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Um das mögliche Optimum an Versorgungsqualität zu erreichen, brauche es „ergebnisoffene Versorgungsforschung mit relevanter Fragestellung und valider Methodik. Wir erkennen zunehmend, dass Versorgung multiprofessionell analysiert werden muss, wenn die ganze Komplexität und Kontextabhängigkeit der Interaktion von Arzt und Kranken aufgedeckt und für Verbesserungen zugänglich werden sollen.“ (Scriba 2011, S. V)

Versorgungsforschung ist also keine eigene Wissenschaft, sondern ein Forschungsfeld, das sich methodisch mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen bedient (vgl. Schrappe u. Pfaff 2011, S. 381). Vorrangig zu nennen seien hier „die Epidemiologie, insbesondere die Klinische Epidemiologie (Evidenz-basierte Medizin), Organisationswissenschaften/Soziologie, Didaktik, Lernpsychologie und Kommunikationsforschung, Gesundheitsökonomie, Public Health, Rechtswissenschaften, Ethik, Qualitäts- und Patientensicherheitsforschung, Lebensqualitätsforschung, Pflegeforschung und natürlich die Klinischen Fachgebiete“ mit ihren jeweiligen methodischen Herangehensweisen (ebd., S. 383 f.).48 Nur „durch die Beteiligung aller Fachdisziplinen (Multidisziplinarität)“ und „die Beteiligung aller in der Versorgung tätigen Berufsgruppen (Multiprofessionalität)“ könnten die vielfältigen Einflussfaktoren umfassend untersucht und verbessert werden (vgl. Pfaff u. Schrappe 2011, S. 5). Bedenkenswert ist dabei, dass das Ergebnis der Versorgungsleistung eine „Resultante der Gesundheitsleistung und der Kontextleistung“ sei, d. h. aus spezifischen und sogenannten unspezifischen Wirkfaktoren:

Unter Gesundheitsleistung versteht man den spezifischen Wirkbestandteil, wie z. B. die OP-Methode oder das Medikament. Die Kontextleistung umschreibt den Beitrag der „weiteren Umstände“, also der beteiligten Personen (Ärzte und Pflegende), der Institutionen (z. B. Krankenhaus), des Finanzierungssystems. Jeder Arzt kennt die Bedeutung dieser unspezifischen Faktoren, häufig wird hier der Begriff des „Placebo-Effekts“ verwendet. (Schrappe u. Pfaff 2011, S. 382)49

Versorgungsforschung versuche deshalb auch zu analysieren, welcher Art „die relevanten Kontextfaktoren sind.“ (ebd.)

Viele Autoren unterstreichen, dass solche empirische Forschung unabhängig sein müsse, also nicht auftrags- und interessengebunden sein dürfe (vgl. z. B. Rabe-Menssen et al. 2011, S. 403). „Wenn man Versorgungsforschung nicht im engen Interesse der eigenen politischen, Wirtschafts- oder Berufsgruppe betreibt und fördert, dann erhofft man sich von ihr verlässliche Orientierung – durch neutrale, sachliche und wissenschaftlich belastbare Beschreibungen, Bewertungen, Analysen, Prognosen und Ratschläge.“ (Raspe 2011, S. IX) Allerdings sei sie als angewandte Forschung im Konflikt, dass sie bei Forschungsprojekten mit der Versorgungspraxis und möglichen Interessengruppen eng zusammenarbeiten müsse (vgl. Grenz-Farenholtz et al. 2012, S. 610). Das vom DNVF herausgegebene Memorandum III: Methoden für die Versorgungsforschung (Teil 1) rät deshalb: „In der Regel verfolgen alle Studien bestimmte Interessen. In jeder Untersuchung sind Interessenskonflikte von allen Beteiligten vollständig zu offenbaren und transparent zu dokumentieren.“ (Pfaff et al. 2009, S. 507)50

Ein zentrales Grundkonzept der Versorgungsforschung ist (neben Ergebnisorientierung, Multidisziplinarität und Multiprofessionalität) die Patientenorientierung (vgl. Pfaff u. Schrappe 2011, S. 2).51 „Bereits im Jahr 1988 hatte Ellwood in der »Shattuck Lecture« darauf hingewiesen, dass es nicht ausreicht, sich der Patientenorientierung des ärztlichen oder pflegerischen Tuns gegenseitig zu vergewissern, sondern dass konkret in Erfahrung zu bringen ist, welche Interessen der Patient hat und wie er in die Entscheidungen einzubeziehen ist“ (ebd., S. 6). Das hat Bedeutung auch für den Bereich Psychiatrie und Psychotherapie: Patienten haben etwas zu sagen – sowohl was ihre Person wie auch ihre Erfahrungen betrifft (vgl. oben S. 10) H. Schott und R. Tölle). Reinhold Kilian und Thomas Becker beobachten bei psychiatrischen Versorgungsleistungen entsprechend dem Empowerment-Konzept (vgl. Abschn. 3.2.5) eine zunehmende Berücksichtigung der subjektiven Perspektive der Betroffenen bei der Erfassung des Bedarfs und der Beurteilung der Qualität gesundheitlicher Leistungen, sowie das Streben nach einer primär an den Ressourcen der Patienten orientierten Behandlung (vgl. Kilian u. Becker 2006, S. 332). Die Evaluation von Versorgung müsse sich auch daran messen lassen:

Der Grad, in dem Gesundheitsleistungen an den vorhandenen individuellen Fähigkeiten und Ressourcen ihrer Nutzer zu einer selbständigen Lebensweise orientiert sind und in dem sie die Erweiterung dieser Fähigkeiten und Ressourcen anstreben und erreichen, bildet nach der Empowerment-Perspektive ein zentrales Kriterium der Qualitäts- und Effektivitätsbeurteilung (ebd., S. 334).

Die vorliegende Studie möchte deshalb zu erhellen versuchen, inwieweit für psychiatrische Patienten ihre Religiosität bzw. Spiritualität persönliche Ressourcen darstellen.

Welche Themen sind in Zukunft für die Versorgungsforschung besonders wichtig? Bei einem Workshop im November 2010 sprachen 36 namhafte Experten (aus den Gruppen Ärzteschaft, Förderer, Wissenschaft und Kostenträger) in vier Fokusgruppen über die Top-Zukunftsthemen (vgl. Grenz-Farenholtz et al. 2012, S. 605). Zu den Top-5-Themen gezählt wurden in der Gruppe der Ärzteschaft unter anderem „Versorgung von chronisch Kranken, Multimorbidität, Versorgung psychisch Kranker“, in einer Fokusgruppe Wissenschaft u. a. „Patienten- und Nutzerperspektive“, in der Fokusgruppe Kostenträger u. a. „Patientenpräferenz Aktivierung/Autonomie“ (vgl. ebd., S. 607 f.). Auch im Plenum wurde hinsichtlich der Indikationen die Versorgung von chronisch Kranken, psychisch Kranken und multimorbiden Patienten als künftig besondere Herausforderung gesehen, dem Themenbereich „Patientenpräferenz“ räumten die Experten insgesamt große Bedeutung ein (vgl. ebd., S. 609). Es scheint, dass die vorliegende Studie sich gut in diesen Rahmen einfügt.

Die Bedeutsamkeit psychischer Störungen wird auch in aktuellen großen Studien zur Epidemiologie eindrucksvoll erkennbar. Im Rahmen einer nationalen Gesundheitsberichterstattung wurde der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS; Robert Koch-Institut) bereits während der ersten Erhebungswelle der Hauptuntersuchung (DEGS1) ein Modul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH) zur Seite gestellt (vgl. Jacobi et al. 2014, S. 77). Diesem „liegt eine bevölkerungsrepräsentative Erwachsenenstichprobe (18–79 Jahre, n = 5317) zugrunde, die überwiegend persönlich mit ausführlichen klinischen Interviews (Composite International Diagnostic Interview; CIDI) untersucht wurde.“ (ebd., S. 79) Die 12-Monats-Prävalenz psychischer Störungen – d. h. das Auftreten von klinisch relevanten, krankheitswertigen Störungen in der Bevölkerung innerhalb eines Jahres – beträgt insgesamt 27,7% (vgl. ebd.). Die größten Störungsgruppen sind Angststörungen (15,3%), unipolare Depressionen (7,7%) und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum (5,7%) (vgl. ebd., S. 81).52 Diese Ergebnisse liegen im Bereich international vergleichbarer Studien, z. B. im ECNP/EBC Report 2011 (Wittchen et al. 2011): Die 12-Monats-Prävalenz in dieser EU-Studie (bzw. EU-27 plus Schweiz, Norwegen und Island) ist trotz anderer Methodik53 bei Beschränkung auf die in der DEGS1-MH einbezogenen Diagnosen mit 27% nahezu identisch (vgl. Jacobi et al. 2014, S. 83). Die Höhe der Prävalenz mag nicht nur Laien, sondern auch Fachleute erstaunen. Die Diagnosen beruhten aber auf voll erfüllten klinischen Kriterien (zumeist gemäß DSM-IIIR und DSM-IV), auch bezüglich Dauer und Schweregrad (vgl. Wittchen et al. 2011, S. 670). Die große Mehrheit erfahre keine Behandlung (vgl. ebd., S. 671). Das ist auch in Deutschland so: Nur ein geringer Teil dieser Betroffenen „berichtet, im letzten Jahr aufgrund psychischer Probleme in Kontakt mit dem Gesundheitssystem gestanden zu haben (11% derjenigen mit nur einer Diagnose, bis zu 40% der Betroffenen mit mindestens vier Diagnosen).“ (Jacobi et al. 2014, S. 84) Nach Wittchen et al. erfordert diese Datenlage dringend, die geltenden Versorgungsstandards im Bereich mentaler Gesundheit neu zu durchdenken (vgl. Wittchen et al. 2011, S. 670).

Chronische Krankheitsverläufe sind eine besondere Herausforderung für das Gesundheitswesen: „Chronisch kranke Patienten stellen heute sowohl bei niedergelassenen Ärzten als auch in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen die häufigste Behandlungsgruppe dar“ (Bengel et al. 2003, S. 84). Das betrifft auch psychische Störungen, bei denen ein erheblicher Anteil einen chronischen Verlauf nimmt: „Knapp 60% der psychisch erkrankten Patienten weisen einen chronischen Krankheitsverlauf auf. Diese Patienten sind – gerechnet ab dem Zeitpunkt der ersten Inanspruchnahme von Psychotherapie – länger als zwei Jahre krank.“ (ebd., S. 86) Damit stellt sich auf verschärfte Weise die Frage, wie die Krankheitsbewältigung unterstützt und Ressourcen aktiviert werden können. Ob die Beachtung und Betrachtung einer religiösen/spirituellen Dimension dazu etwas beizutragen vermag?

1.8 Zum Vorgehen dieser Studie

Religiosität bzw. Spiritualität (im Sinne von Offenheit für Transzendenz, Sinn, das Ganze, Werthaltungen, ein transzendentes Gegenüber …) werden in dieser Studie als ernst zu nehmende und relevante Dimension von Menschen erkundet und in den Fokus gerückt – und zwar sowohl von der Anthropologie wie von der Empirie her. Dazu möchte die Studie theoretisch wie empirisch ein differenziertes Bild vorlegen,54 die eigenen Erkenntnisse in weitere Perspektiven und Diskussionen einordnen und psychiatrisch-psychotherapeutische wie seelsorgliche praktische Umsetzungen anregen.

Zunächst wird in Kap. 2 die anthropologische Frage erörtert, inwiefern eine religiöse bzw. spirituelle Dimension zum Menschen gehört oder zumindest eine beachtenswerte Möglichkeit des Menschseins darstellt – und was mit Religiosität bzw. Spiritualität überhaupt gemeint sein kann. Erschöpfend abzuhandeln ist dies hier freilich nicht, das Thema soll jedoch von verschiedenen Seiten her betrachtet werden: Zunächst allgemein mit philosophischen Gesichtspunkten, theologischen Stimmen, unter religionspsychologischen und -soziologischen Aspekten, sodann speziell im Feld von Gesundheit und Krankheit. Insbesondere das Konzept Spiritualität erfährt verschiedentlich Kritik, diese wird in Abschn. 2.6 und 2.7 eigens dargestellt und diskutiert.

Der richtige Umgang mit einer religiösen bzw. spirituellen Dimension in unserem Kontext wirft medizin- und berufsethische Fragen auf, diese werden in Kap. 3 thematisiert. Zunächst werden in Abschn. 3.1 einige allgemeine Überlegungen zur Medizinethik angestellt. Abschn. 3.2 untersucht, inwieweit verschiedene grundlegende Konzepte der Behandlung zumindest implizit eine Beachtung der religiösen / spirituellen Dimension beinhalten könnten. Offizielle Leitlinien (s. Abschn. 3.3) zeigen im internationalen Vergleich ganz erstaunliche und zum Nachdenken anregende Unterschiede. Abschn. 3.4 schließlich referiert Expertenaussagen zum Umgang mit Religiosität bzw. Spiritualität im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie.

Kapitel 4 legt den empirischen Forschungsstand zu unserem Thema dar. Zunächst werden größere quantitative Studien vorgestellt, welche die subjektive Bedeutung von Religiosität bzw. Spiritualität für stationäre Psychiatrie-Patienten sowie in angrenzenden Bereichen untersuchten, sowohl international (Abschn. 4.2) wie auch im deutschsprachigen Raum (Abschn. 4.3), um so unsere Freiburger Erhebung besser einordnen zu können. Der folgende Abschn. 4.4 beschreibt empirische Studien zu Zusammenhängen von Religiosität/Spiritualität und Gesundheit, speziell auch für einige besonders häufige und gravierende psychische Probleme (Depression, Schizophrenie, Suizidalität). Erklärungsmodelle und Theorien zu diesen Zusammenhängen finden sich in Abschn. 4.5. Psychopathologie kann selbst Auswirkungen auf die religiöse bzw. spirituelle Ebene haben, das beschreibt Abschn. 4.6. Kritische Stimmen zu diesem Forschungsfeld werden schließlich in Abschn. 4.7 vorgestellt und diskutiert.

Unsere eigene Patientenbefragung an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Freiburg im Breisgau wird in Kap. 5 dokumentiert. Der Darstellung der Methode (Abschn. 5.1) folgen die detaillierten Ergebnisse (Abschn. 5.2). Die Diskussion schließlich (Abschn. 5.3) fragt nach der Repräsentativität der Studie, einem Überblick und Querschnitt der erfragten Dimensionen, speziellen Gruppen und Erwartungen, dem Vergleich mit anderen klinischen Populationen und erörtert ausgewählte religiöse bzw. spirituelle Themen.

Kapitel 6 bedenkt mögliche Konsequenzen aus dem Vorausgegangenen für die Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen auch hinsichtlich ihrer religiösen bzw. spirituellen Dimension. Die Modelle Spiritual Care und Klinikseelsorge werden in Abschn. 6.1 diskutiert und in Beziehung gesetzt. In Abschn. 6.1.4 findet sich ein eigener Vorschlag zu einer Vorgehensweise in der stationären Psychiatrie und Psychotherapie. Praktische Handlungsorientierungen bzgl. Kompetenzen, Aus- und Weiterbildung, zu Möglichkeiten einer religiös-spirituellen Anamnese, zur Begleitung im Leiden und bei der Sinnfrage finden sich in Abschn. 6.2. Der im engeren Sinne theologische Ertrag wird in Abschn. 6.3 gesichtet, bevor in Abschn. 6.4 ein Gesamt-Fazit folgt.

4 Vgl. ausführlicher zu deren Position unten S. 56) in Abschn. 2.4.3.

5 Zur Terminologie: Religiosität wie auch Spiritualität beziehen sich hier auf die subjektive, persönliche Ebene. Zur Reichweite und Abgrenzung der Begriffe vgl. die ausführliche Darstellung und Diskussion in Kap. 2. Ein Handbuch der American Psychological Association zum Thema empfiehlt als Sprachregelung den kombinierten Gebrauch beider Begriffe unter anderem dann, wenn es um säkulare Kontexte geht, wie etwa Forschung zu religiösem/spirituellem Coping im Gesundheitsbereich (vgl. Pargament et al. 2013a, S. 17). – Simon Peng-Keller mahnt dabei hinsichtlich der erforderlichen Interdisziplinarität: „Dass die gleichen Termini in den verschiedenen Disziplinen eine unterschiedliche Bedeutung tragen (‚Spiritualität‘, ‚Glaube‘ etc.), ist in einem solchen interdisziplinären Diskurs ebenso zu beachten wie die perspektivischen Differenzen, die nicht nochmals in einer Metaperspektive überschaut werden können.“ (Peng-Keller 2010, S. 21)

6 Christian Henning betrachtet die Religionspsychologie innerhalb der akademischen Psychologie in Deutschland und Österreich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als randständig. Er nimmt an, dass dies mit dem NS-Erbe zu tun habe: Nach einem beachtlichen Aufschwung der Psychologie im Dritten Reich habe nach dem zweiten Weltkrieg eine Neuorientierung und wissenschaftliche Aufholjagd stattgefunden, die in der akademischen Psychologie für religiöse Themen kaum Zeit gelassen habe, dabei sei das Interesse daran verloren gegangen (vgl. Henning 2003, S. 52–55). – Zu den historischen Hintergründen, warum Religionspsychologie in Deutschland nur marginal vertreten ist, vgl. ausführlicher Jacob A. v. Belzen (2009b).

7 Ralph L. Piedmont nennt als ersten Faktor, warum Spiritualität in der Wissenschaft wichtiger geworden sei, „the tremendous amount of high-quality, interdisciplinary, empirical research conducted on the topics of spirituality and religiousness. Researchers and clinicians in medicine, psychology, counseling, psychiatry, sociology, and nursing, among others, have all come to the same conclusion: Spirituality is an essential element that needs to be addressed in any comprehensive model of human functioning.“ (Piedmont 2013, S. 1)

8 Ähnlich auch Ulrich Eibach (vgl. 2011, S. 131) f.) oder Josef N. Neumann (2009, S. 114) f.).

9 So macht z. B. der Religionspsychologe Bernhard Grom deutlich, dass lebendiger Glaube seinen Hauptsinn in einer spirituellen Beziehung hat, während der gesundheitsgünstige Ressourcenaspekt nur ein begrenzter Nebeneffekt ist (vgl. Grom 2008, S. 128). Christlicher Glaube garantiert jedenfalls ausdrücklich einen unbedingten persönlichen Wert: „Der Mensch behält auch als Kranker, Behinderter und Sterbender seinen unbedingten Wert und seine Würde als Partner und Freund Gottes. Damit relativiert der Glaube jede Art von ‚Gesundheitsreligion‘, die den gesundheitlich Schwachen so leicht abwertet.“ (ebd., S. 125)

10 Belzen geht gleichwohl nicht davon aus, dass jeder Mensch spirituell sei im Sinne eines mehr oder weniger bewussten Bezugs zu Transzendenz (vgl. Belzen 2004, S. 305), 308).Vgl. zu seiner Sicht S. 43) in Abschn. 2.3.

11 Vgl. dazu mehr auf S. 82) in Abschn. 3.2.1.

12 Vgl. dazu ausführlicher S. 55).

13 Vgl. dazu auch Abschn. 3.2.3. – Eberhard Schockenhoff erinnert jedoch gegen eine voreilige Medizinkritik zurecht daran, dass viele Erfolge der Medizin durch eine Ausblendung des Ganzen möglich wurden und eine Konzentration auf das Problem oft hilfreich sei – und nicht zuletzt, es scheint fast trivial: „Auch die Bekämpfung von Krankheiten dient in erster Linie dem kranken Menschen selbst!“ (Schockenhoff 2001, S. 12)

14 Die WHO spricht in ihrer Bangkok Charta sogar von Gesundheitsförderung als auf einem Menschenrecht basierend, das auch „mental and spiritual well-being“ umfasse (!) (vgl. WHO 2005, S. 1) (vgl. unten Abschn. 2.4.1).

15 Im Sinne einer zuteilenden und ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva commutativa), wie sie bereits Aristoteles beschrieben hat (vgl. Ritschl 1991, S. 87).

16 Wie etwa das Zweite Vatikanische Konzil ausdrücklich betont, z. B. in Gaudium et spes Nr. 36: „Durch ihr Geschaffensein selber nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methode achten muß.“ Ähnlich in Apostolicam actuositatem Nr. 7.

17 Jürgen Werbick bringt es in seiner methodologischen Reflexion über Diakonia und Diakonik so auf den Punkt: „Die schöpferische Präsenz der Liebe würde sich selbst dementieren, wenn sie es nicht auf das Wohl der Nächsten wie der Fernsten, sondern auf Vereinnahmung abgesehen hätte.“ (Werbick 2015, S. 563)

18 Vgl. dazu etwa S. 19) in Abschn. 1.6 zur Interdisziplinarität.

19 Vgl. die komplementäre Definition von Stephanie Klein: „Gegenstand der Praktischen Theologie sind die Praxis der Christinnen und Christen und das Leben all jener Geschöpfe, die ihnen in besonderer Weise aufgetragen sind.“ (Klein 2015, S. 60)

20 Vgl. dazu auch die Konzepte Empowerment und Ressourcenbeachtung in Abschn. 3.2.5.

21 Ein ähnliches Anliegen vertreten Stella Reiter-Theil und Uwe Fahr im Lehrbuch Klinische Psychologie – Psychotherapie: „Schließlich, und hier liegt wahrscheinlich das größte Defizit der (Klinischen) Psychologie wie auch der Medizin, ist es an der Zeit, sich in der Forschung den ethischen Fragen zuzuwenden, die aus der Sicht von Klienten und Patienten vorrangig sind.“ (Reiter-Theil u. Fahr 2005, S. 102)

22 Zur Präzisierung: „Betroffenheit meint demnach die Verfaßtheit eines Menschen, im Erleben, Sich-Verhalten und Handeln in einer Situation von dieser Situation bestimmt zu sein.“ (Fuchs u. Haslinger 1999, S. 220)

23 Jürgen Werbick führt zur „Diakonik“ ergänzend aus: „Was von dieser Not jeweils an Solidarität erfordert wird und hilfreich werden kann, das erschließt sich nur einer Hermeneutik des Hilfreichen, in der auch den Betroffenen als Not-erfahrenen Hermeneuten des Hilfreichen eine Stimme gegeben wird, freilich auch die »Experten« zu Wort kommen müssen, deren wissenschaftlich reflektierte Praxiserfahrungen das bestmöglich Hilfreiche angesichts einschlägiger Sachlogiken […] empfehlen können.“ (Werbick 2015, S. 568)

24 Als Beispiele nennen Mette und Steinkamp: Option für das „Subjekt“, „Befreiung“, „Friede als Gerechtigkeit“ (vgl. Mette u. Steinkamp 1983, S. 171). Für uns vielleicht: „Person“, „Heilung“, „Leben“, „Gerechtigkeit“? Siehe auch die therapeutischen Interessen in Abschn. 1.2.

25 Vgl. die problembezogene Integration verschiedener Perspektiven in der Anthropologie (s. u. S. 19).

26 Vgl. zur Zusammenarbeit die Konzilsdokumente Apostolicam actuositatem Nr. 8 und Gaudium et spes Nr. 91.

27 Ähnlich warnt Klaus Kießling vor positivistischen Gefahren bei fehlender Hermeneutik und rät, „mit empirischer Forschung hermeneutisch-kritisch umzugehen, ohne sie verteufeln oder vergöttern zu müssen.“ (Kießling 2005, S. 126)

28 Jürgen Werbick verdeutlicht: Diese „sollten mit ihrer je eigenen Perspektive den Blick weiten für den je größeren Gott, der sich auch dort bezeugte, wo Theologie und lehramtliche Wahrnehmung nicht immer schon »Zuhause« sind: menschliche Vernunft, die Philosophien und die Geschichte.“ (Werbick 2010, S. 325) Er verweist hier auf Peter Hünermann und dessen Dogmatische Prinzipienlehre (Münster 2003). Dieser habe „die besondere theologische Bedeutung der Loci alieni für die Gegenwart hervorgehoben und den herkömmlich genannten weitere zur Seite gestellt (die Philosophien in der Mehrzahl, der Kosmos der Wissenschaften, die Kultur, die Gesellschaft, die Religionen)“ (ebd., S. 325) Fn. 18).

29 Vgl. für die Caritaswissenschaft analog auch Haslinger 2004, S. 147) f..

30 Bereits 2007 äußerte er den Verdacht von Voreingenommenheit oder gar dem Verwischen professioneller Identitäten: Ein „Plädoyer für mehr Aufmerksamkeit für Religion in der geistigen Gesundheitsfürsorge“ scheine „häufig von religiös begeisterten Therapeuten selbst herzurühren: Sie wollen sich offenbar gerne dieser Dimension zuwenden.“ (vgl. Belzen 2007, S. 72)

31 In einer vorausgegangenen Leserbrief-Diskussion war außerdem der Vorwurf geäußert worden, die Forschung zu Religiosität sei oft mit verborgenen Interessen geladen („research is almost invariably carried out by groups of researchers that have a vested interest in showing positive results for religiosity”) (vgl. Hansen u. Maguire 2010, S. 258) und dass in einer declaration of interest keine Konflikte angegeben worden seien („I thought it meant anything about us that might make us less of a ‘disinterested’ observer, researcher, etc.“) (vgl. Bruggen 2010, S. 259). Die Antwort der angegriffenen Autoren begrenzte sich auf Korrektheit darin, dass keine zu deklarierenden finanziellen Interessen bestünden hätten, wie es die Zeitschrift fordere (vgl. Cook et al. 2010, S. 259) – während sie hier noch nicht einzusehen schienen, dass eine persönliche Weltanschauung (oder gar religiöser Amtsträger zu sein) ein persönliches, mehr als wissenschaftliches Interesse – oder zumindest den Verdacht – begründen können. Später waren sie darin expliziter.

32 In ähnliche Richtung mit Frank-Gerald Pajonk zu positivistischen u. mechanistischen Paradigmen (Baumann u. Pajonk 2014). Zur Überwindung zu enger, reduktionistischer Ansätze bzgl. Religion und Psychiatrie vgl. ferner P. J. Verhagen (2012).

33 Hervorhebungen im Original. „Primary interests include promoting and protecting the integrity of research, the quality of medical education, and the welfare of patients. Secondary interests include not only financial interests […] but also other interests, such as the pursuit of professional advancement and recognition and the desire to do favors for friends, family, students, or colleagues.“ (Lo u. Field 2009, S. 6)

34 Tatsächlich finden sich jedoch erst in jüngeren Jahren und nur da und dort in psychologischen Artikeln und Büchern über Religiosität bzw. Spiritualität und Gesundheit ausführlichere Erklärungen zur eigenen religiösen Ausrichtung der Autoren/-innen (vgl. Utsch 2005, S. 13–16, 261–296 pasim; Waller et al. 2010, S. 104); Griffith 2010, S. 13–15; Mohr 2013, S. 262 f.; Cook u. Powell 2013, S. 386; Rosmarin et al. 2015, S. 1149).

35 Mitgliedschaften: Landespsychotherapeutenkammer Baden-Württemberg, VPP (Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten) im BDP (Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen), DFT (Deutsche Fachgesellschaft für Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie), IGGS (Internationale Gesellschaft für Gesundheit und Spiritualität).

36 Gerhard Vollmer meint: „Am besten gelingt Interdisziplinarität noch bei einer einzigen Person.“ (Vollmer 2010, S. 53) Auch J. A. van der Ven spricht von einem möglichen „interdisziplinären Dialog zwischen Theologie und Sozialwissenschaften in ein und derselben Person. Diese führt eine Art ‚dialogue intérieur‘, einen internen Dialog, wofür sie theologische und sozialwissenschaftliche Kompetenz benötigt.“ (Ven 1999, S. 272) Genauso wichtig ist mir aber auch der Austausch mit Kollegen/-innen und Psychiatriepersonal.

37 Er folgt dabei Heinz Heckhausen, Discipline and Interdisciplinarity, 1972, S. 87–89 (vgl. Jungert 2010, S. 4).

38 Unter Rückgriff auf Newell, William H. (2001): A theory of interdisciplinary studies. In: Issues in Integrative Studies 19 (1), S. 1–25, hier S. 21).

39 Vgl. das Konzept der konvergierenden Optionen bei Mette und Steinkamp (s. oben S. 10).

40 Zur Anerkennung der Autonomie irdischer Wirklichkeiten vgl. oben S. 7), insbes. Fn. 16 .

41 Thomas von Aquin, S. th. I 1,7 c: „Omnia autem pertractantur in sacra doctrina sub ratione Dei, vel quia sunt ipse Deus, vel quia habent ordinem ad Deum ut ad principium et finem.“ (zit. nach: Seckler 1988, S. 181 Fn. 1)

42 Dem entspricht in der Religionspsychologe die von Théodore Flournoy eingeführte These vom Ausschluss der Transzendenz: „Sie besagt, dass ein Religionspsychologe die Existenz eines selbständigen religiösen Objekts (Gott, Engel, Geister usw.) weder zu bestätigen noch infrage zu stellen habe, denn beides läge außerhalb seines Zuständigkeitsbereiches. Stattdessen habe er von den religiösen Erfahrungen der Menschen auszugehen und sie genau und unvoreingenommen zu untersuchen.“ (Henning 2003, S. 17) Ebenso Matthias Richard: „Die Erforschung von Religiosität zielt dabei explizit nicht auf den Beleg angenommener transzendenter Wirklichkeit, sondern auf die empirische Untersuchung der Gedanken, Gefühle und Handlungsweisen, die Individuen mit dieser transzendenten Wirklichkeit verbinden.“ (Richard 2004, S. 131)

Das ist allerdings schon schwer genug! Richard Sloan beschreibt (unter Verweis auf den schönen Titel von M. S. Lederberg und G. Fitchett (1999): Can you measure a sunbeam with a ruler? In: Psycho-Oncology 8 (5), S. 375–377) sehr anschaulich die Schwierigkeit, menschliche Erfahrung wissenschaftlich zu erfassen: Der Versuch, religiöse Erfahrung zu quantifizieren, indem man z. B. die Häufigkeit des Kirchenbesuchs zähle, sei wie der Versuch, einen Sonnenstrahl mit einem Lineal zu messen: Dies mag möglich sein, aber der wesentliche Charakter der Erfahrung gehe in diesem Prozess verloren. Ähnlich sei der Versuch, die ästhetische Erfahrung des Hörens einer Beethoven-Symphonie zu quantifizieren, indem man zähle, wie oft der Hörer lächle, oder indem man im Gehirnscanner neuronale Aktivitätsmuster beim Hören von weißem Rauschen damit vergleiche. Würde das irgendetwas über die ästhetische Erfahrung sagen? (vgl. Sloan 2006, S. 253)

43 Die Hochschul-Empfehlungen des Wissenschaftsrats denken ähnlich (vgl. 2010, S. 57) f.).

44 Thomas Pröpper bringt es gut auf den Punkt: Die Theologie sollte „daran interessiert sein, die Humanwissenschaften unbelastet ihren Weg gehen zu lassen. Andererseits bedürfen aber auch sie der Kritik: immer dann nämlich, wenn sie ihr jeweiliges Paradigma und die mit ihm erzielten Resultate zum gültigen Menschenbild totalisieren. Erfahrungswissenschaftliche Paradigmen haben heuristischen Wert: sie machen spürsinnig und findig und lassen vieles entdecken – nur eines nicht (wir sahen es zur Genüge): den Menschen selbst, eben das, was wesentlich sein Menschsein bestimmt.“ (Pröpper 2011, S. 110) Ähnlich mahnte bereits Karl Rahner (1972, S. 98) f.).

45 Hinsichtlich der Kritik an „naturalistischen Fehlschlüssen“ meint Schoberth, dass mögliche normative Implikationen offen diskutiert werden müssten: „Weil jede nichttriviale Aussage über den Menschen normative Implikationen hat, ist die ausdrückliche ethische Debatte dabei unverzichtbar.“ (Schoberth 2006, S. 89)

46 „Das DNVF ist ein Zusammenschluss von klinischen und gesundheitswissenschaftlichen Fachgesellschaften, die gemeinsam das Ziel verfolgen, die an der Versorgungsforschung im Gesundheitswesen beteiligten Wissenschaftler zu vernetzen, Wissenschaft und Versorgungspraxis zusammenzuführen sowie die Versorgungsforschung insgesamt zu fördern.“ (Pfaff et al. 2009, S. 506) Auch die DGPPN gehört zu den Mitgliedsgesellschaften.

47 Eine weitere maßgebende Definition ist diese: „Versorgungsforschung ist die wissenschaftliche Untersuchung der Versorgung von Einzelnen und der Bevölkerung mit gesundheitsrelevanten Produkten und Dienstleistungen unter Alltagsbedingungen. Zu diesem Zwecke studiert die Versorgungsforschung, wie Finanzierungssysteme, soziale und individuelle Faktoren, Organisationsstrukturen und -prozesse und Gesundheitstechnologien den Zugang zur Kranken- und Gesundheitsversorgung sowie deren Qualität und Kosten und letztendlich unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden beeinflussen. Die Beobachtungseinheiten umfassen Individuen, Familien, Populationen, Organisationen, Institutionen, Kommunen etc.“ (Arbeitskreis „Versorgungsforschung“ beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer 2004).

48 Versorgungsforschung hat normwissenschaftliche und evaluative Anteile, sie bewertet auch nach ethischen Vorgaben und Grundwerten (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 2010, S. 27), 29 f., 40); vgl. dazu unten Kap. 3.

49 Vgl. ausführlich unten Abschn. 4.5.3.

50 Vgl. dazu oben Abschn. 1.5.

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