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Читать книгу: «Der Junge mit dem Feueramulett», страница 4

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Nanda betrachtete den niedergesunkenen Soldaten.

»Das glaubst du, lieber R’lan, aber es ist alles nur Illusion. Wie so vieles im Leben.« Sie stieg über den ohnmächtigen Wachmann hinüber und lugte in den Gang. Niemand zu sehen. »Jetzt ist dein Leben wohl hinüber, lieber R’lan, aber ich hatte keine andere Wahl.« Wenn einem Tod und Folter drohen, sind einem nun einmal alle Mittel recht.

Nanda stieg über den erschlafften Körper des Soldaten und huschte die Treppen hinauf. Draußen war es schon dunkel. Sehr gut. Da würde die dumme Tsarr aber schauen mit ihrem blöden Fluch. Nichts ist stärker als die Liebe, selbst wenn es eine falsche ist. Wie ein Schatten glitt Nanda aus dem Kerkertor und entlang der Mauern. Sie würde fliehen müssen, weit, weit weg. Vielleicht bis in die Drachenberge.

Der Widerstand

Die Schergen kamen am frühen Morgen. Das erste graue Licht sickerte gerade über den fernen Horizont. Es roch mehr nach kühlem Morgentau, als das man ihn wirklich spürte. Schon in den ersten Stunden des Tages leckte die Hitze auch nur die Möglichkeit von Feuchtigkeit von den Pflastersteinen. Auf den Dachfirsten und Baumwipfeln waren bereits die ersten Vögel in Stellung gegangen, um die Sonne, wenn sie sich dann erbarmen würde, ihre göttliche, tödliche Hitze über die Welt zu ergießen, mit infernalischem Geziepe und Geschreie zu empfangen. Aber noch war es mucksmäuschenstill.

Die Männer Laochs wählten gerne diese tote Stunde für ihre Besuche bei den Delinquenten. Die meisten Leute schliefen dann noch und waren völlig überrascht, wenn diese schwarz gekleideten Männer mit dem Axtemblem plötzlich in ihrem Schlafzimmer standen. Nicht selten ergaben sich dann da schon spontan die überraschendsten Geständnisse.

Kard und Madad aber waren schon wach, sie wollten früh ihre Reise in die Drachenberge beginnen und die Kühle des Morgens auszunutzen. In der Schmiede roch es nach kaltem, abgestanden Rauch, sie hatten die Fensterläden geschlossen, um kein Aufsehen zu erregen. Wallas hatte eine schöne geblümte Schürze um seine gewaltige Hüfte geschnürt und schmierte ihnen gerade ein paar Butterbrote, als ein massiger Torak die Tür eintrat. Der Rahmen splitterte, es hörte sich an, als ob einem gewaltigen Tok-Stier das Rückgrat gebrochen würde. An den Wänden der Schmiede klirrten die Zangen. Der Torak-Scherge stieß die Reste der Tür beiseite und stürmte in den Raum und durch den zerborstenen Türrahmen folgten weitere Schergen, die bald wie Würmer in einer aufgeplatzten Wunde in der Schmiede herumwimmelten.

»Wir haben nichts bestellt«, bellte Madad, dem man keine Überraschung anmerken konnte, und schon stürzte sich der Cu in den Wald schwarzer Beine und biss einem der Schergen herzhaft ins Bein.

»Hinten hinaus«, rief Wallas zu Kard, der mit weit geöffneten Augen mitten im Raum stand und um Luft rang. Der Junge stand an einer der Werkbänke im hinteren Teil der Schmiede. Eben noch hatte er das Minas-Schwert in eine provisorische Scheide aus poliertem Kupfer gesteckt und jetzt standen diese Schergen hier plötzlich herum. Was ist hier los? Irgendetwas war absolut nicht in Ordnung! Durften die Schergen einfach so Türen eintreten? Natürlich, es waren ja die Schergen. Mussten die nicht vorher wenigstens mal klopfen? Nein. Es waren die Schergen! Die mussten nichts und durften alles.

»Der da«, rief jetzt einer der Uniformierten, ein Mensch, wahrscheinlich der Anführer und deutete auf Kard.

Die meinen doch nicht etwas mich? Hilfe. Kard schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Angstschweißbäche ergossen sich aus seinen Poren, aber er konnte sich nicht bewegen. Hypnotisiert betrachtete er die Schwarzgekleideten, wie sie sich ihm näherten. Als ob er in einem Albtraum gefangen wäre, während er vergeblich versucht aufzuwachen. Erst als ein in Papier eingewickeltes Butterbrot ihn mitten auf die Nase traf, setzte es sich wie ferngesteuert in Bewegung. Was wollen die Schergen hier? Was um Branus Willen sollte er jetzt tun?

»H – I – N – T – E – N R – A – U – S«, hörte Kard noch einmal Wallas schreien und diesmal begriff er. Er warf sich das Bündel mit dem Schwert über den Rücken und sprang mit einem Satz über die Werkbank.

Als Kard die rückwärtige Tür aufriss, grinsten ihn drei Schergen an. »Hallo. Ist das das Minas-Schwert?«

»Äh, nein, das ist nur so ein ganz normales Schwert…«

»Dann zeig uns das ganz normale Schwert doch bitte mal.«

»Einverstanden«. Kard nahm das Schwert vom Rücken.

Wallas hatte inzwischen genug mit den Schergen zu tun, die den Vordereingang benutzt hatten. Aber die schwarz gekleideten Männer, die es gewohnt waren, dass allein ihr Anblick die Menschen und Toraks von Conchar zu stotternden Schlotterwesen machten, waren sichtlich überfordert mit vier Zentnern Widerstand. Selbst die Toraks unter den Schergen sahen recht verdutzt aus. Wallas nahm sich ein paar Schmiedehämmer und schleuderte sie auf die hereinquellende Meute. Dazu Madad, der wie ein Wirbelwind zwischen ihnen dahinsauste und in jede Wade biss, die sich ihm in den Weg stellte. Als Wallas Kard mit dem Schwert am hinteren Ausgang sah, warf er einen seiner Hämmer genau auf die Stirn des einen Schergen. Madad hatte Kards Lage auch mitbekommen, stürmte nach hinten und sprang dem zweiten Schergen ans Gemächt. Und kaum lag das Schwert in seinen Händen spulte Kard wie ein Automat die Übungen ab, die er mit Wallas geübt hat. Ausfallschritt. Parade. Bei Branu, was mache ich hier? Und schon stach er dem dritten Schergen in den Arm. Ein spitzer Schrei (von dem Schergen, der den Cu zwischen den Beinen baumeln hatte), gefolgt von dem Geräusch eines dumpfen Aufschlags (von dem Schergen, den der Hammer von Wallas getroffen hatte und der nun wie ein Sack zu Boden fiel) und der ungläubige Blick des Schergen, der auf die Blutfontäne starrte, die sich aus seinem Arm ergoss, bevor er ohnmächtig zusammensackte, gaben Kard die Möglichkeit, über die Schwarzgekleideten hinwegzuspringen. Madad folgte ihm. Der Junge sprintete los, das Echo seiner Schritte klatschte von den Wänden auf ihn zurück, als ob die Stadt ihm ein paar Ohrfeigen verpassen wolle. Die kühle Morgenluft sprang ihm ins Gesicht und in die Lunge. Als Kard sich umblickte, sah er Wallas, umringt von einigen Schergen, wie er eines der Kohlebecken hochhievte.

»Wohin laufen wir, Madad?« Das schnelle Trippeln an seiner Seite hatte Kard verraten, dass der Cu neben ihm war.

»Weiter, immer weiter. Yo, das war so ekelhaft. Wann hat sich der Typ das letzte Mal gewaschen?« Madad spuckte während des Rennes ein paar mal knurrend aus.

»Was ist mit Wallas?«

»Der kommt schon zurecht«, bellte der Cu. »Hast du nicht gesehen, wie überrascht die waren, dass Wallas nicht gleich weinend zusammen gebrochen ist?«

»Doch, schon, komisch. Der schien gar nicht überrascht.«

»Immer vorbereitet, würde ich eher sagen.«

»Was meinst du damit?«

»Komm mit, wir rennen zum Knochenbruch.«

»Du willst doch nicht gerade jetzt in eine Kneipe gehen, oder?« Kard, inzwischen völlig atemlos, schaute erstaunt und verwirrt nach unten zu seinem vierbeinigen Freund.

»Doch, Kard, wir gehen jetzt in einen Club.«

»Einverstanden, wenn du es sagst.«

»Yo, wer ist hier jetzt das Herrchen?« Der Cu bellte und lachte gleichzeitig. Eins musste man ihm lassen. Madad ließ sich nicht die Stimmung verderben.

Am Hinterausgang des Knochenbruchs brannte noch Licht. Wahrscheinlich hatte die Torak-Kneipe erst vor kurzem geschlossen und irgendwer machte noch sauber. Der Cu stellte sich vor die Eisentür und hämmerte mit seinem Kopf in kurzen unregelmäßigen Abständen an das Metall. Grinsend drehte er sich zu Kard um. »Mit der Pfote klopfen hat ja keinen Sinn, das hört ja keiner.«

Kard und Madad hörten schwere, schlurfende Schritte. Gsam, der Wirt des Knochenbruchs, öffnete die Tür. Seine beiden Söhne kamen gerade die Treppe herunter. Alle hatten diese dicken Holzknüppel in der Hand, mit denen man sonst einen Ball durch die Luft schmetterte, damit ihn jemand mit einem fetten Handschuh auffing.

»Ist es passiert?«, fragte Gsam und schien nicht wirklich überrascht.

»Sie sind bei Wallas in der Schmiede«, knurrte Madad.

»Zieht eure Kapuzen über«, sagte Gsam zu seinen Söhnen und versteckte dann selbst seinen Schädel. »Ihr wartet am besten da hinten im Schuppen«, sprach Gsam dann zu Kard und Madad gewandt. »Falls die Schergen tatsächlich hierherkommen sollten, was ich nicht glaube, könnt ihr hinten raus. Madad weiß Bescheid.«

»Verstanden.« Kard nickte wie ein emsiger Specht. Irgendwas ging hier vor, er wusste nur nicht genau was.

Dann sah er den drei Muskelbergen hinterher, die eilig in Richtung der Schmiede von Wallas davon schritten.

*

Damit hatte auch Laoch nicht gerechnet. Was war das nur für ein seltsamer Torak? Der war ja schlimmer als dieser junge Branu-Schreihals. Der sollte sich jetzt gefälligst schön brav festnehmen lassen. Wo kommen wir denn da hin, dachte er erstaunt.

Als der Branu-Priester aus diesem kleinen Dorf ihm von dem Minas-Schwert berichtet hatte, das angeblich in der Schmiede von Wallas zu finden sei, hatte er diesem bärtigen Aufschneider, der für diese Information anfangs ein paar Goldstücke haben wollte, erstmal nicht geglaubt. Aber auch nachdem Sorb ihn ein wenig gefoltert hatte und der Govan sich dann mit ein paar Rollen Stoff zufriedengeben wollte, hatte er weiterhin behauptet, bei Wallas sei ein Minas-Schwert zu finden. Meist verging den Leuten bei Sorb jede Fantasie. Oder wurde geradezu entfacht. Nur selten blieben die Leute bei ihrer ursprünglichen Aussage. Und dann gab es ja noch die Vision. Das passte alles sehr gut zusammen. Und dieser Wallas war ihm schon immer verdächtig vorgekommen. Allein, dass der schon so alt war. Fast so alt wie Flanakan. Und das bei diesem harten Job als Schmied. Sehr verdächtig.

Laoch hatte sich also entschlossen, der Werkstatt einen vorbeugenden Besuch abzustatten. Wallas hatte einen guten Ruf in der Stadt, gehörte der Zunft der Schmiede an und war sogar Mitglied der Ratsversammlung von Conchar, die aber seit Jahren nicht mehr getagt hatte, da man ja immer einer Meinung mit Flanakan war und sich die Sitzungen des Rates damit selbst überflüssig gemacht hatten. Genau genommen also ein Politischer. Genau die richtige Klientel für Laoch. Nur das Wallas noch nie aufgefallen war. Ein braver, alter Schmied, der Spitzhacken fertigte. Wieso um aller Götter dieser Welt also hatte dieser Typ nun das Kohlebecken in der Hand?

Und dann kamen die Kapuzenmänner. Wie in Zeitlupe sah Laoch sie mit ihren schwingenden Keulen unter den Schergen auftauchen. Wallas warf das Kohlenbecken und die Schlacke spritze über seine Männer. Einen Spritzer bekam Laoch selbst mitten ins Gesicht. Während er langsam den Mund aufmachte und gerade ansetzte, einen Schmerzensschrei auszustoßen, sah er den dunklen Schatten einer Keule auf sich zukommen. Er konnte gerade noch seinen Kopf wegdrehen, sonst hätte ihm die Keule eventuell sogar den Schädel zertrümmert. So traf es nur seine Schläfe. Laoch sackte in sich zusammen. In seinem Innern machte sich eine große Verblüffung breit. Er, Laoch, Chef der Schergen, wurde geschlagen. So etwas war seit seinen Kindheitstagen nicht mehr passiert. Kurz sah er seinen Vater mit dem Rohrstock auf sich zukommen, dann seine hysterische Mutter, die ihm befahl, sich bei Goiba zu entschuldigen, dann kam die Schwärze.

»Du hast gerade dem Obersten der Schergen eine verpasst«, hörte man eine Stimme unter der Kapuze.

»Echt? Cool«, antwortete die andere Kapuze.

»Na, ich weiß nicht. Laoch ist nicht gerade als Spaßvogel verschrien. Das wird den ganz schön ärgern.«

»Egal, ist jetzt nicht mehr zu ändern. Sind alle platt?«

»Jawohl! Keiner steht mehr auf den Beinen.«

»Dann nichts wie weg.«

Die drei Kapuzenmänner nahmen Wallas in ihre Mitte und verschwanden in der Dunkelheit.

*

Kard und Madad versteckten sich inzwischen in Gsams Schuppen. Überall standen Schoff-Fässer herum, in einer Ecke die vollen, in einer anderen die leeren. Eines der Fässer leckte, eine kleine Pfütze hatte sich gebildet. Madad schlürfte die Flüssigkeit genussvoll auf.

»Ein bisschen warm, aber immer noch lecker.«

»Du trinkst Schoff?«, fragte Kard erstaunt.

»Yo, warum nicht? Wir Cus können nicht nur sprechen, wir können auch feiern, bis die Gova kommt.«

Vor seinem inneren Auge sah Kard einen Raum voll betrunkener Hunde, die auf den Tischen tanzten und Trinklieder sangen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das erlaubt ist.«

Madad sah ihn mit großen Augen an.

»Du bist mir schon ein komischer Kerl. Gerade sind wir einem Haufen Schergen entkommen, auf dem Rücken trägst du ein Minas-Schwert und du fragst mich allen Ernstes, ob es erlaubt ist, dass sich ein Cu einen hinter die Binde kippt?«

Kard nickt wortlos. Oh großer Branu, der Cu hat recht. Er war vor den Schergen geflohen. Einen hatte er sogar angegriffen. Er, Kard, die Rechtschaffenheit in Person. Durch Kards Körper lief ein eisiger Schauer. Irgendetwas stimmte mit seiner Welt nicht mehr. Irgendetwas ist hier ganz gewaltig faul. Und Kard hatte das dumpfe Gefühl, dass dies erst der Anfang war.

Als die vier Toraks leise den Schuppen betraten, befand sich Kard gerade in einer der hinteren Ecken und übergab sich. Als er sich danach zu den Ankömmlingen gesellte, verdrehte Madad die Augen und Gsam schüttelte den Kopf.

»Eigentlich hat er sich ganz gut geschlagen«, sagte Wallas zu den anderen Toraks. »Aber irgendwie war es wohl doch etwas viel für ihn.«

»Was machen wir jetzt?«, fragte Gsam.

»Die waren hinter dem Schwert her«, antwortete Wallas, »ich glaube nicht, dass sie hinter mir her waren.«

»Bist du sicher?« Gsams Blick hatte sich etwas aufgehellt.

»Ziemlich. Kard, die Schergen haben dich doch nach dem Minas-Schwert gefragt, oder?«

Kard, der gerade aus dem Dunkeln gestrauchelt kam, nickte. »Stimmt, haben die wohl gleich erkannt.«

»Wie sollen die das Minas-Schwert erkannt haben, das steckte doch in der Scheide? Und von Außen hat man nur den Knauf gesehen. Nein, ich glaube, die wussten, dass du eins hattest. Fragt sich nur, woher?«

»Aber was wollen die Schergen mit einem Minas-Schwert?«, fragte Kard in die Runde.

»Machst du Witze?«, bellte Madad. »Ein Minas-Schwert, ein Schwert Branus? Da drehen die Govas doch durch, wenn sie so etwas sehen. Bestimmt hat Tsarr die Schergen geschickt.«

»Das stimmt«, pflichtete Wallas dem Cu bei. »Aber richtig gefährlich kann es ihnen erst werden, wenn es geweiht ist.« Wallas schaute in die Runde. »Und das ist es noch nicht.«

»Und dieser kleine Angsthase soll das für uns regeln?«, fragte einer von Gsams Söhnen und schaute verächtlich in Richtung von Kard.

»Der kleine Angsthase«, entgegnete Kard aufgebracht, »hat gerade einen Schergen angegriffen.« Kards Adamsapfel sprang hoch und runter und er schaute angriffslustig in die Runde. Doch dann sackte er in sich zusammen. »Wenn sie mich kriegen, werden sie mich wahrscheinlich zu Tode foltern.« Jetzt standen ihm die Tränen in den Augen.

»Ho, ho, ho.« Gsams Sohn baute sich auf. »Der kleine Mensch hat einen Schergen angegriffen. Du Held du. Du echter Superheld. Mein Bruder und ich, wir haben vielleicht zehn Schergen eben den Schädel eingeschlagen. Mann. Wenn die uns kriegen, grillen die uns eine Woche über ihren Kohlebecken.«

»Der große Torak und der kleine Mensch beruhigen sich jetzt mal wieder.« Gsam sah seinen Sohn streng an. »Wir sitzen alle im gleichen Boot.«

»Wir sitzen im gleichen Boot? Seit wann sitzen Menschen und Toraks im gleichen Boot? Ich dachte, darum geht es, oder? Dass wir eben nicht alle gleich sind, oder? Wer hat denn alle Privilegien? Wer kann zur Schule gehen oder sich auch mal nach sechs Stunden Arbeit aufs Ohr hauen?«

Kard glaubte sich verhört zu haben. »Du willst zur Schule gehen?«

»Natürlich will ich zur Schule gehen. Mein Vater hat Bücher, kannst du dir das vorstellen? Ein Torak, der Bücher hat. Und ich kann sie sogar lesen, weil unser Vater uns das beigebracht hat. Aber ich habe jetzt »Anleitung zum Brauen des perfekten Schoffs« und »Die Geschichte vom Bademeister mit den drei Badenixen in roten Badeanzügen« schon so oft gelesen, dass ich sie auswendig kann. Und in den Buchhandlungen verkaufen sie uns Toraks keine Bücher. Weil wir ja sowieso nicht lesen können.« Gsams Sohn war zum Schluss immer lauter geworden und einen Schritt auf Kard zugegangen. Der wich mehr staunend als ängstlich zurück. Ein lesender Torak passte so gar nicht in Kards Weltbild.

»Hier in der Stadt scheint das wirklich so zu sein. Der Unterschied zwischen den Menschen und Toraks. Manche von uns sind sogar Leibeigene! Dass Flanakan das eingeführt hat, hat ihm viele Freunde bei den Menschen gemacht. Kostenlose Arbeitskräfte, die man nur durchfüttern muss. Schon recht praktisch. Auf dem Land ist es anders. Da gibt es sogar leibeigene Menschen. Und das finden die auch nicht toll, das sage ich euch.« Gsam sah seine Söhne streng an. »Und das wisst ihr auch. Wir sitzen in einem Boot. Menschen und Toraks. Und alle anderen Wesen. Das Problem ist Flanakan und seine Gova. Die Goiba-Priesterin hat das Land verflucht.«

»Genau!«, bellte Madad nun dazwischen, »und deswegen beißen wir der alten Hexe jetzt mal ganz schön in den Allerwertesten. Wir weihen das Minas-Schwert und hauen ihr damit eins kräftig über die Rübe.«

»Ein geweihtes Minas-Schwert wäre eine starke, magische Waffe im Kampf gegen die Magie von Flanakan und Tsarr. Branu gegen Goiba. Da hast du recht, Madad. Das Schwert alleine wird es aber auch nicht richten können. Es wäre ein Symbol, ein sichtbares Zeichen und eine magische Waffe. Ein Zeichen, das jeder sofort versteht. Ein Zeichen, unter dem wir uns versammeln könnten.«

»Und wer ist wir…?«, fragte Kard nun, dem es langsam dämmerte, dass es hier nicht nur um das Gesellenstück eines Schmiedes ging.

»Wir, das sind ein paar unzufriedene Toraks«, antwortete Wallas. »Und auch ein paar Menschen. Selbst hier in der Stadt. Flanakan hat es in den letzten Jahren und Jahrzehnten einfach zu weit getrieben. Menschen und Toraks und alle andere Wesen sollten die gleiche Rechte haben, so war es früher und das war auch gut so. Seit er vor ein paar Jahren eingeführt hat, dass sich ein verschuldeter Torak in die Leibeigenschaft begeben muss, ist das Fass einfach übergelaufen. Ein Torak als Leibeigener? Wir waren einmal Nomaden, zogen frei durch das ganze Land, und nur Branu gaben wir unser Opfer. Und heutzutage? Die Toraks werden zu Sklaven und die Tempel von Branu und den göttlichen Brüdern werden von Tag zu Tag weniger.«

Kard wollte irgendwas in der Richtung erwidern, dass es ja einfach nun mal so Gesetz ist, das mit der Leibeigenschaft, und daher könne man das ja wohl kaum ändern. Gesetz ist Gesetz. Aber als er in die grimmigen Mienen der vier Toraks schaute, der eine Sohn von Gsam war immer noch etwas kurzatmig, verkniff er sich seinen Kommentar lieber.

*

Als Laoch erwachte, brummte sein Kopf, als ob Sorb ihn eine Weile mit der Schädelzange bearbeitet hätte. Aber kaum hatte er sich an den Schmerz gewöhnt, brach ein viel intensiveres, brennenderes, dringlicheres Gefühl aus ihm heraus. Eine unbändige Wut! Was für eine Frevel, was für eine Ungeheuerlichkeit. Man hatte ihn, Laoch, Oberster der Schergen, ein Auserwählter vor Goiba und allen anderen Göttern, einer der wichtigsten Männer, wenn nicht sogar der wichtigste Mann unter Flanakan, man hatte ihn, Laoch, geschlagen! Normalerweise ließ Laoch seinen Hass, der in einem riesigen schwarzen Kessel direkt unter seinem Herzen brodelte, immer nur in kontrollierten kleinen Portionen heraus, aber jetzt verließ sogar Laoch, dem fast Allmächtigen, die Geduld. Er sah einen seiner eigenen Toraks mit zerfleischtem Unterschenkel und gebrochenem Kiefer stöhnend vor sich liegen, eindeutig lebendig und… eben ein Torak. Laoch hievte sich hoch, zog sein Schwert aus der Scheide und ließ es auf seinen Schergen hinuntersausen. Der erste Schlag zerschmetterte dem Mann gleich den Schädel. Knochensplitter, Blut und Gehirnmasse segelten durch den Raum. Das Stöhnen und Ächzen der anderen Verwundeten verstummte. »Ihr verdammten Tiere, ihr Tiere, ihre dummen, verdammten Tiere«, schrie Laoch und sein Schwert zerschmetterte Knochen, zerschnitt Fleisch. Man hörte nun nur noch sein schweres Atmen, sein Fluchen, der Klang des Schwertes, wenn es die Luft zerschnitt. Dann das nasse Schmatzen, wenn die Klinge Fleisch durchtrennte oder einen dumpfen Aufprall, gefolgt von einem trockenen Knirschen, wenn er Knochen traf. Laochs Männer beobachteten ihren Chef still und voller Erstaunen. So aufgebracht hatten sie ihn noch nie gesehen.

»Was glotzt ihr so, ihr dummen Idioten. Du da, du kannst noch laufen, oder? Und ihr drei da hinten? Ihr lauft jetzt zu den Stadttoren und macht alles dicht. Keiner, niemand, keine Seele, keine Mücke verlässt ab jetzt Conchar. Habt ihr verstanden?«

Eifrig nickten die vier Schergen, die dem Cu durch die Lappen gegangen und mit gebrochenen Kiefern und herausgekugelten Armen davongekommen waren. So schnell hatte man in Conchar selten die Schwarzgekleideten durch die Gassen rennen sehen. Als ob der Tod selbst hinter ihnen her sei, rannten die Schergen durch die morgendlichen Häuserschluchten, lange Schatten hinter sich herziehend, denn Branu schickte bereits die ersten Sonnenstrahlen in das Labyrinth der Stadt. Nur wenige Minuten später war Conchar hermetisch abgeriegelt. Niemand kam mehr herein, niemand konnte hinaus.

*

Als Gsam die Tür zum Schuppen öffnete, sah er einige Häuserdächer weiter, eine dunkle Rauchsäule in den Himmel steigen.

»Deine Schmiede brennt, Wallas.«

»Gut so, ich hätte sowieso nicht zurückkehren können.«

»Und so gibt es auch keine Spuren.«

»Hätte es auch so nicht gegeben, die einzigen Spuren befinden sich in meinem Kopf.« Wallas war neben Gsam getreten und betrachtete die Rauchsäule.

»Fast 100 Jahre habe ich mich darin versteckt, vielleicht ist es gut, dass es jetzt so endet.«

»Es begann im Feuer, es endet im Feuer, Branu ist mit uns.«

»Branu ist mit uns, aber wir müssen uns schon selbst helfen. Gebete und Opfer allein bringen nichts, das haben wir gelernt.«

»Wir brauchen ein geweihtes Minas-Schwert, dann können wir der Magie von Flanakan und Tsarr gegenübertreten.«

Auch Kard war inzwischen vor den Schuppen getreten und sah ungläubig den schwarzen Rauch über den Dächern von Conchar. Gsam sah ihn an, und man konnte den Zweifel in seinem Gesicht sehen. »Laß einen meiner Söhne mit ihnen gehen, Wallas. Ich bin nicht sicher, ob der Junge es alleine schafft.«

»Was heißt hier allein«, knurrte nun Madad, der jedes Wort von Gsam genau gehört hat. »Zählt ein Cu bei dir nicht? Sind wir dem großen Torak zu klein für eine große Aufgabe?«

»Jetzt streitet ihr nicht auch noch«, stöhnte Wallas. »Gsam, Kard ist nicht irgendein Mensch, auch wenn er, was ich gerne zugebe, nicht unbedingt wie die erste Wahl aussieht. Wie lange ist es her, dass ein Mensch ein Minas-Schwert selbst geschmiedet hat, Gsam?«

»Haben die Menschen jemals selbst ein Minas-Schwert geschmiedet? Die können doch gerade mal Küchenmesser machen«, antwortete Gsams Sohn und in seiner Stimme klang unverhohlen die Verachtung, die er für die Menschen empfand.

»Du irrst dich, Gsark, Sohn des Gsam. Dein Vater mag dir das Lesen beigebracht haben, aber anscheinend hat er dir nicht genug von unserer Geschichte erzählt.«

»Doch, doch, Wallas. Ich weiß schon, auf was du hinaus willst. Damals, in der guten alten Zeit, als die Drachenkönige noch über Haragor herrschten und Menschen und Toraks und Ichtos und alle anderen Wesen jeden Tag friedlich Ringelreihe miteinander getanzt haben. Und abends haben Govas und Govans uns Gute-Nacht-Geschichten erzählt. Diese Zeit, lieber Wallas, bei allem Respekt, ist nun mal vorbei.«

»Nicht ganz so, Gsark, aber so ähnlich.« Wallas betrachtete den jungen Torak. Skepsis lag in seinem Blick, aber auch Verständnis. Der alte Torak konnte sich offensichtlich noch an die Zeit erinnern, als er wie Grams Sohn jung und voller Träume gewesen war.

Der Wind hatte inzwischen den Geruch der brennenden Schmiede bis zum Knochenbruch getragen. Mit der lauen Brise hatten sich die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont geschält. Eine Amsel begann loszuzwitschern und schon stimmte die versammelte Vogelgesellschaft von Conchar mit ein. Ein ohrenbetäubendes Geziepe füllte für wenige Minuten die lauwarme Morgenluft. Selbst für einen hartgesottenen Clubbesitzer war das zu viel. Gsam hielt sich die Ohren zu.

»Ihr müsst los, Kard und Madad.«

Kard starrte auf die Rauchsäule. Das würde die Nachbarn aber gar nicht freuen. Die hatten sich sowieso so manches Mal über den Lärm der Schmiedehämmer beschwert. Und jetzt noch der Rauch in ihren Wohnzimmern. Sicherlich gab es da eine Beschwerde bei den Wachen.

Jetzt musste Kard doch lachen. Die Wachen, was kümmerten mich jetzt noch die Wachen? Immer hatte er darauf geachtet, dass die zufrieden waren. Ein Schild »Achtung, fliegende Funken«, hatte er vor die Tür gestellt. Immer war die Asche vollkommen ausgekühlt, bevor er sie durch die Straßen zum Fluss karrte, damit auch keiner, der zufällig stolperte und dabei in seine Wagen fiel, ihn später wegen des unzulässigen Transports von Gefahrgut anklagen konnte. Die Spitzhacken waren spitz, die Schaufelblätter stabil, die Türbeschläge massiv gewesen. Niemand sollte jemals einen Grund zur Beschwerde haben. Und keiner der Kunden hatte das auch jemals getan. Nur die Nachbarn. Aber gegen Lärm und Rauch konnte man in einer Schmiede eben nur begrenzt etwas tun. Und einen Taubheitszauber für die lieben Nachbarn wäre sicherlich auch illegal gewesen!

Aber was sorgte er sich jetzt um die Nachbarn? Sein ganzes Leben kräuselte sich mit der Rauchsäule am Horizont gerade in die Leere des Himmels. Kard, der Schmied, irgendwann Frau und Kinder. Dann Enkelkinder. Und dann der Tod. Ganz normal eben. Friedlich. Ohne Aufsehen durchs Leben gehen. Ab und zu tanzen gehen. Ab und zu ein Schoff. Zu allen Göttern beten und Opfer bringen. Dafür den Segen für ein friedliches Leben bekommen. Und dann der Tod.

Kard ächzte. Wieso denke ich dauernd an den Tod? Vielleicht weil sein altes Leben gerade gestorben war? Er fühlte sich hilflos. Verwundbar. Verwirrt. Dass das Geschehene einfach so geschehen war. Verflixt. Die Zeit schritt voran und ließ die Vergangenheit einfach hinter sich. Kard spürte, wie seine Seele sein altes Leben am liebsten zurückgeholt hätte, ein Raum, in dem er sich sicher gefühlt hatte, in dem er die Regeln kannte. Indem er die Regeln nur befolgen musste, um in Ruhe gelassen zu werden. Wie im Waisenhaus. Da musste man nur schön brav sein. Wer nicht auffiel, konnte auch den Zorn der Govas nicht erwecken. Die Götter um Rat fragen, den Regeln der Götter folgen, am besten den Regeln der drei göttlichen Schwestern, denn die Priesterinnen von Goiba, Credna und Luchta standen mit ihren Peitschen direkt vor ihm. Überleben! Unsichtbar sein! Atmen!

Kard atmetet. In seine Lunge zog der Rauch der brennenden Schmiede. Auf seiner Brust spürte er nun den Drachenzahn. In all der Leere, der Ungewissheit, gab ihm das Amulett Kraft. Eine dunkle, bleierne aber wohltuende Kälte zog direkt in sein Brustbein. Die Panik, die sich gerade in ihm ausbreiten wollte, sackte wie ein Tuch zusammen, das den Klauen des Sturms entgangen war. Kard war ganz ruhig, irgendwie kalt, aber im Kern der Kälte, das konnte er genau spüren, war eine gewaltige Hitze, noch klein wie die Spitze einer Nadel, aber irgendwie doch gewaltig. Als er den Ruf von Gsam hörte, wandte er sich mit leerem Blick um und erhob sich mechanisch. Dann sah er Madad und in den Augen des Cus brannte ein Feuer, das das Unbekannte willkommen hieß. Ganz ohne Angst, ganz im Gegenteil, voller Vorfreude

»Und Madad, bist du bereit?«

»Yo, ich bin so was von bereit, Bruder, so was von. Wow, wir werden einen Onchu suchen. Endlich raus aus dieser öden Stadt. Ich wittere Abenteuer.« Sprach es, bellte es und dann tanzte Madad wie eine Katze, die plötzlich aus einem Albtraum erwachte. Der Cu sprang aus dem Stand in die Höhe, drehte sich in der Luft, bellte, und das zehnmal hintereinander. Dann lag er lachend und schnaufend auf dem Rücken.

*

»ER SOLL WAS VERSTECKT HABEN?« Tsarr war aufgesprungen und hätten ihre Augen töten können, und es war nicht ganz ausgeschlossen, dass sie das vielleicht doch konnten, wäre Laoch jetzt ein zuckendes Stück Fleisch vor ihren Füßen.

»Ein Minas-Schwert, meine Gebieterin. Aber es war nur ein Gerücht. Ich war mir sicher, dass wir nichts finden würden. Es war eher eine Vorsichtsmaßnahme.« Laoch, der die Wutausbrüche der Gova nur zu gut kannte, war von ihrem Auftritt zwar wie immer ein wenig beeindruckt, aber wirkliche Angst, hatte er, Laoch, Oberster der Schergen, auch vor ihr nicht. Wahrscheinlich hatte er deswegen auch diesen Job. Tsarr konnte Schwächlinge nicht ausstehen.

»BRING MIR DIESES SCHWERT!«

»Der Junge ist damit geflohen, aber er wird nicht weit kommen. Ich habe die Stadttore schließen lassen.«

»Bring mir den Jungen und das Schwert!«

Tsarr hatte sich etwas beruhigt. Im Großen Tempel von Goiba, Göttin der Nacht, der Kälte und der Finsternis, einem hohen, kreisrunden Kuppelbau, auf dessen Grundfläche locker eine ganze Tok-Rind-Herde Platz gefunden hätte, stolzierte die Priesterin vor dem Opferaltar auf und ab. In der Mitte des Altars befand sich die nun leere Opferschale. In den Rinnen der Altarplatte klebte noch das getrocknete Blut der zehn Jungfrauen, die sie zur Sonnenfinsternis eigenhändig geopfert hatte. Das Echo von Tsarrs Stimme hallte durch die kalte Leere des Tempels.

»Und wieso glaubst du, dass es ein echtes Minas-Schwert war? So etwas hat es seit dem Großen Krieg nicht mehr gegeben. Ein Minas-Schwert? Hier? Direkt unter den Augen unseres Herrschers? Unmöglich!« Tsarr schien nachzudenken. So unmöglich es zu sein schien, so gut passte es doch in ihre unheilvolle Vision, wusste Laoch.

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