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Spiritualität, auch: Frömmigkeit, eine vom Glauben getragene geistige Orientierung und Lebensform, die im Gegensatz zur vorherrschenden materialistisch-mechanistischen Weltsicht steht (Spektrum Lexikon 2001b, S. 220).73

Der Religionspsychologe Jacob A. van Belzen versucht nicht, Spiritualität essentialistisch zu definieren, da sie viele verschiedene Formen kenne, er plädiert „für eine minimale Umschreibung: Spiritualität als Gestaltung der Bezogenheit auf Transzendenz.“ (Belzen 1997, Sp. 210) Diese Umschreibung sei bewusst bescheiden: „In ihr wird nicht postuliert, der Mensch sei von Natur aus spirituell, im Gegenteil: Nicht jeder wird Transzendenz annehmen wollen und sicher nicht jeder wird die Möglichkeit der Kultivierung selbiger Beziehung wahrnehmen wollen. […] In der vorgeschlagenen Umschreibung geht es genau um jene Fälle, in welchen sich von einer mehr oder weniger bewußten und gestalteten Beziehung sprechen läßt.“ (ebd.) Sie sei eine mögliche, aber keineswegs „die einzige Form sinnvollen Lebens“ (ebd., Sp. 211). Und als Teil menschlicher Subjektivität auch der Psychologie zugänglich:

Spezifisch für den Menschen und als gänzlich menschlich läßt sich Spiritualität als mögliche Form sinnvollen Lebens ohne Zweifel durch die Humanwissenschaften betrachten. Wenn jemand auf eine bestimmte Art spirituell (geworden) ist, hat das mit seinem gesamten Mensch-Sein zu tun, also auch mit seiner Subjektivität, diesem bevorzugten Objekt der Psychologie. Wie alles Menschliche hat auch Spiritualität einen psychologischen Aspekt. (ebd.)74

Kenneth I. Pargament und andere namhafte Religionspsychologen stehen funktionalen Definitionen von Religion oder Spiritualität kritisch gegenüber:75 Der substantielle Kern dürfe nicht verloren gehen, die besondere transzendente Qualität, sonst finde man sich in einer Nacht wieder, in der alle Katzen grau seien (vgl. Pargament 1999, S. 10) f.), Definitionen würden dann ungeeignet breit und nichtssagend (vgl. Zinnbauer et al. 1999, S. 904).76 Für den substantiellen Kern und gemeinsamen Nenner von Religiosität und Spiritualität verwenden Pargament und Peter C. Hill den Begriff das Heilige (the sacred) (vgl. Hill u. Pargament 2003, S. 65). Dieser Begriff werde inklusiv verwendet und bezeichne nicht nur direkt göttliche Vorstellungen, sondern alles, was mit dem Göttlichen in Verbindung sei oder gottähnliche Qualitäten wie Transzendenz, Immanenz, Grenzenlosigkeit oder äußerste Bedeutung habe (vgl. Pargament et al. 2013a, S. 14)77. Wahrnehmungen des Heiligen würden Gefühle wie Respekt und Verehrung wachrufen; deshalb seien z. B. selbst zentrale Weltanschauungen (strongly held ideologies) oder Lebensstile (highly elaborated lifestyles) nicht als Spiritualität zu bezeichnen, da sie nicht mit solchen Empfindungen verbunden seien (vgl. Hill et al. 2000, S. 64). Aus ihrem Definitionsvorschlag für Religion und Spiritualität (ebd., S. 66) ergebe sich als gemeinsamer Nenner die Suche nach dem Heiligen: „both spirituality and religion include the subjective feelings, thoughts, and behaviors that arise from a search for the sacred.“ (ebd., S. 68)78

Das Grundkonzept Heiliges/sacred stieß auf mancherlei Kritik. Der Theologe und Religionspsychologe Hans Stifoss-Hanssen meint, Heiliges sei ein Konzept, das nicht von allen angenommen werde und in der wissenschaftlichen Diskussion als klassischer religiöser Begriff nach außen nicht leicht vertretbar sei (vgl. Stifoss-Hanssen 1999, S. 27) f.). Er hält das Konzept Existentialität für geeigneter: „spirituality is people’s search for meaning, in relation to the big existential questions“ (ebd., S. 28). Spiritualität und Religiosität seien wie sich teilweise überlappende Kreise, Spiritualität etwas größer, die Mittelpunkte aber nah beisammen (vgl. ebd., S. 28) f.). Josef N. Neumann kritisiert, Religion ganz allgemein lasse sich nicht von Phänomenen her definieren, „denn wird beispielsweise gesagt, Religion sei die Begegnung bzw. der Umgang mit dem Heiligen, so wird lediglich versucht, ein Unbekanntes durch ein anderes zu erklären“ (Neumann 2009, S. 118). Die Religionspsychologin Ulrike Popp-Baier hält ebenfalls das Heilige für ein problematisches Konzept, da es theologische Motive in die Religionswissenschaft schmuggle und außerreligiös oder spirituell definiert werde, dann kenne das Feld wörtlich keine Grenzen und sei außerdem nur kontextabhängige Bedeutung habe und deshalb eher zu zirkulärer und keineswegs universaler Argumentation führe (vgl. Popp-Baier 2010, S. 48) f.).

Das zweibändige Handbook of Psychology, Religion, and Spirituality ist eine hochrangige Publikation der American Psychological Association. Im einführenden Kapitel (Bd. 1) versuchen K. I. Pargament et al. (Pargament et al. 2013a), ein integratives Paradigma für die Religions- bzw. Spiritualitätspsychologie zu entwerfen. Die Autoren weisen darauf hin, dass Definitionsprobleme beileibe nicht nur in dieser Disziplin bestünden: „To be fair to the psychology of religion and spirituality, ours is not the only field that struggles to define its parameters. Other disciplines within the social sciences must step carefully around slippery definitional boundaries of their own.“ (ebd., S. 10) Sie vergleichen die Schwierigkeit, stabile Definitionen in diesem Bereich zu finden damit, Bewegung durch ein paar Schnappschüsse einzufangen (vgl. ebd., S. 10) f.). Religion und Spiritualität seien relevant, weil sie sich mit hoch wertbesetzten Themen (issues of great value) beschäftigten (vgl. ebd., S. 16). Klar sei aber auch, dass sie sowohl hilfreich wie schädlich sein könnten: „The critical question is not whether religion and spirituality are good or bad, but rather when, how, and why they take constructive or destructive forms.“ (ebd., S. 7) Zu beachten sei, dass einerseits Religion nicht ein rein institutioneller Ausdruck und andererseits Spiritualität kein rein individuelles Phänomen, sondern trotz aller Privatisierung in viele Bezüge und Kontexte sozial eingebettet sei (vgl. ebd., S. 13). Als Sprachregelung empfehlen die Autoren je nach Untersuchungsfeld den Gebrauch beider Begriffe: „Examples of the use of both terms include links of religious and spiritual coping methods to holistic well-being; […] accessing religious and spiritual resources to facilitate pastoral and mental health counseling“ (ebd., S. 17).

Im gleichen Handbuch warnt Pargament in einem eigenen Beitrag vor Versuchen, Religiosität/Spiritualität wegzuerklären, d. h. sie vollständig auf rein psychologische, soziale oder physische Prozesse zu reduzieren – vielmehr sei Spiritualität trotz aller Zusammenhänge ein eigenständiger Prozess: „I have marshaled some evidence in support of a simpler possibility, that spirituality is a distinctive human motivation and process in and of itself.“ (Pargament 2013, S. 269) Ein früherer Artikel macht bereits deutlich, dass Religion für reduktionistische „Nichts-als-Erklärungen“ besonders gefährdet sei (Pargament 2002a).

2.4 Religiosität/Spiritualität in Gesundheit und Krankheit

2.4.1 Medizinische Perspektiven

Auf der Ebene der WHO ist in der Bangkok Charta für Gesundheitsförderung in einer globalisierten Welt von 2002 folgende beachtenswerte Aussage zu finden:

Die Vereinten Nationen erkennen an, dass das Erreichen des höchstmöglichen Gesundheitsstandards eines der fundamentalen Rechte aller Menschen ohne Unterschied darstellt. Gesundheitsförderung basiert auf diesem wesentlichen Menschenrecht. Dieses positive und umfassende Konzept begreift Gesundheit als einen Bestimmungsfaktor für Lebensqualität einschließlich des psychischen und geistigen Wohlbefindens. [im englischen Text „encompassing mental and spiritual well-being.“] (WHO 2005, S. 1)79

Offenbar geht es um eine Dimension, die nicht erst in der Palliativversorgung – dort schon länger auf breiter Basis anerkannt – einen Platz verdient.80 Die deutsche S3-Leitlinie Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten etwa empfiehlt generell: „Krebspatienten sind mit körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen/religiösen Problemen konfrontiert. Diese sollen in der Versorgung berücksichtigt werden.“ (Leitlinienprogramm Onkologie 2014, S. 35) Religiosität wie Spiritualität könnten dabei ebenso protektiv wie belastend wirken, beides verdiene entsprechende Unterstützung.81

Das in der Medizin allgemein etablierte biopsychosoziale Modell wurde von dem Psychiater George L. Engel (1977) gegen eine biomedizinische Engführung der Psychiatrie vorgeschlagen (vgl. auch Engel 1980, S. 536–538). Dieses Modell wird zwar verschiedentlich kritisiert,82 es bietet aber als mehrdimensionale „Brille“ für den Zusammenhang von Körper, Geist und Beziehungen in Gesundheit und Krankheit einen guten Ansatz,83 der sich natürlich vertiefen ließe, wofür es unterschiedliche Vorschläge gibt. Josef W. Egger hat seit 2011 an der Medizinischen Universität Graz den ersten deutschsprachigen Lehrstuhl für Biopsychosoziale Medizin inne, er schlägt ein auf dem Konzept Emergenz basierendes erweitertes Modell vor.84 Darin lässt sich auch das Psychische und Spirituelle einordnen:

Auch alles Seelenleben – Gefühle, Gedanken, spirituelle Vorstellungen und jeweils darauf begründete Handlungen – sind untrennbar mit dem Materiellen verbunden. Es gibt kein einziges seelisches Phänomen, das ohne ein entsprechend geartetes Nervensystem denkbar ist. Ergo zählen Aspekte des Spirituellen zu den Phänomenen des menschlichen Geistes und sind Teil einer „ganzheitlichen“ Betrachtung des menschlichen Seins, wie es für die biopsychosoziale Theorie mit ihrer Leib-Seele-Einheit typisch ist. Die spirituelle Dimension […] ist ein Phänomen, das den Leistungen der menschlichen Psyche zuzuordnen ist. Dort hat sie ihren Platz – egal, ob das Spirituelle religiös oder nichtreligiös verstanden wird. (Egger 2013, S. 40)

Eine solche Sicht der menschlichen Seite lässt sich auch theologisch ohne weiteres unterstützen, sofern sie die (im weitesten Sinne) transzendente Seite offen lässt und nicht zu einem „Nichts-als“-Reduktionismus führt.

Egger misst dem „Prinzip Hoffnung“ eine wichtige Rolle bei:

Hoffnungen sind psychologisch gesehen positive Erwartungen. Sie sind assoziiert mit Erfreulichem, Wünschenswertem, Erhofftem – kurz: mit vorweggenommenen Belohnungen. Sie können unser Belohnungssystem aktivieren. Sofern diese Aktivierungen physiologisch ausreichend wirksam und auf diese Weise auch psychoimmunologisch von Bedeutung sind, müssen sie als reale Wirkfaktoren verstanden werden. […] Jedenfalls sind Hoffnungen die – über die Lebenszeit gesehen – wirksamsten Motivationen des Menschen. (ebd., S. 45)

Irrationale, übertriebene Hoffnungen jedoch scheitern an der Wirklichkeit, sie könnten kontraproduktiv sein. „Abgesehen davon helfen sie uns aber nachhaltig bei der Ressourcenaktivierung, wenn es darum geht, schwerwiegende, auch existentielle Krisen anzupacken. […] Im therapeutischen Prozess ist der Umgang mit Hoffnung daher ein wichtiges und zugleich auch hochdynamisches Thema.“ (ebd.) Man darf sicher fragen, wann und wie religiös bzw. spirituell geprägte Hoffnungen hilfreich sind. Egger unterstreicht sehr die bleibende Aufgabe der europäischen Aufklärung „gegen die Entmündigung von Wissen und Verstand“ (ebd., S. 41) und kritisiert deswegen sowohl zu einfache Lösungen der Esoterik wie auch religiöse „Rückwärtsgewandtheit und Bezogenheit auf alte Lebenswelten“, wenn damit „Glaubenssysteme verbunden sind, die in wesentlichen Aspekten grundsätzlich falsche Ziele vorgeben bzw. fatale Überzeugungen prolongieren“ (ebd., S. 42). Religionen seien deshalb auch im Krankenhauskontext „durch stetige Neuinterpretation bzw. Auslegung an die jeweiligen Lebensbedingungen“ anzupassen (vgl. Egger 2015, S. 407 f.). Theologie ist damit durchaus einig, denn eine kritische Vernunft und „Verheutigung“ ist im Glaubensbereich unverzichtbar.85

Der Freiburger Mediziner Thure v. Uexküll, eine der Schlüsselfiguren der psychosomatischen Medizin, ging davon aus, dass „jede Medizin mit ihren Theorien und Konzepten ein bestimmtes Menschenbild entwirft.“ (Uexküll 1989, Sp. 855) Unter psychosomatisch verstand er „eine Medizin, deren Menschenbild nicht entweder auf einen biotechnisch gedeuteten Körper oder eine spiritualistisch interpretierte Seele reduziert, sondern ganzheitlich als integrierte Einheit verstanden wird.“ (ebd., Sp. 856) Hinter den Problemen Schwerkranker zeige sich „offen oder versteckt“ oft

die Frage nach dem Sinn ihres Lebens – und Weiterlebens […] In dieser Situation erfährt [der Arzt], daß die Medizin keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens geben, aber helfen kann, die Sinnfrage sinnvoll zu stellen. Sie muß klarmachen, daß es keinen für alle Menschen verbindlichen Sinn des Lebens gibt, weil jedes Leben nur in der individuellen Wirklichkeit des Betroffenen und der Wirklichkeit seiner Mitmenschen seinen Sinn hat – oder nicht hat. (ebd., Sp. 858)

Für diese Sinnfindung sei auch die ärztliche Präsenz einfühlend mitmenschlich gefragt.86

Alan B. Astrow, Christina M. Puchalski und Daniel P. Sulmasy (2001) definieren für den Bereich der Gesundheitssorge Spiritualität als Beziehung zu bzw. Suche nach transzendentem Sinn, der religiös sein kann – aber nicht muss:

Spirituality is the name given to a person’s or a group’s relationship with the transcendent, however that may be construed. Spirituality is about the search for transcendent meaning. Most people express their spirituality in religious practice. Others express their spirituality exclusively in their relationship to nature, music, the arts, a set of philosophical beliefs, or relationships with friends and family. These alternative forms of spirituality can entail intense commitment. (ebd., S. 285)

Insofern habe jeder so Suchende Spiritualität: „Thus, although not everyone has a religion, everyone who searches for ultimate or transcendent meaning can be said to have a spirituality.“ (ebd.) Deshalb müsse in der Medizin die Person in ihrer Ganzheit ernst genommen werden, worin ein erweitertes biopsychosoziales Modell anklingt: „If patients are to be treated as whole persons, they must be respected as whole persons – biologic, psychologic, social, and spiritual beings“ (ebd.).87 In einem oft zitierten Artikel beschreibt Sulmasy (2002) den Menschen als Beziehungswesen in vier Dimensionen, die durch Krankheit – jeweils mehr oder weniger – gestört würden und Beachtung bräuchten:

A human person is a being in relationship – biologically, psychologically, socially, and transcendently. The patient is a human person. Illness disrupts all of the dimensions of relationship that constitute the patient as a human person, and therefore only a biopsychosocial-spiritual model can provide a foundation for treating patients holistically. (ebd., S. 32)88

Puchalski et al. (2014) berichten über die International Consensus Conference on Improving the Spiritual Dimension of Whole Person Care 2013 in Genf. Dort wurde einmütig eine breite Definition von Spiritualität empfohlen, „so that as health care providers address spiritual issues with patients, they can remain alert to and hear whatever gives deep meaning to the patient, whether existential, religious, personal, or secular.“ (ebd., S. 646) Damit werde patientenzentriert ein genügend weiter Raum eröffnet: „spirituality should be defined broadly to be inclusive of religious, philosophical, existential, cultural, or personal beliefs, values, and practices and be centered on patient preferences.“ (ebd., S. 648)

2.4.2 Im Forschungsfeld Religiosität/Spiritualität und Gesundheit

Definitorische Fragen im Blick auf Religiosität bzw. Spiritualität stellen sich auch in unmittelbar gesundheits- bzw. krankheitsbezogenen Untersuchungen. Eine hilfreiche Unterscheidung sei hier vorangestellt: Es macht einen Unterschied, ob man evidenzbasierte Outcome-Zusammenhänge untersuchen will und dafür hinreichend eindeutige/ enge unabhängige Variablen (also etwa Definitionen und daraus operationalisierte Maße von Religiosität und Spiritualität) braucht, oder ob man für den klinischen Gebrauch wie auch Bedarfserhebungen breitere und etwas weniger scharf definierte Begriffe anwendet, so dass Patienten leichter ihr persönliches Verständnis einbringen können. Diese Unterscheidung empfiehlt z. B. Harold G. Koenig, einer der namhaftesten – wenngleich nicht ganz unumstrittenen – US-amerikanischen Forscher in diesem Feld: „Rather than be exclusive as necessary in conducting research, the clinician needs to use terms that are inclusive“ (Koenig 2008a, S. 353). Und obwohl er für scharfe und nicht-tautologische Begriffe in der Forschung plädiert, hält er im klinischen Gebrauch den Ausdruck Spiritualität für besonders nützlich: „For these reasons, a broad, nebulous and diffuse term such as spirituality is ideal. Here, spirituality is a sufficiently vague term that patients can define for themselves.“ (ebd., S. 354)89

Im umfangreichen Handbook of Religion and Health von H. G. Koenig, Dana E. King und Verna Brenner Carson (2012) finden sich Definitionen, in denen der Begriff Transzendenz zentral ist.90

Ein breiter Definitionsansatz zu Spiritualität von Arndt Büssing et al. für die Gesundheitsforschung – ohne Verwendung des Begriffs Transzendenz – lautet dagegen:

We would broadly define spirituality as all attempts to find meaning, purpose, and hope in relation to the sacred or significant (which may have a secular, religious, philosophical, humanist, or personal dimension). In particular, spirituality and spiritual practices have commitment to values, beliefs, practices, or philosophies which may have an impact on patients’ cognition, emotion, and behavior. (Büssing et al. 2014a, S. 1)91

Die Umschreibung des Arztes und Psychotherapeuten Eckhard Frick geht in eine ähnliche Richtung: „In der Tat ist Religiosität eine Variante der Spiritualität. Doch kann auch ein Atheist ein spiritueller Mensch sein, indem er Sinn und Hoffnung jenseits der Grenzen des Sichtbaren, Machbaren, Erfahrbaren sucht (Transzendenzbezug ohne ausdrücklichen Gottesbezug).“ (Frick 2009a, S. 225) Und an anderer Stelle sieht er Spiritualität in der Medizin als gängigen „Breitbandbegriff, der vielfältige Formen von Sinnsuche und den Transzendenzbezug angesichts von Grenzerfahrungen umschreibt.“ (Frick 2009b, S. 148) „In der Medizin kommt als spirituell relevante Grenzerfahrung insbesondere die Auseinandersetzung mit schwerer Krankheit in Betracht.“ (ebd., S. 149)

Der ev. Theologe Traugott Roser hält den Begriff Spiritualität „über konfessionelle Grenzen hinweg für religiöse und nicht-religiöse Weltanschauungen anschlussfähig.“ Er dürfe „nicht zu einem leeren Sammelbehälter geraten“ (Roser 2007, S. 250), sei aber gerade in seiner Unschärfe „zugunsten des Individuums, vor allem des/der einzelnen PatientIn“ und damit personenzentriert offen zu halten (vgl. Roser 2015, S. 238). Obwohl er sich einer Definition entziehe, hält Roser die Verortung des Begriffs durch Wright (2004) als spirituelle Dimension (spiritual domain) für nützlich: „Spiritualität vollzieht sich demnach als persönlichkeitszentrierte Entwicklung und Wachstum (Werden/becoming), als Leben-in-Relationen zu Gemeinschaft, Kultur und Beziehungen (connecting), als Sinnfindung in Situationen der Verwundbarkeit (finding meaning) und schließlich als Transzendenzbezug (transcending).“ (Roser 2009b, S. 587)

Der Moraltheologe Konrad Hilpert hält den Begriff Spiritualität als offenen Begriff „dafür geeignet, für unterschiedliche Wirklichkeitsdeutungen und Lebenshaltungen zu stehen.“ (Hilpert 2009b, S. 57) „Das Element des Überstiegs (Transzendieren) gehört genauso zur Phänomenologie der Spiritualität wie die Achtsamkeit für das Andere jenseits der Banalität, die Subjektivität des Sichselbstübersteigens und die Bereitschaft, sich auf eine solche Denkbewegung existenziell einzulassen mit möglichen Folgen bis in den eigenen Alltag hinein.“ (Hilpert 2009a, S. 18) f.) Die besondere Herausforderung der spirituellen Bewältigung von Krankheit dürfe man nicht unprofessionellen Geistheilern überlassen: „ So ergibt sich auch noch einmal aus dem Blick auf die Erfahrung der Krankheit als Situation einer den gesamten Menschen in Mitleidenschaft ziehenden Not eine Herausforderung an die Medizin, Krankheit, Leiden und Tod als Realitäten des menschlichen Lebens zu akzeptieren, die die Betroffenen ‚spirituell‘ bearbeiten können müssen.“ (ebd., S. 22)

In einem Überblicksbeitrag zur Begriffsklärung von Religion/Religiosität bzw. Spiritualität in der Gesundheitsforschung schließen Michael Utsch und Constantin Klein, dass ein wissenschaftlicher Konsens nicht bestehe und vermutlich auch nicht erreichbar sei (vgl. Utsch u. Klein 2011, S. 40). Als Fazit bleibt für sie zentral, sprachfähig zu bleiben, wissenschaftlich wie therapeutisch:

Einstweilen scheint es sinnvoll, sowohl diejenigen, die sich als religiös verstehen, als auch die, die den Begriff der Spiritualität zur Beschreibung ihrer Weltsicht bevorzugen, als Akteure innerhalb des religiös-weltanschaulichen Feldes zu begreifen und darin weiter zu erforschen […]. Im Sinne der Gesundheitsforschung gehört dazu auch, wahrzunehmen, welche Bezeichnungen Patienten in welcher Form auf sich selbst anwenden, um Sprachfähigkeit für die ärztliche, therapeutische und pflegerische Praxis zu entwickeln (ebd.).

Utsch hält Spiritualität für den grundlegenderen Begriff:

Der Begriff Spiritualität dient also als eine anthropologische Kategorie, die existenzielle Lebenshaltungen insbesondere in Situationen der Bedrohung des Lebens beschreibt. Religionsübergreifend wird mit der Spiritualität des Menschen sein unbestimmbares Wesen als prozessorientiert und zeitlich offen untersucht, seine Beziehungsgestaltung zu sich selber, zum sozialen Umfeld, zur Transzendenz und sein Selbstverständnis als ein verwundbares und endliches Wesen. (ebd., S. 35)

Klein dagegen betrachtet Religion/Religiosität als fundamentaler. Er versteht das Anliegen, Spiritualität von Religion/Religiosität zu unterscheiden als „darin begründet, dass die Bewusstheit für die geistige/geistliche/existenzielle Dimension des Lebens benannt werden soll, ohne dabei auf den Religionsbegriff zurückzugreifen, der […] als vorbelastet empfunden wird“ (ebd., S. 37), obwohl die Semantik des „Religiös-Seins“ wissenschaftlich durchaus dafür geeignet wäre (vgl. ebd., S. 38).

Der ev. Theologe und Ethiker Ulrich H. J. Körtner plädiert „für einen sorgfältigen und kritischen Umgang mit dem Begriff der Spiritualität im Allgemeinen wie in der Medizin im Besonderen“ (Körtner 2014, S. 339). Alles Mögliche könne unter Spiritualität firmieren, auch Esoterik und Alternativmedizin (vgl. ebd., S. 340), so dass Spiritualität in moderner Spielart oft eine unbestimmte Heilserwartung und esoterische Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit und Überwindung aller Gegensätze bedeute (vgl. ebd., S. 342). Körtner hat deshalb – unter Verweis auf T. Roser (s. o. S. 51) – Verständnis für „Anschlussfähigkeit in pluralistischen Lebenswelten und Diskursen“, hält aber „das Bemühen um begriffliche Unterscheidungen sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus pragmatischen Gründen für notwendig.“ Nicht jede energetische oder monistische Deutung sei einfachhin gleichwertig (vgl. ebd., S. 347). „Nicht nur die religiöse Vorstellung von einem strafenden Gott oder ewigen Höllenqualen, sondern auch bestimmte Formen von Esoterik und Alternativmedizin können gesundheitsschädliche Folgen haben.“ (ebd., S. 352) Er hält einen materialistischen „Reduktionismus, der die Sinnfrage und die Dimension der Transzendenz“ ausblende, „für ebenso problematisch wie manche Konzeptionen von Ganzheitlichkeit, die alle Krankheiten auf psychische oder spirituelle Ursachen zurückführen wollen“, und zieht deshalb eine mehrdimensionale Konzeption vor: „Erkenntnistheoretisch wie praktisch muss um des Lebens willen die Eindimensionalität zugunsten der Mehrdimensionalität überwunden werden. Anstelle einer fragwürdigen Ganzheitsmedizin ist nach meinem Dafürhalten ein Konzept von integrativer Medizin zu stellen, das auf Mehrdimensionalität zielt.“ (ebd., S. 353) Um dabei den einen ganzen Menschen wahrzunehmen: „Gesundheit und Heil, Heilung und Erlösung, Sein und Sinn betreffen den in sich unteilbaren Menschen, der mehr ist als die Summe seiner anatomischen, psychischen und mentalen Teile.“ (ebd., S. 354) Spiritualität habe in Medizin und Pflege „ganz wesentlich mit der Ressource Vertrauen zu tun, ohne die therapeutische und pflegerische Prozesse nicht gelingen können“: Selbstvertrauen (auch des Personals), Vertrauen in andere und in die Heil- und Pflegekunst, für manche auch Vertrauen aus dem Glauben „an Gott als Tiefendimension unseres Daseins“: „Zur Spiritualität gehört es, diese Tiefendimension menschlichen Vertrauens und Hoffens freizulegen, nach Quellen des Vertrauens zu suchen. Zur Spiritualität gehört ebenso, sich den vielfältigen Ängsten, den eigenen wie den fremden, zu stellen“ (ebd., S. 355). Suche nach Ressourcen wie kritische Unterscheidungen dürften also gleichermaßen wichtig sein.

Erhard Weiher findet ansprechende Formulierungen, die – aus reicher praktischer Erfahrung als Klinikseelsorger heraus – anschaulich machen, was ganz individuell Spiritualität insbesondere in Krankheit bedeuten kann. Zunächst gibt er eine formale, noch unspezifische Definition: „Spiritualität ist eine innerste Gestimmtheit, ein bewusster oder nicht bewusster innerer Geist, der das Alltagsleben transzendiert, aus dem heraus Menschen ihr Leben empfinden, sich inspiriert fühlen und ihr Leben gestalten.“ (Weiher 2014, S. 24) Manche Autoren sehen existentiell und spirituell im Gesundheitswesen als deckungsgleich, Weiher unterscheidet aber so: „›Existentiell‹ heißt: Die Ereignisse, die einen Menschen betreffen, berühren ihn nicht nur von außen, sondern auch in seinem Inneren. […] ›Existentiell‹ meint dann weit mehr als nur ein Gefühl. Es meint die Betroffenheit des Daseins als Mensch überhaupt, die Erfahrung, dass das Selbst ungesichert, in seinem Dasein begrenzt und vom Tod bedroht ist.“ (ebd., S. 28) Dagegen meint Spiritualität den deutenden Umgang damit:

Die spirituelle Dimension meint im Unterschied zur existentiellen eher die persönliche innere Ausrichtung des Menschen, mit der er den Fragen begegnet, die sich von der Existenzerfahrung her ergeben. Während Ersteres dem Menschen widerfährt (ihn existenziell betrifft), ist Spiritualität der Bedeutung suchende Umgang damit: die innere Lebenseinstellung und das ganz persönliche Ringen um Sinngebung und Hoffnung, mit dem der Patient auf die existentielle Herausforderung ein hilfreiches Gegengewicht sucht. Existentielle Fragen und Herausforderungen verlangen letztlich nach einer Deutung. (ebd., S. 28) f.)

Als zentrales Symbol für das Größere und Innerste des Lebens schlägt Weiher den Begriff Geheimnis vor, in dessen Beachtung sich vielleicht alle gesundheitsbezogenen Berufe finden könnten: „Spiritualität ist jede – positive wie negative – Erfahrung, bei der sich der Mensch mit dem Geheimnis des Lebens – als heiligem Geheimnis – in Verbindung weiß.“ (ebd., S. 29) Der Kontakt damit und die innersten Überzeugungen würden sich bei vielen Menschen in ethischen Kategorien ausdrücken:

Spiritualität trägt nicht nur wesentlich zur ethischen Urteilsbildung bei, indem sie die innersten Beweggründe eines Menschen aktiviert und moduliert. In den Beweggründen und Sinnorientierungen eines Menschen drückt sich zugleich auch der »Geist« aus, in dessen Kraft die Betroffenen schwierige Entscheidungen und deren leidvolle Folgen tragen können. (ebd., S. 64)

Das geschieht in Krisen oft auch bei Personen, die im Alltag nicht bewusst „spirituell“ leben: „Gerade bei schwerer Krankheit und in der Nähe des Todes tritt die Spiritualität der Betroffenen aus den Alltagshaltungen heraus. Sie ist dann mehr als nur spiritueller Hintergrund. Es werden die langfristigen Lebensziele und Grundüberzeugungen wach und es wird deutlich, was dem Menschen zutiefst wichtig ist.“ (ebd., S. 66) Spiritualität kommt nicht nur aus einem selbst, sondern letztlich aus der Begegnung mit dem Außen:

Spiritualität ist mehr als ein Ergriffensein wie bei einem Konzert. Spiritualität in einem anspruchsvollen Sinn generiert und verdichtet sich beim Zusammentreffen von eigenen, individuellen Sinnentwürfen mit der »Sinn-Antwort«, die dem Menschen vom ganz Anderen, vom Geheimnis, vom Heiligen her entgegenkommt. Am Crashpunkt entsteht Spiritualität. (ebd., S. 152)

Das gälte es kompetent wahrzunehmen und zu begleiten.

2.4.3 Schlaglichter aus der Psychiatrie und Psychotherapie

Im Jahr 1992 wurde auf Beschluss des Deutschen Ärztetages das Fach „Psychiatrie“ in „Psychiatrie und Psychotherapie“ umbenannt und damit „der Tatsache Rechnung getragen, dass für die fachärztliche Behandlung des Gesamtspektrums psychischer Erkrankungen Psychotherapie, neben Pharmako- und Soziotherapie, einen unverzichtbaren Bestandteil darstellt.“ (Berger u. Schramm 2004, S. 140) Zunehmend wichtiger würden störungsspezifische Ansätze, was natürlich nicht bedeute, „dass die individuellen Problemfelder des Patienten außer acht gelassen werden.“ (ebd., S. 141) Durch psychische Erkrankungen wiesen Menschen im Vergleich zur prämorbiden Unterschiedlichkeit oft dem Störungsbild entsprechend „große Ähnlichkeit im Verhalten, emotionalen Erleben und in kognitiven Abläufen“ auf (vgl. ebd.). Und weiter:

Mit Abklingen des akuten Krankheitsbildes lösen sich auch die symptombedingten Ähnlichkeiten der Patienten auf und machen wieder einer stärkeren Individualisierung Platz, die veränderte psychotherapeutische Strategien erfordert. Dann dominieren oft, wie bei leichteren Krankheitsbildern, die Wünsche des Patienten nach Selbsterkenntnis und Klärung zwischenmenschlicher Beziehungen den Therapieauftrag (ebd.).

Die Bedeutung einer auf die einzelne Person zugeschnittenen Therapie unterstreicht der ehemalige ärztliche Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Freiburger Universitätsklinik Mathias Berger nochmals: Aufgrund des begrenzten Erfolges der „Suche nach neuen effektiveren Psychopharmaka“ rückten psychotherapeutische Verfahren „immer mehr in das Zentrum unseres Faches“ (Berger 2013, S. 63). Es solle nicht vernachlässigt werden, „dass Patienten […] in ihrem Behandler auch eine verlässliche moralische Stütze und einen Helfer bei medizinischen Entscheidungen erwarten. Dabei ist therapeutische Kreativität häufig notwendig, den geeigneten Zugang zu dem einzelnen Patienten zu finden.“ (ebd.) Ärztliches Charisma und Kreativität zeige sich als „die Kunst der komplementären Beziehungsgestaltung, des empathischen Mitempfindens, der schemakonformen Validierung, der Irritation der Erwartungshaltung oder der wertschätzenden Konfrontation“ und das verdeutliche, „dass neben den nomothetischen Vorgehensweisen störungsorientierter Psychotherapien jeweils auch eine idiographische auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Vorgehensweise des Therapeuten von hoher Relevanz ist.“ (ebd., S. 64) Therapeuten sollen sich darüber bewusst sein, „dass sie ihren Beruf nicht als ‚Technokraten‘ ausüben können, sondern dass sie für ihre Patienten auch moralische Stütze und Autorität sein sollten, wobei die Art der Beziehungsgestaltung ein hohes Maß von Kreativität, Empathie und Flexibilität verlangt.“ (ebd., S. 65) Ob die religiöse bzw. spirituelle Ebene von Patienten dabei generell ausgeschlossen werden könnte? Wohl kaum.

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9783429064037
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