Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Ille mihi», страница 17

Шрифт:

»Ach, Herr von Lenval,« antwortete Großmann, »von dem Glanz lebt dann eben die ganze Familie! – Und wissen Sie,« – er begann dabei ein Stück rosenroten Tarlatans zu entfalten und um eine Pyramide bunter Seifenstücke zu kunstvoller Draperie aufzubauschen – »als Schwager des Präsidenten könnte ich dann auch viel dazu beitragen, daß sich gewisse Wünsche hübsch in Frieden und Freundschaft mal erfüllen … Sie wissen doch? … wovon man hier so gelegentlich munkelt … und was damals den Herren Offizieren von der ›Unerschrocken‹ ja auch so sehr am Herzen lag? …«

Und zwischen phantastisch anschwellenden rosigen Stoffwolken blinzelte er den Geschäftsträger bedeutsam an.

Doch Dedo stand bereits an der Tür. »Stützpunkt? Kohlenstation?« rief er, »gräßlich! – Bester Herr Großmann, das ist ja alles bloß hiesiger Küstenklatsch! Daran denkt zu Hause niemand ernstlich – na, der neue Gesandte wird Ihnen das sicher auch ausreden.« – Und dabei enteilte Dedo dem Laden, so rasch es seine chronische Müdigkeit zuließ.

Bald nahte der Tag, wo der neue Gesandte und seine Frau nach langer Seefahrt in dem fernen Lande eintreffen sollten.

Am frühen Morgen, noch weit draußen auf offener See, hatte das Schiff, das sie trug, eine einsame Insel passiert. Oben auf der Brücke stehend, hatte Wolf die bläulich aus dem Wasser emporsteigenden Umrisse Ilsen gewiesen und dabei geflüstert: »Das ist die Santa Immaculata, von der Herr von Plenker sprach!«

Da war der alte Kapitän an sie herangetreten und, ebenfalls auf die Insel starrend, hatte er gesagt: »Möchte nur noch so lange meinen alten Kasten führen, bis ich da mal unsere Flagge wehen sehe – an so manchen Küsten haben andere ihre Nester gebaut – nur wir nicht – gehen überall zu Gast – brauchen doch auch Docks, Kohlenstation, Stützpunkt. – Nicht wahr, Herr Minister?«

Doch Wolf wehrte ab: »Dieser Weltteil dürfte für solche Pläne wohl der ungeeignetste sein.«

»Ach, hier oder anderswo, die anderen gönnen uns ja nirgends etwas, so viel sie auch selbst haben,« brummte der Alte und schritt davon.

Wenn es nun am Ende aber doch wahr werden könnte! sann Ilse nach, und in ihrer Phantasie waren alle politischen Hindernisse plötzlich wie durch ein Wunder hinweggewischt. Sehnsüchtig richteten sich ihre Blicke hinaus auf die Insel, die, einem blauen Phantom gleich, im Lichte verschwimmend, am Horizonte stand.

Während der langen Seereise hatte Ilse Muße gehabt, den letzten eiligen Berliner Aufenthalt oftmals zu überdenken, und dabei war sie sich erst ganz bewußt geworden, wie manche Wegesschwierigkeit nunmehr überwunden war, und daß ein gewisses gesichertes Ansehen Wolf und ihr jetzt unbestritten gehörte. Ja, das hatten sie erreicht – durch viel Mühe und Opfer – und auch durch die bloße Macht der wie Stromeswellen vorübergleitenden Jahre, die, ganz sacht, aber unaufhaltsam, mehr und mehr von dem Felsen des Geschehenen abspülen und mit sich ins Meer des Vergessenen tragen. – Aber gerade in diesem Gefühl, daß sie solchen Erfolg eigentlich nur einem halben Vergessen und Verzeihen der Welt verdankten, lag für Ilses Wesensart ein Ungenügen, beinahe ein Stachel. – Wertverkündende Taten sollte ja das Leben enthalten! – Doch wie siegessicher sie dies auch zu Anfang des Weges gehofft, bisher hatte er keine Gelegenheit zu solcher Bewährung geboten. – Aber vielleicht würde hier auf diesem Posten die lang erflehte große Aufgabe endlich erstehen! Die Möglichkeit, eine dauernde Spur eigenen Erdenwallens zurückzulassen! – Ach, wünschte Ilse inbrünstig, wenn doch einst in dem großen Kontobuch, das jede Nation über ihre Kinder führt, stehen möchte: Diese Insel ward deutsch durch Wolf von Walden! – Und dabei spähete sie leuchtenden Auges hinaus in die blauende Weite – aber verschwunden schon war Santa Immaculata, eine kurze Fata morgana, wie so manches Eiland der Sehnsucht.

Programmäßig verlief die Ankunft in der Hafenstadt, wo zum Empfang am Pier die Spitzen der deutschen Kolonie in glühender Sonne bereit standen. Mit völliger Unabhängigkeit des Geschmacks hatten sie die verschiedensten Kostüme gewählt, Gehrock mit schwarzen Handschuhen, graue Khakijacke, Smoking mit gelben Stiefeln, Frack sogar.

Als erster begrüßte der bisherige Geschäftsträger die Ankömmlinge, lässig in weißen Flanell gekleidet, mit weichem seidenen Hemd und zerdrücktem Panama, sah Baron Dedo aus, als käme er eben von einem Tennisplatz – aber müde und sichtlich erleichtert, das Racket einem anderen übergeben zu können.

Auch Großmann war zur Abholung in den Hafen hinabgekommen, und nachdem alle Vorstellungen erfolgt, ein Willkommenstrunk im deutschen Klub geleert und verschiedene Reden gehalten worden, ging es in des Konsuls und Dedos Begleitung per Extrazug durch die gebirgige Tropengegend zur Hauptstadt hinauf.

Einige andere Deutsche hatten sich angeschlossen und, vom Frühschoppen zu lautem Patriotismus angeregt, redeten sie und Großmann auf Wolf ein: »Ja, diese steil aufsteigende Bahn, auf der sie die paar Stunden durch Urwalddickicht fuhren, die war ja nur eine Teilstrecke der großen Linie, die deutsches Kapital, deutsche Tüchtigkeit, deutscher Unternehmungsgeist zur Erschließung dieses großen zukunftsreichen Landes zustande gebracht hatten!«

Zu Ilse gewandt, neben der er etwas abseits in einer Ecke des großen Salonwagens saß, bemerkte Dedo: »So können die nun stundenlang reden – als ob noch nie ein anderes Volk eine Bahn gebaut hätte! – Dies Protzen mit der eigenen Tüchtigkeit ist auch einer der Gründe, die uns allerorts so wenig beliebt machen.«

»Aber,« sagte Ilse, »es ist doch auch wirklich schön, daß hier von Deutschen unter so schwierigen Verhältnissen eine so große Leistung vollbracht worden ist!«

»Leistung? gnädige Frau!« wiederholte Dedo. »Ja, in technischer Hinsicht gewiß. Aber wenn man fragt: wozu? – da kann man wohl von dieser Leistung wie von so mancher anderen sagen, daß sie am besten unterblieben wäre. – Die Bahn ist für den Kulturstand des Landes zu früh gekommen und hat zu viel gekostet. Sie wird nur wenig benutzt und rentiert daher nicht – und wir haben fortwährende Beschwerden über das Ausbleiben der von der hiesigen Regierung garantierten Zinszahlungen. – Na, Herr von Walden wird bald genug mit den Folgen dieser Leistung deutschen Unternehmungsgeistes zu schaffen bekommen!«

»Ach, Herr von Lenval,« entgegnete Ilse in unerschütterter Zuversichtlichkeit, »meinem Mann ist gerade die Schwierigkeit einer Aufgabe das Anziehende.«

Programmäßig verlief dann auch der Empfang in der Hauptstadt. Da standen ebenfalls die Spitzen der deutschen Kolonie in der schmierigen Bahnhofshalle, wo stets Bananenschalen und zerkaute Stücken Zuckerrohr herumlagen, und es nach Vanille roch. Bewillkommende Worte wurden geredet, während eine Kapelle unentwegt auf Blechinstrumenten das »Heil Dir im Siegerkranz« dröhnend erschallen ließ. – Von Seiten der Landesregierung hingegen geschah nichts, um der Veranstaltung weiteren Glanz zu verleihen.

Bei allem, was vorging, stand Dedo wie überwältigt von Müdigkeit und ganz zusammengesunken unter der Last der Langweile. Das Monokel hatte er schon längst durch ein blasiert wirkendes Emporziehen der Stirnhaut aus dem Auge fallen lassen, und er sah aus wie ein Pferd, das im Stehen schläft.

Erst als eine gaffende und recht wild verwegene Menge zerlumpter Bevölkerung immer dichter heranzudrängen begann, schien er plötzlich aufzuwachen. Das Monokel saß auf einmal wieder am Auge, und Ilse den linken Arm bietend, und sich selbst vor sie schiebend, bahnte er ihr, scheinbar ganz lässig, mit dem Stöckchen, das er in der Rechten trug, einen Weg durch die Knoblauch ausdünstenden Knäuel heißer, brauner, stier starrender Menschheit. – Als er sich dann abends von Waldens empfahl, sagte er: »Der wilde Festesrausch wäre hiermit wohl erledigt – nun dürften voraussichtlich die üblichen Klagen und sonstigen Verdrießlichkeiten wieder einsetzen.«

Diese Prophezeihung erfüllte sich, und als Taudien, seinem Versprechen gemäß, mit einem der nächsten Postdampfer eintraf, fand er Wolf schon mitten in unerquicklichen Verhandlungen.

Einer der üblichen Bürgerkriege wütete gerade in einer entlegenen Provinz des Landes. Ein eigentliches Wüten war es zwar kaum zu nennen, da auf beiden Zeiten nie mehr als ein paar Kämpfer verletzt wurden, während sich die übrigen durch weise Flucht ihren Parteien erhielten – immerhin hatten diese Zusammenstöße genügt, um die Kaffeeplantagen dort angesiedelter Deutschen zu zerstören. Wolf mußte protestieren und für die betroffenen Landsleute Entschädigung verlangen; aber er erhielt die Antwort, für die Taten der Insurgenten könne die Regierung der Republik nicht verantwortlich gemacht werden.

Die Regierung war ja auch tatsächlich nicht gut dran, und die Entrichtung irgendwelcher Entschädigungen wäre ihr schwer gefallen – denn die öffentlichen Kassen waren wiederum, wie so oft in diesem Lande, auf geheimnisvolle Weise geleert. Manchmal fehlte es sogar an Mitteln, um auch nur die monatlichen Gehälter und Besoldungen der Beamten und Soldaten zum richtigen Termine auszuzahlen. An solchen Tagen war es dann ein bekanntes Schauspiel, den Finanzminister in die Magazine der fremden Kaufleute wandern zu sehen, um mit ihnen, über den Ladentisch weg, eine kleine momentane Anleihe zu negoziieren. – »Buenos amigos« waren dann plötzlich diese ausländischen, sonst von indianisch-spanischem Hochmut gern übersehenen Geschäftsleute, und der simple Karl Großmann wurde bei diesen Gelegenheiten zwischen zwei abrazos »muy querido Don Carlito« genannt.

Bei diesen kleinen Verlegenheiten halfen denn auch wirklich die fremden Kaufleute oftmals aus, in dem Wahne, sich so späteres Wohlwollen und künftige Lieferungsbestellungen zu sichern. – Aber eine ganz anders große und schwierige Frage war es mit den Zahlungen für die garantierten Zinsen der Bahn, die die Regierung halbjährlich aufbringen sollte. Da vermochten die gefälligen ausländischen Kaufleute nicht Hilfe zu leisten!

Die Pünktlichkeit dieser Zahlungen endlich durchzusetzen war demnach der schwierigste Punkt, über den Wolf zu verhandeln hatte.

Die große Finanzgruppe, die den Bau jener Bahn unternommen hatte, nahm in Berlin eine mächtige Stellung ein und setzte all ihren Einfluß daran, eine wirksame Pression gegen die säumigen Schuldner zu veranlassen. Dabei wiesen die Finanzherren darauf hin, daß das Land durch seinen natürlichen Reichtum sehr wohl imstande wäre, die versprochenen Zinsen aufzubringen, daß aber die durch Zölle und Steuern einlaufenden Staatseinnahmen in die Privattaschen der jeweilig an der Regierung beteiligten Parteiführer abflössen. – Durch die von so maßgebender Seite vorgebrachten Beschwerden und durch die Fruchtlosigkeit aller bisherigen Reklamationen waren die mit der Vertretung deutscher Rechtsansprüche im Auslande betrauten Herren des Ministeriums allmählich in eine nervöse Ungeduld versetzt worden. So wurde die Sprache in Berlin immer drängender, und Wolf erhielt den Auftrag, die renitente Regierung in schärferem Tone an ihre Verpflichtungen zu mahnen. – Als aber auch darauf all seine Schritte nichts nützten, mußte er in den ihm zugehenden Erlassen die Andeutung lesen, daß bei mehr Energie und größerer Geschicklichkeit des Gesandten wohl bessere Erfolge zu erwarten gewesen wären. – Die Gereiztheit über eine ziemlich aussichtslose Lage machte sich, wie so oft, Luft durch Ärger gegen den eigenen Beamten.

So zogen sich mehrere Monate hin, und Wolf glaubte aus den auf seine Vorstellungen erfolgenden Antwortsnoten der Regierung der Republik sogar eine gewisse mißachtende Unbekümmertheit herauszulesen, als wage dieser halb zivilisierte Staat anzudeuten, daß von seinem großen Vaterlande ja doch nicht viel zu fürchten sei. – Die anfänglich rein materielle Frage war allmählich eine des Prestige geworden, besonders auch in den Augen der gespannt zuschauenden Vertreter der anderen Länder. Und Wolf sah wohl, daß eigentlich ein Exempel statuiert werden müsse, sagte sich aber doch gleichzeitig, daß die dazu erforderlichen Maßnahmen gerade hier schwerlich angewandt werden könnten, da dieser Weltteil für europäische Mächte bekanntlich als tabu gilt.

Da plötzlich erhielt Wolf zu seiner Überraschung die telegraphische Mitteilung, daß in einigen Tagen S. M. Schulschiff »Schill« und kleiner Kreuzer »Zieten« in den dortigen Gewässern eintreffen würden. »Er solle den Eindruck, den diese Machtentfaltung dort an der Küste hervorrufen würde, dazu ausnutzen, um die schwebenden Forderungen durchzusetzen, wobei er andeuten könne, daß seine hohe Regierung es bedauern würde, wenn sie gezwungen werden sollte, zur Erreichung ihrer Rechtsansprüche über den Weg freundschaftlicher Vorstellungen hinauszugehen.«

»Gräßlich!« sagte Dedo, nachdem er dies Telegramm mit Wolf dechiffriert hatte, »nun auch noch Marine!«

Taudien aber, der kürzlich von einem längeren Ausflug im Lande in die Hauptstadt zurückgekehrt war, bemerkte: »Mir will die Lage hier gar nicht gefallen! An der ganzen Küste, bei Einheimischen und Fremden, wird gemunkelt, wir trieben diese ganze Zinszahlungsfrage überhaupt nur auf die Spitze, um einen Vorwand zu militärischem Einschreiten zu finden, und immer wieder werden dabei unsere angeblichen Absichten auf die Insel Santa Immaculata erwähnt. – Die Vertreter derjenigen Nation aber, die überall auf Erden Feindschaften gegen uns erwecken möchte, sind am eifrigsten dabei, solche Gerüchte zu verbreiten, weil sie wohl wissen, daß sie damit den Argwohn der großen nordischen Republik auf uns lenken werden. – Wenn jetzt nur nicht irgendeine Unüberlegtheit bei uns geschieht! – Zu wollen ist hier ja doch nichts für uns, – dafür gab es einst in anderen Weltteilen andere Chancen – aber die haben wir ja gründlich versäumt!«

Und Taudien versank in bitteres Grübeln über verlorene schwarze Reiche, deren Erwerbung er einst seines Lebens beste Jahre geweiht.

Wolf war durch die Worte des Freundes ganz besonders betroffen, weil sie die in ihm selbst schon aufgestiegenen Bedenken noch bestärkten.

Er entsann sich dabei auch, daß der Vertreter jener so gern Zwietracht säenden Macht ihm selbst vor kurzem in insinuierendem Tone gesagt hatte: »Meine Regierung wird Ihnen gewiß keine Schwierigkeiten machen, wenn Sie hier etwa ein Faustpfand ergreifen wollen.«

Es waren schwere Stunden der Sorge und Unruhe, die Wolf in der folgenden schwülen Nacht durchwachte. Sein ganzer Lebenswunsch war es ja gewesen, einmal an einer der großen Aktionen beteiligt zu sein, wo es sich erweist, ob Deutschlands eigenes Kraftbewußtsein und sein äußeres Ansehen hinreichend stark sind, um auf fernes, überseeisches Gebiet seine Macht zu erstrecken. Aber, wie auch Taudien, hatte Wolf dabei an ganz andere Länder gedacht! – Und nun, wo es schien, als ob ihm endlich solche Gelegenheit geboten werden solle, von der er früher geglaubt, daß sie ihn mit Begeisterung erfüllen werde, war es eine, vor der ihn die innere Stimme warnte.

Als das erste Licht des neuen Tropentages aufging, hatte Wolf nach schwerem Kampfe es als seine Pflicht erkannt, nach Berlin zu drahten, um seine Befürchtungen auszudrücken, daß bei einem etwaigen bewaffneten Eingreifen neben der indianischen Republik noch eine ganz andere Macht als Gegner Deutschlands auftreten würde.

Einige Tage darauf traf in der Hauptstadt der Republik die Nachricht ein, daß vor Santa Immaculata zwei deutsche Kriegsschiffe erschienen seien, die dort auffälligerweise Vermessungen vorgenommen hätten.

Die Aufregung über diese Nachricht hatte sich noch nicht gelegt, als auch schon die beiden Schiffe in denselben Hafen dampften, wo Wolf und Ilse einst gelandet waren. Freilich nur ein Schulschiff und ein kleiner Kreuzer, der sich als recht alter Holzkasten erwies. Aber was schadete das, auch davor sollten die Halbwilden schon Achtung bekommen! Die Stimmung war hoch, die Begeisterung wogte wie eine erregte See. Von den beiden Kapitänen an bis zum jüngsten Kadetten hatte jeder die Empfindung, daß nachdem langen Küstenbummeln und dem Ausspähen nach schutzbedürftigen Landsleuten nun endlich der Moment der wahren Tätigkeit kommen solle, daß man jetzt praktisch würde anwenden können, was in endlosen Unterrichtsstunden theoretisch erlernt worden, daß die hohe Stunde des Gebens geschlagen habe. – Und Ilse ging es ganz so wie all den künftigen Seehelden; auch sie hatte diese Empfindung, voll bewußt des Lebens hohe Stunde erreicht zu haben, die Stunde, die Wolf endlich zur Geltung bringen würde.

Von der hoch gelegenen Hauptstadt fuhr Wolf frühmorgens hinunter an den Hafen, holte Kapitän von Plenker vom Schulschiff »Schill« und Kapitän Boekerschlamm vom »Zieten,« sowie die Flaggleutnants und wer sonst an Offizieren auf den Schiffen zu entbehren war, ab, und brachte sie hinauf in die Residenz.

Es war ein ganz stattlicher Zug!

Ilse hatte es möglich gemacht, sämtliche Herren in der Gesandtschaft aufzunehmen.

Es war ein verwittertes altspanisches Palais, dessen nach der Straße gekehrte Außenseite, wie so manche Bauten aus den kämpfereichen Konquistadorentagen, etwas finster Trotziges hatte durch seine eng vergitterten Fenster und die mit Zinnen gekrönten Dächer. Im Inneren dagegen mündeten die Gemächer auf eine breite schattengewährende Veranda. Diese lief rings um einen weiten sonnendurchfluteten Hof, in dessen Ecken vier riesige, leuchterartig steife Araukarien emporragten. In der Mitte des Hofes aber befand sich ein langes achteckiges Wasserbecken, auf dessen grauer steinerner Einfassung ein einsamer weißer Pfau saß. – Regungslos und selbst wie eine architektonische Verzierung wirkend, konnte er stundenlang in die stille Wasserflut blicken, auf deren Grunde blauweiße Kacheln schimmerten; nur manchmal hob er den Kopf und ließ einen unheimlich rauhen Schrei, gleich einem Mahnruf, ertönen. – Hinter dem Hause erstreckte sich ein weiter verwilderter tropischer Garten. – Als die militärischen Gäste eingezogen waren, kam es Ilse vor, als befände sie sich in einer Festung; die Belagerung von Götz von Berlichingens Burg und ähnliche klassische Reminiszenzen fielen ihr ein. Ganz seltsam schien es, daß das banale, diplomatische Leben so aufregende Stunden enthalten könne, aber ihre Seele wuchs mit diesen neuen Aufgaben, und sie fühlte, daß sie an der Weltgeschichte mitarbeitete – wenn sie auch nur den schwarzen Hausmädchen half, für die Gäste die Zimmer zu richten!

Die jüngeren Leutnants wiederum und die Kadetten hofften von ganzem Herzen, daß die letzten diplomatischen Schritte, die der Gesandte nunmehr bei der störrischen Regierung tun wollte, trotz der ihnen Nachdruck verleihenden militärischen Gegenwart erfolglos bleiben würden – denn dann mußte doch die Losung heißen: Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Der Gesandte und seine Frau würden sich dann auf eines der Kriegsschiffe begeben müssen, und der Leutnants und Kadetten glorreiche Aufgabe würde es sein, ihre schöne Landsmännin zu verteidigen, unter ihren Augen zu siegen, und wenn nötig, zu sterben. – Und bei der bloßen Eintreibung der Geldforderungen einiger Finanzleute durfte es dann doch nicht bleiben, oh nein, zum mindesten mußte eine Flottenstation für Deutschland dabei herauskommen!

Unmittelbar nach ihrer Ankunft machte Wolf mit den Offizieren Besuche bei seinen Kollegen, sowie bei den einheimischen Ministern und stellte sie auch dem Staatsoberhaupte vor. In mehreren mit Maultieren bespannten Wagen fuhren sie durch die holprigen Straßen. Mit großen schwarzen Augen und aufgerissenen Mäulern, in denen die weißen Zähne blitzten, starrte die braunhäutige zerlumpte Landesjugend dem ungewohnten Schauspiel nach. Die erwachsene Bevölkerung verhielt sich gleichgültig, die Aufregungen häufiger Revolutionen hatten offenbar abstumpfend auf sie gewirkt; nur gelegentlich fiel ein Fluch über die Fremden im allgemeinen.

Die lebhaftesten Wirkungen hatte die Rundfahrt auf den Geschäftsbetrieb der anderen Gesandtschaften. In ihren Kanzleien, wo sonst hinter herabgelassenen Jalousien die glühend heißen Nachmittage in langen Rohrstühlen verträumt wurden, herrschte eine fieberhafte Tätigkeit; lange Telegramme wurden aufgesetzt und chiffriert, um in alle Länder die Kunde der großen Begebenheit gelangen zu lassen. Für einige Stunden hielt die entlegene Stadt, die kein eigenes Leben besaß, die ganze übrige Welt in Atem.

Am Nachmittag desselben Tages begab sich Walden in Begleitung seines Legationssekretärs, des Baron Dedo von Lenval, noch einmal auf das Ministerium des Auswärtigen und gab dort eine Note ab, deren Inhalt dem ihm von zu Hause erteilten Auftrag entsprach.

Walden hatte kein Wort mehr geschrieben, als ihm telegraphisch befohlen worden war; als er aber die Note dem Minister überreichte, hatte er dennoch ein gewisses beklommenes Gefühl – vielleicht wirkte diese Mahnung nun endlich, und es ging alles glatt, – aber wenn nicht? – dann blieben als ultima ratio ein alter Holzkasten und das kleine Schulschiff! – seltsam, seltsam, dachte Walden, man mußte zu Hause plötzlich sehr schneidig geworden sein! Er persönlich war ja gedeckt durch seine Instruktionen – aber – wenn man sich daheim nur nicht versah, und vor allem: wenn man sich nur vorher versichert hatte, daß keine fremde Einmischung zu befürchten war! – Am Morgen bei der Rundfahrt war es nämlich Wolf erschienen, als ob der Empfang auf einer der Gesandtschaften sehr kühl gewesen sei, jener Gesandtschaft, die den riesengroßen Staatenbund repräsentiert, der seit einigen Jahren in die Reihe derjenigen Mächte aufgerückt ist, vor denen man sich fürchtet.

Wolfs Sorgen wären noch viel größer gewesen, hätte er sehen können, daß bald nachdem er dem Minister des Auswärtigen seine Note übergeben hatte, dieser sich auf eben diese Gesandtschaft begab, dort in langer Verhandlung verblieb, und daß der betreffende Gesandte hierauf eine rege telegraphische Tätigkeit entwickelte.

Wolf und Ilse widmeten sich während des nächsten Tages ihren Marinegästen und geleiteten sie auf das Fest, das ihnen zu Ehren von ihren Landsleuten abends veranstaltet wurde. Die Landsmänner und Landsmänninnen waren ja erfreut, die Herren Offiziere begrüßen zu können, und die jugendlichen Gesichter der Kadetten appellierten an manches mütterliche Herz – nur der Zweck des Kommens dieser Gäste erregte ein gewisses Mißbehagen. Du lieber Gott, schließlich würde die Forderung der Finanzgruppe ja mal bezahlt werden! Warum die Leute so drängen, bei denen jetzt in der Revolutionszeit das Geld knapp war? Ein bißchen Schutz, gelegentliches Reden von der heimatlichen Flagge, die auch ihre fernsten Kinder noch deckt, war ja recht schön, so an großen nationalen Festtagen beim Glase Sekt – aber dies war doch etwas zu drastischer Schutz, das konnte verhaßt machen, den ohnedies schwachen Handel stören, jenem gefährlichsten Konkurrenten dagegen nur nützen, der bereits mit den ihm geläufigen Verdächtigungen den spanisch-indianischen Stolz gegen die Deutschen aufzuhetzen begann. – Herr Großmann, der, wenn erst sein Schwager Präsident geworden sein würde, eine Kohlenstation gern (hübsch friedlich und durch freundliche Verhandlungen über den Ladentisch weg) erworben hätte, vertrat gleichfalls diese Anschauung. Spät am Abend sagte er zu dem von den Vergnügungen dieses Festes ganz erschöpften Dedo: »Wenn unser vortrefflicher Herr Gesandter uns da nur nicht in eine Patsche hineingebracht hat!« Worauf Dedo aber mit einer an ihm ungewohnten Energie erwiderte: »Lieber Herr Großmann, in solchen Augenblicken spricht man überhaupt nicht von Patsche.«

Und Taudien, der dabei stand, sagte achselzuckend: »Ob es klug war, diese ganze Aktion einzuleiten, erscheint auch mir sehr fraglich, aber das steht fest, einen Rückzug darf es jetzt nicht geben, denn deren haben wir ja leider allmählich schon zu viele aufzuweisen, und solche wiederholte Blamagen würden unser Ansehen in der Welt derart schädigen, daß Handel und Industrie darunter schließlich auch leiden müßten.«

Ilse hatte während des ganzen Abends gefühlt, daß sie in nicht sympathisierender geistiger Atmosphäre atme. Auch auf ihr lastete es wie eine Beklemmung: Was würde nun wohl werden? – sie lag dann die ganze lange, heiße Nacht wach unter dem Moskitonetz. Die Türen der Veranda standen weit offen, und sie hörte, wie draußen im Garten die Palmenblätter im Frühwind zu knistern begannen, und der weiße Pfau seinen ersten heiseren Schrei, einem Mahnruf gleich, erhob. Der Morgen des Tages brach an, der nun wohl die Entscheidung bringen mußte. Und im blassen Zwielicht faltete Ilse die Hände: »Ach, daß es etwas Großes und Schönes werden möge, für Wolf – und fürs ferne Vaterland!«

Niemand auf der Gesandtschaft vermochte während dieses Tages sich zu einer Beschäftigung wirklich zu sammeln. Man stand umher und wartete, jeden Augenblick konnte ja die Antwort der Regierung der Republik eintreffen. Frühstück und Lunch waren willkommene Unterbrechungen des nervenangreifenden Zustandes. Klingelte es an der Türe, so fuhr man zusammen. Kein Gespräch wollte in Gang kommen, immer wieder stockten die Unterhaltungen, und dann hörte man im allgemeinen Schweigen einen ausrufen, was auf aller Gemüter lastete: »Wenn doch endlich die Antwort da wäre!«

Nachmittags unternahmen ein paar der jüngeren Offiziere einen kleinen Gang durch die Stadt. Als sie heimkehrten, berichteten sie, daß ihnen johlende Straßenjugend gefolgt sei. Wirklich sah man durch die vergitterten Fenster auch bald eine Rotte zerlumpter, jugendlicher Strolche, die sich der Gesandtschaft näherten. Doch plötzlich war Landespolizei in der Straße gewesen, niemand hatte gesehen, wo sie auf einmal hergekommen war. Vor ihr zogen sich die Demonstranten schleunigst zurück, und von da an patrouillierte die Polizei regelmäßig die Straße ab; – bei dem Klang ihrer langsam näher kommenden und dann wieder verhallenden Schritte war Ilse nicht mehr wie in einer Festung, sondern wie in einem Gefängnis zu Mute. – Langsam strichen die Viertelstunden.

Zum Nachmittagstee hatte man sich im Garten vereinigt, und jeder begrüßte den anderen: »Nun noch immer nichts?« »Nein, noch keine Antwort.«

Da sagte Kapitän Boekerschlamm im mecklenburgischen Dialekt, der in großen Momenten immer bei ihm zum Durchbruch kam: »Na, nach einer gewissen Zeit ist keine Antwort auch eine Antwort. Und dann kann ja morgen früh unsere Antwort sein: Klar zum Gefecht.« – Das war brav gefühlt und brav gesprochen, denn niemand wußte besser als Kapitän Boekerschlamm, daß der Feind, so elend er war, doch ein paar Schiffe besaß, die es mit dem alten Holzkasten allenfalls aufnehmen konnten.

Wolf schaute von Zeit zu Zeit verstohlen auf die Uhr; nicht nur, daß von der Regierung der Republik keine Antwort auf seine Note erfolgt war, aber er hatte auch auf die telegraphische Anzeige, daß er sie abgegeben und sich weitere Instruktionen erbäte, aus Berlin nichts mehr gehört. Er war schon seit seiner warnenden Depesche ohne alle Nachricht.

Zum Diner an diesem dritten Abend waren einige fremde Gesandte sowie Taudien zu Waldens geladen. Man war froh des Vorwandes, Toilette machen zu müssen, um sich zurückziehen zu können, denn immer bedrückender lastete es auf allen. – Ilse hatte den ganzen Tag in diesem Lande mangelhafter Dienstboten viel für den großen Haushalt zu bedenken gehabt, aber auch neben ihr hatten bei allem, was sie tat, greifbaren Wesen gleich, die Fragen gestanden: Was wird geschehen? werden sie gutwillig nachgeben? oder nicht? und was dann?

Jetzt stand Ilse, nachdem die Marineherren in ihre Zimmer gegangen, noch einen Augenblick allein mit Wolf im Garten, wie oft sollte sie später an diesen Augenblick zurückdenken! – Die winzigen Kolibris schossen surrend an ihr vorüber und gruben die langen spitzen Schnäbel und die ganzen schillernden Köpfchen in die purpur- und orangefarbenen Canablüten. Das Surren der Kolibris, das Zirpen der Zikaden, waren die einzigen Geräusche, sonst war es so still um sie her, als ständen sie nicht in einem Stadtgarten, sondern in einer einsamen, dem Urwald abgerungenen Hacienda. Der Himmel war noch ganz von Licht durchflutet, doch aus der Erde wuchsen schon abendliche Schatten empor, und mit ihnen erhoben sich die süß betäubenden Düfte, die nachts in den Tropen aus dem feuchten, keimerfüllten Boden steigen, gleich zärtlichen Händen, die streicheln und wiegen und gefangen halten. In der zunehmenden Dunkelheit leuchtete noch, wie magisch, die eine Wand des Hauses, die ganz von violetten Bougainvilliers überwachsen war, und man ahnte, daß davor Jasmine, Heliotrop, Orangen, Geisblatt und die weißen Glocken der Florifundien in ungeahnter Fülle blühten, wie eine große Symphonie der Düfte wehte es durch die Luft.

Wolf und Ilse atmeten auf in dieser ersten kleinen Ruhepause, die ihnen der Tag brachte. Doch ein Gärtner kam auf sie zu und fragte Ilse, wo er die hellgrünen Papierlaternen anbringen müsse, die nach dem Diner im Garten angezündet werden sollten. – Ilse ging mit dem Gärtner, ihm die Stellen an den federnden Bambuszweigen und den Lianen, die die Palmen verbanden, zu bezeichnen, und während dessen trat Wolf ins Haus zurück. – Als sie vom Garten zurückkehrte, fand sie ihn in seinem Arbeitszimmer vor dem geöffneten eisernen Schrank stehen.

»Ich will den Chiffrekasten mit hinaufnehmen, sagte er, »vielleicht kommt doch noch vor dem Essen etwas von zu Hause. Ja, und jetzt ist es wohl Zeit, daß wir uns anziehen.«

Sie gingen hinauf. – Und auch daran sollte sich Ilse später oft erinnern, wie sie, als sie fertig angekleidet gewesen, noch einen Augenblick vor dem Spiegel gestanden und sich einen Zweig goldbrauner Orchideen angesteckt hatte, die zur Farbe ihrer Haare und großen Augen harmonisch stimmten. – Ein bißchen blaß und durchsichtig war auch sie freilich geworden, während der Tropenjahre – weniger vielleicht als Wolf – und es war doch immer noch ein reizvolles Bild, das ihr da entgegen lächelte – etwas Heimatluft würde die frühere Frische rasch zurückzaubern, vor allem aber Wolfs Erfolg – und der stand ja nun sicher dicht bevor, zum Greifen nahe! – Ach schön, schön war das Leben mit all seiner spannenden Aufregung und seinen großen Zielen!

So trat sie strahlend in ihres Mannes Ankleidezimmer, der schon auf sie wartete. – Da klopfte es an die Türe. Ein Diener überreichte dem Gesandten ein Telegramm. Er riß den Umschlag auf.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
30 августа 2016
Объем:
400 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают