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Читать книгу: «Der Mann von Eisen», страница 5

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9. Kapitel

Am Johannitage wurde Wolfs Geburtstag in Dalkowen sehr fröhlich gefeiert. Der ganze unverheiratete Leutnant der Dragoner war erschienen. Und Kurt hatte auch eine Unzahl Kameraden mitgebracht. Auch die Andreaswalder waren gekommen. Es war wie ein stillschweigendes Übereinkommen, den Riss, der sich zwischen den beiden Familien aufgetan hatte, vor der Welt zu überdecken. Hanna hatte aus leichtbegreiflichen Gründen sich unpässlich gefühlt, was sie am Erscheinen hinderte. Auch das Nesthäkchen musste zu Hause bleiben und hatte seinem Unmut darüber drastischen Ausdruck gegeben. Sie meinte, sie müsse nur zu Hause bleiben, um Hanna zu bewachen.

Die Mutter hielt es für richtig, diese Ungezogenheit zu überhören, aber sie trug ihr doch soweit Rechnung, dass sie anordnete, Herrn Nadrenko das Abendbrot in seine Wohnung zu schicken.

Grete hatte sich inzwischen mit der frohen Aussicht getröstet, dass wenige Tage später, am 28. Juni, der Geburtstag ihrer Mutter durch ein großartiges Gartenfest gefeiert werden sollte, wovon man sie als Tochter des Hauses doch nicht ausschließen konnte.

Die Gartenfeste in Andreaswalde erfreuten sich in der ganzen Umgegend der größten Beliebtheit. Im Park wurde ein großes Zelt aufgeschlagen, in dem die älteren Herrschaften Platz nahmen, während die Jugend auf einem davorliegenden Tanzboden sich im Tanze drehte. Die ganze Regimentsmusik der Infanteristen spielte dazu auf. Der ganze Park war mit Lampions erleuchtet … Die Bewirtung war immer großartig.

Es gab eine Riesenbowle, bei der man nie auf den Grund kam. Köstliches Pilsner vom Fass, das so schnell aus dem Zapfen lief, dass es nie geriet, seine Eiskellertemperatur zu verlieren. Selbst das Aufgehen der Sonne setzte der Fröhlichkeit kein Ziel … man pflegte sie jedes Mal durch eine lange Polonaise unter Vorantritt der Musik zu begrüßen.

In Dalkowen ging es viel einfacher zu. Die Gäste erhielten zuerst nach guter, alter ostpreußischer Sitte trotz der sommerlichen Wärme ein Glas Grog vorgesetzt, das die Wirkung haben soll, den inneren Menschen so weit zu erwärmen, dass ihm der Unterschied mit der äußeren Temperatur weniger fühlbar wird.

Dann gab’s ein gediegenes Abendessen nach dem ostpreußischen Rezept: gut und reichlich. Und den Beschluss bildete ein Tänzchen, zu dem ein ländliches Orchester, aus Geige, Klarinette und Bass bestehend, aufspielte.

Hanna hatte mit Grete allein zu Abend gegessen.

Die Kleine, die sich gerade in dem Zustand befand, den man bei Jungen derb aber richtig als Flegeljahre bezeichnet, stichelte ihre ältere Schwester mit der Bemerkung, sie wüsste ganz genau, weshalb Hanna so verstimmt wäre.

»Das glaube ich nicht«, erwiderte Hanna mit großer Selbstbeherrschung, »aber ich will es dir sagen. Du bist alt genug, um es zu verstehen. Wolf hat sich um meine Hand beworben und ich habe ihn abweisen müssen.«

»Da bist du schön dumm gewesen«, warf Grete ein, und auf ihrem Gesicht spiegelte sich noch deutlicher als in ihren Worten das abfällige Urteil über das Verhalten ihrer älteren Schwester.

»Das verstehst du nicht, Kleinchen«, gab Hanna ruhig zur Antwort. »Man heiratet nur den Mann, den man von Herzen lieb hat…«

»Ach so«, rief Grete lebhaft aus, »jetzt weiß ich alles, jetzt brauchst du mir nichts mehr zu sagen. Du liebst jetzt einen anderen.«

Nun verlor Hanna ihre Selbstbeherrschung und drohte Grete, sie sofort nach dein Abendbrot ins Bett zu bringen, wenn sie so ungezogen wäre.

»Das möchte dir passen«, erwiderte Grete frech.

Den Nachsatz getraute sie sich vor Hannas drohenden Augen nicht auszusprechen.

Nach dem Essen setzte sich Hanna ans Klavier und spielte. Was sie spielte, war ihr gleichgültig, sie wollte sich nur selbst beschäftigen, ihre Gedanken ablenken.

Grete hatte sich in einen Liegestuhl niedergelassen und ein Buch vorgenommen. Eine Stunde hielt sie es aus, dann stand sie auf.

»Gute Nacht, Hanna, ich gehe allein hinauf, ich bin müde.«

Hanna nickte ihr zu und spielte weiter. Noch schien das Abendrot vom westlichen Himmel durch die geöffneten Fenster herein. Jetzt begann ein heller Schimmer mit dem verbleichenden Rot zu streiten…

Im Osten stieg der Vollmond wie eine riesengroße Scheibe über dem Horizont empor. Auf den frischgrünen Blättern, die in einem kaum fühlbaren Lufthauch erzitterten, lag ein merkwürdiger Glanz, der immer heller wurde und zuletzt eine silberne Farbe annahm, je mehr das nächtliche Gestirn am Himmel emporstieg.

Durch das Dämmerlicht schwirrten die Fledermäuse wie schwarze Nachtfalter … Über dem Rasenplatz vor dem Hause, der mit blühenden Rosenstöcken umsäumt war, standen dichtgedrängte Mückenschwärme, von denen ein summender Ton ausging … Wie im Taumel wirbelten die zahllosen Flügelträger in der lauen Sommerluft durcheinander, ewig wechselnd und doch immer auf derselben Stelle.

Jetzt erhob weit hinten im Park unsere nordische Nachtigall, die wir so prosaisch als Sprosser zu bezeichnen pflegen, ihre sehnsüchtige Stimme, die einem liebenden Herzen so viel sagt. Die zweite, die dritte fiel ein.

Wie ein hässlicher Misston fuhr das klagende ‘Huhuhu’ einer Eule dazwischen. Armer Vogel! Die abergläubischen Menschen halten deinen Ruf für die Ankündigung eines Unheils, und doch ist er dasselbe wie das schmelzende Liebeslied der Nachtigall, der Sehnsuchtsschrei eines liebebedürftigen Herzens, dem die Natur leider den düstern Klang verliehen hat.

Hanna hatte aufgehört zu spielen und war ans Fenster getreten. Der Mondesglanz, der in silbernen Bändern durch die Zweige der Bäume floss, lockte sie hinaus. Wie im hellen Tageslicht leuchteten die mit gelbem Kies bestreuten Gänge. Sie holte sich ein leichtes Spitzentuch und trat vor die Tür. Einen Augenblick spähte sie hinaus und lauschte. Da hörte sie ihr Blut in den Adern des Halses und an den Schläfen pochen.

Zweimal ging sie langsam um das Rondell vor dem Hause, brach eine kaum erblühte Teerose und steckte sie sich an die Brust. Dann war’s ihr, als wenn die Nachtigall sie tiefer in den Park hinein lockte. Schreckhaft wie ein Schmalreh schritt sie mit leisen Schritten dahin…

Durch den Park floss mit starkem Gefälle ein kleiner Bach. An einer Stelle hatte man ihn durch ein Wehr gestaut, so dass er einen kleinen Teich bilden musste.

An dem Überfall, wo das Wasser in einem breiten, silbernen Band zur Tiefe stürzte, stand eine Bank, die von klein auf ihr Lieblingsplatz gewesen war. Von zwei uralten Linden überdacht, die jeden Sonnenschein abhielten, während vom Wasser her labende Kühlung wehte.

Von der Bank erhob sich Nadrenko und grüßte mit tiefer Verbeugung.

»Ah, gnädiges Fräulein, welch’ eine Überraschung, welch’ ein Glück!«

Hanna blieb stehen und warf den Kopf zurück.

»Herr Graf, wie kommen Sie hierher?«

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, dass ich mir die Freiheit genommen habe, hier einzudringen. Ich glaubte, es wäre niemand von den Herrschaften zu Hause.«

»Sie müssen schon eine andere Entschuldigung finden, Herr Graf … Ich weiß doch, dass Sie in Ihren Zimmern mein Klavierspiel hören können.«

»Gnädiges Fräulein sind unerbittlich«, erwiderte Nadrenko und legte die Hand aufs Herz, während er sich tief verbeugte. »Dann muss ich die Wahrheit sagen. Die vermessene Hoffnung, dass gnädiges Fräulein von demselben Gesang, der mich hierherzog, angelockt, noch einen Spaziergang durch den Park unternehmen würden, hat meine Schritte hierher gelenkt.«

Hanna hörte in diesem Augenblick, als wenn sie eben von ihr ausgesprochen würden, die Worte ihres Schwesterleins: »Das möchte dir so passen.«…

»Und ich bin nur in den Park gegangen, weil ich sonst stets sicher bin, niemand hier zu finden, niemand, Herr Graf.«

»Ich werde gnädiges Fräulein sofort von meiner Gegenwart befreien. In meinem Lande hat man allerdings nicht so strenge Begriffe, und ich meine, dass auch bei Ihnen jede junge Dame durch sich selbst genügend beschützt ist.«

»Selbstverständlich, Herr Graf, nur muss es sich danach richten, was man für schicklich hält.«

»Würden Sie es nicht für schicklich halten, dass ich Sie durch den in hellem Mondschein liegenden Park begleite? Wenn ich Ihnen, gnädiges Fräulein, in Gegenwart Ihrer Eltern meine Begleitung angeboten hätte?«

»Diese Voraussetzung fehlt…«

Das ,leider’, das sich ihr auf die Zunge drängen wollte, verschluckte sie, aber es war, als hätte Nadrenko das Wort geahnt. Er erwiderte lächelnd:

»Wir können sie ja nachträglich einholen, indem wir aus unserer Begegnung kein Hehl machen.«

»Sie gehen von einer ganz falschen Voraussetzung aus, Herr Graf, Sie scheinen anzunehmen, dass mir Ihre Begleitung erwünscht wäre…«

»So vermessen bin ich nicht. Ich darf nur die Bitte wagen, meine Begleitung zu dulden. Und ich würde es als ein großes Glück betrachten, wenn Sie mir die Bitte gewähren wollten. Ich habe Ihnen, gnädiges Fräulein, eine Mitteilung zu machen, die mich nötigt, Ihren Rat und Ihre Fürbitte ins Anspruch zu nehmen.«

Hanna stand noch immer auf demselben Platz.

Dicht am Ufer des Teiches, hell beschienen vom Mondenlicht. Jetzt trat Nadrenko aus dem Schatten heraus ein paar Schritte auf sie zu. Sie sah, dass seine Augen leuchteten. Unwillkürlich machte sie einen Schritt rückwärts.

»Bitte, mich nur einen Augenblick anzuhören, gnädiges Fräulein. Ganz kurz: Mein Schicksal hat sich zum Besseren gewendet. Meinem Vater ist es gelungen, mich von dem Verdacht zu befreien, der auf mir lastete. Meine Regierung stellt nur die Bedingung, dass ich wieder in das Heer eintrete. Sie will mir sogar die Jahre anrechnen, in denen ich nicht aktiv gewesen bin. Ich trete als Rittmeister wieder in die Armee ein bei meiner alten Etappe, die jetzt in der Festung Ossowiec in Garnison liegt. Ein Eliteregiment, gnädiges Fräulein. Sie werden mir nachfühlen können, dass ich freudig zugestimmt habe.«

»Das ist allerdings eine große Überraschung, Herr Graf, zu der ich Ihnen Glück wünsche.«

Unwillkürlich hatte sie ihm die Hand hingestreckt und war erschreckt, als er sie an seine Lippen führte.

»Ich bin nur in Sorge, gnädiges Fräulein, dass ich Ihrem Herrn Vater gerade jetzt, wo die Ernte beginnt, durch meine Entfernung in Verlegenheit setzen muss.«

»Die Ernte?«

»Jawohl, zunächst die Heuernte, dann kommt der Rübsen an die Reihe, dann der Roggen. Ich habe auch meine Gründe, die wirkliche Ursache meiner Rückkehr in meine Heimat vor jedem anderen, außer Ihnen, geheim zu halten.«

»Das seh’ ich nicht ein, Herr Graf.«

»O doch, ich könnte leicht in. einen falschen Verdacht geraten, gegen den ich mich gerade in Ihren Augen wehren möchte. Ich nehme aus Deutschland keine anderen Eindrücke mit, als dass Sie ganz vorzügliche Truppen haben, denen ich nie als Feind gegenübertreten möchte. Unsere beiden Länder haben länger als ein Jahrhundert als Freunde, als Verbündete Schulter an Schulter gestanden. Ich habe eine persönliche Veranlassung, zu wünschen, dass dieses befreundete Verhältnis für alle Zukunft bestehen bleiben möge. Ich wünsche mich auch von Ihrem Elternhause in einer Form zu lösen, die mir gestattet, als ein Freund wieder zu erscheinen.«

Seine Stimme bebte, seine Augen leuchteten, so dass Hanna, die den Sinn seiner Worte wohl verstand, ihren Blick niederschlug. Auch ihre Stimme war nicht ganz fest, als sie antwortete:

»Ich kann Ihnen nur raten, Herr Graf, sich darüber zu meinem Vater offen auszusprechen. Sie werden ihn ja sehr in Verlegenheit bringen, wenn Sie uns so plötzlich verlassen.«

»Das ist ganz ausgeschlossen, gnädiges Fräulein, und ich darf wohl hinzufügen, dass ich gern im Hause Ihrer Eltern bleiben werde, bis ein Ersatz für mich gefunden ist.«

»Wollen Sie denn jetzt nicht ihr Inkognito lüften, Herr Graf?«

»Das möchte ich unter keinen Umständen, und ich bitte, gnädiges Fräulein, die Gründe zu achten, die mich dazu zwingen. Ich hoffe, bald, recht bald in Uniform bei Ihnen erscheinen zu können. Darf ich mir die Frage erlauben, ob Sie damit einverstanden·sind, wenn ich Ihre Eltern um die Erlaubnis dazu bitte?«

Hanna wusste genau, was diese Frage bedeutete.

Es war nichts mehr und nichts weniger als die Bitte, sich um ihre Hand bewerben zu dürfen. Um ihr Herz warb er schon lange. Und das Herz pochte unruhig und bäumte sich gegen den Kopf auf, der die Ermahnung der Mutter befolgen wollte. Mit möglichst unbefangener Stimme erwiderte sie ruhig:

»Herr Graf, ich bin nicht gewöhnt, an den Entschließungen meiner Eltern Kritik zu üben … Wen meine Eltern als Freund des Hauses empfangen, muss auch mir willkommen sein.«

Mit einer tiefen Verbeugung griff Nadrenko nach Ihrer Hand. Sie fühlte einen heißen Kuss auf ihrer Hand. Sie sah Nadrenko nach einigen Schritten sich umwenden und nochmals verbeugen. Wie von einem Traum umfangen, schritt sie langsam den Weg zurück.

Hinten im Park schlug die Nachtigall. Hanna war’s, als wenn diese Töne sich in Worte umsetzten. Ihr Herz sang mit.

10. Kapitel

Das Gartenfest in Andreaswalde war vom besten Wetter begünstigt. Am Tage hatte die Sonne mit aller Kraft geschienen. Gegen Abend begann sich der Himmel mit leichten Wolken zu überziehen, die eine zu starke Abkühlung verhinderten. Die Zahl der Gäste ließ eine feste Tafelordnung unmöglich erscheinen. Man musste sich deshalb mit einem ostpreußischen ‘Trampeltisch’ behelfen.

Das ist beileibe kein kaltes Büfett, sondern auf eine große Sammeltafel werden gleichzeitig alle Hauptgerichte aufgetragen … Die Gäste speisen an kleinen Tischen, an denen sie der Zufall oder Verabredung zusammenführt. Sie sind nur gezwungen, sich ihre Speisen selbst zu holen und aufzulegen, woraus aller Wahrscheinlichkeit nach der derbe Name entstanden sein mag.

Der Jugend war diese Form der Veranstaltung stets viel lieber als eine feste Tischordnung, die immer mehrere Stunden raubte, die sie lieber dem Vergnügen des Tanzes widmete.

Die Bewirtung war geradezu verschwenderisch.

Die Gäste speisten in der allerbesten Laune, als Grete sich möglichst unauffällig dem Major Kauenhoven von den Dragonern näherte und ihm einige Worte ins Ohr flüsterte: Er sei von einem Herrn am Telefon verlangt worden.

Der Major erhob sich und verschwand im Arbeitszimmer des Hausherrn. Erst nach geraumer Zeit kehrte er zur Gesellschaft zurück. Es gehörte nicht viel Menschenkenntnis dazu, um ihm anzusehen, dass er stark verstimmt war. Eine teilnehmende Frage wies er mit der kurzen Antwort zurück, er habe eine dienstliche Meldung erhalten, die ihm etwas die Laune verdorben hätte. Keiner fand etwas daran, dass er nach dem Abendessen seinen Adjutanten Leutnant Günther beiseite nahm und ihm einige Worte sagte. Zehn Minuten später waren alle Offiziere, auch die des Infanterieregiments, im Arbeitszimmer des Hausherrn versammelt. Erstaunt sahen sie sich gegenseitig an, und der allzeit zu schlechten Scherzen aufgelegte Leutnant Lottermoser flüsterte seinem Nebenmann so deutlich zu, dass es alle anderen verstanden:

»Du, Dicker, das ist zum mindesten die Kriegserklärung mit Russland.«

»Ach, Herr Leutnant«, sagte der Major ernst, »wollen Sie nicht erst abwarten, was ich Ihnen mitzuteilen habe? Es könnte in seinen Folgen vielleicht darauf hinauslaufen. Denken Sie sich, meine Herren, heute sind da unten in Bosnien und Herzegowina in der Hauptstadt Sarajevo der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin durch Mörderhand gefallen. Ein Bombenattentat wurde durch die Geistesgegenwart des Erzherzogs vereitelt. Trotzdem setzte das hohe Paar seine Fahrt fort. Eine Stunde später fiel es unter den Kugeln eines jungen Serben…«

Eine stumme Pause trat ein, in der man die aufgeregten Atemzüge der Offiziere vernehmen konnte.

Endlich sagte Hauptmann Winter leise mit bebender Stimme:

»Entsetzlich, unerhört.«

»Ja, meine Herren es ist entsetzlich. Man hat bereits außer dem eigentlichen Mörder mehrere Mitschuldige verhaftet, und alle Anzeichen weisen darauf hin, dass der Mordplan von den offiziellen Regierungsvertretern Serbiens begünstigt worden ist.«

»Das kann Österreich sich nicht ungesühnt bieten lassen. Das bedeutet Krieg mit Serbien. Dann wird Russland eingreifen, das nur auf die Gelegenheit lauert. Wir müssen Österreich Treue bewahren und gegen Russland marschieren. Dann ist für Frankreich der Bündnisfall gegeben…«

»Wenn nur Österreich die nötige Energie in diesem Fall entwickelt …Es ist bisher immer mutig zurückgewichen…«

»Das ist in diesem Falle vollkommen ausgeschlossen«, rief Hauptmann Winter dazwischen. »Wenn die Fäden der Verschwörung sich bis in den Konak von Serbien verfolgen lassen, muss energisch durchgegriffen werden, sonst macht Österreich sich zum Gespött der ganzen Welt.«

»Wir wollen jetzt von einer Erörterung absehen, meine Herren«, mahnte der Major. »Um die Feier nicht allzu sehr zu stören, wollen wir die Nachricht verbreiten, dass morgen der Divisionär erscheinen wird, dem zu Ehren eine große Übung im Gelände ausgeführt werden soll. Das gibt uns den Vorwand, früher als sonst von hier aufzubrechen. Noch eins, es wäre mir lieb, wenn die jüngeren Herren sich nicht am Tanze beteiligen wollten.«

Er hatte kaum ausgesprochen, als sich die Tür öffnete. Der Hausherr trat mit einem Extrablatt ins Zimmer.

»Das hat eben mein Auto aus der Stadt gebracht. Ich glaube aber, die Herren sind schon unterrichtet.«

»Jawohl, Herr Brettschneider«, erwiderte der Major, »ich habe es bei Tisch durchs Telefon·erfahren, und wir bedauern alle lebhaft, dass die Nachricht so jäh in ihre Festesfreude hineingefahren ist. Alleine Kameraden müssen unter diesen Umständen auf die weitere Teilnahme verzichten.«

»Das sehe ich nicht ein, Herr Major«, entgegnete der Gutsherr, »wir verzichten auf den Tanz und schicken die Musik nach Hause. Dann können wir noch gemütlich einige Stunden beisammen sein. Sie würden ja auch in der Stadt sich nicht vereinzeln oder gar zu Bett gehen.«

Die Gesellschaft im Park glich einem aufgestörten Bienenschwarm. Unaufhörlich bildeten sich neue Gruppen. Das Entsetzliche der Nachricht hatte alle Gemüter verstört. Hier und dort erörterte man auch bereits die mutmaßlichen Folgen des Ereignisses.

Wolf hatte auf Zureden seiner Mutter das Fest in Andreaswalde besucht, um nicht müßigen Zungen einen Anlass zur Betätigung zu bieten. Auch Nadrenko befand sich unter den Gästen. Er hatte am frühen Morgen der Gutsherrin einen großen, sehr geschmackvoll gewundenen Strauß von Feld- und Waldblumen nebst einem kleinen, aber witzigen Gedicht geschickt, das sie mit Juno, der Herrscherin des Himmels, verglich.

Frau Brettschneider hatte es nicht unterlassen können, das Gedicht einigen älteren Damen zu zeigen. Und um dem Dichter mehr Relief zu geben, hatte sie einiges von seiner Lebensgeschichte angedeutet. Er sei eigentlich ein russischer Graf und Offizier, der mit seiner Regierung in Konflikt geraten wäre und hier in Deutschland hätte Zuflucht suchen müssen. Mit der zauberhaften Schnelligkeit, mit der solche Dinge sich verbreiten, war diese Mitteilung alsbald zu allen Festteilnehmern gedrungen. Bald danach saß Nadrenko im Kreise der jüngeren Offiziere, die nicht nur seine sehr offenherzigen Schilderungen des russisch-japanischen Krieges mit Interesse lauschten, sondern ihn auch mit allerlei Fragen stark zusetzten.

Als die Offiziere sich versammelten, blieb er allein zurück. Aber nicht lange. Wolf kam langsam angeschlendert und setzte sich neben ihn.

»Alle Achtung, Herr Nadrenko, die Wirtschaft in Andreaswalde läuft wie am Schnürchen. Man könnte wirklich glauben, dass Sie keinen anderen Beruf hätten als den eines Landwirts.«

Lachend gab Nadrenko zur Antwort:

»Welch’ einen Beruf sollte ich denn sonst haben, Herr Stutterheim?«

Wolf sah ihm scharf ins Gesicht.

»Sie sind noch immer russischer Offizier, Herr Nadrenko. Und die Landwirtschaft ist nur ein zu bestimmten Zwecken erwählter Nebenberuf.«

Der Russe nickte.

»Sie haben durchaus Recht, Herr Stutterheim. Die Landwirtschaft habe ich erlernt, weil mir jeder andere Beruf verschlossen war. Ich habe auch keinen Hehl daraus gemacht, dass ich russischer Offizier gewesen bin, und ich kann jetzt hinzufügen, dass ich es wieder bin. Jawohl, Herr Stutterheim, meinem Vater ist es gelungen, mich von·dem bösen Verdacht zu reinigen, der auf mir lastete. Ich bin seit einigen Tagen Rittmeister bei den früher Revalschen Dragonern, die so freundschaftliche Beziehungen mit Ihren Fünfundvierzigern angeknüpft hatten, als sie noch in Grajewo standen.«

»Und weshalb halten Sie sich noch in Deutschland auf, Herr Rittmeister Nadrenko?«

»Graf Tolpiga, wenn ich bitten darf. Ich habe keine Ursache mehr, meinen wirklichen Namen geheim zu halten. Und auf Ihre Frage will ich offen und ehrlich antworten. Ich bin Herrn Brettschneider zu großem Dank verpflichtet und will ihn nicht in Verlegenheit lassen, bis er einen Ersatz für mich findet. Ich weiß, was Sie denken«, fuhr er lächelnd fort. »Was ich hier in Deutschland von Ihrer Kriegsbereitschaft gegen mein Vaterland kennen gelernt habe, ist wohl auch unseren leitenden Kreisen nicht unbekannt. Ich will aber offen hinzufügen, dass ich in der Vorstellung einer uralten traditionellen Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern aufgewachsen bin und keinen anderen Wunsch habe, als dass diese Freundschaft allen Anfechtungen zum Trotz noch viele Jahre bestehen bleiben möge.«

In einem aufwallenden Impuls streckte Wolf dem Grafen die Hand entgegen.

»Ich habe Sie ein wenig um Entschuldigung zu bitten für einen Verdacht, der in mir aufgestiegen war.«

Er wies mit der Hand auf den Chauffeur hin, der eben dem Hausherrn ein Extrablatt überreichte.

»Dort wird eben eine Nachricht bekannt, die ich seit einer Stunde kenne. Der österreichische Thronfolger ist in Sarajevo von einem Serben ermordet worden. Das bedeutet Krieg, Herr Graf. Krieg zwischen Österreich und Serbien. Krieg zwischen Österreich und Russland. Krieg zwischen Russland und Deutschland. Krieg zwischen Deutschland und Frankreich. Der Weltkrieg steht vor der Tür. Der Funke ist in das Pulverfass gefallen.«

Der Graf schüttelte den Kopf.

»Nein, Herr Stutterheim, so leicht entschließt sich mein Vaterland nicht, gegen Deutschland und Österreich zu kämpfen. Ich kenne seine Verhältnisse besser als Sie und sage Ihnen ganz offen, dass wir noch lange Jahre brauchen, um die Folgen unserer Niederlage im Osten zu beseitigen. Ich würde es für ein Verbrechen halten, wenn die in jedem Lande vorhandene Kriegspartei bei uns die Oberhand gewinnen sollte.«

»Mir scheint, Herr Graf, Ihr Urteil ist zu sehr von einem Wunsch beeinflusst.«

»Das will ich zugeben«, erwiderte der Russe lächelnd, »ich habe den sehr lebhaften Wunsch, dass es mir vergönnt sein möchte, mit der Familie Brettschneider in freundschaftlichen Beziehungen zu bleiben.«

»Sie brauchen sich nicht so vorsichtig auszudrücken, Herr Graf, Sie hätten ruhig sagen können: In verwandtschaftliche Beziehungen zu treten.«

»Ich kann nicht leugnen, Herr Stutterheim.«

»Vor mir brauchen Sie daraus keinen Hehl zu machen. Ich stehe Ihnen nicht im Wege. Ich habe mich einige Zeit in einem großen Irrtum bewegt, der jetzt jedoch endgültig aufgeklärt ist.«

Der Graf streckte ihm die Hand entgegen.

»Herr Stutterheim, für Ihre Offenheit vielen Dank. Vielleicht komme ich noch einmal in die Tage, mich Ihnen dafür erkenntlich zu zeigen.«

»Keine Ursache.«

Wolf stand schon auf, verbeugte sich leicht und ging den Offizieren entgegen, die eben aus dem Hause traten.

»Wissen Sie schon?« rief ihm Hauptmann Winter entgegen.

»Jawohl, Herr Hauptmann. Einen Augenblick, meine Herren, ich habe Ihnen etwas mitzuteilen.«

Die Offiziere scharten sich um ihn.

»Der Russe, der unter uns weilt, ist Rittmeister bei den Revalschen Dragonern.«

»Zum Deiwel auch«, rief der Major halblaut aus, »das ist womöglich ein Spion.«

»Das glaube ich mit Bestimmtheit verneinen zu können«, erwiderte Wolf. »Einige Zeit hatte ich auch den Verdacht, den ich aber für unbegründet halte.«

»Auf jeden Fall werden wir uns in unseren Gesprächen etwas Rücksicht darauf auferlegen müssen. Und morgen werde ich mir trotz Ihrer Versicherung darüber Gewissheit zu verschaffen suchen, ob ein Graf Tolpiga in der russischen Rangliste steht.«

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
204 стр. 25 иллюстраций
Правообладатель:
Public Domain

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