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9.

Tikus Ortskunde erwies den Männern wieder einen Dienst von unschätzbarem Wert. Die Freibeuter verließen den kleinen Ort Bengkalis in westlicher Richtung, und der Seewolf gab die Führung der Meute bedenkenlos an den Batak ab.

In den darauffolgenden Stunden konnten sie ihre Verfolger irreführen. Tiku, Sotoro und Kutabaru legten eine falsche Spur, die tief ins Inselinnere führte, später kehrten sie wie ein Spuk aus dem Mangrovendickicht wieder zu den wartenden Freunden zurück.

Yaira umarmte den Tiger von Malakka.

„Yaira“, sagte er dann zu ihr. „Unsere Wege trennen sich für kurze Zeit. Nein, widersprich mir nicht. Du kehrst mit diesen vier Freunden, die ihr mit mir aus den Klauen des Feindes befreit habt, zu dem einmastigen Praho zurück, den wir versteckt haben. Tiku beschreibt dir jetzt, wo der Praho genau liegt.“

„Ja“, antwortete das Mädchen. „Und du?“

„Ich will den Schatz in der nördlichen Bengkalis-Bucht heben. Er gehört dem Volk von Kra. Seewolf, kommst du mit?“ fragte er auf spanisch.

„Ich bin dabei.“

„Ich auch“, sagte Dan O’Flynn.

„Tiku und Kutabaru, begleitet uns“, ergriff nun wieder der Tiger in seiner Muttersprache das Wort. „Ihr anderen fahrt mit dem Praho den Selat Pandjang hinunter und stoßt vor Rangsang zu unseren Freunden des Verbandes. Sie wissen, was im Morgengrauen zu tun ist, wenn ich den Seewolf richtig verstanden habe.“ Er richtete diese letzte Frage auf spanisch an den Seewolf, und dieser nickte.

„Ja, Ben Brighton hat seine klaren Anweisungen, und Tiku hat meine Worte an die Besatzungen der Prahos übersetzt.“

„Außer der ‚Candia‘ liegen nur zwei Kriegskaravellen und zwei Handelsschiffe im Hafen von Bengkalis, Seewolf.“

„Ganz sicher, Sotoro?“

„Bei allem, was mir heilig ist. Ich habe es gesehen, als wir einliefen.“

„Glaubst du, daß der Nebel sich zum Tagesanbruch lichtet?“

„Fragen wir Tiku, den Batak“, erwiderte der Tiger von Malakka.

Tiku bejahte, nachdem Sotoro übersetzt hatte, er grinste und bedeutete ihnen dadurch, daß er ein ausgesprochener Optimist war. Hasard hoffte nur, daß es keine reine Euphorie war, ausgelöst durch die Tatsache, daß ihr Überfall auf die Kommandantur von Bengkalis so erfolgreich verlaufen war. So etwas führte leicht zu übersteigerter Selbstsicherheit. Hasard nahm aber an, daß die Naturmenschen von Inselindien über solche Regungen erhaben waren.

Yaira war mit ihren vier Begleitern im nebligen, feucht-stickigen Regenwald verschwunden. Hasard, Dan, Sotoro, Tiku und der Häuptling der Wassernomaden erreichten noch während der Nacht ungehindert den nördlichen Bereich der Bengkalis-Bucht.

Wachtposten hatten die Spanier an diesem von Lucio do Velho ziemlich genau beschriebenen Platz nicht aufgestellt. Sie rechneten natürlich nicht damit, daß jemand Unbefugtes nach einem Schiff forschte, das nicht zu sehen war. Bis vor kurzem hatte außer den Dons ja auch niemand von der Tragödie der „Santa Trinidad“ gewußt, auch nicht davon, was in den Frachträumen der Galeone lagerte.

„Do Velho wird darauf drängen, ein Schiff mit Soldaten hier herüberzuschicken“, sagte Hasard, als sie das steinige Ufer unter den Füßen hatten und auf die schwache Brandung zumarschierten. „Vielleicht rechnet er damit, daß wir seinen Tip bezüglich der Diamanten ausnutzen.“

Sotoro blieb stehen, bückte sich und griff mit einer Hand in das Seewasser, wie um die Temperatur zu prüfen. „Wir müssen auf der Hut sein“, murmelte er. „Der Portugiese ist zu allem fähig, und er wird vor Wut, mir alles über die Diamanten von Kra erzählt zu haben, schreien. Aber ich glaube, der Stadtkommandant und die anderen Hunde richten sich jetzt nicht mehr nach seiner Order.“

Dan gab zu bedenken: „Immerhin könnte dieser Bursche auf eigene Faust mit seiner ‚Candia‘ lossegeln und uns hier oben suchen.“

Hasard wies auf die flach über der See treibenden Nebelschwaden. „Er weiß aber auch, daß er dann riskiert, wie die ‚Santa Trinidad‘ auf ein Riff zu laufen.“

„Es wäre mir ein Vergnügen, seinem Untergang zuzuschauen“, sagte der junge Mann. „O Sir, was wäre das für ein Fest. Warum haben wir diesen Sohn einer abgetakelten Hafenhure eigentlich nicht auch niedergeknallt?“

„Das weißt du ganz genau.“

„Richtig, er konnte sich nicht wehren, weil wir ihm die Waffen abgenommen hatten. Aber das eine ist sicher. Der Kerl ist gefährlicher als ein ganzer Sack voll Schlangen. Es wäre mir lieber gewesen, statt Uwak, Escribano und Lozano den portugiesischen Bastard fallen zu sehen.“

Sotoro hatte sich seiner Kleidung bis auf einen Lendenschurz entledigt. Tiku und Kutabaru, der Anführer der Orang Laut, folgten seinem Beispiel. Hasard streifte seine spanische Soldatenkluft nun ebenfalls ab.

„Moment!“ rief Dan O’Flynn. „Was soll denn das bedeuten?“

Hasard legte den Zeigefinger gegen die Lippen. „Ruhe, Mann, willst du ganz Sumatra auf den Plan rufen? Du bleibst an Land und paßt auf, während wir die ersten Tauchversuche unternehmen, das ist doch sonnenklar.“

Der Tiger von Malakka hatte mit Tiku und Kutabaru gesprochen, jetzt trat er noch einmal auf den Seewolf zu. „Ist es wahr, was du uns vorhin über Feuer gesagt hast, das auch unter Wasser brennt?“ fragte er.

„Ja. Ich habe zwei dieser Fackeln von der ‚Isabella‘ mitgenommen“, entgegnete Hasard. „Der Große Chan hat sie mir geschenkt, als wir ihn in der Verbotenen Stadt besucht haben. Es handelt sich um eine Art Magnesit, das auch durch Flüssigkeit nicht zum Erlöschen zu bringen ist.“

Er ging in die Hocke und beschäftigte sich mit den Stiefeln, die er gerade ausgezogen hatte. Auf dem Wehrgang des hinteren Traktes der Stadtkommandantur hatte er wohlweislich darauf geachtet, die beiden Stäbchen, die er jetzt aus den ledernen Stiefelschäften holte, nicht in seiner Batak-Tracht zurückzulassen.

„Wir müssen nur sparsam mit dem Licht umgehen“, sagte er. „Dan, hast du Feuerstein und Feuerstahl dabei?“

„Immer noch“, sagte O’Flynn junior. „Man sorgt schließlich vor. Soll ich deine Chinesenfunzel anzünden?“

„Noch nicht. Wir lassen die Magnesitfackeln hier zurück und holen sie erst, wenn wir wissen, wo die ‚Santa Trinidad‘ liegt“, erwiderte Hasard. „Paß gut auf sie auf. Ich trete dir auf die Füße, Dan, wenn die Dinger verlorengehen.“

Er watete mit den Malaien ins Wasser. Durch die lauwarmen Fluten drangen sie bis zu dem Platz vor, an dem Sotoro und der Batak das Wrack der Galeone vermuteten. Die ersten beiden Unternehmungen brachten ihnen keinen Erfolg, aber als sie das dritte Mal in die düstere Tiefe tauchten, stießen sie sich fast an den bizarren Korallenformationen.

Eine halbe Stunde später hatte der Seewolf die „Santa Trinidad“ entdeckt. Sie lag nicht sehr tief, nach seinen Schätzungen etwa vier Faden. Jetzt kehrte Hasard an Land zurück und verschnaufte eine Weile, während auch Sotoro, Tiku und Kutabaru mit ruhigen Zügen zum Ufer zurückschwammen.

„Keine besonderen Vorkommnisse“, meldete Dan O’Flynn trocken. „Darf ich jetzt auch mal oder verdonnerst du mich weiterhin zur Landwache?“

Hasard lachte leise. „Du hast es erraten. Dan, dich läßt man notfalls noch einmal als spanischen Posten durchgehen, deswegen beiß die Zähne zusammen und halte tapfer die Ohren steif. Los, zünde mal die erste Magnesit-Fackel an.“

Mit dem weißlichen Licht, das man wegen der Dunkelheit und des Nebels bis Bengkalis sicher nicht sehen konnte, begab sich der Seewolf zurück zu dem Riff, gefolgt von den drei malaiischen Rebellen. Wieder suchten sie die Tiefe auf und drangen mit ihrem Luftvorrat in den Lungen bis zu der zwischen schartigen, farbigen Phantasiegebilden der Natur placierten Dreimast-Galeone vor.

Nach weiteren zwei Vorstößen geriet Hasard zum erstenmal mit seiner Fakkel in den Frachtraum der „Santa Trinidad“. Hier bot sich ein scheußliches Bild. Der Wasserdruck hatte die Toten, die bis zuletzt Truhen des Schatzes auf Oberdeck gemannt hatten, unter die Deckenbalken gepreßt. Einer wandte dem Seewolf sein Gesicht zu. Hasard drehte sich von ihm weg und widmete sich den Truhen und Kisten, die im Licht der chenesischen Fackel deutlich zu erkennen waren. Er schaffte es, die erste Kiste zu bergen.

Später holten sie immer mehr Kisten herauf, prall gefüllt mit den Diamanten, die für Sotoro so unendlich viel bedeuteten. Sie schafften sie in eine Höhle des nahen Felsenufers. Dan hatte diese Kaverne entdeckt. Sie stellte während der Hebung des Schatzes ihren Unterschlupf dar.

Lucio do Velho erschien nicht, der Nebel hielt ihn und seine „Candia“ zurück. Die Bemühungen des Portugiesen, von Bengkalis aus wenigstens einen Landtrupp Soldaten in Marsch zu setzen, stießen auf den Widerstand des Stadtkommandanten, der bis zum Morgengrauen im Landesinneren nach den Flüchtigen fahndete und andere Sorgen hatte als den „idiotischen Kahn mit den verdammten Juwelen“.

Im Morgengrauen lichtete sich der Nebel. Er zerfaserte und fächerte nach Westen ab. Lucio do Velho witterte überall Unrat, er hatte deswegen die Deckswachen auf seinem Viermaster verdoppeln und verdreifachen lassen. So war er der einzige, der wirklich gewappnet war und sein Schiff gefechtsbereit hielt, als die „Isabella“ und die Prahos von der zweiten, nordöstlich gelegenen Buchteinfahrt her auftauchten und Feuer und Tod säten.

Rafael de Cubas und Raoul Souto Alonso, noch verwirrt und bestürzt über den Verlust von Lozano, handelten viel zu spät. Sie saßen noch in Booten und ließen sich zu den Kriegskaravellen „San Rafael“ und „Estremadura“ hinüberpullen, als die „Isabella“ als erstes feindliches Schiff in den Hafen von Bengkalis lief.

Der Durchbruch gelang, die Kanonen wummerten los. Lucio do Velho hatte eine volle Breitseite abgeben lassen, doch die Galeone der englischen Korsaren wich nicht von ihrem Kurs ab und war nicht wrackreif ramponiert. Kein Schmerzgeschrei drang herüber, kurz, die Schüsse des Viermasters waren zu hastig und zu schlecht gezielt abgegeben worden!

Do Velho und seine Leute mußten sich in Deckung werfen, als eine Kette von Explosionen über das Oberdeck raste – Höllenflaschen aus der Produktion eines rothaarigen Teufels namens Ferris Tucker.

Ben Brighton schoß auch die beiden Karavellen vor den Piers an, dann rückten die Prahos nach und deckten Hafen und Ortschaft mit ihrem gezielten Feuer aus kleinkalibrigen Geschützen ein.

Die Frachtsegler auf der Reede stellten keine ernsthafte Gefahr für den Verband dar. Und in Bengkalis brach Panik aus, weil die Bevölkerung glaubte, die Feinde würden nun landen und die Häuser anzünden. Ganze Menschenpulks ergriffen die Flucht in die Selvas. Vergeblich trachteten der Stadtkommandant und der Hafenkapitän, die allgemeine Disziplin wiederherzustellen.

Als aber die Angreifer urplötzlich von der Siedlung abließen und zur nördlichen Ausfahrt der Bucht abdrehten, war so schnell niemand da und bereit, den „Bastardos“ nachzusetzen.

Etwas später nahmen Ben und die anderen Männer der „Isabella“ in aller Ruhe den Seewolf, Dan O’Flynn, Sotor, Tiku und Kutabaru bei den Korallenriffen auf. Boote wurden abgefiert und bemannt, die fünf Schatzsucher wiesen den Besatzungen den Weg durch die tückische Barriere – bis zu der Höhle, in der sich mittlerweile die Diamanttruhen stauten.

Die Boote glitten hin und her, während die Prahos die „Isabella“ gegen den Hafen von Bengkalis abschirmten.

Lucio do Velho scheuchte derweil seine Männer und veranlaßte sie durch rüde Befehle, das Feuer an Deck und im Rigg in fliegender Hast zu löschen. Er hielt Bilanz, befand, daß die „Candia“ noch seetüchtig und kampffähig war, ging von neuem ankerauf und jagte mutig dem Todfeind Spaniens nach.

Doch die „Isabella“ und die Prahos segelten bereits mit dem Schatz an Bord in die Straße von Malakka hinaus. Es gelang, den Verfolger abzuhängen und in eine Bucht der Insel Rupat zu verholen.

„Wir teilen die Beute“, erklärte Sotoro, aber Hasard schüttelte den Kopf.

„Die Diamanten gehören dem Volk von Kra“, erklärte er dem Tiger.

Dieser verneinte nun seinerseits. „Sie würden alle Tränen der Götter opfern, um ihre Freiheit wiederzuerlangen. Ich kann sie ihnen vielleicht schenken, weil du mich vor dem Henker bewahrt hast. Nimm diese Juwelen als Dank, Seewolf. Nein, keine Widerworte. Wir alle wären zutiefst gekränkt, wenn du unserer Bitte nicht entsprechen würdest.“

Hasard blieb nichts anderes übrig, er mußte annehmen. Im Sonnenlicht auf dem Achterdeck der „Isabella“ sah er Sotoro und Yaira und die anderen braunhäutigen Gäste auf seinem Schiff an. „Die Stunde der Trennung ist gekommen“, eröffnete er ihnen. „Wir nehmen Kurs auf die Andamanensee und den Indischen Ozean. Und du, Tiger, was planst du?“

„Zunächst segeln wir nach Rempang zurück. Die Spanier werden die Insel wegen der Legende um Bulbas weiterhin meiden. Auf diese Weise beschützt uns der Amokläufer, und, wie ich dir schon sagte, ich werde versuchen, ihn zu zähmen. Unsere Republik soll wachsen, neue Ziele wie Kra warten auf uns. Der Kampf gegen die Spanier endet hier nicht.“

„Nein“, erwiderte Philip Hasard Killigrew. „Das ganz gewiß nicht. Er hat erst richtig angefangen.“


1.

Blake spürte, wie die Hitze in ihm fraß, diese Hitze, die von einem erbarmungslosen Glutball herabfiel wie heißes Feuer, das sich in seine Lungen brannte und das Atmen zu einer einzigen Qual werden ließ.

Schweiß verklebte seine Haare, Schweiß rann ihm in Bächen über den Körper und saugte ihm den letzten Widerstand aus den Knochen.

Bei Gott, dachte er, wenn dieser fürchterliche Glutball dort oben nicht bald erlosch, wenn nicht bald Wind wehte, kräftiger Wind, der sie weiterblies, dann würden sie in ein paar Tagen alle tot sein.

Mit trüben Blicken starrte er auf die Segel. Schlaff und ausgebleicht hingen sie an den Rahen. Große, in sich zusammengefallene Leichentücher, oftmals geflickt, ausgebessert, gezeichnet von einer Zeit, als der Wind sie gebeutelt hatte, dieser lebensnotwendige Wind, von dem sie schon gar nicht mehr wußten, wie es war, wenn er wehte.

Wasser, dachte er in einem plötzlichen Anfall von Panik. Wohin man sah, gab es nichts als Wasser, salzig, lebensfeindlich, ohne Land. Keine Inseln, nicht einmal eine Wolke, von einem anderen Schiff ganz zu schweigen.

Er hieß Blake, Young Blake, wie sie ihn nannten, und er war der zweite Bootsmann der „Black Pearl“, dem Totenschiff, dem Seelenverkäufer, dem schwimmenden Sarg.

Verdammt, dreimal verdammt, dachte er. Ich habe eine Ader dafür, wenn Land in der Nähe ist. Land, eine lausige Insel nur, aber ich spüre nichts, und ich werde nie wieder etwas spüren. Nicht mehr lange, und ich werde krepieren wie Walters, diese treue Seele von einem Kerl. Skorbut, oder wie sie es nannten, wenn einem die Zähne ausfielen, wenn der Darm blutete, und wenn man keinen Hunger mehr hatte, obwohl der Magen seit Tagen nichts mehr zu verarbeiten hatte.

Ja, Walters, Segelmacher war er gewesen, ein guter Mann, einer, der immer half, der immer tröstete, der immer aufmunternde Worte fand. Schillernden Schleim und Blut hatte er gespuckt, bis er zusammengebrochen war.

Wann das war? Vor einer Woche vielleicht, oder vor einem Monat, vielleicht auch schon vor einem Jahr. Oder noch länger?

Egal, wie lange es her war. Wem half das?

Die brütende Hitze setzte dem Schweifen seiner Gedanken ein Ende. Vor seinen Augen flirrte heißer Sonnenglast, der sich über das ganze Schiff erstreckte.

Blake stand auf aus seiner kauernden Stellung und lehnte sich ans Schanzkleid.

Sekundenlang hatte er das Gefühl, als wäre er der einzige Mann an Bord der „Black Pearl“.

Das Ruder war festgelascht, auf dem Achterdeck war kein Mensch zu sehen. Er stieß sich schwerfällig ab, um einen Schluck aus dem Wasserfaß zu trinken.

Doch, einer war an Deck, und der stand mit dem Rücken zu ihm, einem fleischigen massigen Rücken und einem fetten Genick.

Reverend Thornton! Der Mann mit den frommen Sprüchen, Bordgeistlicher, dem anscheinend nichts fehlte, der immer kerngesund aussah.

Ob das von den frommen Sprüchen herrührte oder nur einfach davon, daß sie alle Reverend Thornton schon oft dabei ertappt hatten, wenn er heimlich das streng rationierte Wasser trank oder ebenso heimlich Proviant klaute?

Blake empfand Haß für den Mann, jäh ausbrechenden Haß auf das feiste Genick, den massigen Körper und auf Thorntons strotzende Gesundheit.

Kein Wunder, daß dem Kerl nichts fehlte, überlegte er. Das, was der Mannschaft abging, verleibte er sich heimlich ein und kaschierte seine Handlungsweise mit biblischen Sprüchen.

Blake wußte, daß er jetzt nicht ans Wasserfaß gehen und trinken durfte. Erst am Abend, hatte der Kapitän gesagt.

Bis dahin waren es noch lange, endlose Stunden in sengender Hitze, Stunden, die nicht vergingen und ihn ausdörrten.

Dicht neben dem Reverend blieb er stehen und sah verlangend auf das Wasserfaß. Er wußte, daß es von langen grünen Fäden durchzogen war, daß es ekelhaft schmeckte und faulig roch. Es war vielleicht noch zu einem Viertel gefüllt und mehr als lauwarm.

„Möge die Versuchung nicht über dich kommen, mein Sohn“, sagte der Reverend halblaut, ohne sich umzudrehen. „Denn wer der Versuchung erliegt, ist des Teufels.“

„Dich ehrwürdigen Hurenbock soll der Teufel holen“, sagte Blake grimmig mit zusammengebissenen Zähnen. „Über dich ist doch vorhin auch die Versuchung gekommen, ich habe es gesehen, obwohl du dachtest, du wärest allein an Deck.“

„Lüge“, keuchte der Reverend. „Lüge! Das ist nicht wahr!“

„Dann stimmt es wohl auch nicht, daß du vorhin von dem Roggenbrot geklaut hast, eh?“ fragte Blake höhnisch.

Thornton wurde knallrot. Mit einer überhasteten Bewegung rieb er sich den Schweiß aus dem Gesicht.

„Ich bin ein bescheidener Diener des Herrn“, sagte er kläglich. „Ich bin nur ein Mensch …“

„Ein scheinheiliger, hinterhältiger“, fügte Blake hart hinzu. „Dich würden selbst die Haie wieder auskotzen, Reverend, weil sie sich an deiner schwarzen Seele die Zähne ausbeißen.“

Er verzichtete auf den Schluck Wasser, ließ Thornton stehen und ging mit schlurfenden Schritten nach achtern.

„Scheiß auf den verdammten Tag, an dem ich England verlassen habe“, murmelte er vor sich hin. „Und das schwöre ich mir selbst: An dem Tag, da wir Land erreichen, werde ich verschwinden und dieses Land nie wieder verlassen, bei Gott nicht. Scheiß auf die verdammte Seefahrt!“

Im Schatten des Segels ließ er sich nieder, ausgelaugt, total erschöpft, fertig und kaputt.

Etwas später döste er ein.

Blake träumte von einer grünen saftigen Insel. Ein Bach klaren Wassers, erfrischend kühl, grummelte durch üppige Vegetation, und auf der Insel wuchsen Früchte, in die er gierig hineinbiß.

Das Bild wechselte jäh. Zwei Männer gingen träge durch die üppige Vegetation und schleppten einen dritten mit sich.

„… schon eine Weile tot sein“, hörte er ein undeutliches Geflüster, „der dritte jetzt. Mein Gott, wie soll das weitergehen?“

Kein Traum, dachte Blake entsetzt, bittere Wahrheit.

Der Schweiß verklebte ihm die Augen, und so sah er alles wie durch einen Nebelschleier.

Auf den Planken der Kuhl standen der Kapitän, der Seemann Fisher und Reverend Thornton, der leise murmelte. Dann hoben sie zu dritt eine Gestalt auf, schoben sie über das Schanzkleid und ließen sie ins Meer gleiten.

Beim Aufklatschen des Körpers war Blake hellwach.

„Wer – wer war das?“ stammelte er.

Der Kapitän, bärtig, hohlwangig, sah ihn aus tief in den Höhlen liegenden Augen lange an.

„Endicot“, sagte er schwer. „Endicot war es.“

„Aber Endicot war doch gestern noch – noch gesund.“

„Gesund? Gestern? Wann war gestern, Mann? Er lag sicher schon zwei Tage tot in seiner Koje. Gehen Sie nach unten, Blake, legen Sie sich hin!“

Blake schüttelte eigensinnig den Kopf.

„Ich will nicht nach unten, Sir, da unten verreckt man nur. Ich will lieber an Deck krepieren. Darf ich einen Schluck Wasser haben, Sir?“

Endicots Tod hatte ihn aufgewühlt, er spürte, wie er am ganzen Körper zitterte. Himmel, was war bloß mit ihm los? Er hatte Endicot doch noch gesund gesehen, oder war er selber schon verrückt?

„Heute abend“, sagte der Kapitän, „heute abend gibt es einen Schluck Wasser, jetzt nicht.“

Blake starrte auf die Stelle im Wasser, wo die Leiche verschwunden war. Ab und zu perlte es dort, winzige kleine Bläschen stiegen auf und zerplatzten, wenn sie die Oberfläche erreichten.

Er wollte sich abwenden, doch in seinem Magen krampfte sich etwas zusammen, ihm wurde speiübel, und mit einem leisen Schrei erbrach er sich, bis es seinen Magen umkrempelte. Er zuckte und bebte, und sein Hals brannte wie Feuer.

Danach ließ er sich erschöpft an Deck sinken. Ihn wunderte nicht einmal die Gleichgültigkeit des Kapitäns, der ihn nur stumm ansah, die Schultern hob und davonging.

Alle waren sie gleichgültig und apathisch geworden, gleichgültig gegenüber den Kameraden, apathisch gegen alles, was um sie herum passierte.

Nur der Haß gegen Thornton war noch da. Sie alle haßten ihn, sie vertrugen seine scheinheiligen Sprüche nicht mehr, aber niemand brachte die Kraft auf, ihn zu verprügeln oder ihn einfach über Bord zu schmeißen, wie es ihnen in Gedanken vorschwebte.

Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen.

Im Juli 1584 waren sie im Verband mit zwei anderen Schiffen von England ausgelaufen. Drei Kauffahrer mit dem inoffiziellen Auftrag, spanische Goldschiffe aufzubringen, dem brutalen Geschäft der Spanier etwas Einhalt zu gebieten, Handelsniederlassungen zu gründen und neue Inseln zu entdecken, diesmal auf dem Seeweg um Afrika herum.

Das erste Schiff hatten sie bei der Rundung um den großen Kontinent in einem Sturm verloren. Die See hatte das Schiff voller Wut zertrümmert und nur zwei Leute am Leben gelassen.

Einen Seemann und Reverend Thornton, den sie selbst an Bord genommen hatten, der jetzt dick, fett und behäbig herumstand und allen ein Dorn im Auge war.

Das zweite Schiff war schon vor Monaten spurlos verschwunden. Sie hatten nie wieder etwas von ihm gehört, es blieb verschollen.

Die „Black Pearl“ war noch übrig, mit einer Mannschaft, die vom Tod gezeichnet war, die dahinsiechte und starb, seit sie sich in diesem verdammten Meer ohne Ende befanden.

Es hatte Aufstände an Bord gegeben, Schlägereien. Die Männer waren mit den Messern aufeinander losgegangen, als der Proviant und das Wasser rigoros gekürzt wurden. Kapitän Stan Ellen hatte sich nur mit Mühe und Not durchsetzen können.

Die meisten Männer lagen apathisch in den Kojen. Diejenigen, die sich noch einigermaßen bei Kräften befanden, verfluchten und beleidigten den Kapitän, schimpften auf die Steuerleute und verdammten sie, weil sie den Kurs nicht fanden, weil kein Land mehr gesichtet wurde, weil niemand wußte, wo sie sich befanden.

Blake schlief wieder ein, träumte wirres Zeug und schwitzte.

Als er zum zweiten Male die Augen aufschlug, schloß er sie schnell wieder und blinzelte. Er tat so, als schlafe er.

Reverend Thornton lungerte am Wasserfaß herum. blickte immer wieder aus seinen schmalen Augen über das ausgestorbene Deck und musterte Blake ausgiebig.

Thornton rief ihm leise etwas zu, doch Blake reagierte nicht. Will doch mal sehen, ob dieser scheinheilige Kerl nicht wieder heimlich Wasser zapft, dachte er. Aus halbgeschlossenen Lidern beobachtete er den Reverend, der auf und ab ging.

Dann bückte er sich, blickte noch einmal nach allen Seiten, öffnete den hölzernen Hahn und ließ sich grünliche, von Fäden durchzogene Brühe in die hohle Hand laufen, die er gierig trank.

Mit einem Wutschrei sprang Blake auf die Beine, stürzte auf Thornton zu und hieb ihm die Fäuste in den fetten Bauch.

Der Reverend taumelte zurück, hob matt die Hand und erhielt einen Schlag ins Gesicht, der ihn über Deck schlittern ließ.

In diesem Augenblick, gerade als Thornton am Schanzkleid ächzend zusammenbrach, erschien der Kapitän.

Sein Gesicht war maskenhaft starr, seine grauen Augen funkelten voll verhaltener Wut.

„Was geht hier vor?“ rief er scharf. Er blickte zu Blake und dann zu Thornton, der sich gerade erhob.

Zwei andere Männer erschienen gleichfalls an Deck. Der erste Offizier Wintham und der Rudergänger Hentrop. „Er klaut Wasser, Sir“, sagte Blake mit erstickter Stimme, bereit, sich sofort wieder auf Thornton zu stürzen.

„Stimmt das, Reverend?“ fragte Ellen kalt.

Thornton massierte seinen fetten Hals, hob die Augen anklagend gegen den Himmel und sah den Kapitän nicht an.

„Der Herr möge ihm seine Unbesonnenheit vergeben“, salbaderte er, „schlägt er dich auf die eine Wange, so halte die andere auch noch hin.“

„Das kannst du haben!“ brüllte Blake voller Zorn und stürzte sich von neuem auf Thornton. Bevor Ellen ihn zurückreißen konnte, prasselten harte Schläge auf Thorntons Körper.

„Genug jetzt!“ fluchte Ellen und riß Blake zurück. „Ich will wissen, ob das stimmt.“

„Natürlich nicht“, sagte Thornton weinerlich. „Der Hahn tropfte. Ich sah es zufällig und wollte ihn zudrehen.“

Wintham und Hentrop nahmen eine drohende Haltung ein. Blake wurde immer noch festgehalten, er schäumte vor Wut.

„Er lügt, der verdammte Hund!“ brüllte Blake und riß sich los. „Er säuft dauernd Wasser, wenn er glaubt, daß niemand an Deck ist. Und der Hahn hat nicht getropft, ich beschwöre es.“

„Das wird sich gleich herausstellen“, sagte Ellen.

Mit hölzernen Schritten ging er auf das Faß zu, bückte sich und sah auf die Planken.

Der Hahn hatte getropft, jedenfalls konnte man das annehmen, wenn man nur einen Blick auf die Planken warf. Ellen war da aber gründlicher und so entging ihm nicht, daß sich die Tropfen an einer anderen Stelle befanden, als hätte jemand die Hand unter den Hahn gehalten und sie dann weggezogen. Die Wasserspuren wiesen von dem Faß fort.

Ausdruckslos sah er den Reverend an.

„Seit Sie an Bord sind, Reverend“, sagte er sehr ruhig, „wird es hier immer schlimmer. Sie kaschieren Ihre Diebstähle mit frommen Worten, stehlen Brot und Wasser, ohne sich den Teufel darum zu scheren, daß Sie dadurch den anderen etwas wegnehmen. Dieses Schiff ist ein halbes Wrack, die Mannschaft ein undisziplinierter zerlumpter Sauhaufen, der langsam krepiert, weil es an allem mangelt. Und Sie schüren den Haß, säen Zwietracht und klauen. Ich werde heute abend ein Bordgericht einberufen, Reverend. Das Urteil kann ich schon vorwegnehmen. Die Männer werden dafür plädieren, daß Sie einen Ehrenplatz erhalten.“

Ellens Daumen stach nach oben, wo die schlaffen Segel hingen.

„Dort oben an der Rah!“ sagte er. „Lassen Sie ihn in die Piek bringen, Mister Wintham!“ befahl er knapp. „Und zwar sofort.“

In Thorntons Augen trat Furcht, seine Lippen öffneten sich, und man sah seine gesunden kräftigen Zähne.

Er schielte nach oben und schüttelte sich.

„Ihr Ottern und Schlangengezücht!“ schrie er bleich. „In der finstersten Hölle sollt ihr schmoren und verflucht sein ein Leben lang, dazu verdammt, ruhelos über die Weltmeere zu segeln, bis daß der …“

„Aber, aber, Reverend“, höhnte Wintham. „Steht das etwa alles in der Heiligen Schrift?“

Sie packten ihn und schleppten ihn nach vorn in die Piek.

„Erzähl deine Sprüche den Ratten“, sagte Blake, nachdem sich das schwere Schott hinter Thornton geschlossen hatte und er von innen wütend dagegenhämmerte.

„Dieser Halunke!“ schimpfte der Erste. „Der hat uns von morgens bis abends beklaut, um sich einen dicken Bauch anzufressen. Aber dafür wird er bezahlen.“

Als sie an Deck zurückkehrten, merkten sie wieder überdeutlich, wie trostlos und verzweifelt ihre Lage war.

Kein Windhauch rührte sich, das Meer lag da wie ein riesiges Tuch, ohne Bewegung, ohne Leben, scheinbar tot und ausgestorben. Und hoch über ihnen brannte ein greller Ofen so heiß und niederträchtig, daß er die Konturen des Schiffes verzerrte und alles verschwimmen ließ. Mitunter sah es so aus, als befinde sich das Schiff unter Wasser und nicht darüber.

„Verfluchte Seefahrt“, stöhnte der Erste, „verfluchte Sonne, verfluchtes Meer. Wo, zum Teufel, sind wir bloß?“

„Im Vorhof der Hölle“, antwortete Blake dumpf. Irgendein Fremdkörper im Mund störte ihn, und er griff mit Daumen und Zeigefinger danach. Ein leichter Ruck, und er hielt einen Zahn in der Hand und spuckte Blut.

„Skorbut nennen sie das“, sagte er. „Eine Krankheit, von der man behauptet, sie rotte ganze Schiffsbesatzungen aus. Man müßte Obst essen, viel Obst, dann wird es wieder.“

Der Erste, ein hartgesichtiger dürrer Mann, schlug ihm auf die Schulter.

„Eine gute Idee“, sagte er. „Ich hole ein silbernes Tablett und werde euch Früchte bringen, herrliche, kalte, saftige Früchte, soviel ihr wollt. Und hinterher gibts einen feinen Brandy, um das alles runterzuspülen. Einverstanden?“

Blake quälte sich ein verzagtes Lächeln ab.

„Fahr zur Hölle mit deinem Obst und den Früchten, Erster. Und laß dich schön knusprig braten!“

Am Abend, als die Sonne lange Schatten warf und die Hitze kaum spürbar zurückging, wurde Reverend Thornton an Deck gebracht.

Er lächelte, als wäre nichts geschehen und nickte hoheitsvoll. Vor dem Wasserfaß an Deck blieb er stehen, dann blickte er nach oben zu den Rahen.

„Da soll ich hängen“, sagte er salbungsvoll, „ich, ein Mann Gottes! Der Herr möge euch verzeihen.“

Er grinste wieder und sprach weiter: „Aber wie steht es geschrieben? Auge um Auge, Zahn um Zahn.“

Blitzschnell hob er den rechten Fuß und trat zu. Unter dem Hieb flog der Zapfen aus dem Faß, und grünliches Wasser ergoß sich in einem dünnlichen Strahl über Deck.

Dabei lächelte Thornton immer noch.

Den Männern fuhr es siedendheiß durch die Knochen. Hentrop sprang mit einem Schrei des Entsetzens auf, stieß Thornton zur Seite und stürzte sich auf das Faß. Mit dem Finger dichtete er es ab, damit nicht noch mehr der kostbaren Flüssigkeit verlorenging.

Jemand lief mit einem Gefäß herbei und fing die Tropfen auf, bis der Zimmermann einen neuen Hahn brachte und ihn vorsichtig an die Stelle des alten hineintrieb. Der Rest des Wassers wurde äußerst vorsichtig wieder in das Spundloch gegossen.

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9783954394968
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