Frieden erhalten zu sehen. Im Gegenteil, wie eine gewaltige Flamme loderte die Begeisterung empor, obwohl man sich sagen musste, dass der Krieg mit Russland auch den Krieg mit Frankreich bedeutete.

In dem am ersten und meisten gefährdeten Ostpreußen war die Begeisterung eher noch größer als anderswo, obwohl sich namentlich die Bewohner der Grenzbezirke sagen mussten, dass sie womöglich schon in den nächsten Tagen einen Vorstoß der Russen zu erwarten hätten.

Der erste August, der die Entscheidung bringen musste, brach an. Christel stand den ganzen Tag fast ohne Unterbrechung am Telefon. Und sie hörte unter den vielen Gesprächen auch manche wichtige Nachricht.

Da wurden die Behörden mit Anfragen bestürmt, ob es wahr wäre, dass ganz Ostpreußen bis zur Weichsel von unseren Truppen geräumt und kampflos den Feinden überlassen werden sollte. Die Antwort lautete, wie zu erwarten war, scharf verneinend. Die Bevölkerung möge ruhig ausharren. Die Russen könnten höchstens vorübergehend einige Ortschaften an der Grenze besetzen. Wolf kam fast in jeder Stunde vom Felde hereingeritten, um sich nach den neuesten Nachrichten zu erkundigen. Wenn etwas Wichtiges vorlag, ritt er sofort nach Andreaswalde hinüber, um es dort mitzuteilen.

Seine russischen Arbeiter waren des Morgens mit der Frage an ihn herangetreten, ob es wahr sei, dass Russland mit Deutschland Krieg anfangen werde. Er hatte die Frage offen bejaht und hinzugefügt, er könne und wolle sie nicht festhalten. Wenn sie wollten, würde er sie am Abend auslohnen, dann könnten sie über die Grenze in ihr Vaterland zurückkehren.

Darauf hatte der Sprecher der Russen, ein alter Mann, der schon mehr als zwanzig Jahre nach Deutschland auf Arbeit fuhr und schon mehrmals in Dalkowen gewesen war, erwidert, das wäre gerade das, was sie nicht wollten. Sie wollten lieber in Deutschland bleiben, aber nicht hier an der Grenze, wo sie den Kosaken in die Hände fallen könnten.

»Aber das sind ja eure Landsleute«, hatte Wolf belustigt geantwortet.

»Ach, gnädiger Herr«, erwiderte der alte Vorarbeiter, »das kennen Sie nicht so wie wir … Wir gehen zu Hause jedem Soldaten in weitem Bogen aus dem Wege und sind froh, wenn wir sie gar nicht sehen. Wenn unsere Soldaten uns hier treffen, nehmen sie uns zuerst das Geld weg. Ich frage, gnädiger Herr, was sollen wir jetzt zu Hause? Betteln gehen oder hungern…?«

»Ja, darauf kann ich euch keine Antwort geben. Ich werde versuchen, den Herrn Landrat anzufragen, was mit euch geschehen soll. Aber auf jeden Fall könnt ihr heute Abend kommen und euch euer Geld holen.«

Es war Wolf nicht gelungen, sich im Laufe des Tages vom Landratsamt Bescheid über die russischen Arbeiter zu holen. Gleich nach Feierabend stellten sie sich vor dem Gutshause ein und nahmen ihren Lohn in Empfang. Fast alle küssten Wolf den Ärmel oder den Rocksaum und bedankten sich mit tiefer Verbeugung für alles Gute, was sie in Dalkowen bekommen hätten … Zwei Stunden später, als es dunkel geworden war, zogen sie in kleinen Trupps weg, nach Norden zu, tiefer nach Ostpreußen hinein.

Eine Stunde vor Feierabend war Wolf nach Hause gekommen, um die Lohnlisten fertigzustellen.

Er saß, in seine Arbeit vertieft, in seinem Zimmer am Schreibtisch, als Christel hastig hereintrat:

»Denk’ dir, Wolf, die Russen sind schon über die Grenze hereingebrochen.«

»Nicht möglich, es ist doch noch keine Kriegserklärung erfolgt. Woher weißt du das?«

»Durchs Telefon … Ich höre heftig klingeln, springe zu und nehme den Hörer ab. Da ruft jemand aus Preußischhöh das Amt Lyck an und sagt: ,Eben reiten etwa dreißig Russen, anscheinend Kosaken, auf den Hof. Zehn Mann steigen ab und kommen aufs Haus zu’. Dann kommt eine halbe Minute später ein lauter Schrei aus dem Hörer, und gleich darauf ein furchtbares Krachen …Wahrscheinlich haben sie den Fernsprecher zerstört.«

»Das ist doch unerhört, ohne Kriegserklärung … Du kennst doch Preußischhöh, das liegt noch keine dreihundert Meter von der Grenze … Hast du es schon der Mutter erzählt?«

»Nein, das wollte ich dir überlassen.«

»Du kannst es ihr ruhig sagen. Die Mutter hat mehr Courage als mancher Mann.«

Kopfschüttelnd setzte er sich wieder an seine Arbeit.

Eine Viertelstunde später brachte Christel die Meldung: Sie habe eben am Telefon die Nachricht gehört, dass der Kaiser um fünf Uhr nachmittags die Mobilmachung des gesamten deutschen Heeres und der Flotte befohlen habe.

»Na, dann sind die Würfel gefallen … Eine Viertelstunde haben wir noch Zeit, ehe die Leute kommen. Da wollen wir drei in aller Ruhe besprechen, was unter diesen Umständen hier geschehen muss.«

Seine Augen funkelten. Sein ganzes Wesen schien wie gehoben … Er schritt auf seine Mutter zu, setzte sich neben sie und nahm ihre Hand.

»Mutterchen, erschrick nicht, der Krieg ist ausgebrochen … Die Mobilmachung ist angeordnet … Die Russen sind bereits über der Grenze in Preußischhöh erschienen und haben dort den Fernsprecher entweder abgerissen oder zertrümmert … Christel hat es durchs Telefon zu hören geglaubt.«

Frau Stutterheim nickte.

»Ich habe mich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht … Er schreckt mich nicht.«

»Das wusste ich, Mutterchen. Und morgen fährst du mit Christels Eltern im Auto zunächst nach Königsberg … Ich schicke dir im Wagen deine Sachen nach und die Friedas auch, die ist treu und zuverlässig … Sobald sie in Königsberg eintrifft, setzt ihr euch auf die Bahn und fahrt weiter nach Berlin.«

Die Mutter hatte ihren Sohn mit einem milden Lächeln angehört…

»Nein, Wölflein, deine Mutter· lässt sich nicht von dir fortschicken … Ich bleibe, wo du bleibst, d. h. hier in Dalkowen … Eine alte Frau ist doppelt nötig, wo ein junger Brausekopf im Hause zurückbleibt.«

»Das gebe ich unter keinen Umständen zu«, erwiderte Wolf, »ich werde keine ruhige Stunde haben, wenn ich dich nicht in Sicherheit weiß. Mach’ mir nicht das Herz schwer, Mutter … Ich schwöre dir, dass ich kühl und besonnen bleiben werde, wie ein alter Mann mit grauem Haar.«

Frau Stutterheim schüttelte den Kopf.

»Und ich würde noch weniger Ruhe haben als du, wenn ich dich hier allein unter den Russen wüsste … Dass du mit mir von hier weggehst, das kann und will ich dir nicht zumuten, deshalb bleibe ich hier bei dir!«

»Aber, liebste Mutter, bedenk’ doch … Ich würde sonst mit keinem Wort dran rühren … Du mit deinem Gebrechen …Die Mädchen müssen alle weg … Die Frauen werden wahrscheinlich sich auch in Sicherheit bringen … Wer soll deine Pflege und Aufwartung übernehmen?«

»Niemand, mein Sohn«, rief Frau Stutterheim laut aus, stützte sich mit den Händen auf die Lehnen ihres Sessels und stand auf. In sprachlosem Erstaunen trat Wolf einen Schritt zurück.

»Mutter!«

»Reich’ mir meine Waffen, mein liebes Kind.«

Christel stand schon mit zwei Stöcken neben ihr … Sie ergriff sie und trat vorsichtig, Christels Unterstützung mit einem Blick zurückweisend, von ihrem Fahrstuhl auf den Fußboden.

»Eins, zwei, eins, zwei«, zählte sie laut und marschierte. mit kurzen Schritten durch die Stube.

»Mutter«, rief Wolf noch einmal so laut, dass einige Saiten in dem alten Klavier mittönten … Dann sprang er auf sie zu, fasste sie um und nahm sie auf seine Arme.

»Nicht so stürmisch, mein Junge … Ich wollte euch mit dem Parademarsch erst überraschen, wenn Kurt auch hier wäre, aber nun…«

»Hier ist er«, sagte eine tiefe Stimme, die vor Rührung zitterte, von der Gartentür her.

Die Söhne hatten die Mutter zu beiden Seiten untergefasst und wanderten langsam mit ihr auf der Stube hin und her, während sie erzählte, wie sie schon nach den ersten Tagen einen Erfolg verspürt hätte…

»Aber es war wirklich eine Pferdekur, Kinder … Die Frau rieb und knetete und zog meine Beine gerade, während von unten ein Kohlenbecken eine unerträgliche Hitze ausströmte. Schon nach acht Tagen konnte ich allein, ohne Hilfe meine Beine gerade ausstrecken … Zwei Tage später hoben sie mich wie eine Puppe auf und stellten mich auf die Füße … Na, und dann ist es langsam so weitergegangen.«

»Jetzt müssen wir erst recht darauf dringen«, meinte Kurt, »dass du nun zu einem tüchtigen Arzt fährst, der dich ganz gesund macht. Entweder nach Königsberg oder besser, gleich nach Berlin.«

»Ja, Mutter, das musst du jetzt tun«, fiel auch Wolf ein.

»Was ich muss oder nicht, das bestimme ich allein, meine Herren Söhne … Ich bleibe hier bei der Frau, die mir den Gebrauch meiner Beine wiedergegeben hat … Und nun haltet gefälligst davon den Schnabel, sonst werde ich ungemütlich.«

Sie hatte es in lachendem Ton gesprochen, aber die Söhne wussten, dass jedes weitere Wort vergebens war.

»Du, Wolf«, fuhr die Mutter fort, »du holst jetzt ein paar Weißköpfe aus dem Keller und lässt sie kaltstellen, damit wir nachher meinen Parademarsch begießen und auf den Sieg unserer Truppen trinken können.«

Als Wolf seine Russen ausgelohnt hatte, stand das Abendbrot auf dem Tisch. Frau Stutterheim ging allein an Kurts Arm in das Esszimmer. Er erzählte:

»Ich bin mit eurem Auto gekommen, Christel, deine Mutter war in der Stadt … Sie lässt dir sagen, du möchtest dich noch heute Abend einfinden, morgen ganz früh soll abgefahren werden … Ich werde dich nachher nach Hause begleiten, um von den Deinen Abschied zu nehmen.«

Christel hatte den Kopf gesenkt, und die anderen glaubten, sie wolle ihre Tränen verbergen. Aber als sie ihr Gesicht hoch hob, strahlten ihre Augen.

»Ich will wohl mit dir auf eine Stunde nach Hause gehen, aber nur, um meinen Eltern zu sagen, dass ich hier bei eurer Mutter bleibe!«

Ein stolzer, freudiger Blick flog in diesem Moment aus Frau Stutterheims Augen zu ihrem Ältesten hinüber, der ihn mit einem leisen Kopfnicken beantwortete. Dann streckte er seine Hand über den Tisch hinüber Christel entgegen:

»Ich danke dir herzlichst für deinen guten Willen, aus dem die Liebe zu unserer Mutter spricht … Aber das können wir nicht annehmen … Nein, Christel, du musst selbst einsehen, dass ich deinen Eltern gegenüber die Verantwortung nicht übernehmen kann, weil ich nicht weiß, ob ich dich werde beschützen können.« Seine Stimme bebte ein wenig, »nicht wahr, Mutter?«

»Nein, mein Sohn, ich bin anderer Meinung! Ich glaube ja nicht recht, dass Christels Eltern ihre Einwilligung dazu geben werden, aber wenn sie es tun sollten, mein Kind, dann nehme ich dein hochherziges Anerbieten dankbar an. Ich werde dich zu schützen wissen, und du wirst hier unter meinem Schutz ebenso sicher sein wie in Berlin.«

Mit einem Jubellaut sprang Christel auf und warf sich der alten Dame an die Brust, die ihr einen Kuss auf die Stirn drückte und ihr sanft über das Haar strich.

»Christel, Christel, du gehst einen schweren Gang«, meinte Kurt, als sie sich nach Andreaswalde auf den Weg machten.

»Das glaube ich nicht«, erwiderte sie mit trauriger Stimme.

»Sprich nicht aus, was du denkst. Wir verstehen uns … Ich meine aber, dass du dich täuschen wirst.«

Als sie das Haus verließen, stand Wolf vor seinen Gutsarbeitern.

»Ich stelle es euch vollkommen frei, hierzubleiben oder wegzuziehen … Ein Teil wird ja sowieso nicht hierbleiben.«

»Ja, gnädiger Herr, wir sind acht Mann, die schon morgen zur Fahne wegmüssen«, rief ein junger Knecht.

»Ihr kommt morgen früh, ehe ihr abmarschiert, noch einmal zu mir … Ich will euch noch einen Zehrpfennig mitgeben … Für die Frauen und Kinder der Verheirateten sorge ich … Darauf könnt ihr euch verlassen.«

»Wir verlassen sich auch darauf, gnädiger Herr«, rief derselbe Knecht wieder.

»Na, und wie ist es mit euch anderen?«

Der Kämmerer nahm die Mütze ab und kratzte sich hinter dem Ohr.

»Man weiß nicht recht, gnädiger Herr … Man möcht’ auch bleiben, man möcht’ auch nicht bleiben … Aber wir haben so unter uns gesprochen: Wenn die Herrschaft hierbleibt, bleiben wir auch … Es muss doch ein bisschen Arbeit getan werden … Und für das Vieh muss doch gesorgt werden.«

Wolf nahm seine Mütze ab und streckte dem Kämmerer die Hand entgegen.

»Ich danke euch für das Wort, Klepka … Ich bleibe hier und meine Mutter auch … Wir können ja nicht wissen, wie sich der Krieg wenden wird … Vielleicht bekommen wir die Russen her und sehen, mit ihnen im Guten auszukommen … Es sind doch auch Menschen … Vielleicht bekommen wir unsere Soldaten hier ins Quartier, und dann müssen wir erst recht hier sein, um sie gut aufzunehmen und zu verpflegen … Nun geht nach Hause, wir werden schon miteinander durchhalten … Noch eins: Wer irgendwas von Wertsachen hat, ein altes Erbstück oder Papiere, oder irgendwelche Dokumente, kann mir das morgen früh bringen. Ich schicke morgen alles weg … Klepka, die Fahrt können Sie machen … Sie nehmen die Vorderpferde vom Kutschgespann und fahren langsam durch bis Lötzen. Denn mit der Bahn werden sie nicht wegkommen … Versehen Sie sich also genügend mit Futter … Gute Nacht, Leute, geht mit Gott.«

»Gute Nacht, gnädiger Herr, und wir danken auch.«

Er trat in die Stube zurück.

»Die Leute bleiben alle, Mutter … Ich habe es nicht anders erwartet … Aber nun will ich doch einiges in Sicherheit bringen, was sich nicht weit fortschaffen lässt, und was man doch ungern verlieren würde … Ich weiß bloß noch nicht, wohin.«

»Das will ich dir sagen, mein Junge … Dein Großvater hat während der politischen Revolution im Jahre dreiundsechzig ein Versteck im Keller eingerichtet, in dem er immer zwei bis drei politische Flüchtlinge beherbergte, bis er ihnen weiterhelfen konnte … Es ist das letzte Ende des Kellers nach diesem Giebel zu. So breit wie diese Stube … Kein Mensch ahnt, dass sich der Keller noch weiter fortsetzt … Ich glaube, da stehen noch ein paar Bettstellen und sogar einige alte Möbel drin … Für Luft ist durch ein Rohr, das nach außen führt, und seinen Abzug in der Wand, der oben auf der Lucht mündet, gesorgt … Die Tür ist mit dünnen Ziegeln so geschickt verblendet, dass sie wie ein Stück Wand aussieht …Führe mich mal an meinen Schreibtisch, da habe ich die genaue Beschreibung drin, wie die Tür zu öffnen ist.«

Eine Viertelstunde später ging Wolf mit einer Laterne in den Keller.

»Das ist ja ein ganz vorzügliches Versteck, Mutter«, sagte er lachend, als er wieder heraufkam, »das findet kein Russe auf … Da werde ich alles reinschaffen. Auch Betten und Lebensmittel, dass ihr im Notfall dort verschwinden könnt.«

14. Kapitel

Die Sonne war hinter einer hohen, dunklen Wolke untergegangen, die ein Gewitter für die Nacht anzukündigen schien, denn sie stieg schnell höher …

Flächenblitze zuckten in ihr auf, und ab und zu machte sich schon ein dumpfes Grollen bemerkbar … Heiß und schwül lag die Luft über der Erde … Von der Wiese her tönte unermüdlich der scharfe Ruf des Wachtelkönigs…

Schweigend schritten Kurt und Christel nebeneinander, beide mit ihren Gedanken beschäftigt. Im Gutshause brannte nur im Wohnzimmer eine Lampe, an der Grete allein mit einem Buch saß … Als die Tür aufging, sprang sie auf und begrüßte Kurt stürmisch.

»Aber, Herr Leutnant, weißt du nicht, dass mobil gemacht ist?«

»Jawohl, mein Liebling, deshalb habe ich noch für heute Nacht Urlaub bekommen, um von Mutter, Bruder und euch Abschied zu nehmen … Wo stecken denn die anderen?«

»Der Papa hat sich schon zu Bett gelegt. Er ist jetzt immer so müde … Die Mutter ist mit Hanna und Hedwig oben … Sie packen noch … Die Mutter will nichts hier lassen … Morgen früh soll’s losgehen … Ich möchte am liebsten hierbleiben. Das muss doch furchtbar interessant sein, wenn wir hier Einquartierung bekommen! Von den Russen oder von unseren Truppen!«

»Du entschuldigst mich wohl, Kurt«, unterbrach Christel ihren Redefluss, »ich muss zur Mutter hinaufgehen. Grete wird dich ja sehr eifrig unterhalten.«

»Ja, geh’ man«, erwiderte ihr die Kleine etwas schadenfroh, »die Mutter hat schon gesagt: Unser Fräulein Tochter will wohl in Dalkowen bleiben?«

»Sag’ mal, Schwesterchen«, forschte Christel, »hat sie das im Ernst gesagt?«

»Das weiß man bei der Mutter doch nie! Ich hörte bloß, wie sie zu Hanna sagte: Wie ich Tante Mathilde kenne, wird sie nicht fliehen.«

»Da hat deine Mutter recht, Kleinchen,« erwiderte Kurt, als Christel hinausgegangen war. »Meine Mutter und Wolf bleiben in Dalkowen.«

Grete verzog schmollend den Mund.

»Weshalb nennst du mich immer noch Kleinchen? Ich bin doch schon zwölf Jahre alt. Und alle Fremden sagen schon Sie zu mir und ,gnädiges Fräulein’.«

Kurt lachte.

»So werde ich allerdings nicht sagen, denn ich bin kein Fremder. Aber ich werde dich Schwesterchen und sogar liebes Schwesterchen nennen …Ist dir das recht?«

»Meinetwegen. Dann werde ich jetzt auf dich Bruder Leutnant sagen.«

Kurt nickte lächelnd, setzte sich neben sie und nahm ihre langen, blonden Zöpfe in die Hand.

»Was für schönes Haar du hast, liebes Schwesterchen.«

Grete lachte geschmeichelt.

»Die sollst du mal aufgelöst sehen … Wie ein dichter Schleier hängt es um mich herum … Und wenn das Haar nicht so fein wäre, würden die Zöpfe noch viel dicker aussehen.«

»Sag’ mal, Gretelchen, du bist doch nicht nur ein liebes, sondern auch ein kluges Mädel … Würde es dir nicht möglich sein, deine Schwester Hedwig davon zu benachrichtigen, dass ich hier bin und sie gern sprechen möchte.«

»Ja, das ist doch nicht schwer.«

»Ja, ich möchte aber nicht, dass die Mutter und Hanna es merken…«

»Ach so«, erwiderte Gretel schelmisch, »du möchtest sie so klammheimlich unter vier Augen sprechen und einen gerührten Abschied fürs Leben nehmen?«

»Ja, Schwesterchen, es kann ein Abschied fürs Leben werden. Und da du so verständig bist, will ich es dir anvertrauen, dass ich Hedwig gern noch einen Kuss geben möchte.«

Grete machte ein pfiffiges Gesicht.

»Also heimliche Verlobung, aber Kriegstrauung noch nicht, nein?«

»Du bist ein kleiner, lieber Schelm, Schwesterchen. Aber nun bedenk’ mal, was für ein Zutrauen ich zu dir habe. Ich will es dir offen sagen, dass ich Hedwig furchtbar lieb habe. Und nun sollte ich in den Krieg ziehen, ohne zu wissen, ob sie mich auch ein bisschen lieb hat? Denk’ mal, was das für ein Glück für mich wäre, wenn ich die Gewissheit mit mir nehmen könnte, dass Hedwig mir auch gut ist und auf mich warten will, bis ich wiederkehre … oder auch nicht«, fügte er leise hinzu.

Grete war ernst geworden … Ihre Augen schimmerten feucht, und sie musste erst ein paarmal schlucken, ehe sie sagen konnte:

»Ich hole dir die Hedwig runter, ohne das einer was merkt.«

»Und dann lässt du uns ein paar Minuten allein, nicht wahr, mein liebes Schwesterchen?«

Der Schelm blitzte wieder in ihren Augen auf.

»Auch das noch? Na, wenn ich A gesagt habe, dann muss ich auch noch B sagen.«

Nach einer Weile trat Hedwig ein und wurde rot, als sie Kurt am Tisch stehen sah. Ihr Gefühl sagte ihr ganz deutlich, weswegen er gekommen war…

Zögernd blieb sie an der Tür stehen.

»Du willst wohl Abschied nehmen?«

Er trat auf sie zu und streckte ihr die Hand entgegen.

»Ja, und dazu kannst du mir wohl die Hand geben.«

»Das ist doch selbstverständlich. Ich gebe dir ja immer die Hand zur Begrüßung oder zum Abschied.«

Sie reichte ihm die Hand hin. Er hielt sie fest und legte seine Linke darauf … Der· Schelm in ihr wachte auf.

»Soll es so feierlich werden?«

»Ja, Hedwig, es kann ein Abschied für immer werden, und deshalb möchte ich dir doch für alle Fälle sagen, dass ich dich sehr lieb habe. Dass ich dich schon in meinem Herzen getragen habe, als du noch mit kurzen Röcken und langen Zöpfen herumsprangst.«

Die Hand, die sich noch vor einem Augenblick hatte zurückziehen wollen, blieb still zwischen seinen Händen liegen … Er fuhr leise fort:

»Ich hätte sonst noch ein paar Jahre gewartet und still um dich geworben, aber die Zeit, in der wir leben, muss es entschuldigen, dass ich dir beim Abschied sage, wie lieb ich dich habe, damit du es weißt, wenn ich fallen sollte … Und jetzt will ich nur die eine Frage an dich richten: Ob ich nach dem Kriege, wenn ich gesund wiederkehren sollte, dieselbe Frage an dich richten darf, ob du mich auch ein bisschen lieb hast? Ob du mein liebes, geliebtes Weib werden willst?«

»Das kann sie dir doch gleich sagen«, ertönte Gretes Stimme durch den Spalt der Tür, die Hedwig hinter sich nicht geschlossen hatte.

Kurt musste unwillkürlich lächeln.

»Eigentlich hat Grete recht, nicht wahr? … Hedwig!«

Er zog sie an sich und legte den Arm um sie.

»Nun gebt euch schnell noch ein paar Küsse«, zischelte Grete durch den Türspalt… »Die Mutter kommt gleich runter, ich höre sie schon.«

Da zog Kurt seinen Herzensschatz an sich, hob ihr das Kinn und küsste sie auf den Mund.

»Darf ich dir schreiben?«

»Ja.«

»Wirst du auch schreiben?«

»Ja, gern.«

»Muttchen«, hörten sie an der Tür Grete laut rufen, »Kurt ist gekommen, Abschied zu nehmen. Er will aber gern noch ein Weilchen warten, wenn du nicht Zeit hast… Noch ein Weilchen soll er warten? Ich werde es ihm bestellen und ihm Gesellschaft leisten.«

Gleich darauf stürmte sie ins Zimmer und umschlang beide mit ihren Armen.

»Na, habe ich das nicht fein gemacht, Herr Schwager in spe? … Aber nun gebt euch noch schnell ein paar Küsse, und dann muss Hedwig verschwinden … Sie kann ja nachher wieder reinkommen.«

Kaum hatte sich die Tür hinter Hedwig geschlossen, als von der anderen Seite die Mutter hereintrat, hinter Christel, auf deren Gesicht die helle Freude zu lesen war, und Hanna, bleich, abgespannt, mit müden, dunkel umränderten Augen, die das Lachen verlernt zu haben schienen.

»Guten Abend, Kurt. Nicht wahr, du bleibst noch ein Stündchen bei uns? … Kinder, gebt uns noch ein Glas Wein. Bei der Aufregung kann man doch nicht schlafen … Sag’ mal, was hältst du davon: Christel will nicht mit uns fliehen, sondern bei deiner Mutter bleiben … Ich habe ihr schon die Erlaubnis dazu gegeben … Des Menschen Wille ist sein Himmelreich … Und Unkraut verdirbt nicht.«

»Mutter wird dir für das Unkraut sehr dankbar sein, Tantchen.«

»Na ja, das ist ja auch die Hauptsache, und der Grund, weshalb ich ohne große Bedenken ja gesagt habe … Wir fahren morgen früh ab, d. h. wenn nicht was dazwischen kommt … Unser Vater ist so komisch geworden. Er will durchaus nicht weg … Wie lange hast du Urlaub?«

»Morgen ganz früh muss ich beim Regiment sein, Tantchen.«

»Na, könntet ihr hier nicht die Grenze besetzen und die Russen nicht reinlassen?«

»Darüber kann ich dir beim besten Willen nichts sagen.«

In demselben Augenblick öffnete Grete die Tür und rief ins Zimmer hinein:

»Bruder Leutnant, Wolf will dich am Telefon sprechen.«

Als Kurt nach wenigen Minuten zurückkam, sagte er:

»Nun kann ich schon deine Frage beantworten, Tante … Jawohl, unser Bataillon rückt noch in dieser Nacht aus … Aber nicht bis an die Grenze … Wir sollen den Bergrücken hier hinter Andreaswalde besetzen … Ihr bekommt also morgen in aller Frühe Einquartierung … Ich muss sofort nach der Stadt zurück … Wolf schickt mir das Fuhrwerk hierher, und morgen früh sehen wir uns wieder!«

»Dann fahren wir auch noch nicht weg«, entschied Frau Brettschneider. »Wir wollen es gleich dem Chauffeur sagen lassen … Übrigens, Kurt, er kann dich ja nach der Stadt fahren … Dann kann Christel mit eurem Wagen nach Dalkowen zurückfahren, sie hat ja doch hier keine Ruhe.«

Als Christel nach Dalkowen zurückkam, saß Tante Mathilde noch im Wohnzimmer und kramte in alten Papieren. Schon von der Tür rief sie ihr entgegen:

»Ich habe die Erlaubnis bekommen, bei dir zu bleiben. Mama lässt dich vielmals grüßen. Sie stellt mich vertrauensvoll unter deinen Schutz.«

Frau Stutterheim strich dem Mädel, das sich freudestrahlend über ihre Hand beugte, über die Backen.

»Dafür werde ich mich noch morgen bei deiner Mutter bedanken … Jetzt nimm die Schlüssel und hol’ aus der großen Truhe im Schlafzimmer zwei neue Bettbezüge und bezieh’ zwei Satz Betten … Die aus dem großen Fremdenzimmer kannst du nehmen.«

Ohne zu fragen, tat Christel, was ihr aufgetragen war. Gerade als sie damit fertig war, kam jemand die Treppe leise heraufgetappt. Sie war nicht ängstlich, aber sie nahm doch ihren Leuchter und trat auf den Flur hinaus.

Wolf stand vor ihr mit einer elektrischen Laterne in der Hand:

»Ich habe dich doch nicht erschreckt?«

»Nein, Wolf, aber ich konnte es mir nicht erklären, wer hier so leise herumgehen könnte. Du trittst sonst schärfer auf.«

»Na, dann nimm mal einen Arm voll Betten und komm’ mit. Ich nehme die anderen.«

Er leuchtete ihr mit der Laterne voran und führte sie vom Flur in den Keller.

Vor der verborgenen Tür blieb er stehen und öffnete sie durch einen Druck gegen die Wand.

»Das soll hier im Notfall euer Zufluchtsort sein. Ich habe schon für alles Mögliche gesorgt, bloß das Wasser macht mir Kopfzerbrechen. Für alle Fälle stelle ich euch ein Dutzend Flaschen Moselwein unter eins der Betten. Wir müssen bloß nicht ein paar Gläser und den Korkenzieher vergessen.«

Christel hatte, während er sprach, mit flinker Hand die Betten gemacht.

»Was kann ich dir noch helfen, Wolf?«

»Nichts, Christelchen. Ich will dir nur noch draußen an der Tür den Mechanismus zeigen, durch den sie sich öffnen lässt, damit du, wenn es nötig sein sollte, allein oder mit der Mutter hier rein kannst … So, nun wollen wir raufgehen, aber erst gib mir deine Hand … Ich will dir dafür danken, dass du meine Mutter nicht allein lässt … Ich war ja dagegen, aber jetzt freue ich mich darüber.«

Ohne zu zögern, legte sie ihre Hand in die seinige und sah ihm voll ins Gesicht.

»Dazu hast du gar keine Ursache … Du weißt doch, wie lieb ich deine Mutter habe … Sie hätte sich ja wundern müssen, wenn ich sie im Stich gelassen hätte … Gute Nacht, Wolf … Schlaf’ wohl!«

»Gleichfalls, Christel!«

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
204 стр. 25 иллюстраций
Правообладатель:
Public Domain

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