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Kapitel 2

Montag, 18. September 2017

Der Anruf ging am Montagmorgen gegen sieben Uhr in der Früh in der Zentrale der Aachener Polizei ein. Der Anrufer berichtete von einer grauenvoll entstellten Leiche, die er entdeckt habe. Der Polizist in der Leitstelle, der das Gespräch entgegengenommen hatte, wählte umgehend die Handynummer von Karl Hansen, dem Leiter der Mordkommission. Hansen, der gerade aufgestanden war, notierte sich die Adresse und informierte anschließend seinen Kollegen Stefan Riedmann sowie die Spurensicherung. Nachdem er sich gewaschen und angezogen hatte, machte er sich sofort auf den Weg. Vor dem Haus in der Rosenstraße in Aachens Norden standen schon mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei. Unter anderem entdeckte Hansen den Wagen der neuen Leiterin der KTU, Laura Decker. Sie hatte die Nachfolge seines ehemaligen Kollegen Paul Mertens angetreten, der einige Monate zuvor als Mörder in einer der spektakulärsten Ermittlungen in Aachen entlarvt wurde. Hansen war die Erinnerung daran immer noch unbehaglich. Er hatte Mertens seit vielen Jahren gekannt und am Ende selbst die Verhaftung durchgeführt. Gut einen Monat danach war die Stelle neu besetzt worden. Dass die Wahl auf Laura Decker fiel, war kein Zufall. Kriminalrat Hellhausen war ein Freund ihres Vaters. Dementsprechend skeptisch war Hansen von vornherein, was die Personalie betraf. Allerdings wusste sie diese Zweifel schnell durch ihre Kompetenz und ihr einnehmendes Wesen zu zerstreuen. Decker war mittelgroß, hatte eine sportliche Figur und war zumeist leger gekleidet. Ihre langen, braunen Haare waren fast immer zu einem Zopf zusammengebunden. Mit ihren fünfunddreißig Jahren sah sie nicht nur blendend aus, sondern schien Mertens in Sachen Kompetenz kaum nachzustehen, wie Hansen zugeben musste. Außerdem war sie durch und durch ein Öcher Mädchen, was sie nach ihren vier Jahren als stellvertretende Leiterin der KTU im Kölner Exil wieder zeigen konnte, in dem sie die Kollegen mit ihrem Öcher Platt immer wieder in den Wahnsinn trieb. Hansen war gerade im Begriff, durch die offene Haustür einzutreten, als ihm Decker entgegenkam.

»Morgen, Karl. Schon wieder zurück aus Hamburg? Wie war es denn?«, begrüßte sie den Hauptkommissar freundlich und zündete sich eine Zigarette an.

»Moin, Laura. Es tat gut, mal wieder norddeutsche Hafenluft zu schnuppern. Und Vater wiederzusehen war natürlich auch schön. Er hat Christine und mir zwar die üblichen Vorhaltungen gemacht, dass wir ihn nur zum Geburtstag und an Weihnachten besuchen. Aber daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Und wie jedes Mal gab es bei unserer Abreise die altbekannten Diskussionen mit Hansen Senior. Er kann einfach nicht nachvollziehen, dass es mich immer wieder nach Aachen treibt. Seit Mutters Tod und seiner Rückkehr nach Hamburg hat er jeglichen Bezug zu unserer schönen Stadt verloren. Ich bin halt kein Fischkopf wie er. Aber lassen wir das. Erzähle mir lieber, was mich im Haus erwartet.«

»Eins kann ich dir auf jeden Fall schon einmal verraten. Es ist kein schöner Anblick. Man kann seinen Morgen auch angenehmer beginnen«, stellte Decker nüchtern fest.

»Was genau ist denn überhaupt passiert? Ich weiß bisher nur, dass ein Wachmann seinen Kollegen tot in dessen Haus aufgefunden hat.«

»Richtig. Der Tote heißt Herbert Neumann, neunundfünfzig Jahre alt. Er lebte alleine in diesem Haus, seit seine Frau vor zwölf Monaten gestorben ist. Er arbeitete als Wachmann bei der Wach- und Schließgesellschaft Aachen, kurz WUSA genannt. Der Kollege, der ihn gefunden hat, heißt Kai Paulus. Er wollte Neumann heute Morgen zur Arbeit abholen. Der hat aber nicht geöffnet und ist auch nicht ans Telefon gegangen, was laut Aussage von Paulus sehr ungewöhnlich war. Also ist er hintenrum durch den Garten und hat festgestellt, dass die Terrassentür nicht abgeschlossen war. Er ist dann hineingegangen und hat Neumann gefunden. Ich will gar nicht wissen, wie viele Spuren er dabei zerstört hat«, seufzte die junge Kollegin. »Er wartet übrigens drinnen auf dich!«

»Ich spreche mit ihm, wenn Stefan da ist. Ich frage mich ohnehin, wo er bleibt? Er hat doch einen viel kürzeren Weg als ich. Wie ist Herbert Neumann gestorben?«

»Doktor Bode meinte, dass er zu Tode gewürgt wurde. Wahrscheinlich mit einem Strick. Es gab aber eindeutige Hinweise wie petechiale Blutungen und einer leichten Zyanose des Gesichts«, sagte Laura Decker und hielt kurz inne. »Das ist leider längst nicht alles.«

»Was meinst du damit?«

»Das Opfer wurde an einen Stuhl gefesselt und vor seinem Tod brutal gefoltert. Ich habe schon lange keinen derart geschändeten Leichnam mehr gesehen.«

»Das Opfer wurde vor dessen Tod gefoltert, sagst du?«, wiederholte Hansen ungläubig.

»Ich sagte ja, dass das da drinnen kein schöner Anblick ist. Aber Doktor Bode kann dir sicherlich mehr zu den Einzelheiten sagen«, erklärte die KTU-Chefin.

»Der ist noch da?«

Laura Decker nickte. »Er hat auf dich gewartet. Da kommt übrigens gerade der Kollege Riedmann angefahren. Dann könnt ihr euch direkt selbst ein Bild von der Schweinerei machen. Ich habe nämlich noch einiges zu tun«, meinte Decker, drückte ihre Zigarette mit der Sohle ihres Schuhs aus und kehrte wieder zurück in das Haus. Hansen ging währenddessen auf das Auto seines Kollegen zu, der gerade im Begriff war auszusteigen.

»Morgen«, sagte Riedmann mürrisch, als er seinen Chef erblickte.

»Schlechte Laune?«

»Nein, schlecht geschlafen. Ist gestern spät geworden.«

»Dann wird das hier nicht gerade deine Laune steigern«, bemerkte Hansen ironisch.

»Was ist denn passiert?«

»Ich habe es selbst noch nicht gesehen. Ich wollte mir das Vergnügen aufsparen, bis du hier bist. Aber Laura hat mich gerade kurz aufgeklärt, dass der Hausbewohner zunächst misshandelt und dann allem Anschein nach erdrosselt wurde. Sein Kollege, ein gewisser Kai Paulus, hat ihn heute Morgen gefunden«, fasste Hansen kurz und knapp zusammen.

»Erst gefoltert und dann erwürgt. Hört sich nach etwas Persönlichem an, wenn da so viel Wut im Spiel war«, meinte Riedmann und runzelte die Stirn.

»Genau deshalb sollten wir keine weitere Zeit vergeuden und reingehen. Ich möchte mir gerne selbst ein Bild von der Sache machen und mit Doktor Bode sprechen«, meinte Hansen, als sie auf den Eingang zusteuerten.

Beim Betreten des Hauses registrierte er als erstes die Alarmanlage im Flur. Ein Kollege der Streifenpolizei wies ihnen den Weg in das Wohnzimmer. Hansen betrat den Raum und verharrte einen Moment im Eingangsbereich, um sich einen ersten Eindruck vom Tatort zu verschaffen.

»Du hast mit deiner Beschreibung nicht untertrieben Laura«, entfuhr es Hansen beim Anblick der Leiche. »Das sieht wirklich übel aus!«

»Das sieht nicht nur übel aus, Herr Kommissar. Das war auch ganz bestimmt mehr als schmerzhaft für das Opfer«, antwortete Nils Bode, der gerade dabei war, seine Instrumente einzupacken. Der trotz seiner achtundvierzig Jahre mit einem jungenhaften Aussehen ausgestattete Gerichtsmediziner war wie immer adrett gekleidet, wie Hansen feststellte. Den Schutzanzug hatte der Mediziner bereits abgelegt. Offenbar war er mit seiner vorläufigen Untersuchung des Leichnams fertig. Bode galt als akribischer Arbeiter mit wachem Verstand. Gleichzeitig war er im Institut als Feingeist bekannt, der schon einmal zur Ungeduld neigte, wenn man seinen mit Fachwörtern ausgeschmückten Ausführungen nicht folgen konnte.

»Können Sie uns schon Einzelheiten geben?«, wollte Hansen von dem Doktor wissen.

»Nun ja. Wie Sie unschwer sehen können, wurde das Opfer bestialisch gefoltert. Neumann hat diverse Hämatome am ganzen Körper, vermutlich durch Faustschläge beigebracht. Das Nasenbein ist gebrochen. Offensichtlich sogar mehrfach. Dem Mann wurden beide Handgelenke und die Kniescheiben mit einem schweren Gegenstand zertrümmert. Mutmaßlich mit einem Hammer. Außerdem wurde er gebrandmarkt. Der Größe der Wunden nach offenbar mit einer Zigarette oder einem Zigarillo. Ich habe an die fünfundzwanzig solcher kleinen Brandwunden entdeckt. Darüber hinaus wurden die Füße des Opfers, wie ich vermute, schwer verbrüht, wenn nicht sogar gekocht.«

»Moment«, unterbrach Hansen Bodes Ausführungen. »Sagten Sie gerade wirklich, dass seine Füße gekocht wurden?«

»Ja, so sieht es jedenfalls aus. Ich habe zwar zunächst gedacht, dass das Opfer von seinem Mörder bei einem Fußbad überrascht wurde, als ich die Fußwanne gesehen habe. Aber dann habe ich mir das einmal ganz in Ruhe angesehen. Bei dem schweren Grad der Verbrühung beider Füße vermute ich, dass dies ein Teil der Folter war. Er muss furchtbar gelitten haben vor seinem Tod«, fasste der Doktor seine ersten Eindrücke zusammen.

»Wer zum Teufel tut so etwas?«, fragte Riedmann völlig konsterniert.

»Jemand, der einen tiefen persönlichen Hass auf das Opfer hatte. Oder ein Mensch, der Spaß am sadistischen Töten hat«, kam Hansen dem Doktor mit einer Antwort zuvor.

»Oder beides«, bestätigte Bode mit einem Nicken.

»Können Sie uns schon etwas über den möglichen Todeszeitpunkt sagen?«, wollte Hansen wissen.

»Nicht länger als achtundvierzig Stunden. Genaueres dann nach der Obduktion.«

»Also am Samstag«, stellte Hansen fest.

»Richtig. Deshalb wurde er wohl auch nicht früher gefunden. Sein Kollege berichtete uns, dass Neumann am Wochenende frei hatte«, meinte Decker aus dem Hintergrund. »Und dass er ziemlich zurückgezogen lebte«, schob sie hinterher.

»Dann sollten wir uns jetzt einmal mit diesem Kollegen unterhalten, Stefan. Und sobald der Obduktionsbericht vorliegt, geben Sie uns bitte Bescheid, Herr Doktor«, meinte Hansen an Bode gewandt.

»Und das wie immer am liebsten gestern«, entgegnete dieser mit einem Lächeln, dann klappte er den Koffer zu, in dem die Gerätschaften für die Untersuchung der Leiche untergebracht waren.

»Wo finden wir eigentlich den Zeugen?«, wollte Riedmann von Hansen wissen.

»In der Küche«, rief Laura Decker, die seine Frage zufällig mitbekam, aus dem Hintergrund.

»Danke«, antwortete Hansen und ging schnurstracks auf eine Tür zu, hinter der er die Küche vermutete.

»Moment, Karl«, rief Decker ihnen hinterher. »Ich habe euch noch gar nicht erzählt, was wir bei der Leiche gefunden haben.«

»Nämlich was?«, fragte Riedmann neugierig.

»Diese Polizeimarke hier«, erwiderte sie und hielt ihnen das Beweisstück, das in einem Plastikbeutel verstaut war, unter die Nase.

»Das ist ja interessant«, stellte Hansen fest.

»Das ist eine Polizeimarke aus der DDR. Sie lag im Schoß des Opfers. Wohl vom Täter hinterlassen. Neumann wird sie sich eher nicht selbst auf die Beine gelegt haben. Auf der Rückseite steht sogar der Name des Opfers und das Dezernat, für das er anscheinend gearbeitet hat. Vielleicht kann uns der Zeuge ja etwas darüber erzählen.

»Danke, Laura!«, meinte Hansen und setzte sich in Bewegung.

»Stets zu euren Diensten«, erwiderte Decker mit einem Knicks und wendete sich wieder ihrer Arbeit zu.

Kapitel 3

Als die beiden Ermittler die Küche betraten, saß Kai Paulus zusammen mit Erwin Scholz, einem Kollegen der Streifenpolizei, am Tisch und rauchte.

»Guten Morgen, Herr Paulus. Ich bin Hauptkommissar Karl Hansen, und das hier ist mein Partner Stefan Riedmann.«

Scholz, den die beiden Ermittler kannten, begrüßte die Kommissare und verließ anschließend den Raum. Paulus hingegen reagierte auf die Begrüßung nur mit einem kurzen Nicken. Hansen setzte sich auf den freigewordenen Stuhl, während Riedmann es vorzog, stehenzubleiben. Es war offensichtlich, dass Paulus unter Schock stand. Die Hand, in der er seine Zigarette hielt, zitterte. Hansen schätzte den Mann auf höchstens Anfang dreißig. Trotz seines muskulösen Körpers sah er aus wie ein Häufchen Elend.

»Wir können Ihnen leider nicht ersparen, dass Sie uns einige Fragen beantworten. Ich hoffe, das ist in Ordnung für Sie?«, begann Hansen die Befragung. Er hoffte, dass seine Ruhe ein wenig auf den Befragten überging. Bevor er weitersprach, holte er seinen Notizblock aus seiner Manteltasche und legte ihn vor sich auf den Tisch.

»Natürlich ist das in Ordnung. Es ist nur so, dass ich wahrscheinlich keine große Hilfe für Sie sein werde«, erwiderte Paulus und zog an seiner Zigarette.

»Wie lange kannten Sie Herrn Neumann schon?«

»So etwa vier Jahre. Seit etwas mehr als drei Jahren haben wir zusammengearbeitet«, antwortete der Mann umgehend.

»Dann kannten Sie sich recht gut?«

»Das würde ich so nicht sagen.«

»Wie meinen Sie das?«

Paulus räusperte sich kurz. »Herbert war nicht gerade ein zugänglicher Typ. Ein Einzelgänger, wie man so sagt. Er legte keinen Wert auf private Kontakte. Selbst nach dem Tod seiner Frau war er lieber alleine, als zum Beispiel etwas mit den Jungs von der WUSA zu unternehmen. Wir treffen uns nämlich regelmäßig in unserer Stammkneipe, sofern die Schichten das zulassen.«

»Das heißt, dass Sie nicht befreundet waren, wenn ich Sie richtig verstehe?«, fragte Hansen nach.

»Wir waren definitiv keine Freunde, Herr Kommissar. Wir waren wirklich nur Kollegen«, antwortete der Befragte. Er unterstrich die Aussage mit einem Kopfschütteln.

»Sie erwähnten, dass Neumann Ihrer Meinung nach ein Einzelgänger war? Könnten Sie das vielleicht näher erläutern? Nur, weil er nichts mit den Kollegen unternehmen wollte, muss das ja nicht unbedingt der Fall gewesen sein.«

»Na ja. Man bekommt ja so Einiges mit, wenn man zusammenarbeitet. Er hat nie von Freunden oder von irgendwelchen Freizeitaktivitäten gesprochen.«

»Dann wissen Sie wohl auch nicht, ob Neumann Feinde hatte?«

»Nee, nicht wirklich.«

»Wie war er denn als Kollege?«, stellte diesmal Riedmann die nächste Frage.

»Man konnte gut mit ihm zusammenarbeiten. Vielleicht etwas überkorrekt, wenn man das so sagen kann«, meinte Paulus.

»Wie meinen Sie das?«, unterbrach Hansen den Wachmann.

Der Wachmann überlegte kurz, zog an seiner Kippe. »Wenn ich zum Beispiel außerhalb der regulären Pausenzeiten einmal eine Zigarette rauchen oder einen Kaffee trinken wollte, hielt er mir immer gleich eine Moralpredigt, dass wir zwischen Arbeits- und Pausenzeit unterscheiden müssen. Das nahm er sehr genau. Oder mal vorzeitig Feierabend machen, wenn wir mit unserer Runde früher fertig waren, war bei Herbert nicht drin. Aber ansonsten war er eigentlich ganz okay als Kollege. Ich kam jedenfalls immer gut mit ihm aus.«

»Er war also ein Pedant, der keine oder nur sehr wenige Freunde hatte«, resümierte Hansen und machte sich eine entsprechende Notiz. Jemand, der so korrekt durchs Leben läuft, macht sich mit Sicherheit nicht immerzu beliebt, dachte er. »Eine letzte Frage noch, Herr Paulus. Dann wären wir erst einmal fertig.« Hansen kramte in seiner Manteltasche nach dem Beweisstück, das ihm Laura Decker kurz zuvor gegeben hatte. Als er es gefunden hatte, zeigte er ihm die Polizeimarke. »Wir haben diese Marke bei dem Opfer sichergestellt. Wissen Sie zufällig etwas darüber?«

Paulus warf nur einen kurzen Blick auf das Stück Metall. Dann zog er ein letztes Mal an seiner Zigarette und drückte den Stummel im Aschenbecher aus. »Herbert war früher Polizist in der DDR. Hat er mir gegenüber mal erwähnt. War er wohl stolz drauf.«

»Das ist ja interessant. Können Sie uns mehr darüber erzählen?«

»Nee, nicht wirklich. Als ich ihn mal gefragt habe, wie das damals so war bei dem Bullen im Osten, meinte er nur, dass er nicht über die Vergangenheit reden wollte. Ich habe das akzeptiert. Aber Georg Fuchs wird Ihnen da mehr zu sagen können. Das war der erste Partner von Herbert. Soviel ich weiß, hat er dem Georg öfter von seinem Leben in der DDR erzählt.«

Hansen notierte sich den Namen in sein Notizbuch, das in Form und Größe an ein Notenheft erinnerte, wie es Lehrer nutzten. Nur dass sein kleines Büchlein einen schwarzen Einband hatte. »Wissen Sie, wo Georg Fuchs wohnt?«

»Keine Ahnung, so gut kannten wir uns nicht. Er ist in Rente gegangen, kurz nachdem ich bei der WUSA angefangen habe. Am besten fragen Sie mal den Chef.«

»Wissen Sie, wo Neumann früher gelebt hat, bevor er nach Aachen kam?«, fragte Riedmann.

Paulus zog die Stirn kraus. »Ich glaube, er hat mal erwähnt, dass er früher in Dresden gelebt hat. Aber ganz sicher bin ich mir nicht«, antwortete er schließlich.

Hansen klappte sein Notizheft zu. »Vielen Dank, Herr Paulus. Wir haben zunächst einmal keine weiteren Fragen. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, können Sie mich jederzeit unter dieser Handynummer erreichen«, meinte Hansen und reichte Paulus seine Visitenkarte, bevor er sich von dem Mann verabschiedete.

Der Wachmann steckte die Karte ein und verließ sichtlich erleichtert das Haus des ermordeten Kollegen. Auch Hansen und Riedmann sahen keinen Grund dafür, dass ihre Anwesenheit am Tatort weiter erforderlich war. Sie gaben noch Laura Decker Bescheid und traten den Rückzug an.

»Wir müssen schnellstens klären, ob Neumann Polizist in Dresden oder einer anderen Stadt war, Stefan. Das könnte eine im Hinblick auf die Polizeimarke, die wir bei dem Toten gefunden haben, wichtige Spur sein«, meinte Hansen, als sie das Haus des Opfers verließen.

»Oder aber eine falsche Fährte«, erwiderte Riedmann.

»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass es nur ein Zufall war, dass wir die Polizeimarke bei der Leiche gefunden haben? Wir müssen alles über seine Vergangenheit als Polizist zusammentragen, was wir nur finden können. Oder siehst du das anders?« Hansen war angesichts Riedmanns destruktiver Haltung, die er an den Tag legte, leicht genervt. Schlafmangel hin oder her.

»Ist ja schon gut. Du hast ja recht. Ich kümmer mich darum, sobald wir wieder im Präsidium sind«, gab Riedmann versöhnlich zurück.

Just in dem Moment, als die Ermittler auf den Bürgersteig traten, hielt das Auto der beiden Kollegen Markus Beck und Jens Marquardt vor dem Haus.

»Ach nee, der Rest des Teams gibt sich auch noch die Ehre. Ich wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben«, sagte Hansen.

»Da können wir uns bei Jens bedanken«, erwiderte Beck genervt. »Dank seiner neuesten Bekanntschaft vom Wochenende, durfte ich einmal quer durch die Innenstadt und wieder zurückfahren, um ihn abzuholen, weil seine Karre nicht angesprungen ist. Und das bei den vielen Baustellen«, erklärte der zweifache Familienvater mit vorwurfsvollem Blick in Richtung Marquardt.

»Jetzt, da ihr da seid, könnt ihr euch auch nützlich machen. Hört euch mal bei den Nachbarn in der Straße um. Vielleicht ist ihnen am Wochenende etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Außerdem möchte ich, dass ihr herausfindet, was sie über den Toten zu sagen haben. Tragt alles zusammen und erstellt mir bitte ein Profil. Und wir beide fahren dann jetzt gleich zur WUSA«, meinte Hansen an Riedmann gewandt. »Mal sehen, was Neumanns Chef und seine Kollegen uns über den Toten berichten können. Außerdem will ich so schnell wie möglich mit diesem Georg Fuchs reden.«

»Wer fährt?«, wollte Riedmann wissen.

»Hatte ich doch glatt vergessen. Wir sind ja beide mit dem Wagen da. Ich fahre. Auf dem Rückweg kannst du dann dein Auto abholen.«

»Dein Wunsch ist mir Befehl«, witzelte Riedmann.

Kapitel 4

Schon wenige Minuten später erreichten die beiden das Betriebsgelände der WUSA in der Zieglerstraße im Gewerbegebiet Eilendorf Süd. Die Befragung starteten die Ermittler mit dem Chef der Firma, Markus Schmitz, in dessen karg ausgestattetem Büro. Doch der konnte leider nicht viel über seinen Mitarbeiter berichten. Neumann wäre ein korrekter Angestellter gewesen, der seinen Dienst gewissenhaft verrichtete. Privaten Kontakt hatte es zwischen dem Chef und dem Wachmann allerdings so gut wie nie gegeben. Sah man einmal davon ab, dass Neumann im vergangenen Jahr seine Kollegen allesamt zum Beerdigungskaffee anlässlich der Trauerfeier seiner Frau eingeladen hatte. Im Großen und Ganzen deckten sich Schmitz´ Aussagen mit denen von Paulus. Deshalb konnte ihnen Neumanns Chef auch keine Informationen über das soziale Umfeld des Ermordeten geben. Ähnlich verhielt es sich mit der Sekretärin, die ebenfalls nicht viel über den Wachmann erzählen konnte. Da ansonsten kein anderer Mitarbeiter der WUSA anwesend war, war die Befragung schnell beendet. Immerhin verließen die Ermittler die Firma nicht gänzlich mit leeren Händen. Schmitz´ Sekretärin hatte ihnen die Personalakte von Herbert Neumann ausgehändigt und auch Georg Fuchs´ Adresse hatten sie jetzt. Eine kurze Überprüfung ergab, dass die Anschrift in Richterich immer noch gültig war. Unverzüglich machten sich die Kommissare direkt auf den Weg zu Neumanns ehemaligem Partner.

Keine Viertelstunde, nachdem sie das Firmengelände verlassen hatten, standen Hansen und Riedmann vor dem Mietshaus in der Berensberger Straße. Sie klingelten und nach wenigen Augenblicken ertönte der elektrische Türöffner. Als Georg Fuchs seine Wohnungstüre öffnete und sich die beiden Ermittler vorstellten, war er sichtlich irritiert.

»Mordkommission?«, fragte er verdutzt nach. »Was ist denn passiert?«

»Das würden wir Ihnen lieber in der Wohnung erklären und nicht unbedingt hier auf dem Flur«, erwiderte Hansen.

»Sicher. Kommen Sie erst mal rein. Und entschuldigen Sie bitte, wie es bei mir aussieht. Ich bin gerade dabei, die Wohnung zu renovieren.«

Fuchs führte die beiden Ermittler in sein Wohnzimmer, wo absolutes Chaos herrschte. Aber irgendwie schafften es die drei, sich auf das Sofa zu quetschen, das eigentlich nur für zwei gemacht war. Hansen, der in der Mitte saß, wandte sich an Fuchs.

»Der Grund unseres Besuches ist leider wenig erfreulich. Heute Morgen wurde Ihr ehemaliger Kollege Herbert Neumann tot in seinem Haus aufgefunden. Genauer gesagt: Er wurde ermordet!«

»Ermordet?«, echote Georg Fuchs bestürzt. »Das kann doch nicht sein. Wie? Wann?«, stammelte er.

»Vermutlich ist er seit letztem Samstag tot. Zu den Einzelheiten seiner Ermordung möchten wir aus ermittlungstechnischen Gründen keine Angaben machen. Wann haben Sie Herrn Neumann zuletzt gesehen oder gesprochen?«

»Sie denken doch hoffentlich nicht, dass ich etwas mit Herberts Tod zu tun habe, Herr Kommissar?«

»Wir stehen gerade erst am Anfang unserer Ermittlungen. Das ist also zunächst einmal eine reine Routinebefragung«, erwiderte Hansen ruhig. »Wir befragen alle Menschen aus dem direkten Umfeld des Ermordeten. Und Sie wurden uns als einer der engsten Vertrauten von Herbert Neumann genannt. Also, wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«

»Ich verstehe. Wobei das mit dem engen Vertrauten mehr als übertrieben ist. Ich habe Herbert schon länger nicht mehr gesehen, das letzte Mal auf der Beerdigung seiner Frau. Und dann haben wir vielleicht noch ein- oder zweimal telefoniert. Seit ich Frühpensionär bin, hatten wir kaum Kontakt.«

»Was für ein Mensch war er?«

Georg Fuchs überlegte nur einen kurzen Moment, bevor er antwortete. »Ganz am Anfang war Herbert echt in Ordnung. Wir haben uns gut verstanden, nicht nur beruflich, sondern auch privat. Aber das war nur der erste Eindruck. Je länger wir uns kannten, desto mehr habe ich meine Meinung diesbezüglich geändert.«

»Und was heißt das konkret?«, bohrte Hansen nach.

»Um ehrlich zu sein, war er ein Arschloch. Ein riesengroßes Arschloch!«

Die Vehemenz der Antwort und der Wortwahl irritierte die beiden Ermittler, die einen kurzen Blick austauschten.

»Können Sie uns das etwas genauer erklären?«, bat der Hauptkommissar.

»Es war ein schleichender Prozess. Es ist ihm wirklich lange gelungen, seine Fassade aufrechtzuerhalten. Aber nach und nach ist die dann gebröckelt. Herbert war ein absoluter Pflichtfanatiker. Er hatte immer etwas an mir zu nörgeln, was meine Arbeitsdisziplin anging. Ich glaube, er kam nicht damit klar, dass er nach der Wende in einem demokratischen Rechtsstaat leben musste. Er hat wohl schon kurz nach dem Mauerfall seinen Job bei der Polizei drüben verloren. Irgendwas muss da vorgefallen sein. Aber bevor Sie nachfragen, ich weiß nicht, was das gewesen sein könnte. Nur eins war klar, er hatte definitiv ein Problem mit der politischen Neuorientierung. Die Uhren im Westen gingen halt ein bisschen anders als im Osten. Gegen Zucht und Ordnung ist ja nichts einzuwenden. Aber er war ein regelrechter Fanatiker, wenn Sie mich fragen.«

»Das klingt interessant. Was kann ich mir genau darunter vorstellen?«, wollte Hansen wissen.

»Gefühlt jeder zweite Satz begann damit, dass sie in der DDR ja alles ganz anders gemacht haben und dass damals ja sowieso alles viel besser war. Es gab keine Arbeitslosigkeit, die Kindererziehung war spitze, die Kriminalitätsrate war niedriger als hier im Westen. Und mit Verbrechern ginge man ja in der BRD ohnehin viel zu lasch um. Lauter solches Zeug!« Fuchs machte eine wegwerfende Handbewegung. »Irgendwann ist mir mal der Kragen geplatzt, und ich bin mit ihm aneinandergerasselt. Hab meinen Chef anschließend darum gebeten, mit einem anderen Partner auf Schicht gehen zu dürfen. Und das, obwohl ich nicht mehr lange hatte bis zur Rente. Es ging einfach nicht mehr«, erklärte Fuchs fast schon entschuldigend.

»Wie haben Sie diesen Wunsch begründet?« Diesmal hakte Riedmann nach.

»Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Partner hin und wieder getauscht werden. Außerdem habe ich ihm nicht erzählt, was der Grund für meinen Wunsch war. Solange die Arbeit gut erledigt wird, stellt der Chef keine Fragen!«

»Und so wurde Kai Paulus der neue Partner von Herbert Neumann. Komisch nur, dass weder Paulus noch Ihr ehemaliger Chef uns etwas von diesen Besonderheiten Ihres Kollegen erzählt haben«, wunderte sich Hansen.

»Das überrascht mich nicht im Geringsten. Herbert war ja nicht dumm. Ihm war klar, dass er es sich nicht erlauben konnte, auch noch mit Kai anzuecken. Und im Gegensatz zu mir hätte Kai dem Chef sicherlich die wahren Gründe für einen Streit genannt. Außerdem hatte ich Neumann klar zu verstehen gegeben, dass er seine Klappe halten sollte, wenn er seinen Job behalten wollte. Offensichtlich hatte er seine Lektion gelernt«, meinte der ehemalige WUSA-Angestellte.

»Können Sie uns etwas über das Privatleben von Herrn Neumann erzählen?«

»Ich weiß nicht mal, ob er überhaupt eins hatte. Selbst in der Anfangszeit, als wir uns noch gut verstanden haben, lebte er ziemlich zurückgezogen mit seiner Frau. Ich war nur zwei- oder dreimal bei ihm zu Hause. Nachdem sie letztes Jahr gestorben ist, hat er sich noch mehr eingeigelt. Freunde hatte er unter den Kollegen jedenfalls nicht.«

»Und Feinde?«, fragte Riedmann.

Georg Fuchs schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Aber er war ein schwieriger Zeitgenosse. Würde mich also nicht sonderlich überraschen, wenn er Feinde hatte.«

Hansen dachte über die nächste Frage nach. »Hatte Herbert Neumann Kinder?«, wollte er schließlich wissen.

»Glücklicherweise nicht. Er hasste Kinder. Er hat sich immer sehr abfällig über sie geäußert. Sie kosteten nur Zeit und Geld, hat er einmal gesagt. Da war er bei mir natürlich an der richtigen Stelle. Meine Frau und ich haben zwei Kinder und mittlerweile sind wir stolze Großeltern eines kleinen Jungen!«, sagte der Mann mit einem Lächeln.

»Dann haben wir für den Moment keine weiteren Fragen. Sollte noch einmal Redebedarf bestehen, wissen wir ja, wo wir Sie finden können. Viel Spaß bei den Renovierungsarbeiten«, meinte Hansen und reichte Fuchs zum Abschied die Hand.

»Ich hoffe, dass Sie den Mörder schnappen. Herbert war zwar sicherlich nicht der liebenswerteste Mensch auf Erden, aber einen gewaltsamen Tod hatte er ganz bestimmt nicht verdient.« Georg Fuchs begleitete die beiden Ermittler zur Wohnungstür und verabschiedete sich dann.

»Was sollte denn die Frage nach den Kindern?«, erkundigte sich Riedmann, als sie die Treppe zum Ausgang hinabstiegen.

»Weil wir schon am Tatort festgestellt haben, dass zu solch einer Tat nur jemand fähig ist, der entweder tiefen Hass empfindet, oder aber einfach nur Spaß am sadistischen Töten hat.«

»Ja und?« Riedmann runzelte die Stirn.

»Herbert Neumann war ein schwieriger Mensch, wie wir gerade erfahren haben. Es wäre ja denkbar gewesen, dass sich zum Beispiel sein Sohn auf diese Weise von dem tyrannischen Vater befreit hat. Aber diese Möglichkeit scheidet jetzt aus.«

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