Читать книгу: «Das brennende Meer», страница 4

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Johanna zögerte etwas mit der Antwort, sie wusste nicht genau, wie sie den Neuankömmling anreden sollte. Die anderen Jungen waren Bauernsöhne aus der Gegend, zu ihnen konnte man du sagen. Aber dieser etwas ältere fremde Mann kam aus der Stadt.

»Ja, danke«, antwortete sie und umging so vorläufig das Problem.

Sie nahm den Feldstecher, richtete ihn gegen den Horizont, erkannte die Inseln um Signilskär herum, vergrößert, aber in dem grauen Licht ein wenig verschwommen. Dann senkte sie den Feldstecher auf die Meeresoberfläche, blickte in Richtung Singö und auf die Inseln da draußen, Måssten und Halsaren, senkte den Feldstecher und erblickte das Eisboot. Es war noch nicht weit gekommen, einer der Männer saß immer noch vorne und schlug das Eis auseinander, die anderen ruderten.

»Ich habe von deinem Vater gehört«, sagte Albert.

Johanna blickte immer noch durch den Feldstecher, sie sagte nichts, nickte nur als Antwort.

In diesem Moment begannen die Klappen auf dem Telegrafenhäuschen zu rattern, eine nach der anderen, in schneller Abfolge nahmen sie neue Stellungen ein, das ging mehrere Sekunden lang so. Einer der Signalisten dort drinnen hatte offenbar eine Nachricht erhalten und sie bestätigt, oder vielleicht war auch eine neue Mitteilung von hier abgegangen, möglicherweise etwas, was auf dem Papier gestanden hatte, das Johanna vom Posthaus mitgebracht hatte.

Albert sah hinauf zu den Signalklappen, murmelte etwas vor sich hin, nickte und sah ernst aus.

»Können Sie die verschiedenen Zeichen deuten, Albert?«, wollte Johanna wissen.

»Nicht alle, aber recht viele. Wir haben ja die Tabelle, die wir zu Rate ziehen können, wenn wir etwas nicht wissen.«

Johanna wusste, in welchem Fach neben dem Teleskop sich die Signaltabelle befand. Sollte sie es wagen, Albert zu fragen, ob sie sie einmal ansehen dürfte?

Sie unterließ es, aber bald würde sich sicher eine neue Gelegenheit bieten.

Der Besuch des Kanzleirates

Zu Neujahr kamen Gäste: Alle Betten im Posthaus waren belegt, die Gäste aßen und tranken, wurden bedient, brauchten saubere Bettwäsche, und es musste Holz auf die Zimmer gebracht werden. Für die Mägde des Posthauses bedeutete das kurze Nächte, frühes Aufstehen am Morgen. Als die Gäste wieder abgereist waren, ließen sie einige Zeitungen zurück. Johanna nahm sie an sich, las über Stockholm und über den Krieg draußen in der Welt.

Die Kälte hielt den ganzen Januar über an, die Bucht war völlig vereist, doch der Wind brach Eisrinnen in das Åländische Meer. Eisschollen türmten sich auf und erschwerten die Überfahrt mit dem Schlitten. Reisende kamen erschöpft und müde ins Posthaus, um dort zu übernachten.

Johanna ging oft mit dem Essen hinauf zur Telegrafenstation. Sie sah den Signalisten bei der Arbeit zu, fragte, lernte das eine oder andere. Eines Abends hörte sie vom Postmeister, dass am folgenden Tag ein paar Herren aus Stockholm kommen würden, um die Telegrafenstation zu inspizieren. Johanna dachte nicht weiter darüber nach, es kamen ja hin und wieder Leute aus der Hauptstadt.

Die Herren trafen vormittags mit dem Wagen ein, sie waren zu dritt, einer von ihnen hieß Edelcrantz. Johanna erfuhr, dass er der Konstrukteur der Telegrafenstation war.

Ein wenig später bediente Johanna die Besucher im Salon. Die Herren waren in eine Diskussion vertieft, sie beachteten Johanna nicht. Sie brachte Kaffee und Gebäck, stellte sich an die Wand, um auf weitere Anweisungen zu warten, gleichzeitig hörte sie dem Gespräch zu, das sich um die Telegrafenstation drehte und um die Schwierigkeiten, die Tabellen deuten zu lernen.

»Mir macht Ihre Tabelle etwas Sorgen, Herr Kanzleirat«, sagte einer der Männer, die sich in der Gesellschaft von Edelcrantz befanden. »Einige der Signalisten brauchen sehr lange, um die Kombinationen zu finden, aber so ist das wohl mit der neumodischen Technik, dass Schwierigkeiten nicht zu vermeiden sind.«

»Ich bin absolut nicht deiner Meinung, lieber Maurius«, antwortete Edelcrantz. »Ich behaupte, dass sogar ein Kind mein System leicht lernen kann.«

»Ja, Sie haben das in Ihrer Abhandlung geschrieben, Herr Kanzleirat«, sagte der dritte Mann in der Gesellschaft.

»Genau«, sagte Edelcrantz. »Ich habe das geschrieben, weil ich weiß, dass es so ist.«

»Einige Gegner haben sich erlaubt, Zweifel daran zu äußern«, sagte der Mann, der mit Maurius angeredet worden war.

Jetzt wandte sich Edelcrantz Johanna zu, lächelte sie an, bedeutete ihr mit der Hand, sie möge näher treten.

»Wie alt bist, mein Mädchen?«, fragte er.

»Ich bin Anfang dieses Jahres vierzehn geworden, mein Herr«, antwortete Johanna.

»Und wie heißt du?«

Johanna nannte ihren Namen, Edelcrantz nickte und lächelte sie wieder an.

»Kannst du lesen?«

»Ja, mein Herr, das kann ich.«

Edelcrantz wandte sich den beiden anderen Herren zu, zeigte auf Johanna und sagte mit etwas lauterer Stimme: »Ich wage zu behaupten, dass unsere hübsche Johanna mein Signalsystem an einem einzigen Nachmittag lernen kann.«

»Ich erlaube mir, das in Zweifel zu ziehen«, antwortete Maurius.

»Es ist dein gutes Recht, daran zu zweifeln, lieber Maurius«, sagte Edelcrantz. »Aber ich möchte, dass ihr alle mit hinauf zur Telegrafenstation kommt.«

Sie brachen gegen zwei Uhr auf. Der Postmeister zeigte den Weg, Johanna ging als Letzte hinterher. Der Wind wehte kalt vom Meer herüber. Edelcrantz redete die ganze Zeit über die Natur, die Beschaffenheit der Luft und deren Auswirkung auf die Sicht. Er meinte, dass es angebracht sei, optische Signalstationen in der Nähe des Meeres anzulegen.

Die Männer in der Station waren überrascht und auch ein wenig beunruhigt über den Besuch. Inspektion konnte Klagen und Bestrafungen bedeuten, das wussten sie. Irgendetwas konnten sie wohl immer einmal versäumt haben.

Edelcrantz jedoch war gut aufgelegt, er begrüßte die Männer freundlich. Dann begann er, das Signalsystem mit Johanna durchzugehen. Er zeigte auf jedes kleine Detail auf der Tastatur, nannte alles beim Namen, erläuterte, wie die einzelnen Teile zusammenhingen, wie man die Signale anordnete, wie man die Nachricht fertig machte. Dann bat er Johanna, alles zu wiederholen. Jeden Handgriff musste sie selbst ausführen. Als alles durchgegangen war, begann er wieder von vorne.

Dann zeigte er ihr, wie das Teleskop gehandhabt wurde, wie man die Schärfe einstellte, wie sie die Signaltafel auf der anderen Seite des Meeres ablesen musste.

»Und jetzt zur Tabelle«, sagte er.

Er zeigte ihr, wie die Tabelle angelegt war, wie Sätze und Wörter auf der Signaltafel in Zeichen umgesetzt werden konnten, die drei Holzklappen auf dem großen Gerüst über der Signalhütte konnte man auf mehr als tausend Arten kombinieren.

»Du brauchst nicht alle Kombinationen auswendig zu lernen«, sagte Edelcrantz. »Es ist von Nutzen, wenn man einige häufiger vorkommende Wörter und Ausdrücke auswendig kann, den Rest kann man in der Tabelle nachschlagen.«

Johanna durfte die Tasten, die die Klappen dort oben regulierten, selbst bedienen, jedoch ohne den Griff herunter zu drücken, der die ganze Nachricht am Ende zusammenstellte.

»Jetzt ist es an der Zeit, etwas auf die andere Seite zu senden«, sagte Edelcrantz. »Ich möchte, dass du folgende Mitteilung sendest: Was habt ihr dort für Wetter?«

Johanna suchte in der Tabelle, fand nach einer Weile den Satz, den Edelcrantz ihr zu senden aufgetragen hatte. Sie sah die Kombination, gab sie auf der Tastatur ein und drückte den Griff herunter. Das Rattern oben bestätigte, dass das Signal eingestellt wurde.

»Jetzt gehen wir hinaus und sehen nach, was wir erreicht haben«, sagte Edelcrantz.

Sie gingen zusammen auf den Hügel, sahen, wie die Klappen eingestellt waren, gingen in die Hütte zurück.

»Jetzt geh ans Teleskop und sieh nach, was die da drüben sagen«, sagte Edelcrantz.

Johanna schaute in das Teleskop. Nach einer halben Minute wurde das Signal jenseits des Meeres geändert. Sie sah, dass dort dieselbe Kombination eingestellt worden war wie die, die sie eben gesendet hatte.

»Sie sagen dasselbe, was ich ihnen gerade gesagt habe«, sagte sie. »Sie bestätigen also, dass sie es empfangen haben.«

»Ja, und jetzt wartest du am Teleskop auf ihre Antwort auf deine Frage.«

Johanna wartete. Nach kurzer Zeit erschien auf der Tafel drüben eine neue Kombination, die verstand sie jedoch nicht.

»Geh jetzt zu der Tabelle«, sagte Edelcrantz. »Übertrage die Lage der Klappen auf die Zahlen und such mit Hilfe der Zahlen die Bedeutung.«

Johanna hatte schon die Lage der Klappen auf die drei Reihen der Signaltafel übertragen und die Zahlen 030 erhalten, außerdem war die darüberliegende Klappe in der mittleren Reihe heruntergeklappt, was den Buchstaben A anzeigte. Die Kombination war also A030, was nach der Tabelle bedeutete: Nachlassende und veränderliche Winde auf See.

Sie sagte es Edelcrantz.

»Ich glaube, du kommst hiermit schon allein zurecht«, sagte er.

Die anderen Männer hatten schweigend daneben gestanden. Nun wandte sich Edelcrantz zu ihnen um, ohne etwas zu sagen. Er wartete.

»Das Mädchen ist offenbar ungewöhnlich begabt«, sagte Maurius.

»Oder die Tabelle ist nicht besonders schwer zu verstehen«, sagte Edelcrantz.

»Vielleicht trifft beides zu«, sagte der dritte Besucher, der sich bis jetzt nicht geäußert hatte.

»Danke, Johanna«, sagte Edelcrantz.

Der Versuch war abgeschlossen, es musste nichts mehr bewiesen werden. Die Herren überließen die Station wieder der Besatzung, die während des Besuchs in den Hintergrund getreten war.

An diesem Abend bedienten Birgitta und Johanna die Gäste im Speisezimmer. Edelcrantz redete Johanna ein paar Mal freundlich an, lächelte, lachte, er war offensichtlich äußerst guter Laune. Beim Nachtisch winkte er Johanna herbei und ließ auf ihren Einsatz während des Tages anstoßen.

»Du hast uns geholfen, den Beweis zu erbringen, dass unser Telegraf so funktioniert, wie wir es uns gedacht haben«, sagte er. »Jetzt werden wir an der weiteren Entwicklung arbeiten. Ich möchte entlang unserer Küste ein zusammenhängendes System erstellen, und das werde ich seiner Königlichen Majestät vorschlagen. Die Übung heute hat mich von der Vorzüglichkeit des Systems überzeugt. Du, Johanna, bist uns eine große Hilfe gewesen.«

Er hob sein Glas, hielt jedoch in der Bewegung inne. »Ein Glas für Johanna«, sagte er.

Birgitta kam ihm zu Hilfe. Sie reichte Johanna ein Glas, goss ein wenig Wein ein, zog sich zurück.

»Ein Hoch also auf unser System, das den Menschen die Möglichkeit geben soll, einander näher zu kommen«, sagte er.

Er wandte sich Johanna zu, die an ihrem Glas nippte, sie war Wein nicht gewohnt, er war stark.

»Hier ist eine kleine Anerkennung für dich, Johanna«, sagte Edelcrantz.

Er streckte die Hand aus, gab Johanna eine große Silbermünze, sie nahm sie entgegen, knickste und merkte, wie sie etwas errötete.

Dann wandte sich Edelcrantz seinem Tischnachbarn zu. Johanna zog sich zurück, steckte die Münze in ihre Schürzentasche und widmete sich wieder ihrer Arbeit. Sie half Birgitta, Teller und Gläser hinauszutragen. In der Küche holte sie die Silbermünze hervor und sah zu ihrem Erstaunen, dass es ein ganzer Reichstaler war. Soviel Geld hatte sie noch nie besessen.

Das Schweigen

Eines Tages kam Johannas Mutter ins Posthaus. Sie hatte etwas Wichtiges zu berichten. Von der Kirche war eine Nachricht gekommen, der Pastor wollte etwas über die vier Männer sagen, die seit dem vergangenen Herbst vermisst wurden.

»Am kommenden Sonntag sollen wir zusammen in die Kirche fahren«, sagte Maria. »Ich möchte, dass du rechtzeitig nach Hause kommst.«

Maria kehrte zurück nach Byholma, Johanna ging wieder an ihre Arbeit. Sie fürchtete sich vor dem, was der Pastor zu sagen hatte.

Sie fuhren gegen acht Uhr morgens los, es war der erste Sonntag im Mai. Ruben hatte das Pferd vor den Wagen gespannt, er saß zusammen mit Filip auf dem Kutschbock. Johanna saß mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder hinten, wo etwas Heu ausgelegt worden war. Sie hatte ihren Arm um Lars gelegt, den sie lange nicht gesehen hatte, und versuchte, möglichst weit entfernt von Filip zu sitzen.

Sie fuhren ein Stück, stiegen bei der Steigung, die zu dem Meilenstein hinaufführte und auf dem stand, dass es noch elf Meilen bis Stockholm waren, wieder ab. Dann kamen sie nach Tomta und erblickten die eisfreie Bucht und die Höfe auf der anderen Seite, kamen an der Fähre bei Norrfjäll vorbei, passierten Byle und Edeby. Lars war im Heu eingeschlafen, Johanna beobachtete die Wagen der anderen Kirchgänger, die in dieselbe Richtung unterwegs waren.

Sie ließen Pferd und Wagen bei den anderen Wagen neben dem Glockenturm stehen. Das Pferd erhielt ein wenig Heu in einem Futtersack. Es war halb elf.

Als sie die alte Steinkirche betraten, war diese schon zur Hälfte mit Gemeindemitgliedern gefüllt. Sie fanden auf der schmalen Empore auf der rechten Seite Platz, die gegenüberliegende Empore war schon voll. Das kleine Gebäude fasste vielleicht fünfzig Personen, jetzt füllten sich die Bänke, bevor der Pastor auf die Kanzel stieg.

Nach Psalmen, Bibelsprüchen und Betrachtungen kam der Pastor auf das zu sprechen, worauf die Familie Nygren und drei andere Familien aus Byholma gewartet und wovor sie sich gefürchtet hatten. Nur Johanna dachte, dass der Pastor eigentlich nichts wirklich wusste, er sagte nur das, was er glaubte.

»Vier unserer Gemeindemitglieder haben uns verlassen«, begann der Pastor. »Alle sind achtbare Männer aus Byholma. Sie sind während eines Sturmes auf dem Meer verschwunden, und sie sind zweifellos im Meer versunken und dort umgekommen. Nur der Allmächtige weiß, wo sie jetzt ruhen. Die Verunglückten waren, wie ihr wisst, folgende Nachbarn, Väter und Ehemänner.« Der Pastor zählte die vier Namen auf, Johanna kannte sie gut, es waren ihre Nachbarn in Byholma. Auch der Name ihres Vaters wurde genannt. Aber Johanna wusste, dass sich der Pastor irrte. Ihr Vater würde zurückkehren, er war vielleicht von einem fremden Schiff gerettet worden und wartete nun in einem anderen Land.

Als sie die Kirche verließen, gaben mehrere Leute Johannas Mutter die Hand und murmelten etwas, und sie murmelte ebenfalls etwas. Auch Johanna wurden einige Hände entgegengestreckt, einer der mitfühlenden Kirchgänger war Karl David Larsson vom Hofe Norrgården aus ihrem eigenen Dorf. Er war noch nicht ganz zwanzig Jahre alt, sie kannte ihn als hilfsbereiten jungen Mann, jetzt lächelte er sie freundlich an und drückte ihr lange die Hand.

Johanna teilte die Trauer nicht, sie war sich sicher, aber sie erzählte niemandem, was sie wusste und fühlte. Auf dem Rückweg nach Byholma weinte ihre Mutter leise vor sich hin. Auch sie behielt das, was sie dachte, für sich.

Johanna blieb nach dem Kirchgang noch eine Weile zuhause in Nygården. Ihre Mutter freute sich darüber, sie saßen zusammen und unterhielten sich, meist über die täglichen Arbeiten. Sie sprachen auch über Lars, und Johanna gab zu, dass sie sich Sorgen machte.

Nach der letzten Schweineschlachtung war Lars zwei Tage lang verschwunden gewesen, vor kurzem war er wieder weggelaufen. Er weigerte sich zu sagen, wo er sich aufgehalten hatte. Maria hatte den Jungen gezüchtigt, um ihn zu zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber er hatte geschwiegen.

Später am Tag war Johanna eine Weile mit Lars allein. Sie fragte, ob er erzählen wolle, wo er gewesen sei. Sie flüsterte ihre Frage, damit kein anderer sie hören konnte.

»Schreib es auf«, flüsterte sie.

Sie gingen zusammen hinaus, gaben vor, etwas draußen bei den Weiden zu tun zu haben, blieben an einem Holzstapel stehen, der an einem Abhang stand, wo das Schmelzwasser Grus und Sand geglättet hatte; Johanna suchte einen spitzen Zweig, brach ein kurzes Stück ab, schrieb einige Wörter in den Sand: BEI WEM?

Dann gab sie Lars den Zweig, trat beiseite, um ihn ungestört schreiben zu lassen. Er schrieb, ging weg, Johanna kam näher und las: BEIM SCHREI.

Sie tauschten wieder die Plätze, Johanna schrieb: WESSEN SCHREI?

Lars schrieb: LEBEN SCHREI.

Mehr schrieb er nicht, sie gingen schweigend zurück. Johanna glaubte, dass sie verstanden hatte, aber sie war sich nicht sicher. Ehe sie ins Haus gingen, nahm sie die Hand ihres Bruders.

»Komm zu mir, wenn du Hilfe brauchst«, sagte sie. »Du kannst bei mir bleiben, wir müssen zusammenhalten.«

Lars antwortete nicht, aber Johanna wusste, dass er verstanden hatte. Sie gingen ins Haus hinein. Lars setzte sich neben den Kamin, Maria stellte ihm warmen Saft hin.

Das Schweigen hielt weiter an. Lars antwortete nicht mehr, wenn er angesprochen wurde. Man merkte, dass er alles verstand, was gesagt wurde, aber er weigerte sich zu reden, und Johanna nahm an, dass das seine Art war, sich zurückzuziehen, sich unerreichbar zu machen für all das Böse, das ihm widerfahren war.

Im Laufe des Frühjahrs ging Johanna mehrere Male mit Lars in den Wald. Sie schrieben Wörter in den Sand, immer einfache Wörter, schwer zu deuten. Ehe sie zurückgingen, wischten sie die Spuren ihres stummen Zwiegesprächs aus.

Zwischen Maria und Johanna bestand noch immer etwas von der alten Vertrautheit, obwohl Marias Trauer über den verschwundenen Nils Johanna bedrückte. Deshalb sprachen sie lieber über andere Dinge. Bei mehreren Gelegenheiten hatte Maria den Nachbarssohn Karl David erwähnt.

»Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, lässt er dich grüßen«, sagte sie. »Ich glaube, er mag dich.«

Johanna antwortete nicht, und das hatte Maria auch nicht erwartet.

Ende Mai trafen die Schwalben ein. Sie bauten ihre Nester unter den ausladenden Dächern des Posthaus-Stalles, der Sommer näherte sich.

Schiffe legten im Hafen an. Ein Mann aus Signilskär erzählte von dem Unglück mit dem Postboot im vergangenen Herbst, als die vier Männer umgekommen waren. Einige Fischer hatten gesehen, wie die Toten an einer Landzunge vorbeigeschwemmt worden waren, aber die Wellen waren hoch gewesen, und die Dunkelheit war hereingebrochen, sodass niemand die Leichen hatte bergen können. Am nächsten Tag waren sie verschwunden, waren vom Wind hinaus aufs Meer getrieben worden.

Alle in Grisslehamn, die diesen Bericht hörten, hatten es wohl schon gewusst, jetzt aber war es ganz sicher. Alle wussten auch, dass diejenige, die die Hoffnung aufrecht erhalten hatte, das Recht hatte, sie zu behalten, und deshalb drang diese Bestätigung nicht bis zu Johanna durch.

In den folgenden Jahren arbeitete Johanna weiter im Posthaus. Gelegentlich hielt sie sich wie früher ein paar Tage auf dem Hof auf. Die Brüder ihrer Mutter arbeiteten, wenn sie Lust hatten, die Ernte fiel unterschiedlich aus, aber Schnaps gab es immer. Großmutter Magdalena war 1804 gestorben, das Schweigen um Lars hatte sich verdichtet.

Johanna kannte sich immer besser mit dem Telegrafen aus, es kam sogar vor, dass sie sich gegen alle Vorschriften hin und wieder für Albert um die Station kümmerte, wenn die anderen Burschen frei hatten.

Draußen in Europa wütete der Krieg. Wenige Länder nur hielten sich heraus, junge Männer starben zu Tausenden auf den Schlachtfeldern, Städte wurden zerstört, Menschen in die Flucht getrieben. Napoleons Armeen waren zu Land siegreich, England aber beherrschte die Meere. Die Misshelligkeiten zwischen Schweden und England hörten auf und wurden durch Zusammenarbeit ersetzt. Die Abneigung Gustav IV. Adolfs gegenüber Napoleon wurde immer größer, aber es gab viele Schweden, die den französischen Herrscher als den Friedensfürsten einer neuen Zeit der Freiheit betrachteten.

Die Könige und Fürsten Europas ergriffen für und gegen Napoleon Partei. Die Russen wechselten die Seiten und bedrohten Schweden. Das wunderte die Leute an der Küste Roslagens nicht, sie wussten seit Alters her, wo ihr Feind saß.

Eines Tages wurde dann auch Grisslehamn vom großen europäischen Krieg getroffen.

II. DIE ZEICHENDEUTER

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