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Mägde und Herrinnen

Seit dem Sturm waren nun fünf Tage vergangen. Johanna zählte genau mit, aber sie war nicht beunruhigt, sie hatte von Männern erzählen hören, die wochenlang verschollen gewesen waren, Gegenwind, Eis und Sturm ausgesetzt. Aber sie waren zurückgekommen, einige zu Fuß aus abgelegenen Orten, an denen das Boot gestrandet war.

Natürlich würden sie wiederkommen, es war erst fünf Tage her, lange Tage sicherlich und lange Nächte mit bösen Träumen und Zweifeln, trotz alledem aber erst fünf Tage und nicht einmal eine Woche, nichts im Vergleich zu einem ganzen Jahr.

Johanna versuchte auf verschiedene Art und Weise, die Zeit, die vergangen war, zusammenzuziehen. Mehrere Male hatte sie sich auf den Weg nach Skatudden gemacht, sich jedoch dann anders entschlossen. Es kam ihr wie eine Niederlage vor, dorthin zu gehen, es würde bedeuten, Unruhe zu zeigen, den Befürchtungen nachzugeben.

Am Nachmittag des fünften Tages war sie draußen bei den Kühen gewesen, hatte sie zum zweiten Mal an diesem Tag gemolken, es waren fünf Liter geworden, nicht mehr. Ein Teil davon wurde getrunken und für die Milchsuppe benötigt, der Rest war für das Butterfass bestimmt.

Als Johanna gerade wieder ins Haus gehen wollte, sah sie ihre Mutter aus dem Wald kommen. Johanna blieb stehen und wartete auf sie, sie sah, dass sie ein wenig zögerte, so als ob sie niemanden treffen wollte. Da ging Johanna ihr entgegen.

»Warst du im Wald, Mutter?«, fragte sie.

Maria blickte weg, nickte und ging weiter. Johanna gesellte sich zu ihr, aber sie merkte, dass ihre Mutter etwas zu verbergen suchte.

»Oder warst du draußen auf Skatudden?«, fragte Johanna weiter

Maria seufzte und gab keine Antwort, und Johanna verstand.

»Hast du etwas gesehen, Mutter?«, fragte sie.

»Nein, nichts.«

»Es sind jetzt fünf Tage vergangen.«

»Vielleicht sind sie tot, ich fühle, dass mich alle Hoffnung verlässt.«

»Ich glaube bestimmt, dass sie zurückkommen.«

»Ja, mein Mädchen, du hast ein starkes Gottvertrauen, aber ich kann die Hoffnung nicht länger aufrechterhalten.«

Sie waren fast zuhause, sie sprachen nicht mehr, sie gingen langsam. Maria ergriff die Hand ihrer Tochter. Johanna sah, dass ihre Mutter die andere Hand vor das Gesicht hielt und sich mit einem Zipfel ihres Blusenärmels die Augen trocknete. Sie merkte, dass ihre Mutter weinte. Aber sie gingen schweigend über den Hofplatz bis an die Haustür.

Jetzt war es zwischen Johanna und ihrer Mutter besprochen: Johanna sollte die Schweine füttern, einmal am Tag die Kühe melken und soviel es ging, im Haushalt mithelfen, wenn sie von ihrer Arbeit im Posthaus zurückkam.

»Wir wollen sehen, wie es läuft«, sagte Maria. »Du weißt, dass ich dich jetzt, wo Vater nicht mehr da ist, brauche.«

Sie hörte, wie schlimm das klang und milderte es sofort ab, hustete etwas, als ob sie etwas in die falsche Kehle bekommen hätte.

»Ja, jetzt, wo Vater weg ist«, versuchte sie.

»Ich verspreche, dass ich tun werde, was ich kann«, sagte Johanna.

Sie hatte eine frisch gebügelte Schürze und ihren besten Rock an, als sie ging, und trug die blaue Bluse unter der Jacke. Die Schuhe waren geschwärzt. Das helle Haar hatte sie zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden. Maria hatte ihr ein blaugestreiftes Kopftuch aus grobem Leinen geliehen.

Als Johanna die Küche des Posthauses betrat, war Laura dort zusammen mit einer älteren Frau, die Johanna bis jetzt noch nicht gesehen hatte. Sie war elegant gekleidet, trug eine Spitzenbluse und einen weiten dunklen Rock, die Haare waren mitten auf dem Kopf in einer Doppelrolle aufgesteckt. Man sah, dass sie nicht zur Dienerschaft gehörte.

»Das hier ist unsere neue Kleinmagd Johanna«, sagte Laura zu der Unbekannten.

»Das ist nett, mein Mädchen«, sagte die elegante Frau und streckte die Hand aus.

Johanna ergriff sie und knickste. Die unbekannte Frau lächelte sie an, sah freundlich aus, vielleicht ein wenig müde. Johanna merkte, dass sie nach irgendetwas Fremdem roch, nach Blumen, vielleicht nach Rosen, sie wusste es nicht.

»Ich habe der gnädigen Frau von dir erzählt«, sagte Laura.

»Ja«, sagte Johanna.

»Laura wird dir sagen, was deine Aufgabe sein wird und wie viel Lohn du zu erwarten hast«, sagte die Frau, die mit ›Gnädige Frau‹ angeredet wurde, weiter. Dann lächelte sie wieder müde und verließ die Küche. Johanna hatte immer noch diesen Blumenduft in der Nase.

»Jetzt hast du die Herrin kennen gelernt«, sagte Laura nach einer Weile. »Sie sollte eigentlich mit Frau Postmeister angeredet werden, aber wir sagen immer ›Gnädige Frau‹, wenn wir mit ihr sprechen.«

Johanna nickte, ohne etwas zu sagen.

»Und mich kannst du Laura nennen.«

Johanna errötete und machte einen kleinen Knicks. Sie hatte sich nicht erinnert, ob sie Laura mit du angeredet hatte, jetzt wusste sie es jedoch besser.

»Ja, Laura«, murmelte sie.

»Und jetzt trinken wir Kaffee, ehe du anfängst zu arbeiten.«

Johanna nickte wieder und begriff, dass sie gehorchen musste. Die Frau Postmeisterin bestimmte vielleicht im Haus, aber hier in der Küche hatte Laura das Sagen.

Birgitta hatte die ganze Zeit über geschwiegen. Jetzt schenkte sie den Kaffee ein, der schon fertig gewesen war, als Johanna die Küche betreten hatte.

»Leg ab«, sagte sie. Johanna nahm das Kopftuch ab und zog die Strickjacke aus. Sie setzten sich an den Tisch am Fenster und tranken schweigend ihren Kaffee, teilten sich ein kleines Stück süßes weißes Brot.

»Du bekommst hier Essen und jetzt zu Beginn zehn Schilling die Woche«, sagte Laura. »Wir werden sehen, wie du dich machst, und möglicherweise bekommst du dann mehr.«

»Danke«, antwortete Johanna; sie hatte verstanden, dass es hier nichts mehr zu diskutieren gab, da die Hausfrau und Laura es schon festgelegt hatten.

»Und wenn wir ausgetrunken haben, wird Birgitta dir das Haus zeigen, sodass du die Räume siehst und einiges lernst, was du wissen musst.«

Johanna murmelte noch einmal ein Dankeschön.

Das Haus war wirklich groß; außer der Küche gab es noch elf Räume und den langen Flur, der quer durch das Haus verlief und es in zwei Hälften teilte. Im oberen Stockwerk befanden sich vier Gästezimmer und ein riesengroßer Raum mit einem Steinfußboden, in dem niemand wohnte. Es gab überall Kachelöfen und große Fenster, die Möbel glänzten, die Betten waren breit und mit schönen Decken und weichen Kissen versehen.

Die Gnädige Frau saß mit einer Zeitung vor dem wärmenden Feuer im linken Eckzimmer, das zur Seeseite hin lag, als Birgitta und Johanna leise vorbeigingen. Der Postmeister befand sich in seinem Kontor, die Kinder hatten Schulstunde im rechten Eckzimmer, das offenbar als Klassenzimmer benutzt wurde und in dem die Gouvernante ihr Bett stehen hatte. Die vier Gästezimmer im oberen Stockwerk standen derzeit leer, aber es wurden demnächst Gäste erwartet, Reisende auf dem Weg nach Åland.

Dann setzte Birgitta ihre Führung fort. Sie gingen auf den Hofplatz hinaus, sahen in die Remise, in den Stall, in den Milchschuppen und das Waschhaus, das Johanna ja schon kannte.

Als sie in das große Haus zurückkehrten, hatten die Kinder gerade Pause. Birgitta stellte Johanna der Gouvernante vor, einer großen, mageren, dunkelhaarigen Frau von ungefähr dreißig, die ein freundliches Lächeln zeigte.

»Ich heiße Margareta«, sagte sie. »Wir haben uns ja schon gesehen, als du neulich Holz gebracht hast, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete Johanna.

»Wir haben geschrieben, glaube ich, die Kinder und ich.«

»Das habe ich gehört.«

»Gehört, wie meinst du das?«

»Ich habe gehört, wie es gekratzt hat, als die Kinder geschrieben haben, und ich habe das weiße Papier gesehen.«

»Aha, das ist interessant. Kannst du denn schreiben?«

»Etwas kann ich schon.«

»Und dann kannst du sicher auch lesen?«

»Ja, aber meistens die Bibel.«

»Möchtest du gerne irgendetwas anderes lesen?«

»Ja, ich glaube schon, wenn ich etwas hätte.«

»Ich kann dir etwas zeigen. Wir können uns weiter darüber unterhalten, wenn der Unterricht zu Ende ist, falls du dann noch da bist.«

»Ich bleibe jetzt hier, ich arbeite hier.«

»Dann komm später, wenn du mit der Arbeit fertig bist.«

In den nächsten Stunden nahm Johanna Heringe aus; das hatte sie schon oft zuhause getan. Sie saß auf einem Hocker vor dem Milchschuppen. Birgitta half in der ersten Stunde mit, sie unterhielten sich die ganze Zeit über, das war ungewohnt für Johanna. Zuhause auf dem Hof war Arbeit mit Schweigen verbunden.

Sie aßen in der Küche zu Mittag, die drei Mägde und der Knecht Sigurd, der vom Hafen, wo er an der Überprüfung der Boote teilgenommen hatte, heraufgekommen war. Es gab Erbsensuppe, gebratenen Hering und Roggenbrot. Sigurd bekam einen Schluck Branntwein zum Essen, die Frauen tranken Wasser.

Nach dem Essen scheuerte Johanna die Diele und den Speisesaal. Sie tat ein wenig Seife ins Wasser, das gab einen guten Geruch; zuhause wurde zweimal im Jahr mit Wasser und Sand gescheuert.

Nach dem Kaffee gegen vier sagte Laura, dass Johanna früher Schluss machen könne, da es ihr erster Tag war. Im Übrigen war nicht vorgesehen, dass sie genauso lange arbeiten sollte wie die anderen, denn sie hatte ja auch zuhause noch etwas zu tun.

Ehe sie das Posthaus verließ, suchte Johanna Margareta auf. Sie befand sich auf ihrem Zimmer und war mit Papieren und Büchern in der Ecke des Raums, die als Klassenzimmer diente, beschäftigt.

»Setz dich«, sagte Margareta und wies auf einen der Stühle an dem kleinen Tisch, an dem ihre Schüler zu sitzen pflegten.

Sie setzte sich Johanna gegenüber, lächelte und betrachtete ihren Gast, ohne etwas zu sagen. Johanna lächelte zurück, konnte ihren Blick aber nur einen Augenblick auf Margareta gerichtet halten, dann senkte sie verlegen die Augen und fühlte sich unsicher.

»Du hast gesagt, dass du lesen kannst«, sagte Margareta. »Hier hast du eine Seite aus einer Zeitung. Kannst du mir daraus etwas vorlesen?«

Sie schob Johanna einen großen Bogen Papier hin und drehte ihn um. Es wimmelte nur so von Buchstaben und Wörtern auf dem Papier, von Zeilen und Spalten, großen und kleinen. Johanna betrachtete sie, es war so viel, sie wusste nicht, worauf sie ihren Blick richten sollte.

»Hier kannst du beginnen«, sagte Margareta und zeigte auf eine Zeile.

Johanna sah den Text an, begann die Überschrift zu lesen.

»An Stock…holms Mägde.«

Sie sah zu Margareta auf, die wieder lächelte. Johanna las weiter.

»Ihr seid Menschen genauso wie die Gnädige Frau. Ihr seid aus demselben Stoff ge…macht, es ist eine weitaus größere Kunst, eine or…dent…liche Magd zu sein als eine or…dent…liche Herrin.«

Hier machte Johanna eine Pause. Sie hatte den Anfang des Textes geschafft; es stand noch viel mehr da, sie hatte mit den Buchstaben gekämpft und nicht darüber nachgedacht, was sie gelesen hatte.

»Das hat ja gut geklappt«, sagte Margareta. »Lies es noch einmal.«

Johanna begann wieder von vorn, und jetzt ging es glatter. Sie blieb nicht stecken, und sie konnte auf den Inhalt achten.

»Es handelt von dir«, sagte Margareta. »Aber lies weiter.«

Johanna las den ganzen Artikel durch: Es war schwerer, eine Magd zu sein als eine vornehme Dame. Dass so etwas in der Zeitung stehen konnte! Aber es war schon amüsant, doch wahrscheinlich ziemlich unverschämt.

Die Zeiten ändern sich

Johanna hatte schon in aller Frühe, ehe sie ins Posthaus gegangen war, die Kühe gemolken. Sie kam gerade rechtzeitig zum Morgenkaffee. Sie tranken jeder eine Tasse Kaffee, nahmen jedoch kein Brot dazu. Laura hatte gesagt, sie müssten sparsam damit umgehen; sie hatten zwar ausreichend Mehl, aber verschwenden dürften sie es nicht.

»In Stockholm sollen die armen Leute schon hungern«, sagte sie. »Ich habe von jemandem, der mit einem der Reisenden gesprochen hat, gehört, dass die Leute ein Lagerhaus draußen vor der Stadt aufgebrochen haben, und dass Soldaten dorthin kommandiert worden sind.«

»Auf Nygården haben wir nur halb so viele Säcke mit Mehl, wie wir sonst hatten«, sagte Johanna.

»Wenigstens haben wir Kaffee«, sagte Birgitta.

»Solange der Vorrat reicht«, murmelte Laura. »Sie führen ja auch auf dem Meer Krieg, und dann schießen sie auf die Schiffe, die den Kaffee bringen.«

»Wer führt denn alles Krieg miteinander?«, fragte Johanna.

»England und Russland und Frankreich, nehme ich an«, sagte Laura.

»Ist Schweden auch dabei?«

»Nein, zumindest im Augenblick nicht, und wir können nur hoffen, dass der Frieden bestehen bleibt, denn Krieg bringt nur Unglück.«

»Meine Großmutter hat von den Russen erzählt.«

»Ja, die wollen wir nicht noch einmal hier haben.«

»Meine Großmutter sagt, dass sie den Leuten von Singö alles abgenommen und jedes Haus niedergebrannt haben.«

»Sie haben auch in Byholma Höfe niedergebrannt«, sagte Birgitta. »Mein Großvater hat erzählt, dass die Kosaken am schlimmsten gewesen sind, und sie hatten Pferde dabei. Sie haben einen Mann mit einem Strick festgebunden und ließen ihn hinter dem Pferd herlaufen. Als er ihnen den Weg nicht zeigen wollte, haben sie ihn blutig geschlagen.«

»Gott bewahre uns vor den Kosaken«, sagte Laura.

»Kosaken?«, sagte Johanna, »was sind das eigentlich für welche?«

»Sie sind eine Art Reitervolk«, antwortete Laura. »Sie tragen Pelze, die voller Läuse sind. Sie haben einem Mann auf Singö die Kleider abgenommen und ihm dafür einen Kosakenkittel gegeben, und dann musste er ihn wohl oder übel anziehen, denn er war ja völlig nackt, der Arme. Aber dieser Kittel bestand mehr aus Läusen als aus Stoff, und er wurde von diesen Kosakenläusen fast aufgefressen.«

Johanna hatte Wasser geholt. Als sie gerade mit dem Eimer auf dem Weg zurück ins Haus war, erblickte sie ein paar Männer, die auf dem Weg vor dem Hoftor entlanggingen. Durch das Küchenfenster konnte sie dann erkennen, dass es drei gut gekleidete Herren waren, ein älterer und zwei junge, und außerdem Sigurd, der ihnen offenbar den Weg zeigte. Er ging mit kleinen schnellen Schritten voran, und zog die Mütze ab, ehe er die Türe öffnete. Der Postmeister kam ihnen auf dem Flur entgegen. Johanna konnte die Stimmen durch die Küchentür vernehmen, dann verschwanden die Geräusche; Johanna vermutete, dass sie in das Kontor gegangen waren.

Ein paar Minuten später kam Laura in die Küche. Sie erzählte, dass sie unerwartet Besuch von ein paar Herren erhalten hätten, die sich auf dem Weg nach Stockholm befänden; sie wären gerade mit dem Schiff aus Åland angekommen; sie wären hohe Beamte, ihr Wagen hätte sich verspätet, vielleicht würden sie übernachten.

Laura bat Johanna, in drei Gästezimmern die Kachelöfen anzuheizen. Holz lag dort schon, es war trocken und fein gespalten, außerdem Birkenrinde. Johanna nahm ein brennendes Talglicht in einem Kerzenhalter mit, fachte damit das Feuer an, und bald knisterten die Flammen in allen drei Kachelöfen.

Der Wagen kam nicht, die Gäste blieben. Es wurde spät, der ältere Gast hatte sich schon gegen neun Uhr hingelegt, aber die beiden jüngeren saßen zusammen mit Margareta in dem kleinen Salon neben dem Speisezimmer. Der Postmeister entschuldigte sich bald, die Frau des Hauses hatte sich ebenfalls schon zurückgezogen. Die drei jungen Leute blieben auf, sie hatten sich viel zu erzählen.

Johanna servierte Wein und süßes Kleingebäck, außerdem dünne Scheiben Roggenbrot mit Käse. Die Herren wählten das Gebäck, Margareta zog den Käse vor.

Sie redeten über die große Welt, über den Krieg und über Bonaparte. Johanna hatte den Namen schon gehört und wusste, dass er Frankreichs Herrscher war, nicht König, denn in Frankreich hatten sie keinen, sie hatten den König erschlagen, das hatte ihr Vater gesagt. Mehr wusste sie nicht.

Sie ging zwischen Küche und Salon hin und her. Gelegentlich blieb sie stehen und beschäftigte sich mit Tassen und Gläsern, machte sich an den Holzspänen zu schaffen, sah nach dem Feuer, ging mit Gläsern und Flaschen zum Tisch zurück. Sie wollte gerne zuhören, deshalb fand sie Vorwände, um bleiben zu können. Man kümmerte sich nicht um sie. Offenbar war es üblich, die Dienerschaft im Zimmer zu haben, eine kleine stille Magd war wie ein Stuhl oder ein Schreibtisch, sie war da, aber sie störte niemanden.

»Petersburg ist eine phantastische Stadt«, sagte der kleinere der beiden Männer. »Die Paläste sind großartig, eine solche Pracht sieht man nirgendwo sonst, ja, es sei denn in Paris.«

»Sind Sie in Paris gewesen, mein Herr?«, fragte Margareta.

»Es war mir vergönnt, die französische Hauptstadt zu besuchen«, antwortete der Mann.

»Jetzt werden wir jedoch auch unsere russischen Freunde besser kennen lernen«, sagte der größere Mann.

»Sind das denn unsere Freunde?«, wollte Margareta wissen.

»Tempora mutantur«, antwortete der Mann. »Die Zeiten ändern sich, das müssen wir begreifen, jetzt geht es um die Sicherheit des Reiches.«

»Und wir wissen ja nicht, ob wir uns auf England verlassen können«, sagte der andere Mann.

»Alles ändert sich«, sagte Margareta. »Der Meinung bin ich auch, wir stehen am Anfang einer neuen Zeit. Ich glaube, dass Bonaparte uns den Weg zeigen wird. Die Zeit der Unterdrückung ist in Europa vorüber, jetzt kommt eine neue Freiheit für alle, die nicht im Reichtum geboren sind.«

»Na ja«, murmelte der kleine Mann. »Die französischen Ideen sind schnell verflogen, sie sind wie trockenes Laub im Wind. Unser König schätzt Bonaparte nicht, und ich denke wie er.«

»Aber man muss doch zugeben, dass diese Gedanken trotzdem sehr zählebig sind«, antwortete Margareta. »Die Idee von Freiheit und Gleichheit scheint fortzuleben.«

»Das ist jetzt vorbei«, sagte der Mann, der in Paris gewesen war.

In dieser Nacht blieb Johanna in der Mägdekammer neben der Küche. In ihrem Abendgebet bat sie Gott, dass er sie ihren Vater bald wiedersehen lassen möge. Darum betete sie jeden Abend, und sie war immer noch davon überzeugt, dass der Vater lebte.

Am nächsten Morgen kam der Wagen und holte die drei Besucher ab. Johanna machte die Gästezimmer sauber, nahm neue Bettlaken heraus, machte die Betten, holte Holz. Nach der Mittagspause fegte sie den Boden des Speisezimmers. Margareta schaute herein, sie suchte ein Buch im Regal des Salons und hatte Johanna gehört, jetzt wollte sie nur guten Tag sagen.

»Du hast gestern Abend alles sehr gut gemacht«, sagte sie. »Es ist spät für dich geworden, die Herren hatten so viel zu erzählen. Sie sind draußen in der großen Welt gewesen und wollten, dass wir das auch ja begreifen.«

»Sind die Russen jetzt unsere Freunde?«, fragte Johanna.

»Im Augenblick scheint das so zu sein, aber das kann sich schnell ändern. Nichts ist wie früher, alles in Europa ist umgestürzt worden.«

»Gibt es hier in Schweden Krieg?«

»Man kann nichts voraussagen. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass wir einer ganz neuen Zeit entgegengehen.«

Der Signalist

In der ersten Dezemberwoche kam die Kälte. Früh morgens lag der Frost weiß und streng um den Hof Nygården herum, der Herbst war vorbei, das verschrumpelte Birkenlaub lag wie Fischschuppen zwischen den harten Erdklumpen und den mit Eis überzogenen, gefrorenen Steinen.

Auf einigen der Steine konnte man unter dem dünnen Film schwarze Striche, verwischte Buchstaben, einzelne Wörter erkennen. Es waren Lars‘ Schreibübungen, seine kleinen Botschaften, die er jeden Tag aufs Neue verfasste. Er schrieb sie, wenn niemand zusah, und nur Johanna las sie und versuchte, sie zu verstehen. Sie fragte Lars jedoch fast nie, was er damit meinte, sie deutete alles selbst, erkannte neue Steine und neue Wörter, die Lars mit Kohle dort aufgeschrieben hatte, vergaß das, was er wieder weggewischt hatte.

Als die Kälte und das Eis kamen, nahm Johanna zunächst an, dass er fürs Erste mit dem Schreiben aufhören würde. Aber sie irrte sich. Lars brachte kleinere Steine vom Strand mit, schrieb drinnen in der warmen Stube, legte die Steine draußen hin und ließ sie über Nacht dort liegen, sodass sie mit einer Eis- oder Frostschicht überzogen wurden.

Eines Morgens wachte Johanna wie schon so oft früh davon auf, dass Filip ächzend und schniefend aus dem Bett kroch. Als sie selbst kurze Zeit später nach draußen ging, sah sie, dass die Stelle, auf die Lars seine Steine gelegt hatte, gewissermaßen sauber gespült war, ein Stück Boden war frei vom Frost. Sie trat näher und sah, dass die Steine bepinkelt waren; da begriff sie, dass es Filip war, der das, was Lars geschrieben hatte, ausradiert hatte.

Das ging so weiter, solange sich in der feuchten Nachtluft Eiskristalle bildeten und solange noch kein Schnee lag. Lars schrieb, und sein des Lesens unkundiger Onkel pinkelte es weg. Jetzt begann Johanna, Lars zu ermuntern. Sie selbst las es, wie sonst auch, aber sie erzählte ihrem Bruder jetzt, dass sie es gesehen hatte, und sie fragte und wollte es genau wissen, sagte, wie sie es verstanden hatte, hatte oft recht, manchmal jedoch irrte sie sich auch.

Eines Tages schrieb sie selbst einige Wörter: DU WIRST GROSS.

Sie suchte drei trockene Steine aus, ordnete sie in einer Reihe an, wartete bis zum nächsten Tag, ob Lars antworten würde. Gerade an diesem Morgen war die Eisschicht etwas dicker. Filip hatte nicht alles löschen können. Sie erkannte die Linien, sie waren undeutlich, aber sie konnte die Antwort lesen, drei Wörter auf drei Steinen: NICHT WIE SIE.

Sie suchte zwei saubere Steine, nahm sie mit hinein, ließ sie trocknen und schrieb: ICH WEISS.

Mit dieser Nachricht an Lars endete der Austausch von Wörtern, Johanna wusste nicht, ob Lars ihre Antwort hatte lesen können. Filip war zuerst da gewesen, vielleicht war die Eisschicht dünner, oder er zielte besser, er hatte die Wörter verwischt, sie waren unleserlich geworden. Die Buchstaben flossen auseinander, hinterließen graue ausgefranste Schatten und gelbliche Ränder, Reste des verstummten Steingesprächs.

Filip schien gewonnen zu haben, Lars hatte aufgehört zu schreiben, Johanna hatte aufgegeben. Dann kam der Schnee und deckte eine dünne Schicht über die Steine, es wurde wärmer und dann wieder kälter, der Schnee verharschte.

Die Schlachtung des zweiten Ferkels wurde vorbereitet. Jetzt sollte Lars keine Gelegenheit mehr haben, dem zu entgehen. Filip nahm den Jungen mit zum Schweinepferch, wo sich die Sau mit ihren beiden noch lebenden Ferkeln aufhielt. Wenn der Frost den Boden richtig hart gemacht hatte, sollten alle Schweine in den Stall kommen, vorher nicht. Eine Zeitlang konnten sie jetzt noch die dünne Schneeschicht aufwühlen.

Das ausgewählte Ferkel lief schnell. Sie verloren es mehrere Male aus dem Griff, Filip schrie Lars an, er solle sich beeilen, nicht herumstehen wie eine alte Frau, er fluchte und krakeelte, schlug Lars mit der flachen Hand in den Nacken und stieß ihn um.

Filip musste das meiste selbst verrichten. Lars wollte das Ferkel nicht bei den Ohren packen, das Tier schrie vor Schmerz oder aus Wut. Plötzlich ließ Lars das Ferkel los, erhob sich und rannte schräg über die Weide in den gegenüberliegenden Wald. Filip blieb stehen.

»Verdammtes altes Weib«, schrie er Lars hinterher. »Aus dir wird nie ein Mann werden.«

Nach einer Weile kam Ruben, und sie schleppten das Ferkel auf die Schlachtbank. Sie schlugen es und ließen das Blut ab wie immer, das war nichts Besonderes. Filip verstand nicht, was mit dem Jungen los war.

Johanna war zuhause, um ihrer Mutter zu helfen. Die Mutter hatte Laura Bescheid gesagt, sie waren übereingekommen, dass Johanna an diesem Tag im Posthaus frei bekommen sollte. Johanna stand mit einem Tranchiermesser in der Hand da, als die Brüder ihrer Mutter in die Küche kamen, um etwas zu essen. Sie begannen mit einem Schnaps, warteten auf etwas Warmes, ein gebratenes Stück Fisch mit Brot vielleicht.

»Der Junge ist in den Wald gelaufen«, sagte Filip.

Maria sagte nichts.

»Aus dem wird niemals ein Mann«, sagte Filip. »Aber ich werde es ihm schon beibringen.«

»Vater hat über Lars zu bestimmen, nicht du«, sagte Johanna.

»Dein Vater ist tot«, antwortete Filip.

»Er kommt wieder.«

»Nein, er kommt nicht mehr, begreifst du das nicht? Er ist ertrunken und kommt nicht wieder, und ich bin jetzt der Älteste auf dem Hof und ich habe hier zu bestimmen. Ist das so schwer zu verstehen?«

»Ich weiß, dass Vater lebt«, schrie Johanna.

»Verdammtes Gör, du begreifst nichts. Nils kommt nicht wieder. Er ist tot, man muss es eben einsehen.«

Johanna warf das Messer weg, rannte zur Tür und war im nächsten Augenblick draußen. Sie lief über den Hofplatz, an der Scheune vorbei und auf den Pfad hinaus. Sie lief immer weiter, wurde erst langsamer, als sie am Nachbarhof vorbeigekommen war. Sie keuchte, hörte auf zu laufen, ging aber immer noch schnell und war bald unten in Grisslehamn angelangt.

Ehe sie zum Posthaus ging, versuchte sie sich zu beruhigen. Sie war immer noch außer Atem, und der Zorn hatte sich noch nicht richtig gelegt.

Laura war in der Küche. Es war Johanna anzusehen, dass etwas geschehen war, und Laura wurde etwas unruhig, trotzdem bot sie Johanna erst einmal eine Tasse Kaffee an, bevor sie fragte.

»Mein Onkel benimmt sich meinem kleinen Bruder gegenüber so bösartig«, erklärte Johanna.

»Ja, einige Männer sind so, und einige sind schlimmer als andere.«

»Lars ist weggelaufen, und ich glaube, dass er diesmal ziemlich lange wegbleiben wird.«

»Und du, willst du hierbleiben oder nach Hause zurückkehren?«

»Ich würde am liebsten hierbleiben.«

Und so geschah es denn auch. Johanna blieb im Posthaus und arbeitete wie immer den ganzen Tag über. Als es dunkel wurde, sprach sie wieder mit Laura, sagte, dass sie vielleicht doch nach Hause gehen sollte, um nachzusehen, wie es Lars ergangen war.

»Du hattest ja kaum etwas an«, sagte Laura. »Leih dir hier etwas Warmes aus, ich gehe mit dir ins Waschhaus, dort hängen einige Sachen.«

Im Waschhaus gab es einen Abstellraum, den Johanna noch nicht gesehen hatte; eine schmale Tür führte von der Haustür in einen Verschlag hinter der Kammer der Knechte. Dort hingen einige Mäntel, und an der Wand standen mehrere Paare Lederstiefel.

»Nimm diesen Umhang da«, sagte Laura. »Und einige der Stiefel müssten eigentlich passen, obwohl sie groß sind, es gibt genug Fußlappen, nimm mehrere, damit kannst du die Stiefel ausfüllen.«

Der Umhang war ein dunkelgrauer Soldatenmantel aus gröbstem Stoff, mit einer Kapuze. Die Stiefel waren schwer und hart. Als Johanna jedoch die Fußlappen um ihre Füße gewickelt hatte, konnte sie damit laufen, ohne dass sie allzu sehr scheuerten.

Als Johanna in Richtung Byholma aufbrach, war es draußen sternenklar. Sie hatte vor, nicht ganz bis zum Hof Nygården zu gehen, sondern den Pfad hinauf in den Wald zu nehmen bis hin zu den Wirtschaftsgebäuden, um dort nach Lars zu rufen, er kannte ja ihre Stimme. Als sie an der ersten Weide vorbeigekommen war, hörte sie ein Heulen, und sie wusste, dass es ein Wolf war. Sie ging schneller, die Laute waren furchteinflößend. Im Herbst waren auf Singö mehrere Wölfe erlegt worden, und jetzt, wo das Eis trug, konnten die Wölfe über weite Strecken laufen.

Jetzt hörte sie das Heulen wieder, es kam näher und klang, als ob sich der Wolf oben im Wald in der Nähe der Höfe befand. Sie blieb stehen und lauschte. Dann kehrte sie um, ging zurück nach Grisslehamn, beeilte sich. Das letzte Stück des Weges lief sie. Die Stiefel schlappten, aber sie hatte schon herausbekommen, dass die Füße nicht rutschten, wenn sie die Zehen spreizte.

Als sie ins Posthaus zurückgekommen war, saß sie eine ganze Weile allein in der Küche. Sie fand, dass sie ihren Bruder im Stich gelassen hatte, sie wollte ihm so gerne helfen, aber sie konnte es nicht.

Am nächsten Tag war der Hafen zugefroren, das Eis war dünn und spiegelblank. Johanna wurde gebeten, zum Posthafen zu gehen und Sigurd, der oben im Posthaus gebraucht wurde, zu holen. Sie nahm wieder den Umhang, zog für das kurze Stück jedoch diesmal ihre eigenen Schuhe an.

Einige Männer ließen gerade das Eisboot zu Wasser. Die dünne Eisschicht brach unter der Last des Bootes, aber das Eis behinderte doch die Bewegungen des Bootsrumpfes, das Boot war von zerborstenem Eis umgeben. Die Männer schafften Spankörbe, Segel und Ruder an Bord. Sie wollten offensichtlich auf der gegenüberliegenden Seite Post abliefern. Johanna blieb stehen und sah zu, als das Boot ablegte. Ein Mann saß am Bug und zerschlug das Eis, die anderen schoben mit den Rudern nach, ruderten ein Stück, drückten das Eis auseinander, ruderten wieder. Sie kamen nur langsam voran.

Nach dem Mittagessen ging Johanna mit einem Essenskorb hinauf zur Telegrafenstation. Ihr war vom Postmeister ein verschlossenes Kuvert mitgegeben worden. Sie nahm an, dass es irgendeine Nachricht war, die hinüber nach Signilskär geschickt werden sollte.

Harald und Sven waren da, außerdem ein dritter Mann, den sie zuvor noch nicht gesehen hatte.

Er stellte sich als Albert Rask vor, er stammte aus Norrtälje, er hatte eine Verlobte in der Nähe von Grisslehamn, und er sollte seinen Dienst als dritter Mann auf der Station antreten.

Albert hatte einen Feldstecher mitgebracht, ein langes Messingrohr, das nach Bedarf ausgezogen und eingestellt werden konnte. Das feste Teleskop an der Wand war ja so eingestellt, dass man nur die Signaltafel auf Signilskär und nichts anderes sehen konnte. Mit dem Feldstecher konnte man Schiffe und andere Dinge auf dem Meer und entlang der Küste beobachten.

»Die Militärverwaltung in Stockholm will, dass wir ein Auge auf fremde Schiffe haben«, erklärte Albert.

Als Johanna das Telegrafenhäuschen verließ, ging er mit ihr hinaus. Er behauptete, dass man draußen besser beobachten könne, denn das Fensterglas war trübe und beeinträchtigte die Sicht. Er zog das Rohr heraus, hielt es an sein rechtes Auge und ließ es am Horizont entlang gleiten. Johanna wartete, ohne etwas zu sagen. Nach einer Weile senkte er das Fernglas und fragte, ob Johanna auch einmal durchschauen wolle.

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