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 Welche spanischen Autoren des 17. Jh. haben den Narziss-Stoff aufgegriffen? Welche anderen Texte dieser Stofftradition gibt es?

 Von wem wurde das Werk Más allá verfasst? Welcher Gattung ist es zuzurechnen? Wo ist es zuerst erschienen?

 Wer hat wo im Jahr 2006 einen Aufsatz zur urbanen Ästhetik im Werk des uruguayischen Schriftstellers Mario Benedetti veröffentlicht?

 Wer oder was ist „Lira“?

 In welchem spanischen Drama des 17. Jh. kommen die Verse „reconocida la deuda“ und „todos somos locos“ vor?

 Ermitteln Sie zwei grundlegende Publikationen zum literaturwissenschaftlichen Forschungsfeld Imagologie.

3.5 Arbeitstechniken

Schriftliche Abhandlung Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Literatur findet normalerweise über schriftliche Forschungsbeiträge statt; selbst die auf einer Tagung präsentierten Vorträge werden, wenn sie als wichtig erachtet werden, üblicherweise anschließend gedruckt. Es ist daher eine zentrale KompetenzKompetenz, Techniken und Standards der schriftlichen Darstellung wissenschaftlicher Befunde zu beherrschen, und sie wird aus diesem Grunde auch in Form von Seminararbeiten während eines Philologiestudiums mehrfach trainiert. Die Regeln einer solchen Arbeit entsprechen im Wesentlichen denen, die auch für ‚echte‘ Forschungsbeiträge (Aufsätze oder Bücher) gelten.

Rahmenvorgaben: Ein Aufsatz behandelt ein umgrenztes literaturwissenschaftliches Problem, das in einer klar formulierten Fragestellung Fragestellung/Theseund/oder einer oder mehreren Thesen konkretisiert wird. Er richtet sich an einen Fachleser und setzt das entsprechende Wissenschaftlichkeit Grundwissen voraus. Das Thema wird wissenschaftlich abgehandelt (siehe Abschnitt 3.3), d.h. die getroffenen Feststellungen werden argumentativ hergeleitet sowie nachvollziehbar und überprüfbar gemacht. Hierzu sind durchgehend Verweise auf die untersuchten literarischen Texte, ggf. die theoretischen Prämissen und auf bereits vorliegende Arbeiten (Sekundärliteratur) erforderlich. Letztere dokumentieren den jeweiligen Diskussionsstand, der teils aus kontinuierlicher persönlicher Fachlektüre, gerade am Anfang des Wahrnehmung von Vorarbeiten Studiums aber meist aus Seminarinhalten und v.a. gezielter bibliographischer Ermittlung (siehe 3.4) bekannt ist.

1 Vorgehensweise bei der Erarbeitung wissenschaftlicher Aufsätze: Themenfindung Erster Schritt ist die Themenfindung. Bei Hausarbeiten kann man im Seminar behandelte Inhalte aufgreifen oder ausweiten, wissenschaftliche Aufsätze schließen meist an offene Fragen der bisherigen Forschung an oder eröffnen, angestoßen von einer Beobachtung oder einem neuen theoretischen Ansatz, ein neues Forschungsfeld. Das Erkenntnisinteresse (Frage, These) muss in jedem Fall klar formuliert werden.

2 Bibliographieren Es wird zum gewählten Thema ausführlich bibliographiert. Da die Menge des bereits Publizierten in vielen Fällen zu groß für eine extensive Lektüre ist, kommt der Auswahl der relevanten Sekundärliteratur zentrale Bedeutung zu: Persönliche Sichtung der augenscheinlich passendsten Publikationen (Inhaltsverzeichnis, einzelne Kapitel oder Abschnitte querlesen), Markierung (und bei entliehenen Büchern Fotokopieren oder Digitalisieren) der relevanten Abschnitte.

3 Lesen und Exzerpieren Lesen und Exzerpieren der erhobenen Materialien. ‚Exzerpieren‘ bedeutet, wichtige Aussagen möglichst im Originalwortlaut, evtl. durch eigene Kommentare, die als solche klar gekennzeichnet sind, ergänzt, und mit genauem Verweis zu notieren, am besten elektronisch mit einer Datei pro Publikation. Die exzerpierten Stellen sollten im Sekundärtext markiert und dieser bis zum Abschluss der Arbeit geordnet bereit gehalten werden.

4 Überprüfung der Themenstellung Überprüfung der Themenstellung und Eingrenzung. Sind weitere Klärungen nötig, neue Fragen, Ansätze, Termini usw., die für die Befriedigung des Erkenntnisinteresses unabdingbar sind? Wenn ja, dann nochmals zu Schritt 2.

5 Gliederung Nun wird die Arbeit gegliedert. Hier ist darauf zu achten, dass jeder Teil bedeutsam für die Fragestellung ist und die Arbeit eine (kausale, hierarchische, logische …) Gedankenführung bekommt, die für den Leser jederzeit transparent ist. Meist formuliert eine Einleitung das Erkenntnisinteresse und ggf. den Forschungsstand, ein großer ‚Hauptteil‘ (der in der konkreten Arbeit nicht diese Überschrift tragen sollte) beantwortet die gestellte Frage und ein Abschluss resümiert und reflektiert die Ergebnisse, bietet einen verallgemeinernden oder einschränkenden Ausblick oder hält offene Fragen und Aufgaben (sog. Desiderate) für weitere Forschungen fest.

6 Niederschrift Für die Niederschrift wird es sinnvoll sein, die Exzerptnotizen auf die einzelnen Kapitel und Unterkapitel zu ‚verteilen‘ (etwa aus den Exzerptdateien in verschiedene Kapiteldateien zu kopieren), so dass jeweils die Grundlage, von der aus man argumentiert, zur Hand ist und Verweise schnell eingefügt werden können.

7 Mehrmalige Durchsicht Ein gerne unterschätzter letzter Schritt ist die mehrmalige genaue Durchsicht der Arbeit nach Stringenz und Stimmigkeit, Einhaltung wissenschaftlicher Standards, formaler Einheitlichkeit, aber auch Sprache und Stil (an die gerade in philologischen Fächern zu Recht ein hoher Anspruch gerichtet wird) sowie typographischer Korrektheit (Tippfehler, Satzkonventionen).

Zitieren und Verweisen Zu den wissenschaftlichen Standards wurde oben schon Wesentliches gesagt. Eine besondere Bedeutung kommt hier dem Umgang mit fremden Erkenntnissen zu. Generell ist jeder fremde Gedanke (ausgenommen Allgemeinwissen) als solcher zu kennzeichnen und so mit Quellenangabe zu versehen, dass er vom Leser des Aufsatzes ohne großen Aufwand in der Originalpublikation zu finden ist. Korrekte Verweise haben beispielsweise folgende Form:

Beispiele für korrekte bibliographische Angaben Angaben zu Primärwerken

 Bei selbstständigen literarischen Texten:Autor/in: Titel des Werks. Ggf. Herausgeber/in der Textausgabe. Ersch.ort: Verlag AuflageJahr (Reihentitel, Nummer).Z.B. Pedro Calderón de la Barca: La vida es sueño. Hg. von Ciriaco Morón. Madrid: Cátedra 352013 (Letras hispánicas, 57).

 Bei literarischen Texten innerhalb von Sammlungen oder Gesamtausgaben:Autor/in: Titel des Werks, in: Titel der Gesamtpublikation. Ggf. Herausgeber/in der Textausgabe. Ersch.ort: Verlag AuflageJahr (Reihentitel, Nummer), Seite(Anf)–Seite(End).Z.B. Jorge Luis Borges: La biblioteca de Babel, in: Narraciones. Hg. von Marcos Ricardo Barnatán. Madrid: Cátedra 172006 (Letras hispánicas, 123), 105–114.

 Bei Filmen:Regisseur/in: Titel des Films. Land bzw. Länder Jahr (Datenträger, Distributor des Datenträgers Jahr).Z.B. Alejandro González Iñárritu: Amores perros. Mexiko 2000 (DVD, Warner 2002).

Angaben zu Forschungs- bzw. Sekundärliteratur

 Bei Monographien:Verfasser/in: Titel des Buchs. Untertitel. Ersch.ort: Verlag AuflageJahr (Reihentitel, Nummer), zitierte Seite(n).Z.B. Kathleen Richmond: Women and Spanish Fascism: the women’s section of the Falange, 1934–1959. London: Routledge 2003 (Routledge – Cañada Blanch Studies on Contemporary Spain, 6), 21.

 Bei Aufsätzen in Sammelbänden und Lexika:Verfasser/in: Aufsatztitel, in: Herausg. (Hg.), Titel des Buchs. Untertitel. Ersch.ort: Verlag AuflageJahr, Seite(Anf) – Seite(End), hier zitierte Seite(n).Z.B. Wilfried Floeck: „¿Juego posmoderno o compromiso con la realidad extraliteraria? El teatro de José Sanchis Sinisterra“, in: Herbert Fritz/Klaus Pörtl (Hg.), Teatro contemporáneo español posfranquista: Autores y tendencias. Berlin: Tranvía 2000, 47–54, hier 49f.

 Bei Zeitschriftenartikeln:Verfasser/in: „Aufsatztitel“, Name der Zeitschrift Nummer/Jahrgang, Seite(Anf) – Seite(End), hier zitierte Seite(n).Z.B. Shirley Mangini: „Infancia, memoria y mito en Si te dicen que caí y El cuarto de atrás“, Cuadernos Hispanoamericanos 617/2001, 31–40, hier 31.

 Bei Online-Quellen:Verfasser/in, „Aufsatztitel“, URL (Konsultationsdatum).Z.B. Jörg Dünne, „Forschungsüberblick ‚Raumtheorie‘“, www.raumtheorie.lmu.de/Forschungsbericht4.pdf (01. 07. 16).

Mit ‚Verfasser‘ ist bei Sekundärtexten der Verfasser der zitierten Stelle gemeint. Das bedeutet: Der Verweis auf einen Sammelband- oder Lexikonartikel trägt den Namen des Artikelautors (nicht des Herausgebers), der Verweis auf die Einleitung oder das Nachwort einer Primärtextausgabe den Namen des Verfassers dieser Einleitung oder dieses Nachworts, also in der Regel eines Literaturwissenschaftlers (nicht des Schriftstellers). Der Verweis erfolgt entweder in Fußnoten (beim ersten Mal ausführlich, ab dann kurz, z.B.: Spear: 1991, 360) oder im Fließtext (in Klammern, nur kurz). Alle zitierten Titel (und nur diese) werden am Ende der Abhandlung alphabetisch und nach Primär- und Sekundärliteratur getrennt im Literaturverzeichnis aufgeführt (dort dann ohne die Angabe zitierter Einzelseiten). Es gibt verschiedene, z. T. durch HerausgeberInnen oder, im Falle der Hausarbeit, möglicherweise durch DozentenInnen vorgegebene Zitierformen; wichtig ist vor allem, dass eine Form konsequent durchgehalten wird. Hilfestellung in Sachen Zitieren und Verweisen bietet das Handbuch Arbeitstechniken Literaturwissenschaft der Germanisten Burkhard Moennighoff und Eckhardt Meyer-Krentler (München: Fink 162013 oder online als e-book per Abo Ihrer Bibliothek, dort die Kap. 5 und 6). Das Zitieren wie insgesamt der Umgang mit Quellen kann im Übrigen mit Hilfe von Literaturverwaltungs-Software, z.B. dem (oft per Campuslizenz für Studierende kostenlosen) Citavi oder dem (frei zugänglichen) Zotero, sehr vereinfacht werden.

Typographisches Auch für die typographischen Vorgaben (Schriftstile, Interpunktionszeichen etc.) ist es empfehlenswert, sich einmal genau eine neuere Fachpublikation anzusehen. Grundlegendes ist der Zusammenstellung von Christoph Bier unter http://bit.ly/typokurz-cb zu entnehmen.

Zusammenfassung Das Bachelor-Studium hat das Ziel, grundlegende Kompetenzen zu vermitteln, die dank der internationalen Harmonisierung der Studienabschlüsse den Zugang zu einem der vielen geisteswissenschaftlichen Masterstudiengänge in Europa, aber auch zu zahlreichen außerakademischen Berufsfeldern öffnen. Die Qualifikation hispanistischer Bachelor-Absolventen liegt in der vertieften Kenntnis der hispanophonen Kulturen und der Fähigkeit, sie insbesondere anhand von Sprache und Literatur wissenschaftlich zu beschreiben, aber auch in der allgemeinen Fähigkeit zu kritischer Erschließung gedanklicher Sachverhalte und deren adäquater (fremd-)sprachlicher Präsentation im Mündlichen wie Schriftlichen. Für den wissenschaftlichen Austausch über Phänomene wie Literatur sind fachbezogene Hilfsmittel und Arbeitstechniken erforderlich, unter ihnen insbesondere die systematische Ermittlung von Forschungsergebnissen anhand von Bibliographien und die Präsentation eigener Befunde im Rahmen einer wissenschaftlichen Abhandlung.

Literatur

Philipp Eckart: Der Bologna-Prozess. Entstehung, Strukturen und Ziele der europäischen Hochschulpolitik. Norderstedt: Books on Demand 2005.

Soeren Kjoerup: Humanities – Geisteswissenschaften – Sciences humaines. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2001.

Rainer A. Müller: Geschichte der Universität. Von der mittelalterlichen Universitas zur deutschen Hochschule. Hamburg: Nikol 1996.

4 Grundlagen der Textanalyse am Beispiel der Lyrik

Inhalt

 4.1 Verstehen – Analysieren – Interpretieren

 4.2 Ebenen der Strukturanalyse

 4.3 Strukturanalyse: Vorgehensweise

 4.4 Gattung Lyrik

Überblick Dieses Kapitel macht Sie mit verschiedenen Zugängen zu literarischen Texten im Allgemeinen vertraut, von denen der hier wichtigste derjenige der Strukturanalyse ist. Er bildet die Grundlage interpretatorischer Ansätze, die Sie ab Einheit 10 kennen lernen werden. Es werden die verschiedenen Ebenen und die praktische Vorgehensweise bei einer Strukturanalyse sowie sachliche und terminologische Grundlagen zur Beschreibung lyrischer Texte vorgestellt.

4.1 Verstehen – Analysieren – InterpretierenInterpretation

Verstehen in den GeisteswissenschaftenGeisteswissenschaften GeisteswissenschaftenGeisteswissenschaften unterscheiden sich, wie wir in der vorigen Einheit sahen, vor allem insofern von den Naturwissenschaften, als subjektives menschliches Verstehen ihr zentrales Moment ist, und dies in mehrfacher Hinsicht: Der GeisteswissenschaftlerGeisteswissenschaften ist um eigenes Verstehen bemüht, nimmt bei der Arbeit vom eigenen Verstehen seinen Ausgang und hat im menschlichen Verstehen selbst seinen Untersuchungsgegenstand, denn Literatur beispielsweise ist entscheidend durch den Prozess des Verstehens geprägt: Erstens werden Texte normalerweise für ein um Verstehen bemühtes Publikum geschrieben, so dass Texte immer schon den Verstehensvorgang zu steuern versuchen – sei es mit dem Ziel der Erleichterung oder der Irritation; zweitens reagieren Schriftsteller stets auf vorherige Texte, die sie selbst verstanden haben, so dass die subjektive Aufnahme von Literatur Teil späterer Texte und damit der Literaturgeschichte wird. Diesen Zusammenhang hat die Konstanzer rezeptionsästhetische Schule systematisiert, von der in Einheit 11.2.2 die Rede sein wird. Wie aber vollzieht sich das Verstehen eines Textes?

HermeneutikHermeneutik als Theorie des Verstehens Diese Frage ist Gegenstand der philosophischen HermeneutikHermeneutik (hermenéutica). Der Begriff bezeichnete von alters her zunächst die Ermittlung des ‚wahren‘ Schriftsinns insbesondere der Bibel und diente u.a. dazu, nicht mehr verständliche kanonische Texte wieder lesbar zu machen, mithin zu ‚übersetzen‘ und so die Kontinuität der Tradition zu gewährleisten. Seit dem Ende des 18. Jh. entwickelte sich HermeneutikHermeneutik dann in einem ausgedehnteren Sinne zur Theorie menschlichen Verstehens noch vor jeglichem gezielten methodischen Zugriff, wobei das Augenmerk verstärkt dem verstehenden Subjekt und seiner Beteiligung am Sinnentstehungsprozess galt. Die Bedeutung eines Textes, so stellte man fest, wird nicht wie in einem Behälter vom AutorAutor zum Leser transportiert und von diesem dann unverändert ‚entnommen‘, sondern Bedeutung entsteht erst im Leseakt, indem Signale des Textes auf das Wissen, die Erwartungen und die Fragen (den ‚Horizont‘) des jeweiligen Lesers treffen (vgl. Einheit 11.2.2). Menschliches Verstehen zielt generell auf die Erzeugung von Kohärenz, Widerspruchsfreiheit in einem Gesamtverständnis, das allen Teilen ihre Bedeutung zuweist. Stellen Sie sich vor, Sie beginnen einen Text zu lesen. In aller Regel wird der erste Satz, isoliert betrachtet, für Sie im Grunde kaum verstehbar sein: Wird beispielsweise ein Eigenname erwähnt, bleibt dieser Verweis völlig leer, da Sie über die fiktive Person, die sich dahinter verbirgt, zunächst keinerlei Informationen haben. Ähnliches gilt etwa für eine einsetzende HandlungHandlung, über deren Motivation, Kontext, Folgen, Ziel, Situation Sie noch nichts wissen. Wenn Sie dennoch bei den meisten Texten den Eindruck haben zu verstehen, dann liegt das daran, dass Sie diese ersten Sätze auf einen vermuteten Gesamtsinn des Textes beziehen und all das, was nicht in der Bedeutung der Einzelwörter liegt, aus diesem Gesamtverständnis heraus ‚auffüllen‘. Im Bestreben zu verstehen – und das gilt nicht nur für Texte, sondern für Verstehen schlechthin – bilden wir permanent Hypothesen, die wir in der Begegnung mit dem Einzelnen überprüfen. Zu Beginn einer Lektüre wird die Bedeutungshypothese nicht dem Text entspringen, den Sie ja noch nicht kennen, sondern Ihrem allgemeinen Weltverständnis, Ihrem kulturellen Hintergrund, Ihrer Biographie und Ihrer Leseerfahrung. Im Laufe der Lektüre wird sich dieses Verständnis ändern, nämlich dann, wenn der Text Informationen liefert, die nicht in Ihr momentanes Gesamtverständnis passen und eine Modifikation, vielleicht auch radikale Umkehrung desselben erforderlich machen. Geschieht dies, so werden Sie nicht nur die folgenden Einzelheiten des Textes anders verstehen, sondern Sie werden auch rückblickend das bereits Gelesene neu bewerten, manches als irrelevant erkennen, was Ihnen zunächst bedeutsam schien, und umgekehrt neue Zusammenhänge herstellen. Verstehen ist kein linearer Vorgang, der sich vom ersten bis zum letzten Satz vollzieht, sondern ein ständiges Hin- und Hergehen zwischen einem vorläufigen Gesamtverständnis, das der Leser permanent, dabei meist unbewusst, konstruiert, und den Einzelheiten, d.h. einzelnen Sätzen, Motiven, FigurenFigur, HandlungsepisodenHandlung, die nur innerhalb eines solchen Gesamtverständnisses verstehbar sind. Dieses Modell nennt man den hermeneutischen ZirkelHermeneutischer Zirkel (círculo hermenéutico). Dieser ist prinzipiell unabschließbar: Ein ‚absolutes‘ Verständnis von Literatur gibt es nicht, da Texte niemals den Sinn vollständig festlegen, sondern auch bei wiederholter Lektüre ein zwar durch den Text mitgestaltetes, aber immer auch subjektiv bestimmtes Gesamtverständnis besteht. Diese Wirkungsweise von Literatur zu begreifen ist von grundlegender Bedeutung, da sich zeigt, dass ein literarisches Werk eigentlich erst im Dialog mit dem Leser und seinem subjektiven Welt- und Textvorverständnis entsteht. Hier liegt der Grund dafür, dass auch Texte längst vergangener Epochen dem heutigen Leser ‚etwas sagen‘ können, da er sie im Verstehensakt ein Stück weit in seinen persönlichen HorizontHorizont integriert.

Abb. 4.1

Der hermeneutische ZirkelHermeneutischer Zirkel als Kreismodell

Unhintergehbare Subjektivität Die Kehrseite des hermeneutischen ZirkelsHermeneutischer Zirkel und der Wiederaneignung von Texten durch die Leser ist der Umstand, dass es damit keinen ein für allemal geschlossenen Textsinn gibt, an den man sich annähern könnte, sondern die Subjektivität des jeweiligen Betrachters unhintergehbarer Bestandteil des literaturwissenschaftlichen Objekts ist. Anders formuliert: In den auf Verstehen gründenden GeisteswissenschaftenGeisteswissenschaften ist der Untersuchende immer Teil dessen, was er untersucht – es ist beispielsweise schlichtweg nicht möglich, restlos den ‚Sinn‘ zu ermitteln, den ein Text zum Zeitpunkt seiner Entstehung gehabt hat, da die damaligen subjektiven Verstehensbedingungen (wessen überhaupt?) nicht vollständig ermittelbar sind und wir jeden Text notwendigerweise vom Standpunkt eines heutigen Betrachters aus wahrnehmen. HermeneutischeHermeneutik Differenz Zwischen früheren RezeptionenRezeption und heutigen sowie zwischen diesen und künftigen Lesarten liegt eine hermeneutischeHermeneutik Differenz, die interpretatorisch annähernd beschrieben (siehe Einheit 11.2.2), aber nicht aufgelöst werden kann.

Ansatzpunkte der Objektivierungobjektiv Der Natur literarischer KommunikationKommunikation Rechnung zu tragen heißt indes nicht, der Beliebigkeit Tür und Tor zu öffnen und das Ziel einer überindividuellen Verständigung über Literatur ins Reich der Utopie zu verbannen. Wenngleich es absolute ObjektivitätObjektivität nicht geben kann, so stehen uns doch an beiden Polen des hermeneutischen ZirkelsHermeneutischer Zirkel Ansatzpunkte für eine Objektivierungobjektiv zur Verfügung:

1 Der Text ist, sobald durch kritische Edition eine gesicherte Textgrundlage erarbeitet wurde, objektivobjektiv gegeben.

2 Der hermeneutischeHermeneutik Hintergrund, vor dem ein Text verstanden wird, kann seinerseits annähernd transparent gemacht und entsubjektiviert und der Weg (gr. methodos, also die MethodeMethode) zur jeweiligen Ermittlung des Textsinns systematisiert und begründet werden.

StrukturanalyseStrukturanalyse Eine auf den erstgenannten Ansatzpunkt bezogene Herangehensweise an literarische Texte ist die StrukturanalyseStrukturanalyse (análisis estructural, m.). ‚StrukturStruktur‘ (estructura) bedeutet allgemein die Gesamtheit aller Teile eines Ganzen und ihre Beziehung untereinander (siehe Einheit 12.1.1). Der Begriff ‚Analyse‘ geht in dieselbe Richtung: Er bezeichnet in der Philosophie die logische Auflösung, Zerlegung eines Begriffes in seine Merkmale, eines Bewusstseinsinhalts in seine Elemente; in den Naturwissenschaften wie der Chemie etwa die Bestimmung der Einzelbestandteile eines StoffsStoff. Im Gegensatz zu letzterer kann eine literaturwissenschaftliche StrukturanalyseStrukturanalyse nicht bei den ermittelten Bestandteilen stehen bleiben, sondern besteht, um mit der StrukturStruktur die Beziehung der Teile zueinander deutlich zu machen, aus einer Zerlegung und Wieder-Zusammenfügung, was im Übrigen dem hermeneutischenHermeneutik Wechselspiel von Teil und Ganzem entspricht. Ziel einer StrukturanalyseStrukturanalyse ist es, ein Modell Abstraktes Modell textinterner Funktionen herauszuarbeiten, das zeigt, wie der Text ‚funktioniert‘, wie er unterteilt ist, mit welchen sprachlichen und formalen Mitteln er Bedeutung erzeugt. Der Versuch, StrukturenStruktur eines Textes aufzudecken, ist nicht frei von Subjektivität, da es beispielsweise von der Fragestellung und dem Interesse des Betrachters abhängt, was als ‚relevanter‘ Bestandteil im Hinblick auf die Gesamtbedeutung gelten kann und welche StrukturenStruktur man überhaupt erkennt; man erreicht aber größtmögliche ObjektivitätObjektivität, wenn zwei Prinzipien befolgt werden:


Abb. 4.2

StrukturanalyseStrukturanalyse (Schritt 1 und 2)

1 Prinzipien der StrukturanalyseStrukturanalyse Die Analyse von TextstrukturenStruktur sollte textimmanenttextimmanent bleiben, d.h. von allem Außertextuellen wie Autor, Realitätsbezug usw., sofern nicht innerhalb des Textes explizit darauf verwiesen wird, absehen. Hinsichtlich der Inhaltsebene beschränkt sie sich auf nachweisbare (etwa in Wörterbüchern verzeichnete) Wortbedeutungen und Konnotationen (Nebenbedeutungen).

2 Eine StrukturanalyseStrukturanalyse sollte interpretatorischeInterpretation Offenheit bewahren, also ein notwendiges anfängliches Leseverständnis nicht als zu erreichenden Zielpunkt setzen, sondern anhand der Sinn- und FormstrukturenStruktur des Textes kritisch hinterfragen und auch eine mögliche Widersprüchlichkeit oder Mehrdeutigkeit des Textes in Rechnung stellen.

Analyse als erster Schritt zur InterpretationInterpretation Eine solche Ermittlung der TextstrukturenStruktur ist Grundgerüst und Vorbereitung einer InterpretationInterpretation (interpretación). Dieses Objektivierungsverfahrenobjektiv bezieht sich vor allem auf den zweiten der oben genannten Ansatzpunkte der Objektivierungobjektiv: die Offenlegung des ‚hermeneutischenHermeneutik Hintergrunds‘ sowie der spezifischen MethodeMethode. Dahinter steckt der Gedanke, dass ich mein Textverständnis objektivierenobjektiv und damit wissenschaftlich validieren (gültig machen) kann, wenn ich (a) eine nicht von meinem subjektiven Weltverständnis abhängende Grundlage angebe, also z.B. mein Textverständnis in der nachweisbaren Biographie des AutorsAutor (produktionsästhetischProduktionsästhetik) oder der Erwartungshaltung der Leserschaft (rezeptionsästhetischRezeption) verankere, und (b) die MethodeMethode angebe, der ich beim Textverstehen gefolgt bin, so dass andere meine Vorgehensweise nachvollziehen und ggf. kritisieren können. Eine korrekte StrukturanalyseStrukturanalyse steckt den Bedeutungsspielraum ab, den anschließende InterpretationenInterpretation haben, da sie offenkundigen SinnstrukturenStruktur des Textes natürlich nicht widersprechen dürfen; oft aber erschließen sich literarische Texte nicht rein strukturellStruktur und textimmanenttextimmanent, so dass die InterpretationInterpretation eine wichtige literaturwissenschaftliche Arbeitstechnik für ein adäquates Textverständnis darstellt. Wir werden in den Einheiten 10–12 näher darauf eingehen.

Aufgabe 4.1 ? Grenzen Sie in Ihren eigenen Worten nochmals die Begriffe ‚Verstehen‘, ‚Analyse‘, ‚InterpretationInterpretation‘ voneinander ab. Wie ist es zu begründen, dass trotz wissenschaftlicher ObjektivitätObjektivität verschiedene und nicht selten konträre InterpretationenInterpretation zu einem Text existieren? Können Sie sich Kriterien vorstellen, aufgrund derer man InterpretationenInterpretation qualitativ beurteilen kann?

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9783823300113
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