promo_banner

Реклама

Читать книгу: «Du in meinem Kopf», страница 2

Шрифт:

2. Dinge, die man nicht begreifen kann

Hazel

Ich lief mit Sam unter den hohen Eichenbäumen, die unsere Straße säumten. Ein Rascheln erklang im dichten Laub über uns und im nächsten Moment streifte plötzlich etwas Hartes meinen Arm. Das Au lag mir schon auf der Zunge, als mich aus dem Nichts ein Schlag voller Wucht zu Boden presste. Für einen Moment wurde mir schwarz vor Augen und ein Schwindelgefühl überfiel mich. Taumelnd fand ich mich auf den Knien hockend wieder, mitten auf dem Gehweg.

»Hazel, sag mal, was machst du denn? Bist du gestolpert?« Sam musterte mich verdutzt.

Ich musste ziemlich bescheuert aussehen, so, auf allen vieren. Benommen wartete ich darauf, dass die Welt endlich aufhörte, vor meinen Augen zu kreiseln. »Nein, eigentlich nicht. Irgendetwas hat mich umgehauen.«

»Wie? Dich hat was umgehauen?«

»Keine Ahnung, es kam aus den Bäumen. Hast du das Rascheln nicht gehört?« Ich suchte nach dem Etwas, das auf meinem Arm einen brennenden, roten Streifen hinterlassen hatte und in der Nähe liegen musste.

Fuck. Wo bin ich plötzlich? Hä? Auf einer Straße? Ich war doch gerade noch oben, am Longshaw Peak. Wie ... Wie kann das sein? Hm, mir wurde schwarz vor Augen. Wahrscheinlich bin ich gestürzt, den Hang runtergerollt und hier gelandet. Verdammt weit weg gelandet. Ist ja irre ...

Ich erstarrte. Wer hatte da gesprochen? Das war nicht Sam. Die tiefe Stimme klang eindeutig nach einem Jungen. Wo kam der plötzlich her? Waren wir nicht mehr allein?

Ich sah mich um, doch außer meiner Freundin und mir war niemand in unserer Nähe. Seltsam!

Zur Hölle, wieso bewegt sich meinen Kopf? Ich will das nicht. Wer, wer macht das? Und wer spricht da?

»Hey, nein, wer spricht da? Wer und wo bist du?«, rief ich gereizt. Doch ich bekam keine Antwort. Da stand nur Sam vor mir, die mich beobachtete, als sei ich eine Irre.

»Wer soll sprechen? Hier ist niemand außer uns. Nur du und ich.«

Der rote Lockenkopf?Fuck! Wo kommt die denn auf einmal her? Wieso redet die mit mir, als würde sie mich kennen? Moment mal ... War das gerade meine Stimme? Aber ... ich habe wie ein Mädchen geklungen. Das kann doch gar nicht sein, denn erstens bin ich ein Kerl und zweitens wollte ich das gar nicht sagen.

Scheiße, scheiße, scheiße! Ich war wahnsinnig geworden. Mich hatte der Schlag getroffen und ich hörte eine fremde, fremde männliche Stimme in meinem Kopf. Nein, nein, nein. Das durfte nicht sein. Du wirst nicht verrückt, Hazel. Du wirst nicht schizophren! Ausgeschlossen! Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen.

Hazel?

Sam legte ihre Hand auf meine Schulter. »Alles in Ordnung mit dir?«

Ohne es zu beabsichtigen, schnappte ich grob ihre Finger. »Hey, was soll das? Lass das!«, polterte es angriffslustig aus meinem Mund.

Erschrocken ließ ich Sam los und schlug mir die Hand vor den Mund. Scheiße, das hatte ich gar nicht gewollt.

»Oh, entschuldige, ich rühr dich nie wieder an«, maulte Sam beleidigt. »Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht.«

Ist Hazel das Mädchen mit der langen, braunen Mähne und den schmuddeligen Klamotten? Ich bin jetzt Schmuddel- Hazel?

Ungewollt beugte ich plötzlich meinen Kopf und starrte auf meine Hände, die ich langsam vor meinen Augen drehte, als hätte ich sie noch nie zuvor gesehen. Dabei kannte ich jeden einzelnen der zehn Ringe, die ich an meinen Fingern trug. Ich wusste genau, welches der vielen Armbänder ich wann und wo gekauft hatte, die meine beiden Handgelenke bedeckten. Ich hatte sie heute Morgen angezogen. Mir war auch klar, dass der dunkelblaue Metalliclack bereits von meinen Fingernägeln abblätterte und sie noch kürzer wirken ließ. Auch die weißen Farbflecke auf meiner ausgefransten Jeans waren nichts Neues für mich. Beim letzten Projekt im Kunstkurs hatte ich mit zu flüssiger Farbe und einem breiten Pinsel hantiert.

Oh nee! Ausgerechnet die? Wieso? Und warum überhaupt? Das kann doch nicht wirklich passieren. Das kann nur ein Traum sein. Verfluchte Scheiße, es muss ein Traum sein. Ja, genau. Als ich am Longshaw Peak stürzte, muss ich mir den Kopf angeschlagen haben. Ich träume das alles bloß. Ja, das ist die einzige Erklärung, die logisch klingt.

O Gott, ich war wirklich ein Schizo und mein zweites Ich konnte mich nicht leiden! Es beleidigte mich sogar. Es nannte mich Schmuddel-Hazel. Eindeutig: Ich war ein Fall für den Psychiater. Ich sollte mir schleunigst einen suchen, bevor mir mein zweites Ich, also ich selbst, mir noch etwas antat.

Du, du kannst meine Gedanken hören? Hazel, hörst du mich, obwohl ich nicht mal den Mund bewege?

Oh, Hiiiilfe! Hiiiilfe! So helft mir doch! Ich musste ganz dringend zu einem Arzt! Und zwar so schnell wie nur möglich!

Hazel, nein, warte, das ist nur ein Traum. Zwar ein ziemlich krasser, aber nicht die Wirklichkeit. Hoffe ich.

In meiner Panik versuchte ich aufzustehen. Ich wollte vor der Stimme in meinem Inneren weglaufen, ihr entkommen. Aber mein Körper gehorchte mir nicht, wie er sollte. Es fühlte sich an, als könnte ich nur die rechte Hälfte bewegen. Die linke tat nichts, sie blieb bewegungslos am Boden hocken. Verdammt, hatte ich einen Schlaganfall? War das auch die Erklärung für die Stimme in meinem Kopf?

Wir haben einen Schlaganfall? Nein, nein, das glaub ich nicht. Hazel, hör mir zu: Offensichtlich teilen wir uns deinen Körper und ich verfüge über eine Seite. Mann, das ist ja echt voll abgefahren. Das kann nur ein Traum sein.

Oweia, jetzt nannte mein schizophrenes, männliches Ich mich schon beim Namen, lachte mich aus und glaubte, es würde träumen. Das war gar nicht gut.

Ganz ruhig, Hazel. Ich habe verstanden. Du willst aufstehen? Gut, dann werde ich das jetzt auch tun – zusammen mit dir. Okay?

»Sag mal, willst du da noch ewig am Boden hocken bleiben?« Ungeduldig stand Sam über mir.

»Nein, das wollen wir nicht!«, purzelte es ungewollt aus meinem Mund.

»Wir? Du redest jetzt in Mehrzahl von dir?« Sam zog ihre Augenbrauen in die Höhe. »Oh, Eure Majestät Hazel Penelope Brown. Langsam mach ich mir Sorgen, dass dich irgendetwas am Kopf erwischt hat. Ehrlich.«

»Ich meinte natürlich: Ich will aufstehen«, beeilte ich mich, meine vorige, unbeabsichtigte Aussage zu korrigieren. Im Stillen bat ich: Liebes schizophrenes, männliches Ich, halt bitte, bitte einfach meine Klappe!

Nach einem angstvollen Atemzug versuchte ich erneut aufzustehen. Obwohl ich spürte, dass ich keine Macht über das linke Bein und den Arm hatte, bewegten sie sich. Allerdings nicht so geschmeidig wie üblich, wie die auf der rechten Seite, sondern aufgeregt federnd als wäre diese Körperseite nervös. Ich kam mir vor wie eine fremdgesteuerte Marionette, deren linke Gliedmaßen an Fäden hängten. Dementsprechend unbeholfen kam mein Körper auch auf die Füße. Es brauchte Zeit und musste zum Brüllen aussehen, wie ich einseitig torkelnd aufstand.

Also erstens: Hazel Penelope Brown - was ist das für ein komischer Name? Was Dümmeres ist deinen Eltern wohl nicht eingefallen, was? Und zweitens: Ich bin nicht dein schizophrenes, männliches Ich, sondern ein Kerl aus Fleisch und Blut. Okay, jetzt zwar gerade nicht, aber im Normalfall. Mein Name ist Connor Ward und offensichtlich habe ich einen Traum, in dem ich in deinen Körper verfrachtet wurde. Zwar komisch, dass ich ausgerechnet in deinem landen musste, da ich dich nur vom Sehen kenne. Aber womöglich liegt es daran, weil ich dich vorhin im Park mit deiner Freundin bemerkt habe. Denn wenn ich ehrlich bin, finde ich dich irgendwie niedlich. Du gehörst zwar zu den Freaks und wirkst irgendwie schmuddelig und abgerissen, allerdings auf eine verquere sexy Art. Ja, wahrscheinlich faszinierst du mich auf seltsame Weise und deswegen träume ich von dir.

»Ah haha«, lachte ich panisch auf.

»Was gibt es da zu lachen?«, fragte mich Sam und begutachtete mich noch immer mit einer Mischung aus Sorge und Wut.

»Och, nichts«, stammelte ich.

Connor Ward? Mein Ich hielt sich für Connor Ward und hielt mich für einen niedlichen, schmuddeligen Freak mit Sexappeal? Das war krass!

Herrgott, hör mir doch mal zu: Ich bin nicht dein schizophrenes Ich. Ich bin kein Teil von dir. Du bist du, Hazel Penelope Brown, und ich bin ich, Connor Ward, der Kapitän der New Stamford Tigers.

Ach, du heilige Scheiße, Connor Wards Geist war in meinen Körper gefahren? Wie? Und vor allen Dingen warum? Aber … das war doch unmöglich.

Oh Mann, endlich hat sie es gerafft. Und offenbar ist es doch möglich – zumindest in meinem Traum. Alles was du dich fragst, frage ich mich auch, Hazel. Wieso träume ich? Weshalb bin ich gestürzt? Wo liegt mein Körper jetzt? Und noch viel wichtiger: Wie schwer bin ich verletzt? Oh heilige Scheiße, womöglich bin ich tot. Und das alles ist gar kein Traum, sondern real?

»Gehen wir jetzt weiter oder willst du da noch Wurzeln schlagen?« Sams Stimme riss mich aus der aberwitzigen Unterhaltung, die sich in meinem Inneren abspielte. Mit erwartungsvoller Miene stand sie vor mir und gab mir mit den Händen ein Zeichen, dass ich vorwärtsgehen sollte.

Ich zögerte, denn ich befürchtete, dass mein Körper mir wieder nur zur Hälfte gehorchen würde.

»Ja, ist ja gut.« Vorsichtig versuchte ich einen ersten Schritt, dann den zweiten. Aber den führte ich vollkommen anders aus. Ohne einen Ton verlauten zu lassen, kämpfte ich im Weitergehen darum, meinen Körper in Einklang zu bringen. Doch meine linke Schulter schwang ständig übertrieben von hinten nach vorn, während mein linker Ellbogen es vorzog, sich so weit weg wie möglich von meinem Körper aufzuhalten, als wollte er ein laues Lüftchen unter den Achseln wehen lassen. Der linke Hüftknochen drängte sich bei jedem Schritt vorwitzig in den Vordergrund. Weiß der Geier, warum er das tat. Der Gang verhielt sich komplett gegsätzlich zu meinem gewöhnlichen. Ich bewegte mich wie eine besoffene Ente mit zwei linken Flossen.

»Hazel, was machst du da? Wie läufst du denn?«, fragte Sam auch schon hinter mir.

»Ähm, die linke Seite tut mir etwas weh. Muss mir beim Sturz wohl was geprellt haben.«

Geniale Ausrede, Hazel. So wird sich deine Freundin keine weiteren Gedanken mehr machen, wenn wir wie ein vollgedröhnter Kiffer durch die Gegend torkeln. Aber jetzt müssen wir so schnell wie nur möglich zum Longshaw Peak hoch. Wir müssen meinen Körper suchen.

Sam prustete in sich hinein. »Na, wenn du so bei deinem nächsten Blind Date auftauchst, als der Glöckner von Notre Dame, wirst du wahrscheinlich den Kerl schneller loswerden, als du dir eine Cola bestellen kannst.«

Okay, ich hab schon verstanden. Ich werde versuchen ... weiblicher zu gehen – oder was auch immer. Aber jetzt lass uns endlich umkehren. Beeil dich! Bitte!

Plötzlich legte mein Körper eine Linkswendung hin und stürmte mit der linken Seite voran, während die rechte hinterher geschleift wurde.

»Nein! Halt!«, schrie ich überrascht auf und wehrte mich gegen die Kraft, die mich in die entgegengesetzte Richtung drängte.

»Was ist? Hast du was vergessen?«, fragte Sam.

»Ja«, purzelte es aus mir ungewollt heraus. »Nein«, behauptete ich aber gleich darauf wieder und versuchte, das Seilziehen in meinem Körper zu gewinnen. Währenddessen schleppte er sich bereits an Sam vorüber, die mir mit offenstehendem Mund hinterherschaute.

Hazel, bitte. Vielleicht liege ich da irgendwo und verblute gerade. Wenn du mich also loswerden willst, muss mein Körper am Leben bleiben. Wir müssen ihn finden und Hilfe holen.

Geschockt hielt ich die Luft an. Was, wenn ich nicht verrückt war? Wenn Connors Geist wirklich in meinem Körper gelandet war? Was war dann mit seinem passiert?

Also gut, zischte ich in Gedanken, wir, ich gehe zum Longshaw Peak hoch. Aber du hältst dich von nun an aus meinen Körperfunktionen raus, Connor Ward.

Okay. Abgemacht. Ich weiß nicht, ob das klappt, aber ich versuche es. Nur bitte, renne jetzt so schnell du kannst zum Longshaw Peak. Bitte.

Ich spürte, wie ich die volle Gewalt über meinen Körper zurückbekam. Noch im Laufschritt drehte ich mich nach Sam um. »Tut mir leid. Mir ist eingefallen, dass ich doch noch etwas erledigen muss. Bis dann.« So schnell wie meine Beine mich trugen, rannte ich den Weg zurück, den ich gerade mit Sam entlang geschlendert war.

Danke!

Über eins solltest du dir jedoch im Klaren sein, Connor, sprach ich im Geiste zu mir oder vielmehr zu uns. Wenn das hier, wie du sagst, ein Traum ist, werde ich deinen Körper vermutlich nicht finden. Und außerdem, fühlt es sich für mich ganz und gar nicht wie ein Traum an, sondern erschreckend real und ... absolut irrsinnig. Wollte ich nur mal gesagt haben.

3. Dinge, die man nicht sehen will

Ich hetzte zur Lincoln Lane, die unterhalb des Longshaw Peaks verlief und zur anderen Seite ins Villen-Viertel Queens und damit auch auf den Weg führte, den viele Jogger für ihr Lauftraining benutzten.

Hazel, warte! Lass uns erst hier unten nach meinem Körper schauen. Ich könnte auch den Abhang heruntergerollt sein.

Okay, wenn du meinst.

Ich konnte nicht glauben, dass ich mit mir selbst oder mit der Stimme von Connor redete und auch noch tat, was die von mir verlangte.

Falls dir das ein Trost ist, ich kann es auch nicht glauben. Und ja, ich kann deine Gedanken hören, auch wenn du sie nicht direkt an mich richtest.

Scheiiiiße, ich konnte nicht mal ein kleines Geheimnis für mich behalten? Er hörte alles? Ohje, wirklich alles? Sogar ... Ich traute mich nicht, den Gedanken zu Ende zu denken und doch entstand er in meinem Kopf.

Ja, ich höre alles. Auch, dass du mich blöd ... und süß zugleich findest? Okay, das ist nett, aber nur zur Info, kein Kerl möchte als süß bezeichnet werden.

Heilige Scheiße, der hörte echt jedes Wort. Ob laut oder heimlich gedacht.

Übrigens: Mädchen möchten auch nicht als niedlich bezeichnet werden. Nur, weil wir vielleicht nicht so groß sind wie ihr Jungs, heißt das noch lange nicht, dass wir klein sind.

Sag mal, was ist eigentlich dein Problem? Ich mach dir ein Kompliment und du ...

Nein, was ist dein Problem? Du hast doch damit angefangen. Mit einer tief klingenden Stimme äffte ich ihn im Geiste nach: Typen möchten nicht als süß bezeichnet werden, du niedliche Schmuddel-Hazel.

Ein männliches Lachen erklang in meinem Kopf. Du bist echt witzig.

Und du bist doof.

Immer noch besser als tot. Also halte jetzt bitte die Augen nach meinem Körper offen. Vielleicht liegt er hier irgendwo an einem Baum oder auf einem Felsen zerfetzt herum.

Außer Atem hatte ich mittlerweile die Lincoln Lane erreicht und drosselte meinen Gang in einen lockeren Laufschritt.

Na, du gerätst ja ganz schön schnell aus der Puste. Könntest ein bisschen mehr Sport treiben, was?

Und du könntest einfach mal die Klappe halten, was?

Über mein lautes Atmen hinweg vernahm ich ein leises, inneres Prusten, das ich jedoch ignorierte. Wortlos konzentrierte ich mich auf die gegenüberliegende Seite und suchte nach Connors Körper. Ich war nun am Fuß des Longshaw Peaks, dessen steiler Hang von großen Felsen, aber auch von kleinen Geröllhalden und einzelnen Bäumen übersät war. Das schroffe Gelände war schlecht einzusehen. Es gab zu viele versteckte Winkel und die Dämmerung machte es auch nicht besser. Dementsprechend langsam kam ich mit meiner Suche voran. Ich wanderte die Straße ein Stück weiter. Die Augen stets auf das Gefälle und den Graben gerichtet, die sich hinter der schwach befahrenen Straße erstreckten.

Da ist nichts, stöhnte ich in Gedanken. Wir näherten uns allmählich der weitläufigen Kurve, die um den Hügel herum und zu den anderen Viertel von New Stamford führte.

Bist du dir sicher, dass du hier irgendwo liegen müsstest? Ist das die richtige Stelle?, frage ich Connor im Stillen.

Ich weiß es nicht genau. Es war nur eine Vermutung, dass mein Körper hier sein könnte. Wahrscheinlich liegt er doch noch oben bei den Felsblöcken irgendwo.

Ich schaute zu den Felsbrocken hoch, die über mir den dahinter verlaufenden Weg abschirmten.

Also gut, lass uns dort hoch gehen.

Einen Zahn schneller als zuvor lief ich weiter, ließ die Kurve hinter mir und erreichte bald die Kreuzung, wo sich die Lincoln Lane und die Longshaw Road trafen. Letztere eilte ich entlang. Doch wegen der Steigung wurde ich immer langsamer. Ich schnaufte wie eine zigarrenabhängige Dampflok und bekam zu allem Übel auch noch Seitenstechen.

Alter, kratz mir jetzt bloß nicht ab.

Wieso? Dann hättest du meinen Körper für dich allein.

Um Gotteswillen, bloß nicht. In einem Mädchenkörper feststecken? Und dann auch noch in deinem. Nein, danke.

Ey, echt, du bist so ein mieser Arsch.

Hm, aber vielleicht wach ich dann auf, wenn du stirbst.

Vergiss es, den Gefallen zu verrecken mach ich dir nicht. Eher melde ich mich beim Leichtathletikkurs an.

Vielleicht tut es ja auch eine Ohnmacht.

Nein! Bist du blöd? Wer weiß, was dann mit meinem Körper passiert. Außerdem könnte es ja sein, dass auch dein Geist ohnmächtig wird. Oder stirbt. Vor allem, wenn dein eigener Körper schon den Abgang gemacht hat.

Fuck! Jaa, du könntest recht haben.

Die Dämmerung hatte sich über New Stamford gelegt. Ich hatte den Longshaw Peak noch nicht erreicht, als hinter mir eine Sirene ertönte. Ein Rettungswagen kam mit wirbelndem Blaulicht und ohrenbetäubendem Sirenengeheul den Weg hochgebraust. Ohne abzubremsen, donnerte er an mir vorüber und ich musste mich mit einem Sprung ins Gras in Sicherheit bringen.

Scheiße, ich glaube, die haben deinen Körper gefunden. In meinem Kopf herrschte Totenstille.

Connor? Bist du noch da? Hast du mich gehört?

Ja, habe ich. Er räusperte sich. Kannst du bitte nachsehen, ob sie wirklich wegen mir gekommen sind?

Connors Stimme war anzuhören, dass es ihm gerade den Boden unter den geistigen Füßen fortgezogen hatte. Und auch ich spürte seinen Schock, der mir durch alle Glieder jagte. Das Gefühl traf mich unerwartet, sodass ich schlucken musste. Klar, wer wollte seinen eigenen Unfall sehen. Ehe ich mich zurückhalten konnte, hatte ich die Worte schon gedacht: Schon okay, Connor, ich habe auch Angst vor dem, was wir dort oben finden könnten.

Ich habe keine Angst. Geh einfach.

Für einen Augenblick senkte ich die Lider, verbot mir, etwas zu denken und trottete weiter. Plötzlich durchbrach lautes Motorgeheul die Abenddämmerung. Abrupt blieb ich stehen und sah mich um. Ein Sportwagen peste in einem Affentempo an mir vorbei.

Meine Eltern.

Meine Beine bewegten sich, obwohl ich das gar nicht beabsichtigt hatte. Doch ich kämpfte nicht dagegen an. Klar wollte Connor zu ihnen, schauen, was mit ihm dort oben geschehen war. Ich überließ ihm meinen Körper, denn instinktiv wusste ich, dass er sowieso nichts anderes zugelassen hätte. Ehrlich, so schnell war ich noch nie gerannt. Nie hätte ich vermutet, dass meine Beine dazu überhaupt in der Lage waren. Meine Lungen brannten wie Hölle und mir floss der Schweiß in Strömen den Rücken hinunter, aber dem schenkte Connor keine Beachtung. Er trieb meinen Körper über seine Grenzen hinaus an und als wir im Blaulicht des Krankenwagens zum Stehen kamen, zitterten meine Beine wie verrückt.

Connor erfasste die Lage mit einem nervös umherirrenden Blick. Ein Polizeiwagen war ebenfalls vor Ort. Zwei Sanitäter verfrachteten eilig eine Trage, auf der ein Körper bewegungslos unter einer Decke ruhte, in den Rettungswagen. Doch, ob es wirklich Connors war, konnte ich nicht zweifelsfrei erkennen. Eine Sauerstoffmaske bedeckte das Gesicht des Verletzten, doch die dunkelblonden Wellen, die in kurzen Strähnen unter dem Kopfverband hervorkrochen, verrieten mir, dass es nur Connor Ward sein konnte. Mein Blick huschte zu seinen Füssen, die in schwarzen Sneakern steckten.

Fuck! Das sind meine Schuhe. Das bin ich ... Scheiße, Mann! Das ... das ist kein Traum! Das ist echt. Ich liege wirklich da.

Mein Herz klopfte wild in meiner Brust und selbst wenn meine Atmung es zugelassen hätte, hätte ich nicht gewusst, was ich sagen oder denken sollte. Es hätte die Situation nicht besser gemacht. Ich überließ Connor weiterhin die Führung meines Körpers, denn ich hatte ohnehin das Gefühl, nur eine machtlose Zuschauerin zu sein.

Er ließ den Blick über die wenigen Menschen schweifen, die sich neben dem Rettungswagen eingefunden hatten. Da standen zwei Cops, während der eine Aufnahmen von den Felsen machte, sprach der andere mit zwei jungen Joggerinnen und machte sich Notizen. Ich kannte die beiden Mädchen aus der Highschool. Mit bestürzten Mienen hielten sie sich gegenseitig samt ihren gezückten Smartphones in den Armen. Ein anderer Mann, der einen Hund an der Leine führte, verfolgte kritisch das Treiben der Sanitäter. Neben ihm tröstete ein großer, schlanker Smokingträger mit ergrauten Schläfen, eine Blondine im Abendkleid. Im grellen Blaulicht entdeckte ich in dessen Gesichtszügen nicht nur eine tiefe Betroffenheit, sondern auch die Ähnlichkeit mit Connor. Das Gesicht der Frau konnte ich dagegen nicht erkennen, da sie es an die Brust des Mannes gebettet hatte. Ihre Schultern bebten, während sie immer wieder laut schluchzte. Das Paar, das Connors Eltern sein musste, stand vor dem Sportwagen, der an uns vorüber gerast war.

Mom? Dad? Ich dachte, sie sind bei einem Geschäftsessen. Wie sind sie so schnell hierher gekommen?

Die beiden Mädchen sind mit uns auf der Highschool. Sie kennen dich. Ich tippe, dass sie oder der Spaziergänger die Polizei gerufen haben und die deine Eltern verständigten.

Neben den beiden befand sich ein weiterer Sanitäter, der sich mit Connors Vater unterhielt. Zwischendurch nickte er immer wieder und nachdem seine Kollegen die Bahre mit Connor im Krankenwagen verstaut hatten, stieg er ebenfalls ein. Mit Sirene und Blaulicht rauschten sie davon.

Gebannt starrte Connor zu seinen Eltern – und ich mit ihm. Ob ich wollte oder nicht, wurde ich Zeugin, wie sein Vater den Rücken seiner Mutter streichelte und leise auf sie einsprach. Ich kam mir vollkommen fehl am Platz vor, als würde ich etwas Intimes beobachten, das nicht für mich bestimmt war. Im selben Moment setzten sich meine Füße in Bewegung und steuerten geradewegs die Wards an. Panik brach in mir aus und innerlich schrie ich: Nein, Connor. Halt! Stopp! Was tust du da? Ich kann nicht zu deinen Eltern gehen, sie kennen mich doch gar nicht.

Vehement stoppte ich den Lauf meiner Füße, die sich ohne mein Zutun in Bewegung gesetzt hatten.

Ich ... Ich weiß. Aber ... ich muss zu ihnen. Du musst zu ihnen, ihnen sagen, dass es mir gut geht.

Bist du wahnsinnig? Ihr Sohn wurde gerade mit dem Rettungswagen fortgebracht. Wie soll ich da vor sie hinstehen und ihnen erklären, dass mit dir alles okay ist?

Sag ihnen einfach, dass ich hier, in deinem Körper, in dir drinstecke – mit dir.

Klar, und das glauben sie mir auch sofort. Wirkt ja auch nicht das kleinste Bisschen irre. Du Irrer!

Bitte, Hazel, wir müssen das tun. Wir müssen zumindest versuchen, ihnen die Sache zu erklären.

Wie soll ich ihnen das erklären, wenn wir es uns selbst nicht mal erklären können. Ich kann ja nicht mal glauben, was hier gerade passiert.

Erneut versuchte Connor meine Beine wieder in Gang zu setzen, doch ich wehrte mich.

Nein! Auf gar keinen Fall werde ich dir gestatten, zu ihnen hinüber zu watscheln und sie dumm anzuquasseln. Das ist mein Körper und ich werde nicht zulassen, dass er wegen dir in der Psychiatrie landet.

Plötzlich nahm ich einen tiefen Atemzug und öffnete meinen Mund. Das laute »Mom!«, entwischte mir, aber für das »Dad!«, war ich schnell genug und klatschte mir noch rechtzeitig die Hand auf den Mund, sodass es nur ein ersticktes Gemurmel wurde. Die Sache mit meinen Füßen lief dagegen völlig aus dem Ruder. Wir näherten uns Connors Eltern in einem seitlich schleppenden Galopp, da ich noch immer mit Connor um die Gewalt über meine Füße rang. Nebenbei bemühte ich mich, unser Vorwärtskommen aufzuhalten, indem ich meinen Oberkörper zurückbog. Doch das alles brachte nichts, Connor war außer Rand und Band. Mein Glück war, dass niemand meine irren Verrenkungen und vermummten Rufe im Dunkeln mitbekam, denn die Wards bedankten sich bei den Mädchen und dem Hundehalter, die Connors Körper vermutlich entdeckt hatten.

Connor!, rief ich im Geiste. Connor, hör auf! Lass uns logisch an die Sache rangehen. Ich rede mit deinen Eltern, aber vorerst auf meine Weise. Okay? Dann sehen wir weiter.

Ein Knurren dröhnte durch meinen Kopf. Also gut. Ich lass dir erstmal den Vortritt.

Das wird schon. Du wirst sehen.

Connors dahingesagtes erstmal ließ mich innerlich mit den Zähnen knirschen, aber ich überging es. Schließlich stand er, nachdem was wir soeben mitanschauen hatten müssen, auf mehreren Ebenen total neben sich. Es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ihm beizubringen, dass die komplette Übernahme meines Körpers durch mich nicht nur eine Ausnahme, sondern der normale Zustand sein würde. Er war nur ein Gast in meinem Körper und darüber würden wir uns noch genug streiten, das wusste ich jetzt schon.

Ich gönnte mir einmal tief durchzuatmen, bevor ich mich zu den Wards aufmachte. Wie vereinbart hielt sich Connor aus meinen Körperbewegungen raus. Sofort spürte ich, dass ich auch über die linke Körperhälfte wieder Macht hatte. Mann, das war echt eine Wohltat, normal laufen zu können und nicht krampfhaft versuchen zu müssen, Connors schlendernden Gang auszugleichen.

»Vielen Dank, euch beiden, für eure schnelle Hilfe«, wisperte Connors Mutter mit tränenüberströmtem Gesicht zu den beiden Mädchen.

»Ja, nicht auszudenken, was Connor hätte geschehen können, wenn ihn hier oben niemand gefunden hätte. Wir werden euch immer dankbar dafür sein«, stimmte sein Vater mit ein.

Die Mädchen verabschiedeten sich schniefend, schafften es aber noch, mich mit verächtlichen Blicken zu mustern, bevor sie tuschelnd davon joggten.

Blöde Hühner, als hätte ich kein recht hier auf dem Longshaw Peak zu sein.

Ach, komm schon, Hazel. Dieses Gezicke ist doch normal unter Mädchen. Stell dich nicht so an. Warum solltest du nicht hier sein dürfen?

Was redest du da? Das ist gar nicht üblich unter Mädchen. Sind dir nicht ihre teuren Sportklamotten und Laufschuhe aufgefallen? Die beiden stammen aus Queens und sie sehen in mir eine, die nicht hierher gehört. Es ist genau dasselbe, was du in mir siehst: Schmuddel-Hazel.

Das stimmt doch überhaupt nicht.

Ach, nein? Wie war das noch gleich? >Oh nee! Ausgerechnet die?<

Das ... Ähm ...

Eben.

Erwartungsvoll starrten mich Connors Eltern an. Ich musste ziemlich blöd aussehen, wie ich so stumm und regungslos vor ihnen herumstand.

»Ja?«, fragte mich Connors Vater ungeduldig.

»Ich ... ich bin Hazel Brown, Mr. Ward. Connor und ich ... wir ... wir sind Schulkameraden und ... kennen uns gut. Ich habe das mit seinem Unfall mitbekommen und mache mir Sorgen, wie es ... ihm geht.«

Mr. Ward nickte betrübt. »Danke, Hazel. Das ist sehr aufmerksam von dir. Die Sanitäter haben ihn mitgenommen. Wie es ihm geht, konnten sie nicht mit Gewissheit sagen, nur, dass er ohne Bewusstsein ist.«

»Das tut mir leid. Weiß man, was mit ihm passiert ist, wieso er nicht mehr bei sich ist?«

Gute Frage.

Mr. Ward presste seine Lippen aufeinander. Sein Blick huschte zu dem Spaziergänger mit dem Hund. »Nein, der Herr dort drüben fand ihn vor den Felsen. Anscheinend ist Connor gestürzt und hat sich am Kopf verletzt.«

Mrs. Ward heulte auf. »Mein armes Baby.«

Oh, Mom, ächzte Connor genervt.

Hey, sie macht sich Sorgen um dich.

An seinem Tonfall konnte ich hören, dass er sich für die Worte seiner Mutter schämte, weshalb ich mir ein gedankliches Du armes Baby nicht verkneifen konnte.

Halt die Klappe und frag meinen Dad, in welches Krankenhaus sie mich bringen.

Aber sicher, das käme ja auch gar nicht stalkerhaft rüber.

Ehrlich, das ist mir jetzt gerade sowas von scheißegal, Hazel. Mach es einfach.

Wie wäre es mit bitte?

Bitte.

Er schafft es, dass es wie ein Schimpfwort klang. Aus Mitleid hackte ich jedoch nicht weiter auf Connor herum und wandte mich an seinen Vater.

»Würden Sie mir bitte verraten, in welches Krankenhaus Connor gebracht wird? Ich würde ihn gerne besuchen.«

Damit ich ihm dann den Hals umdrehen kann, wenn er so wehrlos in den Kissen liegt.

Hey, das ist nicht witzig.

Okay. Nein, ist es nicht.

Na ja, ein kleines Bisschen schon, lenkte Connor ein, worauf ich mir ein Grinsen verkniff.

Täte ja auch vor seinen Eltern einen echt super Eindruck hinterlassen, wenn ich, nachdem ich gerade erfahren habe, dass ihr Sohn im Koma liegt, breit grinsen würde.

»Sie sagten, sie würden ihn ins Green Haven Medical Center bringen. Dort hätten sie Spezialisten für Hirnschädigung.«

Das ist in Penshecola. Verdammt, dann machen sie sich ziemlich Sorgen, dass es ernst sein könnte.

Klar, tun sie das.

»Das ist in Penshecola, nicht wahr?«, vergewisserte ich mich nochmals bei Connors Vater, um jedes Missverständnis auszuschließen.

Mr. und Mrs. Ward nickten synchron. Ich bedankte und verabschiedete mich. Als ich davon gehen wollte, blieb meine linke Körperhälfte jedoch stehen.

293,24 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
261 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783754184882
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip