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Ein weltweites Wettrennen

Seit längerer Zeit warten in Zürich zwei Patienten mit Blutgruppe A positiv auf ein Spenderherz. Aber von einer Warteliste zu sprechen, wäre übertrieben, denn ein Herz hat man in der Schweiz bislang nicht transplantiert. Seit der ersten Transplantation in Südafrika im Dezember 1967 ist weltweit eine Art Wettrennen in Gange. Schon ein knappes Jahr nach Barnards erstem Versuch sind 60 Herztransplantationen dokumentiert, und Senning transplantiert im April 1969 das 126. Herz. Die Mehrzahl der Eingriffe wird in den USA durchgeführt, aber einige auch weltweit, von Buenos Aires, Bombay und Montpellier bis London und Montreal.3 Auch Åke Senning als einer der führenden Herzchirurgen der Zeit ist dem Experiment gegenüber nicht abgeneigt. Und eine Art Experiment ist es damals, denn die Operation an sich ist für einen guten Chirurgen nicht schwierig, aber es fehlen noch die richtigen Medikamente, um die Abstossung des fremden Herzens längerfristig zu verhindern.

Senning hat im Januar 1968 einen seiner Oberärzte, Felix Largiadèr, nach Kapstadt zu Barnard gesandt. Da hat dieser gerade das zweite Herz verpflanzt. Der erste Patient überlebt 18 Tage, der zweite 19 Monate. Largiadèr schreibt in seinem Buch über Transplantationen, dass es klar gewesen sei, dass Senning sich für das Thema interessiert habe, aber er habe eine Abneigung gegen schriftliche Fixierungen gehabt und lieber improvisiert. Das heisst, Senning schickt zwar seinen Mitarbeiter nach Kapstadt und unterhält sich zum Thema auch mit Kollegen, aber er hält dazu nichts Schriftliches fest und lässt von seinen Ärzten auch kein Herztransplantationsprogramm aufstellen, in dem die Indikationen, die Anforderungen an die Spender und die immunsuppressive Behandlung beschrieben wären.4 Als der Moment da ist und man ein Spenderherz hat, wird spontan entschieden. Dass Senning die Kompetenz für diese Operation besitzt, daran besteht kein Zweifel. Er ist ein Starchirurg und gehört zu den Pionieren der ersten Stunde in seinem Fach. Wofür Barnard in Kapstadt fünf Stunden und ein 31-köpfiges Team braucht, das schafft Åke Senning in einer knappen Stunde mit einem Team von zehn Ärztinnen und Ärzten. Ruth Gattiker berichtet, er habe die Operation nicht als aufregend empfunden. Er habe gesagt: «Man muss ja nur nähen. Jeder meiner Oberärzte hätte das auch tun können.»

«Ich kann das organisieren»

Als sie vor Senning und Krayenbühl steht, will der Herzchirurg wissen, ob die Anästhesistin so schnell ein Team zur Betreuung von Spender und Empfänger zusammenstellen kann. Ruth Gattiker zögert nicht: «Ja, selbstverständlich, kein Problem. Ich kann das organisieren.» Sie selbst wird den Herzempfänger anästhesieren und überwachen. Für die Betreuung des Herzspenders wird sie einen ihrer Oberärzte rufen, der gerade Dienst im Notfall tut. Sie geht ans nächste Telefon und ruft an. Anschliessend bietet sie noch zwei Anästhesieschwestern auf und jemanden, der die Herz-Lungen-Maschine bedienen soll. Kurzfristige Einsätze ist Ruth Gattiker sich gewöhnt.

Um zehn Uhr wird der Spender durch die Glastür, welche die Neurochirurgie von der Herzchirurgie trennt, in einen der Vorbereitungsräume gerollt. Ruth Gattiker erzählt: «Ich habe den Spender mit meinen Leuten eingerichtet und habe meinem Team gesagt, wir schauen, dass er mit Adrenalin den Blutdruck immer schön hält. Wir beatmen ihn und stützen den Kreislauf. Es ging nur noch um das Herz. Das Hirn war ja bereits tot.»

Als der Spender so weit vorbereitet ist und von ihren Leuten betreut wird, bereitet sich Ruth Gattiker auf die Anästhesie des Empfängers vor, der in einem Taxi sitzt und auf dem Weg ins Spital ist. Sie spricht mit Senning und schaut sich die Krankenakte des Herzempfängers an. Es handelt sich um einen 54-jährigen Mann, seine Diagnose lautet: schwere Koronarsklerose mit Aneurysma der Vorderwandspitze sowie der Herzhinterwand. Schwere Herzinsuffizienz. Patient arbeitsunfähig. 1967 erste Hospitalisierung.5 Der Kardiologe Prof. Paul Henri Rossier, Direktor der Medizinischen Klinik, hat im Vorfeld das Aufklärungsgespräch mit dem Patienten geführt und ihm erklärt, dass er ohne Operation nur noch wenige Wochen zu leben habe und das Risiko andererseits, dass er den Eingriff nicht überleben werde, bei 90 bis 95 Prozent liege. Der herzkranke Mann will die kleine Chance dennoch nutzen und ist einverstanden.

Als der Empfänger im Spital ankommt, führt Ruth Gattiker wie vor jeder Anästhesie im Vorbereitungsraum ein Gespräch mit dem Patienten. Er ist nervös und redet ununterbrochen. Sie misst und notiert seinen Puls und Blutdruck. Anschliessend spritzt sie ein Mittel zur lokalen Betäubung in die Armvene, damit sie die Katheter legen kann. Heute können Katheter direkt von aussen mittels Nadelstich durch eine Kanüle in den Arm platziert werden. Das ist damals noch nicht möglich. Sie macht zwei kleine Schnitte. Einen am Handgelenk, wo sie die Pulsschlagader freilegt und einen Katheter zur arteriellen Druckmessung einlegt. Der zweite Schnitt kommt in die Armbeuge, wo sie eine Vene freilegt, dann einen Katheter einlegt und ihn bis in den rechten Vorhof des Herzens vorschiebt. Nachdem die Katheter gelegt sind, werden die kleinen Wunden vernäht und je eine Blutprobe zur Blutgasanalyse genommen. Dann spritzt sie dem Patienten das kurz wirksame Thiopental, um ihn schläfrig zu machen. Sie hat in Erinnerung, dass er noch ununterbrochen weiterredet, bis die Mittel endlich wirken. Über eine Gesichtsmaske lässt Ruth Gattiker ihn Sauerstoff und Lachgas einatmen. Dann wird ihm Succinylcholin gespritzt, ein kurz wirkendes Muskelrelaxans. Anschliessend führt sie über den Rachen schnell und geschickt eine Magensonde und einen Tubus (Schlauch) in die Luftröhre ein, für die sogenannte endotracheale Intubation. Sie misst nochmals Puls und Blutdruck. Über den Beatmungstubus erhält der Patient nun einige Beatmungsstösse mit reinem Sauerstoff. Anschliessend stellt sie am Narkoseapparat ein 50-prozentiges Sauerstoff-Lachgas-Gemisch ein, lässt den Patienten aber noch selbst atmen. Damit ist er «fertig instrumentiert», wie Ruth Gattiker es ausdrückt, und wird in den Operationssaal gefahren. Dort befestigt sie an seinen Armen und Beinen die Elektroden für das Elektrokardiogramm (EKG). Gattiker kontrolliert den Kreislauf des Patienten, spritzt ihm Curare zur Lähmung der Atemmuskulatur und schliesst ihn zur künstlichen Beatmung an einen Engström-Respirator sowie an die elektronischen Überwachungsgeräte für EKG, Blutdruck, Herzschlag und Temperatur an. Die Operation kann losgehen.

Während des ganzen Eingriffs ist es Ruth Gattikers Aufgabe, auf den Monitoren das EKG und die Blutdruckkurve zu überwachen und gegebenenfalls mit Medikamenten einzugreifen. Ausserdem entnimmt sie dem Patienten in gewissen Abständen Blut, das ins Labor gebracht wird und innerhalb kürzester Zeit auf seine Blutgase und die Zusammensetzung der Elektrolyten (Natrium, Kalium, Chlorid, Kalzium, Phosphat) hin untersucht wird. Im Operationssaal liegen auch alle Medikamente und Geräte zur Wiederbelebung im Fall eines Kreislaufstillstands bereit: Adrenalin, Procain, Natriumbikarbonat, Kalzium und Kaliumchlorid sowie ein Defibrillator.6 Die Anästhesie des Herzempfängers ist diffizil, weil er unter einer schweren Herzinsuffizienz leidet. Er muss genau überwacht und die Mittel müssen sorgfältig eingesetzt werden, damit Kreislauf und Herz nicht schon infolge der Anästhesie aufgeben.

«Wir haben einen Patienten gerettet, das war alles»

Als der Empfänger im Operationssaal bereit ist, beginnt die Herzentnahme beim Spender im Raum gegenüber. Um 12.30 Uhr öffnen drei Ärzte den Brustkorb des Spenders und trennen die Hauptschlagader und eine Herzader nach der andern durch. Sie lösen das Herz mit einigen schnellen Schnitten heraus. Es kommt in einen Behälter mit einer gekühlten Kochsalzlösung und wird sorgfältig über den Gang in den Operationssaal getragen, wo der Empfänger liegt.7

Der Brustkorb des Empfängers ist mittlerweile geöffnet worden, und sein Kreislauf wird von der Herz-Lungen-Maschine, die das Blut kühlt und mit Sauerstoff anreichert, aufrechterhalten. Ruth Gattiker steht auf einem Podest am Kopfende des Patienten, zu ihrer Linken und Rechten die Maschinen zu seiner Überwachung und die Herz-Lungen-Maschine. Von ihrem Podest aus hat sie den besten Blick auf das Operationsfeld, das sie, zusammen mit den Bildschirmen neben sich, nicht aus den Augen lässt. Volle Konzentration ist gefragt.

Ruth Gattiker im Operationssaal des Kantonsspitals Zürich in den 1960er-Jahren.

Åke Senning führt die Herztransplantation durch. Er klemmt die vom Herz wegführende Aorta des Empfängers ab, was um 13.18 Uhr zu einem Herzstillstand führt. Kein Problem, da die Herz-Lungen-Maschine die Versorgung des Körpers mit sauerstoffreichem Blut übernimmt. Das kranke Herz wird herausgetrennt, sodass die beiden Vorhöfe erhalten bleiben und von der grossen Körperschlagader und der Lungenarterie möglichst wenig verloren geht. Die beiden Vorhöfe werden mit den Vorhöfen des neuen Herzens verbunden und die grosse Körperschlagader mit dem Gefässrest des Spenderherzens vernäht, ebenso die Pulmonalarterie, die das Blut aus der rechten Herzkammer der Lunge zuführt. Das Blut wird im letzten Stadium der Operation langsam wieder aufgewärmt. Nach einer knappen Stunde Operationszeit ist es so weit, um 14.06 Uhr beginnt das Spenderherz von selbst wieder zu schlagen. Es muss nicht einmal elektrisch stimuliert werden.8 Die Anspannung im Operationssaal weicht der Erleichterung. Der Brustkorb kann nun in Ruhe geschlossen werden. Dass an dieser gelungenen Operation noch viel mehr hängt als ein rein medizinisches Problem, wird aber schon im nächsten Moment klar.

Der Gesundheitsdirektor schimpft

Ruth Gattiker tritt nämlich einer Person, die sich im Laufe der Operation unbemerkt hinter ihr auf das Podest gestellt hat, auf die Füsse. Sie schaut sich überrascht um und entschuldigt sich. Wer hinter der grünen OP-Kleidung mit Kopfbedeckung und Mundschutz steckt, kann sie nicht erkennen. «Bürgi, Regierungsrat», antwortet der Vermummte auf ihre Entschuldigung hin. Åke Senning und die anderen Ärzte schauen verwundert auf. Während Senning weiternäht, wettert der Gesundheitsdirektor des Kantons Zürich vom Podest herunter. Ruth Gattiker erzählt: «Die ganze Zeit schimpfte Bürgi, wir hätten nicht kommuniziert, weder in Bern noch hier in Zürich habe man etwas gewusst. Er habe auf Schleichwegen erfahren, dass diese erste Schweizer Herztransplantation stattfinde. Senning hat darauf trocken geantwortet, wir hätten andere Probleme gehabt, zum Kommunizieren sei nicht auch noch Zeit geblieben.»

Wie hat der Regierungsrat so schnell von der Sache erfahren? Ruth Gattiker hat dazu ihre eigene Theorie. «Der Herzempfänger war ein unheimlicher Schwätzer. Ich nehme an, er hat im Taxi auf der Fahrt ins Spital verkündet, dass er jetzt dann gleich im Kantonsspital ein neues Herz bekommen werde. Und so hat sich das womöglich verbreitet, vielleicht ging es aber auch über die Spitalleitung, die davon wusste. Ich weiss es nicht genau. Senning hat gewiss nicht daran gedacht, das vorher gross anzukündigen. Politik hat ihn wenig interessiert, und Schweizer Politik schon gar nicht.»

Die Ärzte im Operationssaal sind verwundert über die hektische Reaktion von Regierungsrat Urs Bürgi, als ehemaliger Urologe übrigens selbst Arzt. «So hoch kompliziert und speziell war diese Operation in unseren Augen nicht, aber wir waren natürlich glücklich, dass das Herz in dem wieder aufgewärmten Patienten sofort weiterschlug. Und dann kommt dieser Regierungsrat und schimpft über Politik und Kommunikation. Wir haben ihn völlig entgeistert angeschaut. Wir haben einen Patienten gerettet, das war alles», erzählt Ruth Gattiker. Bürgi aber ist Politiker. Der Umgang mit der Öffentlichkeit ist sein tägliches Brot. Die Journalisten werden als Nächstes Fragen stellen. Das ist Bürgi klar. Hinzu kommt, dass das Ganze nach einer Erfolgsmeldung aussieht, die man sich nicht entgehen lassen will. Der Regierungsrat hat für 17 Uhr eine Pressekonferenz im Hörsaal des Spitals anberaumt, bei der die Ärzte Red und Antwort stehen müssen. Niemand denkt in diesem Moment an Bernt Bernholm, der die ganze Zeit anwesend ist und die Operation mitverfolgt hat. Aufmerksam, wie der Journalist ist, hat er einen Blick in die aufgeschlagene Krankenakte geworfen, die Gattiker auf einem Gestell neben sich platziert hat und die alle wichtigen Informationen über den Herzempfänger enthält. «Ich habe den Journalisten ehrlich gesagt völlig aus den Augen verloren und die Akte im Operationssaal offen auf einem Glasgestell herumliegen lassen wie immer. Der war natürlich schlau und hat die Situation ausgenutzt. Ich war letztlich schuld daran, dass die Namen von Spender und Empfänger in die Presse geraten sind», erzählt Ruth Gattiker. Bernholm fliegt noch am gleichen Abend zurück nach Stockholm. Er hat alles Material, das er braucht, damit am nächsten Tag ein ausführlicher Artikel über die erste Herztransplantation seines Landsmanns und Freundes Åke Senning in der schwedischen Zeitung Expressen erscheinen kann.

Die Presse macht sich an die Arbeit

Vor der Pressekonferenz machen die Chirurgen eine kurze Pause. Es bleibt ein wenig Zeit, sich vorzubereiten. Ruth Gattiker aber muss den Operierten noch auf der Intensivstation installieren. Sie eilt von dort direkt zum Anlass. Die OP-Kleidung hat sie gegen den weissen Arztkittel eingetauscht, so wie ihre Kollegen auch. Die Journalisten stellen Fragen zum Hirntod, der damals noch nicht als übliche Todesdefinition gilt. Ausserdem wollen sie wissen, ob eine solche Organentnahme legal sei und ob man die Angehörigen um ihr Einverständnis gebeten habe. Nein, man hat die Angehörigen nicht gefragt, lautet die Antwort, und es wird mit der Verordnung über die Leichenöffnungen in Pflegeanstalten und Spitälern von 1890 argumentiert. Dort heisst es in Artikel 2, wie die Zeitung Blick tags darauf, am 15. April 1969, zitiert: «Jede Leiche darf ohne vorheriges Befragen der Angehörigen und ohne vorherige Einwilligung des Verstorbenen geöffnet werden.» Aber es ist 1969 und nicht 1890. Als diese Verordnung entstand, dachte niemand daran, dass man irgendwann Organe aus einem Menschen herausschneiden und bei einem anderen Menschen einpflanzen könnte.

Dass sich die Zeiten geändert haben und die Sache nicht so einfach über die Bühne geht, wie die Ärzte im ersten Moment meinen oder hoffen, wird der anschliessende Medienrummel zeigen. Am Dienstag berichten die drei grossen Zürcher Tageszeitungen Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Tages-Anzeiger und Blick über das aufsehenerregende Ereignis. Die NZZ bleibt dabei gewohnt nüchtern und liefert vor allem Fakten. Relativ ausführlich geht sie auf die Frage ein, weshalb man die Angehörigen nicht um eine Einwilligung zur Organentnahme gebeten hat. Regierungsrat Bürgi habe argumentiert, heisst es, dass in der Praxis kaum Zeit bleibe, um die Angehörigen zu informieren, geschweige denn gar darüber zu verhandeln. Wenn, dann müsste man den Spender fragen, aber der sei ja meist nicht mehr in der Lage, einen solchen Entscheid zu treffen.

«Ein grosser Tag für die Schweizer Chirurgie» titelt der Tages-Anzeiger. Der Text ist strukturiert nach den Aussagen der Beteiligten an der Pressekonferenz und beginnt mit dem Satz: «Wie ein Lauffeuer verbreitete sich am Montagnachmittag in der Stadt Zürich die Nachricht von der ersten geglückten Herzverpflanzung, welche Prof. Åke Senning am Montag um die Mittagszeit an einem 54-jährigen Kaufmann vorgenommen hatte.» Darauf wird Regierungsrat Urs Bürgi mit der Aussage zitiert, dass dieser Tag in die Geschichte der Schweizer Chirurgie eingehen werde. Anschliessend kommen die Professoren Rossier und Krayenbühl zu Wort. Dr. Linder erläutert die immunologischen Überlegungen. Professor Senning wird als wortkarg und zurückhaltend beschrieben. «Es gibt nicht viel zu erzählen. Alle Kliniken des Kantonsspitals sind beteiligt. Wir haben nichts Neues gemacht. Wir haben nichts anderes getan als das, was bei allen anderen Kliniken der Welt bei Herzverpflanzungen auch getan worden ist und was wir experimentell bereits geübt haben.» Zuletzt kommt Ruth Gattiker zu Wort. Sie berichtet, dass es keine besonderen Schwierigkeiten gegeben habe. Der Patient sei 56 Minuten an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen gewesen.

«Mir blieb fast das Herz stehen»

Wenig überraschend interessiert sich die Boulevardzeitung Blick vor allem für das Sensationspotenzial dieser Operation. Auf der Frontseite prangen am nächsten Tag ein Bild aus dem Operationssaal und die grosse Schlagzeile «Herzverpflanzung in Zürich». Der Artikel selbst gibt die wichtigsten Informationen wieder. Innen geht es weiter mit einem grossen Bild von Åke Senning und dem Titel «Der Mann, der in der Schweiz das erste Herz verpflanzte». Darunter zeigt ein Bild Sennings Ehefrau mit dem Telefonhörer am Ohr und der Bildlegende «‹Mir blieb fast das Herz stehen, als mir mein Mann am Telefon sagte, er habe ein Herz verpflanzt›, sagte Frau Senning». Die Herztransplantation als typische People Story. Im Artikel werden auch die vier Kinder des Ehepaars Senning erwähnt, mit Alter, Name und wo sie sich gerade aufhalten. Darunter eine Blitzumfrage des Blick bei Prominenten, ob sie ihr Herz hergeben würden. «Alle antworteten ja» und Fernsehmann Mäni Weber meint sogar «Grossartig!».

Am Montag wurde das Herz erfolgreich transplantiert und die Presse informiert mit der Bitte, die Anonymität der Patienten zu respektieren. Am Dienstag berichten die drei Zürcher Tageszeitungen noch ohne Namensnennung über die erfolgreiche Operation und ihre Akteure. Kritisch hinterfragt wird höchstens, dass die Eltern des Spenders nicht informiert oder um eine Einwilligung gebeten wurden. Am gleichen Tag erscheint aber im schwedischen Expressen auch schon der Artikel von Bernt Bernholm. Unter dem Titel «Ich sah das neue Herz schlagen» berichtet der Journalist, der im Operationssaal stand, über den Eingriff, und nicht nur das. Er nennt die Namen der Patienten. Der Spender heisst Albert Gautschi, der Empfänger Emil Hofmann. Der Blick druckt den Text aus dem Expressen in einer Übersetzung am Mittwoch ab, und nun ist der Weg frei für eine herzzerreissende Geschichte über ein gestohlenes Herz und einen vaterlosen Einjährigen. Auf der Titelseite heisst es in grossen Lettern «Die Mutter des Neuherz-Spenders klagt an: Man hat meinem Bub das Herz gestohlen». Daneben sind Bilder von Privatdetektiv Albert Gautschi, seiner Frau Eva, die es nicht fassen kann, und des einjährigen Söhnchens Wilfried «jetzt ohne Vater» abgedruckt. Am Donnerstag dreht die Spirale weiter. Nun ist der «Herzspender-Vater muff auf die ‹gelehrten Herren›», und «Professor Senning wehrt sich: ‹Ich musste retten!›» Weiter ist von «Herzraub» die Rede.

Der Tages-Anzeiger berichtet am Donnerstag ausführlich über die Informationspanne mit den publizierten Namen. Åke Senning habe die Schuld dafür auf sich genommen, weil er seinen Jugendfreund, den Journalisten Bernt Bernholm, in den Operationssaal gelassen habe. Er übernehme die Verantwortung für den sehr peinlichen Vorfall, heisst es, und dass er die Schweizer Journalisten nicht habe brüskieren wollen.

Am Freitag wird auf der Titelseite des Blick gefragt, ob der Herzspender in den Tod gestossen worden sei. Ein Hilfsarbeiter, der mit Gautschi ein Handgemenge hatte, ist festgenommen worden. «Neuherz-Verhaftung» lautet dazu die kreative Wortlösung. Am Samstag, 19. April, die positive Meldung, dass der Herzempfänger Albert Hofmann das Bett verlassen durfte und wieder feste Nahrung zu sich nimmt. Im Tages-Anzeiger erscheint ein Interview mit Regierungsrat Bürgi zu Fragen der Ethik. Bürgi sagt, dass die Übertragung von Organen menschlich-ethische Probleme aufwerfe, die man bisher noch gar nicht vollständig umreissen könne. Die Frage, ob man die Angehörigen nachträglich informieren solle, liege im Ermessensspielraum des Arztes. «Da keine gesetzliche Pflicht zur Benachrichtigung besteht, muss man fragen, ob eine moralische Pflicht gegeben ist.»9

Auf diese hektische erste Woche folgten ein paar Tage Ruhe. Während an der Pressekonferenz vom 14. April noch angekündigt wird, regelmässige Bulletins über die Gesundheit des Empfängers zu veröffentlichen, werden diese nach zehn Tagen schon eingestellt. Was soll man noch berichten, es sieht im ersten Monat alles gut aus. Die Operation ist problemlos verlaufen. Emil Hofmann kann nach einer Weile aufstehen. Ruth Gattiker erinnert sich, wie er in Anzug und Krawatte stolz mit der Oberschwester Mary im Garten des Kantonsspitals spazieren geht.

Am Samstag, 26. April, eine Erfolgsmeldung auf der Blick-Titelseite: «Das Zürcher Herzwunder dauert schon zwölf Tage!» Darunter gross das Bild von Albert Hofmann, der strahlend im Krankenbett vor seinem Essen sitzt. Dazu heisst es: «Er schlemmt, er plaudert, er spaziert – und rasiert sich sogar selbst.» Der Artikel mutet an wie das grosse, glückliche Finale einer zwei Wochen am Köcheln gehaltenen Geschichte. Danach herrscht Schweigen.

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